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15.
An Raimund

Anfang Januar 18–

Mit innigem Dank seh' ich die Zeit immer näher herankommen, wo ich vom Hoffen zum Handeln übertreten werde. Ein solches Renegatenthum ist wol noch erlaubt in unsern Tagen, so geringen Beifall es auch bei der großen Menge finden möchte. Aber ich bin auch bereits freiwillig aus allen Banden geschieden, die mich noch fest verknüpften mit dem europäischen Leben. Im Herzen traure ich um den Verlust meiner Heimatherde, aber der Geist erhebt mich hoch über die Qual des Augenblickes und läßt mich der Zukunft goldene Träume in feste Formen zwingen. Das ist meine amerikanische Thatenlust, die erst erwachen kann, sobald ich gänzlich todt bin für Europa. – Darum begrüßte ich auch den ersten Sonnenstrahl dieses neuen Jahres mit einem stillen Jauchzen, in dem die Verheißung einer neuen Lebensära für mich lag. Nicht ohne Schmerz war dies Gefühl, aber es war nur der Schmerz der Größe, der mich bewegte. Er drückt nicht nieder, sondern erhebt, und erhaben wandele ich seitdem auf den Palmenzweigen meiner eigenen Gedanken. –

Nach den stillen Beobachtungen, die ich in den letzten Wochen angestellt habe, reut es mich fast, daß ich Bardeloh zur Auswanderung nach Amerika zu bewegen suchte. Er war früher zwar sinnender, mehr dem finstern Grübeln ergeben, als jetzt, aber es verbreitete sich doch auch eine gewisse Ruhe über sein ganzes Wesen. Dies hat sich in der letzten Zeit verloren. Der stille Mann scheint aus seinem eigenen Charakter herausgejagt zu sein. Unser schneller Entschluß, gereift durch Gleichmuth's Lebensgeschichte und das plötzliche Erscheinen Burton's, wird ihm unbequem. Ein Durchkreuzen seiner Pläne muß für ihn darin liegen und dies stößt sein stilles Brüten zu einem hastigen Thun. Könnte ich nur ermitteln, was er bezweckt, wohin er zielt und wem sein geheimnißvolles Begehren gilt!

Du kennst meine Abneigung gegen Mardochai, die freilich vielleicht mehr eine Geburt der Furcht, als der Verachtung ist. Aber ich entsetze mich nun einmal vor diesem Menschen, weil ich begriffen habe, was eine misbrauchte geistige Kraft für entsetzliche Frevel begehen kann, wenn sie die Vergangenheit sich zum Leiter erwählt für die Gegenwart. Und gerade mit diesem Menschen verkehrt Bardeloh jetzt mehr als sonst. Er weiß, daß ich den Juden nicht leiden mag, daß ich sogar im geheim ihn beaufsichtige, und dennoch läßt er unverhohlen seine Vorliebe zu ihm durchblicken. Mardochai besucht fast jeden Abend meinen seltsamen Gastfreund. Eingeschlossen in Richard's Kabinet verkehren sie bis tief in die Nacht hinein mit einander, und Niemand erfährt, was sie sinnen und träumen. Ich fürchte aber, es wird das Erwachen entsetzlich genug sein, denn gestern Mittag sagte Bardeloh ganz unaufgefordert mit einem unbeschreiblichen Lächeln: »Nun bin ich bald fertig mit meiner Doctrin des Hasses, in etwa vier Wochen will ich eine Probevorstellung geben.« Ich stutzte, auch Rosalie zeigte einige Ueberraschung und Felix lag mit kindischer Neugier dem Vater um das Wie? an und bat, ihn ja dabei nicht zu vergessen. Richard schien erschrocken über sich selbst, wußte sich aber bald zu fassen und versetzte auf das Bitten seines Sohnes: »dazu kann Rath werden, liebes Kind. Vielleicht darfst Du Dich ganz besonders eigenen, eine Hauptrolle bei der Probe zu übernehmen.«

»Das wäre prächtig!« rief Felix aus. »Das Schauspielern habe ich immer geliebt. Ich wollte meine Rolle gewiß recht gut auswendig lernen. Gib mir sie nur bei Zeiten, Vater.«

»Zu gehöriger Zeit,« versetzte Bardeloh und lenkte das Gespräch auf andere Gegenstände.

