Christoph Martin Wieland
Vorbericht
Christoph Martin Wieland

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Mondor konnte sich mit aller seiner Freundschaft für Raimunden eines kleinen Anfalls von Eifersucht nicht erwehren. Die Erinnerungen aus den goldnen Tagen der ersten Liebe wurden immer lebendiger in seiner Phantasie, das Verlangen, Selinden wiederzusehen, immer ungeduldiger in seiner Brust; und da er sie nur öffentlich sehen durfte, überwand er sogar seine alte Abneigung vor großen, vermischten und lärmenden Gesellschaften und suchte sie überall in Assembleen und Tanzpartien auf. Sie war (deuchte ihn), seit er die Torheit begangen, sich von ihr zu scheiden, noch einmal so schön geworden als zuvor; sie war ihm wieder das Ideal aller Grazien, und er begriff immer weniger, wie der Besitzer einer so reizenden Frau jemals mit ihr habe unglücklich sein können. Hiezu kam noch, daß sie im Grunde das unschuldigste Geschöpf von der Welt war; denn nie hatte das einzige, was er ehmals an ihr auszusetzen hatte, ihr Leichtsinn, ihr Hang zu den Vergnügungen und ihre Begierde zu gefallen, ihrem Ruf den mindesten Flecken zugezogen; und indem sie allen Männern Netze zu stellen schien, war kein einziger, der sich der geringsten Aufmunterung oder Begünstigung von ihr zu rühmen hatte. "Ihre Fehler", sagte Mondor itzt zu sich selbst, "machen sie nur desto liebenswürdiger und verdienen eigentlich diesen Namen nicht einmal. Denn sie sind es eben, die ihr diese unerschöpflichen, immer neuen Reize geben, welche Überdruß und Sättigung unmöglich machen." Diese Betrachtungen führten ihn unvermerkt auf die Entdeckung: daß die schöne Selinde, alles wohlüberlegt und ineinandergerechnet, sich doch besser für ihn schicke als die kalte, einförmige, sich selbst genügsame Klarisse mit ihrer sokratischen Hochweisheit und ihrer unbelebten Bildsäulengestalt – und daß alle Schuld seines ehmaligen Mißverhältnisses mit der erstern bloß an seinen grillenhaften, überspannten Forderungen gelegen habe. Hätte ihn die Scham vor Klarissen und die Furcht, von Raimunden ausgelacht und von Selinden abgewiesen zu werden, nicht mit Gewalt zurückgehalten – kaum getraute er sich selbst zu gestehen, was er zu tun fähig gewesen wäre.

Indessen suchte er sich doch, soviel der Wohlstand zulassen wollte, Selinden immer mehr zu nähern; und da sie sich so unbefangen und artig gegen ihn betrug, als ob sie einander erst itzt kennenlernten: so fühlte er sich dadurch aufgemuntert, das, was in seinem Herzen vorging, immer deutlicher, wiewohl unter der zartesten Verschleierung, aus seinem ganzen Benehmen gegen sie hervorschimmern zu lassen. Selindens Eitelkeit wurde dadurch nicht wenig geschmeichelt, und alle ihre Freundschaft für Klarissen konnte nicht verhindern, daß es ihr nicht Mühe kostete, die Freude zu verbergen, die sie über einen so schönen Triumph ihrer Reizungen empfand. Unvermerkt erwachten auch in ihr die Bilder der ersten Tage und Wochen ihrer Verbindung mit Mondorn, und sie konnte sich nicht enthalten, stille Vergleichungen zwischen ihm und Raimunden anzustellen, die immer zu seinem Vorteil ausfielen. Mondor beobachtete sie zu scharf, um die Spuren dessen, was in ihrem Innern vorging, nicht in ihren Augen und in tausend kleinen, andern Leuten unsichtbaren Äußerungen wahrzunehmen, und die Sehnsucht nach Wiederherstellung ihres ehmaligen Verhältnisses nahm itzt mit der Hoffnung täglich zu. Klarisse, die einzige ganz unbefangene Person unter den vier Freunden (denn auch Raimund hatte seine Ursachen, sich in den vorigen Stand zurückzuwünschen, wiewohl er zu bösem Spiele zu lächeln wußte), Klarisse, sage ich, sah der Komödie mit ruhiger Erwartung der Entwicklung zu, ohne die Spielenden weder aufzumuntern noch abzuschrecken, ungefähr wie man einem Kinderspiel zusieht; um so ruhiger, da sie, ihrer Denkart nach, bei dem vorhergesehenen Ausgang mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte. Denn sie hatte sich (wie wir wissen) nicht aus Wahl, sondern aus bloßer Gefälligkeit gegen ihre Freundin und Raimunden von letzterem getrennt; und da dieser nichts Angelegneres zu haben schien, als sie zu überzeugen, daß sein Mittel, den kleinen, ihm von Selinden eingezauberten Liebesteufel loszuwerden, trefflich angeschlagen habe: so war kein Zweifel, daß es nur von ihr abhangen werde, ob und auf welche Bedingungen sie es noch einmal mit ihm wagen wolle.

