Christoph Martin Wieland
Vorbericht
Christoph Martin Wieland

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Eines Morgens machte sich Raimund auf den Weg zu Mondorn, in der Absicht, sich dessen zu entledigen, als ihm dieser auf der Hälfte des Weges in die Hände lief

»Ich war im Begriff, zu dir zu gehen, Mondor.«

»Das war auch meine Absicht, lieber Raimund.«

»Ich habe dir«, fuhr dieser fort, »etwas zu sagen, das mir schon lange auf dem Herzen liegt.«

»Das ist gerade mein Fall auch, mein Freund.«

»Suchen wir also einen bequemen Ort, wo wir uns ohne Zeugen davon erleichtern können!«

Sie begaben sich nun, ohne ein Wort weiter zu reden, in die einsamsten Gänge eines öffentlichen Lustgartens, und sobald sie sich allein sahen, fing Raimund von neuem an:

»Du hast eine sehr schöne, sehr liebenswürdige Frau, mein Freund...«

Mondor seufzte und schwieg.

»...die dich nicht glücklich macht?«

»Leider!«

»Und mit welcher ich hingegen glücklich wäre wie ein Gott.«

»Nicht unmöglich!«

»Klarisse ist ein herrliches Weib, das weißt du.«

Mondor schwieg abermals.

»Wie, wenn wir miteinander tauschten, Mondor? Alles müßte mich betrügen, oder Klarisse wäre gerade die Frau, die dir nötig ist.«

»Und du könntest ihr entsagen, Raimund?«

»Mondor, wir sind alte Freunde, laß uns offen gegeneinander sein. Ich habe keine Ursache, mich von Klarissen zu scheiden; aber ich gestehe dir unverhohlen, ich bin in Selinden vernarrt – und du, wie ich schon lange merke, liebst Klarissen. Was in aller Welt also könnte uns zurückhalten, uns das neue Gesetz zunutze zu machen?«

»Auch ich muß dir gestehen, Raimund, daß ich Klarissen anbete. Sie hat einige Freundschaft für mich; aber wird sie einwilligen, sich von dir zu trennen? Und wenn sie auch einwilliget, wird sie darum die Meinige werden wollen?«

»Zu jenem hoffe ich sie leicht zu überreden; dieses wird dann deine Sache sein. Unter uns gesagt, sie ist etwas kalt; das wirst du dir gefallen lassen müssen.«

»Alles in der Welt, wenn sie nur einwilligte mit mir zu leben. Ich verlange kein größer Glück, als der erste ihrer Freunde zu sein.«

»Höre, lieber Mondor! Ich weiß, was ich an Klarissen verliere; es ist viel – aber Selinde wird mich reichlich entschädigen.«

»Du gibst mir das Leben zum zweitenmal wieder, bester Raimund! Du willst also alles mit Klarissen richtigmachen? Denn mit Selinden bist du, wie es scheint, bereits einverstanden.«

»Nicht so ganz, wie du glaubst; aber wenn du dir aus deiner Gefälligkeit gegen deinen Freund ein Verdienst bei ihr machen wolltest, so würde sie vielleicht zu bewegen sein. Denn mit allen deinen Vorzügen vor mir...«

»Keine Komplimente unter Freunden! Wenn du nur Klarissen gewinnen kannst, so wird sich das übrige von selbst machen. – Du nimmst also die Sache auf dich, Raimund?«

»Hier ist meine Hand!«

»Und hier die meinige! Waren wir nicht Kindsköpfe, daß wir uns voreinander fürchteten?«

Die beiden Freunde trennten sich nun, jeder mit dem andern sehr zufrieden, und der ungeduldige Raimund machte sich noch am nämlichen Morgen an Klarissen und trug ihr, nach einigen Vorbereitungen, die er sich hätte ersparen können, sein und seines Freundes Anliegen mit einer angenommenen leichtsinnigen Lustigkeit vor, hinter welche er seine Verlegenheit, einer Frau wie Klarisse einen solchen Antrag zu tun, zu verstecken suchte. »Es ist am Ende nur Scherz«, sagte er mit einer unschuldigen Schalksmiene; »aber wir täten vielleicht nicht übel, wenn wir Ernst daraus machten. Was meinst du, liebe Klarisse?«

