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14.
An Ferdinand

Köln, Anfang December.

Ich irre umher, wie ein Hund, der seinen Herrn verloren hat und nicht weiß, wo er ihn suchen soll. Der Sinn der Zeit ist mir abhanden gekommen; wohin ich auch gehe und nachspüre, ich finde überall nur den Unsinn oder die Gesinnungslosigkeit anstatt des Gesuchten. Seit ich hier allein stehe, nur umgeben von Figuranten des Komödie spielenden Jahrhunderts, wird mir so kahl und kalt, daß ich wirklich verzweifeln könnte, besäße ich noch so viel unverfälschte Tugend. Aber auch diese sitzt nicht mehr in den Falten meines glänzenden Frack's, und gern will ich sie umherlaufen lassen, bis ich Abschied genommen habe von meinem Geburtslande.

Bardeloh mag nichts hören von einer Fahrt nach Amerika. Zwar gibt er mir und dem hellsehenden, verständigen Burton vollkommen Recht, aber mit Gleichmuth behauptet er auch, daß er nichts mehr tauge für das Land der Freiheit. Und – fühle mit mir den Schmerz dieses Bewußtseins – ich kann ihm nicht widersprechen! Das gerade ist unser eigentlicher Tod, daß die edelsten Kräfte die Weihe der That verlieren durch die abschwächenden Umgebungen. Bardeloh würde, in Amerika geboren, mit jedem Tüchtigsten gewetteifert und dem Siege niemals die Fersen gezeigt haben, so aber ging er unter in der Grübelei, die, wenn auch im Einzelnen nützlich, doch fruchtlos bleibt für das Ganze. Was nützt es nun, daß er durch die Spekulation dahin gelangt ist, auf ein Haar zu bestimmen, was unserm Welttheile mangelt, wenn mit diesem Gewinn jener große Verlust sich einschlich in sein Leben, daß nur Gleichgiltigkeit geduldig das Elend ertragen könne? Diese Niete aus der weltgeschichtlichen Existenz zu ziehen, bedurfte es kaum so raffinirter Mittel. –

Bei alle dem sehe ich die Nothwendigkeit einer veränderten Stellung für Bardeloh deutlich genug ein. Wie Cäsar von Cassius sagt: er sei gefährlich, weil er dünn und schmächtig, und zu viel denke und grübele, so läßt sich auch von Bardeloh Aehnliches behaupten. Du müßtest diesen Menschen sehen, um zu begreifen, daß nie in einem Geiste mehr Göttlichkeit verloren ging an die Versunkenheit eines Zeitalters und seiner schlaffen Genußlosigkeit, als in diesem. Ich fürchte für Bardeloh allein, für Niemand sonst. Die Unbarmherzigkeit des Tageslebens hat ihn bereits so gleichgiltig gemacht, daß das Allgemeine nur in so fern noch an ihn tastet, als er ein Glied der großen Kette ist, die sich erwürgend um den Hals des Jahrhunderts legt. Bardeloh brütet über einer witzigen Rache, fürcht' ich, die seinem Tode mit der Farbe des Pikanten zugleich den Anschein der Kraft geben soll. Es wird aber am Ende doch eine bloße scandalöse Rauferei, wobei die Tugend Haare lassen muß, und das Laster als lustiger, geiler Bock über die Hecke springt, die den Paradiesesgarten umfriedet. Dabei kommt im Leben nichts heraus, und ich will vereint mit Burton Alles aufbieten, um Unheil zu verhüten.

Gleichmuth ist nicht mehr thätig. Er kann als abgetreten vom Schauplatz betrachtet werden. Der Schatten seines seltsamen Charakters nur ragt herein in die Dämmerung des Werdenden und wehrt, gleich einem umgekehrten treuen Eckardt, Jedermann ab, Theil zu nehmen an diesen aufreibenden Bestrebungen.

Seit der Zusammenkunft mit Casimir und Eduard bin ich ihm nicht mehr auf offener Straße begegnet. Er arbeitet ruhig fort an der Geschichte der Heiligen und scheint mit einiger Unruhe auf etwas Gewaltsames zu warten. Ich besuche ihn oft. Gestern war ich des Abends bei ihm, wir sprachen von unserer bevorstehenden Reise und ein Funke des niedergebrannten Lebensglückes glomm auf in seinem Auge.

»Es freut mich,« sagte er matt, aber herzlich, »daß meine Lebensgeschichte so viel zu diesem Entschlusse beigetragen hat. Darauf hoffte ich im Stillen schon, als ich diese Bekenntnisse niederschrieb. Ich wußte zwar nicht, wer berufen sein würde, durch diese Wunderlichkeiten gerettet zu werden, indeß die Ahnung war doch einmal da. Ein feiner Instinct ließ es mich errathen und Beruhigung in meinem Gedanken finden. Und so möchte ich der Vorsehung, oder mir selbst, oder auch gar dem Juden danken für all' das frevelhafte Beginnen, dem ich erlag. Ich sehe jetzt eine nothwendige, weltgeschichtliche Consequenz in diesem moralischen Versumpfen, und gesetzt auch, darin läge mehr Islamismus als Christenthum, so bleiben sich die Folgen doch immer gleich. Eine recht furchtbare Immoralität ist die sicherste Erweckerin der vergessenen Moral. Nur die Werkzeuge sind zu beklagen, in so fern jedoch, als sie eben Werkzeuge der Besserung werden, auch wieder zu beneiden. Sie sehen, Sigismund, die Skepsis hat nie ein Gewissen und weiß sich in jedem Falle zu trösten.«

