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Die Organisation dieses Lebens voller Freude war so vollkommen, daß man sie gar nicht bemerkte. Es schien, als geschähe alles von selbst in dem täglichen Verlauf eines Fürstendaseins, oder ganz plötzlich wie die Eingebung eines lachenden Augenblicks.

Die Eingeborenen feierten das Fest auf ihre Weise mit. Zu beiden Seiten der großen Auffahrt, am Landwege entlang und auf dem Fabrikplatz standen überall kleine Zelte und Buden, um die es vom Morgen bis zum Abend von festlich bunt gekleideten Männern, Frauen und Kindern wimmelte. Die feiernden Fabrikarbeiter hatten ihre Verwandten und ihre Freunde zu Gast. Die Bevölkerung von den umliegenden Dessas ließ sich's auf Kalimas wohl sein.

Unter einem halben Dutzend luftiger auf frisch gekappte und noch duftende Bambusstämme gestützter Laubdächer war Tag und Nacht das Mahl bereitet. Zu dem, was der Pflanzer darbot, fügten die wohlerzogenen Gäste das ihrige. In jeder Dessa hatte der »Verein für die Zubereitung von Festen« schon lange vorher eifrigst neue Matten, Ton und Küchengerät angeschafft. Jetzt wetteiferten sie miteinander in dem zierlichen Anrichten des Mahles, das die Frauen und Mädchen umständlich bereiteten, während die jungen Männer unter dem Vorwand, Brennholz und Wasser anzubringen, mit ihnen scherzten und hin und wieder hinter dem Rücken einer mürrischen Alten etwas zu naschen bekamen.

In dem Schatten der Kenaribäume wurden Hahnenkämpfe abgehalten; die dichtgedrängten Kreise der Zuschauer erneuerten sich immer wieder. Es waren für gewandte Kletterer Masten mit einem am Gipfel winkenden Preise aufgerichtet. Abend für Abend spielte der Wayang, wo ein Drama aufgeführt wurde, so lange, daß der Zeitraum einer ganzen Woche für all die Heldentaten, Wunder, Geburten, Liebesabenteuer und Triumphe kaum ausreichend war. Die dichten Scharen der Zuschauer vergaßen den mitgebrachten Schmaus über dem Anblick all der schlanken, steifen oder ungeheuerlichen Figuren, die Könige, Helden, Nymphen und böse Riesen darstellten, lauschten voller Genuß den unendlich oft gehörten Versen und freuten sich über die Anspielungen, mit denen der Dalang die Holländer von seinen Puppen zum Narren halten ließ. Die Frauen saßen dabei und hielten ihre in Schlaf gefallenen Kleinen im Slendang oder auf dem Schoß. Der Gamelan begann zu spielen, die Tänzerinnen erschienen, einander an der Hand haltend, sangen lange Lieder, breiteten ihre Schärpen vor das Gesicht und wiegten sich, ihren geschmeidigen Körper biegend und drehend, auf stillstehenden Füßen. Bei Sonnenaufgang war es noch nicht zu Ende. Halb widerstrebend gingen die Zuschauer heim. Rings umher, in den Scheunen und Buden, in dem Bretterhaus, das der Pflanzer hatte bauen lassen, und überall unter Bäumen und zwischen Strauchgewächs erwachten Schläfer, die dem Licht entgegenblinzelten. Schon stieg der Rauch wieder auf von kleinen Reisfeuern, die am Boden hockende Frauen mit ihren Fächern aus Palmwedeln anfachten. Rings um die Pfannen der Waronghalter verbreitete sich der Qualm von heißem Kokosnußöl, die Mandoers der Fabrik schleppten Säcke voller Reis und Mais und mit gedörrtem Fisch gefüllte Wannen herbei; von neuem begann ein fröhlicher Tag. Der elegante Djaksa von Soemberbaroe, der mit unter den Festfeiernden war, meinte, Kalimas sei in Wahrheit was sein Name besage: ein goldener Fluß. – Ein Strom von Reichtum, ein brausender Überfluß, Verschwendung und Übermut trugen auf ihren leuchtenden Wogen die Menschen und die Dinge.

Van Heemsbergen schwamm mitten in diesem brausenden Strom, er hatte sich nicht davon mitreißen lassen so wie die andern – sondern war Hals über Kopf hineingesprungen, mit einem heftigen Anlauf. Er fühlte sich in einer Glut, die er immer wieder mit neuer Freude begoß, um die knisternde Flamme emporschlagen zu fühlen durch seine Gedanken, und das üppige Fest feierte er mit solch einer Willensanspannung, solch einem herausfordernden Trotz und fast zornigem Triumph, als ließe er, indem er sich ganz und gar dem Vergnügen hingab, ein lang bekämpftes Recht zur Geltung kommen, und als wolle er zu gleicher Zeit erlittene Entbehrungen wettmachen und erduldetes Unrecht rächen. Er wußte jetzt durch Dr. Oldenzeel, der ihm harmlos-gutmütig die Neuigkeiten von Soemberbaroe erzählte, daß Barkmans Ernennung, die aus ganz unwesentlichen Gründen erfolgt war, kein Übergehen seiner Persönlichkeit bedeutete, und daß sogar seine Beförderung vor der Tür gestanden hatte, die er – ein wenig schroff – hinter sich zugeworfen. Auch die Wunde, die ihm die Redaktion der »Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaften« geschlagen, war in seinem doch sonst nicht allzu leicht heilenden Fleisch schon beinahe wieder vernarbt. Nachdem er es endlich über sich vermocht hatte, Arbeit und Kritik noch einmal vergleichend durchzulesen, hatte er in kaltblütigem Urteil die der Arbeit zuteilgewordene Kritik anerkannt. Und außerdem wurde es ihm erst jetzt klar, wie viel mehr und Wichtigeres der Kritiker gelobt als getadelt hatte. Aber nichtsdestoweniger und trotz aller Vernünftelei schmerzte ihn die Empfindung des Besiegtseins noch immer heimlich, und jetzt mußte er über Regierungsbevollmächtigte und inländische Rechtsgelehrte triumphieren, in jener festlichen Macht des Reichtums, in der er, wenn auch vorderhand nur noch einer von der Besatzung, doch in nicht allzu langer Zeit ein Befehlshaber sein würde. Wie herrlich würde er dann seine Fahne flattern lassen über dem eroberten Lande! Er feierte diesen Triumph schon jetzt im voraus. Und wenn der unzählige Trauben tragende Flammenweinberg des Abends über Kalimas erblühte, dann sah er seinen neuen Weg von diesem Freudenschimmer überglüht.

Endlich, eines Abends, – der wievielte des Festes es war, das wußte niemand mehr – hielt der Pflanzer einen Toast, in dem er die Hochzeitsfeierlichkeiten für beendet erklärte und für den nächsten Tag das tagelang währende große Fest der Fabrik verkündete, den Neujahrstag des Arbeitsjahres, an dem die Kampagne, feierlich und fröhlich so wie die Eingeborenen, denen zu Ehren das Fest gefeiert wird, es lieben, mit dem Ausziehen der ersten Zuckerrohre unter Gebeten und Beschwörungen, mit Volksspielen aller Art, mit einer von dem Priester präsidierten Mahlzeit für die Männer und einer Wayangaufführung und dem Wiegen und Schweben der Tänzerinnen bei den Klängen des Gamelan während der ganzen Nacht eingeweiht wird. Wer das Aufstellen des Zuges sehen wolle, der das Rohr einhole, der möge bei Sonnenaufgang auf dem Fabrikplatz sein.

Einige junge Leute, die bei Tisch in van Heemsbergens Nähe saßen und die während eines langen Aufenthaltes in dem Binnenlande das Interesse an derlei Festen längst verloren hatten, machten sich gegenseitig den Vorschlag, diesen letzten Tag lieber durch eine Jagd in den Wäldern zu feiern; er pflichtete ihnen bei, in der Überzeugung, daß das Mahlfest als eine Veranstaltung für die Eingeborenen dem Europäer nur kindisch und langweilig erscheinen könne. Und der französische Maler, der auf dem Rückweg nach Batavia in Kalimas angekommen war, wollte mit, um eine angefangene Skizze des Waldsees zu vollenden.

Sie ritten am nächsten Morgen davon, ehe es allzu heiß zu werden begann; der Zug war schon längst von Kalimas aufgebrochen.

Durch die Sprache, in der sie ihr Gespräch führten, von den andern abgesondert, trabten van Heemsbergen und Bruneton den langsam ansteigenden Weg hinauf. Der Franzose hörte zerstreut auf die Geschichte des Prozesses Heuvelink, während er mit seinem Malerauge die Eigentümlichkeiten der Landschaft erfaßte – die geschwungene Linie der Hügel gerade vor ihnen, eine Baumgruppe am Wege, das reiche Blaugrün eines Zuckerrohrfeldes. Plötzlich rief er: »Was ist das dort? das Bunte, das an der einen Seite so weiß leuchtet?«

Und auch die andern, vor ihnen, blickten danach.

»Das ist der Zug,« sagte einer, gleichgültig. Und er ritt weiter.

Aber der Maler hatte sein Pferd schon gewandt und galoppierte quer über ein stoppeliges Reisfeld auf das bunte Leuchten zu, das sich jetzt, immer größer und klarer werdend, als eine Reiterschar erkennen ließ, die von zwei mit wogendem Grün geschmückten Büffelkarren gefolgt wurde.

Voran ritten die Beamten in ihren weißleinenen Anzügen und weißen Helmen, die grell leuchteten. Dunkelbunt folgte die breite und lange Reihe der Mandoers in funkelnagelneuen steifen und glänzenden Gewändern, den braunen, mattblauen oder rot und grün karrierten Sarong hoch aufgeschürzt, um die Knie beim Reiten frei zu haben, das gelbe Kopftuch zierlich um die Schläfen gewunden.

Hinter ihnen her trotteten langsam die beiden Büffelgespanne, die den duftig verzierten Karren zogen. Bei jedem wuchtigen Schritt entsandten sie einen vierfachen Sonnenblitz aus den kupfernen Kugeln, die auf der Spitze ihrer klafterbreit ausgebogenen Hörner funkelten, Kränze lagen ihnen um den Nacken, und auf den gewaltigen Schulterblättern trugen sie Schabracken aus roten, gelben, purpurfarbenen und grellgrünen Fetzen, die von Metallstickerei zu einer Franse verknüpften Stückchen Spiegelglas und allerlei Blitzendem überleuchtet wurden. Der vordere, noch leer, wartete auf das Rohr. Auf dem nächsten saßen die Tänzerinnen. Sie waren in ihrem prächtigen Staat, ein Mieder aus mattrotem Samt über der vielfältig regenbogenfarbig seidenen Schärpe, die ihre Taille umschloß, Spangen und Bänder an den von der Schulter bis zur Fingerspitze nackten Armen und eine das Gesicht wie eine Aureole breit umleuchtende Krone im Haar, von der, an kleinen spiralförmigen Stielen zitternd, über ihrer geschminkten Stirne, eine Menge Blumen und Sterne herabhingen. Zwischen den Zweigen und den Kränzen und den Gewinden, mit denen der Karren verziert war, saßen sie dort dicht aneinander gedrängt, wie eine Schar mit zitternden Flügeln niedergestrichener Schmetterlinge und Kolibris auf einem blühenden Strauch. Halb verborgen unter dem Grün ließen Musikanten weiche Instrumente erklingen, die schmelzende und sanfte Töne entsandten. Es war wie ein Garten voller Blumen und Vögel, der wunderseltsam daherglitt und jetzt wie mit einem leichten Ruck, einem Neigen und Sich-wieder-aufrichten von all' jenen Farben und all' jenem Blühen, an dem Rande eines Zuckerrohrfeldes halt machte!

Die Mandoers stiegen vom Pferde, folgten einem alten gebückten Mann in Priestertracht, der ein Büschel Reisstroh in der Hand trug, und hockten sich am Rande des Feldes nieder, wo rund um die Wurzeln viel starke Pflanzen aus der Erde losgelöst waren. Der Priester streute etwas auf das Büschel, erhob seine unsichere dünne Stimme und begann ein langes Gebet, das er in eintöniger Deklamation halb sang, halb hersagte, indem er mit einer Unmenge von Namen Götter und Göttinnen, die Geister der Luft, des Windes und der Erde anrief.

Mit tiefen Verneigungen nach den vier Windstrichen rief er:

»Kommt alle, alle, und daß auch nicht einer fortbleibe! Versammelt auch eure Kinder und Kindeskinder, so viele, wie ihrer hier in den vier Kalimas zunächst gelegenen Dessas unsichtbar wohnen. Alle unsere Gebete erflehen eure freundliche Gunst!«

Und er bedrohte die bösen Dämonen.

»Stört uns nicht in unserer Arbeit und verderbt nicht, was wir so lange vorbereitet haben, ihr Zornigen! Wenn ihr es tut, wenn ihr diese Ernte vernichten wollt, so werde ich euch mit einem Zauberschwert den Schädel spalten!«

Dann beschloß er endlich mit einem »Amin« die Beschwörung, steckte das mit Weihrauch besprengte Büschel Reisholz in Brand und sandte den wolkigen Duft nach den vier Ecken des Feldes und über die Köpfe der niederkauernden Schnitter hinweg, die vor sich hinblickten, still, als fühlten sie das Herannahen der Unsichtbaren in dem kaum fühlbaren Atem der Morgenkühle und in dem Sonnenschein über dem Felde.

Der Franzose, der wohl zurückdenken mochte an längst vergangene Johannistage und Prozessionen an blühenden Kornfeldern entlang, hatte instinktiv eine Bewegung gemacht, um den Kopf zu entblößen, besann sich aber und ließ die Hand wieder sinken.

Jetzt brachen alle die Instrumente, die bei der Beschwörung des Priesters ehrfurchtsvoll geschwiegen, in jubelnde Musik aus, während die Beamten die Hand an ein hohes wogendes Zuckerrohr legten, gleich als wollten sie es ausziehen, und die Mandoers, gemeinsam zufassend, den Stiel mit Wurzel und Scholle losrissen aus der bröckligen Erde. Sie beugten sich unter der Last, als sie die von Saft, Laub und Blüten vollen Halme nach dem Karren trugen. Die Beamten sprangen wieder in den Sattel. Die Erstlinge des reichen Jahres umdrängend, brachte die farbenprächtige jubelnde Schar sie triumphierend nach der Fabrik.

Die Jäger waren Bruneton nachgeritten und murrten über die Hitze und über den Zeitverlust. Jetzt standen sie ungeduldig wartend da. Ein junger Mann von etwa zwanzig Jahren, mit lustigen Augen und vollen frischen roten Lippen – es war derselbe, der bei der de Marreschen Versteigerung oben auf einem Tisch die Spieldose gedreht hatte – sah nach dem Wagen der Tänzerinnen. In einem Ton, als werde ihm persönlich ein Unrecht angetan, sagte er: »Und wenn man sie dann aus der Nähe – ah, die eine, was für eine Prinzessin!« rief er plötzlich aus, »die war gestern abend nicht da. Wie mag so etwas nur unter die »Ronggengs« Ronggeng = Straßentänzerin. geraten?«

Die Tänzerin, die seinen Ausruf verstanden haben mußte, ließ ihm ihre strahlend schwarzen Augen eine Sekunde lang unter halb gesenkten Wimpern entgegenfunkeln, während sie mit einer ruhigen, anmutigen Bewegung den Kopf abwandte.

Eine unbestimmte Erinnerung erwachte in van Heemsbergen: er sah die erste Landratsitzung in Soemberbaroe, den Araber in seinem langen Kaftan und den einfältigen zur Zwangsarbeit verurteilten Eingeborenen und die reizendschöne junge Frau, die seinem Blick mit genau derselben Bewegung ausgewichen war: Es war Naila.

Der blonde Jüngling griff im Vorübergehen nach ihrer Schärpe:

»Eh, Sarina, Aminah, Djassia, wie heißt du?« rief er lachend.

Sie neigte sich zur Seite und zog ihm ihre Schärpe aus den Fingern.

Van Heemsbergen sagte kurz:

»Wollen wir weiterreiten?«

Der Blonde warf einen zugleich schüchternen und ärgerlichen Blick auf das unbeweglich ernste Gesicht, und mit einem unzufriedenen Achselzucken spornte er sein Pferd an, während er etwas wie »lächerliches Getue« und »den braven Heinrich spielen«, vor sich hin brummte.

