Ernst Willkomm
Reeder und Matrose
Ernst Willkomm

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28

Elisabeth saß am Fenster und stickte, ihr gegenüber beschäftigte sich Ulrike mit einer landschaftlichen Zeichnung. Aus dem Nebenzimmer, dessen Tür nur angelehnt war, hörte man Spiel und Gesang.

»Christine macht schnelle Fortschritte und hat wirklich eine allerliebste Stimme«, sagte Elisabeth, auf die vollen, weichen Töne des Liedes horchend, das die Übende am Klavier sang. »Wie schade, daß sie nicht ein paar Jahre früher ihre angeborenen Fähigkeiten entwickeln konnte! Sie hätte es gewiß viel weiter gebracht, als ich mit meiner schwachen und wenig metallreichen Stimme.«

»Etwas dünn finde ich den Ton doch immer noch«, erwiderte Ulrike.

»Daran ist eben die späte Übung Schuld«, meinte Elisabeth. »Miguel wird sich aber doch freuen, daß Christine so leicht faßt und es bei fortgesetzter Übung zu einer ganz ansehnlichen Fertigkeit bringen kann.«

»Er spielt selbst nicht übel«, versetzte Ulrike, »wenn ich aber zurückdenke an –«

Sie unterbrach sich und warf einen schüchternen, bereuenden Blick auf die Freundin, die jedoch ruhig blieb und mild lächelnd zu ihr aufsah.

»Sprich ruhig den Namen aus«, sagte Elisabeth, »ich habe diese Gefühlsverirrung längst überwunden. Das hindert mich aber nicht, die Vorzüge dessen zu würdigen, der sonst für immer unsere Achtung durch seine unverantwortliche Handlungsweise und seine leichtfertige Gewissenlosigkeit verscherzt hat.«

Ulrike zeichnete schweigend eine Zeitlang fort, dann sprach sie:

»Er ist neulich wieder gesehen worden.«

»Hier?« fragte Elisabeth, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. »Ich glaubte, er lebe jetzt in Cuxhaven.«

»Da soll er schon seit mehreren Wochen verschwunden sein.«

»Woher weißt du das?«

Ulrike errötete: »Dein Bruder Ferdinand erzählte es uns ja gestern.«

»Ferdinand erzählte es uns?« fragte Elisabeth gedehnt. »Ich möchte wohl von dir erfahren, wo diese Mitteilung geschah und wer außer dir und meinem sehr aufmerksamen Bruder noch zugegen war.«

Ulrike beugte ihr Gesicht tief auf die Zeichnung. »Da hab' ich mich schön verzeichnet«, sagte sie ablenkend. »Kannst du in diesen Strichen die Veranda wiedererkennen, in der wir vergangenen Sommer so oft die Sonne untergehen sahen?«

Sie stand auf und hielt der Freundin das halbfertige Blatt hin. Elisabeth jedoch achtete nicht darauf. Ihr schien es weit mehr Vergnügen zu gewähren, die Freundin ein wenig zu necken. Sie ergriff ihre Hand und sah sie gutherzig an.

»Sei offen, Ulrike«, sprach sie, »sei es wenigstens gegen mich! Mein Bruder hat sich erklärt.«

Ulrike schüttelte leise aufseufzend das schön geformte dunkellockige Haupt.

»Dann wird er sich demnächst erklären«, fuhr Elisabeth fort. »Er zeichnet dich seit langer Zeit schon sichtlich aus, und es wundert mich nur, daß es dem Vater noch nicht aufgefallen ist und Mutter bisher kein Wort darüber verloren hat. Wie ich darüber denke, meine beste Ulrike, das weißt du. Ich wünsche nur, daß eure Wünsche, eure Hoffnungen sich ohne ermüdende und aufreibende Kämpfe erfüllen mögen.«

Mehrere Männerstimmen, die vor der Tür laut wurden, unterbrachen das Gespräch der jungen Mädchen. Ulrike setzte sich wieder an ihre Zeichnung.

Einige Minuten vergingen in tiefem Schweigen; da traten beide Brüder ins Zimmer, denen bald darauf Hohenfels und Miguel folgten. Christine beendigte ihre Übungen und gesellte sich zu den Übrigen. Miguel ergriff Christines Arm und durchschritt, leise plaudernd, mit ihr das Zimmer. Die Verlobung der beiden jungen Leute hatte vor einigen Wochen stattgefunden, war aber auf Hohenfels' Wunsch noch nicht öffentlich bekannt gemacht worden.

Während Ferdinand Ulrikes Zeichnung betrachtete, sagte er: »Eduard hat soeben durch den Vater die Bestätigung eines bedeutenden Vorhabens erhalten.«

»Was ist es?« fragten gleichzeitig Elisabeth und Ulrike. Auch Christine, die sich mit Miguel unterhalten hatte, horchte auf.

