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Fünftes Kapitel

Das schöne schlanke Schiff, vom Monsun getrieben, flog durch die Wellen, und längst war das indische Festland den Blicken entschwunden. Während die Gedanken der beiden jungen Leute bisher mit einer Art von Heimweh oder unbestimmtem Verlangen das Missionsdorf, das Grab des Elefantenführers und die stattliche Gestalt Dschumbos wieder und wieder umschwebten, begann allgemach unter dem Eindruck des Neuen die jugendliche Heiterkeit ihr Recht wieder geltend zu machen.

Keiner von beiden hatte Sumatra gesehen. Sie hofften auf Ausflüge in die Umgebung der Hafenstadt und schmiedeten Pläne über Pläne.

Kapitän Vaughan war ein sehr gütiger Gebieter, aber er hielt auf Ordnung und geriet in den höchsten Zorn, sobald irgendwelche Nachlässigkeiten an den Tag kamen. Sein besonderer Günstling war der malaiische Koch, den er an Bord hatte.

»Palo ist pünktlich wie ein gutes Uhrwerk,« sagte er einmal, »mit dem Glockenschlage steht das Essen bereit, und immer vorzüglich gekocht. Der schwarzköpfige Bursche gefällt mir sehr, alles an ihm glänzt von Sauberkeit.«

Mr. Nesbitt, der erste Steuermann, schüttelte den Kopf. »Als der einzige Malaie an Bord ist er ohnmächtig, Sir, sonst würde ich gerade ihn sehr scharf beobachten. Palos immer geschlossene Lippen verbergen ein Geheimnis.«

Der Kapitän lachte. »Sie verabscheuen die gelben Schlauberger, Nesbitt!«

»Und Sie vertrauen den Menschen im allgemeinen viel zu leicht, Sir, nehmen Sie mir das nicht übel.«

»Keineswegs. Aber ich sehe nicht ein, weshalb man über schlimme Zufälle nachgrübeln soll, ehe sie eingetroffen sind. Palo kann uns das Schiff nicht in die Luft sprengen.«

»Übrigens,« setzte er hinzu, »lassen Sie für die Nacht alles Leinen wegnehmen, Nesbitt, es gibt wieder einmal eine gehörige Mütze voll Wind.«

Der Befehl wurde zum Teil vollzogen, teils seine Ausführung vorbereitet. Dunkle Wolken jagten über den Himmel, ein feiner Regen stäubte den Matrosen in das Gesicht, und wie vom bösen Feind getrieben, flog die Bark durch das zischende, brodelnde Wasser.

In einer Nacht voll Regen und jäh auftauchender Kälte erhob sich das Toben des Windes zum Sturm. Es war so dunkel, daß man auf zwei Fuß Entfernung keinen Gegenstand mehr unterscheiden konnte; alle Lampen flogen zerschellt aus ihren Haltern und was nicht niet- und nagelfest war, wurde über Bord geschleudert.

Aber Kapitän Vaughan lächelte trotzdem. »Wir sind jetzt an den kleinen Inseln vorüber,« sagte er, »mag uns nun der Sturm in voller Fahrt nach Sumatra jagen – ich bin's zufrieden.« Kaum einer von der Mannschaft schlief, alle Herzen klopften schneller während dieser schauerlichen Fahrt durch die hohle, rollende See. Einige Stengen und Spieren waren schon über Bord gegangen, der an Deck liegende Notmast rasselte in seinen Eisenklammern wie ein lebendes gefangenes Wesen, das nach Befreiung ringt, von der Kapitänskajüte hatte der Sturm eine Seite der Tür weggerissen – plötzlich aber erscholl, bald nach Mitternacht, ein donnerndes Poltern, das kurz andauerte und dann mit einem Sturz in das Wasser endete.

Irgendein schwerer Gegenstand war vom Sturm über Bord gefegt worden.

»Es können nur die Tanks Eiserne Gefäße zur Aufbewahrung des Trinkwassers. sein,« flüsterte Richard, der im Volkslogis zunächst der Tür lag. »Eine schöne Bescherung!«

In diesem Augenblick streifte ein fremder Körper sein Gesicht; er griff zu, aber ohne etwas zu erfassen. »Wer ist da?« rief er laut.

Keine Antwort.

»Wer sollte hierher kommen?« meinte ein anderer. »Man hörte auch keine Schritte.«

»Einerlei. An mir ging jemand vorüber.«

Während dieser kurzen Unterhaltung lag Palo in seiner Koje, und um den sonst so fest geschlossenen Mund spielte ein frohlockendes Lächeln. Er konnte es unter dem Schutze der Nacht wagen, diesen Triumph zu zeigen; denn kein Auge vermochte ihn zu beobachten.

Beim ersten Tagesgrauen legte sich, wie gewöhnlich, die Wut der Elemente, aber eine neue Gefahr war an die Stelle der früheren getreten. Beide Tanks fehlten.

Kein Tropfen Wasser an Bord – ein höchst beunruhigender Verlust. Der Kapitän stampfte vor Zorn mit dem Fuße. »Die Bolzen können nicht ordentlich befestigt gewesen sein,« rief er, »der Teufel soll eure Nachlässigkeit holen, ihr faulen Gesellen. Jetzt vergeht der ganze Tag unter unfreiwilligem Fasten, und abends können wir dann die Nikobarinseln anlaufen, um nur erst einmal etwas Wasser zu erlangen! Zwei Tage unnütz versäumt!«

»Vorwärts!« fügte er hinzu, »holt alle Fässer und Flaschen aus dem Raume hervor. Bei den vertrackten Malaien kann ich keine Tanks wiederkaufen!«

Er blieb während des ganzen unangenehmen Tages in seiner Kajüte; erst am Abend, als die Insel Großnikobar in Sicht kam, erschien er und gebot, den passendsten Landungsplatz anzulaufen. Eine klippenfreie Bucht gestattete der Bark, in ihrem Schutz Anker zu werfen.

Mr. Nesbitt ließ die beiden Geschütze gegen den Strand kehren und sechs Kugelbüchsen bereitlegen. Die eine Hälfte der Mannschaft mußte mit Fässern und Eimern im großen Boot an Land gehen, die andere blieb zur Bedeckung des Schiffes zurück, wobei Palo völlig außer acht gelassen war. Er schien sich um die ganze Sache nicht im geringsten zu bekümmern, sondern saß mit verschränkten Armen auf seiner Schiffskiste und lächelte in sich hinein.

»Ist die Insel stark bevölkert?« fragte ihn der Kapitän.

»Weiß nicht, Sir.«

Mr. Nesbitt streifte ihn mit einem nichts weniger als schmeichelhaften Blick. »Wer die Bolzen aus den Lagern der beiden Tanks gezogen hat, weißt du vermutlich auch nicht, Bursche?«

»Nein, Sir!«

Es lag etwas Teuflisches in dem Behagen, womit Palo dem heißblütigen Schotten ins Auge sah.

Mr. Nesbitt schlug mit der flachen Hand auf eines der beiden Geschütze. »Aber diese Dinger kennst du, nicht wahr, Kerl? Hüte dich, weiße Männer herauszufordern!«

Die Matrosen waren vom Schiff aus nicht mehr zu erblicken. Während einige weiter gegen den oberen Lauf des Flusses hin vordrangen, um erst einmal reines süßes Wasser zu erhalten, vergnügten sich andere mit der Jagd, und zwar desto eifriger, je weniger sie von der Sache verstanden.

Unterdessen hatte die zweite Abteilung eine Stelle gefunden, wo sich die mitgebrachten Fässer bequem füllen ließen. Zuerst tranken alle nach Herzenslust, dann tauchten sie die Eimer ein und begannen das klare Naß zu sammeln. Die gänzlich beutelosen Jäger stießen zu ihnen, wurden geneckt und neckten wieder, dann verteilte man die vollen Gefäße, um den Rückweg anzutreten. Der Marsch mußte ohnehin zweimal gemacht werden.

Als sich der erste mit dem Fäßchen auf der Achsel und dem Gewehr in der anderen Hand umwandte, um durch die überall sehr dichten Gebüsche wieder zum Strande zu gelangen, stand plötzlich ein Malaie vor ihm, in dessen Gürtel der berüchtigte malaiische Dolch, der Kris, stak und der außerdem eine Büchse auf der Schulter trug. Aber nicht das allein, wie aus dem Boden auftauchend, erschienen Dutzende von Gelben. Die Weißen waren vollständig umzingelt.

»Ich bin der Radscha von Groß-Nikobar,« sagte in gebrochenem Englisch würdevoll der erste. »Wer seid ihr?«

Die Matrosen sahen einander verdutzt an. »Wir haben bei dem letzten Sturm unsere Tanks verloren,« antwortete einer, »deshalb warfen wir hier Anker, um etwas Wasser zu erlangen.«

Richard hatte sich die Reihen der Widersacher näher betrachtet; es wurde ihm sofort klar, daß an eine Verteidigung nicht zu denken war.

»Höre mich an, Radscha von Groß-Nikobar,« mischte er sich in das Gespräch, »wir werden uns gewiß verständigen. Du willst jedenfalls das Wasser, welches hier fließt, als dein Eigentum betrachten und verlangst dafür Bezahlung. Ist es nicht so?«

Der Malaie wiegte den Kopf. »Wie du sagst, Faringi. Ich verlange einen Preis.«

»Gut, dann folge uns zum Schiffe. Der Kapitän gibt dir das Geld.«

Aber der Malaie rührte sich nicht. »Legt nur die Fässer ab,« sagte er, »für Wasser wird schon gesorgt werden. Ihr müßt uns jetzt folgen.«

Die Seeleute mußten sich die Kugelbüchsen aus den Händen und Fässer von den Schultern nehmen lassen, ohne etwas dagegen tun zu können.

Die Malaien schritten hinter ihren Gefangenen her und schwiegen gleich diesen, bis nach starker Wanderung durch das Gebirge eins ihrer Dörfer erreicht war.

Als die Weißen erschienen, zogen sie aller Blicke sogleich auf sich; es war eine Doppelreihe lautlos staunender Menschen, die sie durchschreiten mußten, aber gleichwohl fragte kein einziger oder erlaubte sich irgendeine Beleidigung. Unangefochten gelangten die Matrosen zu einem einzelstehenden, wenigstens vier Meter über dem Erdboden erhöhten Hause, das man ihnen als Wohnung anwies.

Ein großes Bambusgefäß mit frischem Wasser wurde hinaufgebracht, desgleichen eine Anzahl Matten und eine Mulde, die gekochten Reis sowie ein tüchtiges Stück Fleisch enthielt. Dann zog der Radscha in höchsteigener Person die Leiter weg.

In der offenen Tür stehend bat ihn Richard um einen kurzen Bescheid. »Wie lange sollen wir hier gefangen bleiben?« fragte er.

»Bis morgen früh,« war die trockene Antwort.

»Und dann kommen wir zu unserem Schiffe zurück.«

»Ja.«

Mehr war aus dem schweigsamen Würdenträger nicht herauszubringen.

