Christoph Martin Wieland
Briefe von Verstorbenen
Christoph Martin Wieland

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Achter Brief.

Theotima an Melinde.

Inhalt. Theotima beschreibt einen unter den unzähligen Sternen der Milchstraße sich befindenden Planeten, der von unschuldigen Menschen bewohnt wird; und erzählt die Geschichte der Schöpfung, der Versuchung und des Sieges der ersten Stammeltern dieser glückseligen Geschöpfe.

                      Die du der eisernen Zeit zum Muster der Unschuld geschenkt bist,
Welche die lächelnde Jugend der neuen Erde vergold'te,
Und die Lieder beglaubigt, die SifasMit diesem Namen wurde damals der Dichter der Noachide, Bodmer, von einigen seiner poetisirenden Freunde bezeichnet. göttliche Seele
Einem entarteten Alter zu singen, vom Himmel entflammt ward;
Blühendes Bild der zärtlichen Rahel, der hohen Debora,
Freundin, könnte die Liebe, die uns so innig vereinte,Anspielung auf Schilderungen Bodmers aus dessen biblisch-epischem Kreise.
Daß die letzte der Thränen, die mein schon seliges Auge
In den Armen des Todes weinte, für dich nur geweint war,
Könnte sie durch den Geist der Himmelsfreuden ermatten?
Könnt' ich, von Myriaden verklärter Melinden umgeben,
Meiner Melinde vergessen, die länger die Erde zu schmücken 101
Noch dem Verlangen der Engel und meiner Umarmung versagt wird?
Nein! noch schwebet dein reizendes Bild, der übrigen würdig,
Die der Olymp mir gibt, mit Lieb' und Anmuth verkläret,
Immer vor meinem Gemüth! noch seh' ich dich, ob mich das Dunkel
Eures Tages dir gleich verbirgt, zur Ehre der Tugend
Unter den Sterblichen leben; jetzt, mit der Freundin verschlossen,
Die ihr Unglück dir liebenswerth macht, wie du thränend sie tröstest;
Dann mit gütigem Auge den Gram dem leidenden Herzen
Sanft entlächelst, und klüglich vor ihr die Hülfe verbirgest,
Die von dir heimlich und schnell dem hülfbedürftigen zueilt;
Jetzo wie du mit liebenden Armen den Gatten umhalsest,
Und sein menschliches Herz zu edlern Tugenden reizest.
Aber mit süßerm Gefühl, das deiner reinsten Entzückung
Aehnlich ist, seh' ich dich, Freundin, von deinen Kindern umringet,
Wie du sie alle mit gleichem Vergnügen so mütterlich anlachst;
Dieses spielend im Schooß, dieß an dem klopfenden Busen,
Neben dir zwei, die einander mit kindlicher Inbrunst umarmen.
Welch' ein reizender Anblick, in ihren kindischen Thaten
Schon den Ausbruch von edeln geerbten Trieben zu sehen,
Und dich, wie du so weislich die Samen der Tugenden pflegest,
Kostbare Samen, die Gott in unsre Seele gelegt hat!
O du verdienst, Melinde, für diese menschlichen Freuden,
Die du mir gibst, von mir mit gleichen belohnet zu werden.
Wird dein fühlendes Herz nicht in Entzückung zerfließen,
Wenn ich dir eine Welt beschreibe, die alles das wahr macht,
Was den Dichtern der Erde vom goldnen Alter geahnet;
Wo die Unschuld und Freude sich immer so schwesterlich liebten, 102
Als sie damals sich liebten, da beide, vom segnenden Lächeln
Ihres Schöpfers verschönert, die junge Erde betraten?
Eine Erde voll Menschen, die noch mit Gott und den Engeln
Zärtlichen Umgang pflegen; wo alle Mütter Melinden,
Alle Kinder den deinen an Unschuld und Zärtlichkeit gleichen.
Höre dann, würdige Freundin, und sieh wie glücklich die Welt ist,
Wo die Unschuld regiert, die deine Thaten bekrönet.
Als ich den Leib, der einst in ewig blühender Klarheit
Wieder dem Staub entsprießt, voll süßen Trostes, verlassen:
Ward ich im neuen äther'schen Gewand, womit mich mein Engel
Kleidete, schnell wie ein Lichtstrahl, in einen Himmel geführet,
Der, wie ein Garten Gottes, mit zahllosen Sternen beblümt ist;
In der Sprache des Himmels, die Ruhestadt Gottes. Mein Engel
Brachte mich bald in einen der Sterne, da künftig zu wohnen.
Nahe an ihm, so nah als der Mond die Erde bestrahlet,
Leuchtet uns eine der schönsten in diesem Gewimmel von Welten.
Eine Erde wie die, die uns, o Freundin, geboren,
Da sie jugendlich schön aus der Hand des Schöpfers hervorkam;
Aber von Menschen bewohnt, die ihre Unschuld bewahrten,
Eine selige Welt, begabt mit ewiger Jugend.
Niemals glühete hier der lechzende Sommer; der Winter
Schlug sein Flockengewand nie um die starrenden Fluren.
Ueberall lacht ein fröhlicher Mai auf blühenden Auen,
Immer schwebet um Hügel voll Trauben und goldene Haine
Sein Gespiele, der Herbst. Die Fruchtbarkeit thaut unaufhörlich
Aus den Rosengewölken. Hier rinnen Honigbäche
Von den Ritzen der Palmen, und hoch von marmornen Klippen.
Ueberall triefen die Spuren, wo Gott gewandelt, von Segen, 103
Ueberall haucht die Natur dem Menschen Vergnügen entgegen,
Fröhlich, ihm in der Unschuld der ersten Erschaffung zu dienen.