Eine unbezwingbare Unruhe trieb mich fort. Ich ging zu Gleichmuth, um von ihm zu erfahren, was er etwa selbst wissen konnte. Ich erzählte dem Pastor Bardeloh's Aeußerung, erwähnte seines häufigen Verkehrs mit dem Juden und der Besorgnisse, die ich daran zu knüpfen mich bewogen fühlte.

»Lassen Sie geschehen, was immer will,« versetzte Gleichmuth. »Dies allein kann hier oder dort zum Ziele führen. Nur kein eigenmächtiges Eingreifen in das Handeln Anderer! Es steht jeder Einzelne in der Hand der Weltgeschichte, die ihn führt und leitet, und die Gerechtigkeit fällt so von selbst aus dem Conflict der verschiedensten Handlungen heraus, daß es wahnsinnig sein würde, wollte hier Dieser oder Jener hemmend oder beschleunigend eingreifen. Ich ahne Bardeloh's Thun, aber ich werde kein Thor sein und es verrathen. Es ist gut, weil es der Nothwendigkeit, der Krisis der Zeitbewegung, angehört.«

All mein ferneres Experimentiren blieb vergeblich. Der Pastor schwieg hartnäckig über dieses Thema und sprach von seiner Geschichte der Heiligen. »Diese Arbeit,« sagte er, »wird meinem Namen dereinst Renommée verschaffen bei den Deutschen. Darüber vergißt man sogar mein Leben. O, es ist gar nicht so übel, mit wissenschaftlichem Charpie die Wunden seines zerschlagenen, geistigen Lebens sauber zu verstopfen!«

Mich verdrossen die ausweichenden Antworten des Pastors. Aergerlich besuchte ich Sara, die noch immer auf ihrem süßen Wahne beharrt. Das Kind erbarmt mich und doch kenne ich kein Mittel, es zu heilen. Wäre Mardochai ein Anderer, so wäre dem Mädchen schnell geholfen; ich kann aber diesem stolzen Rachegeist nicht die Schuhriemen lösen. Härte gebiert Härte, und müßte Sara, dieser Engel der Unschuld, als Sühnopfer fallen für viele, himmelschreiende Frevel, es könnte mich nicht bewegen auch nur ein heimliches Wort dem Juden zu gönnen.

Die Liebe plaudert gern aus, Sara verrieth mir, was sie wußte von dem Thun ihres geheimnißvollen Vaters. »Du glaubst es gar nicht,« sagte das liebe Kind, »wie beschäftigt der Vater jetzt ist. Alle Tage kommen eine große, große Menge von Deinen Brüdern zu ihm, um zum großen Firmelungsfeste oder wie sie's sonst heißen, blanke Schmucksachen zu kaufen. Und der Vater ist so freundlich dabei und so gut! Du solltest ihn nur sehen, wie glücklich er lächelt und wie er manchmal ein Stück Geld wieder zurückgibt. Alle Christen handeln gern mit meinem Vater, das magst Du glauben! – Letzthin kamen auch die Kleinhändler wieder, um zum Feste ihre Einkäufe zu machen.« –

»Was verkauft ihnen denn Dein Vater,« fiel ich der Schwätzerin in's Wort.

»Alles, was sie gern haben und brauchen: kleine Marienbilder, Heiligenscheine, Kruzifixe und solche Korallenbänder, wie Ihr sie tragt, wenn Ihr betet.« – »Nun ja,« fuhr sie fort, »wenn nun erst die Fastnacht herankommt, dann soll's groß hergehen, sagt mir der Vater. Es wird ein großer Aufzug geschehen und recht viel Scherz dabei getrieben werden. Der Vater ist ganz glücklich darüber und rennt von früh bis in die Nacht hinein, daß er oft ganz ermattet zurückkommt. Wenn ich ihm dann liebkosend den Schweiß von der bleichen Stirn trockne, spricht er: »laß das, Sara! Es geschieht Alles zur Ehre unseres Gottes. Wir werden bald frei sein.« Ich verstehe ihn aber nicht; denn so hat er schon oftmals gesprochen und ich habe doch hinterher nie eine Aenderung wahrnehmen können.«

