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Feder, Pinsel und Gift

Eine Studie in Grün

Man hat gegen Künstler und Schriftsteller immer den Vorwurf erhoben, daß sie der Ganzheit, der Rundung des Wesens ermangeln. Dies muß auch notwendigerweise als Regel gelten. Eben die Konzentration des visionären Blicks, die Energie des Strebens, die das künstlerische Temperament kennzeichnet, schließt eine gewisse Begrenztheit in sich. Wer in die Schönheit der Form versunken ist, dem scheint nichts anderes von Belang. Doch gibt es viele Ausnahmen von dieser Regel. Rubens hat als Gesandter gewirkt, Goethe als Staatsminister, Milton als Cromwells lateinischer Sekretär. Sophokles hatte in seiner Vaterstadt ein bürgerliches Amt inne. Die Humoristen, Essayisten und Erzähler des modernen Amerika haben, so scheint es, vor allem den einen Lieblingswunsch, diplomatische Vertreter ihres Landes zu werden; und Charles Lambs Freund, Thomas Griffiths Wainewright, von dem diese kurzen Memoiren handeln, besaß ein außerordentlich künstlerisches Temperament und hat gleichwohl noch andern Mächten als der Kunst gedient: er war nicht bloß ein Poet und Maler, ein Kunstkritiker und Antiquar, ein Prosaschriftsteller, ein Liebhaber schöner Dinge und ein Dilettant in allen anmutigen Künsten, sondern auch ein Fälscher von mehr als alltäglichen Gaben; überdies hat er als geschickter, verschwiegener Giftmischer weder in unsrer, noch in früherer Zeit einen Rivalen gefunden.

Dieser merkwürdige Mann, der mit »Feder, Pinsel und Gift«, wie ein großer Dichter unserer Tage sehr hübsch von ihm sagte, so wundervoll umzugehen wußte, wurde in Chiswick im Jahre 1794 geboren. Sein Vater war der Sohn eines ausgezeichneten Rechtsanwalts an Grays Inn und Hatton Garden. Seine Mutter war die Tochter des berühmten Dr. Griffiths, des Herausgebers und Begründers der »Monthly Review«. Dieser hatte sich auch mit Thomas Davies, dem berühmten Buchhändler, – von dem Johnson sagte, er sei kein Buchhändler, sondern ein Gentleman, der sich mit dem Verkaufe von Büchern abgebe, – dem Freunde Goldsmiths und Wedgwoods, einer der namhaftesten Persönlichkeiten seiner Tage, zu einem andern literarischen Unternehmen vereinigt. Mrs. Wainewright starb bei seiner Geburt, kaum einundzwanzig Jahre alt. In einem Nachruf, der nach ihrem Tode im » Gentlemans Magazine« erschien, wird von ihrem »liebenswürdigen Charakter und ihren zahlreichen Fähigkeiten« gesprochen; der Verfasser fügt artig bei: »Man sagt, sie habe die Schriften Lockes besser als irgendeiner unsrer Zeitgenossen verstanden.« Wainewrights Vater überlebte seine junge Frau nicht lange; das Kind ward aller Wahrscheinlichkeit nach beim Großvater erzogen. Später, nach der Eltern Tod, im Jahre 1803, übernahm sein Oheim, den er später vergiftete, die Erziehung. Seine Knabenjahre verbrachte er in Linden House zu Turnham Green, einem jener schönen Wohnhäuser aus der Zeit König Georgs, die leider durch das Eindringen der vorstädtischen Bauunternehmer verdrängt worden sind. Seinen lieblichen Gärten und wohlbestandenem Park verdankt er die einfache und leidenschaftliche Liebe für die Natur, die ihn sein ganzes Leben hindurch begleitet, und die ihn für die intime Wirkung der Dichtungen Wordsworths so besonders empfänglich gemacht hat. Zur Schule ging er in der Anstalt Charles Burneys in Hammersmith. Burney war der Sohn des Musikhistorikers und ein naher Verwandter des künstlerisch begabten Jungen, der bestimmt war, sein berühmtester Schüler zu werden. Er scheint ein recht gebildeter Mann gewesen zu sein; in späteren Jahren hat Mr. Wainewright oft von ihm als einem Philosophen, Archäologen und ausgezeichneten Lehrer mit Liebe gesprochen. Er war ein Lehrer, der auf die intellektuelle Ausbildung besondern Wert legte, aber dabei doch nicht die Wichtigkeit früher moralischer Schulung übersah. Unter der Leitung Burneys hat er zuerst sein künstlerisches Talent entwickelt, und Mr. Hazlitt erzählt uns, ein Skizzenbuch, dessen er sich in der Schule bediente, sei noch vorhanden und bekunde bedeutendes Talent und natürliches Empfinden. Die Malerei war in der Tat die erste Kunst, die ihn bezaubert hat. Erst viel später kam er auf den Gedanken, durch die Feder oder das Gift den Ausdruck seines Wesens zu finden.

Vorher jedoch scheint er durch knabenhafte Träume von der Romantik und Ritterlichkeit des Soldatenlebens angelockt und Gardist geworden zu sein. Aber das sorglose und ausschweifende Leben seiner Gefährten vermochte das verfeinerte künstlerische Temperament des Mannes, der zu anderen Dingen bestimmt war, nicht zu befriedigen. Er wurde bald des Dienstes überdrüssig. »Die Kunst«, erzählt er in Worten, die uns durch ihre leidenschaftliche Aufrichtigkeit und ihre eigentümliche Glut noch immer bewegen, »die Kunst berührte den Abtrünnigen; durch ihre reine und hohe Macht klärten sich die schädlichen Nebel; mein Gefühl, welk, überhitzt und trüb geworden, erhob sich zu kühler, neuer Blüte, einfach und herrlich für den, der einfältigen Herzens war.« Doch es war nicht die Kunst allein, die solche Veränderungen bewirkte. »Die Schriften Wordsworths«, fährt er in seiner Erzählung fort, »haben viel zur Klärung jenes trüben Wirbels beigetragen, der bei solchen Wandlungen notwendigerweise zu entstehen pflegt. Ich habe über diesen Schriften Tränen des Glücks und der Dankbarkeit vergossen.« Er schied also aus dem Heer mit seinem rauhen Lagerleben und den derben Gesprächen der Offiziersmessen. Er kehrte nach Linden House zurück, ganz erfüllt von dem neu gewonnenen Enthusiasmus für höhere Bildung. Eine schwere Krankheit, die ihn, um seinen Ausdruck zu gebrauchen, »wie ein Tongefäß zerbrach«, streckte ihn eine Zeitlang nieder. So wenig Bedenken er trug, andern Schmerz zuzufügen, sein eigener überzarter Organismus war für Schmerzen sehr empfindlich. Er bebte vor dem Schmerz, als vor einer Gewalt, die unser menschliches Leben stört und lähmt; er ist allem Anschein nach durch das schreckliche Tal der Melancholie gewandert, aus dem so viele große, vielleicht größere Geister nicht mehr den Ausweg gefunden haben. Doch er war jung – er zählte nicht mehr als fünfundzwanzig Jahre –, er tauchte bald aus den »toten schwarzen Wassern«, wie er diesen Zustand nannte, empor, empor in die freiere Luft humanistischer Bildung. Von seiner Krankheit, die ihn an das Tor des Todes geführt hatte, genesen, faßte er den Plan, der Literatur als Kunst zu leben. »Mit John Woodvill rufe ich aus,« schreibt er, »in einem solchen Element sich zu bewegen, Treffliches zu schaun, zu hören, niederzuschreiben, das wäre ein göttliches Leben!«

»Wer so des Lebens tiefste Fülle schlürft,
Wird von des Todes Schatten kaum gestreift.«

Man vermag sich dem Eindruck nicht zu entziehn: so äußert sich wirkliche Leidenschaft für die Literatur. »Treffliches zu schaun, zu hören, niederzuschreiben,« das war sein Bestreben.

