Ernst Willkomm
Reeder und Matrose
Ernst Willkomm

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38

Augustin Hohenfels war aus Bremen zurückgekehrt, wo das Schiff bereits segelfertig lag, das ihn und Eduard nach der Ostküste Südamerikas tragen sollte. Er befand sich mit seinem Sohne allein, der sich anschickte, Toilette zu machen, denn heute sollte er die geliebte Christine, um die er so Schweres gelitten, die er sich ritterlich erkämpft hatte, als Gattin heimführen. Der Vater sah mit düstern Blicken auf das Treiben des Sohnes.

»Du hast dich schnell europäisiert«, sprach Hohenfels, den Sohn in dem modernen Anzug musternd. »Mir würde das nicht so leicht geworden sein. Findest du diese Tracht nicht unschön, lächerlich, narrenhaft?«

»Es ist ein Kleidungsstück wie jedes andere, Vater«, versetzte Miguel. »Meinen Beifall hat es nicht und aus Liebhaberei würde ich mir es niemals wählen, da es nun aber allgemein getragen wird und der Sitte sich fügen überall üblich ist, bequeme ich mich ebenfalls, es anzulegen.«

»Die Tracht deines Vaterlandes ist malerischer, charakteristischer und viel, viel kleidsamer.«

»Gewiß, bester Vater, sie paßt nur nicht für Deutschland.«

»Bist du ein Deutscher?«

Miguel errötete.

»Du bist, wenn's hoch kommt, ein Hamburger«, fuhr Augustin Hohenfels bitter fort. »Auch das bist du nur zur Hälfte, da dein Geburtsland in der neuen Welt, in der goldenen Wiege einer neuen, großen, glücklicheren Zukunft liegt. Siehe, mein Sohn«, fuhr er mit wunderbar leuchtenden Augen fort, Miguels Hand erfassend und sie auf sein Herz legend, »ein magnetischer Zug meines Herzens führte mich von jenen sonnigen Gestaden, wo ich das höchste Glück schlürfte und das größte Leid erleben mußte, zurück in die nebelverhangene Heimat, damit ich dich, mein Kind, das der Haß mir geraubt hatte, wiederfände. Für diese Führung danke ich dem großen Geiste, den wir Gott nennen. Und doch bin ich nicht glücklich. Das Herz ist es, das uns erlöst und verdammt! . . . Ich suchte dich und als ich dich gefunden, wollte ich dich besitzen für immer. Ich hoffte, du würdest nicht nur der Erbe meines Namens, sondern auch der Erbe meiner Gedanken sein. Ich wünschte und glaubte, deine junge, fröhlicher aufblitzende Geistesflamme würde den düstern Gedankenbau, den ich unter tausend Schmerzen aufführte, mit wohltuendem Licht erhellen. Einen Hohenpriester an dem Altar, vor dem ich opferte mein Leben lang, wollte ich mir in dir erziehen, und die Gebetesbrocken, die ich vor diesem Altar stammelte, solltest du aufsammeln und eine neue Lehre, ein Buch des Lebens für alle zukünftigen Geschlechter daraus zusammenstellen . . . Du hast mich nicht verstanden, mein Sohn, wie die Welt mich nicht versteht. Die Liebe eines Weibes ertötet in dir die Liebe zur Weltbeglückung. Ich tadle dich deshalb nicht, denn ich weiß ja, es ist das so der Lauf der Welt, es ist irdisch mangelhaft. Tue also, wozu dein Herz dich drängt, nur eins versprich mir, Miguel, werde nicht modern und europäisch! Laß dich nicht einpuppen in die Hülsen alles dessen, was man Mode nennt! Moden sind gut für gefallsüchtige Weiber, für Gecken und Weiberknechte. Solchem Gelichter verdanken sie ihren Ursprung, ihre Verbreitung und ihre Vergötterung. Ein freier Mann, der Träger und Bildner schöpferischer Gedanken, verachtet sie. Glaube mir, mein Sohn, alles, was Mode heißt, trägt den Tod in sich. Wer dem Modernen huldigt, hüllt sich in Verwesung, bettet das ewig Geistige, das Zündende, Erleuchtende und neues Leben Zeugende in Moderdunst! Darum graut mir vor allem modern Europäischen; darum drängt es mich wieder fort von hier, fort von diesen Küsten, an denen selbst die Brandung nur noch rollt, weil's Mode ist . . . Drüben ist zum Glück alles noch unmodern, wenn auch roh, barbarisch, wüst. In der Wüste entstehen die wunderbarsten Halluzinationen. Man sättigt an ihnen den hungernden Geist, tränkt in dem Springbrunnen der purpurnen Atmosphäre die dürstende Seele, die in der europäisch-modern überkleisterten Welt stets verschmachtet . . . O, wie froh, wie leicht werde ich aufatmen, wenn der Ozean mit seinen tiefen Weltmelodien mich wieder begrüßt! – Freiheit, Ungebundenheit, das ist mein Element! Die Freiheit, von der man hier piept, genügt nur einem Geschlecht von Pygmäen . . . Folge mir, Miguel, wenn es mir gelingt, mit Hilfe Eduards drüben der Freiheit, die ich meine, dem Staate, den ich für den wahren, einzig glücklichen halte, dem Deutschland, für das ich als Märtyrer bluten könnte, den Eckstein zu errichten! – Bringe dann dein Weib mit, das du dir errungen, die Kinder, die sie dir gebären wird. Sie sollen die ersten Bürger sein in der deutschen Kolonie Hohenfelsland, die Stammväter eines Volkes der Zukunft, das Gott liebt, weil es den Geist der Menschheit von der Waisenpflege, die er jetzt genießt, erlösen wird. Versprich mir das, Miguel, und dann sei gesegnet!«

