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Stickerei und Spitzenkunst

Eine Kritik (Woman's World, Nov. 1888)

Lefébures » Geschichte der Stickerei und Spitzenkunst« (H. Grevel und Co.) in Alan Coles sorgfältiger Übersetzung gehört zu den fesselndsten Büchern, welche je über diesen entzückenden Gegenstand veröffentlicht worden sind. Lefébure ist einer der Administratoren des Musée des Arts Décoratifs in Paris und gleichzeitig Spitzenfabrikant; sein Werk besitzt daher nicht nur einen bedeutenden historischen Wert, sondern wird auch als Handbuch des technischen Unterrichtes allen Stickereien sehr nützlich sein. Wie der Übersetzer selbst bemerkt, wirft Lefébures Buch tatsächlich die Frage auf, ob der Einfluß der Frauen in der Kunst sich nicht eher durch Nadel und Klöppel, als durch Pinsel, Grabstichel oder Meißel geltend machen sollte. Das Feld künstlerischer Nadelarbeit wird in Europa jedenfalls unumschränkt von der Frau beherrscht, und wenige Männer würden ihr das Recht streitig machen wollen, jene zierlichen Werkzeuge zu handhaben, welche der Gewandtheit ihrer schnellen, schlanken Finger so angemessen sind.

Auch ist nach Alan Coles Meinung gar kein Grund vorhanden, warum die Erzeugnisse der Stickerei nicht mit denen der Malerei, des Kupferstechens und der Bildhauerei auf eine Stufe gestellt werden sollten, obwohl stets scharf unterschieden werden muß zwischen den bloß dekorativen Künsten, die ihren eigenen Stoff verherrlichen, und den mehr auf der freien Einbildungskraft beruhenden Künsten, welche den Stoff sozusagen vernichten, um ihn in der Schöpfung einer neuen Form aufgehen zu lassen.

Was die Verschönerung des modernen Heims betrifft, so muß man sicherlich zugeben – und diese Tatsache sollte wirklich allgemeiner anerkannt werden –, daß reiche Stickereien an Wandbekleidungen, Gardinen, Portieren und Überwürfen und dergleichen eine weit kräftigere dekorative und künstlerische Wirkung erzielen, als unsere einigermaßen langweilige landläufige Gepflogenheit, die Mauern mit Gemälden und Kupferstichen zu bedecken; auch hat das beinahe völlige Verschwinden der Stickerei an den Kleidern die moderne Gewandung um eines der Hauptelemente der Anmut und der Phantasie gebracht.

Daß die englische Stickerei immerhin in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren große Fortschritte aufzuweisen hat, kann meines Erachtens nicht abgeleugnet werden. Dies verrät sich nicht nur in der Arbeit einzelner Künstler, wie Mrs. Holiday, Miß May Morris und anderer, sondern auch in den bewunderungswürdigen Erzeugnissen der South-Kensington-Fachschule für Stickerei (der besten – sozusagen der einzigen guten Fachschule, welche South-Kensington hervorgebracht hat).