Scott, der Herausgeber des » London Magazine«, gewonnen durch das Genie des jungen Mannes, oder unter dem Einfluß des seltsamen Zaubers, den er auf jeden, der ihn kennen lernte, ausübte, forderte Wainewright auf, eine Reihe von Artikeln über künstlerische Fragen zu verfassen. Unter einigen phantastischen Pseudonymen begann er daraufhin, an der Literatur der damaligen Zeit mitzuwirken. Janus Wetterhahn, Egomet Bonmot und Van Vinkvooms, so hießen manche der grotesken Masken, unter denen er seinen Ernst verbarg oder seinen leichten Sinn verhüllte. Eine Maske sagt uns mehr als ein Gesicht. Diese Vermummungen haben seine Persönlichkeit vertieft. In unglaublich kurzer Zeit scheint er sich durchgesetzt zu haben. Charles Lamb spricht von dem »lieben fröhlichen Wainewright, dessen Prosa ersten Ranges sei«, wir hören, daß er Macready, John Forster, Maginn, Talfourd, Sir Wentworth Dilke, den Dichter John Clare und andere zu einem petit-dîner einlud. Wie Disraeli faßte er den Vorsatz, die Stadt durch sein Dandytum in Aufregung zu bringen, und seine wundervollen Ringe, seine antiken Gemmen, die ihm als Busennadeln dienten, seine mattzitronenfarbenen Glacéhandschuhe waren sehr wohl bekannt; Hazlitt betrachtete sie sogar als Zeichen des Beginns eines neuen literarischen Stils. Seine vollgelockten Haare, die schönen Augen, seine vornehmen weißen Hände ließen ihn sogleich als einen Mann erscheinen, der sich auf gefährliche und entzückende Weise von den anderen unterschied. Er hatte manches von dem Wesen Lucien de Rubemprés in der Erzählung Balzacs. Zuweilen erinnert er uns an Julien Sorel. De Quincey lernte ihn einmal kennen. Es war bei einem Diner bei Charles Lamb. »In der Gesellschaft – es waren lauter Schriftsteller – saß ein Mörder«, so erzählt er uns, und er schildert, wie er an diesem Tage sich unpaß fühlte, so sehr, daß ihm die Gesichter von Männern und Frauen Widerwillen erregten, und wie er doch nicht umhin konnte, mit lebhaftem Interesse über den Tisch auf den jungen Schriftsteller zu blicken, dessen affektiertes Gehaben so viel unaffektiertes Gefühl zu verhüllen schien. Er grübelt dann weiter, »wie sehr sein Interesse gewachsen« und dadurch seine Stimmung umgewandelt worden wäre, wenn er gewußt hätte, welches furchtbaren Verbrechens jener Gast, dem Lamb so viel Aufmerksamkeit schenkte, sich schon damals schuldig gemacht hatte.

Sein Lebenswerk ordnet sich in natürlicher Weise in drei Abschnitte, die Swinburne aufgestellt hat, und man kann zum Teil zugeben, daß er, wenn wir das, was er in der Kunst des Vergiftens geleistet hat, beiseite setzen, uns kaum etwas hinterlassen hat, was seinen Ruhm rechtfertigt.

Doch ist es nur Art des Philisters, eine Persönlichkeit mit dem gemeinen Maßstabe der Leistung zu messen. Dieser junge Dandy wollte lieber jemand sein, als etwas vollbringen. Er erkannte, daß das Leben selbst eine Kunst ist und seine Stilformen hat, genau wie die Künste, die das Leben auszudrücken versuchen. Doch ist auch sein Lebenswerk nicht ohne Interesse. William Blake erzählt uns, er habe vor einem seiner Bilder verweilt und habe es »sehr schön« gefunden. Seine Essays haben viel von dem, was später verwirklicht worden ist, gewissermaßen vorweggenommen. Er hat manches, das mit der modernen Kultur nur beiläufig zusammenhängt, von vielen aber als das Wesentliche betrachtet wird, voraus empfunden. Er schreibt über die Gioconda und über Dichter der französischen Frühzeit und über die italienische Renaissance. Er liebt griechische Gemmen und persische Teppiche, Elisabethanische Übersetzungen von Amor und Psyche und der Hypnerotomachia, Bucheinbände und erste Ausgaben und weitgerandete Abzüge. Er hat einen sehr feinen Sinn für den Wert einer schönen Umgebung und wird nicht müde, die Räume zu beschreiben, worin er wohnte oder gern gewohnt hätte. Er besaß jene seltsame Vorliebe für das Grün, die stets, wenn sie bei einzelnen auftritt, ein feines künstlerisches Temperament bekundet, bei Völkern jedoch eine gewisse Schlaffheit oder vielleicht gar den Niedergang der Moral ankündigen soll. Wie Baudelaire liebte er die Katzen sehr; er war, wie Gautier, von dem »süßen Marmorungeheuer«, dem zweigeschlechtigen, das wir noch jetzt in Florenz und im Louvre sehn, entzückt.

In seinen Schilderungen und seinen Winken für die dekorative Kunst findet sich allerdings manche Bemerkung, die bezeugt, daß auch er sich nicht völlig vom falschen Geschmack seiner Zeit frei zu machen wußte. Doch es ist klar, daß er einer der ersten war, die erkannten, worauf es beim ästhetischen Eklektizismus hauptsächlich ankommt, nämlich auf das Zusammenklingen alles wirklich Schönen, völlig unabhängig von Zeit, Ort, Schule oder Manier. Er erkannte, daß wir beim Ausschmücken eines Zimmers, das ein Raum zum Bewohnen, nicht zur Parade sein soll, keineswegs die Vergangenheit mit archäologischer Genauigkeit wiederherstellen müssen. Wir sollen uns auch nicht mit dem Gefühl, zu peinlicher historischer Genauigkeit verpflichtet zu sein, beschweren. Seine künstlerische Empfindung hatte da völlig recht. Alles Schöne gehört der nämlichen Zeit an.

Und so finden wir in seiner eigenen Bücherei, wie er sie schildert, die zarte tönerne griechische Vase mit ihren minutiös gemalten Figuren und dem matten ΚΑΛΟΣ, in feinen Linien darauf gezeichnet; dahinter hängt ein Stich nach der »Delphischen Sibylle« Michel Angelos oder der »Pastorale« Giorgiones. Hier ein Stück einer florentinischen Majolika, dort eine rote Lampe aus einem römischen Grab. Auf dem Tisch liegt ein Stundenbuch »in einer Hülle aus gediegenem, vergoldetem Silber, geschmückt mit anmutigen Sinnbildern und mit kleinen Brillanten und Rubinen besetzt«; dicht daneben hockt ein kleines häßliches Ungeheuer, etwa ein Lar, ausgegraben auf den sonnigen Gefilden des korngesegneten Sizilien. Einige dunkle antike Bronzen kontrastieren »mit dem blassen Schimmer zweier edler Christi-Kruzifixi, deren einer in Elfenbein geschnitten, der andere in Wachs modelliert ist«. Er besitzt seine mit Edelsteinen gezierten Präsentierteller, seine zarte Louis-Quatorze-Bonbonniere mit einem Miniaturbilde Petitots, seine hoch gepriesenen »Filigran-Teekannen aus braunem Biskuit«, seine zitronenfarbene Saffian-Briefschatulle, seinen »pomonagrünen« Stuhl.

