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19.
An Ferdinand und Raimund

Einige Tage später, am Bord der amerikanischen Brigg: die Hoffnung.

Ein grauer Nebel schwimmt auf dem Meere, die Luft ist still, eintönig schlagen die Wogen gegen den Kiel des Schiffes. So habe ich Zeit, ein letztes Wort Euch zuzurufen, wie ich versprach. Ich thue es, obwol noch immer schmerzlich bewegt, doch mit weit leichterem Herzen, denn eine Versöhnung hat das ausgleichende Schicksal eintreten lassen, wie ich sie nimmer geahnt hätte. Glaubt aber nicht, es bestehe dieselbe in einer glücklichen Ruhe! Die Ruhe wird erst jetzt langsam aus dem Toben der Leidenschaften sich erheben. Ich will mir nicht vorgreifen, um Euch und mich selbst zu schonen, und, wie ich es bisher gethan habe, als möglichst unparteiischer Berichterstatter den Ereignissen einen Weg zu Euren Herzen bahnen.

Mein letztes Schreiben erzählte Euch die unerwartet eingetretene Katastrophe, der Casimir und Sara erlagen. Ich fürchtete sogleich irgend eine Gewaltsamkeit, da Mardochai's briefliche Mittheilung an mich den Machinationen ein Ziel setzte, die eben sowol seinen als Bardeloh's Geist bewegt hatten. Es war der Klugheit gemäß, irgend etwas geschehen zu lassen, und Richard ergriff auch sogleich geeignete Maßregeln. Sein Plan war durch des Juden Weigerung, daran Theil zu nehmen, völlig zerstört, und wenn mich darüber Freude bewegte, so werdet Ihr mir nicht zürnen können. Der starre, nur dem Wink der Consequenz und seinem ungeheuren Zwecke lebende Jude hatte freiwillig sich jedes ferneren Eingreifens in das Richteramt der Geschichte begeben. Diese Demuth des Stolzes ward mir werthvoll, und konnte ich früher einen argen Abscheu selbst gegen die Person Mardochai's nicht völlig besiegen; so sprach jetzt unverhohlen die Milde menschlichen Erbarmens, christlicher Liebe für den reuigen, wenn auch großen Frevler. Ich hielt mit einiger Zuversicht fest an dem Glauben, auch Bardeloh werde in sich gehen, und jetzt, nach so vielen gewaltsamen Auftritten, die mehr oder minder theils als Producte ungestümen Strebens, theils als Ergebnisse trauriger Lebenswirrnisse betrachtet werden müssen, endlich zu der Einsicht kommen, daß dem Einzelnen auch bei der überwiegendsten geistigen Kraft doch nie ein volles Recht zustehe, zu richten, wenn die Gesammtheit ihre Einstimmung noch nicht dazu gebe.

In dieser Hoffnung, die noch an Werth gewann durch verborgene Befürchtungen, sah ich ruhig den Vorbereitungen zu, die zum Empfang der Fastnachtsgäste getroffen wurden. Das Briefchen, welches mir der ehrliche Klapperbein am Abend der erschütternden That einhändigte, war von Auguste, die eine alte Sehnsucht der Kindheit zum Carneval zurück in ihre Vaterstadt trieb. Auch Oskar und Lucie meldeten ihre Ankunft und baten vorläufig um bereitwillige Aufnahme. Sie kamen frühzeitig am Tage der Volksbelustigung an, noch gänzlich unbekannt mit dem Vorgefallenen. Daß ein kalter Schrecken sich Aller bei der Benachrichtigung desselben bemächtigte, werdet Ihr natürlich finden. Lucie indeß, in ihrer raschen Beweglichkeit, wußte doch sehr bald den Eindruck wieder von sich abzuschütteln und betrachtete mit der ihrem Naturell eigenen Neugier die schwarzen Tapeten, womit Bardeloh die Hausflur ausschlagen ließ. Da es nun einmal hieß, es werde ein Fastnachtsmahl angeordnet, so hoffte Jeder auf Zerstreuung und ausgelassene Lustbarkeiten. Auguste blieb jedoch ängstlich. Eine bange Unruhe ließ sie fast krankhaft erscheinen, und ich ward besorgt für die schon mannigfach Aufgeregte. Rosalien's mütterliche Milde allein konnte sie beruhigen und glückliche Bilder dem schwarzen Maskengrauen unterschieben, das so bang und kalt durch die glänzenden Räume des ganzen Palastes wankte.

