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17.
An Raimund

Köln, den 8. Februar.

Dicht am Pulverfaß glimmt die Lunte, der Vulkan, auf dem wir stehen, fängt an zu zittern, jede Minute kann ihn öffnen und in Rauch und Flammen weit und breit Verwüstung ausspeien lassen. – Diesen Eingang wirst Du nicht verstehen, und wol Dir, wenn Dein Lebensweg Dich immer fern hält von diesem Verständniß. Oder soll ich wehe rufen? Fast bin ich mir selbst nicht mehr klar über den Werth oder Unwerth des großen Schmerzes, der ein Vater ist jener Weltpoesie, von welcher schon die ersten blühenden Klänge in die Zukunft hineingrüßen. –

Das Fest der Firmelung ist vorüber. Ich würde schweigen, beging' ich dadurch nicht einen Verrath an der Geburt, die sich unter furchtbaren Wehen an den Tag der Freiheit drängt. Raffe Deinen Mannesernst zusammen, knüpfe die Enden der Schellenkappe als Fühlfäden der kommenden Lust um die finstern Falten der schwülen Gegenwart, und so, halb Faust, halb Don Juan, halb Eulenspiegel, stürze Dich mitten in den heulenden Schlund, in dessen Tiefe die Grauen der Gerechtigkeit zu Gericht sitzen über die Frevel der Völker. –

Die Stadt war allgemein festlich bewegt, selbst Bardeloh, sonst kalt und schneidend höhnisch, zeigte eine Art passiver Theilnahme. Er wehrte Felix nicht, mit mir den Dom zu besuchen. Der Vormittag verging mir recht angenehm unter Gesprächen mit Rosalie und Burton, der seit einigen Tagen unser Gast ist. Felix nahm, wie gewöhnlich, auf seine harmlose Weise daran Theil. So begierig der Amerikaner auch ist, einen tiefern Blick in die verschiedensten Zustände unseres deutsch-europäischen Lebens zu thun, lange festhalten kann man ihn nicht. Man sieht es dem kräftigen Menschen recht an, wie fremd und gewissermaßen abstoßend diesen rein thatkräftigen Naturen das bloße Besprechen ist. Sie haben keinen Maßstab für diese unsere Pein. Sie begreifen kaum, daß der Zwang der Verhältnisse uns allen nur die Rede als Schmerzensstiller, statt der entrissenen That in die krampfhaft zuckenden Hände gegeben hat. Ich bemerkte irgend etwas derartiges, um Burton's Meinung zu hören.

»Ich kann nicht widersprechen,« antwortete er mir, »eben so wenig, als ich Euer vieles Reden zu billigen vermag. Wenn Ihr nun einmal ein Abkommen träft unter einander, es sollte Jeder nur ein paar Monate hindurch die halbe Zahl der gewöhnlichen Worte verbrauchen und dafür grade die Hälfte mehr thun, glauben Sie nicht, daß von selbst, ganz ungerufen, gewaltige Thaten geschehen würden?«

»Nein,« versetzte ich, »nimmermehr! Sie gehen von ganz falschen Grundsätzen aus. Hindern Sie uns am Reden, so wissen wir uns im Träumen zu entschädigen, bis zur That aber käm' es gewiß nicht.«

»Das ist traurig, mächtig traurig!«

»Ich muß unserm Freunde beistimmen,« fiel Rosalie ein. »Im Allgemeinen hat Sigismund recht, ausnahmsweise aber würde ein solches Experimentiren, um eine That zu gebären, höchstens misglückende Revolutionsversuche erzeugen, wie wir dies ja oft genug schon erlebt haben; oder im allerbesten Falle wahre Misgeburten von Thaten, Riesen im Entwurf am Kopfe, Zwerge an den Gliedmaßen, deren Anblick nur Schreck einflößen kann und von einer allgemeineren Theilnahme jeden Besonnenen zurückhält.«

Als Rosalie mit jener schönen weiblichen Ruhe, die ihr so ganz zu Gebote steht und sie schmückt, wie selten ein Weib, diese Worte sprach, ahnte sie wol kaum, daß sie noch an demselben Tage als Prophezeihung in Erfüllung gehen würden.

»Sie fühlen dies so tief,« erwiederte Burton, »und können es doch über sich gewinnen, in dieser Unthätigkeit selbst zu erlahmen?«

Rosalie lächelte bitter. Sie drückte Felix an ihre Brust. »Sind Sie Vater?« fragte sie den Amerikaner.

»Vater von drei mächtig muntern Kindern,« sprach Burton mit glänzendem Auge, »zwei Knaben und ein Mädchen nenne ich mein.«

»Dann wissen Sie, weshalb ich verkümmere,« seufzte Rosalie. »Lebte mir dieser Knabe nicht, so würde ich Alles ertragen, vielleicht gleichgiltiger, vielleicht auch teilnehmender.«

»Dennoch sollten Sie mir folgen,« versetzte Burton. »Wollen Sie nur recht, Ihr Gatte wird sicher nicht zurückbleiben.«

»Meine Frau hat ihren freien Willen,« sagte Bardeloh, der eintretend die letzten Worte gehört hatte. »Unsere Ehe war glücklich, sollt' ich meinen, hing aber nie an Kleinigkeiten. Nicht wahr, Rosalie?«

Ein bittender Blick traf Bardeloh's Auge. Bewegungslos hielt er ihn aus. »Gewiß, Richard, Du hast wieder die ganze Nacht hindurch gearbeitet. Täglich wirst Du bleicher; warum doch folgst Du gar nicht mehr meinen Ermahnungen?«

»Weil ich wünsche, Du mögest so unabhängig leben, wie ich.«

»Siehst Du, Mutter,« fiel Felix ein, »da sagt es Dir der Vater ja ganz deutlich, daß Du mit mir nach Amerika reisen sollst.«

»Mit Dir nicht,« erwiederte Bardeloh, »allein aber könnte es sich wol noch treffen.«

Diese räthselhafte, düstere Kälte lähmte uns allesammt. Burton, obwol fern aller Sentimentalität, erschrak doch vor einer solchen Art und Weise, das Theuerste, was ein Mann besitzen kann, zu behandeln. Er empfahl sich von Rosalie, nahm meinen Arm und führte mich mit sich in seine Wohnung.