Oskar hatte durch eine kleine Spalte der Rückwand gesehen und winkte jetzt seinen Gefährten. »Was liegt da unter dem offenen Schuppen?« flüsterte er.

»Menschenfleisch?« fragte der Engländer.

»Ach, dummes Zeug! Sieh einmal her, Richard!«

Der Gerufene trat hinzu. »Das sind Einzelteile eines Schiffes!« rief er, »aber keines malaiischen. Beim Himmel, ich glaube, da steht sogar auf einer Planke ein deutscher Name!«

»Eng – –« las er, »schade, schade, die Wand hindert mich, mehr zu erkennen.«

»Dem soll bald abgeholfen sein!«

Oskars Messer trennte mit gewaltigem Ruck die Bambusstäbe. Derbe Fäuste rissen das entstandene Loch größer, und bald hatten die dreisten Zerstörer Platz genug, um die ganzen Köpfe hindurchzustecken. »Engellina!« las Oskar. »Ein deutsches Schiff also!«

»Hallo – und da unten schimmert es rot-weiß. Wahrhaftig, das Hamburgische Wappen!«

Es lief den jungen Leuten kalt durch alle Adern. Vor zwei Jahren war die »Engellina« als verschollen gemeldet, die Versicherungsgesellschaft hatte das Schiff bezahlt, und die Frauen und Mütter seiner Besatzung trugen Trauerkleider.

»Hölle und Teufel,« sagte halblaut der Engländer. »Wo sind die Leute vom Schiff? – Gefressen, sage ich euch, verzehrt, von den Seelenverkäufern als Karbonaden und Beefsteaks. Segne meine Seele, das ist ein Jammer.«

Richard fuhr mit der Hand durch das Haar. »Sie sind ermordet!« sagte er nachdrücklich.

»Schauderhaft!« sagte leise eine Stimme – dann wurde es still in dem Bambusgebäude. Sie sprachen nicht mehr, weil die Beklemmung zu schwer auf aller Herzen lag.

Währenddessen ging der Kapitän unruhig auf dem Schiffe hin und her. »Wo stecken die Burschen?« meinte er ärgerlich. »Sie könnten wahrhaftig jetzt Wasser gefunden haben.«

Mr. Nesbitt machte sich an den Geschützen zu schaffen. »Soll ich einmal ein wenig Pulver verpuffen, Sir? Die Kerle werden das Zeichen ja verstehen.«

»Immerhin,« nickte der Kapitän.

Der Schuß rollte langsam über das Wasser dahin, die eingesperrten Matrosen hoben wie aus Verabredung ihre Köpfe und sahen einander an, aber keiner von ihnen sprach ein Wort. Zu den Kameraden auf dem Schiffe hätte freilich auch der lauteste, der verzweiflungsvollste Schrei nicht hinüberklingen können.

Mr. Nesbitt horchte. Aber es kam keine Antwort.

»Schießen Sie noch einmal, Mr. Nesbitt,« sagte beklommen der Kapitän.

Das Geschütz wurde neu geladen und wieder und wieder rief der metallne Mund hinaus in die Welt, ohne eine Antwort zu erlangen. Sechs Schüsse! Dann schüttelte der Steuermann den Kopf.

»Es hilft nichts, Sir! Unsere Leute sind in einen Hinterhalt gefallen.«

Der Steuermann legte plötzlich eine Hand auf seinen Arm. »Sehen Sie dorthin, Sir!«

»Wo denn?«

Seine Blicke suchten, dann erblaßte er plötzlich. »Eine malaiische Prau!« rief er.

»Zehn, Sir, zwanzig!«

»Du großer Gott!«

Die unförmlichen Segel, vom Wind gebauscht, erschienen rechts und links, vor und hinter der Bark. Mehr als zweihundert bewaffnete Malaien, die Enterbeile in den Händen, Gewehre über den Schultern und im Gürtel den Kris, näherten sich in schneller Fahrt dem Schiffe.

Mr. Nesbitt und der zweite Steuermann hatten im Fluge die Kanonen scharf geladen und ihre Kugelbüchsen ergriffen, ebenso die noch zurückgebliebenen Matrosen. Die kleine Gruppe zum lebhaften Widerstande entschlossener Männer stand eng gedrängt im Vorderteil des Schiffes beieinander. Niemand sprach, aber der Zorn schwellte aller Herzen.

Die Malaien lagen jetzt mit ihren Fahrzeugen unmittelbar unter dem Bug der Bark. Wie Katzen kletterten sie in die Masten empor und von da aus mit den gehobenen Beilen auf die Schanzkleidung des Schiffes.

»Was wollt ihr, Leute?« rief der Kapitän.

Ein Hohngelächter antwortete ihm.

»Achtung!« rief der Steuermann. »Der erste, der den Fuß auf das Verdeck setzt, muß es mit dem Leben büßen.«

Zugleich befahl er »Feuer!« und die beiden Geschütze taten wacker ihre Schuldigkeit. Drei von den Prauen versanken in das Meer, dessen Fluten sich hochaufrauschend über den Mastspitzen schlossen.

Vielleicht zwanzig bis dreißig Eingeborene hatten das Leben verloren, ebenso viele lagen in den Prauen. Aber auch die Schiffsmannschaft hatte einen schweren Verlust zu beklagen. Kapitän Vaughan war gefallen. – An Deck standen mehr als hundert wehrhafte Männer, die den wenigen Weißen ohne Mühe die Büchsen entrissen und ihnen den Weg zu den Kanonen versperrten.

In der Mitte der Eindringlinge, unter denen sich auch der Radscha befand, stand Palo, und sein stummer Mund war jetzt sehr beredt.

Der Radscha trat vor. »Ich habe dies Schiff erobert,« rief er. »Ich habe dies Schiff erobert, um es für den Walfischfang zu benutzen. Die Männer meines Volkes sind gute Seeleute, aber sie besitzen keine großen Fahrzeuge, und daher mußte ich mir ein solches verschaffen. Der Befehlshaber der Bark bin nunmehr ich, der erste und zweite Steuermann, sowie sämtliche Matrosen bleiben in ihren bisherigen Stellungen und erhalten einen Anteil der zu machenden Beute, oder aber, sie widersetzen sich und werden wie Kriegsgefangene behandelt, das heißt, getötet.«

Der Obersteuermann verbiß den Grimm, der ihn fast erstickte. »Vor deinen Füßen liegt ein Leichnam, willst du zunächst Befehl geben, ihn passender zu betten?«

Der Malaie lächelte: »Du hast recht! Ins Meer mit ihm, auch die Fische wollen leben.«

»Hüte dich, Radscha von Nikobar.« Mit geballten Fäusten trat Nesbitt vor den Malaien hin, »ein freier Seemann bietet dir Trotz. Weigerst du dich, den toten Kapitän vor versammelter Schiffsmannschaft ein christliches Begräbnis zukommen zu lassen, versagen wir Seeleute dir den Dienst. Du kannst vielleicht eine Prau lenken, aber nach Kerguelen oder noch weiter bis zum Eismeer gelangst du nicht ohne einen weißen Steuermann; nun wähle!«

Die Augen des Radschas funkelten. »Wozu des Aufhebens. Macht mit der Leiche, was ihr wollt.«

Unerschrocken trat Nesbitt vor ihn hin. »Ich habe euch weiteres zu fragen. Ich vermute, acht Mann von der Besatzung des Schiffes befinden sich als Gefangene in deinen Händen. Sie wurden ausgesandt, um Wasser zu holen, und kamen nicht wieder.«

Der Malaie nickte. »Sind wohl aufgehoben,« sagte er kurz.

»Und du willst sie unbeschadet wieder an Bord liefern?«

»Wenn wir uns gütlich einigen können – ja. Im Augenblick brauche ich euch, das wißt ihr, aber wenn erst einmal eine Reise gemacht worden ist, so kann die Bark irgendeinen großen Hafen anlaufen und dort Steuerleute genug finden.«

»Gut. Du versprichst also, uns nur für die gegenwärtige Fahrt zu verpflichten, später aber unserem Fortgehen nichts in den Weg zu legen?«

»Nichts! Ich wünsche sogar, daß diese Zeit recht bald kommen möge. Die Bark soll zunächst den Hafen von Padang anlaufen, um Kohlen und Mundvorrat einzunehmen, dann geht es nach Kerguelen. Ich gebe euch vom Gewinn einen bestimmten Anteil.«

Mr. Nesbitt wußte nun allerdings, daß der Malaie freiwillig nie einen Pfennig bezahlen würde, aber das war ja Nebensache, die Frage nach dem Schicksal der Gefangenen dagegen viel wichtiger.

»Nimm an, daß wir über diesen Punkt im reinen wären,« antwortete er, »und gib jetzt unsere Kameraden heraus, Radscha. Uns selbst nimm die Fesseln ab, ich mag sie nicht länger tragen.«

Dem letzteren Wunsche wurde entsprochen, und dann ließ der neue Befehlshaber des Schiffes, Radscha Karoldi, wie er sich nannte, schnell nacheinander von den Kanonen der Bark sechs Schüsse abgeben. Das mußte ein vorher vereinbartes Zeichen sein, denn wenige Stunden später kamen unter starker Bedeckung die Gefangenen mitten in der Nacht an das Schiff. Ebenso brachten mehrere Karabauen auf ihren Rücken die eisernen, von der »Engellina« geraubten Tanks, die jetzt neugefüllt waren und von den Malaien an Bord geschafft wurden.

Der Steuermann nähte die Leiche des Kapitäns in das Segeltuch und band einen kleinen Sack mit Steinkohlen an die Füße, dann legten er und ein anderer den Körper auf ein Brett, während sich die Weißen im Hinterteil des Schiffes versammelten.

Wie vom Wind unter Deck gewirbelt, verschwanden bei diesen Vorbereitungen urplötzlich die Gelben. Vielleicht glaubten sie, daß ihnen die Götter der Weißen gefährlich werden könnten, vielleicht fürchteten sie Zaubersprüche bedenklicher Natur, kurz, sie waren sämtlich unsichtbar geworden, ehe noch die Leichenfeier begann.

Mr. Nesbitt sprach nur wenige Worte: »Du warst uns ein freundlicher gerechter Herr, Lionel Vaughan, du wolltest das Beste und hast es ausgeführt, soweit deine Kräfte reichten, möge dich der himmlische Vater richten, wie du selbst zu richten pflegtest, gütig und milde. Amen!«

Und »Amen!« wiederholten einstimmig die Matrosen.

Nesbitt legte seine Hand auf die verhüllte Stirn des Toten. »Noch eins,« sagte er mit unsicherer Stimme. »Wenn es uns möglich ist, dich an deinen verfluchten Mördern zu rächen, so wird es geschehen – so wahr wir Männer sind!«

Leise wurde das Brett an Stricken bis zu den weißschäumenden Wellenhäuptern herabgelassen, und dann empfing das Meer den entseelten Körper, um ihm auf seinem tiefsten Grunde, unter Anemonen und roten Korallen das Bett zum ewigen Schlummer zu bereiten.

