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Edith Golm empfing Fred Ellermann mit einem freudigen Lächeln.

»Das ist nett, Pary!« Dankbar erwiderte sie den herzlichen Druck seiner Hand. »Ich habe bis eben gearbeitet – und ich dachte gerade daran, einige Zerstreuung vertragen zu können!« Sie führte ihn durch das Laboratorium in ihren Wohnraum. »Ich trug mich schon mit der Absicht, dich anzurufen!«

Ellermann fühlte sich in der warmen Behaglichkeit ihres Raumes geborgen. Er freute sich ihrer Worte. Sie suchte Zerstreuung und dachte an ihn. Sie trug also Verlangen nach seiner Nähe. Wohlgefällig betrachtete er sie, als sie am Spirituskocher hantierte.

»Und was machen deine Arbeiten, Edith?« Er nickte ihr lächelnd zu, als sie sich umdrehte. »Gute Fortschritte?«

»Ja, ich bin zufrieden!« gab sie zurück.

Aber ihr Lächeln schien seltsam gezwungen, in ihrem Gesicht spiegelte sich Sorge. Er betrachtete sie nachdenklich, ließ dann unwillkürlich seinen Blick durch den Raum gleiten und sah erschrocken auf eine Zeitung, die seitlich am Ende des Diwans lag.

Sein Name sprang ihm entgegen und wirbelte alle Gedanken der letzten Stunde wieder auf.

»Sensationeller Einbruch Ellermanns!« wiederholte er sich mechanisch. Und sie hatte hier gesessen und die Zeitung gelesen. Er nahm das Blatt, hielt es mit gewollter Lässigkeit in der Hand. »Interessant, dieser Fall, hast du gelesen, Edith?«

Sie sah sich um. Plötzlich glaubte er in ihren Augen wieder jene verborgene Angst zu finden, wieder jenen harten Zug um ihren Mund.

»Ja – vorhin.« Ihre Stimme klang eigentümlich gepreßt. »Dieser Ellermann ist sicherlich im Unrecht!«

»Woraus schließt du das?« Er verbarg mühsam seine Ueberraschung.

»Weil ich Charter schon seit Jahren kenne; ich kann mir nicht denken, daß er mit dieser Sache etwas zu tun hat!«

Er schwieg, da sie sich wieder umdrehte. Ihre Meinung richtete sich also gegen ihn. Wenn sie wüßte, daß er dieser Ellermann war! Was würde sie dann beginnen? Diese Frage wiederholte er sich immer wieder, ohne eine klare Antwort zu finden.

»Edith!« Gegen seinen Willen entfuhr ihm ihr Name und klang unendlich weich, fast zärtlich.

Sie stellte den dampfenden Tee auf den Tisch und sah ihn fragend an.

»Was, Pary?«

»Du bist so ruhig, Edith!« Er erhob sich und stand dicht neben ihr. Unwillkürlich hatte er das Empfinden, sie in seine Arme schließen und lange, lange festhalten zu müssen. Die Angst stieg wieder in ihm auf, die Sorge, Edith zu verlieren.

»Ich bin doch nicht anders als sonst!« wich sie aus.

»Doch!« Und jetzt folgte er dem Zwang seines Innern. Plötzlich hatte er den Arm fest um ihre Schulter gelegt und sie an sich gezogen. Zärtlich blickte er in ihr erstaunt fragendes Gesicht, während sie willig dem Druck seines Armes folgte. »Du wirst durch irgendetwas bedrückt, Edith – ich sehe – ich fühle es auch. Irgendetwas belastet dich!« Und als sie den Kopf matt schüttelte, fuhr er hastig fort. »Doch, Edith – ich bitte dich, hab' Vertrauen zu mir – sprich dich aus – wenn dich etwas bedrückt, wir können es gemeinsam tragen!« Und er wunderte sich, wie leicht ihm diese Worte wurden, da er doch selbst genug an seiner Last zu tragen hatte.

Ihr Blick glitt über seine Schulter hinweg durch die geöffnete Tür in das Laboratorium. Sichtlich besorgt schien sie auf die dort befindlichen Geräte zu sehen. Und Ellermann glaubte jetzt, den Grund ihrer Sorge zu erraten. Er erinnerte sich ihres Gespräches vor einiger Zeit, als sie von Geld und Experimenten sprachen.