»In zehn Minuten dort bei den Bäumen!« schrie er. »Wer wettet? De Bruin, sehen Sie nach der Uhr.«

Er war, drei andere hinter ihm her, in einer Staubwolke weggewirbelt.

»Er will sich zeigen,« sagte Bruneton lachend. »Sie war schön, die eine; ein Prinzeßchen, ganz wie er sagte. Und der hellgelbe Teint – ist das nicht ein Zeichen von aristokratischem Blut?«

Van Heemsbergen antwortete mit leichtem Widerstreben, während ihm Adas wiederholtes Fragen nach der Verlassenen einfiel.

»Sie ist eine ehrbare Frau aus der Dessa, ich verstehe gar nicht, wie sie in solche Gesellschaft geraten ist.«

»Aber warum denn? Sie ist zum Tanzen wie geschaffen. Was für Linien!« Der Maler folgte mit seinem Finger in der Luft dem Profil der schlanken Gestalt.

»Wie ich höre, werden Tänzerinnen – Ronggengs, nicht wahr? – unter den Eingeborenen nicht verachtet. Das sieht mir beinahe aus wie ein Beweis von höherer Zivilisation – etwas Griechisches, möchte ich fast sagen,« meinte er lachend.

»Und doch läßt ein ordentlicher Mensch seine Tochter niemals eine Ronggeng werden,« antwortete van Heembergen. »Das ist ungefähr so, wie wenn eine Wirtschafterin bei einem Europäer wird.«

»Na, gegen die ihrige wird aber wohl niemand etwas einwenden können,« antwortete Bruneton, und machte ein Gesicht, als koste er Essig – »brrr der unglückliche Kerl, der mit ihr verheiratet ist! Ich hatte sie für Ihre Großmutter gehalten.«

»Ich habe einen besonderen Grund,« begann van Heemsbergen, langsam errötend, »aber abgesehen davon – ich würde ein solches Verhältnis nicht wünschen.«

Er erriet ein Wort auf den Lippen des Malers und kam ihm zuvor. »Nein, nicht aus Puritanismus! Für mich ist es eine Frage von – na ja, – von gutem Geschmack in sittlicher Beziehung, von etwas, das man vielleicht wohl moralische Eleganz nennen könnte, daß sich ein Mann, der der überwindenden Rasse angehört, nicht auf solche Weise mit einer Frau einläßt, die der überwundenen entstammt.«

»Ach was! – Überwinden! – Überwundene! – das ist schon so lange her.«

»Sind wir und Sie denn etwa als etwas anderes hier?« rief van Heemsbergen aus.

»Wenn nun aber die »Überwundenen« nichts lieber wollen? he?«

»Und unsere eigne Würde? leidet die etwa nicht darunter, wenn wir jene demoralisieren? Sie machen mir zum Vorwurf, daß ich mich nicht genügend für den Eingeborenen interessiere ...«

Bruneton blickte erstaunt auf.

»Ich? ... ich mache Ihnen zum Vorwurf, daß Sie kein ...«

Na ja, dann nicht Sie, sondern ein anderer, andere ... kurzum »man«. Van Heemsbergen suchte ungeduldig nach einer allgemein gebräuchlichen Bezeichnung für jene Tadler, deren Stimme er in sich hörte und die er so rasch nicht mit Namen zu nennen oder von den andern zu unterscheiden wußte. »Es ist auch wohl möglich, daß ich es nicht tue – ich kann sie bis jetzt noch nicht interessant finden, aber in jedem Fall ist Gleichgültigkeit denn doch noch besser als dies ...«

Bruneton sah ihn von der Seite an.

»Warum mag er so gereizt sein?« dachte er.

Van Heemsbergen schlug sein Pferd mit der Peitsche.

»Die andern warten auf uns, wir wollen uns ein wenig dran halten!«

Er galoppierte auf den Wald zu, den der voraus getrabte Trupp bereits erreicht hatte.

Von den mit schwerem Laub bewachsenen Hügeln in der Ferne herabgesunken, mit langsam niedergleitenden Falten und breitem Rande von großblättrigen Palmen, wildem Pisang und dunklem rauhem Strauchgewächs lag es da, schwärzlich auf dem leuchtenden Grün der Ebene, wie die Schleppe eines dunkelsamtnen Königsmantels auf marmornen Fliesen. Es war wie ein Anfang der Herrschaft der Höhen inmitten des reichen Tieflandes. Die Zuckerpflanzer aus der Umgegend hatten einer nach dem andern versucht, den riesenhaften Keil fruchtbaren Bodens, der dort unter Zweigen, Stämmen und Wurzeln begraben lag, von der Jahrhunderte alten Last zu befreien und sie unter der belebenden Sonne bloßzulegen, um ihr Rohr darauf wachsen zu lassen. Aber die Ruinen des Hindutempels und die Gräber der Muslim-Heiligen machten den ganzen Wald bis zu diesem äußersten Saum den Eingeborenen heilig.

Und jeder gefällte Baum wurde durch so viel Unglück gerächt – durch einen schweren Schaden an den Maschinen, das Eintrocknen von Wasserleitungen, Steinwurf von unsichtbarer Hand und das Ausbleiben von Arbeitern mitten in der Kampagne – daß keiner von allen seine ersten Versuche in diesem Kampf abendländischer Gewinnsucht gegen morgenländische Frömmigkeit wiederholt hatte. De Bakker, durch anderer Schaden klug geworden, ließ den Wald jetzt unberührt inmitten seiner Zuckerrohrfelder.

Als van Heemsbergen und Bruneton anlangten, fanden sie die andern in Beratung mit den vorausgegangenen inländischen Treibern. Es wurde verabredet, daß man sich um die Mittagszeit an dem Kleinen See versammeln solle, wo Bruneton seine Skizze fertigmachen wollte. Als van Heemsbergen den Jungen erkannte, der ihn schon bei früheren Gelegenheiten begleitet hatte und der sein gebrochenes Sudanesisch verstand, bedeutete er ihm, daß er sich von den andern entfernen wolle. Und sie gingen in die Einsamkeit.

Van Heemsbergen war kein guter Jäger, er wurde gleich erregt und schoß dann zu früh und vorbei; trotzdem liebte er die Jagd leidenschaftlich um ihrer prickelnden Erregung, um der von verborgenem Leben wimmelnden Einsamkeit des Waldes und der plötzlichen starken, herrlichen Gedanken willen, die ihm durch den Kopf fuhren, wenn er ganz allein in jener unbekannten Welt stand.

»Tiefer in den Wald hinein!« rief er seinem inländischen Führer zu.

Der Junge wandte ihm sein dunkles Gesicht zu.

»An den Bach, wohin die Hirsche zum Trinken kommen?«

»Ja, das ist gut.«

Eine Zeitlang folgten sie einem fast unsichtbaren Pfade. Die Bäume standen hier dünn, hoch gewachsen an offenen Stellen, wo sich die Strünken des gefällten Holzes, schon länger verfault, in kleine Hügel aus Farrenkräutern und riesenhaften Pilzen verwandelt hatten. Aber allmählich ward es enger und dunkler um sie her; zwischen Stämmen, nackt und kahl wie Säulen, verdrängten sich wirres Gesträuch und junger Aufschlag, und der Boden war übersponnen mit den zähen stachligen Maschen von allerhand Schlinggewächs. Der Eingeborene, der geschmeidig wie eine Schlange und behende wie ein Vogel überall hindurchkroch und hinübergelangte, stand hin und wieder still, um mit seinem Kappmesser eine Bresche in dem Wall zu weiten. Van Heemsbergen fühlte mit Genuß, wie kühlblättrige Zweige an ihm vorüberschnellten, wie die Schlingen dorniger Pflanzen seine Kleider zerrissen, wie die schwere Schicht fauler Blätter unter seinen Füßen einsank. Ab und zu vernahm er ein Knistern und Knacken in den Zweigen, und er sah, wie sein Führer sich lauernd vornüberneigte und lauschte. Aber er griff nicht einmal nach dem Gewehr, das ihm schwer auf dem Rücken hing und mit dem Riemen seine Schulter striemte. An das Tier, dessen Nähe er vernahm, dachte er nicht so, wie ein Jäger daran denken würde mit dem Verlangen, es zu meistern, sondern er fühlte nur eine eigenartige halb wilde Freude, eine prickelnde Lebensfülle, gleich als wären die Flinkheit und die Stärke all jener ungezähmten Geschöpfe sein, und als würde er sich seiner eigenen Muskelkraft, seines freien Atems und seiner heißblütigen Adern erst durch sie völlig bewußt.

Nachdem er sich so einige Zeit durch eine luftige Blätterfülle vorwärts getastet, roch er jenen eigenartigen Duft von Wasser, das über Steine rinnt. Beinahe gänzlich verborgen unter überhängenden Zweigen und den breitblättrigen Farren seiner Ufer floß hier der Bach. Etwas weiter hinauf war das Kraut zertreten, durch dünne Baumwipfel drang Sonnenlicht, das Blau des Himmels ließ das kleine Wässerlein schimmern. Zu beiden Seiten des Baches, der hier breiter ward, waren die feingespaltenen kleinen Rehhufe in dem schlammigen Boden zu sehen.

»Hier ist es,« sagte der Junge, »hier kommen sie des Abends her, um zu trinken, heute nacht noch habe ich sie gesehen. Ich habe mit meinem Knüppel nach ihnen geworfen, aber ich habe nicht eines getroffen; sie stoben alle davon.«

Die menschliche Stimme klang seltsam hier, sie weckte van Heemsbergen aus seiner gedankenlosen Ekstase.

»Was braucht er so zu rufen?« dachte er und blickte unzufrieden auf den Inländer, »das sehe ich selbst doch auch, daß hier Rehe gewesen sind.«

Er setzte sich auf einen gefällten Baum und nahm das Gewehr ab. Der Junge hockte sich auf den Boden hin, beugte sich vornüber und schöpfte ein wenig Bachwasser in ein Blatt, aus dem er geschickt einen kleinen Becher gemacht hatte. Van Heemsbergen schaute auf ihn, während er trank, am Rande des grünen Kelches schlürfend, den er mit beiden Händen umschloß.

»Warum tust du das – mit einem Knüppel nach den Rehen werfen?« fragte er streng.

Der Junge richtete sein feuchtes Gesicht empor.

»Ich hatte kein Gewehr,« sagte er mit einem begehrlichen Blick auf van Heemsbergens Flobert.

»Du hast kein Gewehr? Nun – und weiter?«

»Jetzt jage ich mit einem Knüppel,« sagte der Junge verlegen lächelnd, »daran sitzt ein Knopf aus Blei, wenn der die Pfoten des Rehes trifft, dann zerbrechen sie, und es kann nicht davonlaufen, und dann kann ich es greifen und töten.«

»So,« dachte van Heemsbergen, während er mit Abscheu auf den Jungen blickte, »das ist typisch. Jetzt soll mir bloß noch mal jemand von der Gutherzigkeit des Inländers sprechen!«

Und er dachte an Ada.

Ihm fiel ein Satz aus ihrem letzten Brief ein.

»Kennst du auch die Geschichten vom Zwerghirsch?« fragte er.

Der Junge gab die aus Bescheidenheit ungewiß ausgesprochene Antwort, die der Eingeborene einem höher Stehenden gegenüber statt »ja« gebraucht.

»Vielleicht,« sagte er.

»Erzähl' mir mal eine,« befahl van Heemsbergen.

»Es gibt so viele ...«

»Na ja, welche du willst, es kommt nicht drauf an.«

Der Inländer dachte an die Märchen, die des Abends rings um das qualmende Ölflämmchen in der dämmrigen Hütte erzählt werden von dem zierlichsten Tierchen des Waldes, so zart und schwach, daß es, wie man sagt, durch einen plötzlichen Schrecken, ja sogar durch ein lautes Geräusch oder ein grelles Licht getötet wird, das aber durch seine Klugheit das plumpe Nashorn, den grausamen Tiger und das gefräßige Krokodil, die ihm alle nach dem Leben trachten, immer wieder überlistet. Er hätte sie gerne erzählt, aber das unwirsche Gesicht jenes Holländers machte ihn furchtsam. Niedergekauert, die Hände zwischen den Knien herabhängend, blickte er verlegen auf das Wasser.

»Nun, los!« spornte ihn van Heemsbergen ungeduldig an.

»Er ist sehr klein, der Zwerghirsch ... und er ist so klug, eh, so sehr klug ... es gibt auch einen Zwergbüffel, aber niemand hat den jemals gesehen, nur seine Spuren auf dem Boden ...«

Er stockte.

»Nun, so erzähle mir eine Geschichte vom Zwergbüffel. Solche gibt es doch gewiß auch.«

Der Junge beharrte auf seinem Schweigen und murmelte dann endlich:

»Ich weiß nicht.«

»Nein,« dachte van Heemsbergen, »da ist nichts heraus zu bekommen. Was will Ada doch eigentlich? Sie denkt sich, daß es hier so geht wie in Holland – mit der Waschfrau und der Reinmachefrau und dem Milchmann hinter dem Karren und mit allen schmutzigen Kindern, die sie von der Straße ins Haus holt, schließt sie Freundschaft, und jetzt möchte sie, daß ich's hier auch so machte mit solch einem halbmenschlichen Inländer. Man soll ihn nur so dasitzen sehen ... und es ist nicht, daß er es nicht wüßte, nein, er will ganz einfach nicht – immer dasselbe Mißtrauen – und den Rehen wirft er mit einem Knüppel die Füße kaputt. Sie sind im Grunde grausam, diese Inländer, zum mindesten gefühllos – vollständig ohne Herz. Wie könnte solch eine Person sonst wohl ihr Kind im Stich lassen, um Tanzmädchen zu werden? Nein, es hätte nichts geholfen, wenn ich ihr auch damals Geld gegeben hätte – darüber brauche ich mir nicht solche Vorwürfe zu machen! ... Und übrigens kann ich es ja heute abend, wenn wir nach Hause kommen, immer noch tun – und dem Dalang natürlich auch – sonst läßt er sie nicht gehen – sie ist auf alle Fälle die schönste aus seiner Truppe. Ich werde ihr so viel geben, daß sie nach ihrer Dessa zurück kann und vorläufig genug hat – dann bin ich die Verantwortung los, wenn Ada mich später mal nach ihr fragen sollte,« so schloß er seine Erwägungen.

Er stand auf und gab dem Jungen sein Gewehr zu tragen.

»Wohin?« fragte dieser scheu.

»Ach, meinetwegen am Bach entlang, es ist ganz gleich.«

Eine geraume Zeit folgte er der braunen halbnackten Gestalt, die leichtfüßig vor ihm her lief.

Der Bach schimmerte und dunkelte. Hier und dort schoß er, als weißer Schaum unten anlangend, von einer kleinen Anhöhe in sein Bett hinunter, und um die Spitzen unzähliger herausragender Steine floß das Wasser murmelnd in vielfarbigem Licht. Er blickte mechanisch danach mit der unbestimmten Empfindung, daß da etwas sei, worüber er nachdenken müsse, aber er konnte nicht finden, was es war. Der Lebensrausch, der ihn soeben noch durchglüht hatte, war verflogen, und statt dessen fühlte er eine bleierne Schwere in seinen Gliedern und Gedanken.

Die grüne Dunkelheit zwischen den Bäumen, der Geruch des Wassers und vor allem der braune Rücken da vor ihm, ward ihm plötzlich unerträglich. Er befahl dem Führer, ihn nach dem kleinen am Eingang des Waldes gelegenen See zurückzuführen.

»Ich hoffe, daß Bruneton allein ist,« dachte er.

Das »offensive und defensive Bündnis,« das bei jener ersten Begegnung schweigend geschlossen wurde, hatte sich seither befestigt.

Noch war keiner der anderen da, als er die Ufer des kleinen Teiches erreichte. Bruneton saß da und malte, augenscheinlich ganz in seine Arbeit versunken.

Er ging auf ihn zu.

»Hier ist es frischer als im Walde!« rief er.

Der Maler sah auf mit einem gänzlich zerstreuten Blick unter gerunzelten Brauen. Kurz und mürrisch, wie zu einem unbescheidenen Fremden, sagte er:

»Später.«

Und während er mit der Hand, die den Pinsel festhielt, eine Gebärde heftiger Abwehr machte, nahm er seine Arbeit wieder auf.

Van Heemsbergen war stehengeblieben, aber mit einem Blick auf das angespannte Gesicht da vor ihm, wandte er sich um und suchte im Schatten ein Fleckchen, wo er von dem Maler ungesehen sein würde.