Aber, o laß dein Herz das Schönste selber hinzuthun,
Was dem Ausdruck gebricht, wenn ich die selige Unschuld
Und das Glück der Bewohner der frommen Erde dir male.
Freundin! Ihr Anblick entzückte mich mehr als der Engel des Himmels
Erster Anblick; mir wallte das Herz, ich fühlte zu ihnen
Mächtig mich hingezogen, wie zu geliebten Geschwistern.
Hier erscheinet die Menschheit in ihrer erhabenen Schöne,
Nahe der englischen Hoheit, wie wenn die goldene Sonne
Durch den silbernen Schleier leichtschwebender Wolken hervorblickt.
Liebe und reine Tugend beseelt die ganze Gesellschaft,
Eine harmonische Schaar von Brüdern und blühenden Schwestern,
Und ein lieblicher Anblick den Engeln, die schönere Sonnen
Um die Orangenlauben der sittsamen Erde verlassen,
Welche die menschliche Freude mit ihren Gespielen, der Muse,
Und der himmlischen Unschuld bewohnt. Die süßen Geschäfte
Dieser Glücklichen sind, wie es schuldlosen Wesen gebühret.
Nie entheiligte Ordnung, die Gottes Thaten nachahmet,
Herrschet darin; die Pflichten sind süß, die Tugend ist Uebung.
Viele beschäftigen sich, die Natur mit sparsamer Mühe
Vor zu üppigem Wuchs und vor Verwildrung zu schützen.
Andere sind erhabner bemüht, die Strahlen der Gottheit
In den Werken der Schöpfung, im Himmel, noch mehr auf der Erde
Aufzusuchen, und süße Bewundrung aus ihnen zu saugen.
Willig entdeckt die Natur vor ihren forschenden Augen
Ihren Reichthum, weil keinen der schnöde Vorwitz bethöret, 104
Ihre geheiligte Werkstatt mit frechem Blick zu entweihen.
Was sie gefunden, wird bald entweder in holden Gesprächen,
Oder durch lehrende Lieder den Brüdern und Freundinnen eigen.
Oftmals nimmt ein luftiges Thal, mit Violen bedecket,
Ein vertrauliches Chor in seine cedernen Schatten,
Blühende Mädchen, allein mit eigner natürlicher Anmuth,
Und dem höhern Preis der reinen Unschuld geschmücket,
Nur in die wallenden Locken gehüllt. Mit den Rosenarmen
An einander geschlungen, umgibt der reizende Cirkel
Einen erhabnen Jüngling, auf dessen Stirne die Freiheit,
Und im Auge voll Geist die sanfte Weisheit gesehn wird.
Er besingt in die geistigen Töne der silbernen Laute
Den, der allein die Entzückung der zärtlichen Seele verdienet,
Welchem die Sphären und Engel lobsingen, die göttliche Liebe,
Jeder Seligkeit Quell, das ewige Urbild des Schönen.
Wundernd, und mit Thränen der Lust im lächelnden Auge
Ruhet jedes Gesicht auf dem Sänger, die schuldlosen Herzen
Zittern vor Rührung; kein Ton, kein Gedank' entflieht von der Laute
Ohne Gefühl; die blühende Luft horcht schweigend, die Ceder
Säuselt Beifall herab, die Vögel im Myrtenhain horchen.
Aber die schöne Geliebte des Jünglings, ein göttliches Mädchen,
Eilt voll süßer unschuldiger Inbrunst, mit Augen voll Freude
Ihm an den Hals, den Gesang zu belohnen. Sie loben die Schwestern,
Segnen ihre Umarmung und preisen die selige Liebe.
Unterdeß sitzen die Mütter im duftenden Schatten der Laube,
Nicht allein, von Ruhe und Mutterfreuden umgeben;
Liebreich bemüht, die jüngste der Töchter, ihr ähnlichstes Nachbild,
Schön wie die Lieb', im Gesang erhabner Hymnen zu üben, 105
Oder die jungen Gedanken des zarten Knaben zu formen,
Oder aus lieblichen Früchten ein wirkliches Mahl zu bereiten.
Siehe, so fließt ihr unsterbliches Leben, voll heiliger Freude,
Nicht vom kleinsten Schmerz entstellt, in die Himmel hinüber,
Die sie erst spät mit den Seligkeiten der Erden erkaufen:
Denn wer lebte nicht gern im Arme der zärtlichsten Freundschaft,
Und in Thälern des Friedens, mit schuldlosen Menschen bevölkert,
Seine Unsterblichkeit durch, wenn ihn aus ätherischen Sphären
Nicht die nähere Gottheit zu Freuden der Seraphim riefe?

Aber, mich dünkt, du fragst mich, o Freundin, mit billiger Neugier:
Wie sich die seligen Menschen in ihrer Unschuld erhalten?
Ob sie mit höherer Stärke bewaffnet, die Reizung zum Bösen
Leichter als wir besiegt, ob ihr Gehorsam geprüft sey,
Oder ob kein Versucher den Weg zu dem seligen Sterne
Finden können? – O hätt' er ihn auch zu dem unsern verfehlet!
Alle die Fragen, o Freundin, soll dir Gülindy vergnügen;
Meine Gülindy, die zärtlichste unter den schuldlosen Töchtern,
Die von der bessern Eva, der ersten der Frauen, entsprangen.
Als wir einsmals in einer der paradiesischen Lauben
Einsam saßen, erzählte sie mir mit folgenden Worten
Die Geschichte der ersten Menschen. Sie hatte sie selber
Von den ambrosischen Lippen der göttlichen Zulma geschöpfet.