»Es ist zu entsetzlich,« rief er aus, »ich mag's nicht mehr ertragen! Und doch schlägt mich noch weit mehr, als die Erscheinung selbst, die Ueberzeugung nieder, daß bedeutende, wenn auch nicht leicht erkennbare Gründe vorhanden sein müssen, da solche Auswüchse sich bilden können! Bardeloh ist reich, besitzt ausgezeichnete Geistesgaben, ein liebendes Weib, ein glückliches, aufgewecktes Kind – und doch verschwinden vor seinem Auge alle diese großen Reichthümer, weil er, sei's mit Grund, sei's aus Ueberspannung, für die Zukunft besorgt ist. Es faßt's Keiner der es nicht selbst gesehen hat – aber ich begreife jetzt die Auswanderer! Es gehört Muth und Tugend dazu, als ein Europäer mit menschlicher Ausdauer, mit liebendem Herzen zu sterben!«

Den Rest des Vormittags brachte ich bei dem Amerikaner zu. Während meines Dortseins empfing er Briefe aus Rotterdam, in deren einem sein Kapitänspatent zur Brigg »die Hoffnung« sich vorfand. Die Zeit des Absegelns war seinem Willen überlassen.

»Jetzt können Sie über mich verfügen,« sagte er, mir das Patent zeigend. »Wir können eilen oder zaudern, je nach Ihrem Gutdünken, doch scheint mir, Beschleunigung wird in keinem Falle schädlich sein. Je eher Sie Amerika's Boden betreten, desto mehr gewinnen Sie an Lebensfrische.«

Da Burton schnelle Antwort geben sollte, benutzte ich die Zeit, um einige Zeilen an Auguste zu schreiben. Flüchtig meldete ich ihr, wie nahe der Zeitpunkt gekommen sei, wo wir für immer vereinigt sein würden. Die mißlicher werdende Lage verschwieg ich ihr ebenfalls nicht, indem ich zugleich bat, Alles für die Reise vorzubereiten. Denn es war mir immer, als müsse noch irgend etwas geschehen, das einen plötzlichen Aufbruch wünschenswerth machen könnte. Du kennst ja meine Ahnungsgelüste, die mir schon oft gramvolle Tage bereitet haben.

Unterdeß nahte sich die Mittagszeit. Auf Burton's Einladung speiste ich mit ihm, ächt amerikanisch, indem ich mir nur von Amerika erzählen ließ. Es gewährt mir dies einen unbeschreiblichen Genuß. Burton ist begeistert, wenn Amerika's Glück in schönen Bildern vor dem hellen Spiegel seines Gedächtnisses vorüberwandelt. Der entschlossene, praktische Mann wird Dichter, ohne es zu wissen. Sein Geist baut Welten auf, die er wol schwerlich selbst ahnt, und grade in dieser Unwillkürlichkeit liegt ein hoher Reiz, ein Genuß, der namentlich einen Europäer bezaubern muß. –

Zum nahen Carneval finden sich bereits viele Fremde aus der Umgegend ein. Mancher kommt wol auch, um dem kirchlichen Feste beizuwohnen. Schon seit einigen Tagen war die Anzahl der Fremden bedeutend gestiegen, heut wollte es gar nicht mehr aufhören. Die dem Rheine nahe gelegenen Hotels sind überfüllt. Dennoch sperrt man zusammen, so Viele sich irgend unterbringen lassen und jeder gibt gern nach, wenn es möglich ist. Noch saß ich mit Burton zu Tisch, als der Kellner den Amerikaner fragte: ob er wol eine kleine Kammer auf einige Tage entbehren könne? Ein sehr ehrwürdiger Greis, der alljährlich um diese Zeit hier einspreche, sei eben angekommen und nirgends wolle sich ein Plätzchen für ihn finden. Burton war es zufrieden, dankend entfernte sich der Kellner und bald darauf hörten wir den neuen Ankömmling im Nebenzimmer sprechen. Die Stimme schien mir sehr bekannt, doch wußte ich nicht, wo ich ihm früher begegnet sein mochte und vergaß über den Erzählungen des Amerikaners auch schnell wieder den momentanen Eindruck.

 

Abends.