Und nun schaute er sich seinerseits einmal das an, was den anderen so sehr begeisterte. Das Wasser, durchsichtig dunkel in dem weit überfallenden Schatten der Bäume, die breiten runden Kronen, aus der Dunkelheit hinaufklimmend in den Sonnenschein, als bläulich schwarzer Wall, leuchtend grün und golden an der Spitze, und darüber der feuerblaue Himmel.

»Ja, es ist wohl schön – aber was nützt das?«

Seine Gedanken verloren sich in mißmutigen Erwägungen, schweiften zu allerlei ihm scheinbar ohne jeden inneren Zusammenhang plötzlich in den Kopf kommenden Dingen, – der Forderung zur Abgabe der Erbschaft an die Blutverwandten väterlicherseits, Pieter Heuvelinks Vormund gegenüber geltendzumachen – einem Ausspruch ohne Sinn und Verstand, von einer dunkeläugigen jungen Frau getan, mit der er am Tage zuvor getanzt hatte – dem gedrückten Ton in Adas letzten Briefen – nein, gedrückt eigentlich nicht, das war nicht das richtige Wort, es war nicht, als habe sie selber Kummer, sondern als litte sie unter dem Gedanken, daß er ihn habe, weil nicht alles so ging, wie er es sich wohl gewünscht hätte. Sie sprach es mit keinem Wort aus, und doch stand es in ihrem Brief. Was für eine Idee von ihr, bei der Frau Meerhuys das Batiken zu lernen! Was würde sie wohl von seinem Urlaubsgesuch denken? Was für eine Bruthitze! und die verfluchten Mücken! ...«

Brunetons Stimme schrie:

»Hallo, wo sind Sie? Kommen Sie mal her!«

Aus seinem Gedankenwirrwarr erwachend, stand er auf und ging auf seinen Freund zu.

Bruneton hielt seine Skizze um Armeslänge von sich und betrachtete sie mit strahlendem Gesicht.

»Sehen Sie mal!« rief er.

Van Heemsbergen sah das, was ihm zuerst wie Flecken und Striche erschienen war, aber dann kam Leben hinein, das Wasser blitzte, und die Bäume zeigten Grün und Schatten.

»Nun? Ist das nicht famos? Sehen Sie mal den Effekt dort, wie das Licht funkelt! – Herrlich!«

Leuchtenden Auges blickte der Maler darauf hin. Er war ein anderer als der, der soeben noch atemlos und für alles verloren, die Natur auf jenem Stück Leinewand festgehalten hatte. Und jener andere, sein alltägliches Ich, das van Heemsbergen und die Gäste auf Kalimas und so viele andere kannten, empfing voller Stolz und mit entzückter Dankbarkeit das königliche Geschenk seines seltsamen Gefährten.

»Herrlich!« wiederholte er.

Er stellte die Skizze behutsam gegen den Baumstamm, und seinen Hut durch die Luft schwenkend, begann er zu tanzen und mit den Fingern zu schnalzen, als schlüge er den fröhlichen Takt mit Kastagnetten.

Van Heemsbergen konnte die Frage nicht zurückhalten, die sich ihm auf die Lippen drängte:

»Was tun Sie nur, um immer so glücklich zu sein?«

»Ich? – Nichts! – Ich male.«

Ein Lärmen von Lachen und durcheinander rufenden Stimmen kam näher. Es waren die andern: ›Sie hätten alle zusammen nur ein Reh gefangen, und das säße in der Schlinge, die die Inländer am Abend zuvor ausgelegt hätten,‹ rief einer. Der blonde Jüngling warf triumphierend einen prachtvollen Pfau auf die Erde. Der kleine mit einem feinen Krönchen geschmückte Kopf, der schlaff zur Seite hing, der Rücken und der lange Schwanz blitzten wie in Gold gefaßte Smaragden.

»Da!« rief er, während er seine Hände, an denen geronnenes Blut klebte, in die Seiten stemmte. Er blickte triumphierend um sich, gleich als ob die unvergleichliche Pracht sein Verdienst noch erhöhe.

Van Heemsbergen wurde seiner leeren Hände wegen ausgelacht.

»Sie haben nicht mal geschossen, wir haben aufgepaßt!«

»Ja, wo sind Sie denn eigentlich gewesen?«

»So ganz allein, sagen Sie mal?«

»Wenn hier ein weibliches Wesen im Walde wäre, würde ich auf ein Schäferstündchen wetten!«

Sie schrien alle durcheinander und wurden angesichts seiner finsteren Züge immer fröhlicher.

Die Körbe, die Frau de Bakker den Jägern nachgeschickt hatte, wurden ausgepackt, und man richtete in der Laubhütte, die noch vom vorigen Feste her dastand, einen wohlbesetzten Tisch her. Die Jäger stürzten sich darauf. Knallend losspringende Pfropfen flogen ins Wasser, und im nächsten Augenblick purzelten leere Flaschen hinterher.

Bruneton schob seinen breitrandigen Hut in den Nacken, schlug das Hemd über der Brust auf, und indem er eine Serviette wie eine Schärpe umknüpfte, legte er seinen weißen Malerschirm über die Knie und begann seine Finger darüber hinspielen zu lassen, wie über die Saiten einer Zither. Abwechselnd eine Begleitung summend und aus vollem Halse schreiend, sang er spanische Volkslieder.

Es hallte und widerhallte über dem Wasser:

»Señor Alcalde Major, Señor Alcalde Major!« usw.

»Was singt er?«

Einer, der auf den Philippinen gewesen war, antwortete:

»Herr Bürgermeister, warum faßt Ihr die Diebe nicht? Denn Ihr habt eine Tochter, die die Herzen stiehlt.« – »Niña de mi enrazon!« summte er mit.

Bei der dritten Strophe fiel der blonde Jüngling ein; er sang die zweite Stimme. Sein Bariton trug den Tenor des Malers, wie ein schlanker Knabe ein Mädchen. Er wußte vor Ausgelassenheit nicht mehr, was er tun sollte.

Als niemand mehr etwas zu singen wußte, warf er seine Kleider ab, sprang ins Wasser und schwamm den schaukelnden Flaschen nach, die er mit seinen starken weißen Zähnen beim Halse packte und an Land apportierte wie ein Jagdhund eine Ente. Er rief, man solle ihm noch einige zuwerfen. Die andern konnten ihn nur mit Mühe überreden, aus dem Wasser zu kommen und in seine Kleider zu schlüpfen, da sie nach Kalimas zurückmußten.

Nach dem Souper sollte als Abschluß der Festlichkeiten ein Wayang-Drama, diesmal nicht von Puppen, sondern von Männern und Frauen dargestellt, auf dem Platz vor dem Hause aufgeführt werden. Als die Jäger eintrafen, brannten die Lichter schon in dem als Bühne aufgestellten Zelt. Der Dalang stand da und unterhielt sich mit dem eleganten Djaksa von Soemberbaroe; beim Näherkommen fing van Heemsbergen den Namen Naila auf.

»Also sie ist erst jetzt Tänzerin geworden?«

Er nahm die beiden mit nach Haus, und mit dem Djaksa als Dolmetscher und Zeuge erklärte er dem Dalang, was er bezüglich Naila wünsche, und gab ihm zugleich mit dem Geld, womit die junge Frau in ihre Dessa zurückkehren und wovon sie ein paar Wochen leben konnte, die als Ersatz für ihren Verlust geforderte Summe.

Bruneton kam, um ihn zum Souper abzuholen. Er zog mit einem Seufzer seinen »Smoking« an.

»Ich bliebe reichlich so gern hier. Wenn ich nicht wüßte, daß Frau de Bakker nach mir fragen lassen würde ... ich habe mehr als genug von der ganzen Bande.«

»Was für eine Idee! Was haben Sie denn dagegen?« »Zunächst mal, daß es eine Bande ist. Eine Menge als solche ist mir etwas Unerträgliches – all' diese Menschengesichter um mich her! Ist es nicht, als würde etwas in einem zurückgedrängt und gedrückt oder mit Füßen getreten?«

»Aber nein! Je größer die Menge, desto ausgelassener die Fröhlichkeit. Was haben Sie doch eigentlich heute?«

Bruneton zog ihn mit hinaus.

»Ich will Ihnen mal was sagen. Sie machen aus Ihrem Aufenthalt hier nicht das, was sich daraus machen ließe. Sie leben wie ein Bettler inmitten von Schätzen! Ich habe mich in diesen drei Monaten für mein ganzes Leben reich gesehen, Sie sind ein Jahr hier und haben nichts. Darüber habe ich mich schon all' die Zeit gewundert. Auch heute morgen, als gesagt wurde, der Zug sei garnicht sehenswert – und dabei war er einzig schön! Ihr seht nichts von Indien – ein Volk von Schönheitsblinden! Sie hatte ich doch wenigstens für einen Einäugigen gehalten! aber nein, auch Sie haben den Star.«

Van Heemsbergen schwieg. Nach einer Weile sagte er: »Was hat das damit zu tun?«

»Womit? Mit dem Glück? Was für eine Frage! das Schöne der schönen Welt zu sehen, das ist Glück, – sehen Sie z. B. dies mal!«

Sie standen in der dunklen Kenari-Allee. Er deutete auf das Landhaus.

Mit seinem Glanz von zahllosen Lichtern hing es dort wie ein unermeßliches neu am Horizont erschienenes Sternbild und erhellte die Dunkelheit ringsumher.

»Sehen Sie mal,« wiederholte der Maler, »dafür hat unser Freund de Bakker einige zehntausende ausgegeben – eine halbe Tonne Goldes kostet ihn das Fest, hat er mir gesagt; und außerdem hat er ein paar Millionen auf jenen Feldern und in dieser und jener Bank. Hat er von all' dem zusammengenommen während seines ganzen Lebens jemals das genossen, was ich in diesem einen Augenblick genieße, nun, da ich sehe, daß es schön ist? Dieu! que Rothschild est pauvre!«

Sie schwiegen beide, während sie ins Haus traten und ihre Plätze an der Tafel einnahmen.

Die Stimmung unter den zum letztenmal so fürstlich miteinander Tafelnden stieg schnell und hoch. Die Gesichter wurden purpurrot über den Reihen funkelnder gefüllter Gläser, die Stimmen klangen beinahe wie Gesang, aus dem Lächeln wurde ein schallendes Gelächter. Hinter dem ersichtlich nachlassenden Zwang der guten Manieren war wie hinter den weichenden Dauben eines Fasses das Brausen des jungen Mostes, das Sich-aufdrängen der ausgelassenen Fröhlichkeit zu spüren, die ganze während so vieler überreicher Etmale gepflückte Freudenernte, die jetzt, gährend, alles auseinanderzusprengen drohte, was da hemmte.

»Es wird ein Bacchanal,« dachte van Heemsbergen.

Die dunkeläugige junge Frau vom vorigen Abend, die ihm gegenüber saß, hielt ihm lachend ihr Champagnerglas entgegen.

»Auf Ihre Fröhlichkeit!« sagte sie.

Er verneigte sich, selbst fühlend, wie herb das Lächeln war, mit dem er ihr zu danken versuchte. Sie sah ihn mit weitgeöffneten Augen an und wandte sich zu ihrem Nachbarn.

»Nein, das wird lächerlich,« dachte er. »Was es auch sein möge, jetzt muß es aus sein!«

Er ergriff das volle Glas, das vor ihm stand; es war der Clos-du-Roi, den de Bakker, als den besten, für zuletzt aufgehoben hatte. Wie eine duftende Flamme durchfuhr es ihn, während er trank. Das drückende Gefühl, als preßten ihm eiserne Finger das Hirn zusammen, löste sich, zerschmolz, verflog, und ein Nebel, der von jenem plötzlichen Augenblick im Walde an schon den ganzen Tag über zwischen ihm und den Dingen gewesen war, zerfloß. Er goß sich nochmals ein und trank und fühlte, wie alles jetzt leicht ward, wohlig und angenehm.

Mit dem ersten Wort, das ihm auf die Lippen sprang, hatte er die dunkeläugige junge Frau wieder versöhnt und zu lachendem Kokettieren gebracht. Im nächsten Augenblick hatte er so viel Zuhörer wie Tischgenossen um sich her. Einer der jungen Leute flüsterte ihm etwas ins Ohr.

»Wie ist es mit dem Toast? Sie sind doch die angewiesene Persönlichkeit dazu, als Advokat – der älteste Beamte sagt, daß er es nicht tun will.«

Er stand auf und hielt eine Rede auf die indische Industrie, die zunächst, das war auf allen Gesichtern zu lesen – verblüffend wirkte, dann aber, zum Schluß ein: Hurra, hurra, hurra – auslöste, das weit hinaus über die Felder ertönte. Auf den Pflanzer ausgebracht, galt es eigentlich dem Redner. De Bakker kam, um mit ihm anzustoßen.

»Das war verdammt schön – verdammt schön, van Heemsbergen! ...« er zerdrückte van Heemsbergens Hand beinahe, »kommen Sie mit! meine Frau will Ihnen auch danken.«

Sie stand schon vor ihm, das Glas in ihrer Edelstein geschmückten Hand, einen Schimmer von Tränen in ihren meergrünen, dunkel leuchtenden Augen.

»So,« dachte er, während er sich wieder setzte, »das ist eine Weisheit, die ich schon von meiner Gymnasiastenzeit her gekannt und von der ich doch niemals Gebrauch gemacht habe – genieße den Tag! Nicht zurückdenken und nicht vorwärts – und alles gehen lassen, wie es geht, – wie sollte ein Mensch das Leben sonst auch wohl ertragen können!«

Er trank weiter, ohne zu wissen, wie viel und wie vielerlei. Als er aufstand, war es ihm, als ginge er nicht, als ließe er sich treiben – treiben durch ein leuchtendes unsicheres und doch zuverlässiges Element, das ihn irgend wohin trug, wo es herrlich sein mußte.

Als die sich staunende Menge um ihn her halt machte, blieb auch er stehen und erkannte die Vordergalerie, wo hinter herabhängenden Blütendolden die Lampen matt brannten wie kleine, rot untergehende Sonnen hinter purpurnen Wolken. Ein Bedienter, der auf einen Stuhl geklettert war, drehte eine aus, und er sah, wie sich die magere braune Hand scharf abhob von der weißen Kuppel. Es begann zu dämmern. Aber auf dem Platz da draußen erglühte ein helles Licht, und darinnen begannen seltsame Gestalten sich hin und her zu bewegen.

Den Klingklang von Gamelan-Musik übertönte eine Stimme, die auf Javanisch sagte: »Das Drama von Senti Jaki, dem Helden, der der Sohn des Fürsten Dono Loko und der Lehrling des heiligen Eremiten Sakso Kentjono ist.«

Eine feuerrote Gestalt, auf deren Rücken ein spitzer goldener, wie eine Muschel geschweifter, in einem Kamm von Finnen und Stacheln ausstrahlender Schild festgewachsen zu sein schien, trat mit steifen, langsamen Schritten näher. Ein goldener Helm, aus dem ein schwarzer Kegel emporragte, blitzte über den straffen Zügen. Um die nackten Arme krochen Bänder und Ringe, die geflügelten Schlangen glichen. Mit den Fingerspitzen beider Hände eine Schärpe anfassend und ausbreitend, auf deren purpurnem Grunde weiße Sterne leuchteten, machte das strahlende Wesen in dem Licht halt.

Jetzt erschienen andere, kleiner und zarter, drei Frauen, in mattem Rot die eine, die zweite in Braun, in düsterem Blau die dritte, alle von den Zehen bis zu der Stirne mit Steinen übersät und in Gold gefaßt.

Tief gebückt näherten sie sich dem roten Fürsten und kauerten vor ihm nieder, während sie die linke Hand, mit der Handfläche nach außen und die aneinandergeschlossenen Finger emporgestreckt, auf dem gebeugten Knie ruhen ließen und mit der rechten winkten. Drei Männer, in heliotropfarbene Samtkittel und gelbliche, vorn in einer spitzen Falte herabhängende Sarongs gekleidet, die auf Stockpferden ritten, gehorchten diesem Wink. Sie waren die Anführer der Heere des roten Fürsten, gekommen, um seine Befehle zu vernehmen. Die Hände an die Zügel ihres Stockpferdes gelegt, trippelten sie um den Fürsten und seine drei Gemahlinnen herum. Der Fürst befahl ihnen, in fernen Gegenden Krieg zu führen. Sie verschwanden mit einem Sprung, der die Falten ihres Sarongs wie Flügel auseinander wehen ließ.