Als die Malaien sahen, daß die Weißen auseinandergingen, wurde ein hängendes Brettergerüst an der Gallion herabgelassen und der Name »Elisabeth« überpinselt; das gleiche geschah mit allen Planken und Baljen sowie mit den Booten, die an den Längsseiten in ihren Tauen hingen. Später, nachdem die schwarze Grundfarbe notdürftig getrocknet war, erschien an der Stelle des Namens das plumpgearbeitete Bild eines Krokodils.

So war die Umänderung äußerlich vollzogen, und der Dienst nahm seinen gewohnten Fortgang. Die beiden Anker rasselten empor, das Schiff bewegte sich und glitt tagelang über die Wellen dahin.

»Jetzt müssen wir Sumatra bald erreicht haben,« meinte Richard, »dann gilt es, eine Gelegenheit zur Flucht zu erwischen. Auf den Walfischfang begebe ich mich keinesfalls, namentlich da doch der schuftige Malaie nichts bezahlt.«

»Ich auch nicht,« versicherte Oskar. »Lieber gleich in das Meer!«

»Hört, Kinder,« flüsterte der Matrose Dick Poggins, »hört, Kinder, ich habe einen Plan!«

Er sah vorsichtig nach allen Seiten, stellte sich im Logis mit dem breiten Rücken gegen die Tür und zog unter der leinenen Jacke hervor eine bunte Fahne, die er vorsichtig entfaltete. »Kennt ihr diesen roten Ball, Kinder? – Ich habe ihn gerettet, als die Heiden alle Flaggen verbrannten.«

»Das Notzeichen,« sagte Richard. »Wolltest du es aufhissen, wenn uns ein Schiff begegnet?«

»Oh, das lasse ich bleiben. Uns alle hätten die Haifische verspeist, ehe fremde Leute an Bord kämen, aber im Hafen, da soll das Ding aus dem Versteck hervor. Die Eingeborenen führen solches Notzeichen niemals. Daß sie es unter den übrigen nicht vermißt haben, beweist schon ihre Unkenntnis.«

Er verbarg das kostbare Tuch wieder auf der Brust und lachte.

Hinter dem grünen Ufer einer der Inseln vor Padang wurde Anker geworfen, und eines Tages fuhr Karoldi im großen Boote, nur begleitet von seinen Landsleuten, zur Stadt, während zwanzig oder dreißig Malaien zur Bewachung an Bord zurückblieben.

Die Stunden dieses Tages wurden endlos lang. Von der übrigen Mannschaft dachte keiner an das gefährliche Wagnis einer Flucht, nur die beiden Steuerleute, Richard, Oskar und Dick Poggins wollten das Schiff verlassen, ehe es die neue Fahrt antrat, letztere selbst auf die Gefahr hin, einfach in das Meer zu springen und lieber zu ertrinken, als sich in Gemeinschaft der gelben Heiden nach dem Eismeer zu begeben.

Täglich erschienen Prauen, die Lebensmittel, Kohlen oder sonst Notwendiges herbeibrachten. Jetzt mußten die Weißen schwer arbeiten, während ihre Gebieter abwechselnd zur Stadt fuhren. Von solchen Ausflügen kehrten sie regelmäßig völlig berauscht zurück.

»Nun fehlen noch die Geräte für den Walfischfang,« raunte Dick, »dann heben wir die Anker und – segeln ab.«

»Ich nicht! Lieber sterben!«

»Pst!« unterbrach Richard, »habt ihr gestern morgen den kleinen Dampfer mit der englischen Flagge bemerkt?«

»Den blauen? Es ist die Barkasse von einem Kriegsschiff.«

»Und du meinst, daß wir sie anrufen könnten?«

»Wenigstens läßt sich der Versuch machen. Ich gebe dir ein Zeichen, Dick!«

Der Matrose eilte wieder zu seinen Kohlenkörben, während alle Malaien in der Kajüte zechten. Da glitt aus dem dunkeln Gebüsch einer der Inseln gegen Abend ein zierlicher kleiner Dampfer hervor und kam ganz in die Nähe des »Krokodils«; ein Boot wurde ausgesetzt, mehrere Männer ruderten an Land und begannen dort irgend etwas zu suchen, wahrscheinlich Muscheln, Steine oder Pflanzen. Sie unterhielten sich sehr lebhaft in englischer Sprache. Einer hatte einen Feldstuhl mitgebracht, legte eine Mappe über die Knie und fing an zu zeichnen. Besonders das »Krokodil« schien seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er deutete mehr als einmal mit dem Bleistift hinüber und sagte ärgerlich: »Da haben sich diese Gelben ein europäisches Schiff gekauft und Christen in ihren Dienst genommen! Was doch der Reichtum nicht alles kann!«

»Dick,« flüsterte Richard, »nun ist es Zeit.«

Dick Poggins schmunzelte. »Wollen unser Möglichstes tun,« sagte er. Und im Nu war die Flagge, die er auf der Brust trug, gehißt.

Der Zeichner drüben am Strande bemerkte es. Er nahm das Taschentuch und winkte.

Jetzt sahen sie alle hinüber, auch die Matrosen im Boote, und ein heißer Freudenstrom rann durch ihre Adern. Nun war ohne Zweifel die Rettung nahe.

Aber im gleichen Augenblick erschraken alle sehr, denn Palo schrie laut auf und rief damit wenigstens zehn Malaien an Deck, auch der Radscha erschien.

»Was geht hier vor?« rief der Radscha.

Palo sprudelte in der Mundart der Malaien eine Antwort, die den Weißen unverständlich blieb, er deutete aber auf die Flagge und wiederholte immer einen und denselben Laut, jedenfalls das Wort: Verrat!

Der Radscha befahl, die Flagge herunterzuholen, was denn auch sofort geschah. Nun flatterte freilich kein Notzeichen mehr am Schiffe, aber die Engländer und Deutschen wußten doch genug, was sie tun mußten und wollten.

»Eines muß zunächst ausgemacht werden,« flüsterte der Steuermann. »Wer entwischen kann, soll sich nicht erst nach den übrigen umsehen, sondern machen, daß er fortkommt. Wer auf freien Füßen steht, der eilt so schnell es ihm möglich ist, nach Padang und erstattet Anzeige, dann haben wir binnen einer Stunde die Hafenwache der Holländer hier an Bord.«

»Ja, ja,« drängte Mitchell, »das ist auch meine Ansicht.«

»Gut also,« nickte Richard.

Zu seinem Schicksalsgefährten gewandt, setzte er dann leise hinzu: »Wir trennen uns aber auf keinen Fall. Entweder zusammen, oder gar nicht.«

Das Schiff lag leise schaukelnd in dem blauen, beweglichen Bette. Etwa dreihundert Schritte weit, unmittelbar unter Land, hatte die Dampfbarkasse Stellung genommen und das Boot immer noch nicht eingeholt. Am Schornstein brannte eine grüne Laterne.

»Das ist ein Zeichen,« dachte Richard, »die Farbe der Hoffnung.«

Mr. Nesbitt hatte den beiden Deutschen und mehreren anderen die erste Wache zugeteilt, aber auch fünf oder sechs Malaien befanden sich an Deck, – zwischen ihnen die Sherryflaschen des gemordeten Kapitäns. Sie stritten sich über irgendeinen Gegenstand, schwatzten hin und her und zuletzt zog einer von ihnen das Messer. So ging es an jedem Abend.

Richard legte plötzlich die Fingerspitzen auf Oskars Arm. »Da!« flüsterte er.

Das Boot löste sich von der Längsseite der Barkasse und glitt in die Nacht hinaus. Zwei Männer saßen darin. Sie näherten das Fahrzeug dem Vorderteil des »Krokodil.«

Die Riemen mußten mit Lappen umwickelt sein; auch das schärfste Ohr hätte den jedesmaligen Schlag auf das Wasser, das Knarren in den Pflöcken nicht zu hören vermocht. Jetzt war es hart unter dem Bug des »Krokodil«. Einer der Männer zeigte dem jungen Deutschen einen Gegenstand, den er in der Hand hielt, dabei machte er die Bewegung des Auffangens.

Richard nickte! Er hätte für keinen Preis auch nur eine einzige Silbe hervorbringen können.

Der dunkle Gegenstand wurde darauf in die Luft geworfen und blitzschnell von dem jungen Manne erfaßt. Es war eine feine, aber feste Strickleiter aus Seide.

Vor Richards Blicken schwamm alles in bunten Farben; die grüne Laterne am Schornstein der Barkasse schien zu nicken und zu tanzen, das Meer sah aus wie ein einziger ungeheurer See von Blut, in dem sich die Sterne, silbernen Punkten gleich, spiegelten.

Richard befestigte das feine Gewebe an den Eisenklammern, in denen der Notmast lag, dann ließ er die Leiter wieder über Bord in das Boot der Engländer hinabfallen. Von unten her wurden die Sprossen straffgezogen.

Nun galt es das Wagnis zu unternehmen. Da auf einmal öffnete sich die innere auf den kleinen verschlossenen Vorraum hinausgehende Tür der Kapitänskajüte. Stolpernde Schritte wurden laut. Der Radscha! Er trat heraus, ein mißvergnügter Blick aus halb verglasten Augen traf die zechenden und würfelnden Malaien. Dann torkelte er über das Verdeck und taumelte in die Kajüte zurück, deren Tür offen blieb. Ein dumpfes Geräusch bewies, daß er sich angekleidet auf das Sofa geworfen hatte.

Tief auf atmete Richard. Hätte Karoldi zufällig über Bord gesehen, so wäre die Entdeckung unvermeidlich gewesen.

Er schwang sich dann über die Schanzkleidung und sprang unversehrt in das harrende Boot.

Oskar folgte, aber während sein Körper an dem schwankenden Seil in freier Luft schwebte, stand zufällig einer der Malaien vom Boden auf und sah, was vorging. Mit dem Sprunge eines gereizten Tigers stürzte er sich gegen die Stelle, wo eben der Flüchtling verschwand.

»Auf! Auf! Die Faringi sind entkommen.«

Ein Schreien und Toben an Deck, ein Durcheinander von Stimmen. Halbbetrunkene stolperten hierhin und dorthin und wurden plötzlich nüchtern vor Schreck. Wilde Flüche zerrissen die Luft.

»Ihnen nach! Ihnen nach!«

Oskar hatte sich in das Boot fallen lassen. »Stoßt ab!« rief er atemlos.

Sechs kräftige Arme legten sich in die Riemen; ein Spottlachen antwortete den wilden Verwünschungen der Malaien.

Das Boot flog über die Wellen. Aber auch an Bord des Krokodil war man nicht müßig geblieben. Das große Boot, geführt von acht Malaien, steuerte mit voller Kraft den Flüchtlingen nach und blieb daher, obgleich an kein Einholen zu denken war, doch immer gefährlich, weil die ganze Gegend den Gelben gehörte und aus jeder Bucht, jedem Schlupfwinkel hervor neue Helfershelfer nahen konnten.

Die Barkasse war erreicht und das Boot eingezogen, ehe noch die Feinde es finden konnten.

