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18.
An Raimund

Köln, den 6. Februar.

Heut Morgen sah ich Casimir's hinterlassene Papiere durch, die ich unordentlich durch einander geworfen auf seinem Zimmer fand. Das Meiste ist bedeutungslos, wenigstens für die Welt, ein so wichtiger Beitrag es auch sein würde zur geheimen Geschichte der menschlichen Seele. Nur zwei Papiere haben Werth für mich; in dem einen findet sich das fertige Manuscript seiner Tragödie mit umgekehrten Lettern » Besuch Gottes in der Hölle.« Das andere enthielt einen Brief an mich, den Casimir in einer Ahnung seines baldigen Todes geschrieben haben muß. Aus ihm erklärt sich genau die entsetzliche Katastrophe. Eingeweiht in den Lebensabriß, der nun bald hinter mir liegt, theile ich Dir dieses letzte Testament des unglücklichsten und doch auch begabtesten Sohnes unseres an Widersprüchen überreichen Zeitalters unverkürzt mit.

Casimir an Sigismund

»Du hast mir geantwortet, wie ich es wünschte, und ich bewundere dabei nur Deine capriciöse Ehrlichkeit. »Ein Hundstoller,« hast Du mir gesagt, »tobt, beißt und zerreißt, was ihm vor die Zähne kommt.« Brav gesprochen! Du sollst Dich an meinem Gebiß ergötzen. Sollten mir zufällig dabei die giftigen Hauer ausfallen, oder fromme Zuckungen der nervenschwachen Erde einen kleinen Spectakel im Weltall improvisiren, so nimm's nicht übel, daß ich den frechen Gedanken einen frechen Ausdruck gebe auf dem gewalkten Leichentuche, dessen grauester Zipfel den weisesten Kopftheil Europa's bedeckt.

»Ich habe Deine Unterredung mit Mardochai, meinem früheren Bundes-, Studien- und Sündengenossen angehört, nicht aus Neugier – denn ich erliege dieser Schwäche nicht, weil ich allmächtig genug bin, um ihr zu trotzen – sondern durch Zufall. Ich ward höflich, gesittet, wie Du's nennst, und fand dabei, was sich aus jeder Zurückhaltung und Rücksichtnahme ergibt, die Pöbelhaftigkeit der Gesinnung. Mein Ohr hörte, daß Mardochai aus Liebe zu seinem Stamme recht pfiffig gehandelt habe mit dem Symbolischen in unserm Bekenntnisse. Ich strich mir eine anziehende Ohrfeige, aus Verdruß über meine Dummheit. Ich war ein gehörnter Siegfried, aus jenem Affentanz vor der Kapelle die vermaledeite Gesinnung des Juden nicht herauszuschmecken. Das verdroß mich als Mensch, als Christ und als Poet. Rache muß sein, heißt mein Wahlspruch, und je raffinirter desto süßer. Der Jude hat uns wahrlich keine Limonade eingeschenkt, warum sollte man ihm eingemachte Apfelsinen bieten? Nein! Fluch wider Fluch! Gift wider Gift! So lieb ich's, als ein deutscher Sappermenter. Darum will ich den Juden seinen Witz beschneiden.

»Sara ist ein frisches Kind. Sie hat süßes Fleisch. Die Juden halten sammt und sonders große Stücke auf ihre Nachkommenschaft. Sie bewachen und pflegen das Fleisch ihrer Töchter eben so sorgsam, als sie das von einem andern Geschöpfe verachten. Da hab' ich nun einen erbaulichen oder vielmehr einen zuschnürenden Plan vor. Das Ding konnte sich nur gestalten im Kopfe Casimir's des Dichters der barocken titanenhaften Tragödien. Räthst Du's? – Nein, Kerl, das räthst Du nicht, sonst wärst Du ja gleich mir, und ich geriethe in einen Streit, ich weiß nicht, mit wem.

»Sara soll mir zur Grundlage einer lustigen Tragödie dienen. Ich weiß, das wird den Juden packen und zausen, wie weiland der hilfreiche Ast Absalom's Zopf. Sara ist mir zuweilen gut. Das benutze ich, obwol ich nicht als parfümirter Liebhaber, sondern als bissige Hyäne ihr meine Liebesanträge machen will. Ich werde umwunden mit dem wunderlichen Läppchen, das alle Juden in der Synagoge tragen, vor ihr erscheinen, und sie damit so fest umschlingen, daß ihr die Verbindung beschwerlich wird.

