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Van Heemsbergen erwachte am nächsten Morgen mit dem Gefühl von etwas Häßlichem und zugleich Lächerlichem; nach einer Weile erkannte er es als die Erinnerung an seinen Besuch bei dem Präsidenten des Landrats.

»Was für ein Idiot,« dachte er, während er verächtlich den blassen Papageienkopf betrachtete, den seine Phantasie ihm vorhielt. »Und den soll man nun zum Chef haben, während man wissenschaftliche Arbeiten machen will! Er hätte Börsianer werden sollen, der Kerl!«

Sein Boy kam mit einer kleinen Tafel herein. Dr. Oldenzeel schrieb ihm, daß er vor Beginn der Sitzung zu einer Auktion fahren müsse, und schlug van Heemsbergen vor, ihn zu begleiten – –

»Es ist eine gute Gelegenheit, die Menschen kennenzulernen, ganz Soemberbaroe wird da sein,« so endete das Gekritzel.

Van Heemsbergen nahm dankend an.

»Wir wollen uns das »ganze Soemberbaroe« mal ansehen,« dachte er, während er aufstand.

Als er auf die Galerie hinaus trat in die sonnenlos schwüle Luft des West-Monsun-Morgens tönten ihm die dröhnend durchdringenden Gong-Schläge entgegen, die die Käufer zur Versteigerung zusammenriefen. Auf der Straße vor dem Hotel begann es lebhaft zu werden.

Frau Janssen, die dicke Wirtin, die schon vom frühen Morgen an geschäftig gewesen war, grüßte ihn mit einem von Schweiß und Zufriedenheit glänzenden Gesicht. Ihr Sarong saß schief, der schwarze Haarknoten hing ihr halb in den Nacken hinunter, und sie verlor in der Eile beinahe die Pantoffeln von ihren bloßen Füßen.

»So viele Menschen noch zu der Versteigerung, ja Herr Cheemsberg!«

»Gibt's denn da so viel Schönes zu kaufen?« fragte er. »Eh' nein! Forst-Assistent de Marre, er arm, kassian, um ihm zu helfen nur!« antwortete die Dicke.

In ihrem stockenden gebrochenen Holländisch-Malayisch erzählte sie von dem Forst-Assistenten de Marre, einem jungen Beamten, der plötzlich schwer erkrankt sei und mit einem dringenden Attest nach Holland gemußt habe. Man hatte ihn in einer Sänfte nach dem in den Hügeln gelegenen Pasang Grahan gebracht, damit das kühle Klima das brennende Fieber lindern möge, von dem er verzehrt wurde. Seine junge Frau, noch schwach nach der Geburt ihres zweiten Kindes, war ganz abgestumpft, nicht imstande zu denken oder zu handeln.

Mit der herzlichen Hilfsbereitschaft, die der eine Holländer dem andern in Indien wie etwas Selbstverständliches entgegenbringt, gleich als fühlten sich diese Vereinzelten der Nation inmitten jener orientalischen Millionen, als Mitglied einer Familie, waren Freunde und Fremde den beiden zu Hilfe gekommen. Sie hatten die Koffer gepackt, die Kleider genäht, die Kabine bestellt, das Haus zur Versteigerung hergerichtet. Und jetzt kamen sie von allen Seiten, um die einfache Einrichtung in ihren zehnfachen Wert an klingender Münze umsetzen zu helfen.

Die Landstraße dröhnte unter den Rädern. Allerlei Fuhrwerk kam vorüber, Vehikel von jeder möglichen und unmöglichen Art und Größe, mit javanischen Zwergpferdchen, Batak-Ponys von den Inseln, feurigen Sandlewoods und einigen wenigen unter all den kleinen Tieren riesenhaft aussehenden Australiern bespannt. Wie langsame Käfer, krabbelnde »Sadoes«, viereckige Deelemans Deeleman = eine Art Break. mit ihren Zelten aus schwarzem Segeltuch, Viktorias, die unter der aufgeschlagenen Kappe einer in sich selbst gebogenen dunklen Muschel glichen, Reisewagen, geräumig und solide wie Häuser auf Rädern, für tagelange Reisen durch das Binnenland gebaut, flotte amerikanische Wägelchen und unglaubliche Vehikel von untaxierbarem Alter und unbeschreiblichem Aussehen, aus dieser oder jener chinesischen Zimmermannswerkstatt hervorgeholt. Ein Wagen, dessen Wände aus grünen Holzläden bestanden, hatte die Form einer Sänfte aus dem XVIII. Jahrhundert, ein anderer, außerordentlich zierlich, schien aus einem japanischen Lackkasten, wo er ganz klein gestanden hatte, aus feinem Holz und Bronze mit einem nackten, einen platten Hut tragenden Schnelläufer zwischen den Deichseln, in die Wirklichkeit hineingezaubert. Viele waren ganz mit Schlamm bespritzt. An diesem oder jenem waren die Pferde mit zusammengeknüpften Stricken angespannt. Von den beschwitzten Tieren trabten viele so langsam, als hätten sie schon einen langen Weg hinter sich. Frau Janssen sah auf dies Treiben mit dem freudig-erwartungsvollen Gesicht eines Kaufmanns, der die vollen Schiffe auf den Hafen lossteuern sieht.

»Massah – da ist der Administrator von Kalimas – Lah! und all die Forstassistenten« – sie blickte einigen Reitern nach, die laut rufend und lachend auf ihren schweißtriefenden Tieren vorbeigaloppierten, bis zu den Schutzhelmen mit Kot bespritzt.

»Wird kein Platz genug sein im Stall,« murmelte sie und schüttelte besorgt den dicken Kopf.

Van Heemsbergen, der sich vorzustellen versuchte, wie sie sich in ihrer Kabaja und ihrem straff gespannten Sarong in einen Wagen hinaufwinden würde, fragte sie, ob sie nicht auch hinginge.

»Eh', Damen gehen doch nicht zu Versteigerungen, nur Herren,« und nach ihrem sich lösenden Haarknoten greifend, den sie geschickt wieder befestigte, schrie sie plötzlich auf Sundanesisch:

»Mian, Mi ... an, wo bleibst du doch mit den Hühnern?« Ein Junge von etwa zehn Jahren, nackt vom dunklen Kopf bis zu den Zehen, der rauchend auf der Baleh-Baleh vor dem Dienerzimmer saß, stand auf, schlenderte in den Garten und ging achtlos an einer Schar im Sande wühlender Hühner vorüber. Plötzlich packte er mit einer blitzartigen Bewegung zwei beim Schwanz, schleppte die lautgackernden Vögel, deren Federn umherstoben, fort und schlachtete sie, der Sitte gemäß, gleichmütig mit einem Schnitt halbwegs durch den Hals; und so wankten die blutenden Tiere noch eine Weile zuckend und taumelnd herum, bis sie endlich seitwärts niederfielen und still lagen.

»Den weißen Hahn auch!« rief die Wirtin ihm nach, »loh, da kommt auch der Prrräsident!«

Sie stürzte ins Haus.

»Wir kommen ein wenig spät,« sagte Dr. Oldenzeel, während er van Heemsbergen zu sich in seinen schiefgerutschten Wagen einlud, »aber es ist doch nur pro forma, ob man einen Schrank kauft oder eine Flasche Wein, man bezahlt dasselbe dafür. Die Zeiten sind schlecht,« fügte er seufzend hinzu, mit jenem tiefen Seufzer, den ihm der Gedanke an Geld stets abnötigte, »aber man kann doch solchen armen Teufel, der obendrein noch Frau und Kinder hat, nicht im Stich lassen.«

Er begann, bekümmert, die finanziellen Chancen der Forstassistenten-Familie zu berechnen, die Reise, die ja allerdings bis Holland von der Regierung bezahlt würde, die aber doch noch so viel extra kostete, die Kostspieligkeit eines Winters in »Europa«, die Zeit auf Wartegeld später.

»Aber wir werden schon dafür sorgen, daß die Versteigerung genug einbringt, um eine Weile davon zu leben. Wir müssen die Sache ein wenig animieren. Und der Resident hat für »Minoeman« Getränke, hauptsächlich Spirituosen. gesorgt. Er fuhr gerade an mir vorüber, als ich von Hause fortging. Meine Frau hat Sandwiches geschickt, jeder tut eben, was er kann ... wer kommt da hinter uns her?«

Er sah sich mit einer gewissen Angst um.

Aus einem leichten Wägelchen, vor dem ein Sandlewood in tänzelndem Schritt trabte, grüßte ein Gesicht, das van Heemsbergen bekannt erschien.

»Der Kontrolleur,« murmelte Dr. Oldenzeel, und von dem vorübersausenden »Bendy« blickte er unruhig auf den Rücken seines Kutschers.

Er hatte das Wort noch nicht ausgesprochen, als der Inländer auch schon auf die Pferde einhieb, daß sie aus ihrem langsamen Trab aufsprangen, während er in lautem Selbstgespräch auf den Kutscher des Kontrolleurs schimpfte, einen in der Tat gar zu schlecht erzogenen Menschen, den seine Mutter und sein Vater sicherlich niemals in der feinen Lebensart unterwiesen, sonst hätte er nicht in solch einer geradezu unerhörten Art und Weise an einem Manne, der an Ansehen und Jahren seines Herrn Vorgesetzter war, vorüberfahren können. Noch einmal und zum dritten Mal ließ er die Peitsche auf die Pferdchen niedersausen, indem er sie mit lautem Zungenschnalzen anspornte. Und jetzt rasten sie im Galopp davon, während sie den kleinen Wagen holpernd über den durch den strömenden Regen ganz uneben gewordenen Weg schleiften. Oldenzeel griff mit der einen Hand nach seinem Hut und mit der andern krampfhaft nach der Wagenkappe. Ein plötzlicher Ruck warf ihn gegen van Heemsbergen. Scharf an der Deichsel vorbei jagten die Pferdchen an dem sich scheu zur Seite biegenden Sandlewood vorüber, einen Augenblick später trabten sie wieder ruhig eine freie Bahn hinunter.

Der Präsident wischte sich die Kotspuren von dem schweißtriefenden Gesicht.

»Das ist eine verdammte Angewohnheit von dem Kerl,« klagte er, während er seine etwas hervortretenden Augen, in denen der Schrecken noch saß, auf van Heemsbergen richtete. »Er würde uns lieber allesamt den Hals brechen lassen, als daß er einen anderen vorbei ließe. Ich kann da sagen, was ich will, es nützt nichts, und darum tue ich jetzt nur lieber, als bemerkte ich es gar nicht.«

»Das ist also schon der zweite Schrecken für Sie heute,« sagte van Heemsbergen unwillkürlich lachend.

»Wieso der zweite?«

»Sie sagten doch soeben, daß der Resident an Ihnen vorübergefahren sei.«

»O, aber der Resident, bei dem versucht er es natürlich nicht! ... Wir sind da, Gott sei Dank.«

An einer Reihe unbespannter Wagen vorbei, die mit hochaufgerichteten Deichseln zwischen den die Auffahrt einfassenden Sträuchern standen, und durch Gruppen von Kulis hindurch, die mit allerhand Hausrat schleppten, fuhren sie vor dem Hause des Forstmeisters vor. Ein inländischer Karren, schief auf seinen schweren Rädern, von denen eines bis an die Achse in den Schlamm des platt getretenen Rasens eingesunken war, wurde mit kreuz und quer durcheinander gestapelten Stühlen, einem Spiegel und einem Haufen zusammengebundener eingerahmter Bilder beladen, aus denen es wie zerbrochenes Glas klang. Ein gewaltig gehörnter Büffel stand mit stumpfsinnig gesenktem Kopf davor. Etwa sechs oder sieben Kulis schleppten, unter der Last wankend, einen großen Baumfarren in einem Zuber herbei: er schüttelte seine breit ausladenden Blätter über ihren Köpfen. Ein Stallknecht in einem blauen »Toro« führte ein schön gebautes australisches Pferd den Pfad auf und ab, an einer Gruppe kritisierender Zuschauer vorüber.

