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II.

Vielerlei Wege

Eine Zeit kraftbringenden Glückes begann jetzt für van Heemsbergen.

Er freute sich an seinem täglichen Leben und an seinem eigenen Tun und Denken zu jeder Stunde; was ihm widerfuhr, tat ihm wohl; schlafen und wachen; die Sonne, der hohe Himmel und die Wolken, die großen Bäume längs des Weges und die braunen Hüttchen und weißen Häuser; seine Arbeit mit all ihren neuen Schwierigkeiten und Widersprüchen, die eigentümliche Luft im Büro, die singende Stimme des Djaksa, dann das Heimkommen am Mittag und der Anblick des gutmütigen Gesichtes von »Mefrou« Janssen, aus dem die Zufriedenheit ihm entgegenleuchtete; der Reistisch, den sie für ihn zubereitet hatte; die Siestastunde, wenn er vor Müdigkeit sogleich in Schlaf fiel, darauf das kühle Bad und bei Sonnenuntergang der Ritt in die Hügel; die langen Abende mit den Papieren und Büchern beim Lampenschein – das waren lauter erfreuliche Dinge, jedes zu seiner eigenen Zeit und an seinem eigenen Platze; allein schon dadurch, daß sie ihm widerfuhren, waren sie angenehm. Er fühlte in seinem Blut, in den feinsten Fasern seines Hirns, durch die die Gedanken schnell und klar wie Funken schossen, bis in die äußersten Spitzen seiner Finger, die in jedem Augenblick bereit waren, fest zuzupacken, eine frohe Allgewalt, die sich nicht zur Geltung zu bringen brauchte, weil alles bereits so war, wie es sein sollte und wie es vollkommen gut war und schön, ein auf sich selber beruhendes Glück, beständig, jeden Tag sich erneuernd und lebensfroh und läuternd wie die reine Sonne selber. Und jene Macht und Herrlichkeit kamen weder von Menschen noch von Dingen zu ihm, sondern sie waren in ihm, und von ihm breiteten sie sich aus über alles und verschönten alles, so wie ein überfließender Quell ringsumher mit seinem Schimmer und seiner feuchten Frische das Land verschönt.

»Ich bin endlich dort angelangt, wo ich hin wollte, ich habe meinen Weg gefunden, endlich, endlich. So oft ich das früher glaubte, ist es mir jedesmal wieder klar geworden, daß ich mich irrte, aber jetzt ist es so,« dachte er. Und wenn die Erinnerung daran in ihm auflebte, gedachte er zeitweise, nachsichtig und spöttisch zugleich, der vielen Irrfahrten, die sein jüngeres und unreiferes Ich durch Sackgassen gemacht hatte.

Anfangs hatte er Schriftsteller werden wollen. Alle Chancen und alle Möglichkeiten im Auge behaltend, hatte sein Vormund das Studium der Jura als die Bedingung gestellt, die ihn allein eine Zustimmung in der fernen Zukunft erhoffen ließe; und er war in den beiden ersten Jahren seiner Studentenzeit durch ein paar juristische Kollegien gebummelt, zwischen Perioden des Lesens und Perioden des Schriftstellerns hindurch. Er hörte auf die Paragraphen des Gesetzbuches, auf dessen Regeln und Ausnahmen, mit einem Kopf, in dem wie in einem Turmkämmerchen voll spielender Glocken der Klang von Versen zitterte und widerhallte; und an dem Rande des Diktats, das er mitschrieb, versuchte er Sätze zu konstruieren in dem Ton und Rhythmus desjenigen Schriftstellers, dessen Art ihm in jenem Augenblick am meisten zusagte. Er entwarf ein paar kurze Skizzen in einem harten gedrängten Stil, den er von Maupassant gelernt zu haben glaubte, und begann dann einen Roman, bei dem er sich halb unbewußt, halb absichtlich, Dostojewskis Einfluß hingab. Da er indessen die Welt nicht anders sehen konnte als mit Gysbert van Heemsbergens Augen, noch sie anders empfinden als mit dessen Gemüt, wurde die Darstellung, die er auf diese Weise von ihr zu geben versuchte, wie eine Hülle um einen luftleeren Raum. Mitten in dem breit angelegten Roman blieb er stecken und kam weder durch Kritisieren, noch durch Grübeln oder Träumen weiter. Als er endlich einsah, daß er zu Werke gegangen war wie ein Mensch, der ohne Empfängnis, ohne Schwangerschaft und ohne Geburt aus ein paar zerknitterten Kleidchen ein Kind erhofft, schloß er seine Bücher weg und versuchte aus eigner Kraft zu produzieren. Und es dauerte nicht lange, bis er das, was er für Kraft gehalten, als Unfähigkeit erkannte. Wie er auch versuchte, dies Bewußtwissen mit Wünschen und Glauben zu bekämpfen, das Ende war doch ein Bekenntnis vor sich selber; er hatte kein Talent. Eine Zeitlang drückte ihn dieses Bewußtsein. Es lag etwas Erniedrigendes darin, etwas, das ihn zugleich anklagte und verspottete; er war ihm als sei er, wohl wissend, daß er nur wenig begütert war, als Millionär aufgetreten und habe als solcher Versprechungen gemacht, die sich jetzt in nicht zu tilgende Schulden verwandelten. Um die Forderung nicht auf jedem bekannten Gesicht zu sehen, schloß er sich in seinen vier Wänden ein, lief bei einbrechender Dunkelheit durch die Straßen, blickte von weitem nach dem hellerleuchteten Klub und verschlief den halben Tag im Bett. Bis er eines schönen Morgens, als ein leuchtendes Blau durch sein Fenster grüßte und die Dächer an der gegenüberliegenden Seite der Straße ihm wie schimmernde Mohnblüten erschienen, plötzlich wieder eine Aufwallung von Lebenslust in sich fühlte und, die Decken von sich werfend, laut ausrief:

»Was für ein Unsinn! Als ob Romane schreiben das einzige in der Welt wäre!«

Er zündete mit seinem Manuskript ein Freudenfeuer an, eilte zu ein paar Freunden und bestellte sich einen Haufen Bücher, die er bei ihnen mit Randbemerkungen voll gekritzelt gesehen und deren Titel er bis zum heutigen Tage noch nicht einmal gekannt hatte.

Von den juristischen Kollegien, die er jetzt eifrig zu besuchen begann, reizten ihn von allem die, welche die Rechtswissenschaft als eine Sache der Moral und der Seele behandelten. Eine halb unbewußte Erinnerung an die Schemen, die in jenem mißglückten Roman den Platz von Männern und Frauen eingenommen hatten, trieb ihn in jene Richtung; all' sein Heil erwartete er jetzt von dem Studium der menschlichen Seele. Er las unzählige Werke von Schriftstellern aus der deutschen, französischen und englischen Schule, vertiefte sich in Lombroso, besuchte Gefängnisse, Hospitäler, Irrenhäuser und machte Vivisektionen an seiner eigenen Seele und an der seiner Freunde und Bekannten.

Aber auf die Begeisterung über eine neue Theorie folgte die Niedergeschlagenheit über eine neuere Kritik und den neuesten Gegenbeweis. Es schien ihm nach einer Weile, als sei hier noch keine Basis gefunden, die fest genug wäre, um ein Haus darauf zu bauen, und die Wunden, die Plagen und die Übel, die ihm von allen Seiten entgegengrinsten aus jenem Lazarett von Seelen, in das er die Welt sich allmählich wandeln sah, erfüllten ihn mit schauerndem Entsetzen; für solche Schmerzen konnte er der Wundarzt nicht werden. Er gab die Arbeit auf, die andern keinen Nutzen und ihm selber nur Schaden bringen würde.

Als er kurze Zeit darauf nach Paris ging, um die Hochzeit eines seiner Vettern mitzufeiern, eines jungen Diplomaten, der eine Erbin französischer Millionen heiratete, fühlte er sich durch den Kontrast mit jenem Elend zu dem Glanz des Luxuslebens umso mehr hingezogen. Der vornehme und ruhige Reichtum im Hause der Braut entzückte ihn. Die Männer und Frauen, die dort zusammenkamen, alle mit zierlichen Manieren und angenehm anzusehen, hatten jeder für sich irgend einen Reiz, durch Schönheit, durch lebhaftes Sprechen, durch den Illusionen erweckenden Klang eines historischen Namens, durch Talente, die sie in weiten Kreisen vieler Länder bekannt und geehrt gemacht hatten. Er fühlte sich an seinem Platz in diesem polyglotten Kreise von Lebensgenießern; er nahm sich gut darin aus. Beim Abschiednehmen fragte man ihn, ob er nicht – in jeder Hinsicht – dem Beispiel seines Vetters folgen und sobald wie möglich wiederkommen wolle. Er dachte ernstlich genug daran, voller Begeisterung an das Studium des Staatsrechts zu gehen, nachdem er das lang hinausgeschobene Doktorexamen bestanden und seine Bekannten, seinen besorgten Blutsverwandten und gewesenen Vormund und eigentlich auch sich selber mit einem »cum laude« überrascht hatte. Er arbeitete schon an einer Dissertation, die ihm als Geleitschreiben für die diplomatische Karriere dienen sollte, als er Professor de Grave, den Indologen, kennen lernte.

Da wurde alles anders. Was ihm bis dahin begehrenswert und einfach unentbehrlich erschienen war, wurde nun wertlos und gering in seinen Augen, Tand und Flitter, vergoldete Kinkerlitzchen, Spielzeug für erwachsene Kinder. Aber Dinge, die zu seinen Füßen gelegen hatten und über die er achtlos hingegangen war, wie über das Pflaster der täglichen Straße, stiegen empor und wuchsen prächtig in eine Sonnenhöhe hinein. Das Leben strahlte in ihrem Licht. Und er brauchte bloß die Hände auszustrecken, um das leuchtende Glück, das er wie eine Fatamorgana durch Wüstenweiten gesucht hatte, so viele Jahre lang, zu tasten, zu greifen, zu packen und fest zu halten.