In Lefébures Buch blätternd, ist man angenehm berührt, darin bloß den alten Überlieferungen vorzeitiger englischer Kunst zu folgen. Im siebenten Jahrhundert opferte St. Ethelreda, die erste Äbtissin des Klosters Ely, dem heiligen Cuthbert kirchliche Gewänder, die sie mit Gold und Edelsteinen bestickt hatte, und der in Durham aufbewahrte Chorrock und die Armbinde St. Cuthberts gelten als mustergültiges opus Anglicanum. Im Jahre 800 verlieh der Bischof von Durham das Einkommen eines Landgutes von zweihundert Morgen einer Stickerin, namens Eanswitha für Lebenszeit dafür, daß sie die kirchlichen Gewänder der Geistlichkeit seiner Diözese in gutem Zustande erhielt. König Alfreds Schlachtstandarte wurde von dänischen Prinzessinnen gestickt, und der Angelsachse Gudric gab Alcuid ein Stück Landes unter der Bedingung, seine Tochter in Handarbeiten zu unterweisen. Königin Mathilde vermachte der Abtei der heiligen Dreieinigkeit in Caen eine Tunika, die in Winchester von der Gattin eines Ratsherrn gestickt war; und als sich Wilhelm nach der Schlacht von Hastings den englischen Edelleuten zeigte, trug er einen Mantel, den angelsächsische Stickereien bedeckten. Wie Lefébure annimmt, ist es derselbe, der im Inventar der Kathedrale von Bayeux erwähnt wird, wo nach der Einleitung, die sich auf die broderie à telle bezieht (Englands Eroberung darstellend), zwei Mäntel beschrieben werden – einer von König Wilhelm »ganz aus Gold, mit goldenen Kreuzen und Blüten übersät, und längs des untersten Saumes mit einer Goldborte von Figuren geschmückt.« Das prächtigste Muster des opus Anglicanum, das wir noch besitzen, ist natürlich der Syonische Chorrock des South-Kensington-Museums. Aber der Ruhm englischer Arbeiten scheint sich über den ganzen Kontinent verbreitet zu haben. So sehr bewunderte Papst Innozenz IV. die herrlichen Gewänder, welche die englische Geistlichkeit im Jahre 1246 trug, daß er ähnliche Stücke in den Zisterzienserklöstern Englands bestellte. Der kunstverständige englische Mönch St. Dunstan war als Zeichner von Stickereien bekannt, und die Stola St. Thomas à Beckets wird noch in der Kathedrale von Sens aufbewahrt und weist dieselben verschlungenen Schneckenformen auf, welche von den angelsächsischen Manuskript-Illuminierern benützt wurden.

Inwiefern die moderne künstlerische Wiedergeburt reicher und zarter Stickereien Frucht tragen wird, hängt natürlich fast ausschließlich von der Energie und dem Eifer ab, mit dem die Frauen sich dieser Kunst widmen wollen.

Aber nach meiner Meinung muß man zugeben, daß alle dekorativen Künste in Europa gegenwärtig mindestens ein Element der Kraft aufweisen – nämlich den unmittelbaren Zusammenhang mit den dekorativen Künsten Asiens. Überall wo wir in der Geschichte Europas einem Aufblühen der dekorativen Kunst begegnen, ist dies fast stets dem morgenländischen Einfluß und der Berührung mit den morgenländischen Völkern zuzuschreiben. Mehr als einmal ist unsere eigene entschieden intellektuelle Kunst bereit gewesen, wahrhafte dekorative Schönheit entweder der bloß nachbildenden Darstellung oder einem idealen Prinzip zu opfern. Sie hat die Bürde des Ausdrucks auf sich genommen und strebte danach, die Geheimnisse der Gedanken und der Leidenschaften zu deuten. In ihrer wunderbaren Darstellungstreue hat sie ihre Stärke gefunden, und doch liegt auch hier ihre Schwäche! Nie wird die Kunst das Leben ungestraft zu spiegeln suchen. Weiß sich die Wahrheit an denen zu rächen, die ihr nicht folgen, so ist sie oft unbarmherzig gegen ihre Jünger. In Byzanz trafen sich die beiden Künste – die griechische Kunst mit ihrem vergeistigten Formensinn und ihrem lebendigen Gefühl für die menschliche Natur und die morgenländische Kunst mit ihrem prächtigen Materialismus, ihrem freimütigen Verwerfen bloßer Nachbildung, ihren wundervollen Geheimnissen der Fertigkeit und Farbenkraft, ihren herrlichen Geweben, ihren seltenen Metallen und Juwelen, ihren wunderbaren und unschätzbaren Überlieferungen. Sie waren sich allerdings früher schon begegnet, aber in Byzanz vermählten sie sich einander; und der heilige Baum der Perser, die Palme Zoroasters, wurde in den Saum abendländischer Gewänder gestickt. Sogar die Ikonoklasten, diese Philister der Kirchengeschichte, welche so seltsam gegen die Schönheit wüteten, wie das bloß unter den europäischen Völkern vorzukommen scheint und sich gegen das Wunder und die Pracht der neuen Kunst empörten, förderten eben dadurch die Weiterverbreitung ihrer Geheimnisse; und im Liber Pontificalis, das 687 von Athanasius, dem Bibliothekar, geschrieben wurde, lesen wir, wie prunkhafte Stickereien nach Rom zuströmten, die von Männern aus Griechenland und Konstantinopel verfertigt worden waren.