»Was mache ich nun aber mit euch?« fragte der englische Befehlshaber Narrow die jungen Leute.

Vom Ankerplatz der Schiffe bis zur Stadt Padang sind es dreiviertel Meilen; der junge Morgen sandte daher seine Strahlen schon über die Reede, ehe das Boot zurückkam und wieder eingezogen wurde, ohne daß die Feinde es hätten hindern können. Der Befehlshaber der Barkasse gestattete Richard und Oskar einstweilen, bei ihm zu bleiben, eine Gunst, die beide mit großem Danke empfingen. Mit gutem Winde ging es alsbald auf Padang zu.

Vom Topp des Schiffes wehte die Flagge Altenglands, und am Vorderteil stand sein Name »Violan«.

Sämtliche Prauen, das Boot des »Krokodil« zwischen sich, folgten so rasch sie konnten. Wutbleiche Gesichter sahen unter den unförmlichen Segeln hervor, wilde Verwünschungen klangen den Weißen entgegen, so oft sie sich zeigten.

Die Insel Pulo Pisang, von unzähligen Korallenbänken und Klippen umgeben, tauchte linkerhand auf, während rechts ein hoher Berg den letzten Ausläufer des festen Landes und zugleich eine Art Felsentor bildete, an dessen untersten Granitklippen vorüber der Wasserweg in die Stadt führte.

»Gewonnenes Spiel!« rief der Befehlshaber. »Die Barkasse kommt hindurch, aber die Prauen werden kentern und an den Klippen zerschellen. Ihr habt Glück, Jungens – seht nur wie die Gelben wüten und schimpfen!«

»Hm, meinte der Schiffsleutnant Barrow. »Ladet doch einmal vor ihren Augen den alten Nick da. Er muß den gelben Schuften wieder einmal einen Gruß entbieten.«

Es geschah. Eine Kugel traf das vorderste Malaienschiff und machte es kampfunfähig.

Weiter ging es. Schon lag die gefährlichste Brandungsstelle hinter der »Violan«, und das Wasser des Padang, an dem die gleichnamige Stadt lag, wurde bedeutend ruhiger.

Gleich nach der Einfahrt in den Fluß erschienen die ersten Häuser von Padang, aus Bambus erbaute Malaienhütten. Hinter diesen, auf Pfählen erbaut und von großen Gärten umgeben, die Häuser der Europäer.

Da die »Violan« sich auf einer Forschungsreise befand, deren Ziel das Innere Sumatras war, hielt man sich nicht lange in der Stadt auf, sondern fuhr alsbald den Padang weiter stromaufwärts, bis das Wasser endlich zu seicht für die Barkasse wurde und man die Reise in das Innere des Landes zu Fuß fortsetzen mußte. Vier Leute nahm der Befehlshaber mit, die übrigen blieben an Bord. Oskar und Richard hatte er freie Wahl gelassen, und diese nahmen selbstverständlich gerne an der Expedition teil. Ebenso ein an Bord befindlicher Maler, der Hardington hieß.

Man wanderte landeinwärts. Beschwerlich war der Weg.

»Holla, was rührt sich da,« rief Richard plötzlich, berührte die Schulter des Doktor Lawrence, und zeigte auf ein großes grauhaariges, auf den Zweigen eines nahe stehenden Baumes hockendes, zum Katzengeschlecht gehörendes Tier.

Doktor Lawrence rieb sich schmunzelnd die Hände. Auf seinen Wink versteckte sich die ganze kleine Schar – es galt, den Nebelpanther, das eingeborene Raubtier der Insel, zu beobachten.

Noch hatte die knurrende Katze nichts bemerkt, denn der Wind wehte den Wanderern mit ziemlicher Stärke entgegen. Es begann jetzt ein seltsames Schauspiel. Unten in den Zweigen hüpfte der Panther von einer Stelle zur anderen, oben bewegten sich die Blätter, als geschehe ein gleiches, doch war kein lebendes Wesen zu sehen, nur zuweilen drang ein leiser, quiekender Ton hinab bis zu den horchenden Männern, oder es fielen Blätter und Früchte auf den Boden.

»Da oben sitzt ein Affe,« raunte Doktor Lawrence. »Seht ihr das Wogen und Schütteln in den Zweigen? – Das Tier mißt die Sprungweite; es kann den nächsten Baum nicht erreichen.«

»Und der Panther weiß das, er merkt aber auch, daß nach oben die Aste dünner werden, daß sie ihn nicht mehr tragen. Deshalb knurrt er so ärgerlich.«

»Wollen wir ihn nicht herunterholen?«

»Noch nicht! Noch nicht!«

In diesem Augenblick ging das Quieken unter den Zweigen über in lautes Prusten. Ein schwarzer Körper flog mit Windeseile vorüber an dem Panther, der seinerseits zum Sprung ausholte und eben das verfolgte Geschöpf erfassen wollte, als unter ihm der Ast krachend zerbrach und er in das hohe Gras hinunterstürzte.

Der Affe war längst außer Sicht.

Zwei Kugeln durchbohrten das graue Fell, die erste Jagdbeute war gemacht. Der Gelehrte saß bei dem verendeten Panther, drehte den Körper hin und her und zog das lange Haar durch die Finger. »Meine Herren,« rief er, »ein neues Tier! Wir sind die ersten, die seinen Pelz nach Europa bringen.«

Ein höchst bedenklicher Zwischenfall unterbrach in diesem Augenblick die Unterhaltung. Hinter den nächsten Gebüschen erschienen etwa sechs oder zehn Eingeborene mit dem Lendenschurz und der Bewaffnung von Pfeilen. Ihr Aussehen war sehr erbittert, ihre Gebärden wild.

»Weshalb sind die Fremden in das Land der Batta gekommen?« fragte einer unter ihnen, ein älterer Mann, der ein schlechtes Englisch sprach. »Sie wollen stehlen, unser Land ausplündern und verraten.«

Eine drohende Gebärde vervollständigte den Satz. »Ihr seid dem Adat, dem heiligen Gesetz, verfallen,« rief einer der Leute. »Euer Leben ist verwirkt!«

Der Befehlshaber trat ihnen ruhig entgegen. »Ihr irrt ganz und gar,« sagte er mit überzeugendem Tone. »Wir sind aus dem fernen Abendlande gekommen, um das Volk der Batta kennenzulernen, es zu besuchen und in seinen Hütten friedlich zu wohnen. Später werden wir dann zu Hause unseren Brüdern und Freunden von eurer Gastfreundschaft erzählen, von der Tapferkeit der Männer und der Sanftmut der Frauen. Sumatra ist die Perle unter den Inseln, und die Batta sind seine vortrefflichsten Bewohner.«

Diese schmeichelhafte Rede tat sogleich ihre Schuldigkeit. Die nackten Gesellen lächelten. »Ihr habt aber unseren Panther erschossen,« sagten sie, offenbar, um nur etwas vorzubringen.

»Aber wir werden ihn euch gut bezahlen.«

»Dann folgt uns zum Radscha!«

Nach einem kurzen Marsche zeigte sich die erste Umgebung eines Dorfes, eingefriedigte, mit Wällen von Schlamm umfaßte und im Zickzack überrieselte Reisfelder, denen sich wieder andere anschlossen, auf denen nur Palmen standen.

Hinter der letzten Hütte erhob sich ein hoher Erdwall, den doppelte Reihen stachlichter Gebüsche vollkommen unzugänglich machten und der nur vorn, in der Richtung der Reisfelder, eine kleine Pforte besaß.

Vor dieser machten die Eingeborenen halt. »Ihr müßt hier warten. Fremde,« sagte einer von ihnen.

Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür des Bretterhauses, der ganze Haufe stob auseinander, und zwei Männer stiegen die Treppe hinab. Es war der Führer und mit ihm eine sonderbare Gestalt, die jedenfalls so lange auf sich hatte warten lassen, um den Eindruck ihres Erscheinens möglichst zu verstärken.

Auf dem Kopfe trug der Beherrscher des Dorfes einen alten schwarzen Zylinder. Den braunen Körper schmückte ein Hemd, und um den Leib hing an Kokosfasern ein verrosteter Kavalleriesäbel, dem die Scheide fehlte. Vorn aus dem Einschnitt des Hemdes sah das Köpfchen eines ganz kleinen Affen hervor, jedenfalls ein Lieblingstier des Monarchen.

»Ich bin der Radscha To-Piang,« sagte er. »Die Erde, worauf ihr steht, die Luft, welche ihr atmet, alles ist mein Eigentum.«

Leutnant Barrows Gesicht zeigte den unerschütterlichsten Ernst. »Ich grüße dich, Radscha,« sagte er, »und zwar nicht sowohl im eigenen oder in dem Namen meiner Reisegefährten, sondern vielmehr in dem Ihrer Majestät, der Königin von England! Ich bin nach Sumatra gekommen, um dir diese Worte zu sagen.«

Der Mann vor ihm blies die Backen auf und lachte vor Vergnügen, daß der Hut wackelte wie eine Pappel im Sturm.

»Die Königin von England ist eine sehr vornehme Frau,« sagte er, »und ich schicke ihr meine besten Grüße. Sage mir. Fremder – hm – hat sie in ihrem Lande von dem Radscha To-Piang sprechen hören? Möchte sie mich kennenlernen?«

Das Gesicht des Befehlshabers wurde immer verbindlicher. »Dich und dein Land, Radscha,« antwortete er, den ersten Teil der Frage geschickt umgehend. »Ja, das ist der Grund, weshalb wir mit unserem Schiffe nach Sumatra kommen. Doch du fragst gar nicht, was dir meine allergnädigste Königin als Geschenk überreichen läßt?« sagte er in halb vorwurfsvollem Tone.

Ein Schnalzen kam über die Lippen des Eingeborenen. »Geschenk,« wiederholte er, »Geschenk? Gib es her, Faringi.«

Der Befehlshaber winkte einem der Matrosen und nahm von dessen Schulter die Kugelbüchse, dann zog er aus seiner ledernen Reisetasche ein auf Elfenbein gemaltes und mit einem Goldrahmen versehenes Bildnis hervor, endlich mehrere goldene Münzen.

»Radscha To-Piang,« sagte er, »diese Sachen läßt dir die Königin durch mich überreichen. Möchtest du mit der Waffe deine Feinde besiegen und für das Geld kaufen, was dir Freude bringt. Das Bildnis der Königin hängst du selbstverständlich an die beste Stelle deines Hauses.«

Der Eingeborene nickte.