Frühzeitig schon drängte sich eine zahlreiche Menschenmenge in die Nähe des Domes. Individuen von allen Religionsbekenntnissen wollten dem feierlichen Kirchenact beiwohnen und vergaßen leicht im Taumel einer neugierigen Lüsternheit, was zahllose Menschenalter ihnen nicht entreißen konnten. So ist der Mensch immer und ewig. Fest hängt er an Vorurtheilen, ob sie auch noch so thöricht sein mögen, nur der Reiz einer augenblicklichen Aufregung kann, wie ein spottender Harlekin, ihn herausjagen aus seiner seltsamen Ernsthaftigkeit. –

Grade noch zu guter Stunde fand ich mich in Gesellschaft Bardeloh's nebst seiner Gattin und Felix mit dem Amerikaner ein, um in der Nähe des Eingangs eine behagliche Stelle zu erobern. Aus dem Innern des Doms wehte schon ein betäubender Weihrauchduft, die Hallen selbst waren geschmückt mit Blumen, zwischen denen geweihte brennende Kerzen in blassem Zitterlichte hervorleuchteten. Unter der andrängenden Menge wanderten mit einiger Mühe arme Knaben herum, um deren Schultern geflochtene Strohkörbchen hingen, angefüllt mit Heiligenbildern, Rosenkränzen, kleinen Kruzifixen und andern Dingen, die einem katholischen Gemüthe zu Krücken der Andacht dienen. Laut riefen diese Knaben ihre Kleinigkeiten aus unter dem gaffenden Volke.

»Kauft schöne, blanke Kruzifixe! Neue, geweihte Rosenkränze! Kauft, kauft, schöne Herren! – Alles billig – Stück für Stück nur drittehalb Silbergroschen!«

So schrieen wol dreißig Kehlen bunt durcheinander, die glänzenden Waaren den Umstehenden vor den Augen hin und her schwenkend. Die betriebsame Jugend machte ein leidliches Geschäft, denn Viele kauften, um die Störenfriede nur los zu werden, der bigottere oder meinethalb auch andächtigere Theil der Anwesenden wol auch aus einem tiefem Bedürfniß.

Mir fiel diese Betriebsamkeit, die kirchliche Feste in eine Art Jahrmarkt verwandelt, nicht auf. Aehnliche Scenen hatte ich oft erlebt, da ich von Jugend auf in katholischen Ländern viel verkehrte und mit den Sitten und Gewohnheiten seiner Bewohner vertraut war. Grade da, wo sich die Anhänglichkeit an dem katholischen Ritus am unumwundensten ausspricht, wie in Böhmen, findet man auch am häufigsten diese an eine frivole Parodie grenzende Leichtfertigkeit, mit dem Heiligsten des Herzens einen gewinnsüchtigen Handel zu treiben. Anders betrachtete der Amerikaner die ihm völlig neue Erscheinung. Auf sein Gesicht trat ein zürnender Ernst, mehrmals stieß er die zudringlichen Buben zurück und nur, als Niemand seinen Widerwillen gegen diese Art, Geschäfte zu machen, mit ihm zu theilen schien, kaufte er endlich einem schwarzlockigen Jungen ein Kruzifix und auch einen Rosenkranz ab.

»Wie heißt Du?« fragte ich den kleinen Burschen, als er ihm die Münzen gereicht hatte.

»Benjamin, der Sohn des blinden Salomo,« erwiederte der Bursche und drängte sich, wie ein Wiesel durch die Menge, von neuem mit lauter Stimme rufend: »Gnädige Herrschaften, schöne Fräulein, kauft Kreuze, silberne, goldene! Kauft Rosenkränze, schön geschnitzt, rund und glatt, und auch kleine Josephel, kauft, kauft, kauft, meine gnädigen Herrschaften!«

»Das ist mächtig seltsam!« flüsterte mir Burton in's Ohr, »eine Erscheinung, wie sie mir noch nie vorgekommen. Wir leben doch in einem freien Lande, aber ich bin gut dafür, daß ein Volksaufstand ausbrechen würde, wagte irgend Einer am Eingange zum Heiligthum mit der Industrie zu tändeln. Ihr Europäer scheint gerade da Freiheiten zu besitzen, wo Zwang besser wäre. Euch verwundet es nicht, das Bild des Gekreuzigten feil geboten zu sehen an der Schwelle des Tempels, in dem Ihr zu ihm fleht, wenn aber einer auf offenem Markte es sich einfallen ließe, die ganze Freiheit auszurufen und feil zu bieten, so fürchte ich, wäre Mord und Todschlag das Ende. Wahrhaftig, Ihr habt eine mächtig verderbte Civilisation!«

Ich konnte nur die Achseln zucken und schweigen.

»Kauft blanke, schöne Kreuze!« rief es wieder, »kauft, kauft meine gnädigen Herrschaften, kauft!«

»Und was für einer Menschenklasse sind denn diese Kleinodien in die Hände gefallen?« sprach der Amerikaner. »Jener Knabe nannte sich Benjamin, sein Aussehen kam mir asiatisch vor.«

