Ernst Willkomm
Reeder und Matrose
Ernst Willkomm

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32

Don Alonso Gomez und sein Diener hatten einen schweren Stand. Der Nordwest-Sturm versetzte ihnen nicht nur den Atem und nötigte sie, langsamer zu reiten, die Pferde wurden auch unruhig, ängstlich und zuletzt störrig. So lange die Reiter zwischen einigermaßen geschützten Hecken forttrabten, stießen sie auf kein bedenkliches Hindernis, als aber die Straße sich senkte, die bewaldeten Uferhöhen zur Rechten blieben und der brausende Strom zur Linken sichtbar wurde, da begannen die geängstigten Pferde zu schnauben und waren nur mit Mühe vorwärts zu bringen.

Don Gomez, ohnehin ärgerlich darüber, daß sein köstliches Mahl ihm durch ein Naturereignis so unangenehm gestört worden war, schimpfte, fluchte, stieß die entsetzlichsten Gotteslästerungen aus und traktierte dabei in der Wut sein Tier in einer Weise, die ganz und gar das Gegenteil von dem zur Folge haben mußte, was er beabsichtigte. Das Roß bäumte, sprang zur Seite und gab alle Zeichen eines nahe bevorstehenden Scheuwerdens von sich.

Master Papageno ließ sich weniger von blinder Leidenschaft beherrschen. Er begriff vollkommen, welcher Gefahr sie sich aussetzten, wenn die unruhigen Tiere dem Zügel nicht mehr gehorchten.

»Schmeicheln Sie dem Pferde«, rief er fast gebieterisch dem heftigen Mexikaner zu. »Die Gerte macht es nur wild und am Ende wirft es Sie ab, wozu hier durchaus kein Platz ist. In einer Viertelstunde müssen wir die gefährliche Stelle hinter uns haben, wo bei Hochflut der Strom die Straße überspült, sonst können wir umkehren oder unter freiem Himmel kampieren.«

»Carajo, ich wollte meine Augen hätten dies verdammte Land niemals gesehen!« versetzte Don Gomez. »Es ist nichts Anziehendes hier zu finden, außer den jungen Mädchen und Frauen, und diese besitzen neben allen Vorzügen nur wieder den einzigen großen Fehler, daß sie eiskalte Herzen oder doch nur Herz für einen Einzigen haben. Der Teufel hole das Volk, wie das Land! Immer rase zu, Sturm, immer rollt und braust, wild empörte Fluten, und wollt ihr mir einen Gefallen tun, so überschwemmt und verschlingt das ganze fischblutartige Geschlecht, das weder zu lieben, noch zu hassen versteht.«

Es gelang ihm, das Tier wieder in Trab zu setzen. Der Mulatte ritt, da er bemerkte, daß das Pferd seines Herrn dann leichter vorwärts zu bringen war, diesem voraus. So vergingen etwa zehn Minuten. Die brechenden Wogen des Stromes donnerten immer vernehmbarer, das hohe Schilf am Strande pfiff unheimliche Weisen, hin und wieder scholl Hundegebell von dem hohen Ufer herab, vereinzelte Lichtpunkte schimmerten düster durch die feuchtkalte Luft. Die Krähen krächzten und hockten scharenweise, mit den schwarzen Fittichen die Luft schlagend, auf den entblätterten Bäumen, deren Wipfel der Sturm zerzauste oder wohl auch brach.

Das Tier des Mulatten blieb stehen, stemmte beide Vorderfüße fest in den Sandboden, spitzte die Ohren, schnaubte und warf, die Nüstern aufblasend, den Kopf zurück. Der Rappe des Mexikaners zitterte und machte ebenfalls, seitwärts blickend, Halt.

»Was gibt es schon wieder?« fragte Don Gomez.

»Flut, Schaum und ein Schwarm weißer, gespenstischer Vögel versperren den Weg«, versetzte Master Papageno. »Wir müssen umkehren.«

»Lieber dem Teufel in den Rachen, als umkehren!« erwiderte Don Gomez. »Vorwärts, sag' ich, und wenn die Bestie nicht will, so stoß' ihr die Sporen in die Weichen, daß du sie morgen früh mit einem Schraubenzieher wieder herausziehen mußt.«

»Ich bin kein Tierquäler, Herr«, sagte der Mulatte finster, sein Pferd leise seitwärts drängend. »Versuchen Sie selbst Ihr Heil, wenn Sie meinen, die Elemente werden Ihnen ebenso willig dienen, wie die Menschen.«

Des Mexikaners glühende Augen fielen auf den wühlenden, brausenden, vor- und rückwärts wogenden Schaum, den wohl dreißig bis vierzig Fuß breit die Flutbewegung des Stromes hier über die Straße trieb. Ein dichter Möwenschwarm stieg gleich einer weiß glänzenden Wolke über der verhängnisvollen Stelle klagend auf und nieder.