Professor de Grave sprach über Indien. Er saß in dem Hörsaal, in dem so viele Gesichter – junge und glatte – durch das Leben sorgfältig gemodelte, in kritischer Nachdenklichkeit verschlossene, vor Begeisterung strahlende, in immer weiter werdender Beobachtung wachsende, knospende, blühende Gesichter – auf das eine Gesicht gerichtet waren, das sie alle bestrahlte; und er fühlte in sich selber all' das Nachdenken, all' das Wachstum, all' den Triumph von jedem einzelnen und von allen.

Und er lauschte in dem Studierzimmer, in der wohlumfriedeten Einsamkeit, in der Ideen wie lebende Wesen vor ihm standen und in den Augenblicken zufriedener Ruhe Gedanken hörbar wurden, jenen zartesten, innerlichsten und intimsten Regungen, die von Seele zu Seele klingen. Wenn er wieder auf die Straße kam, erschienen ihm die Häuser mit ihren Treppen, auf denen sich Kinder tummelten, erschienen ihm die Laternen seltsam und die »Gracht« mit ihrem schwärzlich-spiegelnden Glanz und die Menschen in ihren Alltags-Kleidern.

Er eilte in sein Zimmer, um mit dem mitgenommenen Buch seines Lehrmeisters wieder zurückzukehren in die Welt, die er jetzt als die seine erkannte – nach Indien, demselben Indien, an das er bisher nur gedacht hatte in Verbindung mit allzu rasch erworbenen Vermögen, dem Atjehkrieg und leberkranken Pensionierten, und das ihm jetzt wie das Wunderland des Orients erschien.

Ganze Nächte hindurch las er: Übersetzungen antiker Heldengedichte, Gesetze und Satzungen, Feldschlachten, Seezüge, Traktate, naiv unverschämte Gewinn- und Verlust-Tabellen der Ostindischen Gesellschaft, Hofgebräuche, Unterdrückung und Revolution, das Entstehen und Untergehen von Herrschergeschlechtern, stets wieder erneute Anstürme von unersättlichen Reichtumsuchern, Religionen, die zu den Waffen griffen und die weder überwindend herrschten, noch überwunden wichen. Es war Morgen, wenn er aufhörte: um ihn her alles rot und gold, Blutfarbe, Reichtumsfarbe, Sonnenaufgangsfarbe. Er sah nach dem prächtigen Himmel im Osten und dachte an das Morgenland; die Inselmenge im indischen Meer lag darin wie ein Gefilde treibender Gärten.

Woher kam doch dies Verlangen? Das Jahrhunderte alte, bis zum heutigen Tage noch nicht gestillte Verlangen des Abendländers nach dem Orient, halb verstanden und unwiderstehlich wie Heimweh, wie eine vorgeburtliche Erinnerung an die Wiege der Völker. Seht den Zug der Nationen, seht die Könige, die Helden und die Weisen aus dem Okzident dort hinziehen, wie sehnsuchtsvoll! Hin nach dem Orient, dem purpurnen Orient, dem Sonnenquell, der Völkerwohlfahrt, dem Ursprung von Religionen und Weisheiten, der Fontäne von Phantasien, wolkenhoch aufspringend! Alle suchen sie ihn, alle, die unter Kälte und Kargheit gelitten haben und unter dem Gedränge der Allzuvielen auf einem allzu kleinen Fleck und dem Zwang von notwendig harten Gesetzen und dem niemals zu schlichtenden Kampf gegen alles und alle, nur um der Existenz willen und der unerträglichen Eintönigkeit und der trübseligen Mühsal. Die Freude suchen sie, den prächtigen Reichtum, die Mannigfaltigkeit aller Dinge, die Weite, die Willkür ... Voller Leidenschaft und Begeisterung suchen sie. Haben nicht Griechen ihre Lehren und ihre Genügsamkeit vergessen auf Zügen nach der asiatischen Küste, wohin der Wein vergießende Gott auf seinem Pantherwagen triumphierend aus dem Osten gefahren kam? Konnte Alexander ruhen, bevor er die Sonne in Persien gesehen? Die Kreuzfahrer, die gingen, um das Grab ihres Heilandes zu befreien, sie wußten es wohl, daß sie ihre eigene Befreiung schufen aus Gräbern von gemauertem Stein und Leichentüchern aus Panzerstahl. Nicht allein um Seide und Gold, um Spezereien und Waffen von Damaskus segelten die Flotten von Venedig und dem nebelumhüllten Brügge aus, nicht allein darauf warteten die Hansastädte in langen Winternächten.

Mit der Fahrt nach Indien feierten Portugal, Spanien, Holland, Frankreich, England ihre Mündigkeit. Wenn Napoleon nur an die Kanonen und Gesetze der Republik gedacht hätte, würde er dann jemals einen Turban aufgesetzt und versucht haben, wie ein Kaftan auf seinen Schultern saß, statt der straffen Generalsuniform? Sie wissen es wohl – nicht mit dem Verstande, aber doch mit voller Gewißheit im Innersten ihres wenig gekannten Gemütes, – daß sie in Indien noch etwas anderes finden werden als reiche Ernten und hohe Gehälter, alle die Männer und Frauen aus unserer Zeit und aus unserem Lande, die dort hinziehen. Wenn sie das nicht wüßten, zu wie viel Dutzenden würden dann die Tausende zusammenschrumpfen? Und die ungezählten Mengen, die lebenslang auf dem Fleck verbleiben, auf dem sie entstanden, lassen sie nicht ihre Gedanken und Träume nach dem Morgenland ziehen? Wertlose Dinge, denen noch ein halbverflogener Wohlgeruch, ein halb verblichenes Farbenspiel anhaftet aus dem ursprünglichen orientalischen Reichtum, erscheinen ihnen wie Kleinodien. Nach dem Orient wie nach einem niemals gesehenen, niemals vergessenen Vorvaterland sehnt sich das, was in ihnen am schönsten ist, das, was träumt und wagt, was auf Abenteuer auszieht und stille Wunder erlebt, was auf des Sultans Lieblingsschimmel durch gefährliche Einsamkeiten galoppiert, die Geister umschließende Vase an die Brust gedrückt. Das, was heimgeht durch die schwarzmarmornen mit blutroten Rosen umkränzten Tore aus Tausendundeiner Nacht. Bis an die äußersten Grenzen und Strande der abendländischen Zivilisation wohnen stille Männer, die aus ihrer Bibliothek eine Welt gemacht haben; ihr Körper kommt nicht aus den Stadtwällen hinaus; aber sie suchen den Orient mit der Seele. Geduldig ein fremd klingendes Wort nach dem andern sammelnd, fügen sie die Sprache dieses oder jenes wilden Bergvolks zusammen, das plündert und totschlägt und das, in stinkende Schaffelle gehüllt, auf einem mittelasiatischen Hochplateau unter dem Sternenhimmel schläft. Sie verzeichnen die Taten von mächtigen Fürsten, die grausamer waren als Tiger und prächtig wie die Mittagssonne; sie kennen den Sinn von Zeremonien und Gebeten in den Tempeln des Buddha, des sanftmütigen Gottes. Und in den Dynamo-Stationen abendländischer Energie, in Neuyork, Chicago, London, Paris wandeln Träumer orientalischer Träume mit Zylindern auf dem Kopf und in europäischer Kleidung und gehen an der lärmenden Börse vorüber und an dem Hause, aus dem die Musik eines Balles ertönt, um auf einen zu hören, der orientalische Tiefsinnigkeiten, Okkultismus und Theosophie predigt ...

Van Heemsbergen blickte auf in die rote Morgenstunde, die das offene Buch in seiner Hand färbte. Nun hatte sie auch ihn befallen, die uralte, allgegenwärtige Sehnsucht. Er würde seinen Platz einnehmen in den unabsehbaren Reihen, er schritt mit im gleichen Schritt mit sichtbaren und unsichtbaren Reisegefährten auf dem Völkermarsch nach dem Orient. Und wie die vielen vor ihm und um ihn ihr Verlangen Kriegslust nannten oder Handelsgeist oder Entdeckungstrieb oder Frömmigkeit oder Energie oder Pflichtbewußtsein oder Neigung zum Bekehren, zum Zivilisieren, zum Regieren, so nannte er es seine Begierde nach Kenntnissen und nach der Rechtswissenschaft.

Nach Indien gehend, glaubte er als Jurist zu gehen.

Jetzt erschien ihm Indien, das Land, die Menschen und seine eigene Arbeit wohl als etwas ganz anderes, als er sich vorgestellt hatte, so völlig anders, daß diese Erkenntnis ihn sicherlich davon ferngehalten haben würde zurzeit eines begeisterten Entschlusses. Aber die neue Kraft, die über ihn gekommen war, trug ihn über alles das, was früher Steine des Anstoßes und Hindernisse für ihn bedeutet hatte, hinüber, so hoch, daß er es nicht einmal sah.

Nach den sieben langen Jahren der Vorbereitung, nach Annehmen und Empfangen aus der Hand geistig Überlegener, nach dem Zehren von Ideen, nach dem Leben aus zweiter Hand, war er in die Wirklichkeit, in die starke Zeit des Handelns hinübergetreten.