Man kann sich ihn vorstellen, wie er inmitten seiner Bücher, Abgüsse und Stiche daliegt, ein wahrer Kunstliebhaber und feiner Kenner, wie er seine erlesene Sammlung von Marc Antonios und sein » Liber Studiorum« Turners, das er sehr warm bewunderte, durchblättert, oder mit einem Vergrößerungsglas einige seiner antiken Gemmen und Kameen prüft, »den Kopf Alexanders auf einem doppelschichtigen Onyx«, oder »jenes herrliche altissimo relievo auf Karneol, den Jupiter Ägiochus«. Er war stets ein besonderer Liebhaber von Stichen und gibt einige sehr nützliche Winke über die besten Methoden zum Anlegen einer Sammlung. Doch verlor er niemals, wie sehr er auch die moderne Kunst zu schätzen wußte, den Blick für die Bedeutung der Reproduktionen der großen Meisterwerke der Vergangenheit. Seine Bemerkungen über den Wert der Gipsabgüsse sind ganz bewundernswert.

Als Kunstkritiker beschäftigte er sich vor allem mit den Gesamteindrücken, die durch ein Kunstwerk hervorgerufen werden, und sicherlich liegt der Anfang aller ästhetischen Kritik darin, daß man seine persönlichen Impressionen ausdrückt. Abstrakte Erörterungen über das Wesen der Schönheit waren nicht seine Sache. Die historische Methode, die seitdem so reiche Frucht zutage gefördert hat, war seiner Zeit noch fremd, doch ließ er nie die große Wahrheit aus den Augen, daß sich die Kunst zunächst weder an den Intellekt noch an die Gefühle, sondern nur an das künstlerische Temperament wendet. Er führt mehr als einmal aus, daß dieses Temperament, dieser »Geschmack«, wie er es nennt, unbewußt durch den innigen Kontakt mit Meisterwerken gebildet und gereift wird und sich endlich zu einer Art treffenden Urteils entwickelt. Allerdings gibt es in der Kunst, ebenso wie in der Kleidung Moden, und vielleicht vermag niemand, sich vom Einfluß der Gewohnheit und der Neuheit ganz zu befreien. Er wenigstens vermochte dies nicht; er bekennt freimütig, wie schwer es halte, die richtige Meinung über das Werk eines Zeitgenossen zu gewinnen. Aber im ganzen, muß man sagen, war sein Geschmack trefflich und gesund. Er bewunderte Turner und Constable zu einer Zeit, wo diese Künstler noch nicht so sehr wie heutzutage im Mund der Leute waren. Er erkannte, daß die höchst entwickelte Landschaftskunst mehr als »bloßen Fleiß und genaues Kopieren« voraussetze. Über Cromes »Heideszene bei Norwich« bemerkt er: Diese Darstellung bekundet, »wie sehr die genaue Beobachtung der Elemente in ihren wilden Stimmungen einem höchst uninteressanten Fleck Landes zugute kommt«. Über die typische Landschaftsmalerei seiner Tage sagt er, sie sei einfach eine Aufzählung von Tal und Hügel, Baumstümpfen, Buschwerk, Wasser, Matten, Villen und Häusern; kaum mehr als Topographie, etwa ein gemaltes Landkartenwerk, in dem Regenbogen, Schauer, Nebel, Lichtkreise, die Strahlenfülle, die durch zerrissene Wolken bricht, Stürme, das Licht der Sterne, die wertvollsten Hilfsmittel für den wirklichen Maler, fehlen. Er hatte einen tiefen Haß gegen alles Allzudeutliche, Gemeinplätzige in der Kunst; er war entzückt, Wilkie bei Tisch zu unterhalten, um die Gemälde Sir Davids aber kümmerte er sich so wenig wie um die Gedichte Crabbes. Der nachahmenden, realistischen Richtung seiner Tage brachte er keine Sympathien entgegen. Er gesteht auch offen, seine große Bewunderung Fuselis wurzle darin, daß dieser kleine Schweizer es nicht für notwendig halte, daß ein Künstler nur das male, was er erblickt. Eigenschaften, die er von einem Gemälde verlangte, waren Komposition, Schönheit und Adel der Linie, Reichtum der Farbengebung, Macht der Phantasie. Doch war er andererseits kein Doktrinär. »Ich bin der Ansicht, kein Kunstwerk kann nach anderen Gesetzen, als nach jenen, die aus ihm selbst fließen, beurteilt werden; ob es mit sich im Einklange steht oder nicht, das ist die Frage.« Dies ist einer seiner glänzenden Aphorismen. Und seine kritische Beurteilung so verschiedener Künstler wie Landseer und Martin, Stothard und Etty bekundet, daß er es versucht, – um eine jetzt klassisch gewordene Redewendung zu gebrauchen, – »die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich an sich sind«.

Gleichwohl fühlt er sich, wie ich früher ausführte, beim Kritisieren der Werke seiner Zeitgenossen nicht ganz in seinem Element. »Das Gegenwärtige«, bemerkt er, »bringt mich in eine ähnlich angenehme Verwirrung wie Ariost, wenn man ihn zum erstenmal liest … Das Moderne blendet mich. Ich muß es durch das Fernrohr der Zeit betrachten. Elia klagt, der Wert einer Dichtung im Manuskript sei ihm nicht ganz klar; »der Druck«, sagt er treffend, »entscheidet alles«. Fünfzig Jahre Abtönung bringen bei einem Gemälde die nämliche Wirkung hervor. Ihm ist es lieber, über Watteau und Lancret, über Rubens und Giorgione, über Rembrandt, Correggio und Michel Angelo zu schreiben; am meisten äußert er sich über griechische Kunst. Die Gotik berührte ihn kaum, aber die klassische und die Renaissancekunst standen ihm stets sehr nahe. Er erkannte sehr wohl, wieviel unsere englische Schule durch das Studium griechischer Vorbilder gewinnen könne; er versäumt es nie, die jungen Studenten auf die im hellenischen Marmor, in der hellenischen Technik schlummernden künstlerischen Möglichkeiten hinzulenken. In seinen Urteilen über die großen italienischen Meister, bemerkte de Quincey, »schien ein Ton von Aufrichtigkeit und ursprünglicher Empfindungswärme durchzubrechen, wie er nur bei denen sich zeigt, die aus sich selbst, nicht bloß aus Büchern schöpfen«. Das höchste Lob, das wir ihm erteilen können, ist, daß er den Versuch wagte, den großen Stil als bewußte Überlieferung wieder neu zu erwecken. Doch er sah wohl ein, daß weder Vorlesungen über Kunst noch Kunstkongresse noch »Projekte zur Förderung der schönen Künste« dieses bewirken können. »Das Publikum«, führt er sehr klug und im wahren Geist von Toynbee Hall aus, »muß stets die besten Modelle vor Augen haben.«

Wie man von ihm, dem Maler, erwarten durfte, geht er in seiner Kritik sehr oft auf technische Details über. Über Tintorettos Gemälde »St. Georg, die ägyptische Prinzessin vom Drachen befreiend«, bemerkt er:

»Das Kleid der Sabra, warm lasiert mit preußischem Blau, hebt sich vom blaßgrünen Hintergrund durch einen roten Schleier ab; die vollen Farbentöne finden gewissermaßen ihren wundervollen Widerhall in den gedämpft-purpurfarbenen Stoffen und dem bläulichen Eisenpanzer des Heiligen; überdies halten der lebhaften Azurdraperie des Vordergrundes die Indigoschatten des wilden Waldes, der das Schloß umhegt, die Wage.«

Anderswo spricht er gelehrt über »einen zarten Schiavone mit seinen vielfach durchbrochenen Schattierungen, bunt wie ein Tulpenbeet«, über ein »glühendes, durch Morbidezza ausgezeichnetes Porträt des seltenen Maroni«. Von einem anderen Bild sagt er, daß es »in seinem Inkarnat weich sei«.