Der Anschlag Bardeloh's war von sehr erfreulicher Wirkung. Ungeachtet die Klugheit es befahl, die Art und Weise von Casimir's Tode geheim zu halten, hatte doch die heimliche Verrätherei des Gerüchtes ungewisse, aufreizende Worte unter die Bevölkerung verstreut. Die Masse liebt es, dem Unverbürgten zuzufallen, schon weil ein dunkles Gefühl unzulänglicher Lebensbefriedigung sie gern die Gelegenheit ergreifen läßt, sich auf Augenblicke zu erobern, was sie für gewöhnlich und dauernd entbehren muß. So lief denn auch frühzeitig genug die Sage von einem Morde um, der in der Wohnung eines Juden verübt worden sein sollte, und als eine Unterbrechung oder wenigstens Abänderung in den Festlichkeiten angekündigt ward, reihte man Mögliches und Unmögliches rasch zusammen und construirte sich ein wundersames Bild, in denen die Hauptfarben genug des Grellen und Blutigen an sich trugen. Sobald indeß nur der Scherz auf den Straßen in alter Weise begann, vergaß man ungezwungen die Geheimnisse des häuslichen Unglückes und begnügte sich mit Späßen, wie der Augenblick sie erfand. Diese Improvisationen waren übrigens gar nicht zu verachten, und gaben von Neuem einen Beweis, wie die Natur immer die glücklichste Schöpferin bleibt, wenn sie ungestört sich frei bewegen darf. Ohne eigentliche Anleitung bildete sich ein höchst ergötzlicher Maskenzug, der, wie gewöhnlich, zuletzt noch Besitz nahm vom Gürzenich. Nur kürzere Zeit währte der Scherz, der freilich zuweilen die Derbheit etwas in zu großer Ungenirtheit an den Nächsten verhandelte.

Ein eigenes Interesse nahmen die große Menge der Pietisten, an Bardeloh's Einladung. Mit sicherm Takt hatte mein Gastfreund die Eitelkeit unter der demüthigen Kopfbinde bei diesen Menschen herausgefühlt, und deshalb eine ganz specielle Aufforderung, sein Fest zu besuchen, an sie ergehen lassen. Daß er dabei schwarze Kleidung sich ausbedang, erhob ihn noch mehr in ihren Augen; denn sie vermeinten darin gewissermaßen den Widerschein der Reue zu erblicken, die bereits im Herzen des stolzen Mannes sowol über sein früheres Leben, als über den Schwank des gegenwärtigen Tages sich zu äußern beginne.

Der Abend war herangekommen und in besonnener Eile jedes Nöthige besorgt worden. Bardeloh ließ noch eine besondere Einladung an Mardochai ergehen, Theil zu nehmen an dem Feste. Er schrieb ihm ein kurzes Billet, das er mir zeigte, bevor er es abschickte. Die Worte lauteten: »Da Sie der Zufall genöthigt hat, zum ersten Male der Allgemeinheit nicht Wort zu halten, hoffe ich, daß Sie mindestens den Freund, den Einzelnen, nicht versäumen werden. Das Fest der Sühne wird gestört, da Sie nicht Theil daran nehmen mögen. Halten Sie also vereint mit mir das Trauermahl und vergessen Sie nicht, durch den Ueberbringer dieser Zeilen mir die Maske zurückzuschicken, die Sie eigentlich heut zieren sollte!«

Mardochai sagte bereitwillig zu, indem er zugleich meldete, daß die Einbalsamirung seiner Tochter geschehen und überhaupt sein ganzes Hauswesen bestellt sei. In einem Packet überreichte der Diener meinem Gastfreunde die verlangte Maske. Ueber Bardeloh's Gesicht flog ein Zucken, das wie die Freude wilder Dämonen seine männlich schönen Züge nur auf Sekunden verunstaltete. Ich erschrak, ohne das Warum zu begreifen; ich hatte keine Ahnung von dem Inhalt des Packets.

Unterdeß war der Salon geordnet, die Divane mit schwarzem Stoff überzogen, statt der bunten Teppiche schwarzwollene aufgerollt worden. Bardeloh selbst, so wie alle Hausgenossen und Dienstboten hatten tiefschwarze Kleidung angelegt. Der Lärm am Heerde contrastirte grell genug mit diesen Todesschauern.

In der Hausflur war der Katafalk errichtet. Hohe Kandelaber standen um den Sarg, aus dessen schwarzer Tiefe das bleiche Gesicht des todten Casimir, ähnlich einer Wachsmaske, hervorsah. Einen Lorbeerkranz im spärlichen Haar, eine Lyra in der Linken, verbarg die Rechte einen Dolch. Um den Sarg schritten ernste Wächter, um jeden Neugierigen in die Schranke der Sitte zurückzuweisen.

Die anberaumte Stunde erschien, und mit ihr die zahlreich geladene Gesellschaft, der sich anschließen konnte, wer Lust hatte, sobald er sich nur schwarz gekleidet zeigte. Schon die ersten Ankömmlinge stutzten beim Anblick des Katafalks mit Sarg und Leiche. Es erfolgte indeß, was ich erwartet hatte. Jeder hielt diese Anordnung für einen pikanten Scherz des Hausherrn und sah in dem wirklichen Leichname nur eine meisterhafte Maske. Da nur Wenigen Casimir persönlich bekannt war, ließ die Täuschung sich um so leichter bewerkstelligen, und zeigte auch dann und wann ein allzu Neugieriger Lust, den Sarg einer genaueren Besichtigung zu unterwerfen, so wiesen den Zudringlichen die Wächter noch zu rechter Zeit in die Schranken der Mäßigung zurück. Es unterblieb daher jede Störung, so arg der Zudrang war. Eine Menge müßigen Gesindels fand sich ebenfalls ein, über die Kleidung der Dürftigkeit den pomphaften Staat der Trauer geworfen, nicht selten verschossen oder gar Lumpen ähnlicher als Kleidern. Die kecke Zudringlichkeit dieser Menschenklasse wußte Bardeloh auf das glücklichste zu stillen. Es fehlte weder an Speise, noch Trank, und die beliebten Spirituosen wurden reichlich, doch mit Vorsicht, umhergereicht. Das ganze Erdgeschoß war für die Belustigung der lauten Volksmenge vorgerichtet, und es währte auch nicht lange, so war der Scherz im vollen Gange und Niemand dachte sehr an das störend ernste Gerüst auf der Flur.