Das Vordringen der Muselmänner gab der dekorativen Kunst in Europa eine neue Richtung – gerade jener Grundzug ihrer Religion, welche die wirkliche Darstellung irgendwelcher natürlichen Gegenstände verbot, war für sie von größtem künstlerischen Wert (obwohl dieser Grundsatz natürlich nicht peinlich eingehalten wurde). Die Sarazenen führten in Sizilien die Kunst ein, seidene und goldene Stoffe zu weben; und von Sizilien breitete sich die Verfertigung schöner Stoffe nach Norditalien aus und wurde in Genua, Florenz, Venedig und anderen Städten heimisch. Eine noch größere Kunstbewegung griff in Spanien unter den Mauren und Sarazenen um sich, welche Arbeiter von Persien herüberbrachten, damit diese schöne Dinge für sie verfertigten. Lefébure berichtet, daß persische Stickerei bis nach Andalusien vordrang, und Almeria besaß gleich Palermo sein Hotel des Tiraz, das mit dem Hotel des Tiraz in Bagdad wetteiferte – tiraz ist nämlich der allgemeine Name für ornamentale Gewebe und für Gewänder, welche aus solchen hergestellt wurden. Flitter (jene hübschen kleinen Scheibchen aus Gold, Silber oder poliertem Stahl, die man zu gewissen Stickereien verwendet, um ein zierliches Glitzern zu erzielen) sind eine sarazenische Erfindung; und arabische Buchstaben wurden öfters in den Inschriften gestickter Gewänder und mittelalterlicher Teppiche an Stelle römischer gesetzt, da sie viel dekorativer wirkten.

Das Handwerksbuch von Etienne Boileau, dem Vorsteher der Kaufleute in den Jahren 1258 bis 1268, enthält eine interessante Aufzählung der verschiedenen Handwerksgilden von Paris, dazu gehören »die tapiciers, oder Verfertiger der tapis sarrasinois (oder Sarazenischen Gewebe), die besagen, daß ihr Gewerbe allein der Kirche, oder großen Herren, wie Könige und Grafen, dient«; und tatsächlich weisen sogar heutzutage fast alle unsere Ausdrücke, die dekorative Gewebe und deren Herstellung beschreiben, auf morgenländischen Ursprung hin.

Was die feindlichen Einfälle der Mohammedaner für Sizilien und Spanien bedeuteten, das bedeutete die Rückkehr der Kreuzfahrer für die andern Gegenden Europas. Die Edelleute, die in Stahl und Eisen gepanzert nach Palästina aufbrachen, kehrten in den kostbaren Geweben des Ostens zurück; und ihre Gewänder, Beutel ( aumonières sarrasinoises) und Schabracken erregten die Bewunderung heimischer Nadelarbeiter. Mathias Paris berichtet, daß bei der Plünderung Antiochias Gold, Silber und unschätzbare Gewänder unter allen Kreuzfahrern so vollauf verteilt wurden, daß viele, die nachts vorher Hunger litten und um Unterstützung flehten, sich plötzlich mit Reichtum überschüttet sahen. Und Robert de Clair erzählt von den wundervollen Festen, welche der Eroberung Konstantinopels folgten. Wie Lefébure hervorhebt, zeichnet sich das dreizehnte Jahrhundert durch eine sichtlich zunehmende Nachfrage nach Stickereien aus. Viele Kreuzfahrer opferten den Kirchen einen Anteil der Beute, die sie aus Palästina mitbrachten. Als der heilige Ludwig vom ersten Kreuzzug heimkehrte, stattete er in St. Denis dem Herrn Danksagungen ab für die Gnaden, die ihm während seiner sechsjährigen Abwesenheit und Reise zuteil wurden, und spendete einige reichgestickte Stoffe. Diese sollten bei festlichen Gelegenheiten zum Schmuck der Schreine dienen, welche die Reliquien heiliger Männer bargen.