Der rote Fürst und seine Gemahlinnen verschwanden, und an ihre Stelle traten, während sie breitbeinig daherschritten, die Hände hin und her drehten und ihre Arme weit ausgestreckt hielten, zwei Prinzen in Rot und Grün, von einer Schar Ehrenjungfrauen umgeben und von monströsen Kriegern gefolgt, die goldene Hauzähne hatten und lange lockige Bärte. Die Stockpferdreiter kamen wieder dahergetrabt, und sie und die Ungeheuer mit den Hauzähnen kämpften miteinander. Aber der Eremit, dem von der anderen Seite eine gekrönte Fürstin entgegentrat, trennte die Kämpfenden. Gleich darauf indessen bedrohten alle einander mit Pfeilen, Lanzen und Prisen, und die Gamelanmusik dröhnte laut und schrill. Der rote Fürst streckte, aus dem Waffengewirr emporsteigend, seinen Arm aus und ließ seine Finger erzittern; und Schritt für Schritt wichen die Ungeheuer und die Heeranführer zurück, während die ängstlich niedergekauerten Frauen aufstanden und, sich biegend und windend, zu tanzen begannen.

Jetzt erklang plötzlich eine andere Weise und ein neuer Rhythmus, die Musik schwoll an und schwieg, setzte von neuem ein mit einem noch halb unterdrückten Jauchzen, und eine Gestalt, silberngrün wie Mondenschein im Walde und schlank wie ein Mondenstrahl, glitt zum Vorschein. In ihrem bleichen Gesicht funkelten die Augen, über denen die breitgemalten Brauen wie zwei dunkle Pforten standen. Ein goldenes Stirnband folgte dieser zwiefach wogenden Linie, und darüber thronte ein schwarzer wie eine phrygische Mütze überhängender Helm. Die Ohren verschwanden unter flügelgleich ausgebreiteten Verzierungen. Auf ihrer Brust blitzten in absteigender Reihe drei silberne Halbmonde.

Sie schlang eine dünne weiße Schärpe um und stand da wie ein lichter Nachthimmel zwischen zarten Wölkchen.

Durch die Reihen der Gäste, die sich in der Vordergalerie aufhielten, ging ein Murmeln der Bewunderung.

Jetzt begann sie zu tanzen, sehr langsam und ohne die Füße zu bewegen, während sie ihren schlanken Körper in Schlangenlinien hin und her wand. Sie hielt den Kopf sehr hoch aufgerichtet und die Augenlider wie im Schlaf geschlossen. Aber mit einer träumerischen Bewegung öffnete sie sie jetzt langsam und blickte nach der Stelle in der Galerie, wo van Heemsbergen saß. Er fühlte ihren Blick wie eine Berührung seiner Augäpfel.

Es war Naila.

Von jenem Augenblick an vermochte er nichts anderes mehr zu sehen. Sie streckte die Arme aus und bewegte die Hände auf und nieder, auf und nieder, gleich als winke, winke sie. Dann streckte sie die Finger einen nach dem andern aus, bog sie scharf und ließ die Hände an den Pulsen und zugleich den ganzen Rumpf auf den Hüften sich drehen. Jede Linie des biegsamen Körpers lebte. Silberglanz und das Funkeln von Edelsteinen umhüllten sie.

Er atmete kaum, völlig befangen in dem nämlichen Gefühl, das ihn in der leben-pochenden Einsamkeit des Waldes zu überfallen pflegte, wenn er auf das Geraschel unsichtbarer Tiere hörte.

Jede Bewegung jenes lebenglühenden Geschöpfes, das ihn mit ihren schwarzen Augen bannte, empfand er, als mache er sie mit seinem eigenen Körper, mit seinen eigenen Gliedern. Es wurde unerträglich, er hätte wohl schreien mögen, daß sie aufhören solle, aber seine Kehle war wie zugeschnürt, und er vermochte nicht einmal mehr etwas zu wollen.

Ihm war es, als ob sein Leben von ihm wegfließe, ihr entgegen, als ob es an ihr festhinge, an ihren Armen, an ihrer Brust, zwischen jenen Falten, die in so berauschender Schönheit ihre Glieder umwogten.

Sie verschwand.

Er eilte die dunklen Treppen hinunter und ihr nach.

Mattes Mondenlicht lag über die Erde gebreitet zwischen den schweren schwarzen Schatten der Baumreihen. War das Mondenschein dort an dem Stamm? Seine ausgestreckten Hände fühlten ein seidenartiges Gewebe und darunter eine kühle glatte Schulter.

Er ergriff sie.

Die goldene Flut hatte sich auf Kalimas herniedergesenkt und war wieder abgeflossen. Und wie nach einer Überschwemmung das wieder trocken werdende Land bedeckt ist mit zertrümmertem Menschenwerk und ausgerissenem Gesträuch, das das Wasser in seinem rasenden Lauf erst mitgeschleppt und dann wieder ausgeworfen hat, so waren Menschen und Dinge auf Kalimas mit dem Bodensatz des Festes bedeckt, sichtbar und unsichtbar.

Das Landhaus schien von mutwilligen Händen zerstört zu sein, so viel Scherben, Stücke und Fetzen wurden überall gefunden, so viel Kostbares war verstümmelt. Modrige Haufen Abfall, die einst Rosen, Orchideen und Lilien gewesen, lagen aufgestapelt im Garten, wohin sie die Kulis träge warfen. Und die Stelle, wo die luftige Hüttenstadt gestanden, war an den verstreuten Bambussplittern und den Stücken Netzwerk zu erkennen, an den in den Schmutz getretenen Lappen und Fetzen, den leeren Blechbüchsen, zerbrochenen Flaschen und Unrat aller Art inmitten eines Kreises zertretener Rasenflächen und geknickter, mit ihren gelb gewordenen Zweigen und halbverwelkten Blumen im Sande daniederliegender Sträucher. Die Bäume trugen schwarze Brandwunden von der Illumination. Der Kutscher klagte über hinkende Pferde.

In dem Fabrikdorf, in Kaliwangi und den Dessas rings umher lagen überall Kranke auf den Baleh-Balehs. Es standen Häuser so leer, als habe ein »Bandjir« Bandjir = Überschwemmung. Hausrat, Kleider, Essen und alles daraus hinweggespült. Und bei Said Mohamad und im Pfandhause, wo sich der fette Chinese vergnügt die Hände rieb, wuchsen die Stapel beliehener und verschleuderter Gegenstände.

Die Gäste, die sich nach links und rechts über ganz Java verbreiteten, trugen, der eine mehr, der andere weniger Festabfall mit sich: Neid, Enttäuschung, Groll, griesgrämige Erinnerungen an ein beendetes, Übermut zum Fortsetzen eines begonnenen Abenteuers, Beschuldigungen, die nicht bewiesen, Urteile, die nicht widerrufen werden konnten, das alles lag, ihnen selbst vielfach unbewußt, im Tiefinnersten ihres Herzens verborgen, ein von den Höhen herabgespülter Strom, der die ebenen Felder ihres täglichen Daseins noch lange unfruchtbar machen würde.

Herr und Frau de Bakker und ihre Gäste, die auf Kalimas blieben, empfanden eine eigenartige Verstimmung, eine Unzufriedenheit mit allem und allen und namentlich mit sich selber. Es lag etwas beinahe Feindliches in dem Gefühl jedes einzelnen gegen alle, als ob ein jeder dem andern an einer nicht leicht zu vergessenden Enttäuschung oder gar an einem angetanen Unrecht die Schuld beimesse und deswegen einen Groll hegte, der, durch die Unmöglichkeit zu bestimmen, worin jenes Unrecht oder jene Enttäuschung eigentlich bestand, nicht geringer wurde. Alle, ohne Ausnahme, vom Pflanzer und seiner Frau bis zu dem jüngsten Beamten und den Bedienten des Hauses, den Kulis in der Fabrik und den Kindern in der Dessa hatten sich den Genuß zuwider genossen, und jeder begriff auf seine Art, daß es nicht das war, was er sich davon versprochen oder was er erhofft hatte, jeder sehnte sich auf seine Art nach etwas Besserem.

De Bakker hatte als erster von allen seinen gewöhnlichen Lebensgang wieder aufgenommen. Der Sekt schäumte noch in den Abschiedsgläsern, als er schon wieder in der Fabrik stand, bei den Kochpfannen und den Maschinen, dem Chemiker im Laboratorium, der mit der Analyse des Saftes beschäftigt war, über die Schulter sah und das leichte Wägelchen, mit dem er durch die Gärten zu fahren pflegte, anspannen ließ, um einmal nachzuschauen, wie die Schnitter auf dem sengend heißen Felde vorwärts kamen. Der Elastizität ihres Charakters entsprechend, folgten seine Beamten schneller oder langsamer; physisch vom ersten Augenblick an schon auf dem Posten, erschienen sie dort auch allmählich einer nach dem andern mit dem Geiste. Der gewaltige, Tag und Nacht weiter rollende Gang des Werkes hatte innerhalb weniger Tage auch den Trägsten und Schlaffsten mitgeschleppt.

Frau de Bakker indessen konnte sich nicht so schnell wieder erholen. Außerhalb des Bereiches jener unerbittlichen Macht, in der kühlen Stille ihres Zimmers mit den sorgfältig geschlossenen Läden, wo sie Pastillen brennen und Essenzen sprengen ließ, um den durch die Ritzen eindringenden Zuckerqualm zu übertäuben, lag sie tagelang unbeweglich dort, wo die langsam verlaufende Ebbe des Festes sie hatte niedersinken lassen. In einem weiten Gewand lag sie da, während ihr rotgoldenes Haar über die Lehne der Chaiselongue herabwallte, und schaute manchmal träumend, manchmal zerstreut von gleichgültiger Lektüre auf. Das zerknitterte Buch glitt ihr aus den Händen. Sie befahl ihrer Dienerin, daß sie alle während des Festes getragenen Kleider vor ihr ausbreiten solle. Die Stühle, das Sofa, der Wandschirm, der Toilettentisch, der große Spiegel, das ganze Zimmer hing voll, und sie blickte auf die Hüllen, die die Umrisse ihres Körpers, ihrer Glieder noch trugen, gleich als habe sie in jedem einen Teil ihrer Persönlichkeit zurückgelassen und als wisse sie jetzt nicht mehr, was und wieviel ihr noch geblieben.

Auch van Heemsbergen fiel es schwer, sich den so lange außer Gebrauch gestellten und durch von außen kommende Anregungen ersetzten Willen wieder dienstbar zu machen.

Schon einige Male hatte er den ermüdenden Ritt nach einer Dessa in der Umgegend, wo Blutverwandte der inländischen Frau wohnten, die sich für Pieter Heuvelinks Mutter ausgab, hinausgeschoben. Und wenn die aus ihren Dörfern entbotenen Eingeborenen, von denen er Einzelheiten über sie zu erfahren versucht hatte, mit tiefer Verneigung sein Studierzimmer wieder verließen, blieb er oftmals, eine Zigarette nach der andern rauchend, untätig und gedankenlos zwischen Notizen und Briefen da sitzen und lauschte zerstreut dem Rascheln von Nailas Sarong.

Er hatte sie in ihre Dessa zurückschicken wollen an dem ersten Morgen, sie aber hatte bitterlich zu weinen begonnen. Warum? War er unzufrieden mit ihr? War sie ihm nicht in allem gehorsam gewesen? War sie nicht gleich gekommen, als er sie hatte rufen lassen, anstatt erst nach dem Mühlenhaus zu gehen, wo der Djaksa von Soemberbaroe nach ihr gefragt?

Er sah sie erstaunt an.

»Rufen lassen? Ich habe dich nicht rufen lassen.«

Sie aber beharrte. Der Dalang habe ihr das Geld von dem Herrn gegeben, und darum wäre sie nach seinem Hause gegangen, gleich nachdem sie von dem Wajang habe wegkommen können.

Er erkannte plötzlich und sehr klar ihre falsche Auffassung seines Gedankens, und jetzt in der Erinnerung gewann auch jener Blick, der ihn unter den dunklen geschweiften Brauen und dem schwarz goldenen Stirnband mit dem Taumel des Rätselhaften umfangen hatte, eine völlig andere Bedeutung. Aber er begriff zugleich, daß sein Wunsch, sie sich selber zurückzugeben, mißverstanden werden mußte von einer Frau ihrer Rasse einem Manne wie ihm gegenüber, beinahe unvermeidlich, und das Bewußtsein seines eigenen passiven Anteiles an der Schuld eines ganzen Volkes nahm ihn hilflos gefangen in jener Schlinge, die der verhängnisvolle Zufall um ihn geworfen.

Naila schöpfte Mut aus seinem Schweigen und wiederholte kläglich ihre bittende Frage: ob sie ihm denn nicht in allem gehorsam gewesen? Hatte sie auch nur im mindesten widerstrebt, als er sie in der dunklen Allee in seine Arme genommen?

Er sprang auf von dem Stuhl, neben dem sie herabgeglitten war. Sie begann zu schluchzen, erst leise, dann immer heftiger. Er hörte es da, wo er, zum Zimmer hinausgeeilt, noch stand. In die Türe zurücktretend, sah er sie da ganz unglücklich am Boden liegen, den Körper vom Schluchzen erschüttert.

Zögernd sagte er:

»Ich werde dafür sorgen, daß du keine Armut zu leiden hast; du willst doch wohl zu deinen Eltern zurück und zu – zu deinem Kinde?«

»Meine Eltern werden mich nicht mehr im Hause haben wollen, und mein Kind, das ist ja – tot,« sagte Naila schluchzend, »wo soll ich denn jetzt hingehen?« Van Heemsbergen sah sie an und biß sich auf die Lippen.

Sie gewahrte den Ausdruck in seinen Augen.

Auf ihren Knien zu ihm hinrutschend, legte sie mit der feierlich flehenden Gebärde des Inländers ihre beiden Hände um seinen Fuß und preßte die Handflächen an ihre Stirn; und sie schmiegte sich an ihn, während sie ihr verweintes Gesicht und ihre Augen, die durch die Tränen hindurch wie Sterne blitzten, zu ihm aufrichtete.

Beinahe zornig half er ihr auf.

Von jenem Augenblick an hatte er von Wegschicken nicht mehr gesprochen.

Es war auch, als ob Naila durch ihre ganze Art und Weise, wie sie war und was sie tat, besonders aber dadurch, wie sie nicht war und was sie nicht tat, diesem energischen Beschluß jede Grundlage raubte; gleich als hätte sie es noch immer, als in van Heemsbergens Gedanken lebend, erraten, zwar eingeschlafen aber durch das geringste wieder aufzuwecken – und dann würde es unerbittlich sein – war sie in seinem Hause, als ob sie nicht da war. Ihr Dasein war ein immerwährendes Verschwinden. Unhörbar bewegten sich ihre nackten Füße über die Fliesen, den Laut ihrer Stimme, das Geräusch ihrer Hantierungen vernahm er nicht. Daß sie hier oder dort gewesen, bemerkte er nur an der zierlichen Ordnung der Dinge und an der Sauberkeit. Das schmackhaft bereitete Essen stand mit dem Glockenschlage auf dem Tisch, die Getränke waren kühl in einer soeben aus dem Eis geholten Flasche, seine Kleider waren in tadelloser Ordnung; wenn er ins Badezimmer kam, fand er dort, was er brauchte; der Staub, dessen Berührung er nicht ertragen konnte, war niemals auf seinem Schreibtisch oder auf seinen Papieren zu spüren.

Aber weder sah noch hörte er sie, es sei denn, daß er nach ihr rief. Unmerklich näher gekommen, stand sie dann da, die Augen niedergeschlagen. Sie hatte auf alles, was er sagte, nur die eine leise ausgesprochene Antwort:

»Ja, Herr!«

Und war sogleich wieder verschwunden, während sie einen leichten Blumenduft hinterließ, der vielleicht dem perlengleich aus dem Blauschwarz ihres Haarknotens aufleuchtenden Jasminkränzchen entströmte, vielleicht auch den dünnen Gewändern, unter denen sich die feinen Umrisse ihrer zartgliedrigen Gestalt abzeichneten.

Schnell vergehend und lieblich wie dieser Duft war, widerstand er van Heemsbergen doch schon vom ersten Tage an. Aber allmählich gewöhnte er sich daran. Und nicht lange dauerte es, so atmete er freudig den weichen Duft ein, wenn er ihm ein einziges Mal zwischen den schweren Wellen ekelhaft süßlichen Syrupgestankes begegnete, der aus den geöffneten Pforten und Türen der Fabrik drang.