»Ist es deine Arbeit, die dir soviel Sorgen bereitet?«

Sie nickte rasch, mit einer eigentümlichen Hast.

»Ja, die Arbeit!« Das klang ein wenig unsicher, nicht überzeugend. Aber Ellermann achtete nicht darauf, war ganz gefangen von der Wärme ihrer Nähe.

»Du kommst mit deinen Arbeiten nicht vorwärts?« forschte er weiter.

Sie zögerte kurz, nickte dann wieder eifrig.

»Doch, Pary – mit der Arbeit schon – ich bin heute sehr gut vorwärts gekommen. Aber ich muß diese Arbeiten abbrechen und erst andere beginnen, die mich gar nicht interessieren – nur, um –«

»Um Geld zu verdienen!« ergänzte er rasch.

Edith Golm bejahte schweigend. Plötzlich legte sie schwer den Kopf gegen seine Schulter, als bedürfe sie der Anlehnung und des Schutzes. Und während er nachdenklich auf sie niederblickte, erschütterte heftiges Schluchzen ihren Körper. Edith Golm weinte.

In Ellermann überhasteten sich die Gedanken. Sekundenlang hatte er vorhin eine Vermutung gehabt, die ihm widersinnig erschien und deren er sich doch im ersten Augenblick nicht erwehren konnte. Er dachte an Ediths Vater. Dieser war Professor der Chemie gewesen. Er kannte James Charter. Und im ganzen Mordfall Henderson handelte es sich anscheinend um chemische Aufzeichnungen.

Die Gedankenverbindung lag nahe, und unwillkürlich versuchte Ellermann auch, Ediths ernste Sorge und die leise Angst in ihren Augen damit in Verbindung zu bringen. Aber er schrak zurück, als er sich selbst bei diesem Gedanken ertappte.

Und jetzt klang ihr bitteres Schluchzen in sein Bewußtsein. Fast schien ihm dieses der Beweis, daß ihre ganze Angst und Sorge nur der Arbeit galt, in der sie aufging und mit der sie verwachsen war.

»Edith, nicht weinen – bitte –!« Seine Stimme klang einschmeichelnd weich. Als sie den Kopf noch gesenkt hielt, faßte er unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.

Wirklich alles nur wegen ihrer Verbundenheit mit der Arbeit?, fragte er sich und forschte in ihrem Gesicht, ohne etwas zu bemerken. Und wirklich alles nur des Geldes wegen? Dieser Schmerz nur, weil sie ihre Arbeiten abbrechen mußte, um sich gleichgültigeren zu widmen?

»Ist es wirklich so schwer, Edith?« Er fühlte sich bedrückt durch seine Zweifel. »Hängst du so sehr an deiner Arbeit?«

Sie sah noch zu ihm auf und blickte mit bangen Augen in sein Gesicht. Dann öffnete sie den Mund, stieß mühsam gequält die Worte hervor. Und Ellermann begann, sich seiner Zweifel und seines Mißtrauens zu schämen.

»Vollkommen bin ich mit dieser Arbeit verwachsen, Pary – es ist das Lebenswerk meines Vaters – und ich stehe fast vor dem Abschluß – habe das Ziel vielleicht schon in einigen Monaten erreicht!« Sie zwang sich sichtlich, ihre Tränen zu beherrschen und wurde etwas ruhiger. »Ich fühle mich so hilflos – so verlassen, Pary. Ich bin nicht stark genug, den Rest zu zwingen. Ich muß nebensächliche Dinge angreifen, während alle meine Gedanken nur bei dieser einen Arbeit sind.«

»Aber warum hast du mir nie davon gesprochen, Edith?« fragte er mit leisem Vorwurf. Jetzt war er überzeugt von dieser Ursache ihrer Sorge und ihres Bangens. Nun glaubte er in der Angst ihrer Augen nur die eine Furcht zu erkennen, dieses Werk nicht mehr zu schaffen, die Arbeit nicht mehr zum Abschluß bringen zu können.