»Bei alle dem,« fiel ich ein, »kann ich noch immer nicht begreifen, warum Sie so hartnäckig darauf bestehen, in Europa zu sterben. Das Glück kann Sie nicht halten, dem Unglücke haben Sie keinen Tribut mehr abzutragen. Ihr Wirkungskreis schloß sich von selbst ab, die Hoffnung versank, nur jenes Land in der Ferne könnte belebende Streiflichter nochmals in Ihren Geist werfen.«

»Meine Antwort,« versetzte Gleichmuth, »liegt schon in Bardeloh's Weigerung – und doch ist er ein Gott an Reinheit und Kraft mir gegenüber! Nein, Sigismund, ich will doch sterben auf dem zerbrochenen Throne meiner Herrlichkeit.«

Meine Einwürfe fruchteten nichts, der starre Mann, an consequentes Handeln gewöhnt, beharrte bei seinem Entschlusse und ermahnte mich nur wiederholt, Bardeloh's sich gestaltende Handlungsweise genau zu beobachten.

»Er zimmert,« sagte er, »und zwar an dem Sarge seines Liebsten.« – Näher wollte er nicht darauf eingehen, vielleicht um meine eigene Wachsamkeit zu vermehren. –

So lange ich auch wieder zurück bin von Düsseldorf, ich habe den Juden noch nicht wieder gesprochen. Begegnet bin ich ihm oft, aber er scheint mich absichtlich vermeiden zu wollen. Vielleicht sieht er dunkel in mir einen Feind seines geheimen Schaffens. Desto öfter komme ich mit Sara zusammen. Dieses Mädchen scheint aus jüdischem und christlichem Blute entsprungen zu sein. Verschiedene Anzeichen lassen mich dies vermuthen, ohne daß ich mich näher darüber aussprechen möchte. Das seltsame Kind hat eine Neigung zu mir und – erstaune – zugleich auch zu Casimir gefaßt! Dieser Nebenbuhler macht mich beinahe lachen. Doch finde ich es nicht unnatürlich, daß ein so ganz seiner eigenen Natürlichkeit überlassenes Kind sich angezogen fühlt von der Ursprünglichkeit in Casimir's Wesen. Nimmt sich nun der Mensch noch zusammen, was er in seinen reinsten Momenten wol im Stande ist, so kann er sogar einem Mädchen interessant werden.

Ich sprach mit dem lieben Kinde davon; denn Sara macht gar keine Geheimnisse aus ihren Herzensregungen.

»Ob mir Casimir gefällt, wollen Sie wissen?« antwortete die Jüdin. »Das kommt mir nicht in den Sinn! Aber er hat so was Phantastisches und das kann ich wol leiden. Er heitert mich auf durch seine Possen.«

»Und weiß es Dein Vater?« –

»Pst!« fiel sie ängstlich ein und legte ihre weiche Hand an meinen Mund. »Der Vater darf nichts wissen, er würde mich sonst morden. Nur Friedrich weiß darum und führt Casimir sicher herein, denn Friedrich ist klug, wenn er auch so albern aussieht.«

»Bist Du mir gut, Sara?« fragte ich, um über ihre Neigung Gewißheit zu erlangen und sie selbst vor Unglück zu bewahren.

»Ja, Dich liebe ich,« versetzte sie anmuthig lächelnd, »darum schmücke ich mich auch immer mit den schönsten Kleidern meines Vaterlandes, das ich nicht kenne. Als ich Dich zum ersten Mal sah, klopfte mein Herz so ängstlich und doch so munter, wie ein Vöglein, das sich freut, eine süße Nahrung gefunden zu haben. Du warst so ernst und doch wieder so heiter im Auge, und das hab' ich gern. Darum that ich auch dem Vater den Willen und spielte und tanzte. Und wenn Du mir nur auch gut sein willst, so vergesse ich, daß ich eine Jüdin bin – ›ein verfluchtes Geschöpf,‹ wie der Vater sagt.«

»Gut bin ich Dir, Sara,« erwiederte ich, »aber lieben darf ich Dich nicht, denn ich habe mein Herz schon an ein anderes Mädchen verschenkt.«

»So?« lächelte die Jüdin und zeigte ein paar Reihen Zähne, die wie Perlen durch die Rubineinfassung der Lippen glänzten. »Theil's doch, so kannst Du mich auch lieben.«

»Wenn ich es auch theilen könnte, so würde dies Auguste nicht zufrieden sein.«

»Auguste? Wer ist Auguste?«

»Meine Geliebte« – ich hätte bald gesagt – meine Gattin.

»Auguste ist ein hübscher Name.«

»Der schönste, den ich kenne! Es gibt keinen herrlicheren, keinen glückverheißenderen Namen.«

»Auguste – Auguste – ich möchte wol so heißen. Aber Sara klingt auch recht artig. Sara klingt so wehmüthig, wie Alles Jüdische. Liebst Du Auguste heiter, so liebe mich traurig. Das ist erlaubt, es ist morgenländisch. Liebe mich morgenländisch, Sigismund.«

Konnte das schuldlose Kind genügsamer, reizender sein in dieser Genügsamkeit? Ich ließ sie dabei und versprach sie halb so viel zu lieben, als Auguste. Darüber ward sie ganz ausgelassen glücklich, nahm die Zither, spielte und tanzte vor mir auf dem persischen Teppich und vergaß ganz die beschränkte Lage, in der sie sich befand. Ehe ich sie verließ, bat ich nochmals, sie solle behutsam umgehen mit Casimir und ihm in keiner Weise Freiheiten erlauben, denn ich fürchte dieses Menschen Tollheiten, wenn grade einmal der Teufel der liederlichen Genialität über ihn kommt. Sara versprach mir zu gehorchen und küßte mir beim Fortgehen Hand und Kleid.