Dies und Anderes erzählte mir Sara. Meine Neugier stieg mit dem Verdacht, welchen ich seit dem Tage gegen Mardochai hegte, wo er mich und Oskar in sein Waarenmagazin führte. Was die Unschuld des Mädchens nicht ahnte, das errieth der Argwohn meiner Furcht. Ich witterte irgend einen neuen Streich in der ausgesucht pikanten Manier, wie sie Mardochai bereits zur Genüge bewiesen hat. Möglichst bald verließ ich das holde Kind des Morgenlandes, diesmal weniger aufgelegt, mich seinen liebenden Tändeleien zu überlassen, als gewöhnlich. Ich eilte nach Hause. Schon von fern bemerkte ich in Bardeloh's Cabinet den falben Schimmer, den die künstlich bereitete Spiritusflamme gegen die Fenster strahlte. Behutsam schlich ich die Treppe hinan – der Argwohn macht den Besten zum Schurken – Niemand begegnete mir, ich kam glücklich an des Mönches Zimmer vorbei, den ich harmlos mit Felix plaudern hörte. Auch Casimir's Stimme klang von der andern Seite herüber. Er declamirte ein Bruchstück aus seinem colossalen Werke: »Besuch Gottes in der Hölle,« mit Donnerstimme, in die sich oft ein helles Gelächter mischte, ich weiß nicht, ob aus Freude über das Gedichtete oder aus Verachtung über die Zeit, die es möglich machen kann, solchen genialen Wahnsinn zu Tage zu fördern.

Vor Bardeloh's Zimmerthür stand ich einige Sekunden lauschend. Es war um die Zeit, wo der Jude gewöhnlich kommt. Sein Klopfen hatte ich ihm längst abgehorcht. Mit heuchlerischem Finger berührte ich die Thür, Bardeloh rief laut sein »herein!« Ich folgte dem Rufe, der Mantel verhüllte mein Gesicht, den Hut hatte ich in die Augen gedrückt. Ehe noch Bardeloh ahnen konnte, wer ihn störte, war ich eingetreten, hatte rasch die Thür hinter mir verriegelt und stand mitten im Zimmer.

Bardeloh saß am Pult. Der geheimnißvolle Wandschrank war geöffnet. Eine Pyramide von zehn Todtenköpfen grinste mich schauerlich daraus an. Aus dem obersten brannte eine blendende Gasflamme und verbreitete Tageshelle rings umher. Im Hintergrunde der Nische lagen eine sehr große Menge Maskenanzüge, Larven, falsche Haare, darunter lange Locken, wie sie die Altdeutschen trugen oder der Kopf des Johannes abgebildet wird, kurz ein ganzer Theatertrödel.

Nur wenige Augenblicke waren mir zum Ueberschauen dieser Dinge vergönnt. Bardeloh kam auf mich zu und rief ein »guten Abend, Mardochai,« als er seinen Irrthum erkannte und mit zitternder Lippe verstummte. Ich war gefaßt auf einen bittern Gruß und hatte mich deshalb mit Gründen hinlänglich gewaffnet. Allein die Tiefe von Bardeloh's Leidenschaftlichkeit hatte ich nicht mit eingerechnet in meinen Plan. Kaum wußte er, wer sich unberufen zu ihm geschlichen hatte, als er mit Blitzesschnelle einen Dolch ergriff, deren eine große Anzahl die Todtenschädelpyramide wie ein Wald spanischer Reiter umhegten, eben so geschwind die Tapetenthür zudrückte und mich mit riesenstarker Faust so unversehens erfaßte, daß ich dem Grimm des Beleidigten erlag. Der Mantel hinderte mich an der Gegenwehr, ich taumelte, niedergehalten von Richard, auf die Ottomane, Bardeloh stämmte sein Knie gegen meine Brust und setzte mir mit wildem Blick den Dolch darauf.

»Sind Sie des Lebens so überdrüssig,« raunte er mir leise murmelnd zu, »daß Sie mit Gewalt es verscherzen wollen? Wer hieß Sie eindringen in mein Heiligthum zu einer Zeit, wo Sie wissen, daß nur Einer erscheinen darf?«

»Ich bin ein Christ,« stammelte ich.