»In des Teufels Namen, vorwärts!« schrie Don Gomez, den es empörte, daß er sich der eigensinnigen Laune eines Tieres fügen sollte. Der Rappe machte, vom scharfen Sporn des wilden Reiters getroffen, ein paar wütende Sätze, berührte die strudelnde kalte Schaumwelle, bäumte und warf seinen Reiter ab, dann kehrte er um und jagte unaufhaltsam rückwärts. Der Mulatte wollte das scheugewordene Roß am Zügel erfassen, verlor dabei selbst das Gleichgewicht und wurde von dem eigenen Tier fortgerissen, ebenfalls in die Flut geschleudert. Die Möwen flogen unter grellem Schrei hoch auf, sammelten sich aber schnell wieder über den tanzenden Schaumkreisen und blieben wie früher in schwebender Bewegung, ununterbrochen leise klagende Töne ausstoßend, darüber stehen.

Zu jeder andern Zeit würde es Don Alonso Gomez leicht geworden sein, sich einem wirbelnden Wasserstrudel zu entringen, denn er war ein geübter Schwimmer, jetzt aber hinderte ihn die Kleidung an der freien Bewegung seiner Glieder, und während er, gegen den rollenden Triebsand unter seinen Füßen und gegen den Gischt der schäumenden Stromwellen einerseits kämpfte, suchte er sich möglichst schnell der hemmenden Hülle zu entledigen. Dies gelang ihm zwar; ehe er sich aber völlig frei und Herr seiner Kraft fühlte, hatte der rasende Flutstrom ihn schon erfaßt und trieb ihn, trotz alles Ringens, weit hinaus in die wild rollende Elbe.

Auch Master Papageno versank in den Sand, die Wellen schlugen ihn um, das Gefieder der Möwen traf seine Augen, daß sie Funken sprühten und alle Sehkraft von ihm wich. Er rief seinen Herrn, dessen Haupt er noch über den Wellen zu sehen glaubte; er strengte sich an, ihn zu erreichen, aber der Unglückliche konnte nicht schwimmen! Er sank, tauchte wieder auf, schrie verzweiflungsvoll den Namen des Mexikaners in die rasende Sturmnacht, tauchte nochmals unter und wiederum auf und versank endlich in den gurgelnden Wogen. Ein trichterförmiger Ring, der schnell kleiner ward, bezeichnete die Stelle, wo der Mulatte sein Grab fand. Ein paar Möwen strichen noch einige Male darüber hin, die äußersten Spitzen ihrer Flügel in die Wellen tauchend und mit den langen spitzen Schnäbeln deren Schaum berührend, als pickten sie Nahrung aus dem trüben Gewässer. –

Inzwischen strengte Don Gomez alle Kräfte an, um sich über Wasser zu halten. Er hörte den Verzweiflungsschrei seines Dieners und warf instinktmäßig einen Blick zum Ufer, wo er ihn zuletzt verlassen hatte, retten konnte er nicht, wenn er auch den besten Willen dazu gehabt hätte. Es war aber jetzt nicht Zeit zu grübeln und über Unabwendbares unnütze Betrachtungen anzustellen. Don Gomez wollte sich selbst um jeden Preis retten, denn das Leben erschien ihm doch schön und stellte sich gerade jetzt, wo er ein Spielball des erbarmungslosesten Elementes war, in so verlockenden Farben dar, daß er keinen anderen Gedanken, als den nach Rettung, zu fassen vermochte.

Muskelkräftig und in anhaltendem Schwimmen geübt, getraute er sich, geraume Zeit einen Kampf mit den hochgehenden Wellen bestehen zu können, nur die heftigen Windstöße, die wie spitze Riesenkeulen in den Strom fuhren und bald tiefe Trichter und Schlünde bildeten, bald die Fluten zu schäumenden Kämmen aufrollten, drohten ihm Gefahr und mußten selbst die Kraft des stärksten Mannes binnen kurzem ermatten.