Die Vordergalerie des Hauses war leer, drei nackte Wände um einen nackten Boden, in der Mitte der gerippte Abdruck der Matte in dem Staub, der die roten Steine bedeckte, und darauf die Spuren von nackten Kulifüßen. Aus den geöffneten Türen und Fenstern des Hauses erklang eine malayische Zahlen ausschreiende Stentorstimme und darüber hinaus der dünne Schall einer Spieldose, die eine Opernmelodie ableierte. Dröhnende Stimmen sangen sie mit.

Dr. Oldenzeel warf seinem Kutscher einen vorwurfsvollen Blick zu, den der Inländer höchst gleichgültig aufnahm, und ließ sich aus dem Wagen gleiten.

»Du brauchst nicht auszuspannen,« sagte er in gekränktem Ton, »wir kommen gleich zurück.«

Er schritt van Heemsbergen voran nach der offenstehenden Tür der Innengalerie; diese wurde von einem Chinesen versperrt, der mit einer schlotternden Hose und einem schwarzen Röckchen bekleidet war, auf dem sein Zopf, der unter einem Filzhut hervorkam, einen fettigen Streifen gebildet hatte.

»Wir werden nicht durchkönnen,« sagte er, indem er einen Blick über die Schulter des Mongolen warf.

Da drinnen war es so voll, daß kein Fuß breit Platz mehr zu sein schien.

Schulter an Schulter standen die Käufer, Inländer, Chinesen und Araber, zwischen den Holländern verstreut, und umringten den Auktionator, dessen vom Schreien gerötetes Gesicht über die Köpfe hinweg leuchtete.

»Und zum zweiten und zum dritten! Niemand mehr? Für 25 Gulden an Dr. Verhoeff!« rief er, sich aufs äußerste anstrengend, um trotz des schreienden Gesanges und des Lärmens verstanden zu werden.

Der Mann mit der Spieldose stand oben auf einem Tisch, den vier seiner Kameraden nach dem Takt der Musik hin- und herzogen. Breitbeinig stand er da, um das Gleichgewicht zu halten, und spielte mit dem ernstesten Gesicht von der Welt. Er spielte unablässig ein- und dieselbe Melodie aus dem »Troubadour«. Und während sie bei jedem Ruck und Stoß eine Welle von Flüssigkeit aus einem Kranz von Gläsern springen ließen, die über die nasse Marmorplatte rutschten, brüllten die vier falschstimmig mit:

C'est trop longtemps, c'est trop longtemps souffrir!
Adieu! Eleono-o-o-re, adieu!

Dr. Oldenzeel gab seine vergeblichen Versuche auf, sich an dem dicken Chinesen vorbeizudrängen, der unbeweglich auf seinen mit groben weißen Strümpfen und Lackschuhen bekleideten Füßen dastand, und führte van Heemsbergen durch den Garten nach der Hintergalerie.

Hier hatte man augenscheinlich alles das zusammengetragen, was sonst nirgendwo einen Platz hatte finden können. Zaumzeug lag auf dem Boden neben einer Reihe von Stehlampen, irdenen Wasserkrügen und einem Haufen Kinderspielzeug.

Über Möbeln, die für die besondere Gelegenheit mit ein wenig Farbe und Firnis aufgefrischt waren, hingen weißleinene Männerkleider, Röcke, bunt geblümte Sarongs, ein paar Vorhänge. Ein Tisch mit wacklig aufgestapeltem Porzellan stand hinter einer Stuhlreihe und einer Nähmaschine verschanzt, an der ein Flobertgewehr lehnte. Und allerlei, auf den ersten Blick ganz undefinierbare Gegenstände lagen und standen durcheinander.

Mitten zwischen diesen Stücken und Brocken einer vernichteten Häuslichkeit saß eine Gruppe von Herren schnapstrinkend an einem Tisch. Ein großer robuster Mann, dessen grobes Gesicht, feuerrot über dem blendenden Weiß seines Rockes, an eines jener plumpen Bilder erinnerte, wie sie früher häufig auf Schiffsteven prangten, ganz roh aus einem Stück Holz geschnitten und mit buntfarbigem Mennig getönt, beendete soeben eine Geschichte und schrie so laut, als spräche er zu jemandem an der gegenüberliegenden Seite eines Feldes. »Was dachten Sie wohl, Soetens, sage ich, als Sie da so plötzlich das Tigermaul vor sich hatten oben auf dem Kopf Ihres Pferdes? War Ihnen nicht bange? Nein, sagt er, bange ist mir erst geworden, als ich wieder zu Hause saß. Ich dachte nur, daß er so stank. Gott verdamm mich, wie stinkst du! dachte ich.«

Er warf sich in den Stuhl zurück, den sein gewaltiger Körper ganz mit Beschlag belegte, und lachte so, daß das Holz krachte.

»Sehen Sie nicht das ängstliche Gesicht von Soetens auf seinem Pferd und den Tiger, der vor ihm genau so erschrak wie er vor dem Tiger, und dann das »Gott verdamm mich, wie stinkst du,« rief er, während er sich die Tränen von den Backen wischte.

»Jawohl, lügen Sie jetzt nur nicht, Soetens, so ist's gewesen, Mensch! ...«

Er gab einem kleinen verlegen aussehenden Mann, der neben ihm saß, einen Schlag auf das Knie, daß er auffuhr, und wiederholte:

»So ist's gewesen!«

Und alle lachten mit.

Dr. Oldenzeel ging auf den laut Lachenden mit dem roten derben Gesicht zu, der ihn mit einem Ausruf über sein spätes Kommen und über die Geschichte empfing, die er nur halb gehört hatte, und machte ihn mit van Heemsbergen bekannt.

Alle blickten nun den neuen Bewohner von Soemberbaroe mit jenem kritischen Interesse an, das aus einer seit langem angespannten Erwartung entsteht.

Außer dem Riesen mit dem roten Gesicht und dem schüchternen Kleinen neben ihm saßen noch drei Männer in dem Kreise – ein Einarmiger mit dem Bändchen des militärischen Wilhelmsordens im Knopfloch, einem leeren Ärmel und einem so dunklen Teint, daß van Heemsbergen ihn für einen Mischling hielt; – ein schweigender Trinker, der sich, halb von der Gesellschaft abgewandt, als gehöre er nicht dazu, unaufhörlich mit den Fingern durch den ungepflegten Bart fuhr, in dem sein verdrießliches mit scharfen Runzeln wie mit einem Spinngewebe überzogenes Gesicht halbwegs verschwand, und ein hagerer Mann, der eine Brille trug, nervös die Stirn runzelte und ungeduldig auf den Tisch trommelte, während er unverwandt nach der geöffneten Tür blickte, durch die der Lärm der Versteigerung drang.

Der große Rote reichte Dr. Oldenzeel seine knochige Hand.

»De Bakker von Kalimas,« sagte er, während er van Heemsbergen zunickte. »Man hat Ihnen meine Fabrik sicher schon gezeigt drüben in der Ebene, sie ist die größte hier. He, Spada, Gläser und Stühle!«

Dr. Oldenzeel setzte sich mit dem befriedigten Gesicht eines Menschen, der mehr als genug zu der allgemeinen Unterhaltung beigetragen hat, und de Bakker nahm seine Geschichte wieder auf mit einem erneuten Ausfall auf den verlegenen kleinen Mann, den er »Pastor« nannte und der ein Missionär war.

»Aber ich habe das Wort doch nicht gesagt, Herr de Bakker,« versuchte der Kleine sich zu verteidigen. »Jawohl, Hochwürden, Sie sagten Gott verdamm mich! In Ihrem Schrecken sagten Sie es, Bruder in Christo, das ist ein häßlicher Posten auf der Debetseite Ihrer Rechnung mit den Leutchen da oben.«

Van Heemsbergen sah den Sprecher an. Er hatte kleine braune Augen und einen Blick, der stechend zwischen den beinahe unbewimperten leicht geschwollenen Augenlidern hervordrang: seine lange glatt rasierte Oberlippe bewegte sich während des Sprechens auf eigentümlich steife Art. Seine Hand mit den breiten weißlich durch die rotbraune Haut schimmernden Knöcheln und den kurzen Nägeln an den stumpfen Fingerspitzen umklammerte die Lehne des Schaukelstuhls, als wäre sie der Griff eines schweren Spatens. Er sprach in einem Tone unerschütterlicher Autorität, und der kleine Verlegene empfand seine Scherze augenscheinlich wie Knüppelhiebe.

»Was sagen Sie dazu, Kleiweg?« rief er dem Invaliden zu. »Haben wir etwa jemals was Schlimmeres gehört, während wir noch in der Kaserne waren?«

Der Einarmige grinste.

»Na!« sagte er nur.

»Und Sie, Salzpackhausmeister auf Urlaub, was sagen Sie dazu? So würden Sie nicht geflucht haben, was? und wenn auch ein ganzes Schiff mit Salz zum Teufel gegangen wäre?« sagte er, indem er dem andern, dem schweigenden Trinker, verständnisinnig zublinzelte. »Na sagen Sie doch auch mal was, Mensch.«

Der Salzpackhausmeister, der wegen betrügerischer Handlungen seine Entlassung bekommen hatte, antwortete nicht. De Bakker lachte um so lauter.

Der Doktor zog seine Uhr hervor.

»Weiß Gott, schon elf Uhr – und meine drei Operationspatienten, die auf mich warten,« sagte er ärgerlich, »wenn der Auktionator nicht sofort kommt, mache ich mich auf und davon, und ihr müßt mir dann einen Boten nach Sisiran schicken, ich kann hier nicht meinen ganzen Vormittag vertrödeln.«

Der Doktor, der in einem Umkreis von vierundzwanzig Stunden der einzige Arzt war, verbrachte seine Tage und seine halben Nächte in einem wie der Wind über Felder und Wege dahinsausenden Reisewagen. Alle Fabriken der Umgegend waren auf seine Arznei und Heilkunde abonniert. Wo er an der Auffahrt einen Fahnen schwingenden Inländer stehen sah, jagte er hinein. Hier lag ein Verunglückter bei den Maschinen, da phantasierte einer im Fieber, dort standen ängstliche Gesichter um ein Wochenbett.

Er operierte, diagnostizierte, entband, sprang wieder in den Wagen und wurde gleich einer Staubwolke weggewirbelt. Augenblicklich behandelte er de Marre, und da er dem ruhelosen Kranken versprochen, daß er ihm über die Auktion Bericht erstatten würde, hatte er den Auktionator bereits dreimal fragen lassen, wie es denn damit stände.