Edith Golm schüttelte den Kopf. Heftig fast, während ihr Blick jetzt zärtlich in seinem Gesicht ruhte.

»Zu dir davon sprechen, Pary? Nein! Ich wollte es nicht –«

»Aber warum denn nicht, Edith?«

»Weil –« Sie errötete plötzlich und barg ihr Gesicht an seiner Schulter. »– dazu war mir unsere Annäherung zu ernst – und – zu schön, Pary!«

In ihm jubelte es auf beim Klang seines Namens. Glücklich erfreut zog er sie fester an sich und preßte seine Lippen auf ihren leicht geöffneten Mund.

»Edith – wirklich – du liebst mich?« Und als sie nickte, wieder errötend, verborgenes Glück in ihren Augen, als er Angst und Sorge verschwunden sah, küßte er sie wieder und wieder in überströmender Innigkeit. »Dann wird noch alles gut, Edith – alles –!«

Er dachte an seinen Fall und an die Zukunft dabei. Er besann sich plötzlich auf sich selbst und wurde ernst. Seine Gedanken führten einen wilden, unbezähmbaren Wirbel. Alle Ereignisse der letzten Monate, alles Gesehene und Gehörte, alles spiegelte sich blitzartig wechselnd in seinem Bewußtsein, bis er den Faden zu ihr wieder fand, zu Edith.

»Wieviel brauchst du, um deine Arbeit vollenden zu können, Edith?«

»Mindestens zweitausend Pfund Sterling – ich muß teure Chemikalien kaufen – viel Zeit noch verwenden!«

Ellermann aber zögerte nicht eine Sekunde. Alle Bedenken blieben unbeachtet. Mit einem sieghaft freudigen Lächeln nickte er ihr zu und küßte sie. Dann sagte er leise:

»In vier Tagen, Edith – ich bringe dir zweitausend Pfund Sterling – du sollst deine Arbeit ohne Unterbrechung beenden können!« Er strich mit zärtlicher Geste über ihre Stirn und ihre Augen. »Und die Sorge, Edith – die Angst – das soll aus deinem Gesicht verschwinden!«

»Pary!« jubelte sie auf.

Er nahm glücklich ihren Dank und ihre innigen Liebkosungen entgegen und dachte dabei an Mister Flapp, an Credon und an die präparierten Glühbirnen. Morgen früh wollte er zu Credon gehen und Mister Flapp seinen neuen Entschluß mitteilen.

Edith Golm schien plötzlich Bedenken zu hegen.

»Und du wirst das Geld wirklich ohne Schwierigkeiten beschaffen können, Pary?« fragte sie rasch, und in deutlicher Sorge, er könne verneinen.

»Natürlich!« Er lachte sorglos. »Ich brauche nur zu einem meiner Kunden gehen und mir die verauslagten Gelder erstatten lassen!«

»Soviel verauslagt?« wunderte sie sich.

Er lachte sie aus, mit scherzhafter Ueberlegenheit.

»Aber Edith – Lieb – als Börsenmakler muß ich doch für meine Kunden oft große Werte kaufen, ohne das Geld gleich mitzubekommen!« Das erschien ihr einleuchtend, denn sie nickte lächelnd. »Und zu einem dieser Kunden gehe ich morgen. Allerdings, drei, vier Tage werden darüber hingehen, bis ich es bekomme!« Er griff zur Brieftasche. »Ich gebe dir schon etwas – damit du nicht warten brauchst!«

Und als sie die vielen Banknoten in seiner Brieftasche sah, war sie vollends überzeugt.

»Später, Pary!« Sie legte die Scheine achtlos auf ihren Arbeitstisch. »Dann erstatte ich es dir zurück!«

Er wehrte ab, scherzhaft entsetzt.

»Doch nicht mit Geld, Edith – mit –« Er neigte sich an ihr Ohr und flüsterte: »– mit deiner Liebe, Edith!«

Sie bot ihm beglückt lachend ihren Mund.

Bald zogen sie sich aus dem Laboratorium in ihren Wohnraum zurück und saßen eng nebeneinander auf dem Diwan. Er hatte seinen Arm um sie gelegt und sie schmiegte sich in gläubigem Vertrauen an ihn.