Einmal aber, als er Adas Bild, das auf seinem Schreibtisch stand, in den Händen hielt, bemerkte er auch daran einen schwachen Amberduft. Das machte ihn ganz krank. Gleich als habe er sich verbrannt, ließ er das Stückchen Pappe fallen. Dann nahm er es wieder auf, und ohne die Augen ansehen zu können, die ihm daraus entgegenblickten, schleuderte er es heftig hin und her und schloß es ein.

Es kam ein Brief von ihr, an demselben Nachmittag. Er ging damit zum Hause hinaus, durch den Garten und an der Biegung der Landstraße vorüber. Dort, wo von Kalimas, hinter Bäumen verschwunden, kein Schimmer mehr zu sehen war, erbrach er den Brief.

Sie antwortete auf seine damalige Klage über allzu wenig Zeit, als er an seinem Essay arbeitete. Jetzt waren darüber schon zwei Monate verstrichen.

»Darum kann ich mich auch so danach sehnen verheiratet zu sein, ich würde dir all die kleinen Arbeiten abnehmen, die du den Schreibern nicht anvertrauen kannst, ich übe mich schon jetzt darin.«

Er mochte jetzt nicht nach Hause zurückkehren. Vom Toko des Chinesen aus schickte er nach seinem Diener, er solle ihm seinen Handkoffer und seine Leibwäsche bringen, und ritt nach Soemberbaroe, wo er eine Woche im Hotel blieb und Frau Oldenzeel dadurch in Erstaunen setzte, daß er Abend für Abend zum Tee kam und schweigend ihr Gerede über Hermann anhörte, mit jener Runzel zwischen den Brauen, die sie schon längst an ihm kannte. Als er mit dem Präsidenten nach Kalimas zurückritt, war er mit sich selber darüber einig geworden, daß der Umgang mit einem indischen Mädchen in seinen Verhältnissen fast eine zwingende Notwendigkeit sei und mit seiner Liebe zu Ada auch nicht das geringste zu schaffen habe.

»Das ist wie Essen und Trinken, das einen Menschen in seiner Gehirntätigkeit und seinem Gemütsleben nicht stört,« sagte er laut zu sich selber, endlich die Formel findend, in der sich Widersprüche erklärend auflösen ließen – etwas guten Willen seitens des Formulierenden vorausgesetzt.

Nichtsdestoweniger mied er Naila nach seiner Rückkehr.

Und als ihm ein paar Tage darauf das Faktotum des Pflanzers berichtete, er habe in Langean Menschen gefunden, die über die inländische Frau Rattem und den Haushalt des alten Heuvelink, so wie er vor zwanzig Jahren gewesen, Bescheid wüßten, nahm er dies zum Vorwand, um für eine Weile in das Hügeldorf zu ziehen. Er erklärte de Bakker, daß er an Ort und Stelle sehen wolle, welche Gewißheit zu erlangen sei.

Es stellte sich heraus, daß es nicht viel war. Der eine konnte sich bei der Vernehmung auf nichts mehr besinnen, ein Zweiter behauptete steif und fest, daß der junge Heuvelink der Sohn einer inländischen Frau sei, die Rattems Vorgängerin gewesen; ein Dritter meinte dagegen, daß sie nach jenem ersten Sohn noch mehr Kinder von ihrem Herrn gehabt habe, und daß davon noch einige am Leben sein müßten. Indessen sprachen sie alle unbestimmt und versicherten immer wieder, daß sie nur das wiederholten, was sie von diesem oder jenem gehört, von wem, das wüßten sie selbst nicht mehr. Nur ein alter Mann, dem die andern eine gewisse Ehrfurcht entgegenbrachten – van Heemsbergen zerbrach sich nicht den Kopf darüber, was das wohl für einen Grund haben mochte – war sehr bestimmt in seinen Aussagen. Er erklärte, daß er Rattem schon als Kind gekannt habe und daß sie tatsächlich Heuvelinks vormalige Haushälterin und die Mutter seines einzigen Sohnes sei.

De Bakker zuckte seine kräftigen Achseln, als van Heemsbergen mit diesem Bescheide heimkam. Er sagte kurz:

» Er hat dem Kerl einen Taler gegeben, damit er Ihnen das alles sagen solle.«

»Er,« das war der noch immer unbekannte Erbschaftsjäger, der sich hinter Rattem verbarg. Die von einem Interessenten leichthin ausgesprochene Vermutung von der Existenz einer solchen Persönlichkeit war für den Pflanzer schon seit langem zu einer Gewißheit geworden, für die er mit seiner Seele und seiner Seligkeit gebürgt haben würde. Und er erschöpfte seine argwöhnische Findigkeit in allerhand Vermutungen über die Identität jenes Diebes durch zweite Hand. Zunächst hatte er den Vormund des Verstorbenen mit ihm identifiziert: er war es, der Heuvelinks Vermögensverhältnisse bis ins allergenaueste und allerverborgenste kannte. Es war natürlich, daß er seine Macht und seine Kenntnisse zu eigenem Vorteil mißbrauchte. Bis es ihm endlich klar wurde – nicht durch den Charakter des Mannes, denn für Beweise der Moral war er wenig zugänglich – sondern durch allerhand Nebenumstände, daß der Verwalter der Erbschaft und der, der nach ihr trachtete, zwei verschiedene Personen seien. Eine Weile blieb er erstaunt und unschlüssig wie ein Jagdhund, der, an etwas vorüberrennend, das er für eine Hasenspur hielt, ein wohlgenährtes Kaninchen in einem soeben zugesperrten vergitterten Käfig findet. Dann aber – auch genau so wie ein Jagdhund, der nach einem Augenblick des Überlegens die Nase in den Wind streckt und nach rechts und nach links laufend überall herumschnuppert, ob er nicht doch irgendwo den Hasen wittere, an den er nun einmal glaubt, – begann er, den Vormund ganz außer acht lassend, einen nach dem andern und manchmal auch zwei oder drei zugleich, alle diejenigen, die auf irgend welche Weise jemals mit den Heuvelinks in Berührung gekommen waren, zu verdächtigen und zu beobachten, indem er von dem Gedanken ausging, daß die »die nächsten dazu seien.«

Erstaunt und ärgerlich hörte van Heemsbergen Namen, von denen er es nicht verstehen konnte, wie jemand sie in einem Atem mit einer solchen Beschuldigung auszusprechen wagte.

»Sie kennen die Welt noch nicht,« sagte de Bakker, dem die Verstimmung seines »Anwalts« nicht entging. »In bezug auf die Moneten sind sich Jan, Piet und Klaas vollkommen gleich, das heißt: sie sind alle Spitzbuben.«

Seine Gründe zum Mißtrauen waren mannigfaltig und leicht wandelbar wie die Blätter auf einem Baum: Armut machte den Wunsch etwas zu besitzen erklärlich, Reichtum machte, daß der Besitzende noch mehr besitzen wollte; Geschicklichkeit in Geschäftsangelegenheiten war die Folge von wiederholtem Vonsichabschieben sogenannter Gewissensbisse, und aus dem Grunde auch das Aushängeschild eines Mannes, wie sie ihn suchten; eine Abneigung gegen finanzielle Mühen hielt er für einen dichten Vorhang für den Dieb, der dahinter saß; Handelsleute wußten ja immer um gute Kapitalsanlagen, Advokaten kannten die spitzbübische Art, sie in die Hände zu bekommen, Beamte konnten die Inländer nach ihrer Pfeife tanzen lassen, wenn es auf Zeugen ankam; jeder Umstand und jede Eigenschaft war verdächtig und ebenso alles ihnen Widersprechende.

»Sie kennen die Welt noch nicht,« wiederholte de Bakker immer wieder, während er van Heemsbergen mit einer gewissen gutmütigen Geringschätzung ansah. »Und vor allen Dingen kennen Sie Java noch nicht, mein junger Mann.«

Nach einem solchen Gespräch lag das Land in van Heemsbergens Phantasie da wie ein Kehrichthaufen und eine Kloake.

Was ihm aber absolut widerstrebte, weil es ihn, Gysbert van Heemsbergen, selber in den Schmutz stieß, das war, daß er die absolute Überzeugung von der Reinlichkeit seiner Sache nicht gewinnen konnte. Er hatte die inländische Frau Rattem gesehen, und die Erinnerung an ihre ruhigen Züge und den Stimmklang, mit dem sie mütterlich das Kleinste zu sich rief, das bei seinem Kommen erschreckt davongelaufen war, vermochte er nicht abzuschütteln. Wenn sie wirklich Pieter Heuvelinks Mutter war, dann würde er nicht das seinige dazu beitragen, damit ihr das genommen würde, was ihr zukam, mochte aus de Bakkers und seinen eigenen Interessen werden, was da wollte.

Eines Abends sagte er das dem Pflanzer ohne Umschweife.

Er stand unbeweglich da, bereit einer heftigen Attacke zu trotzen. Aber de Bakker blies ruhig seinen Rauch aus und blickte ihm aus halbzugekniffenen Augenlidern nach, als schaue er in eine sonnige Ferne, nach einem verschwindend kleinen Etwas.

»Und wenn sie nun wirklich die Mutter wäre, was weiter?« fragte er nach einem Augenblick.

Van Heemsbergen sah ihn sprachlos an.

» Wenn sie nun wirklich die Mutter wäre,« wiederholte de Bakker ruhig. »Und wenn ich wirklich so dumm wäre, ihr die Erbschaft zu lassen; was glauben Sie wohl, was so'n Mädchen, das in seinem ganzen Leben noch nicht hundert Gulden zusammen gesehen hat, mit zwei Millionen anfangen würde?«

»Das ist meine Sache nicht,« antwortete van Heemsbergen, »was ich zu beurteilen habe, das ist nur– –«

De Bakker streckte die Hand empor.

»Halt! Einen Augenblick! Sie gehen durch wie ein Pferd, das den Koller hat. Ich war noch nicht fertig – wenn der andere ihr wenigstens das Geld nicht abnimmt. Und das sehen Sie doch auch wohl ein, daß er das tut?«

»Jener Mann hinter den Kulissen ist nun einmal ein Hirngespinst von Bossing und von Ihnen. Wenn ich irgendwelche Beweise dafür hätte, daß er existiert –«

»Beweise! – Beweise! – Ich habe den Beweis, sage ich Ihnen, der Charakter des Inländers liefert ihn mir. Ja, das soll mir mal einer weismachen, daß ein Inländer solche Sache einfädelt! Aber wenn ich auf Ihren »gesetzlichen Beweis« warten wollte, dann könnte ich wohl lange auf mein Geld warten! – Sie sind noch mit Ihren Gedanken in Holland, Mensch! Wenn die Sache dort geschehen wäre, so würde ich sagen: »Sie haben vielleicht nicht so unrecht.« Aber wir sind nicht in Holland, wir sind im Orient, und hier geht's orientalisch zu. Rattem – wenn es denn Rattem sein muß – bekommt das Geld auf keinen Fall. Wie die Sache auch gehen möge, sie bekommt's nicht. Die Frage ist nur die: soll die Familie das Geld bekommen oder der eine oder andere Schuft? Dann sage ich: die Familie, Gott verdammich!«

Frau de Bakker, die auf einem langen Stuhl ausgestreckt lag, während sie mit ihrem Fächer spielte, dessen grünlich-blaue Pfauenfedern sie langsam hin und her schob, bemerkte beiläufig:

»Mein Mann sagt, »wenn sie die Mutter wäre« – um auf Ihre Beweisführung einzugehen, Herr van Heemsbergen. Aber ein jeder weiß natürlich ganz genau, daß sie es nicht ist.«

»Richtig. So ist's. Sie ist ebensowenig die Mutter wie Sie oder ich. Eine ganz gewöhnliche Kampong-Dirne, die vielleicht mal mit einem Stalljungen oder einem Gärtner des alten Heuvelink »gegangen« ist. – Und dann hat sie so einiges über seinen Haushalt erfahren, womit sie Leichtgläubigen weismachen kann, sie sei seine Wirtschafterin gewesen.«

»Ich glaube,« begann Frau de Bakker wieder in jenem leichten gleichmäßigen Ton, als glitte sie mit der Bemerkung über etwas hin, das ihr ganz zufällig zu Ohren gekommen, aber wobei sie sich nicht aufzuhalten wünschte, »ich glaube, daß Herr van Heemsbergen, wenn er in dem Kampong andere Fragen stellte, auch andere Antworten bekommen würde.«

Sie hielt ihre Hand gegen das Licht der Lampe und blickte auf die roten Linien zwischen den Fingern und nach den trübe-durchsichtigen Nägeln, wie Tropfen auf den Fingerspitzen; dann mit einem halben Lächeln van Heemsbergens Blick begegnend: »ich hätte vielleicht sagen sollen, wenn Sie durch einen andern fragen ließen. Sie haben doch einen Dolmetscher?«

So leichthin sie das Wort auch aussprach – nicht anders, als meinte sie den Javaner, der ihn ständig nach den Dessas begleitete – so erriet er doch, daß sie Naila meinte, und gleichzeitig an jenem halben Lächeln, daß sie ihm ihre Unabhängigkeit von jener konventionellen weiblichen Heuchelei zeigen wollte, die das Verhältnis von seinesgleichen zu Naila gleichsam totzuschweigen pflegt.

»Frauen lernen hier wohl freier urteilen,« dachte er.

Frau de Bakker, die durch Dritte um seine Verlobung mit Ada de Grave wußte, blickte ihn durch ihre gespreizten Finger hindurch an. Das Spiel mit ihrer Hand und dem Licht abbrechend, sagte sie lachend: »Ich würde jenen Dolmetscher mal zum Gesandten, zur Gesandtin befördern.«

»Ja gewiß!« rief der Pflanzer aus, »schicken Sie das Weib doch mal drauflos! Sie hat natürlich ihre Freunde im Kampong, in der Opiumbude, im Warong, im Tanzhaus, überall da, wohin Sie nicht kommen. Was wollen wir wetten, daß sie eine ganz andere Geschichte mit nach Hause bringt, als die, die der alte Kerl in Langean Ihnen vorgelogen hat?«

Van Heemsbergen blickte vor sich hin.

»Aber Mensch, was finden Sie denn dabei!« rief de Bakker aus, »das sind wieder mal Ihre holländischen Anstandsideen den Inländern gegenüber. »Wer im Dschungel ist, muß mit den Tigern heulen,« sage ich immer.«

»Es ist auf jeden Fall der nächste Weg zu der Gewißheit, die Sie so gerne erlangen wollen,« bemerkte Frau de Bakker, »und im übrigen glaube ich, daß Naila schon lange mehr von der Sache weiß als wir alle zusammen.«

»Warum sagt sie das so?« dachte van Heemsbergen, »ob sie sie am Ende hat aushorchen lassen?«

Er sah sich die elegante Frau daraufhin aufmerksamer an.

»Schon möglich,« antwortete er kühl und begann von etwas anderem zu sprechen.

Doch richtete er, als er an jenem Abend heimkam, an Naila eine Frage, aus der sie hätte hören müssen, was er meinte, wenn sie überhaupt etwas von der Sache Rattem wußte. Sie begriff ihn sofort. Obgleich sie mit ihrer Antwort zögerte, sah er das an dem plötzlichen, sogleich wieder erloschenen Aufglänzen ihrer Augen.

Am nächsten Morgen, als sie ihr Monatsgeld erhielt, bat sie um die Erlaubnis, den Passar zu besuchen. Das vorige Mal hatte sie nicht darum gebeten. Er erriet, was sie beabsichtigte, und daß sie seiner Zustimmung zu ihrem verschwiegenen Vorhaben gewiß war.

Und als sie ein paar Stunden später wieder heimkam und mit ihren unhörbaren Bewegungen und sittsam niedergeschlagenen Augen an ihm vorüberschlich, fühlte er, wie sich unter einem unentrinnbaren Zwang die Worte in seinem Munde formten, auf die sie wartete, wie er wohl wußte.

»Hast du Rattem gesehen?«

»Ich habe sie gesehen,« antwortete Naila scheinbar gleichgültig, ohne aufzublicken.

Sie verschwand.

Aber nach einer Weile kam sie wieder und sah sich um, als suche sie etwas.