In der Regel aber beschäftigt er sich nur mit dem Gesamteindruck eines Werkes. Er versucht, seine Impression in Worte zu übersetzen, gewissermaßen jene Eindrücke literarisch auszuprägen, die Phantasie und Geist empfingen. Er hat als einer der ersten die sogenannte Kunstschriftstellerei des neunzehnten Jahrhunderts zur Entwicklung gebracht, jene literarische Form, die in Mr. Ruskin und Mr. Browning ihre vollendetsten Vertreter gefunden hat. Seine Schilderung des » Repas Italien« des Lancret, eines Gemäldes, in dem »ein dunkelgelocktes Mädchen, verliebt in allerlei Schabernack, auf der mit Maßliebchen übersäten Wiese liegt«, ist in mancher Hinsicht äußerst reizvoll. Wir geben hier die Beschreibung der »Kreuzigung« Rembrandts wieder. Sie ist für seinen Stil äußerst charakteristisch:

»Finsternis – rußige, furchtbare Finsternis – bedeckt die ganze Szene: nur über dem verwunschenen Wald strömt wie durch einen schrecklichen Spalt in der düstern Himmelsdecke eine Regenflut herab, hagelartiges, schmutzgefärbtes Wasser –, grauliches Gespensterlicht verbreitend, ein Licht, noch schauerlicher als die greifbare Nacht. Schon keucht die Erde heftig, schwer! Das dunkle Kreuz erbebt! Die Winde halten an, die Luft steht still – Murmeln, Dröhnen grollt unter ihren Füßen. Aus der ärmlichen Menge fliehn manche bereits den Hügel herab. Die Rosse wittern das nahende Graun, sie werden vor Angst unlenksam. Jäh naht der Augenblick, da, fast zerrissen durch die eigne Schwere, ohnmächtig durch den Verlust des Bluts, das jetzt in Bächen aus seinen geöffneten Adern rieselt, Schläfen und Brust beinahe vom Schweiß ertränkt, die schwarze Zunge ausgedörrt von glühendem Todesfieber, Jesus aufschreit: ›Ich verdurste!‹ Man hebt den todbringenden Essig zu seinen Lippen empor.

Sein Haupt sinkt, der heilige Leichnam schwankt und fühlt das Kreuz nicht länger. Eine schmale rote Flamme schießt hell durch die Luft und verblaßt. Karmel und Libanon bersten. Das Meer wälzt von den Sandbänken herab schwarz rollende Fluten. Die Erde klafft, Grüfte speien die Leichen aus. Tote und Lebende werden in unnatürlicher Verbindung durcheinander geschüttelt und rasen durch die heilige Stadt. Neue Schrecken erwarten sie hier. Der Vorhang des Tempels – der undurchdringliche Vorhang – ist vom Scheitel bis zum Fuß geborsten. Jenes furchtbare Heiligtum, das die Mysterien der Hebräer bewahrt – die schicksalsschwere Bundeslade mit ihren Tafeln und dem siebenarmigen Leuchter – wird durch überirdische Flammen der gottverlassenen Menge erschlossen.«

»Rembrandt hat diese Skizze niemals gemalt, und das mit vollem Recht. Sie hätte ohne den verwirrenden Schleier der Unbestimmtheit, der unserer Einbildungskraft ein so weites Gebiet eröffnet, beinahe den ganzen Reiz des Geheimnisvollen eingebüßt. Jetzt wirkt sie wie ein Ding aus einer andern Welt. Schwarz gähnt ein Abgrund zwischen uns. Mit den Sinnen ist sie nicht zu fassen. Nur die Seele vermag, ihr zu nahn.«

Diese Stelle, »niedergeschrieben in Grauen und Ehrfurcht« – so berichtet der Autor – enthält manches Furchtbare, manches ganz Entsetzliche, aber sie ist nicht ohne eine gewisse rohe Kraft, oder wenigstens nicht ohne eine gewisse rohe Gewalt des Worts. Eben unser Zeitalter, das solcher Kraft ermangelt, sollte sie höchlich zu schätzen wissen. Doch scheint es erfreulicher, zu seiner Beschreibung des Bildes Giulio Romanos »Cephalus und Procris« überzugehn:

»Man sollte die Klagen des Moschus um Bion, den süßen Hirten, lesen, bevor man dieses Gemälde betrachtet, oder man sollte das Gemälde als Vorbereitung für die Klagelieder studieren. Wir finden hier und dort beinah das nämliche dargestellt. Über beide Opfer murmeln die hohen Haine und Wälder der Niederung; die knospenden Blumen hauchen müden Duft; die Nachtigall trauert auf felsigem Gestein, die Schwalbe in lang gewundenen Tälern; die Satyrn und dunkel verschleierten Faune stöhnen; des Waldes Brunnennymphen zerfließen in Tränen. Schafe und Böcke verlassen ihre Weide; die Oreaden, die gern auf unwegsamen Spitzen senkrechter Felsen klimmen, eilen hernieder von ihren singenden, windumschmeichelten Pinien, Dryaden neigen sich aus den Zweigen der verschlungenen Bäume herab, die Flüsse weinen um die weiße Procris, mit vielen hervorstürzenden Tränen:

›Den fernhinglänzenden Ozean füllend mit ihrem Laut.‹

Die goldenen Bienen auf dem thymianduftenden Hymettus werden still; das schallende Horn des Geliebten der Aurora wird niemals mehr das kalte Zwielicht auf den Höhen des Berges zerstreun. Der Vordergrund unseres Gemäldes ist ein grasreiches, durch die Sonne verbranntes Gelände, wie gewelltes Land hinansteigend und sich senkend, noch unebener durch die vielen Wurzeln, worin sich der Fuß verfängt, durch Strünke von Bäumen, die vor der Zeit gefällt wurden und die dennoch wieder leichte, grüne Sprößlinge hervortreiben.

Dieses Gelände steigt jäh zur Rechten zu einem dichten Hain empor, den kein Sternenschimmer zu durchdringen vermag; an seinem Eingang sitzt der kummerbetäubte thessalische König. Er hält auf seinen Knien den elfenbeinglänzenden Leib. Vor einem Augenblick hat dieser noch das rauhe Gezweige mit der sanften Stirn geteilt, den Boden mit seinen Dornen und Blumen eifersuchtbeschwingten Schrittes getreten – jetzt liegt dieser Körper da, hilflos schwer, entseelt, kaum daß die spielenden Lüfte das dichte Haar wie im Spotte heben.

Heimlich drängen sich aus dem benachbarten Gehölz erstaunte Nymphen heran, laut schreiend.

›Und fell-umgürtete Satyrn, efeuumwunden stürzen herbei;
Und seltsames Mitleid klinget hervor aus sanfter Schalmei.‹

Laelaps liegt unten in der Tiefe; sein Keuchen bekundet, wie furchtbar schnell der Tod ihn überfällt. Dieser Gruppe gegenüber hält der tugendreiche Eros mit niedergeschlagenen Flügeln den Köcher dem herannahenden Trupp des Waldvolks entgegen, Faunen, Böcken, Ziegen, Satyrn und Satyrweibchen, die ihre Kinder mit zitternden Fingern fester an sich pressen. Von links her traben sie alle heran auf versunkenem Weg zwischen dem Vordergrund und einem felsigen Gemäuer, an dessen niedrigster Erhebung eine Quellnymphe aus ihrer Urne Unglück murmelndes Wasser hervorströmt. Höher und weiter entfernt als die Ephidryas erscheint, die Locken raufend, ein anderes Weib zwischen den weinumhegten Baumpfeilern eines unberührten Hains. Die Mitte des Bildes umfassen schattige Matten, die sich zur Strommündung herabsenken, jenseits dehnt sich die unendliche Macht des strömenden Ozeans. Die rosige Aurora, die Auslöscherin der Sterne, taucht daraus empor und treibt ihre taubesprengten Rosse. Sie peitscht sie wütend zur Eile, die Todesangst ihres Nebenbuhlers zu erspähn.«

Würde diese Schilderung sorgsam neu geschrieben, dann wäre sie ganz wundervoll. Der Gedanke, aus einem Gemälde ein Prosagedicht zu formen, ist ausgezeichnet. Ein guter Teil der besten modernen Literatur hat in diesem nämlichen Wunsch seinen Ursprung. In einem sehr häßlichen und empfindlichen Zeitalter borgen die Künste nicht vom Leben, sondern von den Nachbarkünsten.