Nachdem die Stickerei in Europa neues Material und wundervolle Methoden erhalten hatte, entwickelte sie sich in ihrer eigenen intellektuellen und nachbildenden Richtung und näherte sich in der Folge immer mehr dem rein Bildhaften; sie suchte der Malerei gleichzukommen und war bestrebt, Landschaften und Figuraldarstellungen mit sorgsam ausgearbeiteter Perspektive und zarter Lichtwirkung zu schaffen. Ein neuer morgenländischer Einfluß machte sich nichtsdestoweniger durch die Niederländer, die Portugiesen und die berühmte Kompagnie des Grandes Indes geltend, und Lefébure bringt die Abbildung einer Portiere, die sich jetzt im Museum von Cluny befindet, und in welcher wir französische fleurs-de-lys mit indischen Ornamenten vereint finden. Die Wandteppiche von Madame de Maintenons Zimmer in Fontainebleau, welche in St. Cyr gestickt wurden, stellten chinesische Landschaften auf jonquillegelbem Grund dar.

Kleidungsstücke wurden zugeschnitten nach dem Osten gesandt, um gestickt zu werden, und viele der entzückenden Röcke aus dem Zeitalter Ludwigs XV. und Ludwigs XVI. verdanken ihren zierlichen Schmuck chinesischer Nadelkunst. Heutzutage macht sich der morgenländische Einfluß stark geltend. Persien hat uns seine Teppiche als Muster gesandt, Kaschmir seine entzückenden Schals und Indien seine zarten Musseline, welche mit goldgefiederten Palmen durchwoben und mit schillernden Käferflügeln übersät sind. Wir beginnen jetzt nach morgenländischem Verfahren zu färben, und die seidenen Gewänder Chinas und Japans haben uns neue Wunder an Farbenharmonien und neue Feinheiten schöner Zeichnung gelehrt. Ob wir bereits gelernt haben, das, was wir erworben, auch dementsprechend zu verwerten, ist nicht ganz so sicher. Wenn Bücher überhaupt einen Einfluß ausüben können, sollten wir uns, durch Lefébures Buch angeregt, sicherlich mit vertieftem Interesse der Frage der Stickerei zuwenden, und die, welche bereits mit der Nadel arbeiten, werden darin eine Fülle fruchtbarer Winke und höchst vortrefflicher Belehrungen finden.

Es ist sogar unterhaltend, von den wunderbaren Stickereien bloß zu lesen, welche in längstvergangenen Zeitaltern verfertigt wurden. Einige wenige Bruchstücke griechischer Stickerei aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. sind bis auf uns gekommen. Eines ist in Lefébures Buch abgebildet, eine Kettenstichstickerei von gelbem Flachs auf maulbeerfarbenem Kammwollenstoff, mit zarten Schneckenwindungen und Palmenmustern; und ein zweites, eine Tapisserie mit Enten brachte die » Woman's World« vor einigen Monaten Im September 1888. zu einem Artikel Alan Coles.