*

Schon am ersten Tage auf dem Büro hatte Dr. Oldenzeel, der als Präsident des Landrats von Soemberbaroe auch die wöchentlichen Sitzungen an den Hauptorten der beiden angrenzenden Ortschaften, Kaliwangi und Langean leitete, seinem neuen Hilfsaktuar klar gemacht, daß er nicht verpflichtet sei, den Sitzungen beizuwohnen.

Van Heemsbergen, der in seinem Eifer nicht genug zu tun bekommen konnte, antwortete, daß er auch ohne ausdrückliche Verpflichtung seinen Chef gerne sowohl nach dem Hauptort in den Hügeln als auch nach den »Kaboepaten« Kaboepaten = Wohnung des inländischen Hauptes, in der die Sitzungen abgehalten werden. der Strandgegend begleiten wolle; alles was er bei den Sitzungen über die Gebräuche, die Zustände, die Sitten und den Charakter der Eingeborenen vernähme, bedeute für ihn einen Gewinn.

»Ich stehe in der Steingrube, jetzt kommt es darauf an, daß ich so viel Blöcke für den Bau meines Hauses aushaue, wie ich nur irgend kann,« sagte er.

»Wie Sie wollen,« antwortete der Präsident nachgiebig. »Es gibt sonst wahrhaftig schon genug zu tun – Sie werden binnen kurzem schon die Erfahrung machen. Aber kommen Sie nur, kommen Sie nur!«

Jetzt ging van Heemsbergen regelmäßig mit. Der Weg war lang, sowohl in die Hügel hinein wie auch in die Ebene. Dr. Oldenzeel pflegte bei dem eintönigen Hufgeklapper des Pferdchens meistens langsam einzuschlafen.

Nach Kaliwangi war es zwei und eine halbe Stunde die Landstraße hinunter bis zu dem schlammigen, braunen Pfuhl, zu dem sich der von den Hügeln niederbrausende Fluß beim Ausströmen in die Ebene träge verbreiterte. Ein ganz primitiv zusammengefügtes Floß erwartete den Reisenden mit Wagen und Pferd, und der nackte Fährmann, der sich meist von seiner Familie und einem von hier oder dort aus dem Felde herbeigerufenen Helfer unterstützen ließ, stieß und zerrte es nach der gegenüberliegenden Seite.

Hier lag die Fabrik von de Bakker, Kalimas, und das inländische kleine Dorf, dem sie den Grund zum Fortbestehen und den Namen verlieh, ein Haufen schmutziger Hütten, provisorisch zusammengeworfen von dem Arbeitervolk, das in seinen freien Stunden dort aß und schlief und faulenzte.

Eine Strecke weiter die Landstraße hinunter dunkelten die hohen Waringins, die Kaliwangi überschatteten.

Um den Regenten von Kaliwangi, einen kränklichen alten Mann, der ein sehr kleines Haus bewohnte, nicht zu belästigen, hielt Dr. Oldenzeel die Sitzungen statt in der Wohnung des Regenten in einem chinesischen Toko Toko = Laden. ab.

Breit und viereckig, mit gekalkten Steinmauern und einem mit geteerten hölzernen Pfannen bedeckten Dach, mit Fensterscheiben und einer Tür, die mit einer Klinke und einem soliden Schloß versehen war, stand das Haus des Chinesen zwischen den leicht zerbrechlichen, aus Blättern und Schilf geflochtenen Inländerhüttchen. Vorne war der Toko, ein viereckiger Raum, mit einem Ladentisch in der Mitte, und ringsum, an allen Wänden entlang aufgestapelt, in Kisten verstaut, an Nägeln aufgehängt, in Vasen und Krügen und Blechbüchsen wohl verwahrt, ein mit hunderten von Namen nicht zu nennender Vorrat von allerhand, zwischen dem sich Käufer und Verkäufer nur mühsam bewegen konnten. Hinten befand sich der Raum, in dem der Chinese früher seine Familie hatte wohnen lassen, aber den er jetzt an die Regierung vermietete als Lokal für die Landratssitzungen. In seiner Kabaja, seiner Pluderhose und seinen dick besohlten Schuhen stand er, sich verneigend, auf der Schwelle und rieb sich lächelnd die Hände, wenn der kleine Wagen des Präsidenten angefahren kam.

Die Sitzungen auf Kaliwangi erwiesen sich als eintönig; immer und immer wieder handelte es sich um gebrochene Karrenkontrakte, die die Fabrik mit Inländern geschlossen; sie hatten den zum Ankauf von Zugtieren und Karren ausgezahlten Vorschuß für Kleider oder Festessen ausgegeben und waren, wenn die Erntezeit anbrach und das geschnittene Rohr des Transportes harrte, nicht gekommen. Das dunkle nachlässig gekleidete Volk der Beklagten mit den platten, stumpfen Gesichtern hörte gleichgültig die schon hundert Mal vernommene Verurteilung an.

Nach Ablauf der Sitzung kam der Chinese nochmals, um sein Kompliment zu machen.

Ob das Apollinaris-Wasser, das er durch den Boy hineingeschickt, dem Geschmack des Herrn Präsidenten entsprochen habe? Ob der Toewan Toewan = Herr. ihm gestatten wolle vorzuzeigen, was im Lauf dieser Woche angekommen – eingemachte Wildpasteten aus Lübeck, Champagner von Mumm, französische Kattune, dünne chinesische Seide, Zaumzeug, eine Eismaschine, Spiegel, Parfüms? Falls die Njonja Njonja = Frau. Präsident irgend etwas brauche – er habe es – er habe alles! Die »Njonja Besar« Njonja Besar = die große Dame. (Respektvolle Bezeichnung). von Kalimas ließe nichts mehr aus Cheribon kommen, nachdem er seinen Toko so vergrößert habe. Er verneigte sich noch lange, nachdem Dr. Oldenzeels Wagen auf dem Wege zur Fabrik verschwunden war.

Van Heemsbergen wollte nach Soemberbaroe zurück; der Chinese vermietete ihm seinen funkelnagelneuen »Buggy« mit einem Sidnier zwischen den Deichseln, der reichlich so schön war wie das Pferd von de Marre.

Nach Langean war es nicht sehr weit, aber die Anhöhen hinauf wurde die Fahrt doch schwieriger. Der Präsident konnte nicht daran denken, ohne zu seufzen: er schob des Morgens den Moment des Einsteigens immer wieder um fünf Minuten hinaus. Noch in Schlafhose und Kabaja, die entfaltete Zeitung in der Hand, tat er, als sähe er den kleinen Wagen mit dem kopfhängerisch träumenden Pferdchen und dem eingeschlafenen Kutscher gar nicht. Dann kam van Heemsbergen mit seinen großen festen Schritten, die über den Weg tönten; hastig stand der Präsident auf und ging in sein Ankleidezimmer. Wenn er dann zurückkam und an den Ärmeln des Singaporeschen Jacketts zupfte, die ihm schon jetzt an den feuchten Armen klebten, saß seine Frau meist mütterlich lächelnd da und plauderte mit »Hermanns Freund«.

Der fest eingeschlafene Kutscher wurde wach gerufen. Er schnalzte mit der Zunge und fuhr vor.

»Dann nur los in Gottes Namen,« dachte der Präsident, »jetzt fängt die Rüttelei von neuem an.«

Er tat sein Möglichstes, um so sitzen zu bleiben, daß er das Stoßen und Rucken auf dem immer steiler ansteigenden Wege nicht allzu sehr fühlte. An den steilsten Stellen stieg van Heemsbergen aus.

»Die Pferdchen haben sonst wohl allzu schwer zu ziehen.«

Er suchte sich eine Stelle aus, die er für Ada photographieren wollte, und pflückte eine zartblättrige Rose oder eine Orchidee, weiß und flaumig wie eine Schneeflocke mit einem blutigen Tropfen Karmin im Herzen, um sie in seinen Brief zu legen.

Dr. Oldenzeel sah sich den langbeinigen Spaziergänger an und gedachte mit einem Seufzer der Tage, da er selbst noch Taille hatte und »hitze-fest« war.

Der Weg nach Langean gleicht einem wilden unartigen Kind, das, heimlich davongelaufen, sich rasch umsieht und dann zu rennen anfängt, sobald es um die nächste Ecke ist. Eine Zeitlang nähert er sich langsam den Hügeln. Rechts und links liegen, in breiten Stufen emporsteigend, die besäten Abhänge, auf denen das stehende und das absickernde Wasser zwischen dem jungen Reis leuchtet, und funkeln wie grünkristallne Terrassen im Sonnenschein; sie nähern sich einander, bis sie einer schimmernden gläsernen Wand gleichen, gegen die der aufsteigende Weg wie eine Sackgasse auslaufen muß; aber ganz schmal windet er sich hindurch und nimmt seinen Lauf, klimmt, klettert, gleitet aus, springt wieder auf, hastet weiter, weg von der Ebene und den Feldern, in die Hügel hinein, Anhöhen hinauf, Anhöhen hinunter, bis zu der steilen Höhe von Tjadas Ratoe, wo die Wälder beginnen. Hier ist es noch kühl, wenn die grün-blaue Ebene dort unten schon unter der Morgensonne erglüht. Eine reine dünne Luft fährt schaudernd durch das Laubwerk. In Quellen, in kleinen Fällen, in starken Strahlen sprudelt und spritzt weißes schaumiges Wasser hervor. Die Hügelspitzen in der Ferne und der Horizont haben Färbungen so kühl und so klar wie strahlende Edelsteine: Opal, Amethyst, Beryll, Saphir, Topas. Und der Sonnenschein ist nicht Hitze, sondern nur ein klares, gelbes Funkeln.

