Christoph Martin Wieland
Vorbericht
Christoph Martin Wieland

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Es ist eine wunderliche Sache um die Selbsttäuschungen des menschlichen Herzens. Wenn Falkenberg entschlossen war (und er war es wirklich), der schönen Haldenstein keine Gewalt weder über sein Herz noch über seine Leber einzuräumen, warum hatte er nichts Angelegneres, als sich am folgenden Morgen auf einer mit ihrem Bleistift beschriebenen Karte zu erkundigen, wann es ihr gelegen sei, seinen Besuch anzunehmen? Das sonderbarste indessen war, daß sein Bedienter auf halbem Wege der Kammerjungfer des Fräuleins in die Hände lief, die den Auftrag hatte, ihrer Dame die Gesellschaft seines Herrn beim Frühstück auszubitten.

Falkenberg erschrak beinahe über dieses beständige Zusammentreffen und würde etwas verlegen vor dem Fräulein erschienen sein, wenn sie ihm Zeit dazu gelassen hätte. »Die Augenblicke«, sagte sie, »da wir uns zu Erlebach sahen, schlüpften so schnell vorbei, daß es unbillig gegen uns selbst wäre, wenn wir den Wunsch, uns näher zu kennen, der uns vermutlich beiden gemein war, nicht befriedigen wollten, da uns der Zufall zum zweitenmal Gelegenheit dazu macht.« Falkenberg beantwortete diese Artigkeit, wie es einem höflichen und wackern Ritter zusteht.

Nach einigen andern Reden, die zu Anfang eines Gesprächs unter vier Augen die Stelle des Räusperns vertreten, sagte das Fräulein: »Gestehen Sie, Herr von Falkenberg, daß Sie nicht wußten, wofür Sie mich halten sollten, da Sie mich den ganzen Kram der wandernden Handelsfrau so hurtig unter die gesamte Bettlerschaft von Erlebach und der umliegenden Gegend austeilen sahen. Daß es nicht aus sogenannter Empfindsamkeit oder romanenmäßiger Wohltätigkeit geschah, werden Sie mir leicht abgemerkt haben.«

»Im ersten Augenblick stutzte ich allerdings«, versetzte Falkenberg, weil er nicht gleich fand, was er antworten sollte; »aber...«

»Das hätten Sie wohl nicht gedacht«, unterbrach sie ihn, »daß Sie selbst das ganze Verdienst von meinem guten Werke haben? Denn der Einfall kam mir erst, wie ich sah, daß Sie mich für die Krämerin hielten. Übrigens war die Sache eine Kleinigkeit. Der ganze Kram war mit dreihundert Gulden ausgekauft, und ich schäme mich beinahe, daß die blinde Göttin so verschwenderisch gegen ein verdienstloses Mädchen gewesen ist, daß ich zehnmal soviel verlieren oder wegwerfen kann, ohne ärmer dadurch zu werden. Glauben Sie indessen nicht, daß dergleichen plötzliche Anwandlungen etwas Gewöhnliches bei mir sind. Ich bin zwar, leider! wie das einzige Töchterchen eines geldreichen Hauses erzogen und ganz und gar nicht gewöhnt worden, einen anderm Willen zu haben als meinen eignen; aber die Natur ist so gütig gewesen, dafür zu sorgen, daß ich selten etwas will, das ich nicht sollte; und, einige unschuldige Grillen abgerechnet«, setzte sie lächelnd hinzu, »gelte ich unter meinen Bekannten, ohne Ruhm zu melden, für eine ziemlich räsonable Person.«

»Wenn Sie meinen Vorwitz nicht unbescheiden finden«, sagte Falkenberg, »so möchte ich wohl wissen, was für Grillen das sind, welche Sie nicht geneigt scheinen Ihrer eignen Vernunft aufzuopfern?«

Das Fräulein schien sich einen Augenblick zu besinnen. »Zum Beispiel«, erwiderte sie mit einer spitzfindig naiven Miene, die ihr unbeschreiblich reizend läßt, »nennen Sie das etwa nicht Grille, daß mich zuweilen in ganzem Ernst die Lust anwandelt, mein ganzes Vermögen wegzuschenken oder, wie Madame Scarron-Maintenon, ein deutsches Saint-Cyr zu stiften?«

»In der Tat, mein Fräulein«, sagte Falkenberg, »Sie sind, denke ich, die erste, die in Ihrer Lage von einer solchen Grille geplagt wird.«