Hin und wieder findet sich in ägyptischen Gräbern ein Stück kostbarer, alter Arbeit. Im Regensburger Schatz wird ein Muster byzantinischer Stickerei aufbewahrt, welches Kaiser Konstantin auf einem weißen Zelter darstellt, die Huldigung des Morgen- und des Abendlandes entgegennehmend. Metz besitzt einen rotseidenen Chorrock, der mit großen Adlern bestickt ist, ein Geschenk Karls des Großen, und Bayeux das mit der Nadel verfertigte Epos der Königin Mathilde. Aber wo bleibt das weite krokusfarbene Gewand, das für Athene gewoben wurde, auf welchem die Götter gegen die Riesen kämpften? Wo ist das ungeheuere Velarium, das Nero durch das Kolosseum in Rom spannte, welches den Sternenhimmel abbildete und Apollo in einem mit Hengsten bespannten Wagen? Wie gerne möchte man die seltsamen Tafeltücher sehen, die für Heliogabalus verfertigt wurden, auf welchen man alle Leckerbissen und Gerichte zur Schau stellte, die man für ein Fest benötigen konnte; oder das Bahrtuch des Königs Chilperich mit seinen dreihundert goldenen Bienen; oder die phantastischen Gewänder, welche den Unwillen des Bischofs von Pontus erregten und welche bestickt waren mit »Löwen, Panthern, Bären, Hunden, Wäldern, Felsen, Jägern – allem in der Tat, was die Maler dem Leben nachbilden können.« Karl von Orleans besaß einen Rock, auf dessen Ärmel die Verse eines Liedes gestickt waren, das anhub: » Madame, je suis tout joyeux.« Die Musikbegleitung zu den Worten war in goldenen Fäden gearbeitet, und jede Note (damals von viereckiger Form) war aus vier Perlen geformt Vgl. Das Bildnis des Dorian Gray, Kap. XI.. Das Gemach, das man für die Königin Johanna von Burgund im Palast zu Rheims vorbereitete, war geschmückt mit »dreizehnhunderteinundzwanzig gestickten papegauts (Papageien) und mit des Königs Wappen, sowie mit fünfhunderteinundsechzig Schmetterlingen, deren Flügel in gleicher Weise mit dem Wappen der Königin geziert waren – alles aus feinem Golde gearbeitet«. Katharina von Medicis besaß ein Trauerlager »aus schwarzem, perlengesticktem Samt, mit Mondsicheln und Sonnen übersät«. Die Vorhänge waren aus Damast »mit Blattgewinden und Girlanden auf Gold- und Silbergrund, und am Saume mit Perlenstickereien besetzt.« Es stand in einem Gemach, dessen Wände reihenweise mit den Wappenbildern der Königin in ausgeschnittenem schwarzen Samt auf Silberstoff behangen waren.

Ludwig XIV. hatte in seinem Gemach goldgestickte Karyatiden von fünfzehn Fuß Höhe. Das Paradebett des Polenkönigs Sobieski war aus smyrnischem Goldbrokat mit Koranversen in Türkisen und Perlen, sein Baldachin bestand aus vergoldetem Silber von wundervoll getriebener Arbeit und reichlich mit emaillierten und juwelenbesetzten Medaillons verziert. Er hatte es aus dem Türkenlager vor Wien mitgenommen, und die Fahne Mohammeds hatte darunter gestanden. Die Herzogin de la Ferté trug ein rötlich braunes Samtkleid, dessen graziös geraffter Schoß von großen Schmetterlingen aus Meißner Porzellan emporgehalten wurde: die Vorderseite bildete ein Tablier aus Silberstoff, auf welchem in pyramidenförmiger Gruppe ein Musikorchester gestickt war, das aus sechs Reihen Spielern nebst Musikinstrumenten bestand, alles in erhabener Nadelarbeit verfertigt. »In die Nacht gehen alle ein – –«, wie Henley in seiner entzückenden » Ballad of Dead Actors« singt.

Viele der Tatsachen, welche Lefébure über die Stickereigilde mitteilt, sind ebenfalls ungemein interessant. In seinem vorhin erwähnten Handwerksbuch erzählt Etienne Boileau, daß es einem Mitglied der Gilde verboten war, Gold zu gebrauchen, unter »acht Sous (ungefähr 6 Mark) den Strähn, er mußte die beste Seide benützen und durfte nie der Seide Zwirn beimengen, weil solches die Arbeit verfälsche und schlecht mache.« Das Probe- oder Meisterstück, das man von dem Sohne eines Stickereiinnungsmeisters forderte, war »eine einzelne Gestalt, ein Sechstel der natürlichen Größe in Gold abzuschattieren«, während man von einem Arbeiter, der nicht Sohn eines Stickereiinnungsmeisters war, »eine ganze Begebenheit mit vielen Gestalten« verlangte. Das Handwerksbuch nennt auch »Bilderausschneider, Schablonendrucker und Illuminierer« unter denen, welche das Gewerbe der Stickerei beschäftigt. Im Jahre 1551 gab die Pariser Zunft der Kunststicker Anweisung, daß »künftighin bei Darstellung nackter Gestalten und Gesichter drei oder vier Abstufungen fleischfarbig gefärbter Seide anzuwenden seien, und nicht weiße Seide, wie bisher«.