So komme ich alle Tage in seltsamere Verwickelungen und Situationen. Sara meine Geliebte! Gott im Himmel, das Kind verdient einen Bessern, als mich, und doch ist es unmöglich, sie davon zurückzubringen. Ich halte es sogar für nöthig, einstweilen ganz ernstlich die Rolle des Begünstigten zu spielen, um andere Lüsterne vor dem Unerlaubten zurückzuschrecken.

Aus einzelnen Andeutungen vermuthe ich, daß Sara's Mutter eine Christin gewesen ist. Ob diese gestorben oder von Mardochai verlassen worden sein mag, kann ich noch nicht ermitteln. Außer dem Kreise der Wahrscheinlichkeit läge es wol nicht, wenn dieser raffinirte Rachegeist alle nur denkbaren Auswüchse seines angebornen Talentes überall hin hätte greifen lassen, um das Terrain sich möglichst zu erweitern. Sei dem auch, wie ihm wolle, schuldlos, ein reines Kind glücklicher Unbefangenheit, steht Sara vor meinen Augen. Sie hat ihre Mutter nie gekannt. Friedrich, der nicht ohne Mitwissen zu sein scheint, ist vielleicht zu bewegen, Winke über die frühern Verhältnisse Mardochai's zu geben, und könnte dies geschehen, so ließe sich wol auch gegen ihn machiniren, ohne mit Gewalt seine fein geschürzten Netze zu zerreißen.

 

Den 17. December.

Man sollte kaum glauben, daß eine im Ganzen doch aufgeklärte Bevölkerung so lange und hartnäckig an alten Gebräuchen fest halten könnte. Zwar liegt wenig daran, die Cultur wird nicht niedergehalten, aber es fällt doch auf. In früherer Zeit gab es in Köln einen ausgezeichnet fröhlichen Carneval. Große Maskenzüge wurden angeordnet, an denen vorzüglich die Geistlichkeit, wie Du weißt, regen Antheil nahm. Die neuere Zeit hat diese Maskenfahrten zwar vielfach verwischt, aber doch nicht ganz zu tilgen vermocht. Mir nun gefällt dies, so wenig mein eigener Sinn am Alten sich sättigen kann. Ein Stück romantischer Poesie aus den Zeiten des Mittelalters greift vermittelst dieses Spieles noch herein in unser ernüchtertes Zeitalter, und sucht man dies, wenn auch nur künstlich, fest zu halten, so ist der Instinct, der es thut, sogar lobend anzuerkennen. Es sollten dergleichen Festlichkeiten heut zu Tage nur mit mehr Geist angeordnet werden, so könnten sie sogar Form und Gestalt einer Volksbelehrung annehmen. In die bloßen Farcen muß man jetzt Tiefe zu bringen suchen, sonst werden sie fade und widerlich.

Schon seit einiger Zeit spricht man von dem bevorstehenden Carneval, ohne sich zu etwas Großartigem zu vereinigen. Wie Alles bei uns, wird auch dies nur stückweise betrieben und Jeder folgt seinen eigenen Eingebungen, Privatliebhabereien und philisterhaften Albernheiten, wobei dann freilich ein Harlekinswesen zu höchster Ergötzlichkeit des Pöbels herauskommen muß.

Auffallend ist mir hierbei nur die große Thätigkeit Mardochai's. Läuft der Mann von früh bis in die Nacht hinein Gass' auf, Gass' ab, als gelte es dem Wiederaufbau Jerusalems! Und kein Mensch erfährt, was er schmiedet, wonach er eigentlich rennt. Ich kann nicht glauben, daß ihn der Schwank selbst so gewaltig interessirt, denn wahrhaftig, die Juden kamen nicht allezeit ungehänselt hinweg! Der feige Schmerz ward oft bitter verhöhnt, und unternahm der Pöbel auch nicht grade etwas Widerrechtliches, so war er doch auch nicht jederzeit in den Grenzen erlaubter Scherze zu halten.

Mir kommt dieses unstäte Wesen Mardochai's sehr gelegen. Oft, fast täglich wiederhole ich meine Besuche bei Sara und komme dadurch Friedrichen näher, der übrigens unbefangen bleibt wie immer, wenig auf uns achtet, desto mehr aber auf seiner Geige spielt. Wäre ich diese Töne nicht schon gewohnt, so würde mich entweder ein halber Wahnsinnstaumel erfassen, oder vollendete, colossale Narrheit wäre das Ende meines Lebens. So aber gleicht sich Alles auf das Einfachste aus, die Gewohnheit macht mir sein Spiel gleichgiltig und Sara's naives Geschwätz wiegt mich in heitere Träume einer längst verloren gegangenen Kindlichkeit.