Von diesem Gipfel steigt der Weg wieder hinab, aber jetzt ganz sanft, und er schlängelt sich durch ein Dorf, wo die Häuser zwischen leuchtend blühenden Zitronen und purpurroten Djamboebäumen stehen; an der Wohnung des Regenten entlang, die, zierlich und neu, an der Stelle der abgebrannten Kaboepaten sich erhebt und nach einem verlassenen Landgut und dem kleinen Pavillon vor der Auffahrt, wo der Landrat seit jenem Brande seine Sitzungen abzuhalten pflegte.

Es war seinerzeit eine Beamtenwohnung gewesen, die von den inländischen Bewohnern, so gut und so schlecht wie es gehen wollte, in Stand gehalten worden war, während die andern ringsherum zerfielen, eine nach der anderen untergraben durch weiße Ameisen, weich geworden durch die Regen des Westmonsuns, geschüttelt und endlich umgeworfen von den Kenteringstürmen. Von dem Hauptgebäude, das mit seinen geschlossenen Läden in einem immer dichter und höher wachsenden Walde stand, den der Wind gesäet hatte und die Vögel, hatten Fledermäuse Besitz genommen. Von weitem schon konnte man ihre Schildwachen und ihre Posten sehen, die Bäume sahen ganz dunkel aus. Den Körper und die gewaltigen Flügel zu schwarzen Klumpen geballt, hingen sie, den Kopf gesenkt, mit der Klaue an einem Zweige, wie seltsame häßliche Früchte.

Die nach Jahr und Tag aufgetauchten entfernten Anverwandten des Sonderlings, der durch Kaffeeplantagen nutzlos reich geworden und einsam gestorben war, hatten wohl versucht, die Fledermäuse von dem Grundstück zu verjagen, auf das sie von ihrem hinterwäldnerischen Nest aus Anspruch erhoben hatten; aber die Kalongs hatten sich ihnen als zu stark erwiesen.

Der erste, der durch die aufgesprengte Tür eindrang, brach auf der Stelle zusammen, überwältigt von dem pestartigen Gestank, der ihm entgegenschlug. Nur zwangsweise konnten die Eingeborenen dazu gebracht werden, sich so dicht heranzuwagen, daß sie die Tür wieder zuwerfen konnten. Dann hatten sie durch die Fensterläden blindlings hineingeschossen, und ganze Hagelladungen auf die zusammenhockenden, schlafenden Tiere abgeschickt. Kreischend, zu zwanzigen und hunderten zugleich, brachen sie jetzt durch die Breschen des halb eingestürzten Daches. Eine jammernde Wolke stieg aus dem Hause auf. Die ganze Umgegend wurde heimgesucht von einer Plage schwerfällig niedersinkender Ungeheuer, die die Fruchtbäume wie mit schwarzen Tüchern behingen und bei ihrem Wegfliegen nichts als kahle, schmutztriefende Zweige hinterließen. Und nichtsdestoweniger schien es, als hätten in dem verlassenen unzugänglichen Hause noch Tausende Stand gehalten, nachdem schon Tausende daraus entwichen waren, in Schutt und Dreck nistend, Junge werfend und sich mit jedem Tage vermehrend. Allmählich kamen auch die verjagten zurück, in größeren Schwärmen und von neuen Schwärmen begleitet. Endlich mußten die Erben den Kampf aufgeben. Sie räumten das indische Feld, überließen das Hauptgebäude den Fledermäusen und versuchten sich mit dem kleinen Pavillon zu trösten, den sie für einen exorbitanten Preis an die Regierung vermieteten.

Dr. Oldenzeel hielt sich ungern dort auf. Er fühlte bei dem wärmsten Wetter Kälte und Durchzug, und es roch nach Schimmel. Wenn er den Rheumatismus, den er so sehr fürchtete, wirklich bekäme, dann würden die Sitzungen auf Langean Schuld daran sein. Er erledigte die Arbeit stets so rasch wie möglich. Gleich nach Ausspruch des Urteils stieg er wieder in seinen Wagen und fuhr nach Soemberbaroe zurück.

Van Heemsbergen dagegen hielt sich gern in der dünnen, feinen Luft auf den Hügeln auf. Er freute sich an dem blütenreichen Dörfchen, an der zierlichen Tracht der Dessahleute, an ihrem elastischen Gang und ihren hellen Augen. Was er in den Sitzungen von ihrem Charakter und ihrer Lebensweise kennenlernte, war ihm sympathisch. Es lag etwas Kühnes und eigentlich Unschuldiges, sogar in ihren Freveltaten. Sie zogen zum Stehlen aus, wie sie zum Jagen auszogen, wohlgemut, nicht ohne vorhergehende Großsprecherei und stark im Vertrauen auf ihre Schutzgeister, die sie in seltsam klingenden Beschwörungen anriefen. Staunend bemerkte van Heemsbergen, wie hier in den Hügeln die Körper und die Seelen so viel frischer waren als in der Ebene, wo die Fabrik lag. Er äußerte das eines Tages Dr. Oldenzeel gegenüber:

»Es wäre interessant, das einmal auf seine Ursachen und Folgen hin zu prüfen – eine vergleichende Studie der verschiedenen Milieus zu machen und zu sehen, inwiefern sich der Unterschied in den Sitten und Gebräuchen und vor allem im Gewohnheitsrecht dadurch erklären ließe,« sagte er, unwillkürlich die Worte wiederholend, die er soeben erst in einem Brief an seine Braut niedergeschrieben hatte.

Der Präsident blickte unruhig von dem Urteil auf, das er schwitzend und seufzend aufzustellen versuchte.

»Das inländische Gewohnheitsrecht, das ist so was, hm –« er machte eine unbestimmte Bewegung, die Unsicherheit andeuten sollte ... »hier ist es so, und dort ist es anders ...«

»Natürlich, ich möchte aber gerade gern wissen, warum und aus welchen Gründen es hier so und dort anders ist,« antwortete van Heemsbergen. »In seinem Werk über die Unterschiede in den Rechtszuständen auf Java – ich glaube in der Einleitung, sagt de Grave ...«

»Jawohl, jawohl, ich weiß, das ist der Mann, über den ich mal etwas gelesen habe in irgendeiner Zeitschrift. Alles sehr gut und schön – aber hier haben wir für solche Liebhabereien keine Zeit – hm! – Studien, Studien, wenn Sie wollen, aber doch lauter Theorien. – Zimmergelehrtheit, wissen Sie. Dazu ist Indien nicht das Land. Und dann hier auf Soemberbaroe! Ich habe noch nirgends so viel zu tun gehabt wie hier!«

Dr. Oldenzeel hatte seinerzeit, als er in Tjisoemi und in Madjik und in Mangoendjaja und in Tjilengka als Hilfsaktuar angestellt war, genau dasselbe gedacht. Aber das wußte er schon längst nicht mehr. Und jetzt war er vollkommen davon überzeugt, daß es auf ganz Java nirgends mehr zu tun gab als in Soemberbaroe. Allen, die es hören wollten, versicherte er, daß »hier in der Gegend«, mehr gestohlen, geraubt, geplündert, Opium geschmuggelt, Kontrakt gebrochen und mit Messern gestochen würde als sonst irgendwo in Indien, und daß man noch dazu mit einer solchen Virtuosität lügt, daß für jedes Verbrechen mindestens ein Monat Untersuchung und drei Sitzungen nötig seien, um dem Schuldigen seine Tat nachweisen zu können. Und auf Langean und Kalimas sei die Moral nicht viel besser, das differiere nur um ein paar Schurkenstreiche monatlich. Es sei für den Richter ganz unerträglich.

»Ich habe schon mal von den Rückständen gesprochen, die ich hier vorgefunden habe, ein Haufen Arbeit, abgesehen von dem, was wir sonst noch zu tun haben, – haben Sie sich das schon mal angesehen, Herr van Heemsbergen? ... Stegemans, geben Sie die Akten mal her, dort vom obersten Brett.«

Der Schreiber kletterte auf einen Stuhl, griff mit beiden Armen in einen Schrank hinein und brachte einen Stapel Akten zum Vorschein, aus denen eine braune Staubwolke aufstieg, als er sie auf den Tisch warf.

»Sehen Sie bloß mal her,« sagte Dr. Oldenzeel – er nahm das oberste Blatt in die Hände und ließ es wieder los, während er sich den Staub von den Fingern blies – »da haben wir jetzt Sachen von ...« er hob vorsichtig die vergilbten Blätter auf, zwischen die die Bücherbienen schon überall ihre mikroskopischen Nester geklebt hatten, und schielte hinein: – »von vor ein bis zwei ... von vor vier Jahren sind dabei, da heißt es zugreifen – eine reizende Erbschaft, die ich da bei meiner Ankunft von meinem Vorgänger vorgefunden habe.«

Van Heemsbergen besah sich den Stapel.

»Erblasser von dieser Sorte müßten pensioniert werden, bevor sie es zu einem solchen Inventar gebracht haben,« sagte er kurz.

»Sie haben gut reden – dafür kann niemand etwas – er hat auch keine reine Bahn gefunden, als er kam.«

Van Heemsbergen hatte jetzt seinerseits den Stapel durchblättert, mit der raschen und resoluten Bewegung eines Menschen, der genau weiß, was er sucht und wie er es zu suchen hat. Es waren lauter Zivilsachen, die da auf ein nach dem inländischen Gewohnheitsrecht ausgesprochenes Urteil warteten, gerade die Arbeit, die er sich wegen des Studiums in diesem Recht von Anfang an gewünscht und die er bisher noch nicht, oder doch kaum zu tun bekommen hatte.

Dr. Oldenzeel war unlösbar an die Gewohnheit gekettet, die die unter das holländische Recht fallenden Strafsachen vorgehen läßt.

»Wenn ich mal« ... begann er.

Der Präsident fiel ihm ins Wort.