Im fünfzehnten Jahrhundert wurden in jedem vornehmeren Haushalt die Dienste eines Kunststickers gedungen, der das ganze Jahr hindurch arbeiten mußte. Auch die Bereitung der Farben, sei es, daß sie zum Malen dienten oder zum Färben des Fadens und der Gewebe, wurde, wie Lefébure hervorhebt, im Mittelalter von den Künstlern mit Sorgfalt betrieben. Viele unternahmen weite Reisen, um noch vortrefflichere Rezepte zu erlangen, welche sie aufbewahrten und später vermehrten oder verbesserten, wie die Erfahrung sie lehrte. Auch fanden es die großen Künstler nicht unter ihrer Würde, Musterzeichnungen für Stickereien zu machen.

Raffael verfertigte Zeichnungen für Franz I. und Boucher für Ludwig XV., und die Ambras-Sammlung in Wien besitzt eine herrliche Garnitur kirchlicher Gewänder nach Zeichnungen der Brüder Van Eyck und ihrer Schüler. Schon im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts wurden Bücher mit Stickereimustern hergestellt, und ihr Erfolg war so groß, daß nach wenigen Jahren französische, deutsche, italienische, flandrische und englische Herausgeber umfangreiche Musterbücher verbreiteten, welche ihre besten Kupferstecher verfertigten. Um den Zeichnern die Möglichkeit zu bieten, direkt von der Natur zu lernen, eröffnete Jean Robin im selben Jahrhundert einen Garten mit Gewächshäusern, in welchen er seltsame Pflanzengattungen zog, die dazumal in unseren Breiten nur wenig bekannt waren. Die prächtigen Brokate und Damaste jener Zeit zeichnen sich aus durch die Einführung großer Blumenmuster mit Granatäpfeln und anderen Früchten mit zartem Blattwerk.

Der zweite Teil von Lefébures Buch ist der Geschichte der Spitzen gewidmet, und, obwohl ihn manche nicht ganz so fesselnd finden werden als den vorhergehenden, wird er einen Einblick reichlich lohnen; und die, welche sich noch mit jener zarten, anmutigen Kunst beschäftigen, werden viele wertvolle Winke darin finden, sowie auch eine große Anzahl außerordentlich schöner Zeichnungen. Im Vergleich zur Stickerei erscheint die Spitze verhältnismäßig modern. Lefébure und Alan Cole berichten uns, daß kein zuversichtlicher und beglaubigter Nachweis erbracht werden kann, der das Bestehen der Spitze vor dem fünfzehnten Jahrhundert verbürgt. Natürlich wurden im Orient leichte Gewebe, wie Gaze, Musselins und Netze, sehr frühzeitig verfertigt und nach Art der späteren Spitzen zu Schleiern und Schärpen benützt. Die Frauen verzierten sie mit Stickereien und brachten Abwechslung in die Klarheit des Gewebes, indem sie hier und da Fäden auszogen. Die Fäden der Fransen scheinen auch geflochten und zusammengeknüpft worden zu sein, und der Saum einer der vielartigen römischen Togas zeigt ein offenes, netzförmiges Gewebe. Das ägyptische Museum im Louvre besitzt eine merkwürdige Netzarbeit, die mit Glaskügelchen geschmückt ist, und der Mönch Reginald, der im dreizehnten Jahrhundert an der Grufteröffnung des heiligen Cuthbert in Durham teilnahm, schreibt, daß des Heiligen Bahrtuch eine Franse von zollangen Leinenfäden hatte, mit einer Borte darüber, welche »auf den Fäden gearbeitet war«, mit Abbildungen von Vögeln und Tierpaaren, und außerdem befand sich zwischen jedem solchen Paar ein Baum mit ausgebreitetem Gezweige, ein Überbleibsel der Palme Zoroasters, die ich vorhin schon erwähnte. Übrigens wollen unsere Autoren in diesen Beispielen nicht die Spitze erkennen, deren Herstellung ein bedeutend verfeinertes und kunstvolleres Verfahren erheischt und ebensowohl einen erhöhten Grad der Gewandtheit als auch stete Abwechslung der Ausführung voraussetzt. Unseres Wissens ist der Ursprung der Spitze wahrscheinlich in der Gewohnheit zu suchen, Leinwand mit Stickereien zu schmücken. Wie Lefébure bemerkt, gewinnt weiße Stickerei auf Leinwand ein kaltes und eintöniges Aussehen; die mit bunten Fäden hergestellte macht einen lebhafteren und freundlicheren Eindruck, verblaßt aber bei häufigem Waschen; hingegen besitzt weiße Stickerei, in welcher offene Gitter im Leinengrund abwechseln mit Mustern, die aus demselben geschnitten sind, einen ganz neuartigen Reiz. Und auf diese Empfindung ist wohl das Entstehen einer Kunst zurückzuführen, deren Ergebnis einen glücklichen Kontrast herstellte zwischen ornamentalen Bildungen im festen Stoff und anderen in durchbrochener Arbeit.