»Aber Radscha,« sagte der Leutnant, »eins erwartet dafür die Königin von dir. Du mußt uns gestatten, eine Zeitlang hier zu wohnen, Land und Leute anzusehen und –«

»Ich weiß schon, ich weiß schon. Ihr könnt schießen, fangen, töten, alles nehmen, was ihr wollt und was ihr findet.«

»Gut, und später begleitest du uns zum nächsten Radscha und verschaffst uns die Erlaubnis, durch dessen Gebiet zu reisen.«

»Jawohl! Jawohl! Wir sind Freunde. To-Piang bekennt, daß er dein Bruder ist.«

Eine königliche Handbewegung gegen die Umgebung vervollständigte diesen Satz. Der langersehnte Augenblick war da, die ermüdeten Menschen konnten endlich ihren Durst stillen und gegen Geld und gute Worte einige Nahrungsmittel erhalten. Darauf gingen sie durch das Dorf bis zur Beratungshütte, wo ihnen To-Piang ihre neue Wohnung anwies. Nachdem er noch Auftrag gegeben, die Faringi mit Proviant zu versorgen, begab er selber sich in sein Bretterhaus zurück, leerte einen Krug mit Branntwein, den er von Händlern gegen Kupfermünzen und Feldfrüchte eingetauscht hatte, und sank dann völlig berauscht und von seinen Regierungsgeschäften ermüdet, zu Boden nieder, um schnarchend einen langen Schlaf zu tun, während seine Sklaven sein Haus und seinen Schlummer bewachten.

Durch Hergabe einiger Kupfermünzen hatten sich Richard die Gunst eines müßig umherschlendernden jungen Eingeborenen, Libu mit Namen, erworben, der ihnen alsbald alles Sehenswerte zeigte. »Wenn wir gar kein Geld mehr haben,« sagte Libu, »muß allerdings eine Zeitlang gearbeitet werden. Umsonst geben die Malaien und Chinesen nichts her.«

»Und was arbeitet ihr denn?«

»Wir pflücken Kampfer, Pfeffer und andere Früchte, oder wir sammeln Benzoe-Harz.«

»Feiert ihr vielleicht bald ein Fest?«

Der Batta nahm die Pfeife aus dem Munde und schüttelte den Kopf. »Morgen beginnt die Kokosernte! Hui, hui!«

»Und was willst du mit dem Gelde anfangen?«

Libus Augen begannen zu funkeln. »Würfeln – alles wiedergewinnen, wo Libu verloren, verspielt hat – dem reichen Rehambo abnehmen, was er Libu im Spiel abgenommen hat, und Rehambo totpeitschen, wenn er Libus Sklave geworden ist.« –

Noch lange mußten die beiden Freunde an diese Worte des Batta denken.

Am folgenden Morgen war das ganze Dorf mit den ersten Strahlen der Sonne munter. Die Weißen wurden aus dem besten Schlummer geweckt, überall stampften Weiber in ausgehöhlten Holzblöcken mit runden Steinen den Reis für ihren täglichen Bedarf, schürten Feuer, führten kreischende Unterhaltungen und schleppten aus dem Innern der Pfahlbauten eine Menge von Säcken herbei. Außerdem wurden von den vorhandenen zahlreichen Affen einige ausgesondert und mit Bastschnüren gefesselt.

Etwas später erschien ein seltsamer Besuch. Schlitzäugige, langzöpfige Chinesen in Kaftan und ungeheuren bootsartigen Schnabelschuhen, und ein Malaie mit dem Turban und den wulstigen Lippen. In der Gesellschaft eines jeden unter ihnen befanden sich eingeborene Lastträger mit den langen, über die rechte Achsel gelegten Tragbalken, an denen eine Reihe von Bambusgefäßen hing – alle bis an den Rand gefüllt mit Branntwein.

Die wandernden Händler nahmen sämtlich Platz in der Nähe des Beratungsgebäudes, setzten sich nach morgenländischer Sitte auf den Boden und rauchten, indem sie, ohne ihre Ware auszubieten, ruhig der Käufer harrten.

»Ich wette,« flüsterte Richard, »daß heute die ganze Ernte an Kokosnüssen gegen den schlechtesten Fusel vertauscht wird. Deshalb sind die Händler hier.«

Unsere Freunde begaben sich hinaus auf die Fruchtfelder. Reife Kokosnüsse zu Tausenden und aber Tausenden hingen an den Zweigen, die Morgensonne überglänzte mit ihrem rosigen Licht das anziehende Bild, und fröhlich tummelten sich Menschen und Tiere.

Auch die letzteren. Ein Eingeborener war auf eine Palme gestiegen, hatte eine Nuß gepflückt und in den Sack gesteckt, während sein Weib dem Affen auf ihrem Arme durch wiederholte Zurufe begreiflich zu machen suchte, was da oben geschah. Jetzt kletterte der Mann wieder auf den Boden hinab, gab den Sack dem Affen, und dieser kletterte, so schnell ihn seine Füße trugen, an dem glatten Stamme empor in die Krone des Baumes. Hier begann er zu pflücken, daß rechts und links die Früchte in das Gras niederprasselten, als habe ein Wirbelwind sie vom Stiel gerissen.

Auf dieses Zeichen hatten wenigstens vierzig Feldeigentümer gewartet. Der erste Affe wurde zum Lehrmeister für alle anderen. Schon nach wenigen Minuten war auf jedem Acker ein Vierhänder in Tätigkeit, um die reifen Früchte einzuheimsen, während die Frauen vorsichtig sammelten und die Männer mit den Händlern die Höhe des Ertrages abschätzten.

Dabei schrieben die einen wie die anderen auf weiße Streifen, die wie Papier aussahen. Unsere Freunde fanden zu ihrem großen Erstaunen, daß fast alle Batta lesen und schreiben konnten. Es wurde berechnet, wieviel Branntwein und Tabak die Nüsse ihren Besitzern eintragen mußten.

Je mehr sich die Säcke füllten, desto häufiger öffneten Malaien und Chinesen ihre Schatzkammern. Eine seltsame Art von Würfeln, länglich geschnitzt und mit Figuren bemalt, kam zum Vorschein; die Eingeborenen lagerten sich, tranken und spielten und überließen die Arbeit den Affen.

Etwas vom Schauplatz dieser seltsamen Ernte entfernt saß Mr. Hardington und zeichnete, während Doktor Lawrence Insekten jagte. Der Leutnant war zu Hause geblieben, um gewissenhaft sein Tagebuch weiterzuführen. Unsere beiden Freunde sammelten für die alten und krüppelhaften unter den Frauen die von den Affen herabgeworfenen Früchte.

Die Ernte des heutigen Tages war bereits vollständig in den Besitz der Malaien und Chinesen übergegangen. Die Lastträger beluden sich mit den Früchten, die Branntweinfässer waren leer, und rechts und links lagen die Opfer des heißen Kampfes – sinnlos Betrunkene – im hohen Gras.

Am Nachmittage wurden von einem Spaziergange, den unsere Freunde mit dem Dorfoberhaupt nach den Reisfeldern gemacht hatten, verschiedene Blumen, sowie Vogeleier mit nach Hause gebracht, und auf dem Rückwege machte der Radscha einen Vorschlag, der den Leutnant und den Maler höchlich belustigte. »Meint ihr nicht,« sagte er mit sehr ernsthaftem Gesichte, »daß ich der Königin von England einen Brief schreiben müßte?«

Leutnant Barrow neigte äußerst verbindlich den Kopf. »Das würde Ihrer Majestät ohne Zweifel große Freude machen,« sagte er.

To-Piang lächelte geschmeichelt. »Meinst du wirklich, Faringi? Dann werde ich noch heute abend junge Bambusstäbe abschälen und einen Dammarbaum anschneiden.«

Er schien auf diesen Brief eine sehr große Wichtigkeit zu legen. Kaum war die kleine Gesellschaft im Dorfe wieder angelangt, als er auch schon unter den Bambusstämmen eine arge Verwüstung anzurichten begann und dann mit einem platten Stück Holz stundenlang darauf losklopfte, um die Masse zu erweichen. Am folgenden Tage wurde sie ausgerollt und mit Reiswasser bestrichen in die Sonne gelegt; To-Piang bereitete sich sodann Tinte und Feder, erstere aus dem Saft des Dammarbaumes, letztere aus den Blattstielen des Zuckerrohres. Als das selbstverfertigte Papier getrocknet war, faltete er es sorglich zusammen und klebte es zwischen zwei dünne, bunt angemalte Brettchen, so daß das Ganze einem Buche täuschend ähnlich sah.

Dann erschien er im vollen Putz, wie ihn die Weißen zuerst kennengelernt hatten, und herrschte Hardington an: »Hole deinen Stift hervor, Faringi, auf die erste Seite des Briefes sollst du mein Bild malen. Deine Königin muß wissen, wie der Radscha, der ihr diese Botschaft schickt, aussieht. Meinst du nicht auch?«

»Natürlich,« versicherte Mr. Hardington. »Das ist die erste Bedingung.«

Ein paar Stunden später war trotz des unebenen Blattes das Werk vollendet, und To-Piang sah mit strahlendem Lächeln sein Ebenbild bald von einer und bald von der anderen Seite. »Es ist gut,« sagte er, »so sehe ich aus. Ha, so sehe ich aus!«

Und dann legte er sich platt auf den Bauch, um seinen Brief zu schreiben, indem er bei jeder schnelleren Bewegung mit der Nase gegen das Papier stieß. Als der Brief fertig war, sah er beinahe aus wie ein Notenblatt. Mit der feierlichsten Miene überreichte To-Piang das Schriftstück dem Leutnant. »Hier hast du es,« sagte er, »aber du darfst es keinem Menschen als nur deiner Königin geben.«

Der Offizier versprach die sorgfältigste Überwachung des anvertrauten Schatzes, meinte aber, To-Piang müsse doch den Brief vorlesen, damit man der Königin sagen könne, was darin stehe. Diesem Verlangen willfahrte der Batta sogleich.

»Guten Tag, Königin, hohe Frau,« las er im Schauspielertone, »ein Radscha grüßt dich. Das ist der Mann, dem du Geschenke bringen ließest. Käme gern nach England, um dich zu sehen, große Frau, aber du kennst den Adat, es ist verboten. Doch denke ich, du könntest wohl einmal die Batta besuchen, Königin, du solltest vortrefflich empfangen werden und wenn nur gerade ein zum Tode Verurteilter vorhanden wäre, seinen ganzen Kopf allein essen. Es wird sich schon machen lassen, fahre nur getrost herüber. Ein Radscha grüßt dich!

To-Piang.«

 

»Ist es so gut?« fragte er mit Siegermiene.

»Es könnte gar nicht besser sein. Morgen geht die Reise weiter, wobei du uns bis zum nächsten Dorfe das Geleit gibst, nicht wahr, Radscha? Wir möchten ungern mit den Batta in Feindseligkeiten geraten.«

To-Piang nickte. »Ich bringe euch hin,« antwortete er. »Aber es ist ein tüchtiges Stück Weges, wir müssen über hohe Gebirgszüge klettern.«

»Das schadet nichts. Es ist ja gerade unsere Absicht, das Innere der Insel kennenzulernen.«

Am anderen Tage sehr früh wurde nach einigen herzlichen Abschiedsworten die Reise in das Innere angetreten. Es ging hinauf in das Zentralgebirge, an dessen anderer Seite die nächsten Battadörfer lagen.