»Ein Schurke sind Sie,« rief Bardeloh und drückte heftiger den scharfen Stahl gegen meine Brust, »und es wäre am Ende wolgethan von mir, wenn ich Ihnen augenblicklich jedes fernere Schleichen und Lauschen verbitterte. Was wollen Sie?«

»Warnen.«

»Vor wem?«

»Vor Unrecht und Wahnwitz.«

»Blöder Thor!« versetzte Richard und ließ ab von mir. »Spricht der Mensch, als käme er erst hinter dem Großvaterstuhl hervor. Sind Sie denn umsonst ein halbes Jahr bei mir gewesen?«

»Um einen Mord schön zu finden, allerdings!« versetzte ich. »Auch glaube ich in sofern auf unbedingtes Vertrauen Anspruch zu haben, als ich noch nicht Handel trieb weder mit dem Geiste des Christen- noch Juden- noch Menschenthums. Ich lebte blos der Freiheit und war bemüht, Sie zu eben diesem Leben herüber zu ziehen.«

»Und was soll dies Alles hier und eben jetzt?«

»Es soll Ihnen die Augen öffnen. Hören Sie mich,« fuhr ich eifriger und wärmer fort, »und achten Sie das Wort eines Christen wenigstens eben so hoch, als die schlaue Rede eines zweideutigen Juden. Mardochai ist ein großer Geist, aber kein edler Mensch. Mardochai lebt blos der Rache!«

»Glauben Sie mir denn damit etwas Neues zu sagen?«

»Nicht im Allgemeinen, wol aber im Speciellen.«

»So reden Sie!«

»Mardochai,« fuhr ich fort, »sinnt auf irgend eine That, womit er der großen Menge öffentlich Anstoß geben kann, wie er dies schon früher in der Stille gethan hat. Erinnern Sie sich an Gleichmuth's Manuscript!«

»Ich habe ein sehr gutes Gedächtniß, lieber Sigismund. Was haben Sie sonst noch entdeckt?«

»Ist das Gesagte nicht genug? Oder wollen Sie etwa auch ein bloßes Werkzeug der Rache werden in der Hand des Juden?«

Ein verächtliches Lächeln spielte um Bardeloh's Mund. »Dieser Sorge hätten Sie sich doch wol entschlagen können,« erwiederte er. »Mich äfft kein Mensch, nur der Zeit könnte es gelingen, durch einen schnellen Umschwung meine Berechnungen zu vernichten. Darüber würde ich mich aber freuen. Ich weiß, was ich will, Sigismund, weiß, was der Jude treibt und bin einig mit ihm. Und nun, Lieber, schweigen Sie still und stören Sie nicht meine festgezogenen Kreise. Gehen Sie nach Amerika, wenn Sie zu feig sind, auszuhalten bis zum letzten Athemzuge in unserm hilfsbedürftigen Vaterlande. Der Starke versucht Alles, bevor er Alles aufgibt. Das ist mein Glaubensbekenntniß, dem sich das Mardochai's anschließt, obgleich dieser Mann des Schicksals nicht nur die Gegenwart zu berichtigen, sondern auch noch die Vergangenheit zu sühnen hat. Gehen Sie, ich höre ihn kommen. Sie werden es noch erleben, daß ich kein Feigling bin, noch weniger ein Betrogener. Gehen Sie! Ihre Gegenwart wäre überflüssig bei unsern Verhandlungen, weil Sie wol die Zeit begreifen, aber noch lange nicht ihre unendlichen Schmerzen in sich durchgelebt haben.«

Fast gewaltsam drängte mich der räthselhafte Mann fort. An der Thür begegnete ich dem Juden. Ich war froh, als die Unheimlichen meinen Blicken entschwanden. –

So scheitert an der unerbittlichen Hartnäckigkeit dieses Mannes jeder Versuch, ihn zu stillem, besonnenen Handeln zu nöthigen, in dem ich, wie nun eben die Zeit vorliegt, doch das einzige sichere Heil erblicke, so wenig auch mein eigenes Naturell sich mit langsamem Umhertasten vereinbaren läßt. Gern will ich zugestehen, daß es beleidigend ist für einen reifen Geist, immer nur die Feinde siegen zu sehen, aber wo hinaus mit dem Sturm und Drange, selbst, wenn er nur heimlich sich austobt? Die Betrachtung der Welt hat Bardeloh auf den Punkt getrieben, wo er selbst des Sohnes nicht mehr schonen würde, wollte er sich ihm – und sei es aus wahrhaftiger Güte – widersetzen. Dies muß unglücklich enden! Denn ein solches Erfassen der Umstände ist selbst schon ein fertiges Unglück, das nur in sich selbst hinein seine Thränen weint. Wahrhaftige Männlichkeit vermag ich nicht zu erblicken in solchem Thun. Auch muthige Ausdauer liegt nicht im Harren und Hoffen, wo eben jedes Hoffen ein bloßes Morden des heiligsten Gedankenlebens ist! Darin kann ich nicht stimmen mit Bardeloh. Was er bei mir Feigheit nennt, das halte ich für rüstige Kraft, seine Kraft aber ist krankhaft und wird, bricht sie aus, nur verwüstend, gleich einer Pest, Alles um sie her ergreifen. Raimund, mir graut vor dem Grimm des starken, europamüden Mannes!