So standen die Sachen zwischen den vier Freunden, als Mondor, der leidenschaftlichste unter ihnen, sich endlich entschloß, das Eis zu brechen und sich von Raimunds und Selindens Gesinnungen, wie sie auch ausfallen möchten, gewiß zu machen. »Unser Tausch«, sagte er an einem schönen Morgen zu seinem Freund, »ist dir, wie ich sehe, sehr wohl bekommen, Raimund.«

»Meinst du?« erwiderte dieser in einem etwas leichtfertigen Tone.

»Man kann, dünkt mich, nicht glücklicher sein, als du mit Selinden bist.«

»Wenigstens nicht glücklicher als du mit Klarissen, sollt ich denken.«

Mondor seufzte.

»Höre, lieber Mondor, es wäre grausam, wenn ich mit einem Freunde, dem sein Glück einen so schweren Seufzer auspreßt, nur einen Augenblick länger scherzen wollte. Du würdest dich sehr irren, Bruder, wenn du mein Glück nach dem äußern Anschein oder nach deinem Gefühl beurteilen wolltest. Nicht alles, was gleißt, ist Gold, würde Sancho Pansa an meiner Stelle sagen, und niemand weiß, wo einen andern der Schuh drückt, wie neu und zierlich der Schuh auch sein mag. Laß uns offenherzig miteinander sprechen, und weg mit der falschen Scham! Wir haben beide eine große Torheit begangen, Mondor! Wir konnten mit unserm Lose zufrieden sein, glaubten uns verbessern zu können und sind nun beide überzeugt, wir hätten besser getan, wenn jeder das Seinige behalten hätte. Selinde und Klarisse sind beide in ihrer Art sehr liebenswürdige Weiber; aber darum taugen sie nicht für jeden. Du und ich sind unter den Männern nicht die schlechtesten; jeder von uns, denke ich, ist die beste Frau wert. Aber die beste für Raimund ist darum nicht auch die beste für Mondor, und umgekehrt. Dir, zum Beispiel, ist Klarisse nicht warm, nicht lebhaft genug; ich hingegen habe gerade eine so kalte und weise Frau zum Gegengewicht meines Leichtsinns nötig. Du hast einen zu warmen Kopf für Klarissen, und ich bin nicht reich genug für Selinden. Wer könnte so grausam sein, einer so schönen und gutartigen Frau wie Selinde irgendeine ihrer kleinen Phantasien, ihrer im Grunde so unschuldigen Vergnügungen zu versagen? Aber um beide ohne Nachteil befriedigen zu können, reichen meine Mittel nicht zu; und da ich ihr nichts abschlagen kann, würde sie mich in wenig Jahren zugrunde gerichtet haben. Du hingegen bist reich genug für eine noch viel kostbarere Frau als Selinde. Überdies ist auch sie, wie du und ich, durch die Erfahrung weiser worden; du wirst gefälliger gegen sie sein, und sie wird dich durch ihre Mäßigung dafür belohnen. Je weniger du von ihr forderst, desto mehr wird sie für dich tun. Nimm also deine Selinde wieder, Bruder, und gib mir meine Klarisse zurück, mit der ich ehmals zufrieden und glücklich war; so glücklich, daß ich sie selbst in Selindens Armen nie vergessen konnte.«

Mondor fand, daß sein Freund sehr richtige Schlüsse mache; und da ihm nichts gewisser war, als daß man entweder wahnsinnig sein müßte (wie er gewesen zu sein bekannte) oder einer Frau wie Selinde ohne Schmerzen nicht entsagen könne, so rechnete er Raimunden als verdienstliche Großmut und als den höchsten Beweis seiner Freundschaft an, was in der Tat bloß das Werk der Klugheit und der Sorge für sein eignes Bestes war.