»Vorläufig nicht, vorläufig nicht – wir haben zu viel, was sogleich erledigt werden muß – alles zu seiner Zeit! Ich wollte es Ihnen nur mal zeigen, damit Sie einen Begriff bekämen von dem, was wir noch zu tun haben – es brauchen wahrhaftig keine Extrasachen mehr hinzu zu kommen! Stegemans, legen Sie den ganzen Plunder mal in die Sonne, damit er auslüftet. Es kommen Tiere hinein, wie ich sehe, und wenn wir nicht aufpassen, werden sie alles aufgefressen haben, bevor wir überhaupt damit anfangen können. Und dann wieder an den alten Platz, hören Sie, da ganz hinten, aufs oberste Brett!«

Der Präsident hatte diesen gut versteckten Aufbewahrungsort ein paar Monate nach seiner Ankunft in Soemberbaroe ausgesucht, als es ihm klar geworden war, daß er sich der rückständigen Arbeit fürs erste doch nicht würde widmen können. Warum sollte er denn ein vorläufig nicht aus der Welt zu schaffendes Ärgernis stets vor Augen haben?

Zwar hatte er immer wieder seufzend zu van Heemsbergens Vorgänger, Floris, gesagt:

»Wir müssen sehen, daß wir in dieser Woche ein gut Teil davon erledigen,« und der Indo hatte ihm jedesmal wieder geantwortet: »Jawohl, Herr.«

Aber im Laufe der sechs mit Sitzungen und Büroarbeiten überlasteten Tage war in seinen willigen Gedanken »das gute Teil«' stets zu ein paar Akten, manchmal zu einer einzigen und oft genug zu nichts zusammengeschmolzen. Und während dessen hatte man neue Sachen auf den alten Haufen gestapelt, die somit gleichfalls rückständig wurden. Es ging damit wie mit den gelben Lehmtürmchen der weißen Ameisen, die überall aus den Fugen der Steine in seiner Vorratskammer hervorstaken; wenn man sie in einer Ecke zertrat und Petroleum in die Löcher goß, um die wühlenden Insekten zu vertreiben, waren sie am nächsten Morgen um so zahlreicher in einer anderen Ecke zu finden. Die Unausrottbarkeit von weißen Ameisen und von Rückständen hatte der Präsident allmählich als ein Naturgesetz anzusehen gelernt, das in seinem Wesen unergründlich, in seiner Wirkung aber mit absoluter Sicherheit zu berechnen war. Und endlich hatte er sich darein ergeben. Mehr als sein Möglichstes konnte niemand tun, und daß sich Eisen nicht mit Händen brechen ließ, das war eine längst feststehende Tatsache. Er trug nicht die Schuld an dem Rückstand; so wie er ihn von seinem Vorgänger übernommen hatte, so würde ihn sein Nachfolger von ihm übernehmen – an einen jeden kam die Reihe!

Das versuchte er seinem neuen Hilfsaktuar klarzumachen. Daß es ihm nicht gelang, das machte er der Unerfahrenheit des jungen Mannes im amtlichen Leben und seinem unbesonnenen Glauben an die eigene Kraft zum Vorwurf.

»Der akademische Wein ist in ihm noch nicht ausgegoren,« sagte er, indem er einen Ausspruch wiederholte, den der Doktor über den neuen Bewohner von Soemberbaroe getan hatte.

Mit diesem nämlichen Zustand jugendlicher Unreife erklärte der Präsident auch van Heemsbergens Widerspenstigkeit gegen alte Gebräuche und Gewohnheiten, die festen Reifen um so viele Fässer voll schäumenden Saftes. Immer wieder versuchte er aus den eisernen Bändern zu springen. Der Präsident konnte ihm nur selten die gewünschten Aufklärungen geben, nach denen er selber nie gesucht hatte, weil er niemals das Bedürfnis danach empfunden. Mit dem Worte »Gebrauch« hatte er sich von Jugend an begnügt; »Gebrauch«, das war sein sicherer Steg über Ströme und Tiefen, seine Mauer und sein Dach, in den wildesten Stürmen eine verläßliche Ruhe, seine Scheuklappen, die ihm auf seinem Wege das verhüllten, was fremd und beängstigend sein mochte. Es fiel ihm schwer zu verstehen, wie ein vernünftiger Mensch solchen Hort als eine Last empfinden und wie er den Wunsch hegen konnte, unbeschützt vorwärtszustürmen. Aber er rechnete darauf, daß die indischen Jahre auch van Heemsbergens Ungestüm wohl in Ruhe wandeln würden.

Inzwischen begann ihn das Zügeln dieses Ungestüms allmählich ein wenig zu ermüden und zu verdrießen.

Er hatte van Heemsbergen »zur Übung«, wie er ihm und sich selber sagte, aufgetragen, die Urteile zu konzipieren, um sie dann später unterweisend mit ihm durchzusehen.

Aber es dauerte nicht lange, so wünschte er sich die ihm schon zur Gewohnheit gewordene Mühe der Urteilsaufstellung zurück, anstatt dieser neuen, die ihn zwang, bis ins Unendliche zu erklären, oftmals zu widerlegen und an der Form zu modeln, dort wo es nicht geraten erschien, etwas am Inhalt zu ändern.

Er nahm van Heemsbergens Sätze, die scharf umrissen und knapp aufgestellt waren wie die Unterteile einer Maschine, auseinander, verunstaltete sie durch viel dazwischen geflickte »in Anbetracht dessen«, »nichtsdestoweniger«, »unter dieser Voraussetzung« und dergleichen, und pflegte dann, »da dies nun einmal ein dringendes Erfordernis sei,« um größte Ausführlichkeit zu bitten.

Van Heemsbergen nahm das hier und dort bekritzelte Manuskript in Empfang, meist ohne ein Wort zu erwidern. Und der Präsident fühlte sich diesem äußerlich respektvollen Schweigen gegenüber ein wenig unsicher.

Bei der Reistafel war er wortkarg, wenn des Morgens auf dem Büro etwas derartiges vorgefallen war, und während des Mittagsschläfchens hörte seine Frau, wie er sich seufzend auf dem krachenden Bett umherwarf, bevor er mit einem verdrießlichen Zug um den halbgeöffneten Mund einschlief. Sie fragte niemals etwas, sie wußte genug. Und in solchen Tagen vermied sie es, Hermanns Namen zu nennen oder in ihrem Schlüsselkörbchen den letzten seiner seltenen Briefe zu zeigen, deren Postskripta stets etwas über Geldmangel, unerwartete Ausgaben oder lästige Gläubiger enthielten. Wenn sie ihren Mann ansah, während er, in seinen Prospekten und Jahresberichten blätternd, zerstreut über die Papiere hinstarrte, wußte sie, woran er dachte. Sie fühlte Tränen aufsteigen, weil sie nicht den Mut hatte, ihm vorzuschlagen, er solle während der Poeasa Poeasa = Urlaub. doch einmal in Tosari Erholung suchen.

»Nur noch drei Jahre,« damit versuchte sie sich dann zu trösten, dann hat »er« doch sicherlich seinen Doktor gemacht, und wir können uns pensionieren lassen.«

Wenn sie die Lampe löschten, um zu Bett zu gehen, sahen sie in der dunklen Ferne van Heemsbergens Vordergalerie noch erleuchtet.

»Er ist sonst ein tüchtiger Mensch,« sagte der Präsident, »und sehr gescheit; aber er ist zu hitzig«. Er seufzte. In seinen heraustretenden Augen mit dem gelblichen Weiß lag der Blick, mit dem ein altes Zugpferd, das schwer beladene Torfschiff an der Leine, den Pfad am Kanal entlang schleicht und einem ungezähmten entsprungenen Vollblut nachsieht, das mit fliegendem Schweif und mit flatternder Mähne dahinstürmt, aus roten Nüstern schnaubend, während unter seinem widerhallenden Galopp die Funken aus den Steinen sprühen.

»Wir müßten sehen, daß wir ihn ein wenig von seiner Arbeit abbringen, das würde ihm gut tun,« antwortete Frau Oldenzeel.

Sie hatte van Heemsbergen gern – nicht nur als den schemenhaften »Freund Hermanns«, der er zuerst für sie gewesen war, sondern um seiner selbst willen; denn der hübsche junge Mann mit den leicht gerunzelten Augenbrauen, den nervösen Fingern, der schroffen Art zu sprechen und jenem nur in seltenen vertraulichen Augenblicken halb zum Vorschein kommenden Blick von Träumerei und Verlangen in den in die Ferne starrenden Augen – lilafarbene Iris unter dem Schwarz von Wimpern und Brauen – war ihr sympathisch. Mit ihrem weiblichen Instinkt hätte sie auch ohne den flüchtigen Blick, den sie eines Tages auf eine Mädchenphotographie in seiner Brieftasche geworfen, die Ursache jener Weichheit erraten, die kein anderer an ihm kannte.

»Er müßte ein wenig mehr unter Menschen gehen – aber das läßt sich hier zu schwer bewerkstelligen.«

Van Heemsbergen wußte es aus Erfahrung. Von den fünfzig »Europäern«, die die offizielle Statistik auf Soemberbaroe nachwies, war die übergroße Majorität nur im offiziellen Sinne europäisch – in jedem andern aber Inländer durch und durch, die ihren holländischen Familiennamen mit umschichtiger Verwechslung der Hs und Gs aussprachen und mit der Betonung auf der verkehrten Silbe, und die an »Europa« dachten, wie an einen Planeten in einem andern Sonnensystem. Die andern, Vollblutholländer, waren keine Vollgeistholländer mehr. In der fahlgelben Farbe, die ihren Körper, ihre Glieder und ihr welkendes Gesicht überzogen hatte, der Langsamkeit ihrer Bewegungen und der Art und Weise ihrer täglichen Tracht kam die Denationalisierung ihrer Seele zum Ausdruck, in der das morgenländische Fatalitätsbewußtsein den Platz der abendländischen Initiative eingenommen zu haben schien.