Er sah, daß sie eine saubere Kabaja angezogen, ihr Haar glatt gestrichen und eine dünne Schicht Puder auf ihre Wangen gelegt hatte. Ein beinahe betäubender Duft umfing sie. Sie bückte sich nach einer kleinen kugelrunden goldenen Frucht, die aus dem Korbe gefallen sein mußte, mit dem sie soeben die Galerie betreten hatte. Dann begann sie zu sprechen, ohne wie sonst auf eine Frage von ihm zu warten, ein wenig verlegen noch anfangs, indem sie erzählte, was sie gekauft und was sie bezahlt habe auf dem Passar; allmählich aber wurde sie freimütiger, sprach von Rattems Mann, der eine Krisenscheide habe, eine wunderbare, so schön wie nicht einmal der Djaksar von Soemberbaroe eine besäße, und der damit prahlte, daß er bald noch reicher sein würde als der Regent.

Er antwortete nicht.

Und sie begann von Rattem selber zu erzählen, wie sie schon einige Männer gehabt habe, vor dem, mit welchem sie jetzt verheiratet sei, und wie sie eine Zeitlang im Hause eines Arabers gelebt, der noch jetzt in den Kampong käme, um sie zu besuchen. Dann ging sie auf Einzelheiten ein und sprach über die anstößigsten Dinge mit einer Schamlosigkeit, die durch ihre offenherzige Einfalt beinahe unschuldig wirkte.

Nachdem er ihr eine Weile unwillig zugehört, fragte van Heemsbergen, von einem plötzlichen Argwohn ergriffen:

»Du wiederholst doch nicht etwa das Geschwätz von Menschen, die Interesse daran haben, Rattem anzuschwärzen?«

»Eh!« rief Naila, »alle Erwachsenen und selbst die Kinder im Kampong wissen, wie Said Mohamad dort ein- und ausgeht.«

Er dachte nach. Wo Said Mohamad war – er wußte das – da war das Verderben.

Nach einer Weile sagte er, sich überwindend:

»Sieh doch mal zu, ob du vielleicht erfahren kannst, was er dort will.«

Naila wiederholte ihre unveränderliche Antwort auf alle seine Befehle:

»Ja, Herr.«

Aber diesmal war ein Klang in ihrer Stimme, der den unterwürfigen Worten eine andere Bedeutung verlieh.

Und dieselbe Veränderung zeigte sich von jenem Augenblick an in allem, was sie ihrem Herrn gegenüber tat und sagte.

Da Pieter Heuvelinks Vormund, der alte Hillemans, das Verlangen, er solle den Blutverwandten des Vaters Rechenschaft und Verantwortung ablegen, mit der Erklärung beantwortet hatte, daß die inländische Frau Rattem als die Mutter weiland seines Mündels, dessen Erbin sei, und er infolgedessen ausschließlich ihr Rechenschaft ablegen und die Nachlassenschaft aushändigen würde, kam es zu einem Prozeß vor dem Gericht in Batavia.

Der alte Hillemans, ein nicht zu unterschätzender Gegner, wie van Heemsbergen alsbald bemerkte, war ein Mann von jenem seltenen Schlage, von dem jede Generation von Kolonisten bei der Rückkehr ins Vaterland einige wenige Exemplare zurückläßt, Nachzügler des großen Haufens, Schwächlinge, vereinzelte Eigensinnige, die sich, indem sie sich immer weiter und weiter von ihresgleichen entfernen, allmählich mit dem Fremden anfreunden und dem Befreundeten sich entfremden, bis sie endlich, den Eingeborenen vollständig gleich geworden, auf einem schattigen Fleckchen still am Wege sitzen bleiben, wo die Fußspuren ihrer heimwärtskehrenden Kameraden von einst schon undeutlich werden im Staube.

Hillemans war einer jener Eigensinnigen.

Aus reiner Halsstarrigkeit stets einen andern Weg einschlagend, als ein jeder dachte – oder wünschte, wie er meinte – daß er einschlagen würde, hatte er eine vom Glück begünstigte Karriere bei der inländischen Verwaltung urplötzlich aufgegeben, um Kaffee zu pflanzen. Nachdem er im Verlauf von fünfundzwanzig Jahren, während deren er gepflanzt und geerntet, dreimal ein Vermögen zusammengescharrt und es dreimal wieder verloren, hatte er sich endlich mit dem, was ihm noch übrig geblieben war, ein Häuschen gekauft in einem kleinen Ort in dem Preanger, acht Tage nachdem er seinen Verwandten in Holland, die ihn schon nicht mehr zu den Lebenden zählten, geschrieben hatte, daß er jetzt in die Heimat zurückkehren werde. Der Anblick des Dampfers auf der Reede von Samarang hatte ihn aber plötzlich zu der Einsicht gebracht, daß er nicht mehr fort könne aus Indien, daß er dort festgewurzelt sei mit allen seinen Gedanken und seinen Gewohnheiten und daß Holland für ihn etwas so Fernes und Fremdes geworden wie der Nordpol. Jetzt, da er beinahe ganz auf inländische Art lebte in jenem Bambus-Häuschen, wo um ihn her einige braune Kinder heranwuchsen, war er so weit gekommen, daß er einen Widerwillen hatte gegen Holland, gegen holländische Menschen, gegen holländische Dinge, gegen alles, was holländisch war, und es verurteilte wie einer, der gänzlich außerhalb stand und auf einem Standpunkte, der unendlich hoch über dem holländischen erhaben war. In Streitfällen nahm er ohne Zögern stets die Partei des Inländers.

Er war also – de Bakkers Ansprüche kennend – schon von vornherein geneigt, in der abgearbeiteten und durch vielfache Mutterschaft welk gewordenen Dessafrau, die ihn einige Wochen nach dem Tode seines Mündels aufsuchte, das hübsche junge Weib wiederzuerkennen, das er vor zwanzig Jahren durch Heuvelinks Haus hatte hin- und hergleiten sehen, und de Bakkers Leugnen gab ihm die Gewißheit ihrer Identität. In wildem Zorn wappnete er sich, um das Recht der Inländerin gegen jenen holländischen Schurken zu verteidigen. Er nahm den tüchtigsten Anwalt von Batavia – Dr. Bossings besten Feind – den er damit beauftragte, alles, was aussagen konnte, herüberkommen zu lassen, und wäre es eine ganze Dessa, und er bezog selbst Zimmer im Hotel de l'Europe, während er Rattem mit Mann und Kindern in den Nebengebäuden einquartierte.

Van Heemsbergen, der sich nun endlich von der Rechtlichkeit seiner Sache überzeugt fühlte, traute seinen Augen nicht, als er die Zeugenschar sah, die die Gegenpartei ins Treffen führte, und den sowohl wegen seines Charakters als seiner Tüchtigkeit geachteten Advokaten, der die Verteidigung für Hillemans übernommen. Aber dies Erstaunen wandelte sich mit einem Schlage in Kampfeslust. Jetzt ward es erst der Mühe wert! und er zog vom Leder. Dr. Bossing sah es und war beruhigt.

Während er van Heemsbergen, der zur Erleichterung der vielfachen Besprechungen bei ihm wohnte, beobachtete, war ihm in den ersten Tagen angst und bange geworden. Langsam in seinen Bewegungen, kärglich mit seinen Worten, nur durch fortwährendes Anreizen und Aufstacheln aus seiner Apathie erwachend, erschien ihm dieser Mann, der bei dem gleichgültigsten Thema mit Paradoxen und zynischen Bemerkungen um sich warf und der stundenlang in der Dämmerung und im Dunkeln allein saß, die Menschen scheute und bei Tisch das eine Glas Wein nach dem andern trank, ohne auch nur um ein Atom lebhafter zu werden, wie ein Willenskranker, wie ein Invalide, schon vor der Schlacht kampfesunfähig. Er begriff nicht, wie in dem einen Jahr so vieles sich in solcher Weise hatte ändern können. Und hatte denn de Bakker, der ein solcher Menschenkenner war, nichts von alledem gesehen, was sich vor seinen Augen zutrug, daß er einen solchen Nichtskönner zu seinem Verteidiger ernannte? Er fragte danach und erhielt zur Antwort, daß solche Launen van Heemsbergen oftmals überfielen, daß sie aber nicht lange dauerten und daß er, Bossing, sobald dies nur erst vorüber, sich noch wundern würde über den Mann, der dann zum Vorschein käme.

Trotzdem er in dieser Weise darauf vorbereitet war, überraschte die plötzliche Wandlung ihn dennoch. Er war wirklich im höchsten Grade erstaunt. Der mutmaßliche Invalide zeigte jetzt solchen Mut und zugleich solche Umsicht, daß er selbst als altgedienter Veteran ihn zufrieden auf seinem Posten und an seinem Platz ließ.

Alsbald kam von der Gegenpartei ein Vorschlag zu gütlichem Ausgleich.

Van Heemsbergen, der nichts von Nachgeben hören wollte – er kämpfte nun um seine eigene Ehre und Genugtuung mindestens ebenso leidenschaftlich wie um die zwei Millionen für seinen steinreichen Klienten – sah mit ärgerlichem Erstaunen, daß Dr. Bossing einem Ausgleich nicht einmal ganz abgeneigt war. Mit seinen undurchdringlichen Zügen und den Augen, die hinter blitzenden Brillengläsern verschwanden, nickte der alte Advokat zustimmend trotz seiner erregten Beweisführung.

Frau de Bakker – der Pflanzer war auf Kalimas geblieben, da er jetzt während der Ernte nicht abkommen konnte – pflichtete van Heemsbergen bei und setzte ihren Vetter in Erstaunen durch die Heftigkeit, mit der sie es tat.

Der Prozeß hatte sie aus ihrer trägen Gleichgültigkeit aufgerüttelt. Ihr war es jetzt mehr um den Gewinn der zweimal hunderttausend Gulden zu tun, die ihren Anteil der Erbschaft ausmachten, als ihrem Mann. So wenig wie van Heemsbergen selbst wollte sie etwas von Nachgeben oder Teilung hören. Da sie dem Brief ihres Mannes entnahm, daß er im Begriff stand, sich von dem vorsichtigen Bossing überreden zu lassen, ging sie selber nach Kalimas, um ihm klarzumachen, daß er energischer auf seiner Forderung bestehen müsse.

Van Heemsbergen bekam vollkommen freie Hand.

Er weigerte sich, irgendein Abkommen zu treffen, welcher Art es auch sein möge, und stürzte sich in den wieder aufgenommenen Kampf mit solcher Leidenschaftlichkeit, daß sogar der kaltblütige Dr. Bossing davon angesteckt wurde.

»Ich bin nicht für Kompromisse,« sagte er, »alles oder nichts. Aber es wird alles sein.«

Er war seiner Sache und seiner selbst so sicher, daß er den Ausspruch des Gerichtshofes, laut welchem die Erbschaft seinem Klienten zugesprochen wurde, beinahe ruhig anhörte.

Drei Tage später war er auf dem Wege nach Langean, nachdem er sich de Bakkers überschwenglicher Dankbarkeit entzogen hatte, der auf die triumphierende Nachricht hin sofort herübergekommen war, um seinen Erfolg und »seinen Advokaten« mit einem Fest zu feiern, von dem Batavia dröhnen sollte.

Behaglich in den Wagen zurückgelehnt, mit dem der Pflanzer ihn an der Endstation der Lokalbahn abholen ließ, fuhr er nun denselben Weg hinunter, den er vor kaum einem Jahre als soeben erst ernannter außerordentlicher Hilfsaktuar bei dem Landrat zu Soemberbaroe, in einem schaukelnden, rüttelnden Postwagen mit häßlichen, schlecht gezäumten Zwergpferdchen zurückgelegt hatte. Er dachte daran, während er von den Höhen des Tjadas Ratoe herab den kleinen braunen Flecken wieder liegen sah wie an jenem ersten Tage, halbwegs zwischen den Hügeln und der großen Fläche von Cheribon.

»Wieder an den Ausgangspunkt zurückgekehrt,« dachte er, »aber mit einem Unterschied! Wir wissen jetzt, wohin wir nicht müssen. Das ist der Gewinn eines verlorenen Jahres, das als nicht gewesen zu betrachten ist.«

Er fühlte sich jetzt dem Glück so nahe, wie er ihm seit langer Zeit nicht hatte kommen können. Die Schnüre und Stricke, die ihm ins Fleisch geschnitten, hatten sich einer nach dem andern gelöst und waren abgefallen. Er war befreit von Naila, die, vielleicht getröstet durch ein unerwartet reiches Geschenk, mit dem größten Gleichmut gegangen war, ohne auch nur mit einem Blick oder einer Gebärde einen Protest zu äußern, den van Heemsbergen sogar sich selbst gegenüber totzuschweigen suchte. Er hatte seine dringendsten Schulden in Leyden bezahlt, er konnte Kalimas, wo er sich allmählich eingeengt fühlte wie in einem Gefängnis, für immer den Rücken kehren.

Während der schwermütigen Anfälle, unter denen er immer mehr gelitten, hatte er manchmal an seiner Zukunft und an sich selber zu zweifeln begonnen. Das war jetzt vorbei. Er hatte seine eigenen Kräfte erkannt, und zu dieser inneren Sicherheit gesellte sich jetzt auch die äußere: Dr. Bossing hatte ihm vorgeschlagen, sein Sozius zu werden.

Er hatte noch nicht definitiv angenommen, zurückgehalten durch ein Gefühl, das er selber nicht gut verstand oder zu verstehen versuchte – und das er in Ermangelung eines besseren »diplomatische Reserve« nannte; aber nichtsdestoweniger war er fest entschlossen, diese einzig dastehende Chance auf Reichtum und gesellschaftliches Ansehen zu ergreifen. Und seine Pläne für die Zukunft wurden auf jener Grundlage neu aufgebaut.

Nachdem er seiner Braut das verabredete Telegramm geschickt, hatte er sich sogar schon – wie um sich ein Unterpfand für sein künftiges Glück zu geben – ein Haus angesehen und sich die Vorhand geben lassen.

Unwillkürlich lächelnd rechnete er aus, daß sie jetzt innerhalb eines halben Jahres verheiratet sein könnten, sei es, daß Frau de Grave nach Adas soeben gefeiertem dreiundzwanzigsten Geburtstag dem Vormund ihrer Tochter gegenüber frei geworden, in die Ehe einwilligte, sei es, daß Ada, des allzu lang gefolgten Weges der Sanftheit und des Bittens endlich müde, seinem Bruder erlaubte, die nötigen Schritte zu einer Heirat pro procura zu unternehmen.

Er holte die Brieftasche zum Vorschein, in der ihr letztes Bild steckte. Das feine Gesichtchen in seiner Aureole von weichem Blondhaar schien ihm schmal geworden. Sie lächelte auf dem Bilde, aber es war jenes Lächeln, das er aus der Zeit nach ihres Vaters Tode kannte; – ein Lächeln über zurückgedrängten Kummer hinweg.

Leicht berührte er mit einem behutsamen Finger jenen empfindsamen Mund, gleich als könne er den Leidenszug hinwegstreicheln. Wenn er auf die vor drei Tagen abgeschickte Depesche nicht die Antwort bekam, die er verlangte, so würde er gehen und sich seine Frau holen.

Er steckte das Bild mit einer entschlossenen Bewegung wieder ein.

»So und nicht anders,« sagte er laut, und er blickte auf die blendende Landschaft – die hügeligen Felder, die bis in die Ferne hinein mit grünlich-blauen und goldenen Pflanzenflämmchen brannten unter der bläulichweißen Himmelslohe – gleich als habe von nun an auch darin etwas jenem »so und nicht anders« zu gehorchen.

Am Spätnachmittag erreichte er Langean und den Pasang-Grahan. Ein paar bekannte Gesichter nickten ihm aus der Vordergalerie zu; es waren Präsident Oldenzeel und seine Frau.

Es kostete van Heemsbergen Mühe, seine peinliche Überraschung zu verbergen, während er sie begrüßte, so jämmerlich hatten sich die beiden verändert in den wenigen Wochen, seitdem er sie zuletzt gesehen.

Oldenzeel war total abgemagert, die Haut hing ihm runzelig und schlaff über Hals und Wangen. Das Gelb, das seine Augen so entstellte, war jetzt beinahe braun; seine kleinen, stets so sorgsam gepflegten Hände waren verwahrlost, und die Kleider schlotterten ihm am Körper. Frau Oldenzeel, bei der man es nicht für möglich gehalten hätte, daß sie noch abmagern könnte, schien überhaupt keinen Körper mehr zu haben. Sie war wie ein Seelchen in einer dünnen Schale, und die fast allzu groß gewordenen Augen in dem schmalen Gesicht waren trübe wie von vielem Weinen.

Ganz gegen ihre Gewohnheit begann sie mit einer gewissen nervösen Hast ein Gespräch, in dem sie ihm in einem Atem zu dem glücklichen Ausgang seines ersten Prozesses und zu seiner soeben veröffentlichten Verlobung gratulierte.