Miguel hatte dem Vater, der mit einer Art Verzückung sprach, aufmerksam zugehört. Er kam sich in seinem bräutlichen Anzug fast klein vor gegenüber dem Manne in der schlichten Tracht eines brasilianischen Pflanzers, die Augustin Hohenfels auch jetzt noch nicht ablegte.

»Ich halte, was ich kann«, sagte Miguel feierlich, die Hand des Vaters ergreifend.

»Und ich nehme dich beim Wort«, erwiderte Hohenfels. »Erringe ich nicht, was ich will und anstrebe, so grabe ich mir die Grube, wo ich still der Ewigkeit entgegenträumen werde. Meine Kolonie, den Tempelsockel meiner Gedankenwelt findest du in der Umarmung des rauschenden Urwaldes oder – mein Grab. Das Eine wie das Andere sei für dich und die, welche sich mir verwandt nennen, ein Wallfahrtsort. Wunder werden sie nicht tun, auch keine Heiligen bilden, wie Loretto, aber Menschen nach dem Ebenbilde Gottes ziehen von dort aus in alle Welt und predigen als Apostel der Kultur das Reich des großen Geistes auf Erden!«

Die Tür öffnete sich, Eduard trat ein.

»Man wartet, Miguel«, sagte der Vetter zu dem von des Vaters Worten tief ergriffenen Bräutigam. »Es ist alles bereit. Die Zeugen sind versammelt, der Altar geschmückt. Jetzt eben tragen Diener die alte, blinde Pute Silberweiß die Treppe herauf. Komm und laß dich der sehnsüchtig harrenden Braut zuführen.«

Eduard ergriff die Linke Miguels, der Vater faßte des Sohnes Rechte. So traten sie in den ihrer harrenden Familienkreis, wo der vor Glück strahlende Vater Jacob in seiner altmodischen Festtagstracht neben der glänzend herausgeputzten Doris nicht fehlte.

Die ernste Gestalt Augustin Hohenfels', die so merkwürdig von allen andern abstach, machte einen fast erschütternden Eindruck. Der düstere Mann mit den blitzenden scharfen Augen, dessen Blick keiner als die glücklich lächelnde Christine ertragen konnte, schritt wie ein höheres Wesen durch die elegante Gesellschaft. Manchem kam er dämonisch vor und viele besorgten, der so ganz aller Etikette Hohn sprechende Mann sei eine Unheil verkündende Erscheinung.

Jetzt wurde auch die Ankunft des Predigers gemeldet, und nach den üblichen Begrüßungen betraten alle den festlich dekorierten Saal, wo die Trauung stattfinden sollte.

Hier befanden sich die zum Familienfest Geladenen, entferntere Verwandte und treue erprobte Freunde der Familien, deren Kinder jetzt durch die segnende Hand des Geistlichen feierlich verbunden werden sollten.

Zunächst dem schlichten Altar, der zwei große silberne Armleuchter mit brennenden Wachskerzen, ein schön geschnitztes Kruzifix aus Elfenbein und eine Bibel trug, saßen rechts und links zu beiden Seiten die verlobten Paare Anton und Elisabeth, und Ferdinand und Ulrike. Hinter diesen befanden sich auf der einen Seite die Plätze für den Reeder und Margaretha, auf der andern Seite für den Quartiersmann Jacob und Frau Doris. Ungefähr in der Mitte des von Menschen fast ganz erfüllten Saales saßen in bequemen Lehnstühlen nebeneinander die greise Silberweiß und der gelähmte Treufreund. Der ehemalige Buchhalter litt heute mehr als gewöhnlich an den Augen, weshalb er meistens lächelnd vor sich niedersah und nur bisweilen einem näheren Bekannten flüchtig zunickte. Im Hintergrunde unter den jüngeren Herren, wo sich auch die Kontoristen des Hauses befanden, hatten sich die früheren Genossen Antons, der heitere Kurt, der dicke Julius und der langhalsige Emil gruppiert.