»Es kommt dich also wirklich so leicht an, mich aufzugeben, Freund Raimund?«

»Ich schäme mich, vor einer so weisen Frau als du wie ein kleiner Junge dazustehen. Mein Antrag hat in der Tat keinen Menschenverstand. Du bist das liebenswürdigste Weib, das ich je sehen werde. Ich kenne und fühle deinen ganzen Wert, wiewohl ich deiner nie würdig war. Aber ich kann es nicht über mein Herz bringen, dich zu betrügen. Dieses Hexengesicht von Selinde hat mir nun einmal den Kopf verrückt. Ich muß wirklich bezaubert sein, der leibhafte Teufel-Amor ist mir in die Glieder gefahren, und ich sehe kein Mittel, seiner loszuwerden, als wenn ich ihm den Willen tue.«

»Du magst wohl recht haben, lieber Raimund«, sagte Klarisse lachend; »wenigstens mag es das angenehmste Mittel sein, diesen Teufel auszutreiben.«

»Ich will dir alles bekennen, bestes Weib«, fuhr Raimund fort. »Ich habe mein möglichstes getan, aber leider! vergebens, Selinden zu einem geheimen gütlichen Vergleich zu bewegen.«

»Leichtfertiger Mensch! So etwas bei einer Frau wie Selinde nur zu denken!«

»Schilt mich nicht, Klarisse; es geschah bloß, weil ich den Gedanken, dich zu verlieren, hasse.«

»Du hättest uns wohl lieber alle beide?«

»Das wäre freilich das beste«, sagte der leichtfertige Mensch, indem er ihr, wie aus Dankbarkeit, die Hand küßte...

»...und bedauertest dann doch, daß du kein Muselman seist und noch ein paar gazellenäugige Circasserinnen dazunehmen könntest? – Aber Scherz beiseite, Herr Gemahl! Du kennst mich, hoffe ich. Dir und Selinden zulieb bin ich alles zufrieden, wofern dein Freund Mondor ebenso gefällig ist wie ich. Aber warum willst du mich nicht ledig bleiben lassen? Warum soll denn gerade ich Selindens Stellvertreterin sein?«

»Als ob du nicht wüßtest, daß dich Mondor anbetet, daß er nicht ohne dich leben kann!«

»Das ist wirklich mehr, als ich weiß.«

»So weiß ich's desto gewisser. Ich lese schon lange in seiner Seele. Selinde paßt nicht für ihn. Mit dir wär er der glücklichste Mann unter der Sonne, mit ihr ist es das Gegenteil. Ich muß dir sagen, Klarisse, er hat mich oft so herzlich gedauert, daß es Augenblicke gab, wo ich aus bloßem Mitleid fähig gewesen wäre, dich ihm abzutreten, dich sogar fußfällig um deine Einwilligung zu bitten, wäre mir Selinde auch so gleichgültig gewesen wie die Favoritin des Königs Salomo.«

»Raimund, das verdient einen Kuß, wie du noch keinen von mir bekommen hast!« – Sie hielt Wort.

»Klarisse, Klarisse«, rief Raimund, »wenn du es so anfängst...«

»Sprich es nicht aus, was du sagen wolltest«, fiel sie ihm in die Rede; »du würdest dich sehr irren. Es sollte bloß der Abschiedskuß sein. Es ist der letzte, darauf kannst du dich verlassen!«

»Wir scheiden doch als Freunde?« sagte Raimund halb wehmütig.

»Ganz gewiß! Nur irre dich nicht, lieber Raimund. Es könnte eine Zeit kommen, wo dich die Reue anwandelte...«

»Sehr möglich!«

»Daß du dir ja nicht einbildest, es brauche dann weiter nichts, als zu mir zurückzukommen und von deinem ehmaligen Platz wieder Besitz zu nehmen! Daran ist dann gar nicht mehr zu denken!«

»Bei dem, was wir vorhaben, darf auch so etwas gar nicht vorausgesehen werden«, sagte Raimund lächelnd.

»Es ist immer gut, mein Freund«, erwiderte sie, »auf alle Fälle zu wissen, worauf man sich zu versehen hat.« – Und hiermit erhielt Raimund seine Entlassung und eilte, was er konnte, Mondorn und Selinden von dem guten Erfolg seiner Unterhandlung mit Klarissen zu benachrichtigen.

Alles Nötige wurde nun ohne Aufschub besorgt, um dem sonderbarsten Tausch, der vielleicht je gemacht worden ist, die gehörige Gesetzmäßigkeit zu geben.