Vor einigen Tagen war Sara besonders scherzhaft gestimmt. Sie zeigte mir alle Künste, die sie im schönen Müßiggange erlernt hatte und gefiel sich namentlich darin, sich vor meinen Augen schnell und fast unmerklich zu verwandeln durch ein wunderbar geschicktes Handhaben ihres Shawl's und des faltigen Oberkleides. Dieses harmlose Spiel ergötzte mich eben so sehr als das Mädchen. Dabei erzählte sie mir orientalische Mährchen, voll Duft und scherzhaftem Kinderglauben, spielte dazwischen die Zither oder führte auch einen kurzen Tanz auf. Friedrich kam dazu, und geigte. Glücklich gestimmt, hatte er Neigung zu sprechen, was er sonst fast nie thut, oder doch nur sehr lakonisch.

»Sara tanzt heut', wie ihre Eugenie,« sagte er dumpf vergnüglich in sich hineinlachend, und strich seine Geige so possirlich, daß ich selbst ebenfalls lachen mußte. »Ich denke, gescheidte Menschen lachen nie,« fuhr er fort, etwas beleidigt, wie es schien. »Das soll ja nur den Dummen und Narren frei stehen. Es ist ihr Monopol; 's kostet ihnen eine ganze, splitternackte Seele.«

»Wer war denn Eugenie?« fragte ich den Blödsinnigen.

»Eugenie?« wiederholte er, pfiffig und doch auch einfältig dazu lächelnd. »Ja, Eugenie war ein Wesen, das Niemand kennen darf, als zwei Menschen.«

»Und diese zwei, Friedrich? Sieh, dies schöne Goldstück, ist's nicht mehr werth, als ein albernes Geheimniß?«

»Mardochai gab mir zehn solche Goldstücke, damit ich schweigen kann, nur zehn andere, wenn sie recht glänzen, heben sie.«

Ich warf ihm die blinkenden Dukaten zu. »Besinne Dich Friedrich!«

»Besinnen? Eugenie war Bardeloh's Schwester.«

»Und was ist sie jetzt?«

Er warf die Geige auf den Teppich und ahmte, durch das Zimmer gehend, die Haltung eines Leidtragenden nach.

»Was hat denn Eugenie in's Grab gebracht?« fragte ich weiter.

»Die dumme Liebe,« sagte der Blöde und fing wieder an zu geigen. »Wer hieß es auch dem albernen Dinge, einem Juden zu vertrauen! Dafür mußte sie bei guter Zeit die Welt verlassen.«

»Ist Eugenie kinderlos gestorben?«

»Nun das freut mich,« erwiederte der Geiger und unterbrach abermals sein Spiel. »Nun kenne ich doch einen, der noch dümmer ist, als für gewöhnlich der Allerweltsesel Friedrich gehalten wird. Dieser weiß doch wenigstens, daß Sara Eugenien's Tochter ist, aber der Mensch kann auch das nicht begreifen. O über diese dummen Klugen!« –

Ein weiteres Ausfragen hielt ich für unnöthig. Ich war zufrieden und überließ Friedrichen wieder seiner Gedankenlosigkeit. Sara hatte kaum auf unser Gespräch geachtet, das oft unterbrochen wurde, indem immer lange Pausen zwischen Frage und Antwort eintraten. Da sie ohnehin ihre Mutter nicht kannte und den Geiger für eine bloße willenlose Creatur ihres Vaters hielt, deren man sich durch Goldspenden vergewissern konnte, so legte sie überhaupt gar keinen Werth auf sein Geschwätz. Mir aber genügte die erhaltene Auskunft. Ich nahm mir vor, Bardeloh zu sprechen, um ihn von meinen Entdeckungen in Kenntniß zu setzen. –

Noch an demselben Abend traf ich mit ihm zusammen. Er war in einem Gespräch begriffen mit seinem Bruder. Eduard fangt seit einiger Zeit an zwar nicht verständiger, aber doch umgänglicher zu werden, und in glücklichen Momenten ist eine Unterhaltung mit ihm möglich. Freilich kreuzt der Irrsinn sich oft wunderbar genug mit einem lichten Gedanken. Sein früheres Leben streicht dann in haltungslosen Bildern an ihm vorüber. Erinnerungen blitzen auf und verschwinden wieder im Entstehen. Dann reibt er sich das blutrothe Muttermal, schüttelt den kahlen Scheitel und wundert sich über die seltsamen Besuche, die ihm der lichte Tag abstattet.

In einer solchen Stimmung traf ich ihn. Beide Brüder saßen einander gegenüber, Bardeloh düster und schweigend, Bonifacius in heitere Spiele loser Phantastik aufgegangen.