Bardeloh sah, in feinstes Schwarz gekleidet, diesem Staunen, verblüfftem Lächeln, der unablässigen Mischung von geahntem Schreck und gewünschter Freude, im Hintergründe zu, wo er die feinere Gesellschaft begrüßte, die alsdann nach den oberen Gemächern sich verfügte, wo die sinnende Rosalie sie freundlich, wenn auch befangen, empfing. Schon hatten sich Gleichmuth und Steinhuder mit dem ganzen langen Schweif seiner Anhänger eingefunden, denen er hier gleichsam zum Führer diente. Er war demüthig-höflich, kriechend heiter, und wußte sogar seinen Zorn beim Anblick Lucien's und Orkar's zu unterdrücken. – Von den Geladenen ward nur Mardochai noch immer vergeblich erwartet, Bardeloh zeigte einige Unruhe, traf aber zugleich Anstalt, die Tafeln ordnen zu lassen. In einem Vorzimmer sammelte sich das Orchester.

Gleichmuth suchte mich allein zu sprechen, wir traten zusammen in die psychologische Warte. »Sigismund,« sprach der schwer Geprüfte, »was ist dies für ein Fest? Wissen Sie, was Bardeloh beabsichtigt? Oder sollte ich mich irren in dem Argwohne, der das Leben mit seinen täuschenden Scheinfreuden mir zurückgelassen hat? Unten der Katafalk, die Leiche, von der man nicht weiß, ob sie Maske oder Wirklichkeit ist, und hier die wandernde Leichenbittergesellschaft, die umher schleicht, als gälte es die Grablegung der Menschheit! Geben Sie mir Aufklärung!«

»Es gilt, zu versühnen,« erwiederte ich. »Sie ahnten das Rechte in Bardeloh, aber die Vorsehung ist mächtiger gewesen, als die leidenschaftliche Aufregung geistig großer Menschen. Im Sarge liegt Casimir's Leiche!« –

Gleichmuth mußte sich an das Getäfel lehnen, um Kraft zu sammeln. Bardeloh trat mit seinem Sohne Felix in die Versammlung. Ich setzte den Pastor mit kurzen Worten von dem Vorgefallenen in Kenntniß.

Mein Gastfreund begrüßte mit bitterm Lächeln seine zahlreichen Gaste. »Ich bedauere,« sprach er mit der Ruhe eines umsichtigen Diplomaten, der seinen Zweck um jeden Preis erreichen will, »ich bedauere, daß ich das Vertrauen, welches man mir zu schenken so wolwollend war, auf eine so wenig genügende Art und Weise rechtfertige. Ein trauriger Vorfall hat die Freude meines Hauses gestört, eine geliebte Nichte von mir ist auf eine höchst betrübende Weise aus dem Leben geschieden. Mein Herz fühlte sich zu tief verwundet, um in dieser Stimmung mit Glück die Leitung eines heitern Festes übernehmen zu können. Doch mußte ich auf irgend eine passende Weise der einmal übernommenen Verpflichtung nachzukommen suchen, und dies bezweckte ich, indem ich Sie, meine Verehrten, zu mir lud. Ueberlassen Sie sich jetzt der Heiterkeit, ich selbst will dazu beitragen. Wohlan, es beginne die Lust!«

Richard klatschte in die Hände, die Flügelthüren sprangen auf und ein Bacchuszug schwärmte jauchzend herein und durch den Saal. Der Scherz und Humor würde vollständig gewesen sein, hätte nicht die durchaus schwarze Tracht auch dieser Darsteller dem überreizt Lustigen einen Anstrich finstern Ernstes verliehen. Anstatt wahrhaft zu erheitern, wirkte dieser Jubelchor mit umflorten Thyrsusstäben fast dämonisch. Man ahnte ein Grauen hinter der Tollheit der Luft, das drückend auf die Versammelten niederfiel. Dazu noch das überlaute Getümmel der Menge im Erdgeschoß, die nur den Augenblick des reichsten Genusses fest hielt und jeder Laune frei den Zügel schießen ließ. Noch hatte der Zug den Saal nicht wieder verlassen, als ein durchdringender Aufschrei unzähliger Stimmen etwas Außerordentliches verkündigte. Eben so schnell trat eine lautlose Stille ein, nur dumpf unterbrochen von dem fernen Gemurmel der neugierig gaffenden Menge. Ein paar Diener traten bestürzt ein, und raunten Bardeloh einige Worte zu. Dieser verließ den Saal, ich folgte. Auguste hatte sich an meinen Arm festgeklammert. Alles drängte nach, ernste und lustige Gesichter, da Viele die lächerlichsten Masken trugen. Von unten her wuchs der Lärm. Die Luft schien zu brausen, wie vor dem Ausbruch eines zerstörenden Orkanes.