 

Drei Tage später.

Ein Brief des Amerikaners aus Paris meldet mir seine Zurückkunft in etwa vierzehn Tagen. Burton hat ganz Frankreich durchstreift und sich längere Zeit an den wichtigsten Orten aufgehalten, um die Sitten und den Willen des Volkes kennen zu lernen. Mit großen Erwartungen trat der Mann die Reise an, und arm daran kehrt er zurück. Burton hat sich bitter getäuscht gefunden, nur wenig Hoffnung ist ihm geblieben. »Die Franzosen von heut,« schreibt er mir, »sind nicht mehr die Franzosen von 1789. Der Heldenmuth ist zum Spekulanten geworden, der nur nach Pfunden die Freiheit abwiegt. Das Volk scheint mir gegenwärtig sehr erschlafft zu sein und wird es täglich mehr durch den scheinbaren Wohlstand, den die Klugheit Philipps der Hauptstadt zu geben weiß. Jammer und Elend aber nisten im Innern der Provinzen. Ein Anblick, wie ihn Lyon bietet, war mir neu, obwol ich die Welt kenne und gewohnt bin an Schreckensscenen. Das war ein schweigender Schrecken, der mir in dieser Stadt begegnete, und ich wundere mich nur wie der lebhafte Geist des Volks diesen Jammer so geduldig erträgt. Solche Armuth ist kein Zeichen der Freiheit, denn wo wahre Freiheit wohnt, da verhungert Niemand. – – – Die Politik behandeln die Franzosen gegenwärtig wie eine Boulevard-Liebschaft. Sie ist ihre Grisette, sie müssen mit ihr tändeln und wär's auch blos zum Zeitvertreib während des Frühstück's. Aber wohin ist der republikanische Ernst, der in den Zeiten der Revolution mit Blitz und Donner die Welt erschütterte? Schauspiele und Gassenemeuten, gleich dazu eingerichtet, um sie am nächsten Tage im Guckkasten für einen lumpigen Sou dem Pöbel zu zeigen; das sind die schmachvollen Vergnügungen der großen Nation. – O, wohin ist es gekommen mit den blühenden Hoffnungen der Julisonne von 1830! – Oder wäre auch dies blos eine allgemeine St. Simonistische Liebschaft des ganzen Volkes gewesen? Es scheint beinahe so, und mein Argwohn, der nie viel Gutes hoffen konnte von dieser dreitägigen Farce in der europäischen Weltgeschichte, steigert sich, je länger ich den Geist des Volkes erforsche. Zwar lebt noch die alte Lust, die alte Hoffnung in diesem Geschlecht, aber sie liegt verschleiert unter einer merkwürdigen Apathie, die mir eine völlig neue Erscheinung bleibt an den Franzosen. Eine recht eclatante Dummheit könnte sie wol wieder zur Vernunft bringen, oder irgend ein vielversprechender Krieg. Nur mit der Industrie allein ist den Franzosen nicht geholfen, überhaupt dem ganzen Europa nicht. Der europäischen Freiheit fehlt es noch immer an dem allseitig Beglückenden, doch, hoffe ich, wird ihr auch dies mit der Zeit zu Theil. Gegenwärtig läßt sich aber auf nichts mit Gewißheit bauen. Wer darauf warten will, kann zu Grunde gehen und als ein gutmüthiger Narr der Zeit sterben. Mir wird mächtig bange in Europa, und ich fange an einzusehen, daß die Jugend nicht Unrecht hat, wenn sie eine schönere Gestaltung der Zustände herbeiwünscht, oder sich offen und frei als müde dieses Daseins erklärt. Bitter beklage ich, daß ein so mächtig schönes Land dem Zorn, ich weiß nicht welchen Geistes, erliegen muß. Und doch kann ich immer noch nicht an den Untergang glauben. Es ist gewiß nur eine Krisis, die vielleicht bald vorübergeht. Dann wird sich der alte Welttheil wieder erheben in seiner ganzen Pracht, und eine Art Instinct lehrt mich fürchten für mein schönes Vaterland. Denn schwerlich erhält sich Amerikas Freiheit so lange, als Europa's Kampf um dieselbe. Und tritt irgend wie einmal ein neuer Umschwung ein, dann erfolgt eben so schnell auch wieder eine neue Völkerwanderung. Ueberhaupt glaube ich, das Wandern der Völker wird permanent werden. Sollte dies wirklich geschehen, dann wäre aller Welt geholfen, denn nur im Wandel liegt die unerschütterliche Stätigkeit aller Freiheit.« – – –