Ganze Wälder von Kampfer- und Pfefferbäumen wurden durchwandert, Gruppen von Eingeborenen fanden sich um die alten Stämme versammelt. Auch Betelblätter in großen Körben erntete man fleißig ein, dann aber trat allmählich an die Stelle des weichen Bodens das Felsgestein, an die Stelle der üppig blühenden Fruchtbäume der Wald von Kasuarinen. Ein sonderbarer Anblick! – Diese Bäume waren über dreißig Fuß hoch und trugen statt der Blätter auf langen Schachtelhalmen eine Art borstiger, herabhängender Büschel, die zu vielen Tausenden aus dem harten Holze hervorwuchsen und jedes am Ansatz eine kleine, runde Scheibe besaßen. Aus dem eisenharten Holze dieser Baumart schnitzten die Eingeborenen ihre Waffen, namentlich die Dajaks auf Borneo ihre furchtbaren Keulen. Ein tüchtiges Stück davon sollte auf alle Fälle an Bord der Barkasse gebracht und den Schätzen dieser Reise eingereiht werden.

Allmählich begannen die Kasuarinen sich zu lichten. Der Boden trug nur noch die wundervollen Blüten des Kaktus und ein kurzes hartes Gras. Mehr und mehr schoben sich ganz kahle Felspartien, nackte Kegel und Blöcke hinein in die grüne Wildnis.

»Bist du hier bekannt?« fragte der Leutnant den Führer.

»Ja. Wir hatten schon zweimal mit den Dörfern an der anderen Seite Krieg; ich weiß, welcher Weg zu den Brücken führt.«

»Brücken?« wiederholte Mr. Hardington. »Gibt es hier überhaupt welche? Wovon sind sie denn angefertigt?«

»Aus Kokosfasern und Bambus. Sie schweben frei über dem Abgrund.«

»Und wir müssen hinüber?« rief der Künstler.

»Ja, es gibt keinen anderen Weg.«

»Angenehme Aussichten! Da hätte man lieber vorher sein Testament machen sollen.«

Ein donnerähnliches Gebrüll verschlang die letzten Worte des Künstlers. Es klang aus einiger Entfernung herüber, es wurde begleitet von mehreren ähnlichen Stimmen, die zuletzt alle im Chor ertönten. Zehnfach warf das Bergesecho die gewaltigen Klänge zurück. To-Piang zitterte an allen Gliedern. »Schnell, Faringi,« rief er, einen hastigen Blick über die Schultern zurückwerfend, »die Büffel sind da!« – Und schon hatten Libu und er die obere, den riesigen Tieren unzugängliche Platte erreicht. Als sie sich in Sicherheit wußten, schwoll ihr Mut gewaltig an, Libu warf sogar einen Stein in das jenseits der Anhöhe liegende Tal hinab und rief den Stieren dreiste Herausforderungen zu. »Auch ein Panther ist da!« schrie er, »eine kleine scheckige Katze! Ei du Ungetüm, ich werde dich fangen!«

Die Weißen lachten, während sie den beiden Prahlern nachkletterten. Leutnant Barrow, der Maler und der Doktor hielten die Kugelbüchsen im Anschlag; sie erstiegen so schnell wie möglich den Felskegel.

Ein prächtiges, anziehendes Bild fesselte ihre Blicke und ließ unwillkürlich die Herzen aller höher schlagen.

In einiger Entfernung standen mehrere Büffelkühe, deren kleine Kälber sich zitternd und ängstlich an die Mütter schmiegten, während im Vordergründe der Führer des Trupps, ein starker alter Stier mit schwarzer Mähne und wildrollendem Auge, den Kampf gegen einen Panther rühmlichst ausfocht. Er hielt den ungeheuren Kopf gesenkt, und so oft das Raubtier zum Sprung ansetzte, empfing er es mit der Spitze seiner gewaltigen Hörner.

Etwas abseits stand ein junger, viel schlankerer und hellerer Stier, der sich an dem Streite in keiner Weise beteiligte. Er brüllte nur zuweilen und wirbelte mit den Hörnern die Erde vom Boden auf, als wolle er sagen: Ich bin auch noch da!

Der Panther blutete stark. Getroffen von dem gewaltigen Hörnerpaare des Stieres, schien er sich nur mit Mühe aufzurichten, aber in diesem entscheidenden Augenblick verliehen ihm Wut und Schmerz eine Kraft, die er in ruhigem Zustande vielleicht nicht besaß. Er sprang auf, hoch im Bogen über den Kopf des Stieres und krallte sich mit allen vier Klauen in dessen Mähne. Er saß auf seinem Gegner und biß jetzt, so fest es ihm möglich war, in die Halsmuskeln des Riesen hinein.

Ein ohrenbetäubendes Gebrüll erfüllte die Luft. Der Stier, taumelnd vor Schmerz, begann in rasendem Laufe dahinzustürmen. Er schüttelte sich und warf sich wild zu Boden – vergebens, die Katze ließ von ihrem Opfer nicht ab.

Der jüngere Stier hielt den Kopf in die Luft. Er schien zu überlegen, ob nicht jetzt für ihn der günstige Augenblick gekommen sei.

Wie verzweifelt der Alte rang, wie er sich bemühte, den Panther zu erdrücken! Vielleicht ging es besser, wenn er ihn gegen die Felswand preßte.

Brüllend vor Schmerz, taumelnd und keuchend erreichte er einen der umherliegenden Blöcke und rannte wild mit dem Kopfe gegen das Gestein, so daß er sich überschlug und schwer zu Boden fiel. Der Panther hatte in durstigen Zügen fortwährend sein Blut getrunken; erst jetzt erkannte man es an dem gänzlichen Erlöschen aller Kräfte des Büffels.

Er machte noch einige Versuche, sich wieder zu erheben, dann blieb er machtlos liegen.

Der junge Stier ging mit langsamen Schritten zur Herde zurück. Die Tiere rieben ihre Köpfe aneinander, sie schienen sich gegenseitig zu verständigen, dann führte der glückliche Gewinner seine lebende Beute über den Kampfplatz, um mit ihr das jenseitige Tal zu erreichen.

Mr. Barrow erhob die Büchse. »Sie kommen hierher,« flüsterte er. »Das Kalb soll uns einen guten Braten geben.«

Aber so leise er auch sprach, der Stier mußte doch seine Nähe bemerkt haben. Er stutzte, warf den Kopf auf und ließ ein kurzes Brüllen ertönen, dann eilte die ganze Herde mit donnerndem Gepolter vorüber und talab durch den offenen Paß davon.

Des Leutnants Kugel schlug mitten hinein. Tödlich getroffen stürzte das Kalb zu Boden, ohne jedoch dadurch die Flucht der anderen Tiere zu unterbrechen; so schnell es ihnen möglich war, rannten sie in wilder Hast davon.

»Fleisch!« jauchzten To-Piang und Libu zugleich, »das ist gut.«

»Leutnant,« rief Mr. Hardington, »wollen wir nicht jetzt endlich den tapferen alten Kerl da drüben von seinem Peiniger erlösen?«

»Putzen Sie ihn doch weg, wenn es geht!«

Der Schuß krachte und drüben zuckte der Panther plötzlich zusammen. Noch eine zweite Kugel, dann rollte er machtlos in das Gras – er war tot.

Von der Felsplatte aus ließ sich eine ziemlich weite Umschau halten; kein Feind bewegte sich mehr in der Umgebung des Kampfplatzes, daher konnten die Weißen ruhig wagen, hinabzuklettern und nach dem niedergestreckten alten Büffel zu sehen. Dieser brüllte noch einmal aus aller Kraft, dann sank er zurück und war auch tot.

Keins von den Fellen wurde abgezogen, Stier und Panther blieben liegen, nur das Kalb verfiel dem Messer. Etwa zwanzig Pfund des besten Fleisches wurden in die abgezogene Haut gepackt und mitgenommen.

Die Sonne begann zu sinken, es war Zeit, sich nach einem sicheren Zufluchtsort für die Nacht umzusehen.

»Noch eine halbe Stunde,« sagte der Radscha, »dann sind wir oben.« »Bei der berühmten Brücke?« – »Bei der ersten, ja.«

Es wurde nicht viel mehr gesprochen; der Pfad war beschwerlich und die Aussicht auf das Erklettern freischwebender Brücken nicht eben sehr angenehm. Je weiter man kam, desto deutlicher trat der Gipfel eines tätigen Vulkans in den Gesichtskreis der Reisenden. Langsam wallend und ziehend quoll schwarzer Dampf zum Abendhimmel empor. An der dem Wege zugekehrten Seite des gewaltigen Felsens fiel das Gestein stufenförmig ab, bis sich der unterste Rand schroff und steil zur Schlucht dehnte. Ein Geräusch, wie vom Toben und Fallen großer Wassermassen drang den Reisenden entgegen, kühlerer Hauch wehte um ihre Stirnen, sie atmeten hier auf der Höhe zum ersten Male seit Monaten eine Luft, die der des europäischen Heimatlandes glich.

Mr. Hardington reckte den Hals: »Höre einmal, To-Piang, mein Guter, was plätschert da? Sollte vielleicht in den Tiefen der Schlucht ein Wildwasser toben?«

Der Radscha nickte. »Das ist der Padang, Sahib. Hier im Gebirge entspringt er.«

Mittlerweile war der Lagerplatz auf der höchsten Höhe des diesseitigen Gebirgszuges erreicht. Diesseits der Schlucht war alles kahl, kein Blatt rauschte im Wind, keine Blume schmückte den nackten Stein, nur hier und da sah zischend aus den verborgensten Spalten der Felsen eine große Eule mit ihren runden, boshaften Augen hervor, sonst war die graue Wüste von keinem Tier belebt.

Während die Matrosen den mitgebrachten Deckenvorrat unter einem schützenden Felsvorsprung ausbreiteten und die Eingeborenen das Abendessen herrichteten, rief Mr. Hardington seinen weißen Begleitern zu, gleich ihm in die Tiefe der Felsenschlucht hinabzusehen. Ein großartiger, aber auch gewaltig erschütternder Anblick tat sich da unten vor ihnen auf. Von drei Seiten zugleich schossen die Fluten in breiten, schäumenden Bändern, wie die kreuzweise gelegten Streifen einer Flechte, einem einzigen Zielpunkte entgegen, wo sie aufeinander platzten und eine beständig zerstäubende und sich erneuende Wassersäule bildeten.

Man lagerte sich, erquickte sich an dem Fleisch des erlegten Büffelkalbes und brach, kaum daß die aufgehende Sonne die empfindliche Kühle der Nacht zu besiegen begann, zu den hängenden Brücken auf.

Der Übergang über die erste gestaltete sich leichter, als die Reisenden es vermutet hatten.

Als alle das jenseitige Ufer erreicht hatten, fertigte Hardington eine Zeichnung von der sich von hier aus darbietenden Aussicht an, dann aber ging es schnell weiter. Die zweite Brücke ging senkrecht hinauf und führte zu einer beinahe unabsehbaren Höhe. An steiler Felswand baumelnd, schien sie die Kräfte des Kletternden bis auf das äußerste in Anspruch nehmen zu wollen, obwohl freilich die ganze Sache nicht so gefährlich aussah, wie der Weg über den schaurigen, von Wildwasser durchtobten Abgrund.