Zugleich mit Bardeloh erreichte ich die Hausflur. Ein Anblick, der noch jetzt in der Rückerinnerung mich tief ergreift, machte uns Alle stutzen. Nahe am Sarge Casimir's stand die ehrwürdige Gestalt des neunzigjährigen Castellan's. Seine Linke auf die Brust des Todten gelegt, mit der Rechten den Krückenstab gegen die gierige Menge, halb drohend, halb besänftigend erhebend, sah er mit der Ruhe eines Mannes umher, den kein noch so trübes Ereigniß den fest gewurzelten Glauben an Gott und die ewige Gerechtigkeit hat entwenden können.

»Casimir ich vergebe Dir!« sprach jetzt laut und vernehmlich der Greis, »und Euch Allen, die Ihr hier gaffend und zürnend mich umgebt, sage ich als der Aelteste, es gibt kein Verbrechen auf Erden, das sich nicht selbst strafte! Dieser Todte, dessen Hülle im Prunk des Sarges noch höhnt, war ein großer Mensch und ein großer Sünder. Er plünderte das Heiligthum aus reinem Uebermuth, aus Lust und Freude am Seltsamen, und dafür hat das sanfte Auge Gottes seine Seele geplündert und ihr den Frieden entwendet, von dem jeder wahre Mensch einen kleinen Theil in sich tragen muß, soll er glücklich werden. Ruhe aber und Vergebung dem Todten! Es lebt ein Gott, es sitzt zu Gericht sein heiliger Geist!« –

»So ist es!« sagte eine feste, männliche Stimme, und die hohe Gestalt Mardochai's schritt, im schwarzen, faltigen Talar, ernst, bleich, mit geisterhafter Ruhe durch die dicht geschaarte Menge der Zuschauer. Er trat neben den Greis. »Kennst Du mich, Castellan?« fragte er den zitternden Alten. »Das Werkzeug starb, der Werkmeister lebt noch. Ich befahl dem da die Sünde, weil ich wußte, sie würde ihn reizen in der Monstrosität seines Geistes. Und dieser Mensch nahm Rache an mir, weil der Herr der Welt es zuließ. Friede seiner Asche, Ruhe seiner Seele! Mir wird sie vielleicht zu Theil werden an der Schwelle des heiligen Grabes.« –

»Der Jude, der furchtbare Jude!« lispelte der Greis. Burton, der auch dazu gekommen war, stützte den Wankenden, an dem Mardochai vorüber auf Bardeloh zuschritt. »Sie wünschten meine Gegenwart. Hier bin ich,« sprach er zu seinem Geistesgenossen. Bardeloh reichte ihm die Hand, sein Gesicht zuckte fieberhaft zusammen. Sie schritten die Treppe hinauf. Langsam folgte der Greis und Gleichmuth.

Bis dahin hatte Staunen und eine Art Scheu die erregte Menge ruhig gehalten, jetzt aber faßten die Einzelnen und Argwöhnischsten Worte und halbe Sätze zusammen, und bildeten daraus ein trübes Bild, dessen dunkle Fratze sie erstarrte und zur Wuth hinriß. Man drängte mit Gewalt die Wächter zurück vom Sarge, um den Leichnam zu sehen. Einige erkannten den Todten; denn Casimir hatte es wol zuweilen geliebt, in die niedrigsten Winkel des geselligen Verkehrs herabzusteigen, um, wie er sich auszudrücken pflegte, »die Genialität der Zoten« zu studiren. Halb rasend fielen die einmal Erhitzten über die Leiche her. Sie entdeckten den Dolch und glaubten, man habe ihn damit ermordet. Sogleich rissen ihm ein paar die Oberkleider ab. Man sah die eingeschlagene Brust, fühlte die zerbrochenen Rippen. Geschrei, Getümmel, erfüllte die Hausflur. »Der Jude hat ihn ermordet – Casimir wollte sich rächen – Mardochai ist ein Mörder! – Nieder, nieder mit ihm!« – So tobte Alles wüst durcheinander. Im Gedränge ward der Katafalk verrückt, die Kandelaber wurden umgestürzt. Dunkel lodernd brannten sie trüb fort unter der finstern Bahre. – Die Leiche ward von den Neugierigen fast zerrissen, die Lichter ergriffen die Bahrtücher, durch Rauch und Qualm starrten die Gesichter der Erbitterten. Man wollte in die obern Gemächer – da erschienen Bardeloh und Burton. Beiden gelang es, die Tobenden zu besänftigen, indem sie klar und ruhig die Thorheit der Annahme darthaten. Die rohe Menge zog sich murrend zurück, und entfernte sich auf Bardeloh's Befehl, grollend im Herzen, und die Kleidung des todten Dichters fast in kleine Fetzen zerreißend. Der Tumult ward gestillt und beruhigt traten wir wieder in die Versammlung. Jetzt erst ward Bardeloh in einem gewissen Sinn lebhaft. Er klopfte mir vertraulich auf die Achsel, indem er sprach: »Nun ist's gut. Die Zeit der That ist gekommen.« –

Die Menge der Gäste verhinderte mich, länger mit Richard zu sprechen. Es drängten sich so viele an den unergründlichen Mann, daß immer Einer dem Andern weichen mußte, um nicht nach unserer Ausdrucksweise unhöflich zu erscheinen. Während nun die schwarz gallonirten Diener die Tafel bereiteten, benutzte ich die Gunst des Augenblickes und plauderte mit Auguste. Lucie und Oskar hatten sich ebenfalls in eine Fensternische zurückgezogen und überließen sich harmlosen Scherzen und verliebten Neckereien, wie sie dem Naturell des ungewöhnlich lebhaften Mädchens zusagten.