»Als der Schöpfer den Menschen, nach seinem Bilde gebildet,
Mitten in diesen Garten, den Auszug der irdischen Schönheit,
Segnend gesetzt, und alles was lebt und keimet und wächset
Ihm zu beherrschen gegeben, war nichts zu wünschen ihm übrig,
Als die Freundin, die Unbekannte, nach der er im Herzen 106
Süße Neigungen fühlte, die aus dem Innersten wallten.
Denn er fand bei den schönsten der Thiere nicht eines zum Umgang
Mit dem Menschen geschickt, das mit ihm Gedanken und Worte
Wechseln könnt', und gesellige Triebe zu hegen vermöchte.
Zwar besuchten auch Engel den neuen Lobpreiser der Gottheit
Oft, und pflegten mit ihm vertrauter Reden; er fand sie
Jetzt an blumichten Quellen, jetzt unter balsamischen Schatten.
Aber sie waren zur zärtlichsten Liebe dem Menschen zu göttlich,
Zu ätherisch für seine Umarmung. Er mußte bemüht seyn,
Seinem Geiste den feurigsten Schwung zum Erhabnen zu geben,
Daß er mit seinen Gedanken die kleinsten der ihren erschwünge.
Aber er sucht' ein ähnlicher Wesen, mit sanfterer Schönheit,
Irdischer, doch, wie er, beseelt vom göttlichen Anhauch,
Eine süße Gesellin, in deren Umarmung sein Busen
Völlig mit allen Begierden der innigsten Zärtlichkeit ruhte.
Einsmals, da er, ermüdet vom eiteln Bestreben, das Bildniß,
Das sein Herz verlangte, aus seiner Seele zu graben,
Eingeschlummert war, gab ihm ein Traum die lange gesuchte
Freundin zu sehn, wie ein himmlischer Seraph sie seiner Umarmung
Brachte; sein Herz zerschmolz von dem Anblick in süßer Entzückung,
Daß er plötzlich erwacht'. Er sprang vom blumigen Lager
Hoffnungsvoll auf, die Schöne zu suchen, zu der ihn sein Herz zog;
Und nicht lange, so fand er sie zwischen den Rosen umirren.
Denn sie hatte der Schöpfer am schönsten der irdischen Morgen
Für das einz'ge Bedürfniß des heiligen Menschen, das itzt noch
Unbefriedigt war, nach jedem geheimen Verlangen
Seiner Seele gebildet, vor ihren künftigen Töchtern 107
Allen die schönste. – So sah ich sie noch, bevor sie ihr Engel,
Reif für ein geistiger's Glück, in höhere Himmel entführte.
Als sie im lieblichsten Thal der paradiesischen Thäler
Liegend sich fand, erhub sie sich plötzlich, voll froher Verwundrung
Daß sie sey, und ganz im Anblick der herrlichen Schöpfung,
Die um sie her erwachte, verloren. Lang war sie nur Auge;
Aber die junge Seele ward bald zum Empfinden erweitert,
Da sie der laute Gesang der Vögel im nahen Gebüsche
Ihren Gesichtern entriß; sie lauscht', als ob sie die Töne
Sehen wollte, und glaubte zuletzt es sängen die Büsche.
Jetzt umfloß sie der Athem des holden ambrosischen Morgens,
Und die Blumen, die unter den zarten Füßen entsproßten,
Eiferten unter einander, mit ihren balsamischen Düften
Sie zuerst zu begrüßen, die neue Fürstin der Erde.
Wundernd sah sie umher, dann auf sich selber, dann wieder
Auf die umgebende Welt, dann auf den purpurnen Himmel.
Jede neue Empfindung, und jede Erneurung der ersten
War ihr ein süßer Beweis, sie sey. Doch wie sie entstanden,
Wie sie in diese Welt unwissend den Eingang gefunden,
Die recht für sie gemacht schien, das däucht' ihr schwer zu ergründen.

Jetzo versuchte sie es, die Stimme tönen zu lassen,
Und die lieblichen Dinge, womit sie umringt war, zu bitten,
Daß sie ihr ihren Ursprung und ihre Bestimmung entdeckten.
Schon empfand sie tief in der Brust ein heiliges Zittern,
Ein geheimes Gefühl von dem, durch den sie entstanden;
Schon bestrebten sich aus der Empfindungen süßem Gemische
Große Ideen, die Gott von sich selbst in die Seele gezeichnet,
Aber noch dunkel, hervor: als plötzlich der Mann sich ihr zeigte, 108
Der in erhabener Schönheit, nach Gott gebildet, einhertrat.
Anfangs war sie so sehr von seinem Anblick betroffen,
Daß sie mit sanft erzitternder Ehrfurcht für jenen ihn hielte,
Der sie ins Leben gerufen. Schon wollte sie Schöpfer ihn grüßen,
Und die Empfindungen alle, die sie empfand, ihm bekennen:
Aber die Aehnlichkeit, die sie mit sich an dem Manne bemerkte,
Und ein inniger Hang, der ihre Brust zu ihm hinzog,
Und die Blicke voll Liebe, womit er gegen sie eilte,
Lehrten sie anders vermuthen; die Reden bebten zurücke
Von den Lippen, ihr Angesicht glüht' in höherer Röthe,
In der Farbe der fühlenden Unschuld. Sie schmiegte sich furchtsam,
Aber von heimlicher Kraft wie an den Boden geheftet,
In die Umarmung des Freundes, der mit geflügelten Worten,
Voll Entzückung, die beste der Gaben dem Schöpfer verdankte.

Jetzo lehrte der Mensch die neue geliebte Gesellin,
Wer sie erschaffen, den heiligen Vater der Geister und Welten,
Der, nachdem er die Himmel mit höhern Bewohnern geadelt,
Auch der Erde zu seyn befohlen, und ihr zu Beherrschern
Menschen gegeben, die ihn zu bewundern und lieben begabt sind.
Dann erzählt' er ihr auch, wie er, ganz mit Freuden umflossen,
Mitten im Paradiese noch seufzende Wünsche gefühlet,
Einen Genossen der Lust und des Lobes der Gottheit zu haben;
Wie er so lange geseufzt, bis endlich ein himmlisches Traumbild
Ihm die gesuchte Gestalt der schönen Zulma gezeiget,
Die nun alle Begierden in seinem Herzen umfaßte.

Nunmehr herrschte die Liebe mit paradiesischer Unschuld
In den Fluren des göttlichen Gartens; die seligen Menschen
Lebten, im Angesicht Gottes, ein engelergötzendes Leben.
Ihnen diente die frohe Natur; die Luft und die Erde, 109
Und die krystallene Flut mit ihrem Reichthum war ihnen.
Nur ein einzig Verbot ward, ihren Gehorsam zu prüfen,
Jedem gegeben, mit ernster Bedrohung, daß dessen Verletzung
Sie, von den Seligkeiten, die nur der Unschuld gebühren,
Plötzlich vertrieben, dem Schmerz und endlich dem strafenden Tode
Liefern würde. Sie hörten die Drohung, doch mieden sie beide,
Mehr aus dankbarer Lieb' und ungezwungnem Gehorsam
Als aus Furcht der Strafe, das hohe Gebot zu verletzen.

Mitten im Paradies entquillt dem blumigen Boden
Eine nektarne Quelle, so leicht wie die Nachtluft im Frühling,
Und an Farbe wie Wein, mit süßen Kräften begabet,
Jede Nerve mit Leben und heitrer Lust zu begeistern.
Wenn sie das kleine Gefild', wo Zulma zuerst sich gefunden,
Voll weitduftender Blumen, die hier nur wachsen, getränkt hat,
Schlüpft sie zurück in den Schooß der Erde. Die Engel berichten,
Dieser Brunnquell entspringt' aus dem himmlischen Strome des Lebens,
Der die oberste Sphäre, das Empyreum, befruchtet;
Fließe von da zur Erde herab, wo in Edens Gebirgen
Sein ätherischer Geist sich mit irdischen Theilen verkörpre.
Diese Quelle war es, von welcher zu trinken den Menschen
Durch das ernste Gebot des Königs der Geister versagt war.
Aber nicht immer, sobald sie die Zeit der Prüfung bestanden,
Sollte der himmlischen Quelle Genuß den Gehorsam belohnen.