Jetzt erst fielen auch mir die umherlaufenden Knaben auf. Mein Auge suchte finstern Blickes in der wogenden Menschenmenge, ich sah Niemanden der Verkäufer, nur unablässig traf der schnarrend singende Ton des »Kauft, kauft, meine gnädigen Herrschaften!« mein betäubtes Ohr. Gedankenlos, wie man Altgewöhntes meist hinzunehmen pflegt, hatte ich die schachernden Knaben an mir vorübergehen lassen. Ich war zu tief in die nichtssagende Civilisation verstrickt, um in einem so grellen Auswuchse irgend etwas Anstößiges zu entdecken. Jetzt aber angeregt und gleichsam neu gekräftigt durch die gesunde Frische einer jungfräulichen Natur, fühlte ich plötzlich mit einer erschütternden Wehmuth den ganzen Schmerz einer verloren gegangenen Welt rein menschlicher Unschuld. Aber es gesellte sich auch noch ein tiefergreifendes Weh dazu. Ich gedachte meiner Unterredung mit Mardochai, meines Gespräches mit der holden Sara, und erblickte in den handeltreibenden Knaben nicht mehr die bloße industrielle Betriebsamkeit der Zeit und der Hebräer, sondern eine eigenthümlich sich gestaltende Rache. Und als wolle der Himmel mich bestärken in der Qual meines Gedankens, entdeckte ich in demselben Augenblicke, wo sich der Zug der geschmückten jungen Christen nahte, die hohe Gestalt des Juden hinter der gaffenden Menge umherschleichen. Mehr als grell stach sein feiner, schwarzseidener Talar gegen den Glanz der Freude ab, womit Jung und Alt sich umgeben hatte. Ein langer Zug von Priestern, in dem schimmernden Schmuck der kirchlichen Festgewänder, nahte dem Dome. In ihrer Mitte der Erzbischoff unter dem rothsammtnen Baldachin, den Krummstab in der Hand. Die Glocken läuteten, feierlicher Gesang erscholl, umdampft von Weihrauchdüften trug der heilige Mann die von Edelsteinen strahlende Monstranz in den Dom. »Kauft, kauft, schöne Herrschaften, kauft, kauft!« rief es mitten in den feierlichen Gesang der Chöre, die dunkellockigen Buben mit den pfiffigen Gesichtern hüpften wie Kobolde an dem Zuge der jungen Christen vorüber, die ausgerufenen Kleinodien darreichend zum Verkaufe.

Vor meinen Blicken liefen die Gegenstände durcheinander. Mir erschien der ganze feierliche Aufzug wie ein großes Schattenspiel, von unsichtbaren Händen geleitet. Fest drückte ich Burton's Arm an meine Brust. »Was ist Ihnen?« fragte er mich. »Dort,« stammelte ich zitternd, zähneknirschend, und deutete nach dem Hintergrunde. »Was wollen Sie? Ich sehe doch nur Menschen, geistlos gaffend, sich freuend des lebhaften Gedränges.«

»Kauft, kauft!« hallte es abermals in der Ferne.

Im Gedränge war Bardeloh mit den Seinigen von unserer Seite gerissen worden, die Menge stieß uns der Domthür zu, ich wandte mich nochmals um. Wie ein gespenstischer Schatten wandelte langsam und stolzen Schrittes Mardochai mit dem ernsten, weißen Antlitz über den Domplatz. Ihm nach liefen die schachernden Knaben, den Vorübergehenden noch immer ihre Formel zurufend. –

Gebückt wie Sclaven, schlichen sich meine Gedanken an das Licht des Tages. Die Musik schwirrte gleich pfeifenden Geißelhieben um mich und grub blutige Spuren in mein zitterndes Herz. Der Weihrauchdampf verwandelte sich in eine erstickende Sandwolke, die vom Samum aufgewirbelt den Sonnenstrahl vom Himmel raubt, um mit ihm die lechzende Seele der armen Menschheit noch furchtbarern Qualen hinzugeben. Eindruckslos blieb für mich die hehre Feier. Ich war weit hinweggeführt von dem Orte, wo ich stand; ich lag an der Stelle, wo einst die Burg von Zion ihre schimmernden Säulen emporhob und kühlte meine brennenden Glieder in dem Staube, geheiligt von Blut und Thränen eines Erlösers und eines hinsterbenden Volkes. –

Die Handlung war zu Ende, der Strom der Zuschauer stieß uns zur Thür. Am Ausgange trafen wir durch Zufall wieder auf Bardeloh, Rosalie und Felix. Der Amerikaner redete den verschlossenen Mann freundlich an und nahm den herbeispringenden Knaben bei der Hand. »Ein solches kirchliches Schauspiel,« hob er an, »hat mächtig viel Bestechendes für die Menge. Ich fühle, wie ein nur irgend schwärmerisches Gemüth glücklich sein kann im Katholicismus. Dieser Pomp überrascht, bewältigt und zwingt das Gemüth nicht zur Andacht, sondern zu einer Verzückung, die ungefähr denselben Erfolg hat.«

»Es gehört Phantasie dazu,« sagte Bardeloh trocken. »Früher war ich jedesmal von einer solchen Handlung entzückt, schon seit langen Jahren aber läßt sie mich kalt und erweckt sogar ein Gefühl des Widerwillens.«

»Mir gefällt der flunkernde Schmuck,« sagte Felix. »Denn es ist doch gar zu hübsch, von einem so schön gekleideten Manne, wie dem Bischoff, erst mit dem Weihwedel besprengt zu werden und dann irgend einen lieblichen Namen zu erhalten, von dem man doch weiß, woher er gekommen ist. Wann werde ich denn gefirmelt, Vater?«

»Uebermorgen.«

»So bald? Wie soll denn das zugehen?«

»Erwart's in Geduld, so bist Du nicht davon überrascht.«

»Mutter,« sagte Felix, »ich halte mich zu Dir. Bleibst Du bei mir, dann mag meinethalb ich und Alles um mich her gefirmelt werden.« –

Ich fühlte mich zu aufgeregt, um einer Einladung Rosalien's, den Thee bei ihr zu nehmen, folgen zu können. Burton sagte zu, ich empfahl mich an der Thür und ging an den Rhein hinab. Es lag mir viel daran, den Juden noch heute zu sprechen. Ich hatte so viel auf dem Herzen und doch so wenig Worte dafür! Was mich bewegte, konnte nur ein Augenblick heiliger Begeisterung überzeugend dem Manne vortragen, in dessen Augen es nichts der Schonung Würdiges mehr gab.