Als das Brautpaar vor den Altar geführt worden war, nahmen Augustin Hohenfels und Eduard ebenfalls ihre Plätze ein.

Die Zeremonie währte beinahe eine halbe Stunde. Nach erfolgter Einsegnung wurden die Neuvermählten von den Glückwünschenden umlagert, worüber eine beträchtliche Zeit verging. Diese waren gerührt, jene ernst und gemessen, Jüngere scherzten und konnten übermütige Nebenbemerkungen nicht unterlassen. Ganz schweigend verhielt sich nur Augustin Hohenfels, der seinem Sohn und seiner nunmehrigen Schwiegertochter in einem einzigen festen Händedruck die in Worte nicht zu fassenden Gefühle seines übervollen Herzens zu erkennen gab.

Herr Heidenfrei zeigte sich ungleich beweglicher. Er blickte frei und zufrieden um sich, sprach vorzugsweise mit Jacob und dessen stets überaus glücklich lächelnder Frau, ging dann wieder zu Anton, dem er vertraulich auf die Schulter klopfte und schüttelte Paul die derbe Hand, indem er sagte:

»Superbes Schiff, die neue Fregatte, ganz so superbe wie die prächtige junge Frau da, deren Namen sie trägt.«

So machte Heidenfrei unter dem immer lauter werdenden Surren der Hochzeitsgäste die Runde. Im allgemeinen Jubel des Glückwünschens hatte man nur zwei Personen übersehen. Christine bemerkte dies zuerst.

»Ach, meine gute, liebe Pate und mein trefflicher Treufreund«, sprach sie. »Wie konnten wir nicht längst schon ihrer gedenken! Komm, Miguel! Laß uns auch sie um ihren Segen bitten!«

Miguel folgte willig dem Wort der Geliebten. Beide traten zu den Sitzenden.

»Wir müssen uns wohl demütigen«, sprach Christine lächelnd, sich auf ein Knie niederlassend und das feine Haupt, das der bräutliche Kranz wie eine Glorie krönte, ein wenig vor der alten Frau bückend.

»Ich bin es, Pate Silberweiß. Gebt mir euern Segen!«

Die blinde Greisin legte ihre zitternde Rechte auf das Haupt der jungen Braut. Die Rechte Treufreunds fügte noch einmal die Hände der Vermählten zusammen. Sprechen konnte der alte Buchhalter ebenso wenig, wie die Greisin. Ein paar Tränen benetzten die Hände der Glücklichen, während der Gelähmte sie wiederholt drückte.

Noch kniete Christine, denn die Hand der Pate ruhte fest auf ihrem Haupte.

»Ich danke euch, Pate«, sprach sie, »euer Segen wird mir Glück bringen.«

»Glück, alles Glück dieser Welt wünsche ich euch!« sprach jetzt Treufreund. »Ich armer Mensch habe weiter nichts, als mein Herz. Das habt ihr schon, ich brauchs euch also nicht erst zu geben. Ihr wißt, ich werde nie persönlich, heute aber muß ich doch sagen, daß ihr meinem alten Herzen doch gar zu arg mitspielt. Steht auf, ihr Lieben, und seid froh!«

Die Hand der Greisin lag schwer und regungslos auf Christines Haupt. Diese erfaßte sie jetzt selbst und nahm sie herab. Die Blinde rührte sich nicht.

»Die Freude hat sie überwältigt, sie ist ohnmächtig geworden«, sprach sie leise zu Treufreund. »Man muß sie in frische Luft bringen.«

Die alte Frau ruhte, mild lächelnd, die Augen geschlossen, mit bleichen Zügen, das von weißen Löckchen umspielte Antlitz etwas niedergebeugt, im Polsterstuhl. Zwei herbeigerufene Diener trugen sie aus dem Saal in ein luftigeres Nebenzimmer. Die Neuvermählten, denen sich Elisabeth, Ulrike und Margaretha anschlossen, folgten. Letztere hatte ein Flakon stärkender Essenz bei sich. Als sie die Schläfen der Blinden damit rieb, trat Eduard ein. Er erfaßte den Arm der Silberweiß. Der Puls stand still.

»Laß gut sein, beste Mutter«, sagte sie, »sie bedarf unserer Hilfe nicht mehr. Der Engel der Freude hat sich für sie in den Todesengel verwandelt.«

Christine drückte der Pate die erdenmüden Augen zu, küßte die weiße, schon erkaltende Hand und sank dann unter glücklichem Schluchzen dem Geliebten in die Arme.

Die Gäste erfuhren nichts von diesem plötzlichen Todesfall. Alle gaben sich mit ganzem Herzen der Freude hin. Erst spät in der Nacht wurden die Hausgenossen von dem Geschehenen in Kenntnis gesetzt, und die Blumen, die am Mittag den Altar geschmückt hatten, blühten und dufteten jetzt zu den Füßen einer in stillem Frieden Dahingeschiedenen.


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