Der durch unermüdliche Muskel- und Gehirnanspannung elastisch gebliebene Doktor und der Kontrolleur Hendricks mit seiner jungen Frau, für die jeder Tag das Wiederbeginnen an einer sie mit Befriedigung erfüllenden Arbeit bedeutete, bildeten Ausnahmen.

Aber der Doktor, »die fliegende Medizinflasche« – wie de Bakker ihn getauft hatte – war nur bei Nacht und Unzeit zu finden.

Und Hendricks blieb sehr zurückhaltend – zur aufrichtigen und einigermaßen peinlichen Verwunderung seines Annäherung suchenden Ex-Kommilitonen – längst waren sie vergessen, die Tage seiner Absonderung in einem hohen Turm, von dessen Höhe es sich seltsam herabblicken ließ auf das Gewimmel dort unten. Wenn er sein Waschwasser auch hin und wieder über die Balustrade ausgegossen hatte – niemals hatte es in seiner Absicht gelegen, diesen oder jenen damit zu kränken.

Kurz nach seiner Ankunft war van Heemsbergen, einer Studentengewohnheit folgend, ein paarmal in den Klub gegangen, wo das »ganze Soemberbaroe«, das er von der Versteigerung her kannte, zusammensaß. Er hatte dort den ordengeschmückten Invaliden als den Mann einer inländischen Frau kennengelernt, die das Kasernenleben mit ihm geteilt hatte und auf einem Atjehschen Schlachtfeld seine Retterin gewesen war, und als Vater von fünfzehn Kindern, die Kopf an Kopf auf dem mit Matratzen bedeckten Fußboden in einem einzigen Zimmer schliefen, auf Namen aus den Romanen von Alexander Dumas hörten und in Hemden und Affenhosen unter den Bananenbäumen der elterlichen Besitzung umherliefen.

Der Präsident und der Assistent-Resident besprachen die jüngsten Ernennungen, zerbrachen sich den Kopf darüber, warum dieser oder jener wohl den »Oranje-Nassau-Orden« bekommen, und berechneten die Chancen der auf Beförderung Wartenden.

Der aus dem Dienst entlassene Salzpackhausmeister, der wohl einmal gehört hatte, daß van Heemsbergen sich in Paris sehr heimisch gefühlt, erzählte Abenteuer, die ihm seiner Ansicht nach in der galanten Stadt das geistige Bürgerschaftsrecht sicherten. Im Vergleich mit seinen Auffassungen und der Sprache, in der er diese Auffassungen äußerte, erschienen gewisse Kneipengespräche, deren van Heemsbergen sich von Leyden her erinnerte, wie eine gewählte Unterhaltung; es war der Unterschied zwischen einem Wildbraten mit allzuviel haut goût und einem halb verfaulten Matrosenessen. Mit Rücksicht auf seinen sich ekelnden Magen hielt er sich »Die einzig mögliche Geselligkeit hier ist das Alleinsein«, schrieb er Ada.

Die Korrespondenz mit seiner Braut war für ihn, als käme er in andere Luft; er schrieb nicht Dinge und Geschehnisse, sondern sich selbst und wurde schon ein anderes Selbst, während er ihr schrieb:

»Ich bin auf den Bergen, wenn ich an Dich denke,« schrieb er ihr mehr als einmal, und ihre Briefe kamen zu ihm, frisch wie der Wind von den Bergen und wie Bergströme voll fröhlicher Erquickung.

War das das Leben in Leyden, von dem sie all diese lieben frohen Dinge erzählte, das Leben in dem altmodischen Hause auf dem stillen Ryn, in den Straßen, wo stets dieselben Menschen kamen und gingen, in der von Büchern dunklen Universitätsbibliothek?

»Jetzt habe ich etwas Schönes für dich gefunden.«

Es war ein Zitat, ein Exzerpt, ein aus irgend einer Zeitschrift abgeschriebener Artikel, den sie mit der fleißigen Kopie von ihres Vaters Manuskript mitschickte, eine Broschüre, ein soeben erst erschienenes Buch mit getrockneten Blumen als Lesezeichen darin. Ein paarmal schon war es geschehen, daß sie das, um was er sie bat, schon geschickt hatte, noch ehe die Bitte sie erreicht haben konnte. Er war verwundert über die instinktive Sicherheit, mit der sie wußte, was er brauchte, und sie schien unersättlich zu sein in der Begierde sich alles anzueignen, was ihn, sein Leben und seine Arbeit betraf.

»Ich muß alles wissen, alles,« schrieb sie und fragte nach Dingen, von denen er kaum wußte, daß sie bestanden. Wie lebte das inländische Volk, wie arbeitete und wie spielte es? Was aßen und tranken die Menschen? In was für Häusern wohnten sie? Was für Namen gaben sie ihren Kindern? Er mußte ihr erzählen, wie es Pah-Tasmie ergangen, diesem armen Mann, und was aus Naila geworden, nun da sie mit ihrem Kindchen allein und ohne Stütze zurückgeblieben war. Van Heemsbergen dachte nach – hatte er Pah-Tasmie nicht gesehen vor acht Tagen, wie er in der Reihe braun gekleideter Zwangsarbeiter marschierte, die zwischen zwei Stricken, an den Armen des ersten und des letzten befestigt, des Morgens zur Arbeit gingen? Es schwebte ihm etwas davon vor.

Von der schönen Naila hatte er seit der Sitzung nichts mehr gehört oder gesehen.

Und das Dessavolk, von dem Ada so viel wissen wollte, kannte er nicht anders als so, wie es sich auf dem Landratsbüro vortat, oder so, wie er es ein einzelnes Mal beim Baden im Fluß gesehen hatte. Daß Ada auch gerade nach jenen Menschen fragte! Er entsann sich einer kleinen Szene, die sich jüngst vor seinen Augen abgespielt.

Ein etwa zehnjähriges Mädel kommt daher, trägt mit beiden Händen behutsam einen kleinen Napf mit einer grünen Flüssigkeit und hält die Augen fest auf das hin- und herschwankende Naß gerichtet.

Am Rande des Weges kauert eine Frau, die ihr lose hängendes Haar durch die hinter ihr hockende Freundin vom Ungeziefer säubern läßt.

»Was trägst du da?« fragt sie die Kleine. Und das Kind, ohne aufzublicken:

»Sajoer-lodeh.« Sajoer-lodeh = eine Art Gemüsesuppe.

Sie geht weiter, an dem Eingang eines holländischen Hauses vorüber, wo ein Bedienter damit beschäftigt ist, die Pfosten des Zaunes zu tünchen.

»Was trägst du da?« fragte der Tüncher neugierig, und die Kleine wieder:

»Sajoer-lodeh.«

»Loh,« ruft der Tüncher erschrocken aus: ein Klumpen Kalk war von seinem Quast in den Sajoer geflogen.

Das Mädchen steht still, im Begriff in Tränen auszubrechen. Der Tüncher blickt hilflos von seiner Leiter herab. Die beiden Frauen eilen rufend und schreiend herbei, während die eine ihr lose hängendes Haar zusammenrafft, zerquetscht die andere etwas auf ihrem Nagel und greift gleich darauf in die Suppe, um den Kalkklumpen herauszufischen.

Zufrieden geht das kleine Mädchen weiter, auf ihren Vater zu, der bei seiner Arbeit wartend das alles mit angesehen hat.

»Was trägst du da?« fragt er.

Und sie zum drittenmal:

»Sajoer-lodeh.«

Worauf er mit Appetit zugreift.

»So etwas müßte ich ihr eigentlich mal schreiben,« dachte van Heemsbergen; »das wäre nicht schlecht für meine kleine Sentimentale.«

Er wußte nicht, wo die halb unwirsche Stimmung plötzlich herrührte, die ihm den Gedanken eingab.

Sie überkam ihn in der letzten Zeit so hin und wieder.

»Eigentlich sogar ziemlich oft,« meinte er nachdenklich.

Während sie an jenem Sonnabend vormittag zur Sitzung nach Kaliwangi fuhren, fragte Dr. Oldenzeel van Heemsbergen:

»Möchten Sie heute nicht mal mit mir in die Fabrik kommen? De Bakker hat schon ein paarmal nach Ihnen gefragt, ich glaube, er wundert sich darüber, daß Sie gar nicht kommen.«

Van Heemsbergen sprach die abschlägige Antwort, die ihm auf der Zunge schwebte, nicht aus. Die Einsamkeit, an der er sich anfangs so sehr erfreut hatte, schien ihm seit einiger Zeit mit jedem Tage grauer und öder zu werden, keine Stille mehr, sondern eine Leere. Er überlegte sich, daß der Tag in der Wohnung des Verwalters sich leicht angenehmer gestalten könnte als in seinem ungemütlichen Hotelzimmer, wo er auf eine schmutzig gewordene, einstmals weißgetünchte Decke und ebensolche Wände blickte, und daß sogar die Gesellschaft des Pflanzers weniger unerträglich sein würde als eine absolute Einsamkeit.