Auf dem Wege zur Wohnung des Juden bemerkte ich einen steinalten Greis, der mit Hilfe seines Krückenstabes und eines ebenfalls schon bejahrten, aber doch noch rüstigen Mannes, in dem ich auf den ersten Blick den lustigen Klapperbein erkannte, vor mir her ging. Es war der greise Castellan vom Kreuzberge. Eifrig unterhielt er sich mit Ephraim, und der Klang der Stimme verrieth mir, daß dieser Ankömmling derselbe sei, welcher in einem der Gemächer des Amerikaner's um Aufnahme nachgesucht hatte.

Ich mag wol gestehen, ohne deshalb für charakterschwach zu gelten, daß der Anblick und die Begegnung dieses ehrwürdigen Greises in der Stimmung, die eben mein ganzes Wesen erfüllte, etwas sehr Beruhigendes für mich hatte. Heiter grüßend trat ich zu dem Castellan und schüttelte ihm auf derbe deutsche Weise die Hand. Der heiter-rüstige Greis erkannte mich sogleich wieder und war erfreut, mir nochmals zu begegnen. Da er zu den wenigen Glücklichen gehörte, die in einem langen Leben nicht den Glauben an die Güte der Menschheit und das Vertrauen zu jedem Einzelnen verloren haben, so erfuhr ich nach wenig einleitenden Worten, daß er regelmäßig alle Jahre zur Carnevalsfeier die alte Stadt besuche. Einmal in's Reden gekommen, erzählte er von den Festlichkeiten früherer Jahre und, wie er in der Zeit der ungeschwächten Kraft oft selbst mit Theil genommen habe an den ergötzlichen Thorheiten.

»Jetzt ist das Alles anders geworden,« fuhr er fort. »Seit die Unzufriedenheit als Modeartikel im Leben mit feil geboten wird, denken die Leute gar nicht mehr so recht von ganzem Herzen an die pure, sich überstürzende Lustigkeit. Sie schwatzen ein Langes und Breites von Absichten und Zwecken, die Gott weiß, welche große Dinge, hervorbringen sollen, während die Fastnacht nun doch einmal blos für's ehrliche Lustigsein da ist. Ich bin ein Mann von Glauben, der ganz und gar das lustige Leben nicht missen will, aber diese Kopfhängerei auf der einen Seite, und die frivole Düsterheit auf der andern, die heut zu Tage aller Orten sich misbilligend begegnet und stößt; die mein lieber Herr, ist von großem Uebel!

»Bei den ersten beiden Weinküpern, Noah und Bachus!« rief Klapperbein aus, »Du hast recht, alter Kumpan. Beten und Singen ist gut und ein gar schönes Ding um ein armes Herz, aber Absicht darf man keine dabei haben. Ich bete just, wenn mir's ankommt. Das ist bei mir, wie der Hunger. Verspüre ich Leerheit, so muß ich drauf denken, wie ich ihr abhelfen kann. Und in diesem Punkte hat die Seele oder das liebe Gewissen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Magen.«

»Es sind nun wol schon zehn Jahre her,« fuhr der Castellan fort, »daß mich die große Narrethei nicht mehr recht erfreuen will. Ich könnte nun freilich wegbleiben, alt genug wär' ich ohnehin, indeß, was man so ein siebenzig Jahre und darüber unter den seltsamsten Lebens- und Weltereignissen mitgemacht hat, dabei muß ein ehrlicher Kerl aushalten so lange es nur möglich ist. Erfreue ich mich nicht mehr an dem Spectakel, den Zwecke leiten, so macht es mir doch Spaß, wie der Schalks- und Koboldsgeist solcher Tage, der im Spaße versteckt liegt, den großen, klugen Weisheitshelden die übermüthigsten Rübchen schabt. Und das bleibt niemals aus und wird auch heuer nicht fehlen.«

»Möglich wäre es doch,« erwiederte ich, »denn die Anordnung der diesmaligen Festlichkeiten liegt in den Händen des ernsthaftesten Mannes –«

»Desto besser, desto besser!« sprach lächelnd der Castellan und stieß wiederholt mit seinem Krückenstabe auf's Pflaster. »Grade den Ernsthaftesten wächst der Fuchsschwanz am Rockkragen fest, und je höhere Zwecke diese Großhändler der Weltgeschichte verfolgen, desto sicherer kann man auf die Nichterreichung derselben bauen.«

»Mir ist's all eins,« meinte Klapperbein, »wenn's nur auch eine Rammelei dabei gibt; und dafür, denk' ich, ist diesmal gesorgt.«

»Wie so?« fragte ich.

»Curiose Frage, das! Es ist ja die ganze Hetze der Frommen rings aus der unendlichen Nachbarschaft hergekommen, um einmal zu sehen, wie die ›Gottlosen ihren Sabbath‹ feiern, und wenn die Böcke mit ihrem Widerspiel zusammentrafen, da hab' ich immer gesehen, daß es an ein ergötzliches Hörnerwetzen ging.«

Etwas Aehnliches hatte ich bereits gehört und zwar mit dem Beisatze, man habe absichtlich eine Art Einladung an die strengen Sittenprediger ergehen lassen. Jetzt trug dies nicht wenig bei, mich noch heftiger als früher zu beunruhigen. Ich knüpfte Bardeloh's hingeworfene Worte mit Mardochai's laut ausgesprochenen Verwünschungen zusammen, gedachte des nur zur Hälfte gesehenen Apparats und tausend anderer Dinge. Davon aber gegen die beiden Alten etwas zu äußern, hielt ich für indiskret und unklug.