»Ihr müßt mir dann nur einen reitenden Boten nach Sisiran nachschicken,« wiederholte er, »ich gehe.«

Der Zuckerfabrikant wandte sich plötzlich an van Heemsbergen:

»Also Sie wollen unserem Freund Oldenzeel ein wenig helfen in der Fabrik – Recht und Gerechtigkeit mahlen für den braunen Bruder? Ihr mahlt zu fein, ihr Herren vom Gericht, es zerstäubt alles – puh, puh! – nichts mehr davon zu sehen, und was liegen bleibt, das mögen sie nicht. Nein Oldenzeel, alter Freund, sie mögen es nicht, sie mögen es nicht, Herr Doktor!« wiederholte er, während er das Wort »mögen« scharf artikulierte. Dabei zog er seine steife Lippe empor, so daß die großen vom Rauch gebräunten Zähne sichtbar wurden. »Sie sollten mal wissen, wie oft die Leute alles ruhig laufen lassen, lieber als daß sie sich an den Landrat wenden, sie pfeifen was auf ihr Recht. Was das Dessahhaupt verlangt, das gilt als Recht für die Dessahleute, und was der Assistent-Wedono verlangt, das gilt als Recht für das Dessahhaupt, und was der Wedono verlangt, das gilt als Recht für den Assistenten-Wedono, und was der Regent verlangt, das gilt als Recht für den Wedono und so weiter und so weiter bis zur obersten Sprosse der Leiter. Sie sind natürlich mit allerlei schönen Ideen hierhergekommen,« fuhr er fort, indem er sich wieder an van Heemsbergen wandte, »Humanität und die Bildung des Inländers und die Aufgaben des Mutterlandes und Fortschritt und der Teufel mag wissen, was sonst noch. So redet man in Holland, Blödsinn, sage ich Ihnen – lauter Blödsinn! Einen Eingeborenen können Sie nicht »bilden«, an dem ist nichts zu bilden, aber ihn faul machen und frech und noch aalglatter, als er schon ist, das können Sie. Die Boys bestehlen einen wie die Raben, und die Fabrikarbeiter laufen einem davon, mitten in der kritischen Zeit. Warum? Weil sie sehr gut wissen, daß man ihnen doch nichts anhaben kann, mit euren schönen Gesetzen. Versuchen Sie es mal – kommen Sie ihnen mal zu nahe. Dann gibt's sofort eine große Affäre, und man wird als Europäer verurteilt einem solchen Schuft gegenüber.«

Oldenzeel fühlte sich genötigt, die rechtlichen Institutionen der Kolonie zu verteidigen.

»Man kann doch das Faustrecht nicht proklamieren für die Holländer.«

»Wer spricht denn von proklamieren?« rief der andere, indem er auf den Tisch schlug, »das ist es ja gerade, all' die Formalitäten und der ganze Nonsens! Proklamieren Sie nichts und lassen Sie die praktischen Leute ruhig ihrer Wege gehen, so war es in den alten Zeiten und so war es gut. Wollen Sie einen Beweis haben? Dann sehen Sie sich mal die Zuckerfabrikation an. Wie stand es früher darum auf Java? Und wie steht es jetzt? das frage ich Sie nur!«

Er sah sich im Kreise um, und da er keine Antwort bekam, wiederholte er:

»Das frage ich Sie!«

Der Doktor sprang auf.

»Na, ich empfehle mich, meine Herren – so, da kommen sie!«

Dr. Oldenzeel ergriff mit der einen Hand sein Glas und mit der andern das Tablett mit Sandwiches, das der Bediente soeben herumreichte.

»Wir wollen sehen, daß wir uns ein wenig aus dem Gedränge halten, meine Herren.«

Die Schar der Käufer drängte sich hinein, den Auktionator umringend, der sich das erhitzte Gesicht mit einem riesengroßen Taschentuch abwischte. Der Jüngling, der an der Spieldose drehte, und seine Gefährten gingen voran und marschierten nach dem Takt:

»Voici le sabre, le sabre, le sabre,
Voici le sabre, le sabre de papa!«

Der Auktionator nickte Dr. Oldenzeel zu und kletterte auf den Stuhl, von dem dieser sich soeben erhoben hatte.

»Wieviel?« rief der Doktor. »Sagen Sie es nur annähernd, auf ein paar hundert kommt es nicht an.«

Der Auktionator schloß den schon aufgesperrten Mund wieder, warf einen Blick in sein Notizbuch und streckte vier Finger in die Höhe.

»Vier Tausend?« rief der Doktor.

Und der andere hatte noch kaum bejahend genickt, da stürzte er auch schon in den Garten, wo sein Wagen wartete.

Dr. Oldenzeel applaudierte:

»Bravo, bravo, sagen Sie de Marre, daß es fünf werden,« rief er hinaus.

Der Doktorwagen rasselte schon davon – seine drei Operationspatienten!

Der Auktionator goß ein fußhohes Glas Brandy und Soda hinunter, holte tief Atem und brüllte mit solcher Anstrengung, daß die Adern auf seinen Schläfen plötzlich blau anschwollen:

»Die Hintergalerie – meine Herren, ein Eßtisch aus Djatiholz eingelegt, für zehn Gulden!«

Und das Bieten und Überbieten begann von neuem unter Rufen, Schreien und Gelächter.

Dr. Oldenzeel gab vierzig Gulden für einen Schaukelstuhl, de Bakker übertrumpfte die sechzig, zu denen sich der dicke Chinese für den Besitz der Spieldose hatte aufschrauben lassen, mit einem plötzlich ausgeschrienen »Hundert«, indem er versicherte, daß so »ne Spieldose was verdammt Nettes sei.«

Die Möbel, das Porzellan, das Zaumzeug, das Küchengerät, alles war, kaum ausgerufen, auch schon verkauft.

Dr. Oldenzeel strahlte.

»So geht's gut, vorwärts, meine Herren, jetzt müssen es sechs werden.«

Es kam jetzt allerhand durcheinander.

Die dicken Hände des Auktionators schwenkten eine Garnwinde, einen schmutzigen Kissenschoner, eine Flasche mit roten Fischchen in Öl, einen ausgestopften Paradiesvogel, einen Damenpantoffel, zu dem das Gegenstück nicht zu finden gewesen war, – und die auf malayisch ausgerufenen Zahlen flogen einander nach und kamen zurück wie Bälle beim Tennisspiel, während das bereits Verkaufte von neuem und zum dritten und vierten Mal eingesetzt und wieder verkauft wurde.

Die Eingeborenen, die nur aus Neugierde gekommen waren oder in der Hoffnung, einen guten Kauf zu machen, boten schon lange nicht mehr mit, aber für die Holländer war die Versteigerung zu einem Sport geworden, der unter allgemeiner Heiterkeit seinen Verlauf nahm.

Das gemütliche Beisammensein von so vielen sonst hier und dort verstreut wohnenden Bekannten, das lärmende Treiben, ungewohnt in der tödlich stillen Existenz des Binnenlandes, und der Brandy-Soda und die Schnäpse, das alles hatte dazu beigetragen, die mitleidige Stimmung, in der alle ohne Ausnahme zur Versteigerung gekommen waren, in eine ausgelassene Lustigkeit zu verwandeln. Es wurde jetzt ein Sport, sich gegenseitig zu überbieten, gerade bei den nutzlosesten häßlichsten Gegenständen, und nur um des Vergnügens willen in dem ausgelassenen Wettstreit den Sieg davon zu tragen.

Ein junger Forst-Assistent kaufte ein wollenes Schaf, das er über die Köpfe aller hinweg dem Auktionar aus den Händen riß und das er sofort blöcken ließ.

»Für den Fall, daß ich mich mal verheiraten sollte,« sagte er erklärend.

»Bis dahin darfst du selbst damit spielen, hörst du, mein Junge.«

»Schlaf Kindchen, schlaf, da draußen läuft ein Schaf,« brüllte der junge Mann, dem die Spieldose weggenommen war.

Ein alter Herr mit einem langen weißen Bart setzte einen mit Vergißmeinnicht geschmückten Damenhut auf und fragte ganz ernsthaft, ob der denn nicht dreißig Gulden wert sei.

Der Bediente, der mit einem Tablett voll Schnapsgläsern dastand, wurde in den Kreis gezogen.

»Hierher! Die Schnäpse sollen versteigert werden!«

In einem Augenblick waren die kleinen Kelche alle weggenommen.

»Fünf Gulden pro Stück.«

»Nein, sechs – sechs.«

»Sieben meinetwegen.«

De Bakker griff nach der beinahe leeren Geneverflasche.

»Zwanzig Gulden für den Schnapskrug.« Und den Krug ansetzend, trank er ihn aus unter dem Gelächter der Umstehenden.

Der fette Chinese grinste.

Ein vornehm aussehender Inländer, dessen zurückhaltendes Wesen von all diesen erhitzten und durch überlautes Lachen verzerrten Gesichtern seltsam abstach, sah schweigend zu.

Van Heemsbergen fing seinen Blick auf, er wand sich durch das Gedränge und ging hinaus.

Der Stallknecht mit dem Toro, den er bei der Anfahrt gesehen hatte, führte das Pferd gerade wieder in den Stall.

Das junge Tier, scheu geworden durch den ungewohnten Lärm, bewegte unruhig die feinen Ohren und rollte mit den Augen, so daß das Weiß unter dem glänzenden Braun zum Vorschein kam.

Der blonde Mann aus dem Bandy, mit dem Dr. Oldenzeel das unfreiwillige Rennen abgehalten, blickte ihm nach, während er lachend einem alten Inländer zuhörte, der mit viel Kehllauten und Zungenschnalzen den Haarwuchs auf dem Nacken des Tieres kritisierte.

»Allzu schlimm sind da die Unglückszeichen,« sagte er kopfschüttelnd, »wer wäre wohl so dumm, ein solches Tier zu kaufen? Eh', hat der vorige Besitzer nicht all sein Geld verloren, so daß er ein armer Mensch war, noch bevor er das Pferd nur einen Monat im Stall hatte? Und hat die Frau des Herrn Residenten, der es dann kaufte, sich nicht das Bein gebrochen im Badezimmer? Und der es jetzt hat, ist der nicht plötzlich krank geworden, so daß man ihn in einem Tragstuhl hinaufgebracht hat? Tè, tè, sogar der ungebildetste Mensch kann sehen, wie dieses Pferd gezeichnet ist, so daß es seinen Reiter zu Fall bringen muß und all die Seinen! Wäre es zu mir gekommen, ich würde die Spuren seiner Hufe wegwischen lassen von dem Pfade.«

»Was sagt er doch?« fragte van Heemsbergen. »Ist das Pferd verkauft? Ich hätte eigentlich wohl Lust, es zu kaufen.«

»Es ist noch zu haben,« antwortete der Stalljunge in gebrochenem Malayisch.

Da kam Dr. Oldenzeel mit hastig trippelnden Schritten.

»Herr van Heemsbergen, es ist hohe Zeit für die Sitzung, kommen Sie mit? Ah, guten Morgen, ich suchte Sie gerade!« Er reichte dem blonden Mann mit der Kontrolleurmütze die Hand. »Ihr Freund de Bakker sitzt da drinnen,« fügte er mit einem vielsagenden Blinzeln hinzu.

»Das kann man hier schon hören,« antwortete der Kontrolleur trocken. »Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, Herr Präsident, wegen vorhin – mein Kutscher hatte das Pferd nicht in der Gewalt.«

Der Richter machte eine abwehrende Bewegung.

»Das läßt sich nun einmal nicht ändern mit den Kerls. Die Herren kennen sich vielleicht noch von Leyden her,« sagte er und blickte von dem Kontrolleur zu van Heemsbergen hinüber.