Auch seine Neigungen waren erstaunlich mannigfaltiger Art. Er interessierte sich zum Beispiel sehr lebhaft für alles, was mit dem Theater zusammenhing. Er betonte sehr oft, man müsse sich bei den Kostümen und den Dekorationen archäologischer Genauigkeit befleißigen. »In der Kunst«, bemerkt er in einem seiner Essays, »ist alles, was überhaupt wert ist, daß es getan werde, auch wert, auf richtige Art getan zu werden.« Er führt aus, daß wenn man einmal Anachronismen zulasse, man sehr schwer die Grenze des Erlaubten finde. In der Literatur kämpfte er wie Lord Beaconsfield bei einem bekannten Anlaß, »auf der Seite der Engel«. Er war einer der ersten Bewunderer von Keats und Shelley – »des bebend sensitiven und dichterischen Shelley«, wie er ihn nennt. Seine Bewunderung für Wordsworth war aufrichtig und tief. Er wußte William Blake völlig zu schätzen. Eine der besten Abschriften der » Songs of Innocence and Experience«, die wir überhaupt besitzen, wurde eigens für ihn angefertigt. Er liebte Alain Chartier und Ronsard und die Dramatiker der Elisabethanischen Zeit und Chaucer und Chapman und Petrarka. Für ihn waren alle Künste eins. »Unsere Kritiker«, bemerkt er sehr verständig, »scheinen gar nicht zu erkennen, daß Dichtkunst und Malerei dem gleichen Ursprung entfließen, daß jeder wirkliche Fortschritt in der ernsthaften Erforschung der einen Kunst eine entsprechende Vervollkommnung in der anderen zur Folge hat.« Und er führt anderswo aus, daß jemand, der Michel Angelo nicht bewundere und dabei von seiner Liebe für Milton schwärme, entweder sich selbst oder seine Zuhörer betrüge. Seinen Mitarbeitern am »London Magazine« bewies er sehr viel Großmut. Er lobte Barry Cornwall, Allan Cunningham, Hazlitt, Elton und Leigh Hunt ganz ohne die spöttische Bosheit eines Freundes. Einige seiner Skizzen über Charles Lamb sind in ihrer Art bewundernswert. Sie entnehmen in echt schauspielerhafter Weise ihren Stil dem Gegenstand:

»Kann ich über dich das mindeste sagen, was nicht alle wissen? Daß du die Fröhlichkeit eines Knaben mit der reifen Kenntnis des Mannes vereintest; daß du ein Herz besaßest, voller Güte wie irgendeins, das uns Tränen ins Auge trieb!

Wieviel Witz bewies er, da er euch mißverstand. Wie geschickt ließ er in die passende Stunde den unpassenden Scherz fließen! Seine Rede war, wenn er sich von Geziertheit fernhielt, selbst bis zur Dunkelheit gedrängt, wie die Sprache jener geliebten Dichter der Elisabethanischen Zeit. Gleich Körnern feinen Goldes breiteten sich seine Aussprüche über weite Flächen. Er hatte wenig für unechten Ruhm übrig, und eine beißende Bemerkung über das ›Gehaben der Männer von Genie‹ stand ihm stets zu Gebote. Sir Thomas Brown war einer seiner ›Busenfreunde‹, desgleichen Burton und Fuller. In seinen verliebten Launen spielte er mit jener unvergleichlichen Herzogin der vielfachen Parfüms; die tollen Komödien von Beaumont und Fletcher brachten ihm helle Träume. Er ließ, gleichsam aus plötzlicher Inspiration, kritische Lichter darauf fallen; doch ließ man ihn am besten seinen eigenen Weg gehen. Fing ein anderer an, sich über seine Lieblingsdichter zu äußern, dann war er imstande, ihm ins Wort zu fallen, er machte irgendeinen Zusatz, man wußte nicht, ob aus Mißverständnis oder Bosheit. Bei C… bildeten eines Abends jene dramatischen Dichter vor allem das Thema des Gesprächs. Ein Herr X. rühmte die leidenschaftliche Glut, den erlauchten Stil einer Tragödie – ich weiß nicht, welcher –, da unterbrach ihn Elia sogleich mit der Bemerkung: »Das war gar nichts, die lyrischen Partien sind das Erhabene gewesen – ja die lyrischen Partien!«

Eine Seite seiner literarischen Bestrebungen verdient besondere Erwähnung. Man darf sagen, der moderne Journalismus hat ihm so viel wie irgendeinem Mann aus dem Anfange des Jahrhunderts zu danken. Er war der Vorkämpfer des sog. »asiatischen« Stils, er fand sein Ergötzen an malenden Beiworten und pompösen Übertreibungen. Ein Stil, dessen üppiger Glanz den Gegenstand verhüllt – das ist die Haupterrungenschaft einer sehr wichtigen und viel bewunderten Schule der Artikelschreiber aus der Fleet Street. Janus Wetterhahn hat diese Schule, man darf es behaupten, begründet. Er erkannte auch, daß es nicht schwer fällt, das Publikum für die eigene Persönlichkeit zu interessieren, wenn man nur immer davon redet. So erzählt dieser außerordentliche junge Mann in seinen Zeitungsartikeln der Mitwelt, was er Mittag speist, wo er seine Kleider machen läßt, welcher Weinsorte er den Vorzug gibt, wie es mit seiner Gesundheit bestellt ist – genau, als ob er Wochenchroniken für irgendeine sehr verbreitete Zeitung unserer Tage verfaßte. Besaß auch diese Seite seiner Tätigkeit am wenigsten Wert, so übte sie gleichwohl den sichtbarsten Einfluß. Heutzutage ist ein Publizist ein Mann, der die Öffentlichkeit mit den Details der Ungesetzlichkeiten langweilt, die er in seinem Privatleben verübt.

Wie die meisten künstlerischen Menschen, bekundet er besondere Vorliebe für die Natur. »Drei Dinge«, sagt er irgendwo, »sind mir besonders wert: bequem auf einer Höhe zu sitzen, die eine reiche Aussicht beherrscht; im Sonnenglanze ringsum durch dichte Bäume beschattet zu werden; und die Einsamkeit so recht mit dem Bewußtsein zu genießen, daß Menschen in der Nähe sind. Dies alles beschert mir das Land.« Er schildert uns, wie er über süß duftenden Ginster wandert und Collins »Ode an den Abend« laut vor sich hin spricht, um den erlesenen Geist des Augenblicks zu erhaschen. Er schildert, wie er sein Antlitz »in ein vom Tau der Mainacht feuchtes Primelbeet drückt«; er erzählt, welche Freude er empfindet, wenn er die sanften Kühe »durch das Zwielicht heimwärts ziehen sieht« und das »entfernte Geläute der Lämmerherden« vernimmt. Eine seiner Redewendungen: »der Polyanthus glühte in seinem kalten Erdenbett wie ein einsames Bild des Giorgione auf einer dunkeln eichenen Wand«, ist für sein Empfinden seltsam bezeichnend. Auch die nachfolgende Bemerkung ist in ihrer Art sehr hübsch –