So schreibt mir Burton. Ich enthalte mich aller Anmerkungen. Du magst sie selbst machen, wenn Du glaubst, es bedürfe deren. Jedenfalls ist es interessant, die Ansicht eines freien Amerikaners über Europa's gegenwärtige Lage und seine etwaige Zukunft zu vernehmen. Ein Brief ist kein Buch, aber doch der unmittelbare Abdruck eines tiefen augenblicklichen Empfindens. Und darin liegt immer eine große Wahrheit, die man nie ganz unberücksichtigt lassen sollte. –

Hier dauern die geheimen Machinationen fort. Ich habe es aufgegeben, Bardeloh zu gewinnen, suche aber Rosaliens Mismuth durch stäten Hinweis auf die rettende Zukunft zu verscheuchen. Eine Art Instinct läßt mich ein merkwürdiges Vertrauen auf meine Worte setzen, das vielleicht nur Ergebniß der Sicherheit ist, die sich jetzt meines nächsten Lebens bemächtigt hat. Man kann sich nie genaue Rechenschaft ablegen über das heimliche Spiel der Seele mit Ruhe und Unruhe. Ueberdies glaube ich wirklich, Rosalie wird mich mit Auguste und den Andern begleiten. Bis zum Mai ist es ja noch lange hin!

Seit Bardeloh so bestimmt fast jeden Verkehr mit mir abgebrochen hat, macht es mir ein peinigendes Vergnügen mich etwas angelegentlicher mit Casimir, Eduard und Friedrich zu beschäftigen. Das ist ein Triumvirat, wie es wol nicht gleich wieder zusammentreten möchte. – Casimir wird zu Grunde gehen! Das fühle ich tief und schmerzlich, aber er kann nicht ausdauern in unserer Zeit, selbst nicht in Amerika. Es gibt eine Art des geistigen Versinkens in geniale Tollheiten, das fast eben so widerlich ist, als ein sinnlich-thierisches Verschlammen. Sobald sich ein Mensch heraus nimmt, mit dem Geist der Weltgeschichte (Gott mag ich hier nicht sagen) »Kämmerchen vermiethen« zu spielen und dabei unanständige Geberden zu machen, wahnsinnige Fratzen zu schneiden, so schüttelt er die Menschheit freiwillig ab. Hat er Glück bei diesem Manöver, so wird er ein großartiges Vieh! Höher aber kann er es nicht bringen. Auf diesem Punkt ist Casimir angekommen. In ihm waltet eigentlich nichts wahrhaft Heiliges mehr, nur einzelne Funken, die sich vom rein Göttlichen etwa noch in ihm herumtreiben, blitzen zuweilen durch die scheußliche Nacht seines chaotisch gewordenen Geistes. Das ist kein Wahnsinn, auch nicht Blödsinn, es ist die Brunst eines Genies, das geil geworden ist in unerlaubt raffinirten Schöpfergedanken. Casimir's Geist – erlaube den etwas starken Ausdruck – meckert sich selbst an, wie ein brünstiger Bock – kann dabei etwas Anderes herauskommen, als das pure Nichts? Eine geistige Schöpfung Casimir's ist eine Zote, die aussieht, als hätte sie die ungezähmte Geistigkeit, oder die schaffende Natur gerissen, in einem Augenblicke, wo die ordnende Kraft sich von ihr entfernte. Und auf diese geniale Seelenraserei bildet sich der ideenbesoffene Mensch noch etwas ein! Seinen »Besuch Gottes in der Hölle, eine Tragödie mit umgekehrten Lettern,« wie er das Ding nennt, hält er für das größte Product, was je geboren worden ist. Das confuseste, vielleicht auch das wahnsinnigst genialste mag es unbedingt sein, aber nur kein Kunstwerk, nur nicht schön! Es ist das Häßlichste, was ich kenne, es kann die Grundzüge entwerfen helfen zu einer wissenschaftlich scharfsinnigen Lehre vom Häßlichen. – Und das Ding will Bardeloh drucken lassen! »Es muß in die Welt,« sagt der starre Mann, »damit Europa sieht, was aus ihm werden kann, wenn eben nichts aus ihm wird.« –