Der blonde Mann grüßte steif.

»Nur von Ansehen, – Hendricks.«

Van Heemsbergen erkannte den Sohn des Pedellen aus Leyden, der seiner Zeit die Öfen in der Klasse zu heizen pflegte. Bei dieser Erinnerung sagte er unwillkürlich »Du«.

»Ich dachte schon, was für ein bekanntes Gesicht, aber ich konnte dich nicht recht unterbringen.«

»Sie sind hier, wie ich höre, im Landrat tätig, Herr van Heemsbergen,« sagte der andere, indem er den Nachdruck auf das »Sie« und den vollen Namen legte. Ohne die Antwort abzuwarten, wandte er sich wieder an den Richter: »Also heute wird Pah-Tasmie sein Schicksal erfahren. Singadikrama oder nicht Singadikrama.« Mit einem Lächeln unter seinem blonden Schnurrbart nannte er den Namen eines Zeugen, dessen Aussage in der heute vormittag zum Austrag kommenden Strafsache von Wichtigkeit und der seit einigen Monaten verschwunden war.

»Ja, der Kerl war nicht aufzufinden, gerade wie Sie es vorhergesagt hatten.«

»Attendez moi sous l'orme,« zitierte Hendricks. »Nicht als ob es so wichtig wäre. Singadikrama ist ja doch nur eine Strohpuppe von – na Sie wissen schon von wem.«

Dr. Oldenzeel schien nicht im mindesten verwundert zu sein über die Kenntnisse, die der junge Beamte in Rechtsdingen an den Tag legte.

»Meinen Sie?« fragte er vertrauensvoll.

»Ich zweifle keinen Augenblick daran,« meinte Hendricks, indem er grüßend fortging.

Der Kutscher fuhr vor.

Dr. Oldenzeel wand sich stöhnend in das Fuhrwerk.

Van Heemsbergen folgte ihm.

»Ein kolossal tüchtiger Mensch,« sagte er, »Gott mag wissen, wie es möglich ist – er fragt niemals etwas und weiß immer alles.«

Dr. Oldenzeel schwieg eine Weile und nickte ein paarmal mit dem Kopfe wie zur Bestätigung seiner eigenen verwunderten Gedanken. Dann sagte er:

»So, jetzt haben Sie die Herren alle zusammen gesehen. Nur der Assistent Resident, der ist zu rasch wieder weggefahren. Ein sehr angenehmer Mann, wie Sie sehen werden – er tut viel für das gesellschaftliche Leben hier, aber sonst haben Sie sie jetzt alle kennen gelernt – ganz Soemberbaroe!« wiederholte er befriedigt.

»Gehört Herr de Bakker auch zu Soemberbaroe?«

Der Präsident blickte auf. »Warum fragt er das in so merkwürdigem Ton?« dachte er bei sich.

»Hm – eigentlich nicht, er wohnt in Kalimas, wissen Sie, aber er kommt viel hierher. Auch ein famoser Mensch – ein famoser Mensch, man muß ihn nur erst gut kennen. – Man muß sich ein wenig an seine Manieren gewöhnen, wissen Sie.«

»Aha!«

»Ja, man muß sich ein wenig daran gewöhnen ... ich kenne ihn nun schon mehrere Jahre und ich stehe sehr gut mit ihm. Einmal in der Woche, wenn ich in Kaliwangi Sitzung habe – Sie wissen doch, daß Kaliwangi zu unserem Ressort gehört? ja – und Langean auch – das ist 'ne Expedition jede Woche! – na und wenn ich dann in Kaliwangi Sitzung habe, dann nehme ich immer den Reistisch in der Fabrik, eine feststehende Einladung. Er wollte Sie soeben einladen, das nächste Mal mitzukommen, aber wir konnten Sie nicht finden.«

Er wartete einen Augenblick auf eine Antwort, die nicht kam, und fuhr dann fort:

»Ein angenehmes Haus – sehr splendid, echt indische altmodische Gastfreundschaft ... und Frau de Bakker ...«

Oldenzeel führte Daumen und Zeigefinger an die gespitzten Lippen.

»Ein Frauchen! ... Sie werden sie sehen, sie ist jetzt noch in Europa, sie geht öfters hin ihrer Gesundheit wegen, wissen Sie. – Um den Hut vor ihr zu ziehen! Sie ist viel feiner als er, mehr Dame – na, Sie verstehen schon, wie ich das meine« ... unterbrach er sich, als er das Lächeln unter van Heemsbergens Schnurrbart gewahrte; »er ist ein Bauernjunge, der als Kolonist in dies Land gekommen ist, Sie haben es ihn ja selbst soeben sagen hören, er schämt sich dessen nicht.«

»In keiner Hinsicht,« sagte van Heemsbergen kühl. Er sah den Pflanzer vor sich in jenem Augenblick bei der Versteigerung, den roten Kopf in den Nacken geworfen und die Geneverflasche am Munde, während der vornehme Inländer und die grinsenden Chinesen ihn umringten.

»Und dabei sprechen wir noch von der Aufrechterhaltung unseres Ansehens dem Inländer gegenüber,« dachte er.

Dr. Oldenzeel sah ihn von der Seite an und schwieg.

Dann, nach einer Weile:

»So,« sagte er erleichtert, »da wären wir.«

Sie näherten sich einem Etwas, das einem inländischen Kampong Kampong = ein ausschließlich von Inländern bewohntes Viertel. glich – von einem niederen Zaun eingefaßt und von dem Schatten einiger hügel-hoher Waringinbäume überdunkelt, ein Klumpen grau-brauner Dächer und Dächlein, wie zu einer Klette zusammengewachsene Pilze, dicht zusammengedrängt um den Fuß riesengroßer Bäume. Kindergeschrei, das schrill-süße Girren von Turteltauben und der Lärm von Stampfern in einem Reisblock klangen daraus hervor. Eine Frauenstimme rief etwas in gebieterischem Ton; und eine andere antwortete klagend-zänkisch.

»Gehört zum Hause des Regenten,« sagte Dr. Oldenzeel. »Der Eingang zum Hauptgebäude liegt dort, nach dem Aloen-Aloen zu.«

Der Wagen verließ den Rand der rauhen Grasfläche, dem er längs zwei Seiten des weiten Vierecks gefolgt war, und schlug einen Weg ein, der bei dem dunklen Laubhügel mündete. Wie eine Höhle tat es sich darüber auf: und zwischen, hinter und unter Stamm-Gruppen, hängenden Blättermassen und faserigen Strähnen von Luftwurzeln kam ein auf weißen Pfeilern ruhendes Haus zum Vorschein. Herabgelassene Vorhänge aus Binsengewebe, mattgelb, mit roten und grünen Streifen bemalt, bildeten luftige Wandfächer zwischen den Säulen. Auf den rotsteinernen Stufen zu beiden Seiten einer Öffnung in der Mitte, durch die die Tiefe der Vordergalerie wegschimmerte, kauerten zwei Javaner unbeweglich wie Statuen.

Oldenzeel nickte einer Gruppe von Inländern zu, die am Fuße eines Waringin hockten.

»Das sind unsere Freunde, die Angeklagten und die Zeugen und alles, was sonst noch mit dazu gehört. »Und dort« – er starrte in die halb düstere Vordergalerie – »dort ist der Regent mit dem Wedono und dem Panghoeloe Panghoeloe = Priester. – Donnerwetter,« er hatte seine Uhr gezogen, »schon nach zwölf – wahrhaftig.«

Seufzend ging er hinein.

In der Vordergalerie, der ein langer, mit einer grünen Decke bekleideter Tisch, auf dem eine Klingel, eine Wasserflasche und ein paar Gläser zwischen einigen Büchern und Aktenstapeln standen, eine Reihe Stühle und ein großer, bunt bemalter Wandschirm am Eingang zu dem verborgenen Innenhause einen leisen Anstrich von europäischer Ordnung und europäischem Komfort verliehen, der seltsam mit dem echt inländischen Leben kontrastierte, das sich dahinter abspielte, saßen der Regent, ein ältlicher Mann mit einem dürren straffen Gesicht, sein Neffe, der Wedono, und der wohlgenährte Priester und warteten, mit dem unzerstörbaren Gleichmut des Inländers, für den der Begriff »Zeit« nicht besteht und für den Nichtstun eine Beschäftigung ist, angenehmer und anregender als irgendeine andere.

Der Djaksa, ein gut aussehender kleiner Kerl, der die schwarze mit goldener Tresse verzierte Beamtenmütze ein wenig schief trug, sah das Protokoll, das er später zu verlesen haben würde, noch einmal durch und murmelte die geschriebenen Sätze leise nach. Am Ende des langen Tisches saß der indo-europäische Aktuar und schrieb, hinter einem Aktenstapel verschanzt, einen Brief, der folgendermaßen begann:

»Ew. Hochwohlgeboren, sehr gestrenger Herr! Ich nehme mir die Freiheit Ew. Hochwohlgeboren sehr gestrengen« ... als er seinen Chef eintreten sah, schob er den Brief, ohne sich im geringsten zu beeilen, unter die Akten und ordnete den ungleichen Stapel mit seinen krummen, dünnen vom vielen Zigarettendrehen gelb gewordenen Fingern, während er van Heemsbergen, den der Regent und der Wedono feierlich begrüßten, neugierig musterte.

Oldenzeel verschwand hinter dem chinesischen Wandschirm und kam gleich darauf wieder zum Vorschein, breit, dunkel und würdevoll, mit Toga und Barett bekleidet. Er setzte sich, rückte ein paarmal auf seinem Stuhl hin und her, zupfte an dem langen Gewand, das ihm unbequem war, und suchte mit den Augen nach dem Polizeiaufseher, der, sich tief verneigend, näher kam und sich hinter ihm niederkauerte; schob ein wenig an den Papieren, die der Indo vor ihn hingelegt hatte; setzte seinen Kneifer auf und erteilte Befehl, man solle den Angeklagten und die Zeugen vorführen.

Der Polizeiaufseher in seiner blauen, mit breiten kanariengelben Streifen verzierten Uniform ging hinaus, affektiert mit den Beinen schlenkernd, so daß die gelben Streifen an seiner Hose grell leuchteten, und kam mit den Inländern zurück, die wartend unter dem großen Waringin vor der Wohnung des Regenten gesessen hatten. Der Angeklagte, ein Mann von etwa zwanzig Jahren mit einem sanften Gesicht und beinahe kindlich offenen Blick wurde durch den Gefängniswärter vor den Tisch der Richter geführt, wo er sich, Sembah machend, nieder kauerte. Die andern, Zeugen und aus Neugierde mitgekommene Freunde und Nachbarn, ließen sich am äußersten Rande der Pendoppo auf dem Boden nieder, den Schreibern des Präsidenten, die Papier und Federn in Ordnung brachten, gerade gegenüber. Allein, in stolzer Absonderung, erschien ein würdevoll einherschreitender Araber, aus dessen Gewändern ein Duft von Rosenöl betäubend süß aufstieg.

Der Präsident blickte von seinen Papieren auf, über den Kneifer weg, und stützte seine beiden Arme in den weiten Togaärmeln mit einer resignierten Bewegung auf den Tisch.

