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Er traf gegen Abend, an einem stürmischen Südwest-Monsun-Tage in Batavia ein. Ringsum lag alles verschwommen in Dämmerung und Wolken. Der Regen rauschte in den düsteren Bäumen einer Allee, durch die er endlos lange fuhr. Dann erschienen plötzlich Lichter, und der Kutscher seines schaukelnden kleinen Wagens machte vor einem strahlenden Gebäude halt, das mit seiner stattlichen Säulenreihe und seinen Hallen aus weißem Marmor einem italienischen Palast der Renaissance glich.

Es war ein Hotel.

Ein Bedienter in einer Kleidung, die halb inländische Tracht, halb die Nachahmung einer Livree war, führte ihn in sein in einer Art von Galerie gelegenes Zimmer. In einer weiten Halle, zwischen deren Säulen die dunkle Nacht schwarze Flecken bildete, waren ein Dutzend andere, ebenso seltsam gekleidete Diener damit beschäftigt, einen langen Tisch zu decken, während sie auf nackten Füßen unhörbar hin und her gingen.

Van Heemsbergen fand Bekannte aus Leyden unter den Gästen, einige mit ihm zugleich hinausgeschickte, ihrer Ernennung gewärtige Beamte, die die Reise mit der holländischen Mail gemacht und sich sparsamkeitshalber schon in Amsterdam eingeschifft hatten. Mit einer gewissen Hochachtung begrüßten sie den eleganten van Heemsbergen, der auf der Akademie in allem tonangebend gewesen war, von den Manschettenknöpfen bis zu der politischen Meinung.

Das Gespräch begann sich sofort um die Audienz bei dem Direktor der Justiz zu drehen, die für den nächsten Tag angesetzt war, sowie um die Chancen einer Anstellung.

Einer der jungen Leute erzählte, daß er bei allen Autoritäten Besuche abgestattet und bei einigen der einflußreichsten Empfehlungsschreiben abgegeben habe.

»In Indien bringt man es ohne Protektion zu nichts,« sagte er in einem Ton unerschütterlicher Überzeugung, »und der Gedanke, in die Wüste geschickt zu werden, brrr!«

Er hatte das Wort Wüste, mit dem die Städter das ganze übrige Java zu bezeichnen pflegen, bereits aufgefangen.

Ein anderer wollte sich schon damit begnügen, in dem Preanger zu sein, des Klimas wegen, wenn es nur in oder doch wenigstens dicht bei Bandong wäre, »wo es durch die Rennen doch ein wenig lustig sei,« und Solo würde dem allgemeinen Urteil zufolge auch noch ganz erträglich sein, wenngleich Samarang und Soerabaja natürlich bei weitem vorzuziehen wären. Einer, der soeben vom Urlaub zurückgekehrt war und die geschäftige Stadt gut kannte, erzählte viel von der dort herrschenden Fröhlichkeit und dem ungebundenen Leben.

»Was suchen die alle hier doch eigentlich,« dachte van Heemsbergen.

»Ich – nein, ich möchte gerade ins Innere des Landes«, antwortete er auf die Frage, die der Protektionssucher an ihn richtete.

Er dachte in jener Nacht, während er sich auf seinem harten Bett hin und her warf, lange darüber nach, was er dem Direktor der Justiz wohl sagen könnte, um sich als der zu erkennen zu geben, der er war, im Gegensatz zu jenen Dutzendmenschen, die nichts anderes mit nach Indien brachten als eine mäßige Bereitwilligkeit zur Arbeit im Austausch gegen ein möglichst hohes Gehalt und eine möglichst angenehme Lebensweise.

»Er wird es schon verstehen, wenn ich ihm sage, daß de Grave mich dazu ausersehen hat, sein Werk zu vollenden,« dachte er.

Ihm ging plötzlich ein Satz durch den Kopf, den der vom Urlaub Zurückgekehrte an jenem Abend ausgesprochen hatte:

»Es ist im juristischen Staatsdienst auch nicht mehr so wie früher, es gibt da eine Menge tüchtiger Leute, mit der Beförderung geht's heutzutage nur langsam.«

»Um so schlimmer für die Stümper,« dachte er flüchtig und nahm seine grübelnden Gedanken dann wieder auf. Er wollte eine Anstellung im Innern des Landes haben, inmitten der inländischen Bevölkerung, inmitten des inländischen Lebens, inmitten alles dessen, was er als Baumaterial zu seiner Arbeit gebrauchen konnte.