Zu mir und Auguste gesellte sich bald wieder Felix, der in seiner schwarzen Sammetkleidung ganz allerliebst unter der burlesken Ernsthaftigkeit so vieler Erwachsenen herumlief.

»Tante,« sprach er, »heut soll ich eigentlich gefirmelt werden, wenn der Vater sein Wort hält, ich weiß aber immer noch nicht, wie er es anstellen will. Denn das sieht mir curios aus und gar nicht besonders heilig. Willst Du Dich nicht mit firmeln lassen, Tante? So allein mag es mir gar nicht recht gefallen.«

»Laß das gut sein, liebes Kind,« erwiederte Auguste. »Der Vater spricht oft Worte, die wir nicht verstehen, und da wird es mit Deiner Firmelung wol auch nicht anders gemeint sein.«

»Vielleicht ist es grade so, wie mit dem Civilisationsgift, das der Vater ordentlich recht im Leibe hat.«

»Das hat er,« sprach nahe bei uns Bardeloh's starke Stimme, »ich sage Dir aber, Kind, heut Abend noch wird es ihn verlassen.« Hierauf wandte er sich mit seiner gewöhnlichen graziösen Leichtigkeit zu Auguste, und reichte ihr den Arm. »Kommen Sie, liebe Schwägerin; die Tafel ist bereit, für Toaste gesorgt. Sigismund, meine Frau wartet auf Sie.«

Die übrigen Versammelten folgten unserm Beispiele und ordneten sich um die lange Tafel, die fast in Form eines Kreuzes sich durch den weiten Saal hinzog. Am obersten Ende war für Mardochai ein Sitz bereitet. Ihm zur Rechten saß Steinhuder, zur Linken Gleichmuth. Grade gegenüber am untersten Theile nahm Bardeloh selbst Platz zwischen Auguste und Felix. Ich saß mit Rosalie in der Mitte des Saales, uns gegenüber der greise Castellan. Neben ihm Lucie, der lustige Ephraim, Oskar und Burton. Auf beiden Seiten gemischt die recht-, irr- und ungläubige übrige Gesellschaft. Von den Bekannten vermißte ich nur Friedrichen und den Mönch. Ich fragte Rosalien, weshalb diese beiden nicht Theil nähmen an dem Mahle, da sie doch in der letztern Zeit meistentheils eine anständige Ruhe zur Schau getragen hätten.

»Richard hat über sie verfügt,« antwortete sie achselzuckend. Bangigkeit lag in ihrem Auge, aber auch die Zuversicht eines gewissen, wenn auch noch fernen Glückes.

Es herrschte Anfangs eine etwas peinliche Einsylbigkeit. Nur einzelne sprachen, doch meist leise mit ihren nächsten Nachbarn. Unter die Lautesten gehörte Klapperbein, der sehr bald seine gewöhnliche Spaßhaftigkeit ein paar übermüthige Sprünge machen ließ und dadurch herzliches Gelächter erregte.

»Heut ist Fastnacht, das heißt, es fehlt nur noch ein Linschen, so ist's ganz Nacht. Man sieht's aber nicht, weil's zu hell ist, und eben darum wollen wir lustig sein und trinken. Alle tausende fällt mir da ein Lied ein, just ein Studentenlied. Es thut jedoch nichts, auch ein alter Kerl mit einem ganzen Herzen darf's immer noch mit singen. Heda, eingestimmt! Jung und Alt, Gottlos und Fromm. Es ist Fastnacht, wo Jeder sagen darf, was er will. Wohlan denn, Gläselein klinget:

»Stoßt an,
Mann für Mann,
Wer den Flammberg schwingen kann etc.«

Und nun sang der alte, rüstige Bruder Lustig mit so munterer Kehle, als sei er noch keine zwanzig Jahre alt. Es stimmten Viele mit ein, wenn es auch nicht Jedem von Herzen ging. Indeß bewirkte dieser frische Anfang ein schnelleres Erwachen einer zum Theil freilich nur erzwungenen Lust, und Lieder bald humoristischen, bald ernsthaften Inhalts wurden von Diesem und Jenem angestimmt. Dadurch erheiterte sich auch Burton's Laune. Man ließ Amerika leben und ein allbekanntes Nationallied ward mit steigendem Entzücken von der ganzen Gesellschaft gesungen.

Der Castellan sah diesem Treiben mit nicht sehr billigenden Blicken zu, und wirklich lag auch in dem Kontrast, welchen die Lustigkeit Einzelner mit der Trauergewandung Aller hervorbrachte, für einen stillen Beobachter etwas unaussprechlich Beengendes. Dagegen zu reden, wäre freilich unnütz und, wenn man will, für den Wirth sogar beleidigend gewesen.