»Ahem ... Djaksa, verlesen Sie gefälligst die Anklage.«

Der gut aussehende junge Inländer mit der schwarzgoldenen »Kapjah« Kapjah = eine Fez-ähnliche Mütze aus schwarzer Seide, mit Gold verziert. auf dem einen Ohr richtete sich mit einer zierlichen Bewegung auf, warf den Kopf in den Nacken und begann in einem eintönigen singenden Ton hastig zu lesen.

Van Heemsbergen, der gut malayisch zu können glaubte, verstand kein Wort. Der eintönige Klangstrom rauschte an ihm vorüber, ohne daß er mehr als hin und wieder ein einzelnes Wort hätte herausgreifen können. Nur so viel schloß er aus einzelnen immer wiederkehrenden Silben, daß es sich um einen Fischteich handelte, den der Beklagte Pah-Tasmie von einem gewissen Natawadjana gepachtet oder gekauft und den er an den Araber, der Said Mohamad zu heißen schien, weiter verpachtet oder verkauft hatte. Aber das übrige konnte er nicht einmal erraten. Endlich gab er es auf.

»Ich wollte nur, daß dieses Geschwätz endlich ein Ende nehme und das Verhör beginne,« dachte er, »niemand scheint zuzuhören.«

Er warf einen Blick auf den Beklagten. Vor dem Wärter hingekauert, saß er noch in genau derselben Haltung, mit genau demselben Ausdruck oder besser gesagt, derselben Ermangelung jeglichen Ausdruckes in den Zügen wie soeben. Er ließ die lange Anklage über sich ergehen, als beträfe ihn kein Wort davon.

Ebenso gleichgültig-unbeweglich waren die Gesichter der übrigen Inländer. Nur durch ihre ärmliche Kleidung war die Gruppe von Pah-Tasmies Freunden und Anverwandten von dem Gefolge des Präsidenten zu unterscheiden, das an der andern Seite des Pendoppo kauerte. Kein Schatten einer Anteilnahme war in ihren ins Leere stierenden Augen zu entdecken.

Es war eine junge Frau dabei, die beim Hereinkommen dicht hinter Pah-Tasmie geblieben war und die nur flüchtig aufgeblickt hatte, als der Djaksa las:

»Naila, Frau von Pah-Tasmie.«

Sie schien sich ebensowenig wie die andern um sein Schicksal zu kümmern.

Van Heemsbergens vorüberschweifender Blick wurde festgehalten durch das lichte Gelb ihres Antlitzes, das aus der Reihe jener dunklen Gesichter aufleuchtete. Er schaute sie aufmerksamer an.

Sie saß da, sittsam vor sich hinschauend, auf kreuzweise übereinander geschlagenen Beinen, deren Form sich von der Hüfte bis zu den feinen Knöcheln in dem straffen Sarong abzeichnete. Von dem kleinen hochgetragenen Kopf wogten die Linien anmutig an dem graden Nacken, den leuchtenden Schultern und den schlanken Armen hinunter. Die Hände lagen lässig im Schoß, offen, die mattrosige Fläche dem Licht zugekehrt. Die Stirne hob sich fast weiß von dem blau-schwarzen Haare ab. Ein Schein von frischem Blutrot brach durch das violettfarbene Oval der Lippen, über denen die dünnen Nasenflügel scharf zugespitzt standen, wie die eines Rehes. Die gesenkten Wimpern breiteten einen sammetweichen Schatten über das Mattgelb der Wangen. Es lag in ihrer ganzen Erscheinung etwas Schimmerndes und Feines, das an Gold und Blumen erinnerte.

Gleich als habe sie den Blick des jungen Mannes gefühlt, sah sie auf und enthüllte den Glanz ihrer schwarzen Augen, um die die Wimpern dunkel lagen. Aber gleich darauf schlug sie sie wieder nieder und wandte mit einer stillen anmutigen Bewegung den Kopf ab.

»Was für ein Prinzeßchen, und dabei die Frau dieses Dummkopfes!« dachte van Heemsbergen. »Und die Gegenpartei?« Er warf einen Blick auf den Araber, der in geringschätziger Entfernung von den Eingeborenen an eine Säule gelehnt dastand. Aufmerksam, gleich als ob er jedes vorüberschwirrende Wort auffing und erkannte, sah er den Vorlesenden an. Seine aus Schattenhöhlen funkelnden Augen hielt er fest auf den Djaksa gerichtet. Starr wie aus Bronze gegossen war sein stolzes Gesicht mit den stark vorspringenden Augenbrauen und der Adlernase, in der weißen Umrahmung des Turbans. Während des Zuhörens fuhr er sich unaufhörlich über den blau-schwarzen Bart mit einer mageren wohlgeformten Hand, an der ein einziger Saphir blitzte.

»Said Mohamad bin Abdoelrachman bin Mohamad bin Djena Aljuffrie,« las jetzt der Djaksa. Er schnappte nach Atem und surrte dann wieder weiter.

»Noch nicht fertig? das ist ja zum Einschlafen,« dachte van Heemsbergen.

Der Indo neben ihm hatte den angefangenen Brief an den hochgestellten Beamten, dem er eine kleine Anstellung abbetteln wollte, wieder aus dem Aktenstapel zum Vorschein gezogen und blickte verstohlen und sehnsüchtig darauf, während er die Feder zwischen seinen mageren langen Fingern mit den gelben Nägeln hin- und herdrehte; aber er hatte des neuen Hilfsaktuars wegen nicht den Mut.

Dr. Oldenzeel blickte in die Ferne, starräugig und bekümmert.

Der Regent saß da, regungslos und feierlich wie ein Buddhabild, mit gesenkten Augen, die Hände flach auf die Knie gelegt, über die sein Sarong in langen geraden Falten herabfiel. Sehr widerwillig erfüllte er ausnahmsweise für dieses eine Mal die Richterpflicht, mit der er in der Regel einen seiner Untergebenen betraute. Das Amt war unbesoldet. Und was gingen ihn die Angelegenheiten jener geringen Leute denn eigentlich an? Aber er hielt seine Würde aufrecht. Durch seine unbeweglichen Züge und seine hierarchische Haltung gestaltete er die Sitzung zu einer ihm zu Ehren veranstalteten Feierlichkeit und einer seinem fürstlichen Blut gebührenden Huldigung. Sein Neffe, der Wedono, ahmte ihn in Wesen und Haltung nach wie ein Schatten die Gestalt, von der er geworfen wird.

Der wohlgenährte Panghoeloe, bekleidet mit dem Kaftan und dem Turban, die ihn seinen ehrfurchtsvollen Landsleuten als Mekka-Pilger kennzeichneten, hatte seine fleischigen Hände in den Schoß gelegt und blinzelte schläfrig mit den immer schwerer werdenden Augenlidern.

»Es ist keinem von ihnen auch nur ein Jota an der Sache gelegen, weder dem Beklagten noch den Zeugen, noch den Freunden, noch den Richtern, noch jenem fetten Priester,« dachte van Heemsbergen, »ist das etwa die inländische Gleichgültigkeit? Oder haben wir das hier erst eingeführt durch Institutionen, die für diese Menschen nicht – oder doch wenigstens noch nicht geeignet sind?«

Der Djaksa beendete seine Vorlesung:

»Der Beklagte, Pah-Tasmie, hat sich daher des Betruges schuldig gemacht.«

Er setzte sich und strich flüchtig mit der Hand über seinen Sarong.

Die plötzliche Stille weckte all diese Stumpfsinnigen. Der Regent und der Wedono blickten auf, der Panghoeloe öffnete die Augen weit, und Dr. Oldenzeel nahm seine Arme vom Tisch und richtete sich straffer auf.

»Haben Sie folgen können, Herr van Heemsbergen?« fragte er sehr familiär. »So, nicht allzu gut? Ja, es rappelt auch so. Nun, das Verhör geht von selbst langsamer wegen des Übersetzens, wissen Sie.«

»Wieso, übersetzen?«

»Ins Sundanesische natürlich, die Menschen verstehen hier doch kein Malayisch.«

»Was? der Beklagte versteht die Anklage nicht? Und die Zeugen« ...

»Aber nein, natürlich nicht! Wir sind hier doch auf den Sunda-Inseln. Hier ist der westliche Teil der Insel Java gemeint. Said Mohamad wohl, der kann malayisch, selbstverständlich.«

»Es ist ja wahr, die offizielle Sprache ist Malayisch, das habe ich doch auch gewußt,« dachte van Heemsbergen, »was für ein unmöglicher Zustand, und wenn sie jetzt auch jedes Wort übersetzen, die Gerichtssitzung wird auf diese Weise doch zu einer Komödie herabwürdigt, zu einer Farce! Daß es einem Menschen da Spaß machen kann, mitzumachen!« ...

Er blickte seinen Chef mit einem gewissen Widerwillen an.

Der Präsident befahl, daß sich die Zeugen und das Publikum zurückziehen und daß der Beklagte vorgeführt werden solle.

»Ahem ... kch, kch ...,« er suchte den Namen auf der Urkunde, die vor ihm lag. »Pah ... Pah-Tasmie.«

Das Verhör begann.

Der Präsident, der kein Sundanesisch verstand, richtete seine Fragen auf Malayisch an den Djaksa, und der Djaska übermittelte sie auf Sundanesisch dem Beklagten und den Zeugen, die kein Malayisch verstanden.

Es ging so langsam wie das Ausschenken aus einer Flasche, in deren Hals ein Kork steckt. Tropfenweise kamen die Worte und wurden übergegossen und hin und her getragen, verschüttet und wieder eingefüllt. Es dauerte eine Weile, bevor van Heemsbergen durch Raten und Vermuten den Sachverhalt erfaßt und vernommen hatte, wie Pah-Tasmie, der die Geburt seines ersten Sohnes mit einem Fest feiern mußte, Said Mohamads, des Geldverleihers, Schuldner geworden war. Wie seine schon im voraus verpfändete Ernte sich als nicht ausreichend erwiesen hatte, um den Wucherer zu bezahlen, und er rechts und links verkauft, geliehen, gebettelt und verpfändet, wie er damit noch nicht genug hatte zusammenscharren können, um die in der Zwischenzeit immer größer gewordene Schuld auszugleichen; und wie er, in der Meinung, daß er wohl doch noch aus der Not geraten würde, wenn er nur den Fischteich von seiner Mutter Bruder, Natawadjana, während einiger Zeit ausbeuten könne, diesen Teich gepachtet, aber die ausbedungene Summe – hundert Gulden jährlich – nicht bezahlt hatte.

Der Präsident fragte Pah-Tasmie durch Vermittlung des Djaksa, ob er zugäbe, seinen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen zu sein?

»Ja,« ließ Pah-Tasmie durch den Djaksa antworten, »er gäbe das zu. Er habe aber nur so wenige ganz kleine Fischchen aus dem Teich geholt. Die Holländer wollten sie nicht kaufen, und die Menschen im Kampong gäben nur ein ganz klein wenig Geld dafür. Sie hätten gesagt, Pah-Tasmie müsse nicht mehr im Teich fischen, sondern er müsse den Teich ausbaggern und neue Teiche darin anlegen und guten Fisch pflanzen, wofür er Geld bekommen könne, wenn er ihn vor den Häusern feilböte, denn solche Fische wie jetzt darin seien, die wollte niemand kaufen! Und er, Pah-Tasmie, habe wohl gern den Teich säubern und guten Fisch hineinsetzen wollen, aber er habe gar kein Geld gehabt, und Natawadjana, seiner Mutter Bruder, sei ein sehr geiziger Mensch und habe ihm kein Geld leihen wollen, obgleich er ihn viele Male flehentlich darum gebeten. Darum sei er wieder zu Said Mohamad gegangen und habe gesagt: »Gib' mir dreihundert Gulden, ich gebe dir dafür den Teich zum Pfand.« Und Said Mohamad sei gekommen und habe sich den Teich angesehen und habe den Kopf geschüttelt und gesagt: »Die Sache ist schlecht, die Sache ist schlecht.« Und er habe gesagt: »Ich will kein Geld leihen auf den Teich, aber ich will den Teich kaufen für dreihundert Gulden, wenn du die beiden Bambushäuser dazu gibst, die du im Kampong stehen hast, und auch noch deine vier Büffel – in fünf Monaten kannst du alles wieder zurückkaufen.« – Da seien sie alle zum Notar gegangen und er, Pah-Tasmie, habe die Urkunde mitgenommen, in der alles über den Teich geschrieben stand.«

»Den Pachtvertrag mit Natawadjana?« fragte der Präsident.