Van Heemsbergen, der sich entsann, etwas von einem Pensionsgesuch seitens des Landrats-Präsidenten gehört zu haben, und der flüchtig an dienstliche Unannehmlichkeiten dachte, fühlte sich als Überglücklicher ein wenig befangen diesen beiden alten bekümmerten Menschen gegenüber. Aber die mitleidige Schamhaftigkeit vermochte der Freude darüber, daß er nun endlich sein Glück aussprechen konnte, nicht standzuhalten. Mit strahlendem Lachen nahm er den Glückwunsch an.

»Wir hoffen, innerhalb weniger Monate verheiratet zu sein,« sagte er, indem er ganz gegen seine bessere Absicht in einem Tone sprach, als müsse das für die Welt im allgemeinen und für die Oldenzeels im besonderen ein Grund zu großer Freude sein.

Und darauf begann er von Adas Liebe zu Indien zu erzählen, dem Erbteil ihres Vaters, von der mädchenhaften Art, in der sich ihre Begeisterung in allerlei Plänen und Überlegungen bezüglich »des Glückes der Inländer« äußerte, ohne zu bemerken, daß seine beiden Zuhörer nur scheinbar zuhörten.

»Ja ... ja ... ganz nett ... solch junge Mädchen,« sagte Dr. Oldenzeel ... »und Ihr Prozeß verdient auch einen Glückwunsch. Ja ... das haben Sie famos gemacht.«

»Die Sache war sehr einfach, wie Sie wissen – das heißt, sie würde es gewesen sein überall dort, wo es einen Zivilstand gibt. Aber darin lag hier ja gerade die Schwierigkeit. Ich hatte keine Beweise, es galt nur Suchen und Fragen und Aushorchen, und Sapin, der log, durch Wartan kontrollieren, der auch log, und die beiden mit Ardanji konfrontieren, der ebenfalls log. Ich habe es manchmal nicht fassen können, sie hatten nicht einmal ein Interesse daran, mich zu betrügen, es muß etwas sein, das in der Natur der Eingeborenen liegt ... und dann die Zustände im Kampong, die man so allmählich ergründet!«

Die Erinnerung an die Art und Weise, wie er sie ergründet hatte, ließ ihn plötzlich verstummen.

»Ja ... es ist dort gewiß nicht alles so, wie es sein sollte,« sagte Dr. Oldenzeel zerstreut. Er schwieg eine Weile; dann machte er sich mit sichtlicher Mühe von dem los, was seine Gedanken beschäftigte, richtete seine vorstehenden Augen auf van Heemsbergen und sagte: »Das wird Ihnen aber gut zustatten gekommen sein für Ihre Arbeit – für das Buch, das Sie über indische Rechtszustände schreiben wollen.«

Van Heemsbergen errötete leicht.

»Nun, eigentlich doch nicht so sehr – im Gegenteil, ich suchte in der Beziehung auch mehr nach Gewohnheitsrechten, Überlieferungen. Was ich fand, war etwas total anderes – und viel eher dazu angetan, mich von allen Illusionen über den Inländer zu kurieren, falls ich die jemals gehabt hätte. Ich stimme übrigens in diesem Punkt nicht mehr mit meinem Lehrer überein, Professor de Grave war ein unverbesserlicher Idealist.«

»So – ich habe nicht viel von ihm gelesen, wie Sie wissen. Es wäre nett, wenn Sie nach Ablauf Ihres Urlaubs wieder in Soemberbaroe angestellt würden, Sie wissen doch, daß Bartmans mein Nachfolger wird. Mit dem würden Sie sich gut vertragen, ein außergewöhnlich kluger Mensch, wie ich höre – und auch so sehr für die Studien eingenommen, Rechtsphilosophie usw.« – Dr. Oldenzeel deutete das Nichtausgesprochene durch eine unbestimmte Handbewegung an, – »all das moderne Zeug. Aber Sie kennen ihn gewiß, Sie sind mit ihm zusammen herausgekommen, wenn ich mich recht entsinne.«

»Ja, ich kenne ihn. Ich bin noch nicht so ganz fest entschlossen, ob ich wieder zur richterlichen Karriere zurückkehre« – van Heemsbergen sagte es ein wenig gezwungen, scheinbar widerwillig, »vielleicht lasse ich mich als Advokat in Batavia nieder.«

»Sieh da, sieh da, das hätte ich nicht gedacht, aber Sie haben recht, Sie haben recht, besonders da Sie ans Heiraten denken. Wissenschaft ist eine schöne Sache, aber man kann nicht davon essen, sage ich immer, erst müssen die Moneten da sein.«

»Das sieht ihm ähnlich,« dachte van Heemsbergen, ärgerlich über die Färbung, die sein eigener, stets in den Hintergrund gedrängter Gedanke durch Dr. Oldenzeels Worte gewann. Um ein anderes Thema anzuschlagen, fragte er nach seinem Freund Hermann.

Frau Oldenzeel bückte sich langsam nach ihrem Taschentuch, das unter den Tisch gefallen war, und der alte Herr begann mit den Fingern auf seine Knie zu trommeln.

»Wir ... wir erwarten ihn ... hier ... binnen kurzem,« sagte er endlich.

»Ich wußte nicht, daß er schon seinen Doktor gemacht hat, ich gratuliere Ihnen.«

»Er ... das hat er nicht... getan ... nein ... kch ... er ist... er hat kein ... Glück gehabt bei seinem Examen ... Seine Mutter und ich ... und er selbst ... auch, wir meinen, daß es jetzt wohl das beste sein wird, wenn er hierher kommt ..., unser gemeinschaftlicher Freund de Bakker wird ihn eine Weile in seiner Fabrik beschäftigen, für den Anfang.«

Frau Oldenzeel wischte sich verstohlen die Tränen ab.

»Alles, was mit der Landwirtschaft zusammenhängt, ist heutzutage doch immer noch das beste in Indien,« sagte Oldenzeel, während er einen schweren Seufzer ausstieß. »Der Dienst stellt jetzt doppelt so viel Anforderungen wie vor fünfundzwanzig Jahren, als ich anfing. Und dann die langsame Beförderung. Na ja –,« er machte eine Bewegung, als wolle er etwas beiseite und aus den Augen rücken, – »davon ist ja auch keine Rede mehr – wir haben auch schon an den Handel gedacht, aber bei den augenblicklich herrschenden schlechten Zeiten ... alle Effekten und Papiere gehen zum Teufel, sogar der Goerontaloe, von dem doch ein jeder glaubte, daß er wieder hoch kommen würde. Aber daran ist die Regierung schuld ... während Zucker, ... den wird man immer brauchen, nicht wahr?«

»Herr van Heemsbergen hat uns doch soeben erzählt, daß er sich vielleicht als Anwalt niederlassen wird,« sagte Frau Oldenzeel in ihrem schüchternen Ton.

»Ach ja, richtig, das war mir ganz entfallen. Sie haben recht, van Heemsbergen, vollkommen recht, Anwälte, die wird man auch immer brauchen.«

Er seufzte und starrte vor sich hin.

Frau Oldenzeel stand auf und berührte leicht seine Hand.

»Du wolltest mir ja noch die Statue zeigen, die ausgegraben ist, wie wäre es, wenn wir jetzt gingen, mein Lieber? Es wird sonst zu dunkel.«

Sie sprach von einem buddhistischen Heiligenbild, das erst vor wenigen Tagen in der Nähe des verfallenen Hindutempels ausgegraben war, und von dem Altertumsforscher, der es gefunden, als »die Göttin der begrenzten Weisheit« bezeichnet wurde. Es stand noch im Walde, von einer Wache gegen unbescheidene Neugierde beschützt. Die Oldenzeels waren gewiß die einzigen in der ganzen Umgegend, die es sich noch nicht angesehen hatten.

Er erhob sich langsam.

»Wie du willst, Marie.«

Und sie machten sich auf den Weg.

Oldenzeel ging langsamer und schwerfälliger als jemals in den Tagen seiner Korpulenz. Es schien fast, als werde er von der zarten kleinen Frau gestützt, die an seinem Arm hing. Als sie in der Waldallee verschwunden waren, empfand van Heemsbergen etwas wie eine Erleichterung.

Er nahm den gestörten Bau seines Luftschlosses wieder auf, während er nach dem westlichen Himmel schaute, der sich rings um die sinkende Sonne zu röten begann.

Der Wald, in dem das verlassene Landhaus verborgen lag, hob sich schon schwärzlich ab von jener Glut. Und auf dem kaum sichtbaren Dach, auf einem Pfeilerkapitel des Pavillons, in dem er seinerzeit den Landratssitzungen beizuwohnen pflegte, gewahrte er einen Streifen funkelnden Goldes.

»Nein,« dachte er, während er sich der endlosen Sitzungen entsann, endlos, obgleich der Djaksa es, durch den Jahre alten Wunsch des Präsidenten angespornt, in der Verkürzung der umständlich zögernden Antworten der Verhörten zu einer erstaunlichen Fertigkeit gebracht hatte.

»Nein – wahrhaftig komme ich nicht zurück und noch dazu mit der Aussicht, Bartmans zum Chef zu bekommen – das fehlte mir gerade noch. Während ich als Bossings Kompagnon ein freier Mann werde, und reich! In der Beziehung hat der Alte recht, man muß Geld haben, das ist die Basis für alles; aber an dem, was er auf dieser Basis erreicht, läßt sich der eine Mensch vom andern unterscheiden ... ich würde Macht darauf begründen.«

Die Sonne hatte während des Sinkens den Himmel in Brand gesetzt. Rings umher auf alle Bergesgipfel und steilen Wälder fielen jetzt die feurigen Funken, faserige Palmenkronen standen wie Fackeln am Himmel. In der Ferne, wo er dichter wuchs, stieg der Wald empor wie ein schwarzer Wall, der die Lohe des Himmels noch einen Augenblick zurückhalten wollte, bald aber mit aufflammen würde. Ein Abhang, auf dem der Reis in Blüte stand, begann plötzlich in duftigem Rot zu glühen, die dünnen Wasserläufe von der einen Terrasse bis zur anderen sprühten aus dem Ungesehenen empor; der braune Gipfel glühte. Die Hügel ringsumher, erst einer nach dem andern, dann gleich darauf Gruppe an Gruppe und Kette an Kette, fingen Feuer. Die Wolken wandelten sich in lange, schmale, purpurne Fische, die durch ein goldenes Meer schwammen, in Funken speiende Drachen, in Salamander, die in der Lohe spielten, in Schwärme karfunkelroter Vögel, die zum Zenith emporschwebten. Die riesenhafte Flammensphäre, die Sonne, brannte sich fest auf der Spitze des Tjeremai.

Jetzt troff alles von Rot. Lavafackeln, Blut, Rubinen, Rosen, Wein; eine Vision von Purpur ward die Welt.

Eine atemlose Weile stand sie so, in Lohe.

Dann war der äußerste letzte Glutrand der Sonne zu einem blendenden Tropfen verschmolzen, dort oben auf dem Berggipfel; er sank weg. Meilenweit fiel der Schlagschatten des hohen Kegels auf das Hügelland nieder, ein Keil luftigen Graus zwischen schon dunkelndem Purpur. Ringsum sanken die Flammen und erloschen. Zuerst auf den niedrigsten Gipfeln, dann auf den höheren und fernsten ward der Brand der Berge gelöscht. Der Himmel wurde ruhig. Über Rot und Gold tat sich ein zartes Grün auf, frisch wie eine Lenzeswiese und durchsichtiger als das stillste Wasser.

Ein schwarzer Punkt hob sich ab von dem Beryll, dann ein zweiter.

Als er die Hand, mit der er seine geblendeten Augen vor dem Sonnenuntergang geschützt hatte, sinken ließ, gewahrte van Heemsbergen diese beiden dunklen Punkte.

»Die Kalongs fliegen aus,« dachte er, und nach der Finsternis schauend, die der Wald rings um das verlassene Landhaus bildete, sah er etliche breit beschwingte Tiere daraus aufsteigen, die zuerst Erwachten von den Legionen lichtscheuer Schläfer.

Langsam auf regungslosen Schwingen trieben sie empor, als ob sie ohne die allergeringste Anstrengung, allein schon vermöge ihrer Leichtheit, durch die Lüfte schwebten, höher und höher noch empor, bis über die Region des Abendwindes, der gegen ihre weit ausgespannten Flügelsegel atmete, bis in die schwindelnden Höhen des Zeniths.

Jetzt kamen ihrer mehr. Ein Schwarm folgte, sich hierhin und dorthin verbindend, die ersten Einzelzügler. Aus jenem dunklen Hügel, der ein verfallener Palast war, von einem dichten Walde umschlossen, begann es wie eine düstere Rauchsäule aufzusteigen, die, sich äußerst langsam drehend, in die Höhe stieg, dicht und dunkel am Fuß, und die langsam breiter und durchsichtiger ward, bis zu dem wirbelnden Gipfel, wo sie auseinanderschwirrte und in Wolken forttrieb, hierin und dorthin, und schwarze Fetzen über den ganzen weiten Himmel breitete.

Und immer mehr, immer neue Wolken schwarz beschwingter Tiere stiegen aus ihrem verborgenen Palastnest auf. Es war als brächten sie die Nacht, vorausgesandte Schatten, die der kommenden Finsternis die Wege des Himmels bereiteten. Es wurde schwarz, wo sie schwebten. Schon begann am opalfarbenen östlichen Himmel ein einzelner Stern zu funkeln.

Van Heemsbergen folgte diesen schwarzen Vogeltieren mit den Augen; sie zogen seine düster werdenden Gedanken mit sich.

Er gedachte des Palastes eines königlich mächtigen Kolonisten – jetzt die verpestete Spelunke jener Ungeheuer.

Und plötzlich griff dieser Gedanke ihm in die Seele.

»So geht es und so wird es gehen mit allem, was wir hier in Indien tun – Reichtum, Zivilisation, Siege, Gesetze, Wissenschaft – es ist alles für kurze Zeit nur gebaut, und so wie der Palast jenes Millionärs, den jetzt auch der Allerelendeste voller Abscheu meidet, durch die fliegenden Hunde, so wird es durch den trägen Widerstand der Eingeborenen unterjocht werden. Indien ist stark! Wir sind dahin gekommen, wie Überwinder in ein erobertes Land, aber es dauert nicht lange, so werden wir unserer Besiegten Besiegte sein. Wir kommen in das, was wir für das Land des Orients halten, das Land der Pracht, der Poesie, der Kraftfülle, ein Land, stets so, wie es soeben während weniger Minuten in der untergehenden Sonne war. Es ist nicht wahr! Es ist nicht das »Land des Orients,« es ist der »Orient«, das versengte, verregnete, von Ungeziefer aufgefressene schmutzige Land, aus dem manch einer seinen Reichtum holen und dabei doch sagen möchte »es stinkt nicht«. Das Land der plattesten, elendesten, ungeheuerlich stärksten Prosa, unter der alles erstickt, was keine Prosa ist. Wissenschaft, Ehrgeiz, originelle Ideen: der Dreck von fliegenden Hunden fällt darauf nieder! Ist es noch nicht erstickt und vergangen, dann noch mehr darauf, noch mehr Schmutz, so viel, daß es niemals mehr zum Vorschein kommen kann, daß sogar niemand mehr weiß, daß es jemals dagewesen ist! Weiß ich doch, wie das geht.«

Er hielt inne, erschreckt, nicht begreifend, wie er plötzlich auf jenen Gedanken kam. War das denn wirklich wahr? Und er fühlte wie er von den Fingerspitzen bis zu den Zehen erstarrte, während er seine aufstöhnende Seele antworten hörte:

»Ja, es ist wahr!«

Schwer atmend saß er eine Weile da, regungslos.

Aus dem Hause drangen Geräusche, das Hinsetzen eines Stuhles auf der Hintergalerie, das Schließen einer Tür, jetzt eine Stimme, die etwas fragte, und darauf eine zweite, die antwortete. Ein Lichtschein fiel auf die Steinfliesen – es war sein Boy, der die Lampe brachte.

Van Heemsbergen stand auf. Er kämpfte wie gegen ein Alpdrücken.

»Es muß das Fieber sein, das wiederkommt,« dachte er. Er hatte in Batavia einen Anfall gehabt, der nachträglich beschaut, schlimmer gewesen war, als er ihm im Arbeitseifer jener letzten vierzehn Tage zum Bewußtsein gekommen. Er fühlte sich den Puls, der aber ging ruhig.