Die Nacht neigte sich schon beinahe ihrem Ende, als er in Schlaf fiel, diesen Gedanken mit sich hinunterziehend in die Tiefen der Vergessenheit. Und er war sogleich wieder lebendig in ihm in dem Augenblick, da ihn der feuerrote Schimmer des Sonnenaufgangs auf den weißen Wänden seines Zimmers wachleuchtete.

»Also heute,« dachte er.

Er machte noch sorgfältiger als sonst Toilette und ließ sich nach dem Justizgebäude führen.

An einer Gracht vorüber, in deren grünlichem Wasser halbentkleidete Frauen badeten, fuhr ihn der Sadoo-Kutscher Sadoo = ein zweirädriger Wagen, in dem Kutscher und Fahrgast sich gegenseitig den Rücken zukehren (dos-à-dos). zu einem unscheinbaren häßlichen Häuschen, vor dem er haltmachte. Eintretend gewahrte er schon eine Anzahl Wartender.

Einige gingen auf und ab und richteten ihre ungeduldigen Blicke auf eine Tür, vor der zwei inländische Diener hockten. Andere standen in kleinen Gruppen plaudernd beisammen. Nur einige wenige saßen, und diese wenigen waren lauter ältere Männer.

Seine Kollegen waren auch schon da. Sie standen in einer Ecke zusammen und schauten mit einer gewissen Verlegenheit um sich.

Van Heemsbergen, der geglaubt hatte, früh zu sein, empfand eine leichte Verstimmung, als er sah, wieviele ihm schon zuvorgekommen. Er ignorierte die Bewegung des Platzmachers, durch die die Neulinge ihn stillschweigend zu sich einluden, und schritt durch den langen Gang auf das Fenster zu, das auf die Straße hinausging.

Und er schickte sich zum Warten an, während er, an den Fensterrahmen gelehnt, alle diese Männer musterte, die hierher gekommen waren, wie auf einen Markt der Intelligenz, jeder mit seiner eigenen Ware und seiner eigenen Bewertung dieser Ware. Jene Worte über einen überfüllten Markt und geringe Chancen, die er am Abend zuvor vernommen, gewannen plötzlich einen starken Klang in seinen Gedanken und einen greifbaren Inhalt.

Er fühlte, wie eine bisher unbekannte Empfindung in ihm aufstieg, etwas wie nörgelnde Eifersucht, wie Haß beinahe, während er die Gesichter und die Rücken all jener Männer musterte, die in dieser einen Sekunde seine Vorgesetzten, seine Nebenbuhler und seine Gegner wurden.

Sie waren da von jedem Alter, von jedem Schlage, ältliche, junge, selbstbewußte, nervöse, entschlossen dreinschauende. Einzelne, mit einer gewissen strengen Eleganz gekleidet, trugen eine kleine Rosette im Knopfloch und die Verantwortlichkeit ihres richterlichen Amtes auf den Zügen, andere zeigten eine absichtliche Nachlässigkeit in Haltung und Anzug, wie um ihr Feststehen auf einer eroberten Höhe, auf der sie aller Sorgen um ihr Äußeres überhoben waren, scharf zu betonen; wieder andere erschienen nur durch Müdigkeit gleichgültig gegen den Eindruck, den sie machten, vielleicht apathisch geworden während einer allzu langen Reihe aufreibender indischer Dienstjahre. Die meisten, die aus dem Binnenland kamen, waren kenntlich an etwas Altmodischem oder Ungeschicktem in dem Schnitt ihrer Kleider, an der Neuheit ihrer Stiefel, die den dieser Tracht sichtlich entwöhnten Fuß drückten, und an der Qual, die ihnen ein hoher, schon vom Angstschweiß durchweichter und schlaff gewordener Kragen zu verursachen schien.

Die vier oder fünf älteren Herren auf der Stuhlreihe an der Wand blickten gelassen und gelangweilt auf all diese Unruhigen. Es war einer unter ihnen, der von allen Kommenden und Gehenden mit besonderer Höflichkeit begrüßt wurde. Er sah die sich vor ihm Verneigenden mit einem Blick an, als müsse er noch rasch über die Konklusion eines in Gedanken über sie gehaltenen Plädoyers Für und Wider nachdenken. Und in seinem bejahenden Kopfnicken, in dem Ton, in dem er »Nun, und wie geht es Ihnen?« sagte, ja sogar in der Art und Weise, wie er seine gelben mageren Hände etwas fester um den goldenen Griff des Spazierstocks zwischen seinen Knien faltete, lag die Versicherung, daß sich an dieser Konklusion, nachdem er sie einmal formuliert, nie und unter keinen Umständen auch nur das allergeringste würde ändern lassen.