»Nun, wie gefällt Dir das, Du amerikanischer Zettelträger? s' Ist 'n Bischen schweflig ausgedacht, mit spanischem Pfeffer und Lauch gewürzt; aber so taugt's. Die Juden lieben ja das Narkotische. Weiß Gott, ich bin eben kein sehr frommer Hans, aber die Juden laß ich mir nicht über mein Glaubenszeug kommen. Mardochai hat's gethan, dafür soll er schnattern, daß ihm die Weichen klappern, wie Windmühlenflügel. Mein Bekenntniß muß gerächt werden und wär's durch die ausgesuchteste Sünde! Ich bin der Kerl dazu! Mir ist's ganz gleich, wodurch ich zum Ziel gelange. Nur kleine Seelen erschrecken vor dem Furchtbaren, die großen Geister zünden sich an den glühenden Nüstern der Hölle ihre Cigarren an. Also prosit Jude!

»Im Fall der Engel Raphael mich unter die Cherubim versetzen sollte, nimm dies als meinen letzten Gruß. Ich habe Dich immer geliebt, weil Du so helle Taubenaugen hast. Diese sind meine Passion.

Auf Himmel- oder Höllenwiedersehen, je nachdem! – Da ich kein Siegellack besitze, klebe ich das Ding mit Speichel.

Dein starker Casimir

Die Glossen zu diesem Schreiben kannst Du Dir selbst machen. In ihm enthüllt sich, was mir verborgen war in den furchtbaren Augenblicken, wo ich das Traurige erlebte. Man könnte rechten mit der Weltgeschichte und ihrem ordnenden Geiste, läge nicht grade in dem Zusammentreffen so ungeheurer Verbrechen die ewige Sühne! Dies muß auch Mardochai gefühlt haben, denn ein Brief, den er mir vor kurzem schrieb und den ich Bardeloh mittheilen soll, läßt mich erkennen, daß noch weit größere Frevel, als die bisher verübten, im Werke waren. Du wirst sagen, es sei unmöglich, allein verworrenen, unnatürlichen Zuständen ist nichts unmöglich. Das gährende Chaos kann in jeder Stunde mit der hohen Besonnenheit des Schöpfers in die Schranken treten. Diese Extreme berühren sich, wie alle andern, und unsterblich und unbesiegbar sind Gott und der Tod, – ewiges Schaffen und ewiges Zerstören! Was sich ereignen sollte, erzählt unumwunden genug Mardochai's Schreiben, in dem der alte klare Geist, umwunden mit dem Dornenkranz des Völkerschmerzes, wie früher spricht, schafft, Entsetzen erregt und zur Bewunderung hinreißt. Nochmals muß ich es laut bekennen, ich liebe diesen seltenen Menschen, weil mein tiefstes Gemüth sich danach sehnt, ihn hassen zu können. So ärgert sich der gewaltige Geist über die göttliche Kraft und droht mit seiner kleinen Faust und dem Geifer seines Mundes hinauf zum ruhigen Himmel, weil er die Lust fühlt, Gott sein zu wollen und doch die Schwäche ahnt, die ihn an der Verwirklichung des unerlaubten, aber doch natürlichen Gedankens verhindert.

Auch diesen Brief theile ich Dir mit, vielleicht spricht er eben so gewaltig zu Deinem Herzen, wie er mich bewegt hat in Schmerz und zürnendem Grimme.

Mardochai an Sigismund

»Der Stolz meines Volkes liegt gebrochen vor meinem Auge und der Gott Israels trauert, weil heimgegangen ist der letzte Sproß aus dem Stamme Davids!

»Ich klage nicht, denn ein Mann kann sich fassen, wenn auch über ihn der Himmel seine Flammen donnernd zusammenschlägt und unter ihm die Erde sich bewegt, wie ein Blachfeld rollender Schädel. Noch sehe ich ja leuchten in ihren Augenhöhlen die Pracht des jungen Morgenlandes, als leuchtende Opale wandeln mit flimmerndem Fuß die Zaubermährchen meines Mutterlandes um die bleichen Stirnen, und das Morgenland lebt immer, wie auch das Abendland aufschießen möge in Blüthe und Frucht. –