Nach den ersten Gängen trat die Musik aus dem Nebenzimmer in den Saal, wo eine besondere Estrade für sie errichtet worden war. Alle Musiker waren schwarz gekleidet, trugen aber buntfarbige Bajazzokappen mit Schellen, was einen so allgewaltig komischen Eindruck auf die ganze Versammlung hervorbrachte, daß sich ein »unauslöschliches Göttergelächter« erhob. Da jeder Einzelne maskirt war, versuchten wir umsonst die Gesichter zu mustern. Bardeloh befahl inzwischen einen Straussischen Walzer, und bald flogen die Fiedelbogen, daß alle Mädchenfüße in zuckende Bewegung geriethen.

Die Meisten der hervorragenden Anwesenden, unter Andern auch Steinhuder und Oskar, hatten Toaste ausgebracht, die sich freilich in feindseliger Rüstung trotzig gegenüber standen. Die Fastnacht war und blieb der allgemeine Versöhner. Wein und sonstige Aufregung hatte die Gemüther entflammt. Lauter ertönten die Stimmen, man wog nicht mehr das Wort und gestattete dem Gedanken eine ungewöhnliche Freiheit. Da erhob sich Bardeloh, ruhig, ernst, mit spöttischer Lippenbewegung. Schweigen fiel herab auf die Versammelten, denn man erwartete nicht mit Unrecht etwas Bedeutsames aus dem Munde des Geheimnißvollen zu vernehmen.

»Es ist Fastnacht,« begann mit unsicherer Stimme der bleiche Mann, »und da ist es von jeher erlaubt gewesen, die Wahrheit zu sagen, ein Narr zu sein, ein Allerweltsnarr! Auch ich fühle heut die Lust dazu in mir, bin aber nicht geneigt, viele Worte zu machen. Ich erhebe nur das Glas, und fordere meine ehrenwerthen Gäste auf, mit mir vereint die Idee leben zu lassen, welche in dem heut unterbliebenen Maskenzuge zur Erscheinung kommen sollte. Wer ein Freund der Wahrheit ist, der fülle sein Glas und stoße mit mir an! Heda, Musik! Es lebe diese verschleierte Idee!«

Die Musiker begannen zu spielen. Sie hatten die Masken abgeworfen, ich erkannte in ihrem Dirigenten den blödsinnigen Friedrich, dessen Bogenstriche übrigens jetzt in alter Weise sich wieder kenntlich machten. Die Gesellschaft war aufgestanden, doch rief es von allen Seiten wiederholt: »Sag' an die Idee! – Was sollte sie verwirklichen?« –

Wie zerstreut fuhr sich Bardeloh mit der Hand über die Stirn, griff in den Busen und zog – Mardochai's Brief an mich hervor. Lächelnd reichte er denselben einem der zunächst Sitzenden. Es war ein Pietist. Der Mann gebot Ruhe und begann laut das Schreiben vorzulesen. Bardeloh erfaßte die Hand seines Sohnes, Mardochai stand ruhig auf, näherte sich unserm Gastfreunde und sprach fest, aber erbleichend: »Richard, was thun Sie?« – »Was ich muß,« erwiederte der Gefragte. »Nach Gewißheit verlangt meine Seele. Ich muß noch in dieser Stunde erfahren, ob meine Gedanken auch die der Welt sind.« –

»Der Segen Abrahams sei mit Dir!« flüsterte Mardochai, »doch fürcht' ich, Du hast nicht gut daran gethan.« –

In diesem Moment erhob sich ein Murmeln, Schimpfen, Drohen. Der Pietist hatte den Brief fast zu Ende gelesen. Alles stand auf. »Lästerung! Lästerung!« schrien die Frömmler, Steinhuder an ihrer Spitze. »Ergreift sie!« tobten Andere. »Den Juden faßt! – Den reichen Nabob tödtet! – – Schleppt sie vor Gericht! – Nein, nieder mit ihnen! Nieder mit ihnen!« –

Alle Schrecken des bigottesten Fanatismus schritten zügellos durch die schimmernden Säle. Mardochai war schon erfaßt worden, er wußte sich zu befreien, und schritt zwar fliehend, aber doch mit stolzer Haltung, der Thür zu, die nach Bardeloh's Kabinet führte. Dieser selbst bahnte sich, seinen zitternden Knaben im Arm, rasch den Weg eben dahin. Die Stimme des greisen Castellans sprach Worte des Friedens, die Frauen baten und suchten die Aufgeregten zu beruhigen, sich fest an sie klammernd. Burton, Oskar und ich, auch Gleichmuth, wir Alle boten die Kraft des Wortes auf, um die empörten Gemüther zu besänftigen. Allein der Aufstand war zu allgemein, die Gemüther verletzt in ihrem verborgensten Heiligthume. –