»Das magst Du glauben, mit dem Frommsein ist's ein gefährlich Ding;« sagte der tolle Mönch. »Das fängt gar wunderlich an sich zu melden im Menschen. Erst prickelts wie Nadelstiche am ganzen Körper, im Herzen meldet sich eine Art Wehmuth, die vertrackt viel von Blutgier an sich hat. Darum gibt sie den Frommen auch sogleich die Geißel in die Hand. Nun geht der Tanz los, bei dem der Geist Director ist und Tactschläger. Was aber sonst noch drum und dran hängt, das drischt drauf los auf die taube Seele, bis sie Vernunft annimmt und Körner aus ihr herausfliegen. Der dürre Gevatter Tod aber grinst die schönsten Fratzen und unterhält den jungen Frommen mit lauter schaurigen Geschichten. Zuckt der Leib und mauzt die Seele, so fangen die lieben Engel an zu zimbeliren, und Juchhei! mitten in den Himmel hinein springt die gepeitschte Menschenhaut, daß der Erzengel Michel, der in der Ecke sitzt und den hungrigen Frommen Honigbemmen streicht, zusammenfährt vor Entsetzen, und die Bemmen auf's Gesicht fallen läßt. Darum müssen auch alle neue Heiligen so viel Hunger leiden, und aus Hunger werden sie toll, wild. Der Himmel mag nichts von ihnen wissen, Petrus klopft ihnen mit dem Schlüssel auf die nackten Schädel und schmeißt sie kopfüber wieder hinaus aus der lieben Seligkeit, und pardautz! da geht's wieder hinein in Kellergewölbe und Klosterzellen, und die Hora wird gebrummt, damit man das Quicken der Lust nicht hört, das in allen Nerven zwitschert und wimmert, wie geprügelte Kinderseelen. – Siehst Du, Bruder, das muß Einer nur begreifen können, um's erst heilig zu finden. Kinder schreien, sie mögen nun wirklich herumlaufen in der freien Luft, oder noch in Saft und Blut sitzen. Wer sie nicht 'raus kriegen kann, dem geht's höllisch schlecht. Das Fleisch juckt ihn und die Seele windet sich wund und blutig im Nesselfieber. Manchen macht das Gequicke toll, und ich habe einen Narren gekannt, der sehr gescheidt gewesen wäre, hätte er statt des Peitschens sich einen vergnüglicheren Zeitvertreib wählen dürfen.«

So konnte der Unglückliche stundenlag fortschwatzen, tollen Unsinn gemischt mit bittern Wahrheiten. Es wurde jedem Zuhörer seelenangst dabei, nur Bardeloh verzog keine Miene, antwortete kaum auf etwaige Fragen des Verrückten, und notirte sich diese oder jene Bemerkung des Mönchs in sein Taschenbuch.

Ich wunderte mich nicht wenig, als ich auf meine Erzählung von Bardeloh blos ein gleichgiltiges: »Das weiß ich,« erhielt. Auch war der räthselhafte Mann durchaus nicht zu bewegen, auf eine weitere Erörterung einzugehen. Er blieb dabei: Eugenie sei Mardochai's Geliebte gewesen mit seiner Bewilligung, und Sara ihr Kind, nach dessen Geburt sie bald gestorben. – Nun finde sich ein Mensch in dieses Gewirr! – Von Rosalie war noch weniger zu erfahren, da sie Bardeloh zu jener Zeit noch gar nicht gekannt hatte. Ich muß daher annehmen, Mardochai sei ehrlich, wie er es oft scheint, und Friedrich spreche in der That mehr aus Instinct, als aus Bedürfniß. Es ist trostlos, wenn man von Dummen und Verrückten die Wahrheit begreifen lernen soll.

Felix kam bald nach mir in des Mönchs Zimmer. »O, wie freu' ich mich,« rief er aus, »daß ich Dich wieder einmal finde, Sigismund! Gib nur acht, wie mein Onkel klug spricht, so toll er auch immer ist. In dem Menschen steckt ein gar wunderlicher Geist, der sich gar nicht um des Vaters schöne Redensarten kümmert, sondern so frisch von der Leber weg räsonnirt, daß es gar eine Lust ist, zuzuhören. Onkel Eduard macht's beinah so arg, als der schmutzige Casimir dort drüben.«

Bardeloh beharrte in seinem Schweigen und der Mönch fing wieder an, in seiner Weise zu erzählen, Erlebtes und wüste Einfälle bunt durch einander zu werfen, wie's kam und ihm Behagen gewährte.

»Einstmals war ich ein fideler Kerl,« fuhr Bonifacius fort, »da kam ein pfiffiger Lutheraner und sprach: Deine Religion ist nichts werth, denn sie verduftet sich. Haltbar muß Alles sein und recht nüchtern; das macht gescheidt, das nährt und schützt vor Drüsengewächsen. Ich wollt's ihm anfangs nicht glauben, weil ich viel auf schimmriges Poetenzeug hielt, und so wurde ich ein rundköpfiger Heiliger. Der Lutheraner hatte so unrecht nicht, vielleicht aber lag's auch in meinen Nerven. Das ungezogene Gespinnst wollte immer ›Schultert 's Gewehr!‹ spielen, sicherlich weil ich im Befreiungskriege mit gefochten habe. Das brachte die Heiligkeit bei mir in Miscredit, und so ward ich lieber Obercommandant der Nerven und commandirte, daß mir die Lunge schmerzte: Präsentirt 's Gewehr! Bei alledem kam's zu keinem richtigen Einhauen und Bajonettgefecht, sondern 's blieb eben beim bloßen Präsentiren. Und das machte mich ärgerlich und so, was man sagt, etwas wirblich im Kopf. Merk Dir's, Bruder, Nervenobercommandant zu sein, ist ein sehr kitzliches Generalat, und trägt nichts ein, als grobe Kutten und schwere Ketten. Weil ich ein neues Land entdeckt hatte, schloß man mich an, wie den Allerweltscapitain Columbus.«

»Onkel, das war auch ein tüchtiger Mensch,« fiel Felix ein, »und wenn mir der hübsche Amerikaner Burton das Schifferhandwerk lehrt, so will ich schon auch einmal eine Welt entdecken und mich nicht in Fesseln schmieden lassen.«