»Das kurz geschnittene zarte Gras war bedeckt mit Maßliebblüten, sie standen dicht wie die Sterne einer Sommernacht. Das rauhe Gekrächze emsiger Krähen klang, sanfter tönend, ein wenig entfernt, aus einem hohen, düstern Ulmenhain hernieder. Zuweilen wurde die Stimme eines Knaben laut, der die Vögel von den neu besäten Feldern fortscheuchte. Die blauen Tiefen waren dunkel-ultramarin gefärbt. Über den sanften Himmel strich nicht eine Wolke. Nur um seinen Rand flutete ein Streifen des Lichts, ein Nebelhäutchen, dem gegenüber sich das nahegelegene Dorf mit der alten Steinkirche deutlich glänzendweiß abhob. Ich mußte an Wordsworths ›Verse im März geschrieben‹ denken.«

Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß eben der hochgebildete junge Mann, der diese Zeilen niederschrieb und sich für den Einfluß Wordsworths so empfänglich zeigte, zugleich, wie ich in der Einleitung dieser Denkschrift bemerkte, einer der heimlich-verschwiegensten Giftmischer seines Zeitalters gewesen ist. Er berichtet uns nicht, wodurch er zu diesem seltsamen Verbrechen zuerst angeregt wurde. Das Tagebuch, in dem er sorgfältig die Ergebnisse seiner schrecklichen Versuche und das Verfahren, das er anwandte, aufzeichnete, ist uns leider verloren. Selbst in seinen späteren Lebenstagen bewahrte er über dieses Thema völliges Stillschweigen; er zog es vor, über Wordsworths »Ausflug« und »Gedichte, die aus Leidenschaften entspringen«, zu plaudern. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß das Gift, dessen er sich bediente, Strychnin gewesen ist. Er verbarg in einem der herrlichsten Ringe, auf die er so stolz war, die er trug, um die feine Modellierung seiner vornehmen Elfenbeinhand hervorzuheben, Kristalle der indischen nux vomica, eines Giftes, das – so erzählt uns einer seiner Biographen – »beinahe geschmacklos, schwer zu entdecken und fast unendlicher Verdünnung fähig ist«. Seiner Mordtaten, berichtet de Quincey, sind mehr gewesen, als man je durch die Gerichtsverhandlungen erfuhr. Das ist gewiß, und einige dieser Morde sind der Aufzeichnung wert. Das erste Opfer war sein Onkel Thomas Griffiths. Er vergiftete ihn im Jahre 1829 in der Absicht, in den Besitz von Linden House, einer Stätte, die er seit jeher sehr liebte, zu gelangen. Im August des nächsten Jahres hat er Mrs. Abercrombie, die Mutter seiner Gattin, im folgenden Dezember die liebliche Helene Abercrombie, seine Schwägerin, vergiftet. Das Motiv des Mordes der Mrs. Abercrombie steht nicht ganz fest. Er hat die Tat vielleicht aus einer Laune begangen, oder um irgendein fürchterliches Machtgefühl, das in ihm lebte, zu befriedigen, oder weil sie Argwohn gegen ihn hatte, oder vielleicht aus gar keinem bestimmten Grund. Was jedoch Helene Abercrombie betrifft, so haben er und seine Gattin diesen Mord verübt, um eine Summe von ungefähr 18 000 Pfund Sterling zu erlangen; sie hatte nämlich ihr Leben bei verschiedenen Gesellschaften um diese Summe versichert. Die näheren Umstände waren die folgenden. Am 12. Dezember reiste er in Gesellschaft seiner Frau und seines Kindes von Linden House nach London und bezog in der Conduit Street, Regent Street Nr. 12, eine Wohnung. In ihrer Begleitung befanden sich die beiden Schwestern Helene und Madeleine Abercrombie. Am Abend des 14. besuchten sie gemeinsam das Theater, beim Abendessen fühlte sich Helene unwohl. Den Tag darauf erkrankte sie ernstlich, und Dr. Locock aus Hanover Square wurde an ihr Lager berufen. Sie lebte noch bis Montag, den 20. An diesem Tage brachte ihr nach der Morgenvisite des Arztes Mr. und Mrs. Wainewright ein vergiftetes Gelee; dann machten sie einen Spaziergang. Nach ihrer Rückkehr war Helene Abercrombie bereits eine Leiche. Sie war ungefähr zwanzig Jahre alt, ein schlankes, anmutiges, hellblondes Mädchen. Eine sehr reizende rötliche Kreidezeichnung von der Hand ihres Schwagers ist noch vorhanden; sie bekundet, wie sehr sein künstlerischer Stil damals von Sir Thomas Lawrence beeinflußt ward, einem Maler, für dessen Art er stets große Bewunderung hegte. De Quincey meint, Mrs. Wainewright sei in Wahrheit nicht Mitwisserin des Mordes gewesen. Hoffen wir, daß sie es nicht war. Das Verbrechen sollte in der Einsamkeit und ohne Helfershelfer bleiben.

Die Versicherungsgesellschaften ahnten wohl den wahren Zusammenhang der Dinge und lehnten die Auszahlung der Police ab, wobei sie sich auf gewisse fachtechnische Mängel stützten: die Deklaration sei falsch gewesen, auch seien die Prämien nicht eingezahlt worden. Mit erstaunlichem Mut brachte nunmehr der Giftmischer eine Klage beim Gerichtshofe von Chancery wider die »Imperial Company« ein; vereinbart wurde, daß ein Urteilsspruch alle Fälle erledigen solle. Das Gericht gelangte fünf Jahre lang zu keinem Ergebnis, endlich wurde nach einer entgegengesetzt lautenden Entscheidung das Urteil zugunsten der Gesellschaft gefällt. Der Richter in dieser Angelegenheit war Lord Abinger. Egomet Bonmot war durch Mr. Erle und Sir William Follet vertreten; für die Gegenseite erschienen der Kronanwalt und Sir Frederick Pollock. Der Kläger war unglücklicherweise außerstande, bei einem der Gerichtstage anwesend zu sein. Die Weigerung der Gesellschaft, ihm die 18 000 Pfund Sterling zu bezahlen, hatte ihn in höchst peinliche pekuniäre Schwierigkeiten gestürzt. In der Tat, wenige Monate nach der Ermordung der Helene Abercrombie war er schuldenhalber in den Straßen Londons in dem Augenblick verhaftet worden, wo er der hübschen Tochter eines seiner Freunde eine Serenade darbrachte. Über diese Schwierigkeiten kam er allmählich hinweg, doch hielt er es bald für geratener, bis zu dem Augenblick, wo mit seinen Gläubigern ein Übereinkommen getroffen wäre, zu verschwinden. Er begab sich also nach Boulogne, um dem Vater der erwähnten jungen Dame einen Besuch abzustatten; während seines Aufenthalts daselbst überredete er ihn, sein Leben bei der Pelican Company um den Betrag von 3000 Pfund Sterling zu versichern. Kaum waren die notwendigen Förmlichkeiten erfüllt, kaum war die Police ausgestellt, so schüttete er ihm einige Strychninkristalle in den Kaffee, während sie eines Abends nach dem Speisen zusammensaßen. Durch diese Tat gewann er keinerlei materiellen Vorteil. Seine Absicht war nur, sich an der Gesellschaft, die es als erste abgelehnt hatte, ihm den Lohn seines Verbrechens auszubezahlen, zu rächen. Sein Freund starb am darauffolgenden Tag vor seinen Augen. Er reiste von Boulogne plötzlich ab, um Skizzen der malerischen Gegenden der Bretagne anzufertigen. Er war dann eine Zeitlang der Gast eines alten französischen Edelmannes, der ein wundervolles Landhaus bei St. Omer besaß. Von hier aus begab er sich nach Paris; dort hielt er sich einige Jahre auf und führte, wie die einen sagen, ein üppiges Leben, die anderen meinen, »er sei mit dem Gift in der Tasche umhergeschlichen und von allen, die ihn kannten, gefürchtet worden«. Im Jahre 1837 kehrte er heimlich nach England zurück. Ein seltsamer Zauber hatte seine Schritte in die Heimat gelenkt. Er folgte einer geliebten Frau.