Bardeloh öffnete die Thür seines Cabinets und stürzte mit Felix hinein, am Boden kniete in schwarzem Mönchsgewande, den Rosenkranz in der Hand, Bonifacius. Ein Druck gegen die Wand sprengte die Tapetenthür, und es ward der bekannte Apparat sichtbar, beleuchtet von den dunkel flatternden Spiritusflammen. Hastig ergriff er einen Dolch, riß seinen Sohn zu sich empor, drückte ihn fest gegen seine linke Brust, und dann den blinkenden Stahl schwingend, rief er drohend gegen die Heranstürmenden, in deren Mitte ohnmächtig Mardochai gegen hundert Arme kämpfte: »Ich seh's, Euch ist nicht zu helfen. Die Wahrheit mögt Ihr nicht hören, selbst die Fastnacht darf sie nicht mehr laut aussprechen. Ihr lebt in der Lüge, im Wahn, in Unfreiheit! Ich und mein Sohn aber, wir wollen frei sein. Gott sei Deiner Seele gnädig!«

Der Dolch zuckte in der Luft und fuhr gegen die Brust des Knaben. Doch ein gewaltiger Stoß Oskar's, der hinter Bardeloh gesprungen war, schleuderte in demselben Augenblick das zitternde Kind aus des Vaters Hand. Es stürzte vorwärts auf einen Divan, der mit Gewalt geführte Stoß aber traf des Vaters eigene Brust. Dröhnend sank Richard zusammen auf die Pyramide und über ihn rollten die Schädel zu Boden. Ein Blutstrom kroch, wie eine rothe Schlange, über das Parquett. Friedrich's Geige aber jauchzte in wunderbaren Tönen – ich gedachte des Knaben Worte: »der Friedrich, Vater, wird Dir noch den Todtentanz streichen.« –

Mehrere sprangen dem Gefallenen bei, allein noch war es nicht Zeit, Ruhe zu suchen. Der Tumult dauerte fort, des Juden Kräfte wichen unter den Händen seiner Verfolger. Mit dem kalten Blick der Verzweiflung sah Mardochai umher, ob nirgend ein Mittel der Rettung sich darböte. Hinter der eingestürzten Pyramide erhob sich eine Art Altar. Darauf lag eine versiegelte Rolle; drüber gebreitet jene bedeutungsvolle Maske. Die Angst des Entsetzens, das sichere Gefühl von der Nähe des Todes lassen den Bedrängten zu jedem Mittel, auch dem abenteuerlichsten greifen. Mardochai erblickte nicht sobald jenes Bild, als ein Lichtstrahl der Hoffnung über seine Mienen zog, wie der Bogen des Friedens und der Versöhnung. Er übersah rasch seine Verfolger – es waren lauter Pietisten – eine gewaltige Anstrengung machte ihn frei. Mit heftigem Sprunge schwang er sich zu der Erhöhung hinauf, die unter seiner Schwere zerbrach, ergriff das wolgemalte Maskenbild, und es schnell über sein Haupt herabziehend, streckte er die Hand aus und rief laut dem gereizten Haufen die Worte zu: » Ecce homo!«

Ein paar Secunden trat eine schwüle Stille ein, dann aber brach ein grelles Zetergeschrei aus, Steinhuder und viele Andere ergriffen den unglücklichen Mann, und die Schnüren an der Maske zusammenziehend, sank Mardochai mit leisem Röcheln langsam zurück gegen die Wand. Seine Finger zuckten krampfhaft, aber kein Laut entschlüpfte seinem Munde. Das Haupt neigte sich auf die Brust, der Dornenkranz sank tiefer und tiefer. Der Mann, welchem die Geschichte zu langsam war in ihrer Gerechtigkeit, schied lautlos aus der Reihe der Lebendigen.

Jetzt aber ergriff auch die erhitzten Henker die Furcht. Sie flohen Saal und Haus, das Toben sank herab zur Ruhe des Todes. Auf dem Divan lehnte Felix weinend am Busen seiner Mutter. Die Leiche seines Vaters hatten Oskar und Burton aufgehoben und neben die ruhig lächelnde Gestalt seines irren Bruders gelegt, der in glückliche Gedanken versunken nur mit leisem Finger die blutende Wunde berührte und eben so ruhig, als ergeben sprach: »Das ist Dir gut, Bruder. Blut versöhnt und bändigt die Leidenschaften. Ich weiß es am besten, denn ich habe was Ehrliches für diese Bändigung geblutet. Nun Du so ruhig bist, Bruder, wollen wir zusammen schlafen gehn in's Kloster.« –

Der lebensmüde Mann erhob sein Haupt und fuhr fort, den Rosenkranz zu beten. Vor ihm, mitten unter uns, stand der greise Castellan. Die Erscheinung dieses ehrwürdigen Alten, auf dessen gefurchter Stirn mit schönen Lettern die Nachricht eines über alle Stürme der Welt errungenen Sieges zu lesen war, berührte auch mich wie die Erscheinung eines versöhnenden Engels.