Bald auch kam der Gedanke auf, daß es besser wäre, anstatt aus fester Leinwand mühevoll Fäden auszuziehen, nadelverfertigte Muster in einem offen genetzten Grund einzuführen, welchen man Lacis benannte. Von dieser Art Stickerei sind viele Muster vorhanden. Das Cluny-Museum besitzt eine leinene Kappe, die Karl V. gehört haben soll; desgleichen wird eine leinene Alba in durchbrochener Arbeit, deren Herstellung man Anna von Böhmen (1527) zuschreibt, in der Kathedrale von Prag verwahrt. Katharina von Medici hatte ein Bett, das mit Feldern aus réseuil oder lacis geschmückt war, und es wird berichtet, daß »die Hoffräuleins und Dienerinnen ihres Haushaltes viel Zeit verbrauchten, um Felder von réseuil herzustellen.«

Die interessanten Musterbücher für à jour-Stickerei, deren erstes im Jahre 1527 von Peter Quinty in Köln herausgegeben wurde, gewähren uns die Möglichkeit, die einzelnen Übergangsstufen von weißer Durchbrucharbeit zur genähten Spitze zu verfolgen. Wir begegnen darin einer Abart von Nadelarbeit, welche im Gegensatz zur Stickerei nicht auf festem Untergrund hergestellt ist. Es ist dies tatsächlich echte Spitze, wie »in der Luft« verfertigt, und sowohl der Untergrund als das Muster wurden von Spitzenklöpplern ausgeführt.

Die allgemeine Anwendung der Spitzen für Gewänder wurde natürlich durch die Mode der Rüschen und der sie begleitenden Handkrausen sehr gefördert. Katharina von Medici berief einen gewissen Frederic Vinciolo aus Italien, um Rüschen und Tellerkrausen herzustellen, deren Mode sie in Frankreich aufbrachte. Und Friedrich III. war mit Bezug auf seine Rüschen so übertrieben heikel, daß er seine Hand- und Halskrausen lieber selbst bügelte und kräuselte, damit ihre Falten ja nicht schlapp und formlos wären. Auch die Musterbücher gaben der Kunst einen bedeutenden Ansporn. Lefébure erwähnt deutsche Bücher mit Mustern von Adlern, heraldischen Emblemen, Jagddarstellungen und Pflanzen und Blättern aus der nordischen Flora, desgleichen italienische Bücher, in welchen die Motive aus Oleanderblüten bestehen und zierlichen Gewinden und Schnörkeln, Landschaften mit mythologischen Darstellungen und Jagdbegebenheiten, die weniger realistisch waren als die des Nordens, Faune, Nymphen und pfeilschießende Amoretten darstellten. Bezüglich dieser Muster hebt Lefébure eine merkwürdige Tatsache hervor. Das älteste Gemälde, das Spitzen abbildet, ist das Porträt einer Dame von Carpaccio, welche um das Jahr 1523 gestorben ist. Die Manschetten dieser Dame sind mit einer schmalen Spitze umsäumt, deren Muster in Vecellios » corona« sich wiederholt, einem Buche, das erst im Jahre 1591 herausgegeben wurde. Man bediente sich dieses besonderen Musters also wenigstens achtzig Jahre, bevor es mit anderen veröffentlichten Mustern in Umlauf kam.