Klarisse hatte sich noch zwei Hauptbedingungen ausbedungen, welchen die andern drei ihre Beistimmung nicht versagen konnten: die eine, daß Mondor mit Klarissen die ersten sechs Monate auf seinem Gute, vier oder fünf Meilen von der Stadt gelegen, zubringen; die andere, daß Raimund Klarissen und Mondor Selinden künftig nie anders als an öffentlichen Orten sehen und sprechen sollten. Auch wurde, auf ein paar Worte, welche Klarisse ihrem ehmaligen Gemahl ins Ohr sagte, die Badende Pallas, wohl zugedeckt und eingepackt, aus Raimunds Kabinett nach Mondors Landgute abgeführt.

Klarisse hat mir im Vertrauen noch einen geheimen Artikel entdeckt, wozu sich Mondor gegen sie verbindlich machen mußte und wozu schwerlich ein anderer als ein so platonischer Schwärmer wie er sich verstanden haben würde. Es war dieselbe Bedingung, unter welcher, in dem bekannten kleinen Roman Abbassai, der Kalife Harun Alreschid seine Schwester dem Großwesir Giafar zur Gemahlin gibt; jedoch mit der billigen Milderung, daß, insofern Mondor sich nur alles zwangrechtlichen Anspruchs begebe, ihm die Freiheit unbenommen bleiben sollte, zu versuchen, wie weit er es im Wege der Güte bei ihr bringen könne. Was der Erfolg dieser Abrede war, geziemte mir nicht, zu fragen, und ihr vielleicht nicht, mir zu offenbaren.

Bis hieher werden Sie meine Anekdote so sonderbar eben nicht gefunden haben; aber das Seltsamste kommt noch.