»Ich reise mit dem Oheim nach Südamerika«, sagte Eduard. »Nur unser persönliches Erscheinen auf dem Schauplatze unserer, wir hoffen es, in Zukunft segensreichen Tätigkeit, deren Ziel kein anderes ist und sein soll, als der deutschen Industrie, deutschem Ackerbau und dadurch deutschen Auswanderern in jenen unermeßlichen und fruchtbaren Landstrecken eine Kolonie zu gründen, welche dereinst den Überschuß der Bevölkerung unseres Vaterlandes aufzunehmen berufen sein kann, wird imstande sein, die zahlreichen Schwierigkeiten zu überwältigen, die sich uns von mehr als einer Seite entgegentürmen werden. Das Küstenland eignet sich, wie der Onkel behauptet, wenig für deutsche Ansiedler, weil das Fieber dort große Verheerungen anrichtet. Im Innern ist die Luft gesünder. Dort lassen sich große Ländereien erwerben, die kultiviert und rationell bearbeitet, reichen Ertrag liefern müssen. Es ist unsere Absicht, für diese neu zu begründende Kolonie eigene Verträge mit der Regierung Brasiliens abzuschließen, um sie völlig unabhängig zu machen. Gelingt uns dies, und wir hoffen es, dann gedenken wir dieser Kolonie eine den Verfassungen der Hansestädte ähnliche Gemeindeverfassung zu geben. Der Vater hat jetzt eben eingewilligt, mich ziehen zu lassen, damit der Oheim an mir eine Stütze hat, auf die er sich verlassen kann.«

Elisabeth reichte dem Bruder die Hand.

»Wenn du dich freust, Eduard, so will ich versuchen, ob ich mich auch freuen kann«, sagte sie bewegt.

»Es ist ein großes Ziel, das wir uns stecken«, sagte Eduard, »wohl wert, daß man sich dafür begeistert und Opfer dafür bringt. Sollte es nicht möglich sein, auf diese Weise in veränderter Gestalt die Hansa wieder aufleben zu lassen, deren politische Bedeutung an der Entdeckung Amerikas zu Grunde ging?«

»Man muß es versuchen«, sprach Hohenfels. »Ich, meinesteils, schrecke vor keiner Schwierigkeit zurück, weil sehr vieles möglich ist, was man gewöhnlich für unmöglich hält. Englische Kaufleute haben sich Ostindien erobert und beherrschen es mit einer Handvoll Soldaten. Diese Eroberung hat sie zur seemächtigsten Nation gemacht. Deutschland ist nun leider England nicht zu vergleichen, dennoch kann es sich vielmehr ausbreiten und sich weit mehr Macht und Einfluß verschaffen, wenn es nur einmütig große Pläne entwirft und sie energisch verfolgt. Unsere Handelsmarine nimmt es auf mit jeder andern Nation, und da allen Anzeichen nach die Zeit kriegerischer Eroberungen vorüber ist, müssen unternehmende Völker auf friedlichem Wege, also Handel treibend, Kolonien gründend, Kultur verbreitend. zu erringen suchen, was man sich früher mit der Schärfe des Schwertes nahm. Die deutsche Reederei kann das, wenn sie will. Was der Reeder denkt, der Matrose führt es unter dem Kommando des Kapitäns aus. Das muß man begreifen, darüber muß man sich klar werden, das muß man andern, die nicht gern weit in die Ferne blicken, auseinandersetzen, damit sie wissen, welche Mission der Reeder, welche der Matrose zu erfüllen berufen ist.«

»Ich pflichte dir bei, Oheim«, sagte Eduard, »und wie du mein Wort hast, daß ich dich begleite, so gebe ich dir auch das heilige Versprechen, daß ich dich nicht wieder verlasse, daß ich unserm Ziel nicht den Rücken kehre, und sollte es mich Gesundheit und Leben kosten!«

»Menschen von eurer Energie sind berufen, Staaten zu gründen«, sprach Ferdinand. »Wir andern, denen Gott nicht eine gleich große geistige Elastizität gegeben hat, müssen in zweiter Linie stehen bleiben. Ihr greift an, wir sind die Reserve und schicken, wo es nötig ist, Hilfstruppen. Wo aber bleiben die Adjutanten, die als Überbringer neuer Befehle hin und wieder eilen?«

»Vorläufig ist es der Dampf und das von seiner Kraft bewegte Schiff«, sagte Eduard.

»Einstweilen aber bauen wir Stilleren Hütten daheim«, sprach Ferdinand, »und richten sie wohnlich ein mit einem Allerheiligsten, wo die Büsten derer, die voll eroberungslustiger Gedanken hinausziehen, aufgestellt und mit Lorbeeren bekränzt werden, bis sie als Helden zurückkehren und selbst sich niederlassen in dem Tempel, welchen Liebe und Verehrung ihnen bereitet.«


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