Übrigens gewannen die Spitzen erst im siebzehnten Jahrhundert ein unabhängiges Gepräge und eine Individualität, und Duplessis stellt fest, daß die Verfertigung der bemerkenswerteren Spitzen einer früheren Periode mehr dem Einfluß der Männer als jenem der Frauen zu verdanken ist. Unter der Regierung Ludwigs XIV. wurden die prächtigsten Spitzen mittels der Nadel hergestellt, die Venezianerspitzen machten die Umwandlung mit, und es entstanden die Points d'Alençon, d'Argenton, de Bruxelles und d' Angleterre. Der König wollte mit Hilfe Colberts Frankreich womöglich zum Mittelpunkte der Spitzenerzeugung machen; zu diesem Zweck ließ er sowohl aus Venedig als auch aus Flandern Arbeiter holen. Dem Studium der Gobelins entlehnte man Mustervorlagen. Die Stutzer hatten ihre kolossalen Jabots oder Bäffchen, welche unter dem Kinn über die Brust fielen, und die vornehmen Prälaten, wie Bossuet und Fénélon, trugen ihre wundervollen Alben und Rochets. Bezüglich eines Kragens, der in Venedig für Ludwig XIV. verfertigt wurde, erzählt man, daß die Spitzenklöppler, die nicht genügend feines Roßhaar aufzutreiben vermochten, statt dessen von ihrem eigenen Haar nahmen, um die erstrebte wundervolle Zartheit der Arbeit zu erzielen.

Als Venedig im achtzehnten Jahrhundert die Erfahrung machte, daß man leichtere Spitzen bevorzugte, schickte es sich an, Rosenspitzen zu verfertigen; am Hofe Ludwigs XV. wurde die Wahl der Spitzen durch eine noch sorgfältigere Etikette geregelt. Die Revolution indessen richtete viele der Fabrikanten zugrunde. Alençon hielt stand, und Napoleon unterstützte es und suchte die alten Vorschriften zu erneuern, welche das Tragen von Spitzen bei Hoffestlichkeiten vorschrieben.

Ein herrliches Stück Spitze, mit heraldischen Bienen übersät, im Werte von vierzigtausend Franks wurde bestellt. Man begann es für die Kaiserin Josefine, doch während seiner Verfertigung wurde ihr Wappen mit dem Marie Louisens vertauscht. Lefébure schließt seine fesselnden Ausführungen, indem er sehr klar seinen Standpunkt gegenüber den Maschinenspitzen darlegt. »Es wäre ohne Zweifel ein Verlust für die Kunst,« sagt er, »wenn man die Spitzen nicht mehr mit der Hand verfertigte, denn die Maschinen, so geschickt sie auch ausgedacht sein mögen, können nicht mit der menschlichen Hand wetteifern. Was sie uns liefern, sind die Ergebnisse bestimmter Verfahren, nicht die Schöpfungen künstlerischer Handarbeit. Wo die äußerliche Berechnung das persönliche Gefühl verdrängen will, hört die Kunst auf; sie hört auf, wo sich keine Spur entdecken läßt, daß der Verstand die Arbeitskraft leitet, deren Unsicherheit sogar noch einen besonderen Reiz besitzt. Wohlfeilheit ist nie anzuempfehlen in bezug auf Dinge, die nicht absolute Notwendigkeiten sind; sie setzt den künstlerischen Maßstab herunter.« Das sind bewunderungswürdige Bemerkungen, und mit ihnen nehmen wir Abschied von diesem fesselnden Buche mit seinem reizenden Bilderschmuck, seinen entzückenden Anekdoten und ausgezeichneten Belehrungen. Alan Cole hat sich den Dank aller verdient, die sich für die Kunst interessieren, daß er dieses Buch in einer so anziehenden und so wenig kostspieligen Form dem Publikum zugänglich gemacht hat.


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