Sie sprach von ihrer Arbeit und von der weittragenden Bedeutung derselben. Er aber verstand kaum ihre Worte. Nur den weichen melodischen Klang ihrer Stimme nahm er in sich auf und genoß in träumerischer Versunkenheit ihre wohltuende Nähe.

Plötzlich klingelte es kurz. Unwillkürlich schreckten sie beide aus ihrer Vertraulichkeit auf und lauschten. Ellermann sah auf die Uhr.

»Es ist bereits acht – wer mag jetzt –!«

»Ich weiß nicht!« fiel sie rasch ein. Und als es wieder klingelte, wendete sie sich ins Laboratorium. Sie lächelte ihm freundlich zu und schloß die Tür des Wohnraumes hinter sich. »Es braucht niemand zu sehen, daß ich Besuch habe, Pary!«

Dann hörte Fred Ellermann ihre Schritte durch das Laboratorium an die Tür eilen. Sie öffnete. Er vernahm zwei tiefe Männerstimmen. Und im selben Augenblick schreckte er mit einem Satz auf, bleich, mit zusammengepreßten Lippen.

Deutlich konnte er es hören:

»Kriminalpolizei, Scotland-Yard!« hatte die eine Stimme auf Ediths Frage erwidert.

Ellermann zitterte am ganzen Körper. In unwillkürlicher Bewegung faßte er an den Browning in seiner Tasche und zog ihn hervor. Dicht stand er so hinter der Tür, angestrengt lauschend, das Ohr gegen die Füllung gepreßt. Jeden Augenblick erwartete er seinen Namen zu hören. Er war entschlossen, seine Freiheit bis zum Aeußersten zu verteidigen.

Mit einigem Erstaunen bemerkte er, daß die Beamten im Laboratorium stehenblieben. Deutlich konnte er jedes Wort verstehen.

»Es handelt sich um einige Feststellungen im Mordfall Henderson!« erklärte der Beamte.

»Ja – aber – was habe ich damit zu tun?« Ihre Stimme schien vor mühsam verhaltener Erregung leicht zu zittern.

»Nichts weiter!« Der Beamte bemerkte mit einem anscheinend verächtlichen Lächeln ihr Erschrecken. »Aber man ist durch diesen Einbruch Ellermanns – sicherlich haben Sie davon gelesen – auf ganz neue Gesichtspunkte gekommen. Sie kannten doch den ermordeten Henderson?«

Miß Golm schien zu zögern. Fred Ellermann wartete in fiebernder Unruhe. Sein vorheriges Mißtrauen stieg jäh wieder auf. Wenn sie Henderson gekannt hatte – wenn –. Dann atmete er erleichtert auf, als sie wieder sprach.

»Nein, ich kannte Henderson nicht!« Das klang kurz und bestimmt.

»So, Sie kannten ihn nicht!« Der Beamte schien zu überlegen. »Wir haben bei Henderson Papiere gefunden, die auf den Anwalt Charter und Professor Golm Bezug nehmen. Soviel sich aus diesen Papieren ersehen ließ, hat Henderson gewisse Arbeiten Ihres Vaters finanziert!«

»Das muß ein Irrtum sein; nicht Henderson, sondern Charter gab das Geld her!« Edith Golm sprach hastig, als läge ihr sehr viel daran, die Beamten zu überzeugen. »Charter war ein guter Bekannter meines Vaters – und als die Arbeiten wegen Geldmangels ins Stocken gerieten, sprang er helfend ein.« Sie zögerte sekundenlang, fuhr dann jedoch sicher fort. »Später, als mein Vater starb, hörte ich dann einmal in diesem Zusammenhang den Namen Henderson, aber ich weiß bestimmt, daß mein Vater mit Henderson persönlich nie in Verbindung gestanden hat.«

»Und Charter half aus rein freundschaftlichen Gründen?«

»Das weiß ich nicht, jedenfalls bekam er die üblichen Zinsen!«

Als auch die Beamten einen Augenblick schwiegen, fragte sie: »Ich verstehe aber nicht, was das mit dem Mordfall zu tun haben soll!«