»Ja, den Pachtvertrag mit Natawadjana, denn jetzt wolle er den Teich an Said Mohamad verkaufen, und das müsse der Notar in die Urkunde aufnehmen.«

»Pah-Tasmie,« begann der Präsident, »verkaufen kann man nur das, was man besitzt. Jener Teich aber war nicht dein Eigentum, sondern das deines Onkels Natawadjana. Wie kommt es denn, daß du ihn verkaufen wolltest?«

Pah-Tasmie blickte mit unschuldigen Augen auf.

»Ich mußte Geld haben, um den Teich zu säubern und neue Dämme anzulegen, darum verkaufte ich den Teich für Geld.«

»Aber du konntest den Teich nicht verkaufen, denn er gehörte dir nicht, der Teich gehörte Natawadjana, du hattest ihn nur gepachtet und nicht einmal die Pacht bezahlt. Wie ist das, daß du etwas verkaufen wolltest, was einem andern gehört?«

Said Mohamad sah den Richter an mit dem Blick eines lange unterdrückten Menschen, der endlich Unrecht nennen hört und Hoffnung für die Zukunft schöpft.

»Wie ist das, Pah-Tasmie?« wiederholte der Präsident strenger.

Pah-Tasmie antwortete nicht. Er blickte hilflos vor sich hin. Dies war eine schwierige Sache, eine gar zu schwierige!

Nachdem er eine Weile gewartet, sprach der Richter seine Vermutung aus, daß der Notar die Transaktion als unausführbar erklärt haben müsse, und wurde in dieser Ansicht bestärkt, als er weiter vernahm, daß der Notar Pah-Tasmie erklärt habe, dieser müsse erst selbst den Fischteich kaufen.

Er fragte:

»Hast du die nötigen Schritte dazu getan, Pah-Tasmie?«

»Nein, das habe Pah-Tasmie nicht getan. Natawadjana sei ein sehr geiziger Mensch, er würde sicherlich den Fischteich nicht verkauft haben. Aber Singadikrama, ein sehr vernünftiger Mann, sei eines Abends gekommen und habe gesagt: »Dein Onkel Natawadjana ist krank, und auch seine beiden Beine sind lahm geworden, wie sollte er wohl zum Notar gehen können? Darum muß ein anderer zum Notar gehen und sagen: »Ich bin Natawadjana, und dieser hier ist mein Neffe Pah-Tasmie, der mir meinen Fischteich abkaufen will.« So wirst du tun können, was nötig ist. In dieser Sache will ich dir helfen und dir einen Dienst erweisen, denn dein Vater, der mein Freund war, hat mir, während er noch lebte, auch oftmals einen Dienst erwiesen. Es ziemt sich, daß ich das jetzt an seinem Sohn vergelte. Aber du mußt Zeugen haben, dieselben, die deine Zeugen waren, als du den Fischteich von Natawadjana pachtetest.« Und Pah-Tasmie habe gesagt: »Wie ist das möglich? denn als ich den Teich pachtete, waren Natawadjanas Sohn Laitem und sein Schwiegersohn Djoedakerta Zeugen, und sicherlich werden die jetzt nicht Zeugen sein wollen.«

Aber Singadikrama antwortete und sagte: »So wie ich jetzt zum Notar gehen werde an Stelle des Natawadjana, so müssen zwei andere Menschen an Stelle seines Sohnes Laitem und seines Schwiegersohnes Djoedakerta gehen! Sicherlich hast du doch Freunde oder Blutverwandte, die gehen können. Ich selber werde dann Leute mitbringen, die der Notar kennt, damit sie erklären, daß die beiden wirklich Laitem und Djoedakerta sind.«

Da sei Pah-Tasmie herumgelaufen bei seinen Verwandten und bei den Verwandten seiner Frau, und sein Blutverwandter Pah-Djas und seines Weibes Blutverwandter Ngalipan hätten gesagt: »Es ist gut, wir werden mitgehen zu dem Notar.« Und da seien sie alle gegangen, er, Pah-Tasmie, und Pah Djas und Ngalipan und auch Singadikrama, der den Rat erteilt habe, und die beiden Freunde von Singadikrama und Said Mohamad.«

Er schwieg.

Der Präsident befahl dem Polizeiaufseher, ihn hinauszuführen, – aber nicht zu den andern Inländern: er müsse allein bleiben, unter dem Baume links – und Said Mohamad vorzuführen. »Wenn ich sie zusammen sein ließe, würden sich die Zeugen verständigen, verstehen Sie?« – so erklärte er van Heemsbergen seine Handlungsweise.

Der Araber trat vor, fürstlich in seinem langen, wallenden Gewande und von einer Atmosphäre von Wohlgerüchen umgeben. Hoch aufgerichtet blieb er vor dem Panhoeloe stehen, der ihm, sich auf den Zehen emporreckend, mit hochgestreckten Armen den Koran auf den Kopf zu legen versuchte, während er ihm die Worte der mohammedanischen Eidesformel vormurmelte. Mit geringschätziger Unachtsamkeit starrte Said Mohamad vor sich hin. Er wartete einen Augenblick, nachdem der inländische Priester sein Gemurmel beendet hatte, und sprach dann überlaut und mit Nachdruck die heiligen Worte:

»Bei Gott dem Großen! Bei Gott dem Großen! Bei Gott dem Großen! Und bei dem, was geschrieben steht in diesem Buch, dem Worte Gottes!«

Aus jeder Silbe ließ er seinen Stolz erklingen auf die Sprache, die seine Muttersprache, und auf den Gottesdienst, der der seines Volkes war, des auserwählten Volkes, aus dessen Mitte der Prophet erstanden war.

Mit verlegener Ehrfurcht blickte der Priester zu dem in Glaubensdingen Wohl-Unterrichteten auf, der den schweren Spruch so fließend hersagte.

Der Präsident vernahm Said Mohamad ohne Vermittlung des Dolmetschers. Er antwortete ruhig und mit Würde in einem Malayisch, das die Sprache des Präsidenten wie eine Pöbelsprache erscheinen ließ, und erklärte, daß er Pah-Tasmie für den rechtmäßigen Eigentümer des Fischteiches gehalten habe. Nachdem er wieder aus der Galerie herausgeführt war, traten Pah-Djas und Ngalipan vor, die die Verkaufsurkunde als Laitem und Djoedakerta unterzeichnet hatten.

Der Präsident warf einen Blick in die Dokumente und fragte beiläufig:

»Hat Pah Djas von dem Inhalt der Urkunde Kenntnis gehabt?«

Er blickte auf, als er ein deutliches: »Hanten!« vernahm. Das war eines von den zwei oder drei sundanesischen Worten, die er verstand; er wußte, daß Pah Djas »nein« geantwortet hatte.

Der Djaksa blieb einen Augenblick unschlüssig, dann aber begreifend, daß der Richter dieses eine Wort wirklich richtig verstanden hatte, wiederholte er:

»Nein.«

Dr. Oldenzeel runzelte die Brauen.

»Aus der Anklage geht hervor, daß der Inländer Pah ... ahem, ahem ..., daß der Inländer Pah-Djas zugegeben hat, daß ihm bekannt war, was in der ihm durch den Notar vorgelesenen Urkunde gestanden. Wie ist es damit, Djaksa?«

Der Djaksa antwortete nicht sogleich. Er ärgerte sich. Hatte er nicht den Angeklagten und die Zeugen alle ihre Antworten auswendig lernen und hersagen lassen, immer wieder von neuem, wie ein Kapitel aus dem Koran in der Schule? Gestern abend noch hatte er sie überhört. Und es ging gut und alles klappte, so daß sie alle drei verurteilt werden konnten, so wie es sich gehörte, wenn der Herr Assistent-Resident Menschen vor die Anklagebank zitierte, und da sagte jetzt dieser Mann Pah-Djas, der sicherlich seine ganze Lebensart verloren hatte, »nein« anstatt »ja«. Jetzt war alles verdorben! Er war ein Mensch ohne Erziehung und Verstand, dieser Pah-Djas!

Der Djaksa murmelte ein paar verworrene Worte als Erklärung für den Widerspruch zwischen Pah-Djas' gesprochener und geschriebener Aussage, und indem er sich eine spätere Abrechnung mit dem Spielverderber vorbehielt, bequemte er sich vorläufig dazu, des Mannes Verteidigung zu übersetzen.

Das wurde eine lange Geschichte.

Erst sprach er von den Unterhandlungen zwischen Pah-Tasmie und Pah-Djas über einen Stier, den Pah-Tasmie nach langem Fordern und Bieten in der Theorie für 38 Gulden (die in der Praxis auf 26 ermäßigt waren) gekauft. Und dann von Pah-Tasmies Besuch bei seinem Gläubiger und seinem redlichen Anerbieten, vorläufig zwölf Gulden zu bezahlen. Erfreut habe Pah-Djas darauf Pah-Tasmie auf dem Wege begleitet, den er für dessen Heimweg hielt. Pah-Tasmie sei indessen nicht nach Haus gegangen, um das Geld zu holen, sondern er habe gesagt: »Ich muß zum Notar gehen, denn dort werde ich Geld bekommen von einem Araber, sehr viel – und davon werde ich dir die zwölf Gulden für den Büffel geben, wahrhaftig!«

Und sie seien zusammen zum Notar gegangen, und vor dem Hause des Notars hätten sie Said Mohamad und Ngalipan und einen alten Mann und noch einige andere Menschen getroffen, und Pah-Tasmie habe zu dem alten Mann gesagt: »Guten Tag, Natawadjana.« Da seien sie alle in das Haus des Notars gegangen, und der Notar habe eine Urkunde vorgelesen.

Der Richter fragte, was in der Urkunde gestanden habe?

Das wisse Pah-Djas nicht. Es sei Malayisch gewesen!

Da habe der Notar zu ihm gesagt: »Laitem, unterschreibe!« Und er sei erstaunt gewesen, denn er heiße Pah-Djas, aber nicht Laitem! Aber Singadikrama habe gesagt: »Hörst du nicht, was der Herr Notar sagt? Es ist nötig, daß du Laitem auf das Papier schreibst, dort wo der Schreiber seinen Zeigefinger hält! denn wenn du es nicht schreibst, dann kann Pah-Tasmie kein Geld von dem Araber bekommen, und wenn er kein Geld von dem Araber bekommt, dann kann er dir die zwölf Gulden für deinen Büffel nicht geben.« Und der alte Natawadjana habe es auch gesagt, sehr ärgerlich, und da habe er, Pah-Djas, geschrieben, dort wo der Schreiber des Notars mit seinem Finger hinzeigte. »Laitem« habe er geschrieben.

