Christoph Martin Wieland
Vorbericht
Christoph Martin Wieland

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Einsmals, da sie, bei Aufgang der Sonne, um die Natur im Erwachen zu belauschen und dem Morgenjubel der Lerchen und Nachtigallen zuzuhören, in den Gebüschen des Schloßgartens umherschlich, gab der Zauber, unter welchen diese lieblichen Naturerscheinungen alle ihre Sinne setzte, jenem Gedanken eine solche Stärke, daß er auf einmal laut wurde und in Worte ausbrach, wovon sie keine Zeugen zu haben glaubte.

Plötzlich sah sie eine hohe Gestalt vor sich stehen, die eher einer Göttin als einer Sterblichen ähnlich sah. Ein begeisterndes Feuer wallte in ihren großen schwarzen Augen, und die üppigste Fülle goldner Haare floß in langen Ringeln um ihren schönen Kopf und den blendenden Liliennacken. Sie war in ein schimmerndes Gewand von tausend durcheinandergewebten Farben gekleidet und trug ein dünnes Stäbchen von Ebenholz in der rosenfingrigen Hand. »Dein Wunsch sei dir gewährt«, sagte sie zu Rosalien und berührte sie mit ihrem Stäbchen.

In demselben Augenblick lag Rosalie wie schlummernd auf einem prächtigen Ruhebette; ein Schwarm von gaukelnden Zephirn hob es empor und schwebte mit der schönen Last so leicht durch die Lüfte hin, als ob sie nur ein flockichtes Abendwölkchen vor sich her hauchten.

Rosalie erwachte in den Zaubergärten der Feenkönigin. Große immergrüne Rasenplätze; Blumenstücke, wo Florens schönste Kinder wetteiferten, das Auge mit ihren Bildungen und Farben und den Geruch mit dem süßen Balsam ihrer vermischten Düfte zu entzücken; Zitronenwäldchen und Gebüsche aller Arten blühender und duftender Sträuche, von spiegelhellen, über Goldsand und Perlen flüchtig hinweg rieselnden Bächen durchschlängelt; liebliche Täler und Anger, mit silberwollichten Herden bedeckt und an allmählich emporsteigende Wälder gelehnt; in die Wolken aufstrebende Bäume, die mit der Schöpfung gleiches Alters zu sein schienen; in tiefer Ferne eine Kette von ungeheuren Felsen, zwischen welchen aus den Wolken herabstürzende Ströme, bald in funkelnde Staubregen aufgelöst, bald in ungeheuren Schaummassen durch die geborstnen Klippen sich drängend, unzählige Wasserfälle bildeten, deren Donner aus der weiten Entfernung in schlafeinladendes Rauschen sich verlor: kurz, alles, was Natur und Kunst in den Halbzirkel eines weit ausgedehnten Gesichtskreises Prächtiges, Erhabenes, Schönes und Anmutiges zusammenzaubern können, war hier mit verschwenderischer Üppigkeit und in einer anscheinenden Unordnung, die im Ganzen zur schönsten Harmonie wurde, vereinigt, um die Seele in einen einzigen reinen, entzückenden Genuß aufzulösen.

Rosalie schwamm in Wonne; ihr war, als erinnere sie sich dunkel, wie eines vorschwebten Traums, daß sie schon an einem solchen Ort gewesen sei; aber daß sie hier verwirklicht sah, was ihr vormals nur in matten, ineinander zerrinnenden Luftgestalten erschienen war, das eben war es, was ihr keinen Zweifel ließ, daß sie sich wirklich im Lande der Feen befinde.

In diesem wundervollen Lande geht alles nach einer andern Regel als in unsrer Alltagswelt, wo wir armen Erdenkinder, an Raum und Zeit gefesselt, nicht von einem Ort zum andern, ohne den Zwischenraum zurückzulegen, noch vom Abend zum Morgen kommen können, ohne die ganze Nacht dazwischen durchlebt zu haben, ohne daß auch nur eine einzige Minute daran erlassen wird.