»Friede sei mit Euch!« sagte zitternd bewegt der edle Greis, und von der grauen Wimper herab floß der Thau mildernder Thränen. »Friede sei mit Euch! rufe ich nochmals, wenn ich auch kein geweihter Priester bin. Aus Nacht und Nebel erhebt sich immer wieder das Licht des Tages. Ihr alle wandeltet in Nacht, ein greller Blitz hat die Dunkelheit zerrissen und Einige getödtet. Das war keine Strafe, das war die Liebe Gottes! O, werdet ruhig, Ihr, die Ihr zurückbleibt, und bedenkt, daß es Aergerniß geben muß, der aber nicht zu beneiden ist, von welchem es kommt. Friede sei mit den Lebenden, Friede mit den Todten! Den Mönch nehme ich in meinen Schutz. Er gehört mir zu; sein todter Bruder hat ihn mir übergeben.«

»Gebrechlicher Greis,« fiel Gleichmuth ein, »furchtest Du nicht einen Schuldigen, der aber seine Schuld bereut, so folge ich Dir ebenfalls, nicht etwa, um Klosterbruder zu werden, sondern um fern vom Sturme der Welt mein ganzes Leben wiederzufinden.«

Der Castellan legte seine zitternde Hand auf den Scheitel Gleichmuth's – es war, als spräche dieses Handauflegen eine vollständige Absolution aus über Jedermann, über die ganze Welt. –

Ich hatte unterdeß die Maske von Mardochai's Haupte gelöst. Sein Gesicht trug die nämliche trotzige Ruhe des Stolzes, die ich immer an dem Manne bewundert hatte. Nur die Augen standen halb offen, als hafteten sie noch auf den Irrthümern der Welt. Mit Schmerz drückte ich sie dem eigenthümlich großen Manne zu. Da löschte ein Luftzug die Lichter, tiefe Finsterniß sank über den Todten. Felix hing sich an meinen Hals und rief zärtlich: »Nicht wahr, jetzt wirst Du mein Vater werden?« –


Ich habe nichts mehr zu erwähnen. Zwei Tage später, nachdem Alles so gut als möglich geordnet worden war, beschlossenen wir übrig Gebliebenen, durch so wunderbare Ereignisse hart Geprüften, aber auch dem stillen Frieden der Verheißung Wiedergegebenen, das Vaterland zu verlassen. In Mardochai's Wohnung fand sich eine Kiste mit einer sehr großen Menge von Schriften und Documenten, alle auf die Emancipation seiner Brüder abzweckend. Sie wurden dem Ober-Rabbiner in H. gesendet, für den ein Zettel von Mardochai sie, im Fall seines Todes, bestimmt hatte. Reiche Legate für »Christen, die Juda's Schmerz mitfühlen und Balsam für seine Wunden bereiten,« hatte der seltsame Mann ebenfalls ausgesetzt. – Die Rolle, welche auf dem altarähnlichen Tischchen in Bardeloh's Cabinet lag, enthielt seine »Doctrin des Hasses,« von der sich vielleicht später Einiges mittheilen läßt.

Sara's Leichnam war bereits gegen die Verwesung gesichert. Rosalie wünschte dasselbe ihrem Gatten und Mardochai. Wir willfahrteten den Bitten des armen, aber doch im Besitz ihres hoffnungsvollen Sohnes glücklichen Weibes. Burton besorgte ein Fahrzeug zur Aufnahme der drei Leichen, und am dritten Tage nach dem traurigen Ereignisse, noch in neblicher Dämmerung geschah die Einschiffung.

Gleichmuth, der Greis und Bonifacius standen schweigend am Ufer. Sara's und Bardeloh's sterbliche Ueberreste waren bereits am Bord, die Matrosen hissten eben Mardochai's Sarg herauf. Im Osten dämmerte der erste Strahl des neuen Tages. Da zerriß ein seltsamer Zufall das eine Tau, der Sarg schlug um und versank in den Wogen des Stromes. Schluchzend stürzten die Wellen darüber zusammen, der Greis faltete die Hände und sprach ein nochmaliges: »Friede seiner Asche!« –

Der Anker ward gehoben, in schnellen Stößen flog das Schiff den Rhein hinab. Wir alle standen auf dem Verdeck, Rosalie, Oskar, Lucie, Auguste, Felix, ich und Ephraim, und grüßten mit thränenschwerem Auge die Zurückbleibenden so lange wir sie erkennen konnten. Als der Morgennebel ihre Umrisse verhüllte, vernahmen wir die Töne aus Friedrich's Violine, und die Melodie eines alten, tief ergreifenden Kirchenliedes flog zu uns herüber, wie ein Segensruf Gottes. Da trat die Sonne hinter den Wolken hervor, und als wolle sie alle Schmerzen stillen, allen Kummer in Freude verwandeln, übergoß sie mit versöhnendem Strahle die Erde, so weit unsere Blicke reichten.

Wir schieden versöhnt mit dem Geschick, mit der Menschheit vom Vaterlande, und wankten auf der Brigg »die Hoffnung,« geführt von Burtons erfahrener Hand, hinaus auf die unermeßlichen Meere. Der Anblick des gewaltigen Elementes erhob unsere Gemüther; geeint in Liebe, riefen wir dem in den Wellen versinkenden Vaterlande ein lautes, herzliches Lebewol zu, den hohen Trost mit uns nehmend, daß die Liebe versöhnt und der Glaube errettet, wenn sie beide das Product einer in tiefster Brust ewig verschlossenen Wahrheit sind.

Lebt wohl in Europa! Vom Ufer des Mississippi schreib' ich Euch wieder.


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