»Wie geht's denn meinem Novizen?« fragte der Castellan. »Ich möchte den armen Narren doch lebensgern noch einmal sehen; mein Herz hängt ordentlich an ihm. Und sollte er früher sterben als ich, so mag sein trübselig reicher Bruder nur immerhin sein Wort halten.«

Ich erzählte dem Greise, was ich etwa sagen zu dürfen glaubte, ohne ihn gar zu sehr zu betrüben. »Gut,« erwiederte der Castellan, »und da, wie Sie mir sagten, auch Bardeloh mit zu schaffen hat beim Carneval, so komme ich in sein Haus, und dann halte ich mich an Sie. Meinen Bonifacius muß ich sehen.«

An der Brücke schieden wir. Der pfiffige Klapperbein steckte mir beim Weggehen ein Briefchen zu und flüsterte mir in's Ohr, daß, ginge sein liebes Fräulein wirklich außer Landes, er allein nicht im Lande bleiben werde. Der Brief kam aus Düsseldorf. Ich steckte ihn zu mir und beeilte mich, den Juden aufzusuchen, voll seltsam stürmischer Gedanken und süß beglückender Herzensregungen. Es dunkelte schon sehr stark, als ich an seine Wohnung kam. Friedrich saß auf einem Steine vor der Thür mit der Geige auf dem Schooß. Den Kopf hatte er in beide Hände gestützt, den Blick zur Erde gesenkt. Er schien zu schlafen, da er mein Räuspern durchaus nicht beachtete. Ich stieß ihn an und fragte, was er hier treibe.

»Ei tausend,« erwiederte er mit wichtiger Miene, »sehen Sie mir's denn nicht an, daß ich ein stiller Wächter bin?«

»Hast Du mich nicht gehört?«

»Fühlen und hören ist bei mir all' eins.«

»Was bewachst Du denn?«

»Narr und Närrchen.«

»Ist Mardochai zu Hause?«

»Ich will des Teufels werden, wenn er drinnen ist, und das wäre mehr als ein rechtschaffener Christ werden soll, denn jetzt bin ich noch durch und durch des Gottes.«

»Nun so steh' auf, Friedrich, und laß mich hinein.«

»Das läuft gegen Controlle und Parole. Ei tausend, kennst Du denn meine Parole?«

»Freilich kenne ich sie, Du hast mir sie ja gesagt. ›Die Geige führt die Narrheit spazieren.‹ Nicht wahr ich habe ein gutes Gedächtniß?«

»O ja,« versetzte der Blödsinnige, »heut aber trägt meine Parole eine poetische Narrenjacke, sie heißt: ›tolle Hunde beißen Unschuldige und werden geil, wenn die Lerchen im Himmel zwitschern.‹ Gefällt Dir der Spruch?«

»Der Spruch ist gut, der ihn erfunden hat, aber gefährlich.«

»Das will ich meinen,« lachte Friedrich, »denn vor einer halben Stunde gab's ein lustiges Lachen da drin. Als ich noch Junggeselle war, hörte ich den Ton gern. All' meine lustigen Lieder gingen aus diesem Tone. Es war der Jungfernton – jetzt aber spiel' ich Alles aus dem Strohwittwertone, und der ist recht lappig und ohne alle Sprung- und Schwungkraft. Es ist ein gewallachter Ton.«

»Friedrich,« rief ich dem blöden Geiger laut und erschrocken zu, indem ich ihn, der noch immer ruhig vor der Thüre saß, heftiger schüttelte, »Friedrich, wer ist im Hause?«

»Mein Himmel, wer denn sonst, als Täubchen und Täubrich.«

»Hast Du Casimir gesehen?«

»So lustbetrunken, wie noch nie.«

Die Häuser wankten vor meinen Augen. Mit mächtiger Faust zerrte ich Friedrichen von der Thür hinweg und wollte sie öffnen. Sie war verschlossen. Voll Angst und Wuth schlug ich erfolglos mit beiden Fäusten dagegen; Friedrich stimmte, vergnüglich lachend, seine Geige. Ich bat ihn, er solle mir helfen die Thür einschlagen. »Das bedarf's nicht,« erwiederte er, »Fromme sind unangreifliche Naturen. Aber warte nur, meine Geige soll die Mauern Jericho's schon umstülpen, wie eine Schlafmütze.«

In diesem Augenblicke erschien Mardochai. Kalt und ruhig fragte er, weshalb ich einen solchen Lärm an seiner Thür mache? Ich bat ihn, schleunigst zu öffnen, ein Blick auf meine Mienen, in denen Angst und Erwartung des Entsetzens mit scharfen Krallen, wie Nachtvögel an die Gitter eines erleuchteten Fensters, sich festgeklammert hatten, bewog ihn meiner Bitte zu willfahren.

»Aber, lieber Sigismund, was fällt Ihnen denn ein?«

»Die Rache,« schrie ich, »die Rache, Mardochai, nimmt Rache an der Rache!«

Diese jedem Andern unverständliche Redeweise galvanisirte die Hand des Juden. Klirrend flog der Schlüssel in's Schloß, die Thür auf. Wir traten in die dunklen, von Wohlgerüchen durchdufteten Gänge. Friedrich folgte, bald laut auflachend, bald ein paar Accorde mit grellen Bogenzügen der Violine entlockend. Es war das Schluchzen der Erwartung, das aufröchelte in bitterer Angst, während das Auge gebrochen zurücksank in seine Höhle.