Rosalie erhielt in wenig Augenblicken einen neuen Beweis, daß sie im Feenlande sei; denn auf einmal verschwanden die Zaubergärten, und sie befand sich in einem großen, prächtig erleuchteten Saal, der jenem wenig nachgab, den der glückliche Schneiderssohn Aladin, in den arabischen Märchen, mit Hülfe des Genius der Lampe und seiner Gesellen, zur großer Freude des Sultans, seines Schwiegervaters, in einer einzigen Nacht zustande bringt. Dieser Saal war mit einer unendlichen Menge schöner und zierlicher Damen und Herren angefüllt, die in buntschimmerndem Gewimmel, paar- und gruppenweise, durcheinanderschwärmten und denen man auf den ersten Blick ansah, daß sie nichts zu tun hatten noch wußten, als ewig dem vor ihnen her fliehenden Vergnügen nachzujagen.

Rosalie erkannte sogleich den holden Alberich, der sich mit Unterhaltung einiger Schönen, die ihn umringten, zu beschäftigen schien, aber, sobald er die Dame seines Herzens erblickte, auf sie zueilte und ihr sein Entzücken, sie hier zu finden, in den lebhaftesten Figuren und Wendungen ausdrückte. Rosalie fühlte sich unter einer Art von Zauber, dem sie nicht widerstehen konnte, vielleicht weil es ihr an – Willen zum Widerstehen fehlte. Ihr war, als ob sie nicht ganz dieselbe sei, die sie immer gewesen: sie suchte sich in sich selbst und erstaunte über die neuen Gefühle, die sich in ihr regten und ihr zwar fremd, aber zu angenehm waren, um sich ihnen nicht sorglos zu überlassen. Noch nie hatte Alberich ihr so liebreizend geschienen, nie die zärtlichen Schmeicheleien, die er ihr sagte, nur halb soviel Eindruck auf sie gemacht, und sie mußte sich Gewalt antun, um es ihm nicht auf die lebhafteste Art zu erkennen zu geben. Kein Wunder, daß der arme Hulderich (der, mit seiner gewohnten Schüchternheit, um nicht bemerkt zu werden, hinter einem mit Kränzen umwundenen Pfeiler stand und ganz in ihrem Anschauen verloren schien) kaum eines von ungefähr sich zu ihm verirrenden flüchtigen Blicks gewürdiget wurde.

Eine durch den Saal erschallende und zum Tanz einladende Musik stimmte sie plötzlich auf einen andern Ton. Sie ergriff Alberichs Arm und flog mit der Leichtigkeit einer Nymphe, kaum den Boden berührend, durch den Saal mit ihm dahin. Ermüdet sanken sie endlich auf die weichen, hoch aufgeschwellten Polster, womit eine von reichen Tapeten schimmernde Estrade belegt war. Die blendende Beleuchtung des Saals verlor sich in ein allmählich immer matter werdendes Dämmerlicht und die rauschende Musik in die sanft verschwebenden Töne eines sich selbst immer leiser nachahmenden Echo. Rosalie erschrak, da sie sich plötzlich mit Alberichen allein und von einem seiner Arme umschlungen sah. Vergebens suchte sie sich von ihm loszuwinden, als plötzlich eine große, majestätische Frau, mit einer kleinen goldnen Krone auf ihrem zusammengeflochtnen Haar und einem schwarzen Stäbchen in der Hand, vor ihnen stand. »Folge mir, Rosalie«, sagte sie, Alberichen mit ihrem Stabe berührend. Sogleich schwand er aus Rosaliens Augen, und sie stand auf und folgte der Dame.

Eine große elfenbeinerne Pforte tat sich vor ihnen auf. »Gehe vorwärts«, sagte die Feenkönigin; »entsetze dich vor nichts, das dir begegnen wird, und vertraue auf meinen Beistand.« Sowie Rosalie über die Schwelle der elfenbeinernen Pforte geschritten war, fuhr ihr die Fee mit leiser Hand über das Gesicht und verschwand. Eine kaum sichtbare Flamme, die aus der Hand der Fee zu fahren schien, verbreitete auf einen Augenblick eine fliegende Hitze über ihr ganzes Gesicht; aber alle ihre Sinnen beruhigten sich, und sie glaubte sich auf einmal selbst wiedergefunden zu haben, wiewohl sie eine kleine Weile in die dickste Finsternis eingehüllt stand. Sobald diese verschwunden war, sah sie sich wieder auf eben der Stelle des Gartens, wo ihr die Fee mit den goldnen Haaren erschienen war.