»Nichts weiter!« Der Beamte sprach gutmütig beruhigend. »Uns kommt es nur darauf an, alle geschäftlichen Beziehungen zwischen Charter und Henderson zu klären, dann können wir das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen und bestimmtere Schlüsse ziehen!«

»Hatte denn dieser Ellermann auch mit den Geschäften Hendersons zu tun?«

»Das wissen wir eben nicht; vorläufig suchen wir noch ein Motiv für jenen Einbruch bei Charter. Denn diese Geschichte, er wolle seine Unschuld beweisen – Die beiden Beamten lachten. »Reichlich unglaubwürdig – irgendetwas anderes muß doch dahinterstecken!«

Ellermann war innerlich empört. Selbst die letzten Ereignisse deutete man gegen ihn und sah darüber hinweg, daß es nur Versuche waren, seine Unschuld zu beweisen. Jetzt erkannte er, auf wie schwachen Füßen sein Beweis gegen Harms noch stand.

Ellermann hörte, wie die Beamten noch einige Fragen nach besonderen Beobachtungen Ediths bei Charter stellten.

»Nein, ich wüßte sonst wirklich nichts!« entgegnete sie jetzt. Dann entfernten sich die Schritte zur Tür.

Ellermann steckte hastig den Browning ein und zog sich an den Diwan zurück. Nachdenklich blickte er vor sich zu Boden. Er hörte kaum, wie Edith draußen die Tür schloß und wieder zurückkam. Erst als sie vor ihm stand, schrak er aus seinen tiefen Gedanken auf.

Sekundenlang war wieder die Frage in ihm aufgetaucht, was Henderson und Charter mit den Arbeiten des Professors Golm zu schaffen halten. Dann wieder zweifelte er daran, daß es sich wirklich um die Arbeiten des Professors handelte. Und er beruhigte sich rasch, da Edith ja mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun hatte. Sie hatte von den Finanzierungen Hendersons nichts gewußt, diesen selbst auch nicht gekannt. Nur durch die Freundschaft ihres Vaters mit Charter kam sie überhaupt mit dem Durcheinander dieser verschiedenen Geschehnisse in oberflächliche Berührung. Sonst hätte er sie dort ja auch nicht kennen lernen können.

Er bemerkte jetzt, daß Edith bleich und abgespannt aussah. Bestürzt stand er rasch auf und zwang sie mit sanfter Gewalt auf den Diwan.

»Was ist dir, Edith? Du siehst krank aus!«

Sie wehrte mit unendlicher Müdigkeit ab und lächelte matt.

»Es hat mich etwas erregt – dieser Besuch – und die Erinnerung an meinen Vater.«

»Das ist aber doch kein Grund, sich derart zu erschrecken, Edith!« Alle inneren Regungen umgaben sie mit zärtlicher Sorge. Er bemerkte ihr Anlehnungsbedürfnis, ihre hilflose Schwäche. Rasch setzte er sich neben sie. »Nicht so erregen, Edith – du hast doch nichts damit zu tun!«

Lange saßen sie eng beieinander, schweigend. Ellermann grübelte und kreiste, ohne es zu wollen, mit seinen Gedanken um Henderson. Seltsam, wie sich die Fäden von Henderson zu jenem Professor Golm hinüberzogen und von dort dann auf die Tochter des Verstorbenen, auf Edith. Und dann die Fäden zu Harms. Alles über Charter, Henderson immer nur im Hintergrund.

Und während Edith sich fester an ihn schmiegte, folgten seine Gedanken doch immer wieder nur dem einen klaren Faden zwischen Henderson über Charter zu Harms. Und im Innern war er froh, daß Edith diesen Henderson nicht gekannt hatte.

Er beschäftigte sich mit dem Gedanken, über alles mit Edith zu sprechen, ohne sich selbst erkennen zu lassen. Teilnehmend konnte er nach ihrem Vater fragen, sie aushorchen und so vielleicht auf Gedanken und Momente stoßen, die ihm bisher fremd blieben.