Richard ergriff die fünfte oder sechste Stufe und hing sich mit seiner ganzen Schwere daran. »Der Strick ist eisenfest,« rief er. »To-Piang, auf welche Weise ist er oben befestigt?«

»Um einen Felsblock geschlungen!« antwortete der Radscha.

»Bist du denn schon einmal hinaufgestiegen?«

»Schon mehrere Male. Die Leiter trägt.«

Er stieg voran, während ihm Libu folgte und auch hier wurde die schwindelnde Fahrt glücklich zu Ende geführt. Sie standen nach etwa einer halben Stunde sämtlich unverletzt oben und konnten nun von der Höhe des Mittelgebirges herab die Umgebung überblicken.

Es war hier anders als drüben. Fast bis ganz hinauf ging das Gebiet der Eichen und Kasuarinen, jeder Zollbreit Bodens trug ein grünes, blumendurchwirktes Kleid. An einzelnen Punkten schimmerten die Spiegel von Bergseen auf, von denen die Eingeborenen sagten, daß sie die Badeplätze der Büffel seien.

Mit jeder Viertelstunde mehrten sich die Anzeichen, daß es hier ein Tierleben gäbe. Man stieß auf Schlangen, Hirsche und auf wilde Hunde, die boshaft hinter den Wanderern herkläfften.

Eines Tages machte Dr. Lawrence den Vorschlag, einen Abstecher zu den Atschinesen zu machen, und wandte sich mit der Frage an To-Piang, ob er die Karawane zu ihnen hinführen könne.

Der Radscha nahm die Pfeife aus dem Munde. »In vier Tagen und Nächten können wir die Hauptstadt erreichen, Sahib.«

»Wollt ihr beide uns dann als Führer dienen, du und Libu? Oder besser noch, zehn bis zwölf von euch? Es gibt ja Wild genug, das wir schießen und essen können.«

Der Radscha blinzelte. »Aber ihr müßt bezahlen.«

»Das versteht sich. Schicke also deine Leute bis auf zehn Mann nach Hause, und dann laß uns aufbrechen.«

Die abziehenden Krieger erhielten jeder ein Geschenk, die neu angeworbenen traten mit großem Stolze zu den Weißen, und so wurde die Wanderung fortgesetzt.

Bild: Karl Mühlmeister

Das Gebiet der Atschinesen, die sich zur mohammedanischen Religion bekennen, lag links von den Dörfern der auf den Hochebenen des Landes wohnenden Batta, nach der Meeresküste zu. Die ersten Häuser dieser Mischlingsrasse kamen schon am dritten Tage in Sicht und hier zum ersten Male sahen die Reisenden einen geregelten Landbau, eine bedeutend entwickelte Viehzucht und überhaupt etwas mehr Kultur als bisher.

Je weiter unsere Freunde gegen den Hauptort des Landes, der Stadt Atschin, vordrangen, desto eifriger fanden sie die Dorfbewohner bei ihren ländlichen Arbeiten. Eßbare Vogelnester, Erdbeeren, Himbeeren, Forellen und Lachse, Tauben, Hühner und Fasanen, alles wurde in Körbe gepackt, mit einem Netz von Kokosfasern verdeckt und auf niedrige, zweiräderige Karren geladen. An anderer Stelle schlachtete der Hausvater mehrere Karabauen, seine weiblichen Hilfstruppen säuberten und zerschnitten das Fleisch, dann wurde ein kleines, munteres Pferd aus dem Stalle geholt, und fort ging es nach Atschin.

»Wer verzehrt das alles?« fragte Mr. Hardington. »Ist in eurer Hauptstadt eine plötzliche Hungersnot ausgebrochen, Leute?«

Die kleinen schwarzbraunen Kerle lächelten. »Wir feiern Muharram!« gab einer von ihnen zur Antwort, »morgen und übermorgen sind die Haupttage. Dann stehen alle Dörfer leer, wir gehen nach Atschin, um an die Armen den Zehnten zu verteilen.«

Kaum war die Sonne aufgegangen, so traten die Pilger die Reise nach Atschin an. Es wurde niemand im Dorfe zurückgelassen, auch die Alten und Kranken, die ganz Armen mußten ihr Muharram haben.

Ochsen und Pferde zogen und trugen Hunderte aus dem Walde in die weite Ebene, auf der die verfallene, versumpfte Pfahlstadt sich erhob. Ein buntes Gewimmel füllte die Straßen, viele tausende waren versammelt, aber dennoch zeigte das Gesamtbild eine Verarmung, einen Schmutz ohnegleichen.

Heute ruhte jegliches Geschäft. Das Losungswort hieß »Muharram«, und von allen Gesichtern strahlte lebhafte Freude.

Acht Tage hindurch hatten die Gläubigen in den Moscheen gebetet und eine Unzahl von Waschungen vollzogen – heute kam die Feier.

Pferde und Karabauen wurden in aller Eile untergebracht, jeder Hausvater nahm einen Lederbeutel voll Geld aus seinem Reisegepäck, steckte ihn zu sich und lief auf den freien Platz der Stadt. Hier hatten sich sonderbare, oft rührende Gruppen gebildet. An einer Stelle führte ein Sohn die blinde Mutter zu den Stufen der bescheidenen Moschee aus Stroh und Bambus. Die Alte neigte sich dreimal gegen die Richtung, in der das heilige Mekka liegt, und dann setzte sie sich, um mit gefalteten Händen die Gnade des Propheten anzurufen. Neben ihr lag wohl ein Lahmer oder Aussätziger, an Stöcken humpelten einsame Greise herbei, während sich verwaiste Kinder scheu und furchtsam zusammendrängten. Alles was arm war, erwerbslos und elend, das sammelte sich hier an den Stufen der Moschee, neigte dreimal nach der heiligen Stadt das Antlitz und betete.

Bis über die Mittagsstunde hinaus dauerte der beständige Zuzug aus den Dörfern, dann waren alle einzelnen Karawanen angelangt, und das Fest konnte beginnen.

Als alle Festteilnehmer versammelt waren, erschienen zwei Derwische in ihren langen dunkeln Gewändern und begaben sich, der eine zu den Armen, der andere zu denen, die den Zehnten austeilen sollten. Sie zählten mit lauter Stimme die anwesenden Personen.

Der Leutnant winkte den beiden Deutschen und gab ihnen etwas Geld. »Wir müssen uns jedenfalls beteiligen,« flüsterte er.

Als die Derwische ihre Arbeit vollendet hatten, wurden die Ergebnisse verglichen und dann festgestellt, wieviel jeder Arme zu erhalten habe. Von einem Unglücklichen, einem Krüppel zum anderen gingen die braunen Männer und legten in die zitternden Hände den Zehnten ihres Besitzes, wobei die Derwische laut beteten und sich bei dem Namen Allahs jedesmal tief verneigten.

Nach dieser echt gottesdienstlichen Feier folgte eine andere. Die Tazia kamen zum Vorschein.

»Aha,« dachte Mr. Hardington, »so wahr mir Gott helfe, Papierlaternen am hellen Tage.«

Das war aber doch ein Irrtum. An langen Stangen wurden viereckige Häuschen aus geöltem Papier umhergetragen, mit Bändern und Blumen reich geschmückt, an den Wänden mit buntem Glas und Glimmer bedeckt, innen von mehreren Flammen erleuchtet. Über dem Ganzen wölbten sich gezackte Dächer mit hohen Spitzen.

Voran schritt ein Musikchor. Außerdem schrie jedes Kind, jauchzten alle Frauen und beteten alle Derwische, bis sich zuletzt der ganze Zug an einem bestimmten Platze versammelte und vor einem hohen Bambusgerüste Aufstellung nahm.

Auf diesem letzteren saß ein älterer Mann in prachtvoller Kleidung. An seinem Turban, seinem Gürtel und dem Wehrgehenk blitzten Juwelen, sein langes königliches Gewand war aus purpurrotem Stoffe, die weiten Beinkleider schneeweiß. Er lehnte in einem Sessel aus Bambusstäben und sah mit vornehmer Ruhe herab auf das Volksgewühl. Es war Bahrut, der Sultan von Atschin.

Die Musikbanden rührten erneut die Instrumente. Als die ersten Töne über den Platz gellten, erhoben sich wohl zehn Derwische und gingen alle zugleich der Person des ruhig dasitzenden Sultans entgegen, aber nur bis zu einer gewissen Grenze, dann marschierten sie rückwärts im gleichen Tempo, verbeugten sich und stimmten ein Geheul an, das fürchterlicher klang, als wenn sich alle Hunde einer ganzen Straße gegen die Melodien der Drehorgel empören.

Das Heulen, Sichverbeugen und Rückwärtsgehen wurde unterdessen von Augenblick zu Augenblick stärker, bis sogar hier und da ein Derwisch ohnmächtig zu Boden sank. Nach einer Viertelstunde begannen sogar die Selbstpeinigungen, die in ganz Asien mehr oder minder stark verbreitet sind. Feilen und Messer kamen zum Vorschein, die Eingeborenen brachten Kohlenbecken mit glühenden Zangen, die von den Derwischen ergriffen und um die Köpfe geschwungen wurden. Dabei schienen sie mit dem heißen Eisen ihre Wangen und Stirnen zu streifen, sie krümmten sich unter erdichteten Schmerzen und trieben die unwürdigen Gaukeleien so lange fort, bis alle am Boden lagen, todesmatt von der unerhörten Anstrengung.

Als das geschehen war, zogen sämtliche Festteilnehmer, ihre Tazia in hocherhobener Hand, durch die Straßen der Stadt und später zum gemeinschaftlichen Schmause auf den offenen Platz zurück.

»Noch weiß ich nicht, was die Tazia sind!« rief Mr. Hardington. »Niemand versteht genügend Englisch, um es mir erklären zu können.«

Der Doktor war glücklicher gewesen. »Ich habe es herausgebracht,« sagte er. »Diese Bauten aus Papier sind Nachbildungen des heiligen Grabes, wenigstens dessen, das den Moslems als heilig gilt. Mohammeds Grabstätte soll so aussehen, deshalb werden die Dinger am Muharramfest zu seinem Andenken herumgeführt und nach Beendigung der Feier werden sie ins Meer getragen.

»Ins Meer, Doktor? – Schade, das werden wir nicht zu sehen bekommen!«

»O doch,« meinte der Gelehrte, »ich wollte gerade mit diesem Vorschlag herausrücken.«

»Lassen Sie ihn hören, Doktor.«

»Wie wäre es,« fuhr dieser fort, »wenn wir die Leute morgen hinausbegleiten würden an das etwa eine halbe Stunde von hier entfernte Meer, und wenn wir dort eine Prau nähmen, um zur See nach Padang zurückzukehren? Ich gestehe, daß das bequemer und angenehmer wäre als der Fußweg durch die schon einmal gesehenen schmutzigen Dörfer der Atschinesen und Batta.«

Der gleichen Ansicht waren alle übrigen auch, nur die Batta schüttelten einmütig ihre Köpfe. »Wir gehen durch den Wald nach Hause,« erklärten sie.