Von einer seltsamen Mattigkeit befallen, warf sie sich auf die nächste Bank, als sie Alberichen ganz nahe vor ihr vorbeigehen sah. Er schielte einen flüchtigen Blick auf sie und ging vorüber. Rosalie rief ihn zurück. »Was wollen Sie meiner?« fragte er.

»Welche Frage! Wer bin ich denn? Seit wann kennen Sie mich nicht mehr, Herr Alberich?« – Alberich erschrak itzt, da er sie genauer ansah, so heftig, daß er die Sprache nicht gleich wiederfinden konnte.

»Verzeihen Sie, Fräulein«, stammelte er endlich in größter Verwirrung; »ich muß bezaubert sein – ich höre Ihre Stimme, ich sehe Ihre Gestalt, Ihre Kleidung; aber Ihr Gesicht ist so wenig Ihr eigenes, daß ich zehnmal bei Ihnen hätte vorbeigehen mögen, ohne Fräulein Rosalie von Eschenbach in Ihnen zu erkennen.«

»In der Tat, Herr Alberich, Sie sind bezaubert – oder etwas noch Schlimmeres. Vor wenigen Minuten sagten Sie mir noch die schmeichelhaftesten, zärtlichsten Sachen von der Welt... Was ist mit Ihnen vorgegangen? Ich besorge sehr, es steht nicht ganz mit Ihnen, wie es sollte, Herr Alberich!«

»Ich fürchte vielmehr...«, sagte dieser hielt aber plötzlich inne. »Beim Himmel, Fräulein, es ist etwas Unbegreifliches in dieser Sache«, fuhr er fort, indem er einen kleinen Taschenspiegel hervorzog und ihr hinreichte; »aber sehen Sie selbst, und Sie werden mir Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

Rosalie blickte in den Spiegel und erschrak nicht viel weniger als Alberich; denn die Spuren, die der elektrische Schlag, so sie von der Fee empfangen, zurückgelassen hatte, waren in der Tat auffallend. Alle Lilien und Rosen ihres Gesichts waren verschwunden, und statt eines Paars holdseliger Grübchen, die ihrem Lächeln einen unwiderstehlichen Zauber gegeben hatten, waren ihre feinen Gesichtszüge von einer Menge tiefer, Pockengruben ähnlicher Furchen und braunroter Flecken so entstellt, daß ein Liebhaber wie Alberich wirklich zu entschuldigen war, wenn er sie auf den ersten Blick für eine andre ansah. Aber es sei nun, daß das Wort der Feenkönigin ihr wieder zu Sinne kam oder daß, durch eine natürliche Täuschung der Eigenliebe, auch die Häßlichste sich selbst immer schöner vorkommt als alle andern Menschen – genug, Rosalie faßte sich sogleich wieder und sagte zu Alberich, indem sie ihm seinen Spiegel zurückgab: »Wenn Ihr Spiegel mich nicht verleumdet, so ist in der Tat etwas mit mir vorgegangen, das ich nicht begreife. Aber Sie, Herr Alberich, Sie, der mir vor wenig Augenblicken noch die feurigste Liebe zuschwor, der mich mit den Augen der Liebe sehen sollte, Sie hätten diese Veränderung gar nicht gewahr werden sollen.«

»Ich verstehe Sie nicht, gnädiges Fräulein«, erwiderte Alberich, der sie mit immer größerer Bestürzung anglotzte, weil er sich in dem Gedanken bestätigt sah, daß ihr Kopf bei dieser unerklärbaren Verwandlung gelitten haben müsse; »erlauben Sie, daß ich zu einem Arzt eile, der hier, wie es scheint, ganz allein Rat schafften kann.« – Mit diesen Worten entfernte sich der getreue Schäfer, so schnell er konnte, nicht um einen Arzt aufzusuchen, sondern sich in der Stille mit sich selbst zu beraten, was für einen Entschluß er bei diesem seltsamen Unfall zu nehmen habe.