Er hatte einen Blick auf die Gruppe der Neulinge geworfen, die nicht weit von ihm standen und die durch das frische Rot und Weiß ihrer Wangen von all den blassen, fahlen, dürr braunen Gesichtern der Kolonisten abstachen. Er empfand zunächst nicht das geringste Interesse für all dies Rohmaterial. Van Heemsbergen indessen betrachtete er einige Augenblicke aufmerksam, als er ihn am Fenster stehen sah, und wandte sich an seinen Nachbarn mit einer Frage, die dieser mit einem Blick auf den jungen Mann und einem Achselzucken beantwortete.

Van Heemsbergen bemerkte es und wandte sich um, indem er in den Regen hinausstarrte, der dicht zu fallen begann.

Das Summen der Stimmen und der Klang der Schritte auf den Steinfliesen verstummte hin und wieder für einen Augenblick: und zwar jedesmal, wenn sich die Tür des Direktorenzimmers vor einem Weggehenden öffnete. Der auf der Schwelle kauernde Bediente stand auf und suchte aus den Wartenden denjenigen heraus, der jetzt an der Reihe war, während er ihm eine kleine Tafel mit einem Griffel vorhielt. Dann gingen die beiden durch die belagerte Tür, der Boy mit der beschriebenen Tafel voran, der in dieser Weise durch seinen eigenen Namenszug Angemeldete hinterher, und das Summen und Warten der anderen begann von neuem.

Gelangweilt hatte van Heemsbergen angefangen, die Gespräche ringsumher zu belauschen.

Ein Mann, der ihm den Rücken zuwandte und einen kahlen Hinterkopf zeigte, der in dem kleinen Kranz dunkellockigen Haares wie ein riesengroßes Ei in einem schwarzen flaumigen Nestchen aussah, sagte:

»Es ist schon möglich, aber sein Chef läßt ihm freie Hand, und ich halte das für richtig. Wenn er doch zwischen den Rädern mehr leistet, als ein anderer am Schreibtisch! Ich sprach neulich noch mit Kollembrandt darüber, und der ist derselben Ansicht.«

»Was, daß Hendriks einer ist, der eine Zukunft hat?«

»Jawohl, und mit dem wir später zu rechnen haben werden: er meinte sogar, daß das jetzt schon anfinge, so jung wie der Kerl noch ist ... ah – jawohl.«

Er kritzelte seinen Namen auf die Tafel, die der Bediente ihm vorhielt.

»Auf Wiedersehen, meine Herren.«

Van Heemsbergen hatte aufgeblickt, betroffen durch diesen Klang »Kollembrandt«, der wie eine Parole und wie ein Losungswort durch Professor de Graves Kollegien zu tönen pflegte; und dann hörte er den Namen »Hendriks«. Er blickte dem Fortgehenden nach.

»Hendriks,« dachte er, das mußte der Sohn des Gymnasialpedellen aus Leyden sein, der vor ein paar Jahren sein Examen als Kolonialbeamter gemacht hatte. Er konnte sich nicht mehr auf das Gesicht besinnen, das ihm auf der Universität kaum von Ansehen bekannt gewesen war. So, also Kollembrandt prophezeite dem ein Karriere ...

Der Boy mit der Tafel erschien wieder und blieb vor einem Mann stehen, der einen schäbigen schwarzen Rock trug und sich mit einer nervösen Bewegung immerfort mit dem Taschentuch übers Gesicht fuhr. Statt die Tafel anzunehmen, wandte er sich mit einer Verbeugung zu dem Vielbegrüßten, der noch immer wartend auf seinem Stuhl saß.

»Darf ich Sie bitten, zuerst zu gehen, Herr Hulsvelt!«

Der also Geehrte nahm mit einem Kopfnicken den Achtungsbeweis an und schritt majestätisch hinein.

Van Heemsbergen warf einen verächtlichen Blick auf den Nervösen, der sich abermals die feuchte Stirn trocknete.

»Auch einer von denen, die lieber kriechen als gehen!«

Die Erinnerung daran ließ ihn den Kopf noch höher tragen, als endlich die Reihe an ihn kam.