Ehe dieser Gedanke aber zum Entschluß reifte, fühlte er plötzlich den Druck seines Brownings durch die Kleidung hart an seinem Körper. Edith hatte sich gegen ihn geschmiegt, gegen jene Tasche, und mußte ebenfalls den harten Druck des Metalls gespürt haben, denn jetzt sah sie fragend erstaunt zu ihm auf.

»Du trägst eine Waffe, Pary?« Nichts klang durch ihre Frage, als leises Erstaunen.

Er nickte gelassen.

»Ja, immer – bei der allgemeinen Unsicherheit – und ich trage oft große Summen bei mir!« Er versuchte, seiner Stimme einen scherzhaften Klang zu geben. »Und solch Ding sieht trotz seiner Gefährlichkeit so harmlos aus!« Lächelnd griff er in die Tasche und holte den Browning hervor, hielt ihn spielerisch leicht in der Hand.

Edith Golm aber fuhr mit einem leichten Aufschrei zurück. Ihr Gesicht wurde noch bleicher, die Augen schienen sich entsetzt zu weiten, während sie auf den Browning in Ellermanns Hand starrte.

»Pary!« Das klang wie der Schrei einer hilflosen Verzweiflung.

Erschrocken sah er auf, barg den Browning rasch wieder in der Tasche.

»Aber Edith – ich verstehe nicht –«

Sie schien entsetzt vor ihm zurückweichen zu wollen. Nur mühsam gezwungen blieb sie in seiner Nähe, den Blick auf jene Tasche gerichtet, die den Browning barg. Ihr Atem ging rasch, fast keuchend.

»Ich war so erschrocken!« Das klang unsicher und nicht überzeugend. Er fühlte, daß sie log. Dann hörte er nochmals seinen Namen, wie den Aufschrei ihrer Verzweiflung. »Pary!«

Er wußte sich ihr Verhalten nicht zu erklären, blickte sie bestürzt fragend an.

»Edith – ich weiß nicht, was ich davon halten soll – erkläre mir doch –!«

Sie unterbrach ihn mit ersticktem Schluchzen.

»Pary – nein – nein –!« Weinend sank sie neben ihm auf den Diwan, mit bebendem Körper, das Gesicht in den Kissen verbergend.

Er beugte sich teilnehmend über sie, sprach beruhigend auf sie ein und bat um eine Erklärung. Es erschien ihm rätselhaft, warum sie beim Anblick eines Brownings so erschrak.

Und dann plötzlich überkam ihn jäh eine Vermutung, die ihn niederdrückte und aller Hoffnungen beraubte. Er hatte die ersten Zeitungsberichte über seinen eigenen Fall nicht gelesen. Vielleicht befand sich in einem derselben eine Beschreibung des Brownings. Und sie hatte die Waffe eben erkannt. Er erinnerte sich der Nummer, die oben auf dem Lauf stand. Auch eines seitlich eingravierten Kreises und einer deutlich sichtbaren Schramme an der linken Seite des Laufes. Sollte sie an diesen Kleinigkeiten den Browning erkannt haben und nun wissen, daß er nicht Pary Gill, sondern der gesuchte Fred Ellermann war?

Er entschloß sich, rasch alles zu erklären, ausführlich mit ihr zu sprechen, ihr Verständnis und ihre Geduld zu erbitten. Wenn sie ihn liebte, mußte sie ja warten, bis er seine Unschuld bewiesen hatte.

»Edith!« Er beugte sich über sie und berührte ihre Schulter. Sie zuckte zusammen unter seiner Hand, stöhnte leise auf. »Edith – ich will dir erklären – hör' mich an – Edith – bitte – so hör' doch –«

Sie richtete sich plötzlich auf. Mit einem Ausdruck unendlichen Schmerzes blickte sie ihn an. Ohne Vorwurf! Ohne Anklage!

»Pary –« sagte sie leise, kaum vernehmlich. »Bitte, laß mich jetzt allein – vielleicht später, Pary – daß noch alles gut wird – bitte, geh' jetzt, Pary!«

Er verstummte vor ihrem ergreifenden Schmerz. Er brachte es nicht über sich, ein Wort zu sprechen. So eindringlich bittend blickte sie ihn an, bat in stummer Verzweiflung, doch nun zu gehen und sie allein zu lassen. Und dabei empfand er eine unendliche Dankbarkeit für sie, weil in ihren Blicken weder ein Ausdruck der Anklage noch des Vorwurfes gegen ihn lag.