»Es wäre auch sehr unnöthig,« sprach Bardeloh, »Du liegst so fest drinn, daß ich nicht wüßte, wo man noch eine anbringen wollte.«

»Sigismund,« sagte der Knabe zu mir, »das bildet sich der Vater wieder einmal ein, gerade wie sein Civilisationsgift, das auch kein Apotheker kennt. Ich und Fesseln! Kann ich nicht springen und laufen, wie mir's gefällt? Hat der Vater wunderliche Einfälle! Ach wenn er dadurch nur nicht so gar traurig und düster würde! Da muß die Mutter weinen und ich fürchte mich, und dann freilich ist mir's, als ob ich Ketten trüge.«

»Gewöhne Dich an den Gedanken,« sprach Bardeloh, »so kannst Du sie noch einmal abschütteln.«

»Ketten sind ein schlechtes Geschmeide,« fuhr Bonifacius fort, »für die Heiligen wüßt' ich aber doch kein besseres. Das hält einen so warm und treibt jeden Gedanken hinein in seine eigene Hülse, daß man ihn zuletzt gar nicht mehr sehen kann. Und so muß es sein! Ein wahrer Heiliger darf keinen Schimmer seines eigenen Gedankens in sich spüren, ein ächter Mansch eben so wenig. Das muß Alles in das unsichtbare Blut und Fleisch aufgehen, von dem der Geist lebt. Und wenn wir so diese Gedankenspeise hinunterschlingen, da geht einem der Himmel erst auf, wie alle fünf Wunden des Heilands, bluthroth – o das ist eine Lust! Werdet Heilige, wie ich! Ihr Lumpengesindel sollt schon noch Gott erkennen lernen!«

In dieser Manier sprach der bedauernswürdige Mönch noch lange, und ich würde nicht müde geworden sein, ihm zuzuhören, wäre mir nicht ein Brief von Auguste überbracht worden, die mir ihre Lage in Düsseldorf schilderte und nichts sehnlicher wünscht, als die Herankunft des Frühjahr's, um der neuen hoffnungverheißenden Welt entgegen zu schwimmen. Damit Du nicht aus dem Zusammenhange gerissen wirst, schreibe ich Dir ab, was Dich interessiren kann und sich mittheilen läßt. Denn nun wir so innig mit einander verbunden sind, fängt die Geheimnißkrämerei erst an. Liebende, die dem höchsten Glück entgegenharren, werden egoistisch. Ich mag keine Ausnahme machen von dieser Regel, eine der wenigen, die ich respectire und auch in die neue Welt hinüberretten will. Man muß das Gute dem Alten vollends ganz entreißen und in sicheren Gewahrsam bringen; denn anders fehlt es dem Neuen an dem Poetischen des Vergehenden, und diesem wird die Möglichkeit benommen, sich im Gefühl gänzlicher Nichtigkeit wieder zur wahrhaftigen That empor zu schwingen. Hier ein Auszug aus Auguste's Schreiben:

Auguste an Sigismund

»Unser Leben gestaltet sich hier recht heiter, geliebter Freund. Ich bedaure nur, daß die Nähe des Winters uns meist in's Zimmer verweist, was ich nicht liebe. Kleine Ausflüge an heitern Tagen in die Umgegend haben wir zwar nicht unterlassen, und ich bin sogar ein paar Tage in Pempelfort gewesen, wo ich, angeregt durch die Erinnerung an die Vergangenheit, die Schriften Jakobis zu lesen begann. Sie können mich jedoch nicht mehr so recht fesseln. Dergleichen hat seinen eigentlichsten Werth verloren für uns moderne Unglückskinder.

»Ganz anders erfaßt mich Börne, in dessen Briefen aus Paris uns Oskar des Abends viele Stunden lang vorliest. Ich kann nicht müde werden, diesen göttlichen Menschen zu lieben, der es wagt in dem Bewußtsein seiner reinen Tugendhaftigkeit den Schleier von dem Antlitz der Zeit zu heben und dem lebenden Geschlecht zu zeigen, was für ein fahler Todtenkopf darunter verborgen ist. Gäbe es auch nur diesen einzigen Börne in Europa, so läge in ihm schon der schlagende Beweis, daß dieser Erdtheil sehr krank sei. Börne ist nicht als Deutscher aufzufassen, sondern als ein Product des europäischen Lebens. Und ihm zur Seite wandeln bereits Jüngere, die freilich dem Titanen erst bis an die Knie reichen. Solche wittere ich in manchen gegenwärtig Verfehmten, und wenn Du's nicht übel nimmst, mein Geliebter, so behaupte ich, diese Menschen werden noch einmal hoch verehrt werden von der Nachwelt, und zwar ihrer angeblichen Frevel halber. –

»Bitte, bitte, lies weiter und vergib meine Ketzereien! Ich armes Ding kann ja doch nichts thun, als die Brosamen meiner Gedanken mühsam zusammenlesen und sie Dir zu beliebiger Verspeisung vorlegen. Einen Willen möcht' ich aber gern haben.