Schon war mehr als die Zeit des Umlaufs der Erde verflossen,
Daß das heilige Paar, in erster seliger Unschuld,
Paradiesische Tage genoß; mit jedem der Tage
Liebenswerther, von Engeln geliebt, dem Schöpfer gefällig. 110
Ihre Tugend war Freude. So will es der Schöpfer! Er krönet
Jede selige Pflicht mit unzertrennlicher Wollust.

Unterdeß hatte der mächtige Geist, der, mit den Cohorten,
Deren Führer er war, den Himmel mit Aufstand entweihte,
Nach vieljährigem Irren im Aether die Erde gefunden;
Wo der Sklave des Uebels, sich einen Thron zu erobern,
Schuldlose Menschen, wie einst die folgsamen Engel, zum Abfall
Reizen wollte. Zwar hatte der Donner Gottes den Sünder,
Fern aus der Welt, der Wohnung der Lust, in die Hölle geschleudert,
Die in der Mitte des Chaos, zum Sitz des Jammers verfluchet,
Ihn zu empfangen den feurigen Schlund lautbrüllend eröffnet.
Aber er hatte durch heimliche Wege (was wagt nicht Verzweiflung?)
In die Welten der Gottheit den Zugang wieder gefunden;
Von Gedanken der Bosheit und unsinnvollen Entwürfen
Wie von Gebirgen gedrückt. Er war, nicht kenntlich zu werden,
In der Gestalt ätherischer Thier', jetzt Delphin, jetzt Vogel,
Bis in die Ruhestadt Gottes gedrungen, den Engeln verborgen;
Aber ihn sah vom unendlichen Thron der Schöpfer mit Hohn an.
Endlich da er die Wohnung der seligen Menschen gefunden,
Fiel er, wie eine sanft schimmernde Wolk', in die Röthe des Morgens
Eingehüllet, zur Erde herab. Das Rosengewölke
Bildet' er mit seraphischer Kunst zum leichten Gewande,
Wie die Engel gewohnt sind sich für die Menschen zu kleiden.
Von der Höhe des Berges, an dessen cedernem Fuße
Sich die gesegneten Fluren, wie Gärten Gottes, verbreiten,
Sah er mit lüsternem Blick und unglückträchtigem Herzen
Aus der Dämmrung herab, und sah die glücklichen Menschen 111
Unter der schönsten der Lauben in süßem Schlummer noch ruhen,
Neben ihnen bedeckt' ein Bett sanfthauchender Rosen
Ein sich umarmendes Paar der liebenswürdigsten Kinder,
Zwillinge, schön wie der Morgen in ihrer lächelnden Unschuld.
Elim und Sosan, zwei himmlische Freunde, und Freunde der Menschen,
Wachten der keimenden Unschuld, und hingen mit Augen voll Liebe
Ueber dem schlaffen sanft glühenden Antlitz der heiligen Kinder.