Alles trat nun wieder in die alte Ordnung zurück. Mondor und Selinde hatten einander gleich viel zu verzeihen und vereinigten sich wieder, mit dem Vorsatz, durch Fehler klüger gemacht, einander desto reichlicher zu entschädigen. Beide hielten sich Wort; und Klarisse, zu gesundes Kopfes, um eine Empfindlerin, und zu reines Herzens, um weder eine wahre noch geheuchelte Spröde zu sein, erlaubte dem entzauberten Raimund, ohne ihm eine allzu schwere Buße aufzulegen, das Bild und Urbild seiner Pallas im Bade im Triumph in sein Haus zurückzuführen.

Beide Freunde und Freundinnen sind seit dieser Zeit täglich mit ihrem Rücktausch zufriedener, und (was für alle viere sehr viel beweiset) nie hat auch nur der Schatten von Argwohn und Eifersucht weder der Liebe noch der Freundschaft den geringsten Abbruch bei ihnen getan. Ich habe daher meiner Anekdote den rechten Namen zu geben geglaubt, indem ich sie Liebe und Freundschaft auf der Probe betitelte; und nun bleibt mir nichts übrig, als zu wünschen, daß sie meinen gütigen und nachsichtsvollen Zuhörern nicht mißfallen haben möge.
 

Nadine endigte hier ihre Erzählung und überließ es (wie sie versprochen hatte) ihren Zuhörern, soviel Moral daraus zu nehmen, als jedes zu seinem jetzigen oder künftigen Gebrauch darin zu finden wußte.

Ihre Bescheidenheit wurde nun durch die Lobsprüche, womit sie sich von allen Seiten überhäuft sah, auf keine leichte Probe gesetzt. Die vier Freunde und ihr zweimaliger Weiber- und Männertausch gaben (wie man denken kann) reichen Stoff zu allerlei ernsten und scherzhaften Anmerkungen und Einfällen; und Herr M. war der Meinung: eine von Nadinens Geist überschattete Schriftstellerin könnte diese Anekdote zu einem der artigsten Romane ausspannen, die seit manchem Jahr in unsrer romanreichen, wiewohl sehr unromantischen Zeit zutage gefördert worden.
 

Am folgenden Abend wurde die Gesellschaft zu Rosenhain mit einem Baron von Werdenberg vermehrt, einem Verwandten der Frau des Hauses, welcher, auf einer Reise in diese Gegenden begriffen, es für Pflicht gehalten hatte, dem Herrn und der Frau von F. seine Aufwartung zu machen. Er war ein schöner, stattlicher Mann von ungefähr dreißig Jahren, seines Charakters wegen allgemein geschätzt und als ein angenehmer Gesellschafter überall wohl aufgenommen; ein Mann von Bildung und Geschmack, der die Welt kannte und vieles gesehen hatte, aber, weil er ohne Ehrgeiz und Habsucht war, einen zu hohen Wert auf seine Freiheit setzte, um sich in die vergoldeten Fesseln eines Hofes zu schmieden oder sich versucht zu fühlen, die Welt regieren und verwirren zu helfen. Übrigens war er im Besitz, den Damen allgemein zu gefallen, weil er allen gefällig zu sein beflissen war, da er sich keiner ausschließlich widmete, sich für ein Gemeingut, an welches alle gleiche Rechte hätten, anzusehen schien. Dies war wenigstens das Licht, worin man ihn bisher betrachtet hatte; und soviel mag vorderhand genug sein, uns eine Idee von diesem Baron Werdenberg zu geben, bis er selbst in der Folge uns vielleicht etwas näher mit sich bekannt macht.