Aber der Mexikaner war von jeher ein Kind des Glückes gewesen, und auch jetzt verließ es ihn nicht. Er bemerkte bald, daß die Flut mit einer Menge von Gegenständen spielte, die bald nah, bald fern an ihm vorübertrieben, oder, je nach der Bewegung der Wellen, auf einer Stelle zu weilen schienen. Einige Male täuschte er sich auch, denn die schleppenden Wolken warfen fratzenhafte Schatten, bildeten phantastische Fahrzeuge, die mit dunkelbauschigen Segeln gespensterhaft stromaufwärts schaukelten. Mitten in diesen schattenhaften Gestalten und den Gebilden der Einbildungskraft, die des Mexikaners glühendes Auge auf der weiten Wasserwüste auftauchen und wieder verschwinden sah, gab es auch reellere Gegenstände. Bald war es ein losgerissener Baumstamm, der einen abgebrochenen Ast über die Flut emporhob, wie ein Ertrinkender die Hand ausstreckt und krampfhaft in die leere Luft hineinfaßt. bald trieb der Giebel eines eingestürzten Hauses, dessen Warft die Flut zerschlagen, auf dem Strom, jetzt als breite Fläche, jetzt mit dem doppelten springenden Roß am Giebelende aufrecht im Wasser stehend. Dann wieder rollten die Wellen einen Wagen auf silbernen Schaumgeleisen oder breite, hohe Schober Heu, die Sturm und Wogenschlag noch nicht zerschlagen konnten, schwammen gleich Oasen, welche dem Schiffbrüchigen einladend zuwinkten, so nahe an ihm vorüber, daß Don Alonso Gomez sie beinahe greifen konnte. Immer aber täuschte er sich, immer entriß ein Windstoß oder eine hochgehende Woge den rettenden Anker wieder seiner Hand, und immer mehr erlahmte seine Kraft und alles um ihn her, Luft, Wolken, Wasser nahm eine zitternde, wogende, brandrote Farbe an.

Schon glaubte er sich verloren, da sah er einen gewaltigen, hohen, schwarzen Gegenstand stromaufwärts treiben. Diesmal täuschten seine von Wasser entzündeten, heißen Augen ihn nicht. Es war kein vorübergehender Nebel, kein Schiff seiner erhitzten Einbildung, nur was die Wogen schaukelten, konnte er in der wüsten Sturmnacht nicht erkennen.

Mit Aufbietung seiner letzten Kraft kämpfte Don Gomez gegen die Flut, um nicht rascher aufwärts getrieben zu werden, als der finstere Gegenstand ihm sich näherte. Es gelang ihm wider Erwarten. Das schwarze Gebäude, das sich jetzt als ein wohl erhaltenes Strohdach zeigte, welches von den Fluten irgendwo fortgerissen worden war, schwamm näher und immer näher heran. Dunkle Umrisse menschlicher Gestalten regten sich auf dem First des schwimmenden Daches. Wahrscheinlich waren es die Bewohner und Eigentümer des Hauses, welche, dem sichern Tode im Wasser zu entgehen, diesen letzten Zufluchtsort gesucht hatten.

Don Alonso Gomez steuerte auf dieses Dach zu, er wagte sogar zu rufen und glaubte an den Bewegungen der Gestalten, die es trug, zu bemerken, daß sein Ruf vernommen worden sei. Noch einmal stieß er einen wilden, gellenden Schrei aus und sank zurück in eine sich brechende Welle. Er fühlte etwas Hartes seinen Körper berühren. Halb bewußtlos griff er danach und faßte ein Tau. Er hielt es fest, hob sich wieder empor über den Spiegel des Stromes und gewahrte, daß er dem Dache um ein Beträchtliches näher gekommen sei. Noch verging eine bange, schreckliche Minute, dann stieß er an das Stroh, faßte mit krampfhaften Griff in dasselbe, mit der andern Hand das Tau haltend, und in dem Augenblick, wo ihm die Sinne vergingen, fühlte er nur noch, daß mitleidige Hände ihn ergriffen und emporrissen aus der Flut, die seine Glieder erstarren machte. Er sah und hörte nichts mehr. Die ermüdete Hand sank kraftlos nieder, das Auge schloß sich und nur eine dumpfe Empfindung, ein Alpdrücken, knüpfte den Mexikaner noch an das Leben.


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