Es war im Monat Juni, er hielt sich eben in einem der Hotels von Covent Garden auf. Sein Wohnzimmer war zu ebener Erde, er hatte vorsichtigerweise die Vorhänge herabgelassen, um nicht gesehen zu werden. Er hatte nämlich vor dreizehn Jahren, zu jener Zeit, wo er seine erlesene Sammlung von Majoliken und Marc Antonios anlegte, die Namen einiger seiner Kuratoren gefälscht, um solcherart in den Besitz einer Summe Geldes zu gelangen, die ihm seine Mutter hinterlassen hatte. Er wußte, daß dieser Betrug entdeckt worden war und daß er durch seine Rückkehr nach England sein Leben gefährde. Trotzdem kehrte er zurück. Soll man sich darüber wundern? Ich sagte, jene Frau war sehr schön, und überdies liebte sie ihn nicht.

Er wurde bloß durch Zufall entdeckt. Ein Lärm auf der Straße entfachte seine Aufmerksamkeit. Er zog in seinem künstlerischen Interesse am modernen Leben einen Augenblick den Vorhang auf. Da rief jemand: »Da ist Wainewright, der Fälscher!« Es war Forrester, der Geheimpolizist.

Am 5. Juli ward er nach Old Bailey geschafft. Der folgende Bericht über den Prozeß erschien in der »Times«:

»Vor den Richtern Mr. Vaughan und Mr. Baron Alderson stand Thomas Griffiths Wainewright, ein Mann von zweiundvierzig Jahren – er trägt einen Schnurrbart und macht den Eindruck eines Gentlemans –, unter der Anklage der Fälschung einer Vollmacht über einen Betrag von 2259 Pfund Sterling. Seine Absicht war, den Generaldirektor und die Gesellschaft der Bank von England zu betrügen.

Die Anklage wider den Häftling umfaßte fünf Punkte. Der Angeklagte erklärte sich beim Verhör vor Mr. Sergeant Arbin im Laufe des Vormittags in sämtlichen Punkten für nichtschuldig. Dem Gerichtshof gegenüber bat er, seine früheren Angaben widerrufen zu dürfen; er bekannte sich in zwei Punkten nebensächlicher Natur für schuldig.

Der Anwalt der Bank führte aus, es seien noch drei Anklagepunkte vorhanden, die Bank beharre aber nicht darauf, daß Blut fließe. Daher wurde die Verurteilung nur in bezug auf die beiden weniger wichtigen Fakten ausgesprochen. Die Verhandlung schloß damit, daß der ›Recorder‹ das Urteil verkündete, wonach über den Angeklagten die Strafe der Deportation auf Lebensdauer verhängt wurde.«

Man brachte ihn nach Newgate zurück, damit er sich hier für den Transport in die Kolonien vorbereite. In einem der Essays aus seiner ersten Zeit findet man eine seltsame Stelle, in der Wainewright sich vorstellt, er liege, ein zum Tode Verurteilter, im Kerker, weil er der Versuchung nicht habe widerstehen können, einige Marc Antonios aus dem Britischen Museum zur Vervollständigung seiner Sammlung zu stehlen. Das Urteil, das ihn jetzt traf, bedeutete für einen Menschen seiner Kultur gewissermaßen den Tod. Er beklagte sich darüber zu Freunden bitterlich und bemerkte, wie manche denken werden, nicht ohne Grund, das Geld sei tatsächlich sein eigen gewesen, da es ihm von seiner Mutter bestimmt gewesen sei. Ferner sei die Fälschung, wie sie nun einmal vorlag, vor dreizehn Jahren begangen worden. Dieser Umstand bilde zumindest, um seinen Ausdruck zu gebrauchen, eine » Circonstance attenuante«. Die Fortdauer der Persönlichkeit ist ein sehr subtiles Problem der Metaphysik, und unser englisches Gesetz löst dieses Problem ohne Frage auf sehr rohe und einfache Art. Es liegt aber ein dramatisches Moment in der Tatsache, daß diese schwere Strafe um einer Missetat willen über ihn verhängt wurde, die keineswegs sein ärgstes Verbrechen war, wenn man seinen verhängnisvollen Einfluß auf die moderne journalistische Prosa bedenkt.

Während seines Aufenthalts in diesem Gefängnis trafen ihn zufällig Dickens, Macready und Hablot Browne. Sie hatten eben einen Rundgang durch die Londoner Gefängnisse gemacht, um künstlerische Anregungen zu gewinnen, und in Newgate wurden sie plötzlich Wainewrights gewahr. Er blickte sie, wie uns Forster erzählt, trotzig an, doch war Macready »entsetzt, einen Mann, den er in früheren Jahren intim gekannt, bei dem er gespeist hatte, in ihm zu erkennen«.

Andere waren neugieriger; so kam es, daß seine Zelle kurze Zeit hindurch ein Treffpunkt der feinen Welt wurde. Viele Schriftsteller besuchten ihren alten Kameraden von der Feder. Er war aber keineswegs mehr der frohgemute Janus, den Charles Lamb bewundert hatte. Er scheint ganz und gar zum Zyniker geworden zu sein. Dem Agenten einer Versicherungsgesellschaft, der ihn eines Nachmittags besuchte und meinte, jetzt sei der gelegene Augenblick zu Bemerkungen von der Art wie »das Verbrechen sei doch eine verfehlte Spekulation«, antwortete er: »Sir! Ihr Geschäftsleute spekuliert und wartet das Ergebnis eurer Spekulationen ab. Einigen ist Erfolg beschieden, andere mißglücken. Meine Spekulationen sind zufälligerweise fehlgeschlagen. Ihre haben Erfolg gehabt. Das ist, mein Herr, der einzige Unterschied zwischen Ihnen, der Sie mich besuchen, und mir. Doch möchte ich Ihnen sagen, daß eins mir bis zum Schluß gelungen ist. Ich bin mein ganzes Leben entschlossen gewesen, mich als Gentleman zu zeigen. Das habe ich stets getan. Und das tue ich noch. An diesem Ort ist es Brauch, daß der Reihe nach jeden Insassen die Verpflichtung trifft, am Morgen die Zelle rein zu fegen. Meine Zellenmitbewohner sind ein Maurer und ein Straßenfeger, aber sie reichen mir niemals den Besen!« Als ihm ein Freund den an Helene Abercrombie verübten Mord vorwarf, zuckte er mit den Achseln und sagte: »Jawohl, es war fürchterlich, eine solche Tat zu begehen, aber sie hatte sehr dicke Fußknöchel.«

Von Newgate wurde er auf das Schiffsgefängnis nach Portsmouth gebracht und von hier auf der »Susanna« mit dreihundert anderen Verbrechern nach Vandiemensland transportiert. Die Reise scheint ihm furchtbar gewesen zu sein. In einem Brief an einen Freund beklagt er sich bitter über den Schimpf, der ihm, einem Genossen von Dichtern und Künstlern, dadurch angetan werde, daß man ihn mit Bauernlümmeln zusammenpferche. Daß er seine Gefährten mit einem solchen Ausdruck bezeichnete, darf uns nicht wundernehmen. Das Verbrechen entsteht in England selten aus schlechter Veranlagung. Sein Motiv ist beinahe stets der Hunger. Vermutlich war an Bord nicht ein sympathischer Zuhörer, nicht einmal eine psychologisch interessante Natur.