Ich rüttelte an der Thür des Zimmers und fand auch dieses verschlossen. »Seltsam,« sagte Mardochai, mit bebender Stimme, »was bedeutet dies?« Ohne Antwort zu geben, rief ich laut: Sara, Sara! – Mir war es, als vernähme ich ein leises Seufzen, erdrückt von einem dumpfen Hohnlachen.

»Ja immer ruft,« sagte Friedrich, »das wird aber nicht gleich Antwort geben.«

Wir traten in's Zimmer. Eine einzige trüb brennende Lampe beleuchtete mit unstätem Flackern die Gegenstände. Es war Alles still, wie in einer Todtenhalle. Der laute Ruf: »Sara,« bebte zu gleicher Zeit von meinen und Mardochai's Lippen. Hinter dem Vorhange, der die Nische verhüllte, schien sich etwas zu regen, Mardochai zündete schnell ein paar Kerzen an, ich riß den Vorhang aus einander und blieb erschrocken regungslos stehen.

Auf derselben Ottomane, die vor wenig Monden Sara zum reizenden Ruhekissen diente, um in die Zauber ihres Spiels die hinreißende Anmuth ihrer unschuldigen Grazie zu flechten, ruhte das schöne Mädchen, aber bleich. Ihr Auge war, obgleich es offen stand, gebrochen. Um ihren Hals hing fest die silberglänzende Thalis geschlungen. – Es konnte Niemand in Zweifel bleiben über das, was sich hier zugetragen hatte. – Mich lähmte Zorn und Entsetzen, Mardochai stand mit gekreuzten Armen regungslos, ohne zu wanken, keine Wimper zuckend. Er löste seinen weißen Talar, der an der Wand hing, und sanft, wie der Schleier der Versöhnung, sank er herab auf sein lebloses Kind.

Da erst regte es sich im dunklen Hintergrunde unter der maskirten Büste, die mir jüngst Mardochai bei so ergreifenden Gesprächen gezeigt hatte, und Casimir's verwüstetes Gesicht ward erkennbar. Mit zweideutigem Lächeln erhob er sich langsam, kniete auf den Divan neben die Jüdin, und sprach, seine Hand ausstreckend gegen den Juden:

»Mardochai, wir sind fertig mit einander. Als Du vor zehn Jahren mich veranlaßtest, das Tabernakel zu plündern, that ich's, weil's mir gefiel, als ein raffinirter Witz, seitdem ich aber von Dir selber hörte, daß Du den ganzen Spectakel angestiftet habest, um Deinen Zorn abzukühlen, da stieg mir die poetische Raserei meines Herzens in's Gehirn. Ich dachte nach, wie eben ein Mensch, wie ich zu denken vermag, den allerhand satanische Spitzfindigkeiten in die Livree eines lüderlichen Commödianten gekleidet haben, und fand, daß es doch sehr burschikos sei, ließe sich ein gewitzigter Christ von einem Juden ungestraft die Ohren reiben. Ich hab's nicht vertragen, wie Du siehst.«

Trotzig riß der furchtbare Rächer der vor Jahren verübten Gotteslästerung die Thalis von der Jüdin. »Sieh,« rief er und entfaltete sie vor Mardochai's Augen, »jetzt bin ich fertig, ich weiß, wofür ich lebte, denn ich habe einen sehr klugen Juden doch noch überlistet. Morgen schick' ich einen Eilboten in den Himmel. Sein Ordner soll ein Langohr in der Welten Tagebuch brechen, damit der Tag dieser Wiedervergeltung nicht vergessen werde in seinem Reiche!«

Mit diesen Worten schwang er hoch die schimmernde Thalis, um sie Mardochai in's Gesicht zu schleudern. Zufall oder Gottes ewige Gerechtigkeit ließen es aber geschehen, daß sie sich im Schwunge um die Büste schlang, die über der Ottomane stand. Die Gewalt des Schwunges riß diese herab und donnernd stürzte der marmorne Block nieder auf den Unglücklichen. Die Maske aber löste sich ab, und die Hülle, auf welche mit Meisterhand die Züge des Erlösers gemalt waren, fiel leis, wie ein versöhnender Kuß, auf den Busen Sara's, während die marmor'ne Statue – Mardochai's eigenes Bild darstellend – Casimir's Brust zerschmetterte.

Lautlos brach der Dichter zusammen, die Thalis zitterte, eine schillernde Schlange, um Hand und Haupt des Unglücklichen. Da erhob sich Mardochai, dessen feste Ruhe ihn keinen Augenblick verlassen hatte. Ich lag über Sara's bleichen Busen gebeugt und suchte mit dem heißesten Schmerzenskusse das Leben wieder in die weißblauen Lippen des schuldlosen Opfers zu hauchen.