»Da ich einmal im Beichten bin«, fuhr das Fräulein fort, »so will ich Ihnen offenherzig bekennen, wie es mit mir ist, und Sie werden finden, daß meine Vernunft mehr Anteil an dieser Grille hat, als Sie sich vielleicht vorstellen. Ich gestehe Ihnen also – und wenn ich dabei erröte (sie errötete wirklich bis an die Ohrläppchen), so setzen Sie es nicht auf meine Rechnung, denn in der Tat ist hier gar kein Grund, warum ein ehrliches Mädchen schamrot werden sollte –, ich gestehe ihnen also, Herr von Falkenberg, ich werde, wie die Tochter Jephthahs, zu ewiger Beweinung meiner Jungfrauschaft verdammt sein, wenn ich nicht Mittel finde, um etliche Millionen ärmer zu werden. Denn ich bin unwiderruflich entschlossen, nicht zu heiraten, bis ich gewiß bin, daß der Mann, den ich wähle, nicht meine Millionen, sondern mich selbst liebt; und wie könnte ich je zu dieser Gewißheit kommen, solange ich solche Gewichte an mir hängen habe?«

»Ich begreife diese Wirkung Ihres Zartgefühls um so leichter«, sagte Falkenberg, »da ich von einer ähnlichen Grille, wenn Sie es so nennen wollen, besessen bin. Ich bin zwar für einen jungen Mann meines Standes nicht reich; aber eher würde ich, wie Diogenes und Menippus, von Wolfsbohnen und Wurzeln leben, als eine Frau mit großem Vermögen heiraten, wenn sie gleich so liebenswürdig wäre, daß ich mich durch den Besitz ihrer Person für den glücklichsten aller Sterblichen halten müßte.«

»Ist dies Ihr Ernst, Herr von Falkenberg?«

»Sie würden keinen Augenblick daran zweifeln, wenn ich die Ehre hätte, näher von Ihnen gekannt zu sein.«

»Wären Sie vielleicht nicht abgeneigt, diese Ehre zu haben?« sagte sie mit der besagten Miene, mit welcher sie einem Manne das Herz (vorausgesetzt, daß er eines hat) so sicher und unvermerkt wegstiehlt, daß er keine Zeit hat, sich in acht zu nehmen.

»Ich würde stolz darauf sein«, sagte Falkenberg, »wenn Sie mir erlaubten, mich um Ihre Freundschaft zu bewerben.«

»Wenn dies, wie ich mir schmeichle, keine Höflichkeitsformel ist...«

»Es ist das reine Gefühl meines Herzens.«

»Ich glaube Ihnen; und in der Tat, wenn jemals ein Mann von sechs- oder achtundzwanzig, wie Sie zu sein scheinen, und ein Mädchen von einundzwanzig, wie Ihre Dienerin, durch Sympathie der Sinnesart und ein gewisses Einverständnis ihrer Sterne, welche sie immer ohne Ihr Zutun zusammenbringen, vorausbestimmt waren, Freunde zu werden – da ihrer beider Art zu denken ein noch näheres Verhältnis unmöglich macht, so wagen wir, sollt ich meinen, nichts dabei, wenn wir uns an das einzige halten, das zwischen uns stattfinden kann. Sie gehen nach W., höre ich?«

»Und Sie ebenfalls?«

»Ein neuer Beweis, daß unsre Sterne wirklich einverstanden sind. Die Pflicht ruft mich zu einem alten unbeweibten Oheim, der im Herbste des Lebens dafür büßen muß, daß er im Frühling zu rasch gelebt hat. Ich werde alles tun, was ich dem Bruder meiner Mutter schuldig bin, deren Stelle, da sie selbst nicht mehr ist, ich nun zu vertreten habe. Weil mir aber an seiner Erbschaft wenig gelegen ist, so werde ich mir gleichwohl das Amt einer Wärterin nicht so schwer machen, daß mir nicht noch Zeit und Freiheit, auch für die Gesellschaft zu leben, übrigbleiben sollte. Wir werden also häufige Gelegenheit haben, uns in Gesellschaften und an öffentlichen Orten, und wenn Sie sich mit dem General Löwenfeld (wie mein Oheim sich nennt) bekannt machen wollen, auch in seinem Hause, ohne Zwang zu sehen. Ich kann mir selbst nicht verbergen, daß dies alles, für die kurze Zeit unsrer Bekanntschaft, ein wenig rasch geht; aber was ist zu tun, wenn man einander auf der Reise, auf einem Jahrmarkt und im Gasthof, kennenlernte?«