Der Direktor, der die Tafel in der Hand hielt, blickte mit schräg zur Seite geneigtem Kopf und leicht gerunzelter Stirn auf den gekritzelten Namen und von diesem auf den eintretenden jungen Mann, als vergliche er Schrift und Schreiber:

»Setzen Sie sich, Herr – ah – Herr Vlaardingen.« »Van Heemsbergen,« sagte der Angeredete mit einer Bewegung des Rumpfes, die eine Verbeugung bedeuten konnte. »Als wäre ich in Leyden im Klub,« kritisierte er sich selbst, betroffen durch den Klang seiner eigenen Stimme –

»Ah, pardon, van Heemsbergen,« wiederholte der Direktor, während er die Brauen leicht runzelte, »nehmen Sie Platz, mein Herr.«

Van Heemsbergen zog den Stuhl mit einer entschlossenen Bewegung zu sich hin, setzte sich und sah den Mann mit dem gelben Gesicht, dem lang herabhängenden grauen Haar und den müden Augen hinter den Brillengläsern aufmerksam an.

»Haben Sie eine gute Überfahrt gehabt?«

Der Direktor sprach die Frage aus, ohne daß sie wie eine Frage klang.

»Eine sehr gute, ich danke Ihnen.« – »Bin ich hier etwa zum Tee?« dachte er bei sich.

Der Direktor seufzte, nahm ein Taschentuch, das groß war wie eine Serviette, von seinen Knien und putzte seine angelaufenen Brillengläser. Darauf klemmte er die Brille wieder hinter den Ohren fest und begann zwischen einem Haufen Papieren auf seinem Schreibtisch herumzusuchen. Ohne aufzublicken und wieder in demselben farblosen Ton, der die Frage zu einer beiläufig geäußerten Bemerkung machte, sagte er alsdann:

»Sie haben also die Absicht, hier in den juristischen Staatsdienst einzutreten ...«, er fand das Gesuchte, ein mit einer Reihe von Namen beschriebenes Blatt, sah den von van Heemsbergen obenan stehen und warf einen raschen forschenden Blick auf den jungen Juristen, dem seine Examinatoren diesen Rang zuerkannt hatten.

»Ich möchte gern im Innern des Landes eine Anstellung haben,« erklärte van Heemsbergen, »um die inländischen Verhältnisse so studieren zu können, wie ich es mir vorgenommen habe, im Geiste von Professor ...«

»Eine Anstellung im Innern des Landes bildet stets den Anfang der richterlichen Beamtenkarriere in Indien«, bemerkte der Direktor trocken, während er wieder in seinen Akten und Papieren zu blättern begann.

»Ahem – – die Kandidaten, die mir dieses Jahr zur Verfügung gestellt sind, werden sich wahrscheinlich eine Zeitlang gedulden müssen ... im Hinblick auf die Ansprüche der bereits angestellten ... und der ...« – er zog ein Dokument aus dem Stapel hervor und warf einen Blick hinein – »es sind drei Landratsvorsitzende vorzeitig vom Urlaub zurückgekehrt,« sagte er in entscheidendem Ton, indem er das Papier wieder hinlegte. »Man wird Ihnen den Beschluß des Departements mitteilen, Herr ... Ihr Namenszug ist nicht sehr deutlich ... van Heemsbergen? richtig, Herr van Heemsbergen.«

Van Heemsbergen begriff, daß die Audienz zu Ende war. Er stand auf, verneigte sich und ging. Das Gefühl, sich lächerlich gemacht zu haben, durchfuhr ihn prickelnd von den Schläfen bis zu den Fußsohlen.

Als er im Korridor einen der anderen Kandidaten mit einem erwartungsvoll gespannten Gesicht auf sich zukommen sah, eilte er hinaus und sprang in einen Sadoo. Der Kutscher setzte sich etwas bequemer auf seiner Bank zurecht.

»Wohin, Tuan?« Tuan = Herr. fragte er, ohne sich umzusehen.

»Hotel de l'Europe,« rief van Heemsbergen ärgerlich. »Fahr rascher, du Schlafmütze.«

Es regnete in Strömen. Gegen die heruntergelassenen Wachsvorhänge und auf die Kappe des Sadoo polterte es so laut, daß es den platschenden Hufschlag des Pferdchens beinahe übertönte. Ein grauer, dicht gestreifter Wasservorhang verhüllte die Aussicht. Die Räume und die Häuser schimmerten unbestimmt wie Wolken hindurch.

Van Heemsbergen blickte danach, ohne zu sehen. Das gelbe müde Gesicht des Direktors war zwischen seinem Denken und den Dingen, und er sah sich selbst wieder, wie er mit jenem Satz begann, über den er in der vergangenen Nacht so lange gegrübelt, und wie er dann steckengeblieben.