Das ist sehr witzig von Richard und um diesen Preis muß man dem tollen Treiben schon billiger zusehen. Vielleicht bewege ich Casimir zur Mittheilung seiner Schöpfung. Dann sollst Du sie späterhin erhalten, und wäre es mir auch erst möglich, Dir sie von Amerika aus zuzusenden.

Dabei zeigt sich Casimir ruhiger als früher. Nur seine Redeweise bleibt dieselbe auch, wenn er Sara besucht, die dem widerlichen Menschen immer gewogener wird. Oder läge es wirklich in der Natur der Unschuld, daß sie so etwas ganz außer allem Gewohnten Stehendes anziehend finden könnte, und darin nur das Gewaltsame der Natürlichkeit erblickte, nicht das Monströse der Carikatur, hervorgerufen durch den Gegensatz, der in der Verfeinerung der Zeit zu Tage liegt? Es muß doch irgend so etwas sein.

Ich treffe ihn öfters bei der schönen Jüdin und halte dann Gespräche mit ihm, die ich lebensgern von irgend einem Geheimschreiber nachgeschrieben wünschte. Denn das Wenige, was sich etwa im Gedächtniß davon aufbewahren läßt, ist doch kaum nennenswerth. Zuweilen kommt auch noch Friedrich dazu, der jedoch nie spricht, wenn er nicht mit Gewalt dazu aufgefordert wird. Er spielt uns wunderliche Tänze, Serenaden, Jammeriaden und andere Dinge vor und weiß manchmal auf eine merkwürdig passende Weise unsere Gedanken zu accompagniren.

Casimir erbarmt mich. Dieser Mensch, so ganz abgestorben dem Leben der Zeit, für das er in dem Sinne von uns Modernen durchaus keine Sympathie hat, fühlt doch das Bedürfnis sich anzuschließen. Er hat von jeher Alles unter die Füße getreten und sich dadurch innerlich mit aller Welt verfeindet. Leidenschaft und Verachtung, selbst der Natur, ließen ihn ausschweifen über die Gebühr und am Ende auch den reinen Genuß verachten. Nun aber rächt sich die Sehnsucht darnach und die naive Natürlichkeit in Sara's Wesen hat einen Eindruck auf ihn gemacht, der, wie die Ahnung der Liebe, sein theilnahmloses Gemüth gefangen hält. Casimir wird unwiderstehlich hingezogen zu Mardochai's Tochter und würde vielleicht Erhörung finden, wäre er minder Cyniker und Mardochai nicht Sara's Vater! Ich begreife nicht, wie sich hier irgend ein dauerndes Verhältniß gestalten soll. Und so oft ich auch diese geschiedenen Naturen betrachte, und von Mitgefühl hingerissen, beide verbunden wünschte, so oft zerreißt Friedrich's parodirendes Spiel immer von neuem wieder das fertige Netz meiner Entwürfe.

Neben diesen Beiden rumort Eduard auch wieder nach seiner Weise. Der Mensch wird jetzt von Tag zu Tag beredter und mag es gern leiden, wenn wir ihn häufig besuchen. Die gesunde Vernunft geht in einem Tollen eigentlich nicht unter, sie verpuppt sich nur. Eduard spricht vernünftig, wenn man die Wortmaskerade, die er dabei aufzuführen sich erlaubt, durchschauen kann. Solche toll gewordene Narren sind die Schalksnarren des Himmels, ihnen steht es gar wol an, die entsetzlichsten Dinge auszusprechen, ohne daß sich die ehrsame Hausbürgerlichkeit der Tugend die Schürze vor die Augen zu halten braucht. Ein Narr spricht immer noch anständig, wenn ein Mensch mit gesunden fünf Sinnen bereits als ein gemeiner Strick von aller Welt geflohen werden müßte. Das ist die göttliche Grobheit des Narrenthums, die allein unangefochten bleibt in Europa. Es lebe die Narrheit, hoch! Stimme mit ein, Raimund, es geht mir recht warm von Herzen. Abermals hoch die Narrheit, und nochmals hoch! –


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