Satan schaute herab, und Neid und Unmuth und Bosheit
Flammten in seinem schielenden Blick; kaum hielt er sich selber,
Daß die wilden Gedanken ein lautes Gebrüll nicht verriethe.
Aber ihn sah der Engel der Sonne: indem er den Morgen,
Mit ätherischen Rosen gekränzt, zur Erden herabließ,
Sah er ihn auf den östlichen Bergen des Paradieses,
Wie er mit Augen voll Neid die schlummernden Menschen erforschte.
Jetzo schickt er, den ersten der Menschen mit Weisheit zu stärken
(So viel war ihm allein, den Fall zu verhindern, vergönnet),
Karmiel ab, den Weisesten unter den glänzenden Schaaren,
Die in seiner Beherrschung die goldene Sonne beschützten.
Karmiel stieg mit den obersten Strahlen der Morgensonne
Schnell zur Erden herab, und fand den göttlichen Menschen,
Schon vom Morgen erweckt, die liebliche Arbeit erneuern;
Aber die schönste der Mütter war in der Laube geblieben,
Daß sie der Hoffnung der Erde, der zarten Säuglinge, pflegte.
Jetzo führten der Mensch und sein vertraulicher Engel
Reden von heiligem Inhalt. Die Weisheit in menschlicher Anmuth 112
Floß von den Lippen des Seraphs in seines Hörers Gemüthe.
Karmiel sah mit Entzückung den liebenswürdigen Menschen
In der seligen Einfalt der ersten Erschaffung einhergehn.
Und er umarmt ihn und sprach: »Wie hat uns der Schöpfer begnadigt,
Daß er den Umgang der Menschen uns gönnt, in denen sein Bildniß
Mit herzrührender Schönheit, ihn anzubeten, entzündet!
Bleibe der Einfalt getreu, so wird dein blühender Wohlstand
Immer die Engel vergnügen. Laß niemals eiteln Begierden,
Wünschen, die deine Bestimmung verfehlen und über sie streben,
Zugang zu deinem Herzen. Sey mit der Erkenntniß zufrieden,
Die dir erlaubt ist, und eifre nie mit Engeln. Die Gottheit
Ist dem Seraph so wenig als dir durchschaubar; denn ewig
Liegt die Unendlichkeit zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen.
Wenn du als Mensch den Unendlichen preisest, und wenn du auch stammelst,
Tönt es dennoch dem göttlichen Ohre nicht minder harmonisch,
Als die hohen Gedanken, selbst in der olympischen Sprache
Unaussprechlich, womit der Seher Gottes, der Cherub,
Mit aufwallender Seele den Geist der Geister verehret.
Denn Gott siehet mit gleichem Vergnügen auf Engel herunter,
Und auf Würmer im Staub, auf helle Bewohner der Sonnen,
Und den Menschen von Erde, den auch sein Anschaun erwartet,
Wenn er jedes dem Zweck, zu dem er's belebte, getreu sieht.
Aber der Seraphim schönster, sobald er sich selber verachtet,
Und mit der Endlichkeit zürnt, erniedrigt sich unter die Würmer,
Und verliert auch das, was seinem Stolze zu klein war.« 113
Also stärkte der Engel mit überredender Weisheit
Seinen irdischen Freund. Sie besprachen sich unter einander,
Bis der kommende Mittag jenen zu höhern Geschäften
In die Sonne berief. Er schied, und küßte den Menschen
Liebreich, und überließ ihn nunmehr der eigenen Stärke.
Von Empfindungen voll, die Karmiel in ihm entflammte,
Kam er zu Zulma zurück, und eilte, die Lust sich zu geben,
Jede schöne Bewegung in ihrem zärtlichen Herzen,
Und im Auge voll Unschuld verschönert wallen zu sehen.
Dann umarmten sie sich, und dankten ihr Glück dem Erschaffer
Mit Gelübden unsterblicher Treu'; dann küßte die Mutter
Jeden gesegneten Säugling, und drückt' ihn sanft an den Busen,
Und gelobte sie Gott, und weinte vor zärtlicher Freude.
Aber Satan, zum Unglück der seligen Menschen entzündet,
Nahm bald diese, bald jene Gestalt, der heiligen Laube
Unerkannt nahe zu seyn. Jetzt flog er mit blumichten Flügeln
Um die Wände von Rosen, und lauschte, die Reden zu hören,
Die das vertrauliche Paar, als ob nur Gott sie jetzt hörte,
Ihm nicht verbarg; jetzt floß er wie goldbeschuppte CerastenCerasten sind gehörnte Schlangen auf der Goldküste von Afrika. S. Bruce's Reise im Anhang Taf. 40.
Zwischen den Blumen dahin: jetzt folgte er ihnen im Lustgang
In der Gestalt der weißesten Hindin, durch laubichte Bogen,
Oder Reihen von Bäumen, mit goldnen Früchten gekrönet.
Endlich erfährt er, indem sie beim Quell der Versuchung vorbeigehn,
Mit aufbrausender Freude, das sicherste Mittel, die Unschuld
(Also wähnt er) zu täuschen. Er flieht ins dickste Gehölze
Und verfluchet die Nacht, die den folgenden Morgen entfernet,
Und zu lange den Menschen die erste Unschuld noch gönnet.
Ungestüm wälzt der Verruchte sich auf dem Lager der Blumen,
Von Entschlüssen empört; die paradiesischen Lüfte, 114
Ob sie gleich, wie ambrosischer Aether, die Gegend umflossen
Waren nicht kühlend genung, die Glut der Adern zu dämpfen:
Unter ihm ward der Boden versengt, er wand sich auf Rosen,
Wie auf glühenden Kohlen, und roch nur höllischen Schwefel,
Wenn der Oelbaum auf ihn süßduftende Schatten herabließ.
Endlich erwachte der Tag, das Lob der Gottheit erwachte
Auf den Lippen der Menschen mit ihm; die Sonne kam jauchzend
Diesen Tag zu bekrönen, der, durch die siegende Unschuld
Herrlich vor andern Tagen, beim Thron des Schöpfers vorbeiging.
Denn er sahe die Zukunft, und sah mit göttlicher Freude,
Wie die menschliche Tugend, den, der sie hauchte, zu ehren,
Nur mit wehrloser Einfalt die List des Feindes besiegte.

Als der schwüle Mittag von seiner Arbeit den Menschen
In die Grotte berief, das Mahl mit Zulma zu nehmen,
Führt' ihn der kürzeste Weg in die schönste Gegend von Eden,
Welche der Quell der Versuchung mit himmlischer Schöne beseelte.
Und er sah an der Quelle, umwölkt vom duftenden Zimmtstrauch
Einen der Seraphim sitzen! (Denn in der schönen Verkleidung
Satan zu kennen, das konnte nur Gott.) Er sah mit Verwundrung
Wie der olympische Jüngling, zum Wandern die Hüfte gegürtet
Und sein purpurnes Haar mit ewigen Rosen durchflochten,
Ueber die Quelle mit freudigem Auge bewundernd sich bückte.
Aber nicht lange, so schöpft' er vom Wasser der schimmernden Quelle,
Trank, und schöpft' aufs neu, als ob er den Menschen nicht sähe. 115
Plötzlich springt er dann auf, verbreitet in hoher Entzückung
Seine Arme gen Himmel, und steht, die strahlenden Blicke
In den Himmel versenkt; sein Mund ergießt sich in Hymnen,
Wie von der Quelle zu brünstigerm Lobe der Gottheit begeistert,
Und von der süßesten Kraft seraphischer Freuden durchdrungen.
Ueber den Anblick erstaunt, betrachtet der Mensch ihn von ferne,
Zittert, und hört mit Wunder die Stimme der hohen Entzückung.
Dennoch naht er sich ihm, der von dem Rauschen der Tritte
Plötzlich erweckt, sich umsah, und sprach die geflügelten Worte:

»Schöner Engel, wie hat dich dein Flug zur Erde geleitet?
Denn ich sahe dein Antlitz noch nie in Edens Gefilden;
Sey mir gegrüßt, und wenn dein Geschäft zu verweilen erlaubet,
Laß dir gefallen, mit mir in der Mittagslaube zu ruhen.«
Also sagt er; ihm gibt der Engel die freundliche Antwort:

»Freund, mich führet mein Flug von einer der fernesten Sonnen,
Wo mich, in Salmiels Dienst, geheime Verrichtungen riefen,
Jetzo komm' ich zurück. Als über der Erd' ich hinschwebte,
Lockt' ihr jugendlich Antlitz in seiner aufblühenden Schönheit
Mich herunter zu steigen, und ihren Schöpfer zu loben.
Also schwebt' ich herab. Da sah ich mit fröhlichem Wunder
Diese olympische Quelle den irdischen Boden verhimmeln.
Froh, den Nektar der Engel in deinen Thälern zu finden,
Trank ich von ihm, und erquickte die Geister zum übrigen Fluge.
Aber wie freut sich mein Herz, dich, König der irdischen Schöpfung, 116
Selber zu sehn, und den mit meinem Gruße zu ehren,
Den die Gottheit so herrlich mit ihrem Bilde geziert hat!«