Die beiden Freunde schienen im ersten halben Jahr ihres neuen Ehestands mit ihrem Tausch unendlich zufrieden zu sein. Mondor, bei welchem ehmals ein Tag, der ohne einen Sturm zwischen ihm und Selinden vorüberging, eine Seltenheit war, glaubte mit der sanften, heitern, immer sich selbst gleichen Klarisse in einem wahren Elysium zu leben. Bei ihr fand er alles, was ihm Selinde, auch wenn sie gewollt hätte, nicht gewähren konnte: angenehme, mannigfaltige Unterhaltung des Geistes, traulichen Umtausch der Gedanken und Gesinnungen, zarte Teilnahme und zuvorkommende Aufmerksamkeit. Ihre Kenntnisse, ihre Talente schienen unerschöpfliche Quellen von Vergnügen für den Glücklichen, der unmittelbar aus ihnen schöpfen konnte. Sie lebte fast ganz allein für ihn, so wie auch er nur selten und gezwungenerweise von ihrer Seite kam. Denn es war nun einmal in der Natur des guten Mondors, alles auf die äußerste Spitze zu treiben; und je kürzer ihn Klarisse in andern Rücksichten hielt, desto gieriger übernahm er sich in den geistigen Genüssen, die sie ihm mit der gefälligsten Freigebigkeit zugestand. Er geizte mit jedem Augenblick und würde sich's nicht verziehen haben, wenn er, durch seine Schuld, um eine einzige Minute, die er mit ihr zubringen konnte, gekommen wäre. Die natürlichen Folgen dieser übermenschlichen Art, glücklich zu sein, konnten für beide nicht ausbleiben. Auch in geistigen Genüssen zieht Übersättigung und Unmäßigkeit – Gleichgültigkeit und Erschlaffung der innern Sinne nach sich. Wieviel Klarisse auch zu geben hatte, endlich hatte sie doch alles gegeben; wie liebenswürdig sie war, so blieb sie doch immer dieselbe, und es war nicht in ihrem Charakter, daß sie sich hätte anstrengen sollen, die Eigenschaften und Vorzüge, wodurch sie Mondorn bezaubert hatte, ihm unter immer neuen Gestalten darzustellen. Der täuschende Zauber lag in ihm, nicht in ihr; in ihr war alles wahr und anspruchlos. Daß er schwärmte, war nicht ihre Schuld; daß er endlich aufhörte zu schwärmen, war es ebensowenig; aber schon eine ziemliche Zeit bevor sie ihm gleichgültig zu werden anfing, war er ihr durch seine Schwärmerei nur zu oft widerlich gewesen. Unvermerkt ward er ihr durch den Zwang, den ihr seine Unzertrennlichkeit auflegte, auch überlästig, und sie dachte nicht selten mit einiger Sehnsucht an die Tage zurück, da Raimunds gefälliger Kaltsinn ihr unbeschränkte Freiheit ließ, sich und ihre Zeit nach eigenem Belieben anzuwenden. Das Schlimmste war indessen, daß sich zwischen ihrer beiderseitigen Vorstellungsart nach und nach ein Mißverhältnis offenbarte, welches notwendig für beide an unangenehmen Folgen fruchtbar sein mußte. Klarisse war nämlich eine geborne Feindin alles Übertriebenen und Unwahren – und Mondor übertrieb unaufhörlich. Klarisse hegte keine Vorurteile, keine Lieblingsmeinungen; Mondor hingegen hatte eine Menge Dulcineen, deren Schönheit er immer gegen die ganze Welt mit eingelegter Lanze zu verfechten bereit war. Es zeigte sich also, nachdem sie einige Monate beisammengelebt hatten, daß sie über vieles ganz verschieden dachten. Anfangs fand Klarissens Gefälligkeit immer Mittel, dergleichen Dissonanzen durch geschickte Ausbeugungen oder vermittelnde Ideen wieder ins gleiche zu bringen; aber mit der Zeit wurde diese schonende Nachgiebigkeit immer seltener, und sie spielte meistens ihre eigne Partie fertig weg, ohne sich zu bekümmern, ob sein Instrument mit dem ihrigen rein zusammengestimmt war oder ob sie nicht gar aus zweierlei Tonarten spielten. Alle diese Unfüglichkeiten würde gleichwohl ihre Weisheit und Sanftmütigkeit sehr erträglich gemacht haben, wenn nicht gerade diese Weisheit das gewesen wäre, was den heftigen und in seine Ideen und Grillen verliebten Mondor bei manchen Gelegenheiten am meisten zur Ungeduld getrieben hätte. Gerade daß sie keine Blößen gab und im Grund immer recht hatte, reizte bei ihm den Geist des Widerspruchs desto stärker auf, und so behauptete er oft die widersinnigsten Dinge, weniger um seinen Witz zu zeigen, als ihrem Verstande weh zu tun und sie um eine Antwort verlegen zu machen. Unter den kleinen Mißhelligkeiten, die hieraus entstanden, litt indessen niemand mehr als Mondor. Klarisse, welche selten warm und niemals bitter wurde, war gleich wieder bereit, Friede zu machen; ihre Seele war wie ein heitrer Himmel, der durch kleine, schnell vorüberziehende Wölkchen nicht verdüstert wird. Aber Mondors Reizbarkeit und Hitze, die ihn immer über die Grenzen der Mäßigung hinaustrieben, machten auch, daß er weder so schnell noch mit so guter Art wieder ins Gleichgewicht kam. Unwillig über sich selbst, unwillig über die Veranlassung des Streits, unwillig darüber, daß irgend etwas die Harmonie zwischen ihm und Klarissen stören könne, machte seine übermäßige Empfindlichkeit und unbändige Einbildungskraft aus einem kleinen Übel ein großes, und nicht selten schmollte er ziemlich lange mit Klarissen, bloß weil er sich selbst nicht verzeihen konnte, daß er sich gegen sie vergessen hatte. Alle diese und ähnliche kleine Ursachen brachten, bevor noch das erste Jahr um war, eine große Wirkung hervor, nämlich daß Mondor, gegen alle seine Erwartung, sich mit Klarissen noch weniger glücklich fühlte als mit Selinden.

Als der herannahende Winter ihn vom Lande in die Stadt zurückrief, hatte er das nicht ganz reine Vergnügen, zu sehen, daß im Gegenteil sein Freund Raimund mit der schönen Selinde in der erbaulichsten Eintracht lebte und daß sie allgemein für das glücklichste Paar im ganzen Distrikt gepriesen wurden. Sie schienen ganz füreinander gemacht zu sein: gleiche Neigungen, gleicher Geschmack, einerlei Wille, wiewohl keines dem andern den geringsten Zwang auflegte und jedes tat, was ihm beliebte. Von Mißverständnissen und Verkältungen keine Spur! Fanden sie sich zusammen, so schienen sie so entzückt voneinander, als ob sie sich lange nicht gesehen hätten; waren sie, wie meistens, an verschiedenen Orten, so schien keines das andre zu vermissen.


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