»Mein Leben war der Versöhnung gewidmet, der Versöhnung, die achtzehnhundert Jahre vergeblich zu stiften suchten zwischen Juden und Christen. Ich hielt mich berufen, als ein Messias aufzutreten unter meinem Volke, ich bat, ich flehte, ich dachte für sein Heil. Meine Träume klangen wie das Rasseln verrosteter Ketten – ich suchte sie zu lösen, aber in meinem Wachen sah ich blank geschliffene Panzer um den Leib Israels schlagen, nicht um ihn zu rüsten, sondern zu erdrücken. Was ich darauf that, Sie wissen es. Als ich Ihrer ansichtig wurde, stieg die Furcht auf aus dem Boden und ringelte, eine bleiche Schlange, sich um mein Haupt. Ich haßte Sie, weil ich Sie fürchtete; aber ich gestand es mir selbst nicht. Ihr Umgang mit Bardeloh, noch mehr mit Gleichmuth, ließen mich eben sowol Hoffnungen fassen, als Zweifel in mir entstehen. Die Kälte und schneidende Schroffheit des Erstern konnte Sie abschrecken, die ausgebrannte Ruhe des Letzteren anziehen. Ich hatte mich nicht geirrt, aber auch nicht geglaubt, daß Gleichmuth seine Geschichte Ihnen mittheilen würde. Sobald ich dies erfuhr, reute mich, dem Pastor den tiefer liegenden Zweck meines Wirkens nicht entdeckt zu haben. Bardeloh's wachsender Ekel an europäischer Civilisation bewogen mich, mit ihm zu complotiren und einen letzten, verzweifelten Versuch zu einer gewaltsamen Aufregung eines im Ganzen schnell erregbaren Volkes zu machen.

»Ich weiß, dem Deutschen ergreift nichts mehr, berührt nichts tiefer das Gemüth, als ein Angriff auf religiöse Institutionen. Dies faßte ich auf mit Bardeloh, und wir beschlossen, in einem Maskenzuge das Thörichte und völlig Todte der Aeußerlichkeiten im Cultus so ergreifend zu verspotten, daß ein Aufstand unmöglich unterbleiben konnte. Hätte nun dieser begonnen, dann wollte Bardeloh mit der überzeugenden Macht seiner Rede auftreten und dem erhitzten Volke vorhalten, was nothwendig sei, wolle es sich retten aus einem langsam hereinbrechenden Tode. Damit hofften wir etwas Großes zu bewirken, ein europäisches Aufsehen zu erregen, und den Grundstein zu legen zu einer neuen aber gewaltigeren Reformation. Ich wollte aus Pikanterie und – gesteh' ich's offen – vielleicht auch aus einem weniger edlen Antriebe die bedeutendste Rolle dabei übernehmen. Gedenken Sie der Maske hinter dem Vorhange, gedenken Sie aber auch des Strafgerichtes, das unter ihrem blinden Auge sich dort ereignete! –

»In Casimir's That erschien der Racheengel des Himmels früher als ich sein erschütterndes Amt übernehmen konnte. Diese That mit ihren unmittelbaren Folgen hat meine Welt der Zukunft mit hohen Lavaschichten bedeckt. Ich habe eingesehen, daß ein Mensch sehr groß sein kann, es aber nie wagen darf, dem Gange der Weltgeschichte voraneilen zu wollen. In ihrer Hand allein ruhen die Lebensstunden der Völker. Die Thränen dieser sind ihr Rosenkranz, der glänzend an ihrem Halse zittert, und es erfolgt kein Frieden, bis die Zahl dieser Thränen nicht vollzählig geworden ist! Aber wir unruhigen Söhne der Zeit, die wir geboren wurden im Nervenfeuer der Begeisterung, wir können nicht ruhen und rasten, wir wollen stürmen und schlichten, zertrümmern und bauen, und müßten wir auch die Sterne uns dazu vom Himmel herabreißen.

»Ein großer Irrthum ist jedoch schöner und erhabener, als eine gewöhnliche Wahrheit. Am Irrthum wird die Welt groß, von ihm wird sie reich. Der Irrthum ist die Weltpoesie! – Darum reut mich mein Wollen und Streben, ob es auch oft sündig war, nicht; denn es war nothwendig, weil es vollbracht wurde im Auftrage der Weltgeschichte! – Doch jetzt trete ich ab vom Schauplatze. Nach dem Gericht in meinem Hause, in dessen blutigem Ausgange Christus und Moses sich versöhnten, bin auch ich versöhnt worden, nicht mit der flachen Masse, sondern mit dem Geschicke. Ich fühl' es, daß für mich die Zeit der That vorüber ist. Die Frucht meines unstätten Lebens ist nicht unbedeutend – mein Volk wird dies dereinst fühlen und mich segnen dafür. Aber Europa kann mich nicht trösten, nicht retten, nicht versöhnen. Ich will es verlassen, damit ich nicht noch einmal genöthigt bin, mit orientalischer Phantasie die Gluth meiner Rache zu vereinigen und abermal zu höhnen, was doch nur Bewunderung verdient!