»Weshalb wollt ihr denn nicht lieber mit uns fahren, Leute?« fragte Mr. Barrow.

»Nein, Sahib, nein. Das Wasser ist – – ja, es ist Wasser.«

»Ihr fürchtet euch also davor?«

»Ja, ja. Noch nie hat ein Batta ein Schiff betreten.«

»Ihr baut also auch nicht einmal Kähne, fahrt nie auf den Flüssen eueres Landes?«

»Gewiß nicht! Das Wasser ist für die Fische.«

Der Leutnant zuckte die Achseln. »Dann müßt ihr allein nach Hause gehen,« sagte er. »Wollt ihr es übernehmen, unsere noch im Dorfe zurückgebliebenen Sachen bis an den Padang zu bringen? – Die Barkasse kreuzt dort, bis wir zurückkommen.«

To-Piang versprach es.

»Eins habe ich noch vergessen! Ihr müßt mir eine junge Kasuarine an Bord bringen,« rief der Doktor.

»Ja, Sahib, ganz gewiß. Aber – ihr gebt uns doch den Führerlohn schon morgen, ehe wir auseinandergehen, nicht wahr?«

»Darauf verlaßt euch. An Bord der Barkasse erhaltet ihr ein Extratrinkgeld.«

Die Nacht verging ohne Störung, und der Schlaf sämtlicher Festteilnehmer dauerte bis tief in den Morgen hinein.

Etwa gegen neun Uhr trennten sich die Batta von den Weißen, nachdem ihnen ein reichliches Geschenk zuteil geworden war, mit dem erneuten Versprechen, rechtzeitig am Padang zu erscheinen, dann ging es fort an die See.

Ein gewaltiger Zug, von Musik begleitet, verließ die Pfahlstadt. Männer und tief verschleierte Frauen, selbst größere Kinder trugen ihre Tazia. Vielleicht zehntausend Menschen bewegten sich in musterhafter Ordnung durch die Ebene. Am Meere angelangt, sahen unsere Freunde ein Bild, das sich der Erinnerung aller Anwesenden auf das lebhafteste einprägte.

Während Derwische und Frauen auf dem flachen Ufer des Ozeans bis an die Knie in das Wasser gingen, stürzten sich die nur mit dem Lendenschurz bekleideten Männer so tief hinein, daß die blauen Fluten über der Brust rauschend zusammenschlugen. So weit er konnte, warf jeder einzelne die Tazia hinaus in das Meer und hob dann beide Arme in stummem Gebet zum Himmel empor und riefen die Schicksalsmächte ohne laute Worte an, ihnen bei ihren Plänen und Unternehmungen bis zum nächsten Muharram Glück und Segen zu verleihen.

Als sich nach mehreren Stunden die Gläubigen alle entfernt hatten, nahmen unsere Freunde ein Boot und fuhren zwischen den Schiffen hin und her, um eins derselben zur Fahrt nach Padang zu mieten. Es gelang auch, aber für einen Preis, bei dem man in europäischen Ländern eine zehnmal so große Strecke hätte zurücklegen können.

Nach einigen Tagen hißte die Prau die Segel. Das Meer lag spiegelglatt da, so daß man die über den Grund hinhuschenden Schlangen und Fische deutlich sehen konnte; Medusen, Quallen und sogar Sepien. Wo sich Bambusgebüsche am Ufer gebildet hatten, erblickte man unzählige Reiher, Flamingos und Koromane. Kleine weiße Möwen schossen kreischend durch die klare Luft.

Doktor Lawrence hatte bald keinen Raum mehr, um alle seine Schätze zu bergen. Leutnant Barrows Meisterschuß holte für die naturwissenschaftliche Sammlung des »Violan« einen schönen weißen Adler aus der Luft herunter, später kam noch ein stahlblauer Geier hinzu und ein Goldwolf.

Dann sammelte der Gelehrte Blätter und Blumen, der Leutnant ging auf die Jagd, und die jungen Leute sowie die Matrosen versuchten sich im Werfen, trieben allerlei Kurzweil.

Man vertrieb sich während der Fahrt die Zeit so gut es gehen wollte. Man veranstaltete kleine Ringkämpfe an Bord oder übte sich im Werfen. Bisweilen mußte die Prau aber auch anlegen, weil die Reisenden einen kleinen Jagdausflug machen und für frisches Fleisch sorgen wollten.

So auch an einem besonders hellen und klaren Tage. Reiche Beute war den Jägern geworden, und froh gelaunt machten sie sich auf den Rückweg zur Anlegestelle.

Auf einmal blieb einer der Matrosen aufhorchend stehen. »Was war das?«

Schwere Schritte bewegten sich über den Sand, der knirschend zurückwich oder mit wahrnehmbarem Geräusch zurückfiel. Große dunkle Körper krochen langsam und unbeholfen bergauf.

Doktor Lawrence und Leutnant Barrow sahen einander an. »Schildkröten,« flüsterten sie wie aus einem Munde.

In langen Reihen, ein Tier immer hinter dem anderen, kamen sie heran. Jetzt hatten sie den höchsten, ganz aus trockenem Sande bestehenden Saum der Küste erreicht, drehten mühsam den schwerfälligen Körper um die eigene Achse und begannen große Löcher für ihre Eier zu scharren. Sobald diese letzteren gelegt waren, sollte die Grube wieder zugeworfen werden. Aber die Schildkröte denkt und der wilde Hund lenkt.

In ganzen Rudeln kamen die roten, kläffenden Höhlenbewohner aus ihren unterirdischen Verstecken hervor und stürzten sich auf die Schaltiere. Der Augenblick, wo die Schildkröte von ihren Mutterpflichten vollständig in Anspruch genommen war, dieser kurze Augenblick genügte zur Überrumpelung. Ihrer zehn oder zwölf packten die Hunde die Kröte und bemühten sich, sie auf den Rücken zu werfen. Das Tier widerstrebte mit aller Macht, und nun begann ein erbittertes Ringen, bei dem indessen meistens die Hunde siegten.

Größere Schildkröten fanden trotz der verzweifelten Anstrengungen ihrer Gegner doch den Rückweg in das Meer und hatten, sobald sie es erreichten, den Feind geschlagen. Die Hunde, oft unfähig, ihre Zähne aus dem zähen Fleisch der Kröten rasch genug loszumachen, mußten elend umkommen, während das befreite Schaltier so schnell als möglich davonschwamm.

Anders gestaltete sich das Kampfspiel, wo die Hunde siegten. Die Kröte lag dann wehrlos auf dem Rücken, den Zähnen und Krallen ihrer Bezwinger preisgegeben, die sich hernach wütend untereinander um das herausgerissene Fleisch balgten. Das war für ganze Schwärme hungriger Raubvögel der Augenblick, wo sie ihrerseits einen Anteil an der willkommenen Beute einheimsen konnten. Während sich die Hunde mit größter Wut bekämpften, rissen sie das noch übriggebliebene Fleisch der Schildkröten an sich, alles gierig hinabschlingend, als sei diese Mahlzeit für sie auf Wochen hinaus die letzte.

Staunend sahen die Jäger diesem Schauspiel zu. Auf einmal, wie auf ein gegebenes Zeichen, rauschten alle Vögel aufwärts und die Hunde flüchteten einander überstürzend in den Wald.

Der Leutnant hob langsam die Kugelbüchse. »Aufgepaßt!« raunte er, »es ist entweder ein Tiger in der Nähe, oder es kommen Menschen.«

Da nahten auch schon vom Strande her zwei Männer mit großen Körben. Sie rauchten ihre Kupferpfeifen und trugen in den Händen kleine Schaufeln; sobald sie bis an den Waldrand vorgedrungen waren, legten sie sich auf die Knie und warfen geschäftig den Sand zurück. Ein Zungenschnalzen zeigte die Befriedigung, die sie empfanden.

»Hai! Hai! Mehr als hundert Stück!«

Weiße weichschalige Eier kamen zum Vorschein, klein wie die der Taube und kugelrund. Die beiden Malaien sammelten eifrig und rauchten dabei in großen Zügen; sie schienen sehr friedliche Leute zu sein. Dann begaben sie sich wieder nach Hause, von den Ihrigen jubelnd begrüßt.

Als die Weißen alles an der Küste gesehen hatten, eilten sie zum Hafen zurück. Kiu-Sahs geräumiges Schiff sollte sie nach Padang bringen. Die Prau erwies sich als tüchtiger Segler und ihre Bemannung als geschulte Seeleute. Mit günstigem Winde lief das Schiff über die Reede von Padang und in einem Zuge flußauf, wo es schon nach wenigen Tagen die Barkasse vor Anker antraf.

Vom Lande her grüßten bekannte Gesichter, To-Piang, Libu und Bulbul, das befreundete Kleeblatt. Ein »Hai! Hai!« zeigte, daß das gegebene Versprechen treu erfüllt worden war. Die Weißen antworteten mit lebhaftem Hurra. Die ehrlichen Leute hatten alles Eigentum ihrer Gäste herbeigebracht, auch einen stattlichen Kasuarinenstamm und ein paar unterwegs gefangene Vögel. Die treuen Freunde wurden ausgelohnt, und als ihnen die Weißen zum letztenmal die Hände schüttelten, waren sie ganz wehmütig.

»Kommt ihr wieder, Faringi?« fragte To-Piang. »Ich habe euch lieb!«

»Dafür danken wir dir herzlich,« entgegnete der Maler. »Wer weiß, ob uns nicht das Schicksal nochmals an diesen Strand wirft! – Leb' wohl, Libu!«

Die Prau und die Barkasse schwammen miteinander den Fluß vollends hinab und unterwegs wurde über das fernere Schicksal der beiden Deutschen beraten. »Was fangen wir mit euch beiden an?« fragte der Leutnant. »Wir selbst bleiben, bis in längstens vierzehn Tagen die Fregatte hier eintrifft, dann geht es fort nach England. Soll ich euch bei dem Kapitän die Erlaubnis auswirken, uns dahin zu begleiten? Er gibt sie ohne Zweifel sogleich.«

Richard und Oskar dankten ihrem gütigen Beschützer auf das wärmste. Wenn in Padang kein Schiff lag, auf dem sie Dienste nehmen konnten, so war es unzweifelhaft das beste, sich vorerst nach Europa zurückzubegeben, um dann von dort aus neue Weltteile aufzusuchen. Das Schicksal wollte es jedoch anders. Unterwegs hörten die beiden Freunde von den Schiffsleuten, daß Mr. Gould aller Wahrscheinlichkeit nach noch lebe und sich jedenfalls auf Borneo aufhalte. Da die Brigg »Sultana« in etwa zwei Tagen absegelte, so fuhr Mr. Barrow, dem sich die beiden jungen Leute anvertraut hatten, hinaus und vermittelte den beiden jungen Leuten dank seines Einflusses die Überfahrt nach Sarawak auf Borneo.


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