Dr. Oldenzeel fuhr fort:

»Frau de Bakkers Heimkehr wird dieser Tage erwartet, und dann wird es Ihnen gewiß angenehmer sein, wenn Sie Ihren Besuch schon gemacht haben. Sie kommt in Begleitung eines Pariser Malers, den sie auf Reisen kennengelernt, erzählte mir de Bakker kürzlich. Wenn sie auf der Fabrik ist, sind immer interessante Menschen da.«

Van Heemsbergen zögerte noch einen Augenblick. Um Zeit zu gewinnen, fragte er:

»Wissen Sie vielleicht auch, wie der Maler heißt? ich kenne ziemlich viel Pariser Künstler.«

»De Bakker hat mir den Namen wohl genannt, aber – halt mal – Bruton, ist das möglich?«

»Bruneton!« rief van Heemsbergen aus, »mit dem war ich oft zusammen.«

»Ja, ja, das war es, Bruneton, Bruneton, richtig!«

Van Heemsbergen sagte lebhaft:

»Ich werde Sie sehr gern begleiten.«

Zur großen Verwunderung des Chinesen, der den »Buggy« schon hatte einspannen lassen, fuhr der Aktuar nach beendeter Sitzung mit dem Präsidenten nach Kalimas.

Der Tag, noch kühl und feucht von einem verdampfenden Regenschauer, begann in strahlendem Sonnenlicht aufzuleben. Die Riedfelder lagen leuchtend da. Rings umher war alles Laub ein von Glanz gebadeter Schimmer, und dazwischen regten und rührten sich die braunen Sonnenhüte und die blaubekleideten Schultern von zahllosen Arbeitern. Bis in weite Fernen, wo sie, immer kleiner und kleiner werdend, mählich verschwanden, war das endlose Halmgrün von den unruhigen braunen und blauen Tupfen übersprenkelt. Der feurig blaue Himmel mit seinen weißen und schimmernd grauen Wolkenschichten stand über der grünen Ebene wie eine saphirne Kuppel mit Wandelgängen und Bogen aus lauterem Alabaster über einem Boden aus Malachit.

Mitten zwischen diesem leuchtenden Glanz von Land und Himmel tat sich düster eine hohe und breite Kenari-Allee auf, die von dem großen Wege aus nach dem Landhause führte. Die grellen Felder zu beiden Seiten, hier die dichtgedrängten Arbeiterhütten und dort die Fabrikgebäude an den drei Seiten eines weiten Platzes wurden dem, der in die schwarzgrüne Tiefe hineinging, nur wie leuchtende, glänzende Punkte und Flächen sichtbar. Die schweren Stämme trugen ihre Massen dichten, dunklen Laubwerkes auf breiten Zweigen. Wie ein grüner Baldachin hing es, mit schweren Falten und Zipfeln den Boden berührend, königlich über dem Wege. Ganz am Ende schimmerte das Landhaus und hob sich grellweiß vom Blau des Himmels ab.

Es stand auf einer langsam ansteigenden Höhe, breit ausgebaut mit einem Giebel auf hohen Pfeilern, einem Säulengang rechts und links und luftigen Pavillons. Über die Bäume, die Fabrik, das Arbeiterdorf, die Felder, den Fluß und die ganze Umgegend weithin leuchtend, erschien es wie ein königliches Lustschloß, das in triumphierender Schönheit emporgestiegen war aus der Fruchtbarkeit des Bodens, den beherrschten Kräften von Feuer, Stahl und Wasser, und der Arbeit eines Volkes.

Der Wagen hielt vor den Marmorstufen der Terrasse. Behende wie ein Jüngling eilte Dr. Oldenzeel hinauf; van Heemsbergen folgte ihm.

In der Vordergalerie, wo die Gäste in weitem Kreise um den Tisch saßen, kam ihnen der Pflanzer entgegen. Er hielt ein Glas Champagner in der Hand.

»Ah, Oldenzeel, alter Freund – und sieh da, auch Herr van Heemsbergen,« sagte er, sichtlich erfreut. »Sie kommen wie gerufen, meine Herren, wir feiern gerade die Heimkehr der Reisenden.«

Eine schlanke, rotblonde Frau, aus deren völlig farblosem Antlitz dunkle Augen leuchteten, erhob sich mit einer Bewegung, die gleichzeitig graziös und außerordentlich abgemessen war, und lächelte Dr. Oldenzeel, der mit beiden Händen die ihrigen ergriff, flüchtig zu, während sie über seine Schulter weg mit einer gewissen Neugierde zu van Heemsbergen hinüber blickte. Sie reichte ihm eine schlanke, mit kostbaren Ringen geschmückte Hand, von der an einer kleinen Kette ein Fächer aus Pfauenfedern herabhing, und sagte auf Französisch:

»Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Herr van Heemsbergen – durch meinen Vetter Bossing aus Batavia. Jetzt sind wir Pariser hier schon zu dritt, Sie und ich und Monsieur Bruneton.«

Sie schaute lächelnd auf einen dunkelhaarigen Mann, der eine Art Arbeitskittel und ein buntseidenes Halstuch trug.

Van Heemsbergen sagte, gleichfalls auf Französisch:

»Ich kenne Monsieur Bruneton bereits. Wie ist es Ihnen ergangen, seit wir uns zuletzt bei den Hauterives gesehen haben?«

Der forschende Blick, mit dem der Maler in van Heemsbergens Zügen gesucht hatte, verschwand.

»Ah, jawohl, bei den Hauterives, dem holländischen Diplomaten.« Und über die Antwort, in der er zwei Vettern miteinander verwechselte, hinwegsprechend, schüttelte er van Heemsbergen die Hand.

»Also Sie sind auch hierher gekommen, um Studien – natürlich ethnologische Studien – an diesen liebenswürdigen Wilden zu machen?«

Die Hausfrau sprach lachend von ihren vergeblichen Bemühungen, den Pariser von der Idee zurückzubringen, daß die Javaner Menschenfresser seien, und indem sie an ihn eine Antwort und beinahe gleichzeitig an van Heemsbergen eine Frage richtete, brachte sie ein Gespräch in Fluß, wie es in einem Pariser Salon beinah genau so hätte geführt werden können.

Die Damen der Gesellschaft – Frauen von Fabrikbeamten und die zwei stillen, nicht eben schönen Töchter des Assistent-Residenten von Soemberbaroe – versuchten sich anfangs daran zu beteiligen, indem sie linkisch nach diesem oder jenem Wort haschten, das wie ein von einem Rakett geschleuderter Ball an ihnen vorüberflog. Aber sie gerieten in Verwirrung, wurden verlegen und gaben es alsbald auf, um untereinander ein banales Gespräch über die Wärme zu beginnen. Und während sie sich heftig fächelten und an den Ärmeln und Kragen der zu Hause angefertigten Kleider zupften, in die sie sich statt der täglichen Sarongs und Kabajas seufzend hineingezwängt, schauten sie verstohlen auf die Toilette der Wirtin – eine luftige Falte über der anderen, aus einem matt heliotropfarbenem Gewebe, das sie mit seinem Glanz und seinen Lichtreflexen wie eine Wolke umfing.

Die beringten Hände, die nachlässig mit dem Fächer aus Pfauenfedern spielten, der etwas allzu magere Hals und das von rotgoldenen Locken und Haarwellen umrahmte Antlitz kamen in durchsichtiger Weise daraus zum Vorschein. Ihre Augen, die, aus der Nähe betrachtet, hell erschienen – rings um eine übergroße Pupille lag ein schmaler grauer Ring – leuchteten immer lebhafter aus ihrem farblosen Antlitz, aus dem die Wimpern und Augenbrauen fast verschwanden. Jedes Mal, wenn sie den Kopf von dem einen zum andern der beiden jungen Männer wandte, leuchtete ein trüber Beryll auf, der in dem Grübchen ihres Halses ruhte.

Einer der Herren – ein Rat von Indien, der auf dem Wege nach Tosari, wo er seine leidende Frau besuchen wollte, Frau de Bakker in der Bahn getroffen und sie begleitet hatte – beteiligte sich steif und korrekt an dem Wortspiel.

Der Pflanzer, der kein Wort Französisch verstand, sah hin und wieder auf seine Frau mit einem Blick, als betrachte er sich ein seltsames Kleinod, mit dem er selbst allerdings nichts Rechtes anzufangen wußte, um das ihn aber ein jeder bewundernd beneidete. Und immer von neuem goß er die Sektgläser bis an den Rand voll.

Einer der Diener, ein aus Kairo mitgeschleppter etwa dreizehnjähriger Abessinier, glattschwarz wie Ebenholz in seiner safranfarbigen Tunika, meldete, daß die Tafel bereit sei.

Frau de Bakker stand auf und legte ihre Hand auf den Arm des Rates von Indien, während sie bei dieser ungewohnten Formalität lächelnd sagte, daß sie vollendete Formen im täglichen Verkehr sehr liebe. Und der Rat von Indien, der sich in Batavia über das, was er »lächerliche Kaufmanns-airs« nannte, sehr zu ereifern pflegte, beeilte sich ihr beizupflichten.

Die Mahlzeit, – kein Reistisch, sondern ein sehr opulentes Gabelfrühstück – war mit allerlei Finessen zubereitet und angerichtet, die mit Ausnahme von van Heemsbergen und dem Pariser, keiner so recht zu kennen schien. Sie merkten es einander an – es war wie das Geheimzeichen, an dem der eine Freimaurer den andern erkennt, – und lachten gleichzeitig. Der Maler begann im Boulevard-Argot über Paris, Pariser Menschen und Pariser Verhältnisse zu sprechen und nannte die Frau des Hauses eine Pariserin vom reinsten Wasser, die nur irrtümlich in Holland geboren sei. Übrigens gehöre auch van Heemsbergen nach Paris, meinte er, und nachdem er endlich begriffen hatte, daß dieser in Indien sein und bleiben wolle, fragte er verwundert, was für einen Grund das denn habe. Van Heemsbergen erklärte ihm die Wandlung in seiner Denkungsart, die ihm den Richterdienst interessanter erscheinen lasse als eine noch so aussichtsreiche diplomatische Karriere.