»Überdies«, sagte Falkenberg, »bin ich, seitdem mich mein guter Genius vor die Bude zu Erlebach geführt hat, sehr geneigt zu glauben, daß die Freundschaft nicht weniger ihre Blitzschläge hat als die Liebe und daß es sich ebensogut auf den ersten Blick entscheidet, ob zwei Personen Freunde sein als ob sie sich ineinander verlieben werden.«

»Ich sehe in der Tat nicht«, versetzte das Fräulein, warum die Art von Sympathie, die sich zu Freundschaft entfaltet, ihr Dasein nicht ebensoschnell offenbaren sollte als jene, an der die Liebe sich entzündet. Für einen künftigen Liebhaber hätte ich Sie auf den ersten Blick vielleicht zu kalt gefunden, für einen Freund sind Sie gerade, was ich wünsche.«

»Nehmen Sie sich in acht, Fräulein«, sagte Falkenberg lachend, »daß der kalte Liebhaber am Ende nicht ein zu warmer Freund befunden werde!«

»Halb und halb läßt sich so etwas selbst dem Besten unter euch zutrauen«, erwiderte Fräulein Haldenstein in gleichem Tone; »aber ich stehe für alle Zufälle. Ihre Freundschaft ist mir zu wert, als daß ich nicht alle mögliche Sorge tragen sollte, sie mir rein und unverfälscht zu erhalten.«

Doch es ist Zeit, meine Damen und Herren (sagte der Erzähler), dem Gespräch der beiden Personen meines Duodramas, wenn es auch noch länger gedauert haben sollte, ein Ende zu machen.

Ich habe Sie hinlänglich in das Innre derselben blicken lassen, um zu wissen, wessen Sie sich zu ihnen versehen können; und ich werde nun in meiner Erzählung desto rascher fortfahren, da ich Ihnen nichts als sehr natürliche Begebenheiten und Erfolge zu erzählen habe.

Falkenberg, dessen Reiseplan einigen Aufenthalt zu M. und R. erfoderte, langte etliche Wochen später zu W. an als Fräulein Haldenstein, und ihre einverstandenen Sterne ermangelten nicht, die neuen Freunde sehr bald wieder zusammenzubringen. Der Baron machte die Bekanntschaft des Oheims, der, von Gicht und Podagra auf seinen Kanapee gefesselt, immer zu Hause anzutreffen war und über keine zu große Menge lästiger Besuche zu klagen hatte. Der alte General sprach, wie alle seinesgleichen, gern von seinen Taten, und Falkenberg, der im letzten Krieg in Italien einen Feldzug als Freiwilliger mitgemacht hatte, wußte ihm so mancherlei Anlässe dazu zu geben und hörte ihm so gefällig und teilnehmend zu, daß er unvermerkt eine Art von Günstling des alten Herrn wurde. Er konnte so oft kommen, als er wollte, und der General, weit entfernt, sich an das gute Vernehmen zwischen ihm und seiner Nichte zu stoßen, pflegte sie öfters mit ihrer beiderseitigen Kaltblütigkeit aufzuziehen und Falkenbergen mit dem Salamander zu vergleichen, der mitten im Feuer unversehrt leben könne.

Daß dies im buchstäblichen Sinne der Fall bei ihm war, möchte ich nicht behaupten; gewiß ist indessen, daß er den ganzen Winter durch, wo er das Fräulein beinahe täglich sah, sich ohne sonderlichen Abbruch seiner Eßlust und seines Schlafs in den Grenzen, die er sich gezogen hatte, hielt und nicht wenig mit sich selbst zufrieden war, daß er einen seiner Lieblingssätze, daß wahre Liebe keine Leidenschaft, sondern bloß das reine und ruhige Verhältnis zweier von der Natur zusammengestimmter Gemüter sei, durch sein Beispiel so trefflich bestätige. Inzwischen machte er sich häufige Verdienste um Fräulein Haldenstein, brachte ihre weitläufigen Angelegenheiten in bessere Ordnung, betrieb und beendigte einige Prozesse, die sie vernachlässigt hatte, und fand sich für alles, was er für seine Freundin tat, durch das Vergnügen, so er sich daraus machte, und von ihrer Seite durch einen auszeichnenden Blick oder einen leisen Händedruck reichlich belohnt und glücklicher, als die schönsten und gefälligsten unter den ziemlich zahlreichen Damen, die sich seine Eroberung angelegen sein ließen, ihn durch den höchsten Preis, den sie darauf setzten, hätten machen können.


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