»Wie mag es nur kommen, daß ich mich mit einem Male so fühle? alles war doch gut.«

Er dachte nach, suchend.

Hatte die Niedergeschlagenheit der alten Oldenzeels ihn angesteckt? Nein. Seit sie dort auf jenem Waldweg verschwunden waren, hatte er nicht einmal mehr an sie gedacht: ein Junge, der nicht studieren kann, das ist ja auch nicht gar so tragisch, dann soll er halt die landwirtschaftliche Karriere einschlagen. Warum er nicht ebenso gut wie ein anderer? Was konnte es denn nur sein? Jene Bemerkung von Oldenzeel über seine Arbeit? Warum? Er hatte ja gar nicht die Absicht, sie liegen zu lassen! Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sollte Ada diese Idee etwa auch haben? Sie hatte noch niemals direkt geantwortet auf jenen Brief über das endgültige Ausscheiden aus dem Dienst – die Arbeit hängt doch nicht nur davon ab! Im Gegenteil. Als freier Mann werde ich mich ihr viel mehr widmen können, als wenn ich unter der Botmäßigkeit eines Chefs stehe. Und wenn das vielleicht in den ersten Jahren nicht geht, wenn ich zu viel mit Geschäftsangelegenheiten zu tun haben werde – später doch auf jeden Fall ... Ist es vielleicht, weil ich an jenes Geschöpf gedacht habe?«

Er unterbrach sein ruheloses Auf- und Abgehen in der Galerie, legte sich selbst die Frage vor und untersuchte sie vorsichtig, als betaste er eine schmerzhafte Stelle, die vielleicht eine eitrige Wunde war, vielleicht auch nur eine leichte Hautabschürfung; aber die Unempfindlichkeit seiner Erinnerung an Naila bewies ihm, daß der Schmerz, der an ihm nagte, nicht daher rühren könne. Er hatte sie vergessen, so wie ein wieder Genesener ein heißes Fieber vergißt.

»Es wird wieder einer meiner ›Anfälle‹ sein,« schloß er endlich achselzuckend. »Ich scheine die Dämmerung nicht vertragen zu können. Es packt mich immer um diese Stunde.«

Er dachte an viele solcher Stimmungen auf Kalimas, wenn er, allein in der immer dunkler werdenden Vordergalerie, die Beklemmung der toten Stunde in dem indischen Etmal empfand, der unsicheren, der gefährlichen Stunde, in der kein Geräusch ist und keine Erscheinung, in der, was des Tages ist, bereits gegangen, und was der Nacht gehört, noch nicht gekommen, und eine doppelsinnige Heimlichkeit alles verformt, so daß sogar das freundlich Bekannte fremd und halb feindselig erscheint, zu unbekanntem Bösen geneigt.

Und er empfand sie wieder, wie damals, jene bösartige Unsicherheit in seiner eigenen Seele, die sich aus seinem Hirn loslöste und die langsam alles ringsumher umfing und überwältigte, bis seine Gedanken, sein Wille, seine ganze Welt und seine Kräfte innerhalb dieser düsteren Enge gefangen waren. Er wischte sich den feuchten Schweiß von der Stirn.

»Ich hatte gedacht, daß das jetzt aus sein würde – und da ist es wahrhaftig doch schon wieder,« murmelte er.

Ein klirrendes Geräusch ließ ihn sich umschauen: der Boy brachte ein Tablett mit Gläsern und Flaschen herein. Der goldig-braune Sherry leuchtete im Lampenlicht.

»Nimm das fort!« rief van Heemsbergen plötzlich rauh.

Der Inländer blickte auf.

Er erkannte den Bedienten von Oldenzeel und gab ihm durch eine Handbewegung zu verstehen, daß er ruhig fortfahren solle.

»Nun würde ich doch wahrhaftig beinahe einem andern den Wein verbieten, weil ich mir selber mißtraue – Unsinn, »mißtraue«! Ich will nicht mehr trinken, wenn ich in einer solchen Stimmung bin wie jetzt, und ich werde es auch nicht mehr tun. Das ist auf alle Fälle aus – was auch weiter geschehen möge.«

Er stand auf und schritt die Stufen der Galerie hinunter, in die Nacht hinein.

Der volle Mond ging auf.

Der Wald auf den westlichen Hügeln, der so schwarz gewesen war im Sonnenuntergang, begann zu silbern. Eine perlengleiche Klarheit war am Himmel.

Er trank die dünne Luft.

»Jetzt ein tüchtiger Ritt, dann werden wir es schon überwinden.« Er befahl dem Bedienten, ihm sein Pferd zu satteln.

Der Boy brachte den Sydnier, der ein paarmal scheu zur Seite wich, vor einem Schatten auf dem schon weiß werdenden Kiespfad.

Während er in den Sattel sprang, fühlte van Heemsbergen den Schauder, der durch den schlanken Tierkörper fuhr.

»Jetzt habe ich genug mit ihm zu tun,« dachte er.

Der volle Mond war aufgegangen, rein und strahlend. Der weißlich leuchtende Weg schien mit dünnem Schnee bedeckt. Schwarz und scharf lagen die noch schrägen Schatten darüber. Es war blattstill. Kein Grashalm regte sich. Allmählich ruhiger geworden, setzte der »Sydnier« langsamen Schrittes seine Hufe in regelmäßiger Vierer-Kadenz zwischen das unbeweglich daliegende Weiß und Schwarz. Van Heemsbergen überließ ihn sich selber.

Er hatte sich der Dessa genähert.

Die braunen Häuschen in ihren dichtbelaubten Gärten lagen geschlossen, gleich als schliefen sie. Aber dennoch leuchtete hier und da ein mattes Lichtchen auf; und beinahe deutlich ließ sich dort aus der Stille eine summende Stimme vernehmen. Er versuchte sich vorzustellen, wie die Bewohner jetzt dort saßen rings um ein kleines Öllichtchen, einem lauschend, der mit eintöniger Stimme aus einer vergilbten Handschrift vorlas, und fühlte etwas wie eine Beklemmung des Abscheus, während er es tat. Er konnte sich über diese feindselige Empfindung keine Rechenschaft ablegen; aber er empfand sie um so stärker, je heftiger er sich von ihr loszumachen versuchte. Es war, als bewege er sich durch eine Atmosphäre abstoßender Elektrizität. Er blickte voller Haß auf jene Häuschen.

»Wenn ich in Holland wäre, würde es dann anders sein?« dachte er. Und er versuchte sich zurückzuversetzen nach Holland, nach Leyden, irgendwo auf den »Singeln« in einer Mittsommernacht. Aber das Gefühl des Hasses blieb ihm. Der Anblick altfränkischer Dächer, zweier über die Bäume herausragender Mühlenflügel und der Laternenlichter war wie eine Wunde in einer langsam schwindenden Empfindlichkeit. Und hinter den Bäumen und Laternen all jene Menschen – ihre Gesichter, ihre Hände, ihr Gang – unerträglich!

»Die Reaktion meines Erfolges natürlich,« dachte er bitter, »ich fühle jetzt zum ersten Male, was ich noch unzählige Male fühlen werde – das ist wenigstens zu hoffen! denn sobald ich es nicht mehr fühle, werde ich zum Teufel gehen – nur ihn, den niemand fürchtet, haßt auch niemand, und er braucht niemanden zu hassen. Wie sagt doch jener alte Dichter? »Was lebt, das lebt im Hasse.« Sie wußten es wohl schon vor Darwin und seiner Theorie über den Kampf ums Dasein, daß ein jeder eines jeden Feind ist – einer gegen alle, alle gegen einen ... Ich fühle mich jetzt außerhalb des Lebens; aber auch alle andern tun das; und sie beleben ihre Einsamkeit mit Schatten und Schemen, von denen sie sich selbst einreden und weismachen, daß es Menschen seien, Menschen, die um sie her existieren – und tun sehr gewichtig mit allerlei, wovon sie sehr wohl wissen, daß es nichtig ist. Hab' ich's denn nicht auch versucht? Mit meiner Absicht Bücher zu schreiben und mit Paris und mit Indien und mit der Arbeit von de Grave; und jetzt werde ich es mit dem Gelde versuchen, und ich weiß doch schon ganz genau vorher, daß das auch nichts ist. Das alles klingt so gediegen: Bossings Sozius, eine monatliche Einnahme von achttausend Gulden – gut angelegte Papiere, beizeiten nach Holland zurück – mich einer Tätigkeit widmen, die mir zusagt – jawohl! Und wenn ich das alles habe, dann werde ich doch genau so sein, wie ich jetzt bin – in einer Leere ohne irgend welchen Halt, ohne Boden unter den Füßen – allein – allein ...

Ein Seitensprung seines Pferdes, so plötzlich, daß er beinahe aus dem Sattel geflogen wäre, brachte ihn zu sich selber zurück. Ein Inländer, der geräuschlos an ihm vorüberging, hatte das scheue Tier erschreckt. Er brachte es zur Ruhe und schaute um sich her.

Er war durch eine breite Allee an einen offenen Platz inmitten schwerer Bäume gelangt. Wie ein Lache aus Quecksilber lag das Mondenlicht zwischen Ufern von Schatten. Ein dachloses kleines Gebäude ragte wie ein Riff mitten aus jener unbeweglichen Flut empor; er erkannte die Ruinen des kleinen Hindutempels im Walde.

»Wie bin ich in Gottes Namen hierher gekommen?« dachte er verwundert.

Von jenem Male her, da er, gelegentlich der Feste auf Kalimas, hier gewesen, entsann er sich eines Weges von diesem Fleck nach dem Pasang-Grahan – eines kurzen Weges sogar. Die Oldenzeels mußten ihn vor wenigen Stunden gegangen sein.

Das Pferd am Zügel führend, begann er danach zu suchen. Aber er konnte sich nicht orientieren, wie er aus Erfahrung wußte. Und nachdem er eine Weile vergeblich gesucht und immer wieder eine Bresche in der Dichtigkeit der Bäume irrtümlich für einen Weg gehalten, band er sein Pferd an einen Stamm und ging auf einen Lichtschein zu, den er zwischen den Stämmen schimmern sah, dort wo er meinte, daß die Wohnung des Wächters der Moslemschen Heiligengräber liegen müsse.

Es war kein Licht, sondern ein Feuer. In dem Schein sah er Haufen Erde zu beiden Seiten einer Grube aufgeworfen und etwas weißlich Schimmerndes hoch aufgerichtet am Rande: das Häuschen war nicht mehr da.

Er begriff, daß er an die Stelle der Ausgrabungen gelangt war und daß die Wächter, die hier das Feuer angezündet, sicher zurückkommen würden – es mußte wohl einer von ihnen gewesen sein, vor dem sein Pferd soeben gescheut – und beschloß, auf sie zu warten, lieber, als daß er allein seinen Weg aus dem Walde suchte und sich dabei vielleicht verirrte. Er fühlte sich auch so müde, daß es ihm schien, als sei er nicht imstande, auch nur einen Schritt zu gehen.

»Es ist doch das Fieber,' dachte er.

Die Idee, daß er krank werden könne, war ihm nicht einmal gar so unangenehm: sie brachte eine Vorstellung erzwungener Ruhe mit sich.

Er setzte sich auf einen Haufen Zweige und Reiser und blickte über das flackernde Feuer hinweg, auf jenes Weiße, das das Göttinnenbild sein mußte.

In dem tanzenden Schein, der es jetzt hier und dort beleuchtete, sah er ein flach hingestrecktes Knie, auf dem der andere Fuß ruhte, ein paar Hände in seltsamer Haltung, einen Teil des nackten Körpers, die untere Seite eines vollen Kinnes. Mit einer Handvoll dürrer Blätter ließ er die Flammen hoch emporschlagen, und halb sah, halb erriet er die Züge: langlinig, mit niedergeschlagenen Augenlidern, und auf der Stirne etwas wie ein drittes Auge, so schien es fast. Eine hohe Krone, in der Form einer Tiara nicht ganz unähnlich, umschloß die Schläfen. Der Schatten der vorgestreckten Hände und das Spiel der flackernden Flämmchen zuckten seltsam über das steinerne Antlitz; es war hin und wieder wie ein Schein von Leben.

»Merkwürdig, sie erinnert mich ein wenig an Ada,« dachte er einen Augenblick. Lag es in den regelmäßigen Zügen? – oder am Munde? oder an der kurzen Oberlippe? Es ließ sich nicht feststellen in diesem unbestimmten Licht.

»Ich wollte nur, daß die Kerls kämen,« dachte er ungeduldig, »wenn ich auch jetzt noch kein Fieber habe, hier bekomme ich es sicher.«

Er zog seine Uhr, es war halb neun. – Wie lange mochte er denn wohl geritten sein?

Er warf noch ein paar Reiser auf das Feuer und starrte hinein, die Ellbogen auf die Knie und das Gesicht auf die Hände gestützt.

Allerlei Gedanken fuhren ihm durch den Sinn – keine Gedanken eigentlich, sondern nur Fasern und Fetzen von Gedanken, halb begonnenes Grübeln, schon wieder vergessen, bevor er es noch richtig erkannt, und alles so qualvoll schmerzend.

»Wo habe ich doch schon einmal so gesessen?« dachte er plötzlich wieder ganz klar. »Ach ja, damals mit Bruneton! – Das war auch so ein Anfall, das entsetzliche Gefühl, zwischen Himmel und Erde zu schweben, ohne den geringsten Halt. – Und früher schon einmal – mit Hendricks hier auf dem Pasang-Grahan – das war auch so etwas. Und ...«

Die verworrenen Gedankenfetzen trieben wieder weg. Deutlich, scharf, einer nach dem andern, erschienen all' jene Momente, in denen er, so wie jetzt, an dem Rand einer schwarzen Leere gestanden, plötzlich, während Größe und Herrlichkeit ihm leuchtend aus der Ferne gewinkt hatten.

»War es denn niemals so, in Wahrheit?« dachte er. »War da denn wirklich nichts Hohes, nichts Herrliches? Und nur jene schwarze Leere? Oder ...«

Er wagte nicht weiter zu denken; ihm war es, als ob der folgende Gedanke – wie er auch sein möge – sein Lebensschicksal entscheiden müsse. Er fühlte die langsamen schweren Herzschläge in seiner Kehle, während er endlich laut sagte:

»Oder ist die Leere in mir? Nicht in der Welt, nicht in der Welt, nicht in der Welt – sondern in mir?«

Und in seinem Ohr erklang eine Stimme:

»Die Leere ist in dir.«

Es war totenstill um ihn her – oder vielleicht hörte er auch nicht? Er hörte nur, in seinem Inneren, die gleiche schon einmal vernommene Stimme:

»Die Leere ist in dir, du hast etwas verkehrt gemacht dein Leben lang.«

»Was?« er schrie es beinahe. »Was denn, in Gottes Namen?«

Es kam keine Antwort.

Er preßte seine Hände gegen das Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Werde ich wahnsinnig?« dachte er.

Er sah auf seine Hand – auf das Büschel Zweige – auf das flackernde Feuer – auf das Bildnis der Weisheitsgöttin –

Plötzlich eilte er darauf zu und griff nach den steinernen Pulsen:

»Ada, hilf mir, ich weiß nichts mehr! – Ich kann nicht weiter!«

Es schien ihm eine Sekunde lang, als blickten ihn die niedergeschlagenen Augen an. Ein aufblitzender und schwankender Feuerschein machte ihn schwindlig. Er ließ das Bildnis los und glitt zur Erde.

Halb bewußtlos fanden ihn gegen Morgen die Leute aus dem Pasang-Grahan, die, sobald sie sein frei am Wege grasendes Pferd gesehen, nach allen Seiten ausgezogen waren, um den vermeintlichen Verunglückten zu suchen. Sie trugen ihn auf einer in aller Eile hergerichteten Bahre nach Hause.

Frau Oldenzeel konnte auf ihre besorgten Fragen keinerlei Antwort aus ihm herausbekommen; er lag wie betäubt.

Sein Bedienter kam mit einer Depesche. Da sie wohl sah, daß er nicht daran dachte, sie zu öffnen, nahm sie sie ihm aus der Hand und las sie ihm vor:

»Ich komme, Brief folgt, Ada.«

Van Heemsbergen kehrte mit einer müden Bewegung das Gesicht der Wand zu.

»Das hat sie mir soeben im Walde auch schon gesagt. Aber ich kann sie ja doch nicht festhalten Und dann auch, mit all dem Feuer zwischen uns ...«

Er wurde schwer krank.

*


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