»Sie gehen nach Amerika, habe ich gehört. Thun Sie es, Amerika ist nicht ein Land für jedermann, wol aber für die Meisten. Die Freiheit kann auch Sie frei machen, die dortige industrielle Macht Ihnen geben, was grade dem Europäer fehlt – die Frische der Speculation, die Verständigkeit eines geregelten Naturlebens, die gesunde Prosa des Herzens. Verschmelzen Sie diese drei Gaben des fernen Westens mit den beglückenden Träumen, dem Ueberreiz Ihrer hoch gesteigerten Cultur und der unergründlichen Poesie des deutschen Gemüthes; so kann jenes höchste Erdenglück nicht ausbleiben, das ein phantasiereicher Mensch mit dem Worte Eden am besten bezeichnet. –

»Mein Eden, lieber Sigismund, öffnet seine Pforten nicht in Amerika. Ich kenne jenes Land, denn ich war schon einmal dort. Es ist eben so wenig ein Land für den Juden, als Europa. Aber die Wiege der Freiheit aller andern Völker wird es sein und bleiben, wenigstens für die nächste Zukunft – nur der irrende Sohn aus dem Stamme Juda ist von jenem Glück des freien Daseins ausgeschlossen. –

»Ich gehe zurück nach dem Orient, nach Syrien, nach Jerusalem!

»Theilen Sie diese Zeilen Ihrem Freunde Bardeloh mit. Der Maskenzug muß unterbleiben, wenigstens kann der angeordnete nicht Statt finden. Ich mag und kann nach dem Geschehenen keinen Theil daran nehmen. Die Kraft zu verschwenden an der lächelnden oder gähnenden Ohnmacht ist Thorheit. Hüten wir uns also vor den Folgen dieser Thorheit.

»In wenig Tagen verlasse ich Deutschland und Europa. Nur meine Tochter will ich noch bestatten, d. h. ich werde sie durch Specereien der Verwesung entreißen. Sie soll im Boden ihrer Väter ruhen. Ehe ich scheide, sehe ich Sie noch.

Mardochai

Nach diesem Geständnisse schweige ich, weil Niemand berechtigt ist, zu sprechen, wo der Geist Gottes selbst so sichtbar die fertigen Netze der Menschen zerreißt. Darum also häufte Bardeloh Masken und Larven in seiner Wohnung auf und wühlte sich allnächtlich ein in die blutigen Träume seiner wirren Gedanken? Nun fasse ich auch seine Wuth bei meinem unvermutheten Eintritte in sein Kabinet, seinen Apparat von Dolchen und andern Waffen, seinen ganzen Kirchhofs- und Beinhauspomp! Gottlob, daß der ungeheure Plan in sich selbst zerfiel, obwol ich glauben möchte, ein solcher Stoß würde nicht erfolglos unser wankendes Leben berührt haben.

 

Fastnacht, in der Dämmerung.

So eben ist Casimir's Leichnam in Bardeloh's Wohnung geschafft worden. Mir bangt vor dem Tage; der Pöbel ist unruhig; die Freuden der Fastnacht tragen noch mehr dazu bei und ich muß bekennen, daß ich nicht ohne bange Besorgniß dem Abende entgegensehe.

Bardeloh hat Mardochai's Brief gelesen. Ich war zugegen, es malte sich ein furchtbarer Kampf auf Richard's Mienen. Lange Zeit sprach er kein Wort, er maß mit großen Schritten das Zimmer, sann, runzelte die Stirn, sprach dumpf vor sich hin und ließ zuweilen den niederschmetternden Hohn um seine feinen Lippen spielen, der diesem Mann das Aussehen eines idealen Dämon gibt.

»Haben Sie den Brief aufmerksam gelesen?« fragte er mich endlich. – Ich bejahte.

»Nun was meinen Sie denn zu unserm Plane, denn nun Mardochai seine Humanität so weit getrieben hat, steht es mir wol auch frei, Ihre Ansicht darüber zu hören.«

In wenig Worten sprach ich mich frei darüber aus und verhehlte gar nicht meinen Widerwillen gegen so verzweifelte Mittel.

»Sie haben die Gespräche vergessen,« erwiederte Bardeloh, »die wir bei unserm ersten Begegnen auf dem Dampfboote führten. »Wissen Sie nicht, daß ich damals sagte, ein halbjähriges Zwingen der europäischen Menschheit zum Tode oder zum Handeln sei die alleinige Rettung für sie?«

»Dies Alles weiß ich recht wol,« versetzte ich, »doch bin ich auch noch heut der Meinung, daß ein solches Handeln wol vorübergehend eine That erzwingen, ihr aber nie jene heiligende Flamme einhauchen würde, ohne welche jede Unternehmung nur ein Schritt weiter zum Untergang ist.«

»Und deshalb wollen Sie nach Amerika gehen?« warf Bardeloh ein.