Der Richter blickte den zweiten Zeugen an, Ngalipan, den Schwager des Beklagten, der die Urkunde mit dem Namen Djoedakerta unterzeichnet hatte, und fragte, ob er gewußt habe, was in der Akte gestanden.

Ngalipan habe es nicht gewußt, es sei doch Malayisch gewesen. Aber der alte Mann, Natawadjana, habe ihm bedeutet, daß er, der doch nur ein junger Mann sei, nicht versuchen dürfe, nachdem Pah-Djas unterzeichnet habe, klüger zu sein als der so viel erfahrenere. Da habe er gesagt, es sei ihm recht, und weil er nicht schreiben könne, habe der Herr Notar den Schreiber schreiben lassen. »Djoedakerta« habe der Schreiber geschrieben.

Da habe Pah-Tasmie dem alten Mann Natawadjana Geld gegeben, und der alte Mann habe gesagt: »Mein Neffe Pah-Tasmie hat mir sechshundert Gulden für meinen Teich gegeben. Ihr alle seid Zeugen!« Und sie seien alle nach dem Warong Warong = Wirtshaus für die Eingeborenen. gegangen, zum Essen. Und nach einer Stunde seien sie zurückgekommen und der Notar habe wiederum eine Urkunde vorgelesen und sie hätten wieder ihren Namen unterschrieben, und da habe Said Mohamad gesagt: »Pah-Tasmie, hier sind dreihundert Gulden für den Fischteich und die zwei Häuser und die vier Büffel, und jetzt gehört das alles mir. Ihr seid Zeugen!«

Der Richter fragte nach Singadikrama. Niemand wußte etwas von ihm.

Es stellte sich heraus, daß er zuletzt im Gespräch mit dem Araber gesehen worden, vor dem Warong, wo die anderen beim Essen saßen. Seither war er spurlos verschwunden.

Van Heemsbergen dachte an den jungen Kontrolleur und sein:

»Attendez-moi sous l'orme!«

Pah-Djas gestand im weiteren Verhör, daß er Geld von Pah-Tasmie empfangen habe. »Aber nicht zwölf Gulden, sondern nur acht Gulden,« sagte er betrübt.

Und Pah-Tasmie, wieder hereingerufen, legte Rechenschaft ab über die dreihundert, die er von Said Mohamad empfangen hatte. Vierzig Gulden an den Herrn Notar, weil er zweimal gelesen und zweimal geschrieben hatte, und fünfzehn Gulden an Singadikrama, der ihm einen guten Rat gegeben, und einen Taler an jeden von Singadikramas Freunden, und hundertsechzig Gulden an Said Mohamad für Schuld und Zinsen und fünfzig Gulden auch an Said Mohamad, als im voraus zu bezahlende Monats-Pacht für den Teich und die Büffel. Er habe jetzt nichts mehr, kein Geld, kein Vieh und keine Bambushäuser, und auch sei er in des Chinesen Schuld.

Der Djaksa übersetzte die klägliche Geschichte mit der Gelassenheit eines Mannes, der alles zum besten hatte ordnen wollen und es nun mit ansehen mußte, wie die Sache in elfter Stunde durch Unverstand und Besserwisserei verdorben wurde.

Van Heemsbergen blickte die beiden Zeugen aufmerksam an.

»Es ist so klar wie die Sonne, daß die hereingefallen sind,« dachte er. »Und der andere? Pah-Tasmie oder wie er heißt?«

Der Beklagte saß da noch immer mit demselben gleichgültigen Gesicht. Er hatte auf alle Fragen geantwortet und alles eingestanden, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich zu verteidigen oder zu entschuldigen oder irgend welche Erklärung für sein Betragen abzugeben. Er ließ die Gerichtsverhandlung über sich ergehen wie ein Gewitter auf freiem Felde. Wie konnte ein Mensch sich dagegen wehren? Was geschehen mußte, das geschah.

Erstaunt sah van Heemsbergen den arglosen Fälscher an. Was mochte in solchem Hirn vorgehen? Er hatte das Gefühl, als würde er, eine freie Bahn hinuntergehend, plötzlich durch die dünne Luft zurückgehalten. Eine unsichtbare und undurchdringliche Mauer hatte sich vor ihm aufgerichtet. Er konnte nicht weiter, da stand er.

In seinem Inneren vernahm er eine wohlbekannte Stimme, gleich als klinge sie vom Katheder herunter und als höre er sie von seinem gewöhnlichen Platz auf den Kollegienbänken aus:

»Wir müssen versuchen, uns auf den Standpunkt des Eingeborenen zu stellen, seinem Gedankengang zu folgen, das mitzuempfinden, was ihn betrübt oder erfreut, wollen wir jemals ein wirklich gerechtes Urteil über ihn fällen.«

»Ja, es mag sein, daß das der einzige Weg ist,« dachte er, »aber es ist unmöglich – ganz und gar unmöglich. Wie könnte ein logisch denkender Mensch denn wohl dem Gedankengang eines solchen Pah-Tasmie folgen? Das ist unmöglich ... Indessen, Hendricks scheint es gekonnt zu haben. Aber wie nur?«

Er sah sich die dunklen Gesichter an, als müsse er hinter jenen stumpfen verschlossenen Zügen und gleichgültig gesenkten Augenlidern den Gedanken entdecken können, jenen orientalischen Gedanken, der sich von seinem Denken unterschied, mehr noch, als sich die zarten braunen Körper von seiner kräftigen Gestalt unterschieden.

Der Präsident befahl, daß man den Beklagten und die Zeugen aus dem Saal entferne. Der Polizeiaufseher mit den kanariengelben Streifen kam hinter dem Tisch zum Vorschein, über dem nur sein Kopftuch sichtbar gewesen war, und auf die Gruppe der Eingeborenen zuschlendernd, hieß er sie aufstehen und hinausgehen.

Unter dem großen Waringin draußen hatte ein Händler mit Früchten und Süßigkeiten schon eine Zeitlang wartend zwischen seiner ausgestellten Ware gesessen. Sie umdrängten ihn und wählten zwischen den bunten Näschereien, die sie erst lange besahen, betasteten und berochen. Dann begannen sie, im Grase niederhockend, daran zu knabbern, während sie vor jedem Bissen die köstliche Leckerei erst noch einmal mit den Augen genossen.

Die Stimme des Präsidenten führte van Heemsbergens Gedanken wieder in den Gerichtssaal zurück.

»Und wie ist das Dafürhalten des Djaksa?« fragte er, indem er die offizielle Formel anwendete.

Der Djaksa erhob sich wieder mit einer anmutigen Bewegung und erklärte, daß er die Schuld des Beklagten an dem ihm zur Last gelegten als erwiesen erachte und daß er ihn dieserhalb verurteilt sehen wolle zu der Strafe von Zwangsarbeit in der Kette, für die Zeit von fünf Jahren und zu einer Geldbuße von dreihundert Gulden.

Nachdem er diese Worte in einem Ton der Zufriedenheit mit sich selbst und mit seinem Amt geäußert hatte, setzte er sich wieder.

Der Präsident griff unter die Falten seiner Toga, holte ein Taschentuch zum Vorschein, wischte sich damit über die Stirn und suchte dann ein trockenes Fleckchen, um seine Lorgnette zu putzen.

»Ahem – Panghoeloe,« sagte er gleichgültig.

Der Priester erhob sich, um sein stets von neuem eingeholtes und niemals befolgtes Urteil auszusprechen, das auf den Gesetzen des Propheten beruhte.

»Ich erachte die Schuld als erwiesen und bin der Meinung, daß der Betrüger damit gestraft werden muß, daß ihm seine rechte Hand abgehauen wird,« sagte er feierlich.

Der Präsident sah auf seine Uhr. Es war nahezu zwei. Er beeilte sich, die Folgerungen aus den Tatsachen festzustellen, damit seinen inländischen Amtsgenossen die Möglichkeit gegeben werde, ein Urteil darüber zu fällen.

Van Heemsbergen sah Pah-Tasmies Richter an: den robusten mit schwarzer Toga bekleideten Holländer, der seine Rechtsidee von den Römern ererbt hatte, von den Alten, die die Stadt erbauten, und von ihrem auf Korsika nachgeborenen Sohn; die zwei inländischen Edelleute, die daran gewöhnt waren, tastend nach dem Wege zu suchen in jenem Labyrinth von unverstandenen Vorschriften, unsicheren Überlieferungen und auf die bloße Autorität hin angenommenen Aussprüchen, das der »Adat« genannt wird, den als Araber verkleideten Priester, im Gerichtssaal eine Gliederpuppe, in der Dessa einer, dessen Worte mehr galten als alle Gesetze und der in den vom Wüstensand verstaubten Moscheen Mekkas sein Hirn von spitzfindigen Deutern des Koran hatte kneten und formen lassen.

Und ihm war es, als sähe er dort drei ungleiche Zivilisationen verkörpert, drei himmelweit voneinander entfernte Vergangenheiten, an diesem Ort und zu dieser Stunde zusammengekommen, wie ausländische Tyrannen der Gegenwart.

»So also steht die Sache,« schloß der Präsident.

Er wandte sich an den Wedana, der, als jüngster, sein Urteil zuerst aussprechen mußte.

»Was wird er sagen?« dachte van Heemsbergen. »Sie werden diesen einfältigen Menschen doch nicht etwa wie einen Betrüger behandeln?«

Zugleich aber sagte ihm seine Kenntnis des Gesetzes, daß die Richter nicht anders würden handeln können.

»Also drei Jahre Zwangsarbeit ohne Kette und dreihundert Gulden Geldstrafe, eventuell sechs Wochen Zwangsarbeit.« Der Präsident wiederholte das Erkenntnis des Wedana und des Regenten.

Der Gelbfink holte den Beklagten und die Zeugen, auf, daß sie das Urteil vernähmen.

Mit vollkommenem Gleichmut hörte Pah-Tasmie es an, sein starres Gesicht schien zu sagen:

»Es hat so sein sollen.«

Aber als er aus der Übersetzung des zierlichen Djaksa sein Urteil vernommen, wurde das glänzende Braun seines Knabengesichtes grau.

Zweimal mußte der Gefängniswärter ihn anstoßen, bevor er begriff, daß nun alles aus sei und daß er fort müsse, fort aus seinem Hause, fort aus der Dessah, vielleicht gar fort aus Java.

Mechanisch machte er sein »Sembah« und ging.

Van Heemsbergen hatte ihn voller Mitleid beobachtet. Aber da er die durch ewige Selbstüberwindung starr gewordene Physiognomie des Inländers noch nicht kannte, war es ihm entgangen, daß sich die Farbe in jenen völlig unbeweglichen Zügen verändert hatte.