»Esel!« sagte er plötzlich laut. Er warf das Scheltwort auf gut Glück in eines jener beiden Gesichter.

Der Sadoo machte einen Ruck und blieb schief hängen.

»Es war ein Loch im Weg,« sagte der Kutscher in seinem singenden Malayisch.

Die breite Allee war überschwemmt, das Wasser reichte bis an die Achse der Räder, es sah aus, als wälze sich ein träger Fluß zwischen den hohen Bäumen.

Unter Schreien und Draufschlagen zog der Kutscher das verzweifelt ziehende Pferdchen und den Sadoo aus dem Loch heraus, kehrte um und suchte einen andern Weg nach dem Hotel.

Langsam, Schritt für Schritt, ging es nun weiter durch Pfützen und Schlammgruben.

Der Ruck hatte van Heemsbergen wachgerüttelt aus seinen unliebsamen Grübeleien. Er warf einen Blick um sich her, auf jenes Batavia, das er zum ersten Mal sah, nachdem er während so vieler Jahre davon geträumt hatte.

Grau, von Nässe dampfend und beschmutzt, lag die Stadt unter dem klatschenden Regen. Es waren weder Farben noch Umrisse zu erkennen. Was weiß von Häusern gewesen war, grün von Bäumen und Gestrüpp, lichtgelb vom Boden, war durchweicht und verwässert, zu einer schmutzigen Fahlheit ineinander gelaufen. Mauern und Dächer standen mit stumpfen Ecken und verschwommenen Umrissen in dem Brodem, als ob der Stein, zu weichem Lehm geregnet, sich auflöse und langsam abtropfe. Die Häuser, in die der Regen durch die Säulenreihen hineinjagte, sahen verlassen aus wie Trümmer in einem Morast. Die Straßenzüge, die Umrisse von Plätzen ließen sich nur noch aus der Richtung träger brauner Kanäle erraten, aus der Breite eines unter dem Regen brodelnden Sees, aus dem von blauem Dampf eingehüllte Baumgruppen herausragten, die wie niedrige Hügel erschienen. Unter einer Brücke wälzte sich, gegen die Bogen sich stauend, ein trüber Fluß, von schmutzigem, gelblichem Schlamm bedeckt und befrachtet mit treibenden Inseln von Soden und Gestrüpp, Binsen, Kräutern und Gras, geknickten Stämmen, abgerissenen Zweigen und Sträuchern, die die nackten Wurzeln nach oben kehrten. Zusehends wuchs die Flut und staute ihre Schicht von Schaum und Schlamm an den hohen Uferbäumen hinauf, wo halbnackte Eingeborene, glänzend wie soeben gegossene Bronze, in einer Reihe hintereinander herliefen, während sie sich mit den Zehen an dem glatten Boden festklammerten.

Die Gesichter von Holländern, die aus vorbeifahrenden Wagen schauten, waren fahlbleich, wie vom Fieber. Die Luft war dumpf. Es roch nach Schlamm, nach Schmutz und nach Fäulnis.

Eine unaussprechliche Empfindung von Elend und Verlassenheit griff van Heemsbergen an die Seele. Batavia erschien ihm nicht wie eine Stadt, sondern wie die Leiche einer Stadt, schon halbwegs versunken in den Morast, in dem sie umgekommen war, und er fühlte sich selber, als ein Wesen des Willens und der Intelligenz, in diesem von den Elementen überwältigten Lande schon von vornherein überwunden und zum Untergang verdammt.

Er konnte sich den ganzen Tag nicht mehr von dem Druck befreien, der ihn in jenem Augenblick hinabgezwungen hatte.

Er blieb in seinem Zimmer, um das Berechnen der Chancen und das Plänemachen der andern nicht zu hören, die alle fröhlich zu sein schienen, gleich als hätten sie die glückliche Zukunft schon als unterschriebenen Kontrakt in der Tasche. Zwischen den kahlen Wänden auf und ab gehend, horchte er durch immer wieder vertriebene, immer wieder zurückkehrende Gedanken hindurch auf das Rauschen und Dröhnen des Regens. In den Teich, zu dem der Garten geworden war, stürzten aus den vier Ecken der Galerie vier Wasserfälle brausend hinunter. Ein Blechdach rasselte wie zwanzig zu gleicher Zeit gerührte Trommeln. Von irgendwoher erklang eine langsam ansteigende chromatische Skala, die höher und höher sang, bis sie plötzlich mit einem gurgelnden Laut abbrach.

*


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