Das Fräulein hatte ihn kaum aus den Augen verloren, so kam Hulderich (den die alte Dame seit kurzem zum Aufseher über ihre Gärten bestellt hatte), mit einem prächtigen Blumenstrauß in der Hand, von einer andern Seite heran und schien einen Augenblick zweifelhaft, ob er sich nähern und Rosalien die Blumen, die er alle Morgen für sie zu pflücken pflegte, selbst überreichen oder (nach bisheriger Gewohnheit) durch ihr Mädchen auf ihren Putztisch legen lassen sollte.

Sobald ihn Rosalie erblickte, erinnerte sie sich der Stellung, worin sie ihn im Palast der Feenkönigin gesehen, und befahl ihm in einem freundlichen Tone, näher herbeizukommen. Ein milder, gütiger Blick schien ihm die Erlaubnis zu geben, ihr seine Blumen selbst zu überreichen, und er tat es mit einer so ehrerbietigen und bescheidenen Art, daß sie ihm, in der Stimmung, worin sie war, beinahe Dank dafür wußte. Der Schleier, den sie über ihren Kopf gezogen hatte, ließ von ihrem Gesichte wenig mehr als die Augen sehen, und der einzige Blick, den der bescheidene Jüngling zu ihr zu erheben gewagt hatte, entdeckte ihm nichts an ihr, was ihn hätte befremden können. Aber itzt schlug das Fräulein den Schleier zurück, sah ihm scharf ins Gesicht und sagte: »Wir sind alte Bekannte, guter Hulderich; betrachte mich wohl und sage mir, wie ich dir vorkomme.« – »Sie haben, wie ich sehe, während ich von Eschenbach abwesend war, die Blattern gehabt, gnädiges Fräulein; gottlob! daß es so glücklich abgegangen und daß Ihre schönen Augen nichts dabei gelitten haben!«

»Rede, wie dir's ums Herz ist; du findest mich also nicht so gar häßlich?«

»Häßlich?« rief Hulderich. »Das verhüte der Himmel, gnädiges Fräulein! In meinen Augen können Sie nie häßlich werden, das ist unmöglich.« – Er wurde feuerrot, wie dies Wort über seine Lippen gekommen war, weil er fürchtete, etwas gesagt zu haben, das ihm nicht gezieme.

Rosalie dankte ihm für seine Blumen und seinen guten Willen gegen sie und entließ ihn mit einem Lächeln, wobei ihm war, als ob sich der Himmel auftue und aus jeder Grube ihres Gesichts ein Engelsköpfchen hervorlächle.

Das Fräulein kehrte ins Schloß zurück, und da es unmöglich war, ihrer Base die leidige Veränderung, die ihr Gesicht erlitten hatte, zu verhehlen, so hüllte sie sich, um ihr das Unangenehme der Überraschung zu ersparen, in ihren Schleier ein und berichtete ihr umständlich, was ihr diesen Morgen mit den beiden wunderbaren Damen begegnet war. Die Alte glaubte zu stark an das Feenwesen, um in der Überzeugung, daß es Feen gewesen, nicht hinlänglichen Grund zur Beruhigung zu finden. »Sie haben ganz gewiß, trotz dem widrigen Anschein, etwas Gutes mit dir vor«, sagte sie; »befahl dir die Feenkönigin nicht ausdrücklich, dich vor nichts zu entsetzen und auf ihren Beistand zu vertrauen?« Aber da die gute Rosalie sich nicht enthalten konnte, von Zeit zu Zeit einen verstohlnen Blick in einen großen venezianischen Spiegel zu werfen, der ihr gegenüber hing, so war es ihr nicht wohl möglich, sich, mit allem ihrem Respekt vor den Feen, eines kleinen Grolls gegen die Launen dieser Halbgöttinnen zu erwehren, und sie konnte sich selbst nicht überreden, die Pockengruben und Leberflecken, die sie ihr angezaubert hatten, für ein Unterpfand zu nehmen, daß sie viel Gutes mit ihr im Sinne hätten.