»Die Strafe scheint mir zu dem Vergehen nicht im richtigen Verhältnis zu stehen. Aber ob er sie wohl überhaupt empfindet?«

Der Präsident hatte seine Toga und seine Feierlichkeit abgelegt und kam wieder hinter dem Wandschirm zum Vorschein, in seinem weißleinenen Rock, müde und vor Hunger gähnend. Sich der Worte erinnernd, die seine Frau ihm am Morgen noch beim Wegfahren nachgerufen, lud er van Heemsbergen zum Essen ein. Aber es war ihm nicht unangenehm, daß der junge Mann dankte, obgleich er sich mit leichten Gewissensbissen die leeren Schüsseln vorstellte, die die Besucher der Auktion wahrscheinlich auf dem Gasthaustisch zurückgelassen hatten. Um zugleich seinen Wunsch und sein Gewissen zu befriedigen, begleitete er seinen Aktuar nach Hause und lud ihn mit besonderer Herzlichkeit für ein anderes Mal ein, »er hoffe dann glücklicher zu sein.«

Von der Hintergalerie des Hotels her erklang die heisere Stimme des Auktionators und darauf ein dröhnendes Gelächter. Die Stimme des Pflanzers übertönte alle und alles. Van Heemsbergen schloß die Tür seines Zimmers hinter sich.

Jetzt habe ich wirklich »ganz Soemberbaroe« gesehen, dachte er. Das schmale weiße und das breite, braune Gesicht des »Januskopfes«.

Es lag ein Brief auf seinem Tisch, aus Batavia nachgeschickt, wie er am Poststempel sah.

Er war von Ada – ihr erster.

Van Heemsbergen riß den Umschlag auf und durchflog den Brief, wie ein Junge durch einen Wald roter Apfelbäume rennt in einem Lauf und Atem, nicht wissend, wohin er zuerst greifen soll, um dann endlich, still stehend und ruhiger geworden, bei jedem Schritt zu genießen. Er lachte vor Freude, während er las. Er machte halt bei all den lieben Worten, aus denen der Klang ihrer Stimme und der Blick ihrer offenen Augen ihm entgegenkam.

Er hatte zwei Mal von Anfang bis zu Ende alles gelesen, bevor er nachdenkend begriff, daß er eigentlich einen ganz anderen Brief von ihr erwartet hatte und daß es der große Unterschied war, der ihn so froh machte.

»War das Ada, die so lieb und so fröhlich schrieb?« Er sah sie vor sich, als habe sie soeben die Türe geöffnet, um ihm zuzulächeln. Das bleiche, starre Gesicht, das er seit dem Abschied immer wieder vor Augen gehabt hatte, war verschwunden, wie ein leichter weißer Nachtnebel vor der Morgensonne.

»Wie ist es nur möglich, daß ich sie jemals für melancholisch gehalten habe?« dachte er verwundert. »Als hörte man eine Lerche singen! Kühl – das hatte ich damals schon gemerkt, daß sie 's nicht war ...« So wie schon unzählige Male, aber in einem ganz anderen Sinne jetzt, dachte er wiederum an so vieles, was sie getan und gesagt hatte und was hin und wieder aus ihren Augen gesprochen in jenen sorgenvollen Wochen zwischen der Verlobung und dem Abschied, während sie, soeben erst von ihrem Vater allein gelassen, allen trotzen mußte um seinetwillen. Er fühlte zum ersten Mal, daß ihre angeborene Schüchternheit und das Überwältigende seiner Liebe ihr Herz, das im Begriff stand, sich zu öffnen, bedrückt hatten und daß jene plötzlich ausbrechende Leidenschaftlichkeit beim Abschiednehmen gewesen war gleich einem Gewitter, das nach einem unsicheren Frühjahr den Lenz ins Land läßt mit Bläue und einer Menge Blumen – an allen Seiten entknospenden Blumen!

Er sprang auf und lief ein paarmal im Zimmer auf und ab, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, lächelnd.

Dann nahm er den Brief wieder auf und suchte nach etwas, das ihm wie etwas Wichtiges vorschwebte, aber das er in seiner freudigen Hast doch beinahe übersehen hätte. Er fand es endlich in einem fein gekritzelten »P. S.«

»Soeben hat uns eine alte Freundin von Mama besucht, die gerade aus Indien zurückgekommen ist, Frau Meerhuys, deren Mann seiner Zeit Kontrolleur auf Soemberbaroe war – es ist ein kleiner Ort im Cheribon, wie ich auf der Karte gesehen habe. Sie erzählte so herrlich von der wundervollen Landschaft, ich sah sie vor mir – wenn Du dort einmal eine Anstellung bekämest – –!«

»Das ist aber doch wirklich ein ganz besonderer Zufall,« dachte van Heemsbergen. »Jemand, der an Telepathie und Ähnliches glaubt, würde sagen, sie müßte dem Justizdirektor suggeriert haben, daß er mich hierher schickt.«

Das gelbe Gesicht mit den müden Augen hinter den Brillengläsern und dieser Gedanke machten sich in seiner Vorstellung gegenseitig lächerlich.

»Sie hat etwas derartiges gedacht, als sie mein Telegramm erhielt, dessen bin ich sicher,« dachte er wieder lächelnd.

Er nahm ihr Bild in die Hand und betrachtete das feine schmale Gesicht mit dem sensitiven Mund.

»Kleine Sentimentale!« sagte er.

Dann breitete er die Akten vor sich aus, die er von der Gerichtssitzung mitgenommen hatte, und begann Pah-Tasmies Prozeß abermals kritisch zu studieren.

Aber er blickte doch noch rasch auf, um Ada zuzunicken.

»Schau du nur zu mit deinem lieben Gesicht – das hilft.«

Er verbrachte ein paar Stunden mit dem Vergleichen von Tatsachen und Erklärungen, während er seine eigenen Vermutungen an dem Resultat erprobte; und gelangte endlich in dieser Sache zu einer Einsicht, die Hendricks Aussage von jenem Morgen über Singadikrama als Werkzeug in einer geübten Hand als das rechte Wort am rechten Platz erscheinen ließ. Da war kein Zweifel. Der Araber hatte die ganze Sache in Szene gesetzt, hatte von Anfang bis zu Ende alle Fäden in der Hand gehalten und Singadikrama, Pah-Tasmie, Pah-Djas, Ngalipan und sogar den Djaksa als Spulen hin und her geworfen in einem Gewebe, dessen Alpha und Omega Betrug war. Aber wie er auch suchte und suchte, er sah keine Möglichkeit, den Schlaukopf gesetzlich zu fassen.

»Er ist darin zu Hause, der Schurke – viel besser als mein Präsident, möchte ich fast sagen – er ist ihnen allen, mit Ausnahme von Hendricks, an Klugheit überlegen, wie es scheint. Ich muß doch sehen, daß ich den näher kennenlerne,« so lautete der Schluß seiner Erwägungen.

Er schob die Papiere bei Seite, stand auf und ging hinaus, während er seine Arme mit geschlossenen Fäusten aufreckte und mit einem tiefen Atemzug die frische Luft einsog.

Er war schon spät am Nachmittag. Die grauen Wolken, die den ganzen Tag über tief gehangen, hatten sich gelichtet. Aus dem Westen schien rötlich die Sonne.

»Da ist sie,« dachte er. Seit seiner Ankunft in Indien war es das erste Mal, daß er sie sah. Es erschien ihm wie ein Vorzeichen.

»Der Brief von Ada und meine erste Sitzung und die Sonne zum ersten Mal, das trifft sich gut ... Ah, wenn ich jetzt mal einen tüchtigen Ritt machen könnte!«

Er dachte an die Reitbahn in Leyden und an das schöne arabische Pferd auf der Auktion am Morgen. Ob das schon verkauft war?

Er schickte seinen Boy, um fragen zu lassen, ob der Auktionator noch im Hotel sei.

Einen Augenblick später kam der Mann zurück; der Bediente, der das gesattelte Pferd am Kopfzeug führte, folgte ihm. Einer der Forstassistenten habe es gekauft, sagte er, aber der wolle es gern wieder los sein.

»Ich denke mir, daß er es nicht regieren kann,« fügte er lächelnd hinzu.

Van Heemsbergen sah sich das schöne Tier an. Es gefiel ihm noch besser als am Morgen mit seinen feinen Beinen, der rötlichen Glut in seinen Nüstern, seinen feurigen Augen und jenem goldigen Glanz über seiner Haut, auf der die Sonne spielte. Es krümmte den Nacken mit stattlicher Grazie.

»Wie viel?« fragte er.

»Onnes hat fünfhundert dafür gegeben.«

Van Heemsbergen dachte einen Augenblick nach.

»Nun, es kommt auch nicht darauf an, ich nehme es.«

»Sie können es in Raten abzahlen, das ist hier so üblich.«

»Mir recht.«

Er ging hinein, um seinen Schutzhut, seine Reitpeitsche und seine Reitstiefel zu suchen, und fand sie, nachdem er hastig alles durcheinandergeworfen, unten in einem Koffer. Er legte die Hand auf den Hals des Pferdes und schwang sich in den Sattel.

Der Australier bäumte sich, warf den Kopf zurück, machte ein paar Seitensprünge und trappelte schnaubend hin und her, unruhig unter dem fremden Sitz und der unbekannten Hand, die er am Zügel fühlte.

Der Toekan-Koedah in dem langen blauen Kittel kam angelaufen, aber van Heemsbergen hatte das Pferd schon in einem Handgalopp den Pfad rings um den Rasen hinauf zum Gitter hinaus und die Landstraße hinunter geführt; dort trabte es dahin.

Die Sonne war jetzt ganz durchgekommen. Alles glänzte, das junge gelbgrüne Laub der Bäume, die Hecke mit ihren feuerroten Blumen, das feuchte Gras am Wege. An der Bucht vorüber, wo die letzten indischen Hütten lagen, breiteten sich weit, links und rechts, die Reisfelder.

Das Wasser der sumpfigen Äcker leuchtete in Flecken und Streifen zwischen dem dünnen jungen Grün. Ein Pflüger, der mit seinen platschenden Büffeln von einem unter Wasser stehenden Felde kam, schien sich durch ein Meer von Licht zu bewegen. Die Hügelspitzen leuchteten.

Van Heemsbergen sah danach, ohne zu sehen, und empfand nur, wie das Rot und Gold etwas in ihm zum Leuchten brachte, so wie es die Hügel leuchten ließ und das spiegelnde Wasser auf den Reisfeldern.

Sein Pferd ging im Schritt den aufsteigenden Weg hinan. Er dachte daran, daß sein Lebenswerk jetzt begonnen habe, und er dachte es mit Freude.

Der Zweifel, den er an jenem Morgen den unenträtselbaren Inländer-Gesichtern gegenüber empfunden hatte, war geschwunden, so wie die dumpfe Grauheit des Tages vor der Glorie des Sonnenuntergangs geschwunden war.

Immer weiter, je höher er stieg, immer weiter wurde der Horizont um ihn her, immer weiter wurde das Feld für seinen Willen und seine Gedanken, für das neue Leben, das er jetzt, in diesem Augenblick, begann.

Jetzt ging es wieder hügelabwärts.

Sein Pferd setzte sich in Trab und schlug nach einem Augenblick in Galopp um.

Er gab sich der elastischen Bewegung des Auf und Nieder hin. Es lag etwas Ansteckendes in dieser schnellen Kraft.

Es durchfuhr ihn von den Spitzen seiner Füße, an denen er die Steigbügel fühlte, bis in seinen Kopf, in dem die Gedanken sprangen und galoppierten. Die sausende Luft rauschte um ihn her. Vor ihm, hoch gegen den rosigen Himmel, glänzte der Tjeremai. Er hatte das Gefühl, als müsse er die leuchtende Spitze mit der Hand greifen können, daß sie sich schüttelte. Wie ein Erbe durch seine neuen Kostbarkeiten, so ritt er durch das leuchtende Land.

»Vorwärts, dem Ziel entgegen!«

*


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