»Aus Lebensmuth, nicht aus Todesfeigheit.«

»Nun ja, der Eine nennt es so, der Andere so! – Wann gedenken Sie Europa zu verlassen?«

»Sehr bald; nur Mardochai's Abreise und Casimir's Bestattung will ich noch abwarten. – Begleiten Sie mich, nicht mir zu Gefallen, Ihrem Weibe, Ihrem Sohne zu Liebe!«

»Hm. Vielleicht!« Bardeloh machte wieder ein paar Gänge durch's Zimmer, und ließ die Tapetenthür aufspringen. »Wie gefällt Ihnen jetzt mein Studirzimmer?«

In der Nische standen die Todtenköpfe wie immer, auf dem obersten lag eine vielfach versiegelte Rolle. Ich schwieg und beobachtete scharf Richard's Mienenspiel.

»Mit diesen Boten des Hasses,« fuhr Bardeloh fort, auf die Rolle deutend »glaube ich heut mein Testament verkündigen zu können. Der Zufall hat es anders beschlossen. Sei's darum!«

Ruhig ließ er die Tapetenthür wieder in's Schloß fallen. Ein abermaliger Gang durch's Zimmer gab seinen Gedanken eine andere Richtung. »Sigismund,« sagte er und ergriff mit herzlichem Druck meine Hand, »da dieser Gedanke zur Bekehrung der Welt, an den ich doch mein ganzes Leben hingegeben habe, auf eine so verrückte Art und Weise vernichtet worden ist, so bitte ich Sie, thun Sie mir einen Gefallen. Wollen Sie?«

»Von Herzen gern.«

»Genug; nur keine langen Betheuerungen! Uebermorgen wollen wir Casimir's Leiche bestatten. Ich traure um ihn so gut, wie um meine Nichte, Mardochai's Tochter. Ich könnte Ihnen noch mehr darüber sagen, aber wozu? Es kann uns Beiden nicht weiter helfen. Aus dem Maskenzuge wird nichts, das ist so gut als entschieden. Die Bevölkerung aber verlangt einen Scherz. Sie mag ihn haben. Ich mache einen Anschlag am Gürzenich und lade, so viel deren Raum haben, auf heut Abend zu einem Souper in mein Haus. Es mag dieses Gastgebot zugleich Ihre, meine, unser aller Abschiedsmahl, das Abendmahl der Zeit sein, wenn Sie wollen. Aber ich bedinge mir aus, daß Jedermann schwarz gekleidet erscheine! Wir feiern auch ein Todtenfest. Gehen Sie zu Mardochai?«

Ich verneinte es.

»Es ist auch besser,« fuhr Mardochai fort, »ich werde ihm ein paar Zeilen schreiben und ihn ebenfalls nochmals zu mir einladen. Casimir's Leiche soll im Hausflur auf den Katafalk gestellt werden. Die Besorgung dieser Angelegenheit übertrage ich Ihnen, wie die Anordnung des etwaigen Schmuckes, wie er diesem sonderbaren Geiste ziemen mag. Sprechen Sie meiner Frau Trost zu, ich gehe ganz sicher aus Europa, auch Felix! Rosalie wird dann nicht zurückbleiben. – Um Mardochai's Brief bitte ich noch einige Zeit.« –

Mit einer Art religiöser Freudigkeit verließ ich Bardeloh. Ich würdigte im Stillen Casimir's That und Tod, und eilte auf Rosalien's Zimmer, um ihr sogleich den tröstlichen Entschluß ihres Gatten mitzutheilen. Ruhig hörte mich das duldende, schöne Weib an und schien einiges Mistrauen in meine Worte zu setzen. Auch meine wiederholten Betheuerungen nahm sie ganz in gleicher Weise auf.

»Sie meinen es gut und ehrlich,« erwiederte sie, »darum kränkt Sie mein Zweifel. Allein nicht in Ihr Wort, nur in Richard's Willen setze ich Argwohn. Thun Sie indeß, was Sie für Recht halten, auch ich will durch Zaudern der Möglichkeit einer glücklichen Vollendung des gefaßten Entschlusses nicht vorbeugen. Schicken Sie mir Felix, das arme Kind wird sehr glücklich sein.«

Diese Muthlosigkeit des Gemüthes lähmte meine Kräfte. Wenn Frauen aufhören zu hoffen, dann müssen sie das Zittern des Bodens, das dem Erdbeben vorangeht, unter ihren Füßen bereits fühlen.


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