Nach der Abendtafel erwähnte jemand, mit was für einer Art von Spiel die Gesellschaft sich seit mehreren Tagen unterhalten habe. Da die Gäste sich hatten erbitten lassen, ihrem Aufenthalt zu Rosenhain noch einige Tage zuzugeben, so bedauerte man allgemein, daß die fünf Personen, welche die Gefälligkeit gehabt, sich dieses kleine Verdienst um die Gesellschaft zu machen, schon alle an der Reihe gewesen wären und man also dieses Vergnügen heute würde entbehren müssen. Da nun keines von denen, die ihren Beitrag bereits gegeben hatten, sich geneigt bezeugte, ein übriges zu tun, die bloßen Zuhörer hingegen sich des ihnen gleich anfangs zugestandenen Vorrechts nicht begeben wollten, kam die schöne Nadine von Thalheim endlich auf den Einfall, alle Beredsamkeit ihrer Augen und ihrer Zunge anzuwenden, um den Herrn von Werdenberg zu überreden, daß er sich die Gesellschaft durch irgendeine kleine Anekdote, entweder von seiner eignen Erfindung oder aus dem Schatze seines Gedächtnisses, verbinden möchte. Der Baron wehrte sich, so lang er mit guter Art konnte, indem er alle Arten von Behelfen, womit man eine solche Zumutung von sich abzulehnen pflegt, geltend zu machen suchte. Aber die schöne Thalheim wollte sich nun einmal nicht abweisen lassen, und die übrigen Damen und Herren unterstützten ihre Bitte aufs lebhafteste. »Auf jeden Fall«, sagte Rosalinde in scherzendem Tone, »können Sie darauf rechnen, daß wir die geneigtesten Zuhörer sind, die ein Erzähler sich nur immer wünschen kann.«

»Wer könnte Ihnen nach einer solchen Versicherung länger widerstehen, meine gnädigen Damen«, sagte der Baron lachend. »Ihre Bitten sind für mich Befehle; wollte der Himmel nur, daß die edle Tugend des Gehorsams mir auch das Talent geben könnte, dessen Mangel ich in einer Gesellschaft wie diese stärker als jemals fühle. Wenn es indessen nur darauf ankommt, Ihnen meine kleine Eigenliebe aufzuopfern, so bin ich bereit; nur muß ich vor allen Dingen um die Gnade bitten, mir eine Bedingung zuzugestehen, ohne welche es mir unmöglich sein würde, meine Zusage zu erfüllen.« – »Alles in der Welt«, riefen die Damen, »reden Sie nur!« – »Selbst ein Märchen zu erfinden«, fuhr Werdenberg fort, »ist nun einmal meine Sache nicht, und die Märchen meiner Mutter Gans sind, aufrichtig zu reden, die einzigen, die ich von meinen Kinderjahren her behalten habe. Wollen Sie aber mit einer wahren Geschichte, so gut ich sie zu geben habe, vorliebnehmen, so kann ich Ihnen mit einer kleinen Anekdote aufwarten, die sich seit kurzem mit einem meiner Freunde zugetragen hat. Sie ist eben nichts Besonderes; weder so rührend, um Tränen zu erpressen, noch lustig genug, um lachen zu machen. Es ist ein ganz einfaches Geschichtchen, aber es ist wenigstens wahr; und bei einer Erzählung, die weder von seiten des Inhalts noch des Vortrags glänzt, ist dies doch immer einiges Verdienst. Im schlimmsten Fall bin ich beinahe gewiß, daß, wenn Sie auch bei der Erzählung selbst ein wenig nicken sollten, der Ausgang wenigstens Sie wieder aufwecken wird.«

»Fangen Sie nur immer an, Herr von Werdenberg«, sagte Nadine. »Wenn Sie uns Langeweile machen, werden wir schon Mittel finden, auf die eine oder andere Art das Wiedervergeltungsrecht an Ihnen auszuüben; darauf können Sie sich verlassen.«

Der Baron begann also seine Erzählung folgendermaßen.


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