Schweigend erhob er sich, den Blick trostlos ins Leere gerichtet. Mit langsamer Bewegung griff er zu Hut und Mantel und ging dann mit schweren, schleppenden Schritten hinaus.

Gedankenleer, vollkommen abwesend, schritt er die Treppen hinunter, betrat die Straße und sah nicht auf, wendete sich in irgendeine Richtung, gleichgültig jetzt, wohin.

Sicherlich, sie wußte jetzt, wer er war. Am Browning hatte sie ihn erkannt. Und deutlich genug stand der Schmerz in ihrem Gesicht. Aber sie hatte ihn nicht angeklagt und nicht von sich gestoßen. Kein Zweifel, sie liebte ihn. Nur mit sich selbst wollte sie jetzt ins klare kommen, und dazu mußte sie allein sein.

Langsam nur begriff er die Hoffnung, die in diesen Betrachtungen lag. Noch haftete der Ausdruck ihres teilnehmenden Schmerzes in seinem Blick. Aber seine eigene Neigung zu ihr ließ diese Hoffnung zur Gewißheit werden. Das rüttelte ihn wieder auf und belebte ihn mit jener rastlosen Unruhe, unter deren Zwang er sich befand, ehe er Edith kennen lernte.

Unwillkürlich lenkte er seine Schritte zu Credon. Erst in der Nähe des Lokals dachte er wieder an sein Versprechen und zweifelte jetzt, ob sie es noch annehmen würde. Aber hartnäckig wies er diese Zweifel zurück. Sie mußte es annehmen, denn sie mußte ihre Arbeit vollenden. Und er wollte sein Versprechen halten, ihr die Beendigung dieser Arbeiten ermöglichen. Denn alles wurde ja wieder gut zwischen ihnen, sobald sie erkennen mußte, daß er doch kein Mörder war.

Und etwas wie Trotz lehnte sich in ihm auf gegen jene Macht, die ihn hetzte und verfolgte. Ein Grund mehr für ihn, zu Mister Flapp zu gehen und das gestern abgelehnte Angebot jetzt anzunehmen.

Mister Flapp lachte, als er ihn begrüßte.

»Und ein Gesicht macht der Ellermann, als wäre ihm die Pest in die Quere gekommen. He, Mister Ellermann, erwachen Sie – wenn Sie träumen, werden wir kaum weit zusammen kommen!«

Ellermann lächelte trübe. Als sein Blick auf Credon fiel, erinnerte er sich des Brownings.

»Sagen Sie, Credon – Sie haben doch die ersten Berichte über meinen Fall gelesen?«

»Gewiß!« nickte Credon.

»Ist in diesen auch der Browning beschrieben worden – Sie verstehen, der Browning, den ich in der Hand hielt – der eigentlich den Verdacht begründete!«

Credon zuckte die Achseln.

»Hab' nichts davon gelesen!« erklärte er erstaunt. »Wüßte auch nicht, warum; gewiß, da stand etwas von einem Browning – auch das Fabrikat war angegeben – aber Browning ist schließlich eben Browning.«

Und Fred Ellermann fand sich vor einem neuen Rätsel. Die Waffe war also nicht beschrieben worden. Edith Golm konnte weder etwas von dem eingravierten Kreis noch von der Schramme wissen.

Er schüttelte den Kopf und schwieg nachdenklich.

Mister Flapp trat besorgt näher.

»Sie wollen doch nicht schon wieder ablehnen, Ellermann?«

Ellermann zögerte kaum. Er dachte an die gestrige Verfolgung wie an ein schweres Unrecht gegen ihn. Er erinnerte sich der Aeußerung jener beiden Beamten bei Edith wie eine leichtfertig und gewissenlos erhobene Anklage. Er fühlte sich von allen Seiten zu Unrecht bedrängt und gehetzt.

»Ja, Mister Flapp – ich mache mit!« sagte er dann und fand in seiner Zusage eine gewisse Genugtuung gegenüber allem ihm widerfahrenen Unrecht.

* * *

 


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