»Während Oskar an seiner Brochüre über die Rechtszustände in Europa und vorzugsweise in Deutschland arbeitet, bin ich mit der ausgelassenen, muthwilligen Lucie beschäftigt, für mich und Dich Pflanzerkleidungen zu verfertigen. Ach, ich freue mich wie ein Kind auf unsere amerikanische Zukunft! Aber ich bitte Dich, Sigismund, laß nicht ab, Bardeloh zuzureden. Ohne Rosalie und Felix kann ich mir in der neuen Welt keine Existenz denken. Ich bedarf europäischer Gesichter, um die fremden Physiognomien erträglich zu finden. Ich will Parallelen ziehen und vergleichen.

»Du solltest mich sehen in meinem leichten Pflanzeranzuge. Ich gehe wie ein lustiger Bursch, der sich verwandelt hat in ein fröhliches Mädchen. Muß das eine Lust sein, so aller Mode fremd nur seinem Behagen zu leben, und zu wissen, es gibt keinen Zwang, so weit Dein Auge reicht, und Deine Gedanken! Die Freiheit ist das Größeste, was der Mensch erstreben kann! Ich will Jedem Alles vergeben, ich will Mörder und Spötter umarmen, wenn sie nur die Freiheit ehrten und liebten, für die Freiheit als zürnende Titanen Blasphemien donnerten! Ich fühle amerikanische Freiheitslust durch meine Adern sprudeln, und mein armes, kleines Mädchenherz erhält in seiner Schüchternheit die Ahnung eines Kosmopolitismus, den ich in Worten nicht ausdrücken kann. – – –

»Letzthin kam ein Brief von Steinhuder an Lucie. Er nahm sich aus, wie eine mit Rosmarin, Beifuß und Salbeiblättern gespickte Gans. Ein Psalmist, wenn er sich in Buttermilch betrunken hat – falls dies möglich sein sollte – könnte seiner Feder keinen erhabneren Schwung geben. Ein solches Storchschnabelgeklapper von forcirtem Unsinn kann es unmöglich mehr geben auf Erden. Lucie soll zu ihm zurückkehren und sich einen andern Bräutigam selbst erwählen dürfen. Nur von Oskar soll sie lassen. Unter diesen Bedingungen verspricht er ihr, »den Oelkrug der Verzeihung und die köstliche Nardenmixtur der vormundschaftlichen Gnaden« über ihr sündiges Haargeflecht auszuschütten und zu baden »das verpestete Fleisch ihres Fußes in der Melodie süßer Gewässer.« Es ist rührend, wenn ein Mensch so dumm wird. Ach Gott im Himmel, wie dank' ich's meinem Gott, daß er mir keinen solchen Vormund bestellt hat!

»Du hättest Lucien sehen sollen. Ein wildes Füllen kann nicht tollere Sprünge machen. Die kleine, schöne, böse Grazie setzte sich augenblicklich an den Sekretär und schrieb ihre Willensmeinung, die schwerlich den Mystiker erfreuen wird. »Mag er sich doch seinen Plunder behalten,« sagte sie, »mein Erbtheil kann er mir nicht schmälern und das reicht auch hin, mir in Amerika ein Besitzthum zu erwerben.«

»Lucie's Brief wird zugleich mit diesem bei Euch eintreffen. Ich möchte schon Steinhuder's Mimik belauschen, um daraus zu ersehen, ob ein Frömmler Europa's oder ein Wilder Amerikas den Preis des ausgezeichnetsten Grimassenschneidens gewinnen würde. So etwas kann mich ergötzen und auf ein paar Tage heiter stimmen.

»Gib mir nur recht oft Nachricht von dem, was Ihr treibt, nur hülle Dich nicht zu sehr in den Schleier der Wehmuth. Das mag ich nicht leiden, das gefällt mir nicht am Manne. Du mußt immer kräftig sein, denn Du kannst es, und gegen eine fernere Zerrissenheit will ich Dich schützen. Bin ich doch schon – – – –. Nun komme nur erst wieder her, verjage den Winter, rufe den Lenz herauf mit seinem blühenden Helmsturme – dann soll es Freude geben auf Erden, weil noch eine Zukunft vorhanden ist!

»Adieu, adieu, mein süßer Freund. Sei nicht böse, daß ich abbreche. Oskar kommt, um mir und Lucie wieder aus Börne vorzulesen. Daß ich Dich Börnen jetzt nachsetze, wirst Du bei meiner Unparteilichkeit sehr verzeihlich finden. Werde erst ein so starker Mensch wie Börne, und Du sollst erstaunen, wie ich Dich neben meiner grenzenlosen Liebe auch noch grenzenlos verehren werde. Ich bin sehr bewandert im Scheiden, wie Du siehst. Distinktionen sind meine Force. Träume von mir. Meine Augen will ich sanft betten an Deinen Schläfen, damit sie Dein Denken durchspähen können. Ich bin sehr böse, Theurer.

Deine Auguste.«

Wenn die Frauen Börne lesen und so gerecht sind, über den Charakter selbst die Liebe zu vergessen, dann steht Großes zu hoffen. Wüßte ich nur, wie viele Frauen so geistig schön sich bilden könnten in Deutschland, daß sie Börne's Erhabenheit ganz begriffen. Wären es auch nur tausend, diese Tausend schon würden mich veranlassen, noch eine Reihe von Jahren in Europa zu bleiben, um die Wiedergeburt desselben sich vorbereiten zu sehen. Aber so – ich zweifle sehr! – und darum flüchte ich mich hinüber, wo der Gedanke fessellos sich ausdehnen darf.

 

Den 23. December.