Mitten in seiner lebhaften Beweisführung fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf:

»Wie komme ich denn eigentlich dazu, mit einem Menschen, den ich kaum kenne, über solche intimen Dinge zu sprechen ...? Nun, eigentlich ist es ja auch ganz gleichgültig ...«

Er fragte den Pariser nach seinem Urteil über einen Artikel, der der holländischen Kolonial-Politik gewidmet und kürzlich in der »Revue des deux mondes« erschienen war. Bruneton, der den Artikel nicht gelesen hatte, kannte den Autor persönlich und begann über den zerstreuten Gelehrten Anekdoten zu erzählen mit einer Mimik und einem Tonfall, die die Geschichte zu einer kleinen Komödie machten.

Van Heemsbergen lachte so herzlich, wie er es seit Monaten nicht mehr getan.

»Ich bin ganz trunken von ›Parisine!‹« sagte er.

Als man sich von der Tafel erhob, legte er seinen Arm in den des Malers, und fast wollte es ihm scheinen, als bekräftige er durch diese Gebärde ein offensives und defensives Bündnis, das soeben schweigend geschlossen worden.

»Gegen wen oder was eigentlich?« fuhr es ihm flüchtig durch den Sinn.

Aber er dachte nicht weiter nach über die unbestimmte Empfindung einer Gegnerschaft.

Nach der Siesta, während der Tee in kleinen Tassen aus durchsichtigem japanischen Porzellan serviert wurde, fuhr der Besitzer einer benachbarten Plantage vor. Er brachte eine andere Wendung in das Gespräch, das eine Zeitlang zwischen Romanen der allerneuesten französischen Schule und von Frau de Bakker aus Ägypten mitgebrachten, behutsam gezeigten Kuriositäten hin und her gependelt war.

Der Pflanzer war in seinem Element.

Er begann von einer neuen Maschine zu erzählen, die er gerade installierte.

»Damit mache ich sie alle tot!« rief er. Er forderte jeden, der Lust hatte, dazu auf – van Heemsbergen nannte er ausdrücklich – mit nach dem Mühlenhaus zu kommen.

In dem hohen Raum war es dämmerig und still; alles schlief in Erwartung der Kampagne. Ein paar Inländer kratzten und scheuerten an einer der großen Kochpfannen herum. Von der Maschine, die erst teilweise ausgepackt war, lagen Stücke und Teile am Boden; einem unkundigen Auge erschien das alles wie eine heillose Verwirrung.

Der Pflanzer zeigte und erklärte, während er die Stücke zusammenfügte, sodaß man sich den Rumpf und die ringsum verstreuten Glieder als den schweren schwarzen eisernen Kolossalkörper vorstellen konnte, der das Werk von hunderten von Menschenkörpern verrichten würde. Seine plumpen Hände wurden geschickt und beweglich, während er die schweren Stücke hantierte. Endlich richtete er sich mit stark gerötetem Gesicht wieder aus seiner gebückten Haltung auf und wischte sich die rostigen und bestaubten Finger an den Kleidern ab.

»Ja, wenn wir alle Arbeit mit den Maschinen machen könnten, dann würden wir bald reich sein. Aber so lange wir von dem Pack abhängig sind ...«

Er warf einen Blick auf die Inländer, die bei seinem Eintreten eifriger zu arbeiten begonnen hatten.

Plötzlich:

»He, Kasan, dummer Hund, siehst du denn nicht –!«

Er ging auf den am Boden kauernden Kuli zu und versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht, daß der Mann taumelte, während er ihm laut schreiend ein Versehen zum Vorwurf machte. Der Inländer ließ die Flut von Flüchen und Schimpfworten über sich ergehen, während er sich verstohlen die Backe rieb. Endlich sagte er ein paarmal unterwürfig »ja«.

De Bakker kam zu seinen Gästen zurück, während der Zorn noch immer in seinen scharfen braunen Augen funkelte.

»Man hat nichts als Ärger mit dem Pack – zu dumm, um vor dem Teufel zu tanzen. Darum kann ich's auch nicht ausstehen, wenn Menschen wie der Kontrolleur von Soemberbaroe anfangen, von den Rechten des Inländers zu faseln – Rechte meines alten Pantoffels! – Bei uns auf dem Land weiß ein zehnjähriges Kind besser, was ihm dienlich ist, als solch ein Inländer, Gott straf mich! Jemand, der für ihn denkt, der ihm sagt, so, und so soll es sein und nicht anders, und der einfach dreinhaut, wenn er's nicht tut, das ist's, was der Inländer braucht, und wenn man von Rechten sprechen will, so ist es sein Recht, daß er so einen Herrn bekommt!«

Die Beamten der Fabrik schwiegen wie bei dem Vernehmen einer Wahrheit, die ihnen schon so und so oft verkündet worden und der sie schon so oft rückhaltlos beigepflichtet, daß sie keiner Antwort mehr bedurfte.

Van Heemsbergen sagte ein wenig kühl: »Das ist ein Standpunkt, den kolonisierende Nationen schon lange eingenommen haben.«

Sie verließen das Mühlenhaus. Die Sonne ging unter, es begann kühler zu werden. Der Pflanzer schlug einen Spaziergang nach einem der Felder vor, das auf ganz besondere Art und Weise bearbeitet wurde.

»Ein Experiment,« sagte er.

Er begann sachlich und in anschaulichen Worten, so wie er soeben die Konstruktion der neuen Maschine erklärt hatte, über die Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern zu sprechen – über das Öffnen des hart und klumpig gewordenen Bodens, in dem die Reisähren der verflossenen Jahreszeit hoch und voll geworden, über die Anlage von Leisten und Rinnen, die das Wasser bei den jungen Wurzeln aufhalten, über das Umringen der aufschießenden Stengel mit Erde, die Wachsamkeit und die Sorge bis zur Zeit der Ernte.

Mit seinem Stock über die Ebene weisend, zeigte er auf den fernen Hügeln die kühlen Pflanzstätten des Rohres und die Wege der langsamen Büffelkarren, die die jungen Steckreiser, gegen die Infizierung durch leicht übertragbare Krankheitskeime an beiden Enden mit Teer verdichtet, nach der Ebene tragen, auf die Äcker, wo das Volk der Pflanzer ihrer harrt.

Er nannte Zahlen und Ausdehnungen, er sprach von zwanzig- und dreißigtausenden, an einem Tage ausgegeben, von Vermögen an Verlust und Gewinn, von Feldern, gleich ganzen Provinzen und Heerscharen von Arbeitern. An dem fernen flimmernden Glanz längs der Hügel und weit über die Ebene hin zeigte er den Lauf der Wasserleitungen, die er angelegt hatte, um die befruchtende Kraft der Wolken und der Quellen zu vereinen und sie in die empfänglichen Furchen zu gießen. Dann zeichnete er in den Staub des Weges zwei eckige Figuren und sprach:

»Sehen Sie mal, dies kleine hier, das ist der Grundriß der Fabrik, wie sie war, als ich Verwalter wurde, und dies andere – beinahe zweimal so groß, wie Sie sehen – das ist ihr Grundriß, so wie sie jetzt ist – so wie ich sie habe umbauen lassen. Er bezeichnete mit einer breiten Armbewegung die weißen Steinkomplexe in der Ferne.

Vieldächerig wie eine Stadt, mit dem hohen und breiten Mühlenhaus, mit dem Wasserturm, mit den Scheunen und Packhäusern und den Hütten und der Brückenwage vor der weiten Einfahrt, mit der doppelten Reihe der Beamtenwohnungen und dem hohen Schornstein, der weit darüber hinausragte, lag dort die Fabrik.

Van Heemsbergen warf einen Blick auf den Pflanzer, auf das stumpfe Profil, den gewaltigen Brustkasten, auf die Hand, die den Stock umfaßte wie eine Keule, auf die breiten Füße. Er war ein anderer hier inmitten dieses riesenhaften Werkes, das er dank seinen eigenen Händen und seinem eigenen Kopf hatte erstehen lassen, als in dem allzu luxuriösen Haus neben jener in Nichtstun verfeinerten Schönheit. Eine gewisse rohe Würde, eine plumpe Größe offenbarte sich in diesem Manne.

Infolge einer Ideenverbindung, über die er sich im Augenblick keine Rechenschaft abzulegen vermochte, gedachte van Heemsbergen Pizarros als eines charakteristischen Vertreters des Geschlechtes, dem jener vierschrötige Kolonialmillionär da vor ihm angehörte.

»Eroberertypus,« dachte er, und die Szene im Mühlenhaus erschien ihm plötzlich in anderem Lichte.

Als die Spaziergänger das Haus wieder erreichten, wartete Dr. Oldenzeels Wagen bereits.

Der Pflanzer forderte van Heemsbergen auf, zu bleiben. Von den zwanzig Fremdenzimmern könne er sich eines auswählen. Es sei für den nächsten Tag eine Ausfahrt in die Berge und ein Picknick am See geplant. Montag in aller Frühe werde ihn dann der Phaeton mit den englischen Rennern nach Soemberbaroe zurückbringen.

»Bleiben Sie,« sagte der Maler, »ich habe auf Sie als Führer gerechnet bei meinem Zug durch das orientalische Schönheitsland.«

Van Heemsbergen dachte flüchtig an eine angefangene Arbeit, der er den Sonntag hatte widmen wollen, blieb aber dennoch nach kurzem Zaudern.

Er kam und blieb auch am folgenden Sonnabend, obgleich er es gar nicht beabsichtigt hatte.

Und von dem Augenblick an wurde er ein ständiger Sonntagsgast auf Kalimas.

*


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