»Casimir,« sprach Mardochai, »wenn Du sterben willst, laß mich's wissen. Ich will Dir einen Priester schicken.« »Gleichmuth,« schrie er im Ton tiefster Seelenpein und wildester Verzweiflung, »Gleichmuth mag Deine Beichte hören. Doch ich tröste mich, setzte er ruhiger hinzu, »war's doch mein Ebenbild, das ihn zerschmetterte.«

»O, ich sterbe noch nicht,« stotterte Casimir röchelnd. »Den Triumph sollst Du nicht haben. Hat mein Witz Dich gepritscht, soll mein Tod auch die Meßglocke läuten zu Deiner Sterbestunde. Beim Fluch meiner civilisirten Sünden, zerzaust sollst Du werden, wie ein Frosch!« –

Die Kräfte des Sterbenden wichen. Ich wälzte die schwere Büste vollends ab von seiner Brust. Sie war tief eingedrückt, Blut quoll aus seinem Munde. »Gott – in der – Hölle,« murmelte er zwischen den Zähnen, »will sehen – wie weit – ich – richtig – porträtirt – habe. – – Gott – Gott!« – – Sein Haupt sank zurück, ein krampfhafter Frost schüttelte alle Nerven, wie ein Windstoß die Wipfel der Bäume, die hohe Stirn berührte mit kaltem Finger der Tod – Casimir verschied. – Wenige Minuten vorher hatte sich Friedrich auf den Tisch des Zimmers gesetzt; er fing an mit den Füßen zu baumeln und spielte unter lustigem Lachen die Melodie: »O du lieber Augustin« etc. Mardochai erschrak. »Auf dem Kreuzberge,« sagte er dumpf vor sich hin, »ward das Ding auch getanzt. – Gott ist doch mächtiger als ein Mensch!«

Ich hatte unterdeß die Maske von Sara's lebloser Gestalt gehoben. Mardochai verbarg sie sorgfältig und versuchte seine Tochter durch stärkende Essenzen zu beleben. Allein um ihr Auge floß nicht mehr der Thau des neuen Lebenstages, sie war verschieden.

»Was gibt es?« fragte Mardochai, ein Geräusch beachtend, das sich im Zimmer erhob. Ich wandte mich mit flüchtigem Blick um; – zur Thür herein trat ein Zug von Knaben, Körbchen um die Schultern tragend, jeder einen Beutel in der Hand. Ich hatte genug gesehen. Es waren die betriebsamen Handelsleute am Dome. Sie wollten Rechenschaft ablegen und dem großen Rächer, der Gott in sein Amt zu greifen gedachte, den Gewinn einhändigen. Mardochai winkte den Buben, sich zu entfernen. Zum ersten Male trat eine Thräne – ich glaube, der Reue – in sein Auge, er zerriß sein Kleid und verhüllte schluchzend, an dem zerbrochenen Körper der geliebten Tochter niederstürzend, sein Angesicht. So kniet die Schuld an dem Opfer, das ihrer eigenen Sühne fällt! –

So furchtbar, Raimund, endigte dieser Tag. Wie ein Taumelnder schlich ich zurück nach Bardeloh's Wohnung. Hell glänzte, als die erhabene Stirn der Welt, durch deren majestätische Wölbung die Sternbilder als des Gedankens unauslöschliche Flammen leuchteten, der Himmel über mir. Aber ich hatte kein Auge für diese stille Pracht des schaffenden Gottes, für das Schwanken und Schwärmen, Funkeln und Sprühen dieser Ideen einer weltumfassenden Zukunft. Mein Herz war gebrochen vom Gewicht des Augenblicks. –

Der Amerikaner unterhielt sich noch lebhaft mit Rosalie. Auch Bardeloh that sich Gewalt an und sprach theilnehmender, als sonst. Mein Eintritt, noch mehr mein Aussehen, brachte eine große Störung hervor. Von hundert Fragen bestürmt rief ich meinen Gastfreund und Burton in Richard's Warte und theilte ihnen mit wenigen Worten das Vorgefallene mit. Der Amerikaner wich entsetzt zurück, Bardeloh sagte blos: »Schade! Warum konnte der Mensch nicht noch zwei Tage länger leben? Und Mardochai?« setzte er fragend hinzu. Ich erzählte das Nothwendigste.

»Nun, wenn Er nur lebt,« erwiederte, von Neuem auflebend der mir Unbegreifliche. »Dann ist ja nichts verloren! Daß Casimir untergehen würde auf irgend solch eine Weise, habe ich mir längst gedacht. – Lebt Sara noch, meine Nichte?«

Eine bestimmte Antwort hierauf konnte ich nicht geben. »Armes Kind, armer noch als deine Mutter!« fuhr Richard fort, für sich sprechend. »So strebt doch Alles zu einer gerechten Versöhnung hin, selbst durch Frevel und Verbrechen. Diese Welt ist ein wunderlicher Guckkasten! – Ich gebe meine Schwester dem Juden, weil sie ihn liebte, Mardochai gebraucht sie, wie ein Möbel, die Lust der Rache schon in sich tragend, und das Kind dieser liebenden Rache muß wieder der Rache zum Opfer gebracht werden! Das ist seltsam, sehr seltsam! – Man könnte zweifelhaft werden. – Doch nein! Nein! Nein! rief er laut aus, und die Stimme sogleich wieder abdämpfend zu leisem Gemurmel, setzte er hinzu: »Es liegt ja Alles blos an unsern verdorbenen Zuständen. Darum vorwärts! Ohne Zaudern, sicher, fest, dem Ziele entgegen! Dieser Granitblock bedarf furchtbarer Hebel, wenn er in Schwung gerathen soll.« –

Bald darauf wünschte uns Bardeloh eine gute Nacht, ich begleitete Burton noch eine Strecke, der mich ermahnte, Alles zur Abreise bereit zu halten.

Als ich zurückkam, hörte ich den Mönch wieder einmal singen, doch nicht brünstig, eher mit großem Wohlbehagen. –


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