Tante und Nichte besprachen sich noch über diese seltsamen Ereignisse, als der ersten ein Brief gebracht wurde, der ihr ankündigte, daß sie durch den plötzlichen Fall eines der ersten Handelshäuser in der Hauptstadt um den größten Teil ihres Vermögens gekommen sei. Die gute Dame klebte noch zu stark am Irdischen, als daß ihr eine solche Nachricht hätte gleichgültig sein können, und die Reihe war nun an der Nichte, die jammernde Tante zum Vertrauen auf den guten Willen der Feen aufzufodern. »Wem geht es schlimmer dabei als dir?« sagte die Alte; »ich habe wenig Ansprüche mehr an die Welt; du allein dauerst mich. Aber ich glaube wirklich, du wärest leichtsinnig genug, wenn die Feen es auf deine Wahl ankommen ließen, deine Pockennarben und Leberflecken mit meinem ganzen Vermögen abzukaufen.«

Man mußte nun auf große Einschränkungen denken; denn außer dem Gute Eschenbach, dessen Ertrag nicht sehr beträchtlich war, blieb unsern beiden Damen nichts als die alte Burg und was etwa an Silbergeräte, Kleinodien, vergoldeten Pokalen, alten Schaupfennigen und dergleichen von Großmüttern und Ältermüttern auf sie vererbt worden war. Mit allem diesem war Rosalie freilich keine reiche Erbin mehr, und der edle Ritter Alberich, der sehr lebhaften Anteil an diesem neuen Unfall nahm, mußte gestehen, daß es ein hartes Schicksal für die liebenswürdige Rosalie sei, an einem und demselben Tage Schönheit und Vermögen zu verlieren. Er ließ es indessen vorderhand nicht an schönen Trostgründen fehlen, womit er sich aus einer alten Übersetzung des Seneca bewaffnet hatte; und wiewohl er sehr ernstlich auf seinen baldigen Abzug bedacht war, so hatte er doch zuviel Artigkeit und Gefühl des Schicklichen, um das Schloß, wo ihm seit einigen Tagen ein Zimmer eingeräumt worden war, auf der Stelle zu verlassen. Dieser Umstand gab ihm Gelegenheit, seinen Charakter in einem noch blendendern Lichte zu zeigen.

Der Unstern der Damen von Eschenbach hatte seinen höchsten Punkt noch nicht erreicht. In der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, kam, um die Zeit, da alles im ersten Schlafe lag, Feuer im Schloß aus. Die Flamme griff schnell um sich, und die winklichte altfränkische Bauart dieser Ritterburg machte die Gefahr der Bewohner um soviel größer. Der edle Alberich, des klugen Spruchs eingedenk: »Jeder ist sich selbst der Nächste«, war der erste, der – seine eigene Person in Sicherheit brachte; doch vergaß er nicht, beim Abschied den kopflos durcheinanderrennenden Bedienten die Rettung ihrer Gebieterinnen bestens zu empfehlen. Für das Fräulein hatte bereits eine große, majestätische Frau gesorgt, die gleich anfangs, als das Feuer ausbrach, von mehrern gesehen worden war, wie sie die widerstrebende Rosalie auf ihren Armen davontrug und sie durch die Versicherung zu beruhigen suchte, daß für die Tante bereits gesorgt sei. Dies schien indessen keineswegs der Fall zu sein. Denn während die Hausbedienten (wie in solchen Fällen gewöhnlich ist) beschäftigt waren, die geringfügigsten Sachen zu retten, hatte das Feuer das Schlafzimmer der alten Dame ergriffen, die, vom Rauch halb erstickt, um Hülfe schrie, ohne daß jemand den gefährlichen Versuch wagen wollte, sie den immer näher zuckenden Flammen zu entreißen.


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