Seine Kunstliebe jedoch verließ ihn trotz alledem keinen Augenblick. In Hobart Town richtete er sich ein Atelier ein und begann auch wieder mit dem Skizzieren und dem Porträtmalen. Sein Gespräch, seine Manieren scheinen an Reiz nichts verloren zu haben. Auch die Gewohnheit des Vergiftens gab er nicht auf. Man berichtet von zwei Fällen, wo er den Versuch unternahm, Leute, die ihn beleidigt hatten, aus dem Weg zu räumen. Doch scheint seine Hand ihre Geschicklichkeit eingebüßt zu haben. Beide Versuche sind ihm vollkommen mißlungen. Im Jahre 1844 überreichte er, da ihm die gesellschaftlichen Zustände Tasmaniens durchaus nicht behagten, dem Gouverneur des Distrikts, Sir John Eardley Wilmot, eine Bittschrift um einen Entlassungsschein. Er bemerkt darin über sich selbst, er werde von Gedanken gequält, die nach Form und Gestaltung verlangten, es sei ihm hier ganz unmöglich, sein Wissen zu vermehren und sich in der Kunst der nutzbringenden oder auch nur gefälligen Rede zu üben. Sein Bittgesuch ward jedoch abgeschlagen, und der Genosse Coleridges fand darin seinen Trost, daß er jene wundervollen » Paradis Artificiels« niederschrieb, in deren Geheimnis nur die Opiumesser ganz eindringen. Im Jahre 1852 starb er an einem Schlaganfall; er hatte keinen anderen Gefährten um sich, als eine Katze, für die er besondere Liebe hegte. Seine Verbrechen scheinen auf seine Kunst ganz außerordentlich eingewirkt zu haben. Sie gaben seinem Stil ein streng persönliches Gepräge; eine Eigentümlichkeit, deren seine Erstlingswerke ermangelten. In einer Anmerkung zu der Lebensbeschreibung von Dickens erwähnt Forster, daß Lady Blessington von ihrem Bruder, dem Major Power, der eine militärische Stellung in Hobart Town einnahm, ein Ölporträt einer jungen Dame von Wainewrights klugem Pinsel erhalten habe. Man sagt, »er habe den Versuch gemacht, dem Bildnis eines hübschen, kindlichen Mädchens Züge seiner eigenen Verruchtheit zu geben«. Zola berichtet uns in einer seiner Novellen von einem jungen Mann, der einen Mord begangen hat und sich dann der Kunst zuwendet; er malt impressionistische Porträte sehr ehrenhafter Leute in einem grünlichen Ton, und alle haben merkwürdige Ähnlichkeit mit seinem Opfer. Die Entwicklung von Wainewrights Stil scheint mir weit mehr und weit Subtileres zu besagen. Man kann sich sehr wohl eine starke Persönlichkeit vorstellen, die aus der Sünde emporgewachsen ist.

Diese seltsame, berückende Persönlichkeit, die vor einigen Jahren das literarische London geblendet und im Leben und in unserem Schrifttum so glänzend debütiert hat, ist ohne Zweifel ein sehr fesselndes Problem wert. W. Carew Hazlitt, sein jüngster Biograph, dem ich eine Reihe von Tatsachen dieser Denkschrift verdanke – sein kleines Buch ist wirklich in seiner Art ganz unschätzbar –, vertritt die Meinung, Wainewrights Leidenschaft für Kunst und Natur seien nur affektiert gewesen; andere haben ihm alles literarische Können abgesprochen. Diese Ansicht scheint mir durchaus falsch oder wenigstens irrig. Daß jemand ein Giftmischer ist, spricht noch nicht gegen seine Prosa. Bürgerliche Tugenden bilden nicht die wahre Grundlage der Kunst, sie können nur Künstlern zweiten Ranges zur Reklame dienen.

Mag sein, daß de Quincey Wainewrights kritisches Können zu hoch gewertet hat. Ich kann die Bemerkung abermals nicht unterdrücken, daß in den Werken, die er veröffentlichte, sich manche zu alltägliche, zu gemeinplätzige Wendung findet, die – im übeln Sinn des übeln Wortes – allzu journalistisch klingt. Hier und da drückt er sich außerordentlich vulgär aus, auch ermangelt er stets der Selbstzucht des echten Künstlers. Allein, wir müssen für einige seiner Fehler die Zeit, in der er lebte, zur Verantwortung ziehn; wie dem auch sei, eine Prosa, die Charles Lamb »prächtig« nannte, ist nicht ohne historisches Interesse. Für mich unterliegt es keinem Zweifel, daß er wirkliche Liebe für Kunst und Natur empfunden hat. Es gibt keinen wesentlichen Zwiespalt zwischen Kultur und Verbrechen. Wir können nicht die ganze Weltgeschichte zu dem Zweck umschreiben, um unserer moralisierenden Empfindung, wie die Welt sein sollte, Genüge zu tun.

Natürlich steht er unserer Zeit viel zu nahe, als daß man über ihn ein rein künstlerisches Urteil gewinnen könnte. Es ist unmöglich, ein heftiges Vorurteil gegen einen Mann zu unterdrücken, der Lord Tennyson oder Mr. Gladstone hätte vergiften können. Doch vermöchten wir sehr wohl zu einer vorurteilslosen Beurteilung seiner Stellung und seines Werts zu gelangen, hätte er nur ein anderes Kleid getragen und eine andere Sprache gesprochen als wir, hätte er im Rom der Kaiserzeit oder der italienischen Renaissance oder im Spanien des siebzehnten Jahrhunderts oder in irgendeinem anderen Land, in irgendeinem anderen Jahrhundert als hierzulande und in dieser Zeit gelebt. Ich weiß, es gibt sehr viele Geschichtsschreiber oder wenigstens Schriftsteller, die geschichtliche Gegenstände behandeln, die der Meinung sind, man müsse die Geschichte mit dem Maßstabe moralischer Wertung messen; es sind Leute, die Lob und Tadel mit der gravitätischen Würde eines erfolgreichen Schulmeisters verteilen. Dies ist aber eine lächerliche Gewohnheit und bezeugt nur, daß der moralische Instinkt zu solcher Ausbildung gelangen kann, daß er überall dort erscheint, wo man seiner nicht bedarf. Kein Mensch, der wirklich historischen Sinn besitzt, denkt daran, Nero zu tadeln, Tiberius auszuschelten oder Cäsar Borgia eine Zensur zu erteilen. Diese Persönlichkeiten sind für uns Theaterfiguren geworden. Sie erfüllen uns vielleicht mit Grauen, mit Schrecken oder Verwunderung, aber sie erbittern uns nicht. Sie stehn mit uns in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Wir haben von ihnen nichts zu fürchten. Sie sind bereits in der Sphäre von Kunst und Wissenschaft hinübergegangen, und weder Kunst noch Wissenschaft kennt moralische Zustimmung oder Verwerfung. So wird es wohl auch eines Tages dem Freunde Charles Lambs ergehn. Gegenwärtig, empfinde ich, ist er uns noch zu nahe, als daß man ihn mit jener erlesenen feinsinnigen uninteressierten Neugierde betrachten könnte, der wir so manche entzückende Studie über die großen Verbrecher der italienischen Renaissance aus der Feder von John Addington Symonds, von Miß A. Mary F. Robinson, Miß Vernon Lee und anderen ausgezeichneten Autoren verdanken. Gleichwohl hat die Kunst ihn nicht vergessen. Er ist der Held von Dickens' » Hunted Down«, der Varney in Bulwers » Lucretia«. Wir stellen mit Genugtuung fest, daß die Dichtkunst dem Mann, der mit der Feder, dem Pinsel und dem Gift so gut umzugehen wußte, ihre Huldigung nicht versagt hat. Die Dichtung anzuregen, bedeutet mehr als eine bloße Tatsache.


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