Vor sechs oder sieben Tagen trug sich ein originelles Schauspiel zu in Bardeloh's Hause. Wir waren um den Frühstücktisch versammelt, als plötzlich mit großem Ungestüm die Thür aufgerissen ward und zornglühend, die Kleidung in Unordnung, Steinhuder hereinstürzte. Bardeloh, der sich nicht leicht aus der Fassung bringen läßt, ging ihm entschlossen entgegen und fragte nach seinem Begehr.

»Da, da,« rief der Frömmler außer Athem, zerrte einen Brief aus der Tasche und hielt ihn Bardeloh vor die Augen, »da,« sagte er, »da, lesen Sie! Ist dies die Sprache einer Tochter Zions? Darf ein Mädchen so reden und schreiben, wenn nicht einstürzen sollen die Mauern der Tempel und wehe schreien die Todten in den Gräbern?«

»Nein,« versetzte Bardeloh ganz ruhig, »eine Tochter Zions dürfte so wahrscheinlich nicht schreiben, wie dieser Brief geschrieben sein mag, den ich nicht lesen kann, weil Sie ihn mir nicht geben, aber einer Tochter unserer Stadt darf so etwas wol erlaubt sein.«

»Erlaubt, sagen Sie,« schrie der Pietist, »erlaubt! Was ich hören muß! Dacht' ich's doch. Freilich! freilich! Hier ist das Gehennah der neuen Welt, wo ausgebrütet werden die Teufeleien der Vernunft! Sie sind der Satan, der da verführet alle Kinder des Lichtes und umhergehet nicht wie ein brüllender Löwe, sondern wie ein schleichender Fuchs und suchet, welch' Mägdlein er verführe mit seinem Streicheln. Daß Dich zermalme die Brut Deiner Gedanken! Daß Du vermaledeit werdest von dem Fluch Deines eigenen Geistes! Sie sind schuld an meiner Mündel Verworfenheit, denn hier hat sie kennen gelernt den Gabriel, welcher ihr verkündigte den Wahnwitz der Freiheit. Jetzt habe ich Dich erkannt und will prickeln an Deinem Leibe, bis er zusammenfällt, wie ein Häufchen Asche, das da nichts ist, als gar Nichts –«

»Bemühen Sie sich nicht, lieber Steinhuder,« fiel Bardeloh dem Eifernden in die Rede, an dessen Gesalbader sich der kleine Felix königlich ergötzte. »Was Sie thun, ist mir gleichgiltig. Eifern und Schimpfen hält die Welt nicht auf in ihrem Gange, und wenn Lucie so frei und kräftig gewesen ist, sich Ihrer Macht zu widersetzen, so muß ich das Mädchen nur achten. Denn es gehört wahrlich eine hohe Tugend dazu, rein zu bleiben unter solchen äffischen Grimmassen, wie Sie uns hier eben zum Besten gegeben haben.« –

Steinhuder war entwaffnet durch diese offene Erklärung. »So,« sagte er, zusammenklappend, wie eine Claque, »so! Ich sehe mich also am Ziele und darf nicht ferner hoffen, Sie zu bekehren!«

»Ganz und gar nicht,« warf Bardeloh ein. »Darf ich Ihnen etwas geräucherten Lachs anbieten?«

»Danke, danke – ich will nicht essen mit den Gottlosen.«

»Ganz nach Belieben. Sehen Sie nicht, wie sich mein Junge über Ihre Thorheiten freut?«

»Darob ihn Gott strafen wird an seinem sterblichen Leibe!«

»Danke für Ihre gute Meinung von Gottes Barmherzigkeit!«

»Vater,« sprach Felix, »da las ich einmal in einem Buche von Eulenspiegel, der ein ganzer Narr gewesen sein soll, und auch hier in Köln. Ist Steinhuder vielleicht eine verbesserte Auflage dieses Eulenspiegels?«

»Die Kinder werden klug und die Alten einfältig,« rief der Pietist, »das ist die Zeit, von der geschrieben stehet: sehet Euch vor, denn der Welt Untergang ist nahe!« –

Mit diesem heroischen Entsagungsspruche zog sich Steinhuder zurück. Wir erfuhren am nächsten Tage, daß Lucie von ihm enterbt sei. Ihr eigenes Vermögen hat er gerichtlich an Bardeloh gegeben, und den blöden Friedrich zu seinem Universalerben eingesetzt, damit er »ruhig seine Geige stimmen und spielen könne zum Lobe des Herrn« lautet die Formel.

So wäre denn ein Knoten gelöst. Lucie ist frei, Steinhuder für uns nicht mehr als vorhanden zu betrachten, nur durch Friedrich hängt er unmittelbar noch zusammen mit unserm Kreise. –

Nächstens erhält Raimund von mir einen Brief. Er wird Dir mittheilen, was sich ferner begibt. Ich bin müde des Wartens und sehne mich nach der Stunde der Befreiung. Dieses Hoffen ist peinigend und erzeugt in mir eine Angst vor dem Nächsten, die mich wie eine düstere Prophezeihung auf jedem Schritte verfolgt. Möchte nichts Gewaltsames geschehen und Bardeloh noch bewogen werden, uns zu begleiten. Rosalie ist sehr betrübt, da sie nun allein zurückbleiben muß. So ist auch die gerechteste Freude nicht denkbar ohne das bitterste Schmerzgefühl! –


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