»Seraph, es ist der Schöpfer, der, wie sein erhabener Will' ist,
Jetzo die goldene Wolke zum schönsten der Seraphim hauchet,
Jetzo den Wurm im irdischen Staub, jetzt Menschen aus Erde
Drehet, und, wie er will, mit eigner Schönheit begabet.
Ihn zu loben, ist billig der Wesen schönstes Geschäfte,
Die sein gütiger Schluß zum ewigen Leben erschaffen.
Und du ermunterst mich billig, in seinem Lob dir zu folgen.
Aber, o sage mir, himmlischer Jüngling, wie kennst du die Quelle,
Wo ich dich fand, und ist dir erlaubt, ihr Wasser zu trinken?«
Also sagte mit Unschuld der Mensch. Da sprach der Betrüger:
»Fragest du noch? die Quell' entspringt vom Strome des Lebens,
Welcher das Empyreum beseelt. Ihn trinken die Engel
Alle, und küssen sich oft an seinem blumigen Ufer,
Wo sie die himmlische Rose bedeckt. Der Schöpfer begabt' ihn
Mit allmächtiger Kraft, die Geister zu göttlichen Hymnen
Und zum höhern Ruhm des Königs des Himmels zu stärken.
Wenn wir an einem geselligen Abend sein Ufer besuchen,
Dann vergöttert die Freude die heiligen Stunden. Dann fühlet
Jeder Gedanke sich mehr, ein jeder nektarne Tropfen
Wird Empfindung, und jegliches Herz in Entzückung gerissen,
Daß die Himmel umher von hohen Gesängen erschallen.
Glücklich bist du, o Freund! dir strömen die Freuden der Engel,
Zwar mit irdischer Luft und schweren Theilen verkörpert,
Doch noch himmlisch genug, die Seraphim selbst zu entzücken.« 117

Du erzählest mir Wunder, so sprach der Vater der Menschen;
Aber wie wundervoll ist ein jeder Punkt in der Schöpfung!
Warum nicht englische Welten? – Allein du irrest, o Seraph,
Wenn du glaubest, es sey mir vergönnt die Quelle zu trinken.
Ein Befehl aus dem Munde des Schöpfers versagt mir die Quelle;
Sie nur allein, das Uebrige dient den glücklichen Menschen.

»Welch ein Wort, o Geliebter, ist deinen Lippen entflossen!
Sagte der Engel erstaunt, mit zweifelhafter Gebärde;
Ein Befehl aus dem Munde des Schöpfers versagt dir die Quelle?
Sollte der Vater des Guten dem Menschen, dem jüngsten der Kinder,
Und dem liebsten vielleicht, die seine Allmacht geboren,
Sollt' er das Beste der Erden dem Liebling auf Erden versagen?«

Als er so sprach, beschaute der Mensch mit wunderndem Auge,
Und mit ernstlicher Stirn den schlauverkleid'ten Verführer;
Aber von seinem bezaubernden Lächeln bald wieder erheitert,
Gab er die Antwort: »So, wie ich gesagt, befahl mir der Schöpfer,
Und er fügt' die Drohung hinzu (noch schallet ihr Donner
Mir im Ohr) die Verachtung des hohen Befehls mit dem Tode –
Was es auch sey, womit dieß grausame Wort mich bedrohet –
Und mit Verlust der Wonne, die mich beseligt, zu strafen.
Aber glaube mir, Seraph, die Furcht der härtesten Strafe
Rühret mich ungleich minder, als der Gedanke mich rühret,
Einem so gütigen Gott auch nur mit einer Begierde
Ungehorsam zu seyn. Ihm unbedingt zu gehorchen, 118
Ist der Erschaffnen einzige Pflicht; zu fragen, warum er
Dieses Verbot uns gab, wär' eitler sträflicher Vorwitz.
Zweifelsfrei hat er dem Quell zur Erde zu fließen befohlen,
Daß er den Seraphim diene, die meine Lauben besuchen.«
Da er so sprach, veränderte sich die Gebärde des Engels;
Unmuth, den er umsonst zurück zu halten bestrebte,
Droht' aus den lächelnden Mienen hervor; doch eh' ihn der Mensch noch
Merkte, bedeckte der Heuchler aufs neue den Unmuth mit Freude.
Ernsthaft, doch daß Liebe den Ernst der Augen durchstrahlte,
Sprach sein harmonischer Mund die überredenden Worte:

»Billig hast du dich, Freund, mit deinen Sinnen verbündet.
Niemals wider die Ordnung des Königs der Geister zu handeln.
Ihm, durch welchen wir sind, gebührt von allen Erschaffnen
Freier Gehorsam und Treu' und unaussprechliche Liebe.
Aber blinden Gehorsam von freien Wesen zu fordern,
Dieß sey ferne von Gott! Wie kannst du von ihm nur vermuthen,
Daß er dieß Opfer von deiner Vernunft, dem göttlichen Kleinod,
Welches an dir die Olympier ehren, im Ernste verlange?
Hätt' es mit seinem Verbot nicht eine geheime Bewandtniß,
Die du noch nicht begreifest, gewiß, o Werther, er hätte,
Da er den Quell dir verbot, statt Drohungen Gründe gegeben,
Und dich, anstatt zu schrecken, mit Ueberzeugung gewonnen.
Denke nur nach (wofern du nicht allzu furchtsam dich scheuest,
Ueber die immer weisen Gebote des Schöpfers zu denken),
Ist es der Weisheit würdig, die sich im Weltbau verherrlicht,
Und noch mehr in der geistigen Welt, ist's ihrer wohl würdig,
Ein vernünftig Geschöpf da nur mit dräuendem Donner 119
Zum Gehorsam zu zwingen, wo Ueberzeugung noch Statt hat?
Glaube mir, Mensch, die Ehrfurcht vor Gott verbindet dich selber
Anders hievon zu denken! – Jetzt kam ein goldner Gedanke
Mir ins Herz, und Liebe zu dir, o Theurer, gebeut mir,
Dir die noch blöden Augen zu deinem Besten zu öffnen.
Hier ist keine Vernunft, die Absicht Gottes zu spähen,
Nöthig, und wahrlich ein heimlicher Wink der herrschenden Vorsicht
Hat mich im Fluge hieher zu deinem Dienste geleitet!
Höre dann, Freund! Der Schöpfer hat bloß zu deinem Gebrauche
Diesen Quell in die Mitte des Paradieses gegossen.
Wär' er den Engeln bestimmt, was half es durch irdischen Zusatz
Seine ursprüngliche Kraft, sein geistiges Wesen zu schwächen?
Aber warum verbot er ihn dir? – O Tiefen der Weisheit,
Die sich hier mir eröffnen! Wie sind die Wege mäandrisch,
Wo er die Lieblinge führt! Er will die Zärtlichkeit prüfen,
Die er mit Recht von den Geistern erwartet: er will dich erforschen,
Ob du aus Liebe zu ihm die Furcht der Strafe verachtest.
Siehe die Quelle nur an, sie kann dir alles erklären.
Ihre himmlische Kraft ist ungezweifelt; sie stärket
Das entbrannte Gemüth zu höherm Lobe der Gottheit;
Mit dem Zuwachs an Kraft, die göttliche Schönheit zu preisen,
Wächset die Würde der Geister. So kann dieß heilige Wasser
Engel vergöttern, und Menschen zur Hoheit der Engel befördern.
Hat nun der Schöpfer nicht Recht, von seinem Liebling zu glauben, 120
Daß er mit Freuden das Mittel, das ihn zum Dienste des Schöpfers
Fähiger macht, gebrauchen werde? Doch besser zu prüfen,
Ob du die hohe Bestimmung, zum Preise Gottes zu leben,
Für so wichtig erkennest, wie sie die Seraphim schätzen,
Gab er dir ein Verbot, ein Prüfungsverbot, zu erforschen,
Ob du dich selber mehr als ihn den Unendlichen liebest?
Sollte die Furcht des Uebels, womit sein Donner dich schrecket,
Ein erhabnes Gemüth von der schönsten der Thaten verscheuchen?
Wag' es, o Freund, verdiene das Lob der fernesten Himmel,
Und der Bewundrung der Engel! Sey ohne Sorge! Jehovah,
Wenn er die edeln Entzückungen sieht, womit du ihn ehrest,
Wird mit zufriedenem Lächeln die heilige Kühnheit belohnen.
Zweifelst du noch? – Die Erfahrung, o Freund, die mich selber betroffen,
Soll dich gegen die niedrige Furcht noch besser verwahren.
Als der Schöpfer, die Welten zu schaffen, vom obersten Himmel
Einsam herabstieg, befahl er mit siebenfältigem Donner
Allen Bewohnern des Himmels, es sollte niemand ihm folgen,
Niemand herab von den Zinnen der diamantenen Mauern
In die Mitternacht sehn, bis mit dem siebenten Morgen
Alles in neuempfangener Pracht ihr Auge begrüßte.
Würden sie seinem Befehl zuwider handeln, so sollte
Schnell die Verbannung vom Himmel der kühnen Frevel bestrafen.
Also befahl er, und fuhr allein ins Chaos hinunter.
Niemand schaute ihm nach. Allein wie konnten die Engel
Seinen göttlichen Anblick entbehren? Die innigste Sehnsucht
Trieb uns mit heiliger Ungeduld an, anbetende Zeugen
Seiner Thaten zu seyn. Wir konnten die mächtige Sehnsucht 121
Nimmer bestreiten, die Furcht ward von der Liebe verschlungen.
Also kamen wir alle herab, der Cherub und Seraph,
Ein unendliches Heer, von gleichen Trieben entzündet,
Und umflossen die Gottheit, die, ringsum von werdenden Welten
Und vom Getümmel des Chaos umgeben, den Wesen Gesetz gab.
Plötzlich erschallte die Tiefe von englischen Stimmen, der Anblick
Des erschaffenden Gottes entzückt' uns zu göttlichen Liedern,
Welche zu hören die Sphären aus ihren Wirbeln sich drangen.
Als der Schöpfer uns sah, vergab er der heiligen Inbrunst
Eine rühmliche Kühnheit, und ließ sich die Hymnen gefallen.
Siehe, geliebter Mensch, so pflegt der Unendliche manchmal
Mit den Erschaffnen zu spielen. Sey muthig und stärke dich selber
Zur erhabensten Tugend! Verziehe nicht länger die Wahrheit
Meines Raths zu erfahren, und mit dem süßen Gefühle,
Glücklicher dich zu sehn, mein liebendes Herz zu belohnen!«
Also sagt' er, und wilde Freude durchfeuerte sein Antlitz,
Da er den Menschen sah, der, über sein Reden betroffen,
Zweifelhaft, wie es schien, und mit sich selber im Streite
Stand, und jetzt auf den Engel, jetzt auf die schimmernde Quelle
Stumm und gedankvoll sah. Schon wollte der schlaue Verräther
Seines zu früh gehofften Sieges sich völlig versichern,
Als ihn schnell von dem Menschen ein schönerer Gegenstand abzog.

Zulma, das heilige Weib, kam, ihren Geliebten zu suchen,
Ueber den Hügel herab. Sein ungewohntes Verweilen 122
Hatte sie sorgsam gemacht. Sie ging, wie die himmlische Liebe,
Reizend und heilig durch Unschuld, und ihres göttlichen Ursprungs
Still sich bewußt; so sprach von fern ihr englisches Antlitz.
Jeglicher Arm trug eines der blühenden Zwillingsgeschwister,
Ihre geliebteste Sorge; sie spielten mit kindischer Unschuld
Zärtlich um sie: und schmiegten sich sanft an den lieblichen Busen,
Rehezwillingen gleich, die unter den Lilien weiden.
Mit sanftthränendem Auge, das oft gen Himmel hinaufsah,
Lächelte sie die Säuglinge an; mit süßer Entzückung
Sah sie das göttliche Bild den jungen Zügen entstrahlen.
Also kam sie daher. Sie sah der Mensch und der Engel,
Jeder mir andrer Empfindung. Kaum konnte der schändliche Dämon,
Da er die schönste der Frauen erblickte, die wilde Verzückung
Seines Herzens verbergen, sie funkelt' im lüsternen Auge.
Aber mit bebender Brust fand Zulma den theuren Geliebten
Mit dem Engel beim Quell in Unterredung verweilen;
Dennoch nahte sie sich. Er sah sie mit inniger Freude,
Aber verbarg die wahren Gedanken, und sagte zum Weibe,
Ihre Fassung zu prüfen, mit ernster Stirne die Worte:

»Schöne Gehülfin, du kommst in einer glücklichen Stunde.
Dieser Seraph, dem seine Gestalt für allen Beweis dient,
Daß er vom Himmel zu uns aus göttlichen Chören gestiegen,
Hat mir das hohe Geheimniß von dieser verbotenen Quelle
Gütig entdeckt. So befahl ihm sein Herz, und die zärtliche Freundschaft,
Die er für uns gefasset. Die Quell' entspringt im Olympus,
Bringet von da vergötternde Kräfte herunter, und mischt sich 123
Uns zu tränken mit irdischen Theilen. Die Seraphim trinken
Den erhabensten Schwung zu stetem Lobe der Gottheit,
Aus dem Strome, von dem sie geflossen. Nur wenige Tropfen
Könnten uns, wie der Seraph mir sagt, zu Engeln erheben;
Und die Gottheit vergäbe die heilige Kühnheit der Unschuld
Unsrer Absicht, und nähme das Lob von verhimmelten Menschen
Fröhlicher an. So hat sie ehmals den Engeln vergeben,
Da sie ein ernstes Verbot aus frommer Absicht verletzten.
Siehe nur, Zulma, den Quell, sein morgenröthliches Schimmern!
Ist die Schönheit uns nicht ein Bürge der inneren Tugend?
Nähere dich, und athme die empyreischen Düfte
Unbesorgt, wenn du für billig erkennst dem Seraph zu folgen,
Den die Großmuth bewegt, ihm selbst uns ähnlich zu machen.

Also der Mensch. Der schlaue Verführer, voll teuflischer Freude,
Schöpft aus dem Quell in ein goldnes Gefäß, und bringt es dem Weibe.
Fürstin der irdischen Schöpfung, von Engeln bewunderte Zulma,
Wie der Mensch dir gesagt, so ist die Tugend der Quelle.
Glaube der Freundschaft und englischen Lippen. Versuche sie selber.
Gönn' uns die Lust, dich zuerst von ihr beseligt zu sehen.
Also sagt' er, und bot ihr mit zaubrischem Lächeln den Becher.

Zulma bebte zurück. Die Rede des göttlichen Menschen
Hatte sie schon im innersten Herzen verwundet. Sie sah ihn
Wehmuthsvoll an; dann gab sie dem hassenswürdigen Engel
Einen zürnenden Blick. Jetzt sah sie wieder den Mann an,
Spähte sein ernstes Antlitz; ihr Auge voll schmachtender Unschuld 124
Bat ihn thränend, noch ehe der Mund vor Bestürzung sich aufthat:

Himmel, was hört mein bebendes Ohr, was siehet mein Auge?
Was ich nie zu befürchten gewagt! Mein Freund, mein Geliebter,
Er, der meine Unschuld beschützen sollte, verleitet,
Auch nur eine Minute zu zweifeln, ob Gottes Befehle
Seinen Gehorsam verdienen! Wie ist es möglich, wie kann dir
Eines Engels verführende Stimme den Donner des Höchsten
Aus dem Gedächtniß tilgen? Wie schauert mir vor dem Gedanken
Dessen Haß zu verdienen, der uns so göttlich geliebt hat,
Eh' wir selbst uns noch kannten! Noch seh' ich ihn, wie ich ihn damals,
Ganz in süßer anbetender Inbrunst zerschmolzen, gesehen,
Da er mich segnend dir gab, und lieblich wallende Lüfte
Und ein heller ambrosischer Glanz den Garten umflossen.
Immer schwebt er mir vor, der alle Himmel erfüllet,
Immer vermahnt mich ein süßes Gefühl der Gegenwart Gottes,
Heilig in seinen Augen zu wandeln. Du hast mich, o Theurer,
Seit mich deine Umarmung beglückt, in der Unschuld gestärket,
Und die würdigen Triebe, die meinen Busen beleben,
Liebreich zu Weisheit erhöht. Im Ueberflusse der Freuden,
Da ich dir mehr als Eden, und du mir alles gewesen,
Was mein feurigster Wunsch von der ewigen Güte verlangte,
War es uns leicht, das Gebot des weisen Schöpfers zu halten.
Theurer Gemahl, wie könnt' in deiner göttlichen Seele,
Die so heiter bisher in meinen Armen geruht hat,
Eine so lüsterne Neigung entbrennen? – Doch ferne von Zulma
Sey es, mit solchen Gedanken dich, mein Geliebter, zu kränken! 125
Nein, du kannst dem Versucher dein heiliges Herz nicht eröffnen;
Wer er auch sey, wie schön sein Antlitz die Seraphim nachahmt,
Nein! das Verbot, des Unendlichen Stimme, der Donner der Gottheit,
Die sonst Liebe nur war, und deine flehende Gattin
Halten dich ab! Du kannst dem Versucher dein Herz nicht eröffnen!
Aber wenn du es könntest, wenn, was ich zu fürchten nicht wage,
Was mir Schauer erweckt, wenn ja der Vorsatz, dem Schöpfer
Ungehorsam zu seyn, in Schein der Tugend verhüllet,
Deinen zu willigen Geist, o Theurer, bewältiget hätte:
O so beschwört dich mein Herz, aus seinen innersten Tiefen,
Um der Seligkeit willen, zu der uns der Schöpfer erschaffen,
Um der Inbrunst, womit ich dein erstes Umarmen belohnte,
Um der dankenden Seufzer und um der Entzückungen willen,
Die wir umarmend weinten, wenn uns der große Gedanke,
Von der Gottheit gesegnet uns ewig zu lieben, umfaßte:
Ach! bei jeglicher Hoffnung, die mich die Wonne der Zukunft
Schon voraus schmecken ließ, so oft ich in seligen Träumen
Jeden grünenden Hügel bedeckt mit fröhlichen Enkeln,
Jedes blühende Thal mit schuldlosen Töchtern erfüllt sah,
Welche, dem Schöpfer gefällig, mit reinen Lippen ihn lobten;
Um der Hoffnungen willen, in deren Anschau'n ich oftmals
Ganz in Freudenthränen zerfloß: um dieser willen
(Hier umschlang sie die Kinder, und drückte jedes mit Inbrunst
Stärker an ihre klopfende Brust und begoß sie mit Thränen),
Um der Säuglinge willen, die noch dem Vater nicht dankten,
Der sie, selig zu seyn und Gott zu preisen, gezeuget;
Siehe sie an, ihr Lächeln voll Unschuld, ihr Auge voll Liebe!
Könnte der Anblick allein nicht bewegen? Bei diesen, o Liebster,
Und wenn etwas theuer noch ist, beschwöret dich Zulma, 126
Höre sie, hör' ihr Flehen, und flieh' die versuchende Quelle,
Fliehe den Rath des furchtbaren Engels, und bleibe der Unschuld
Und dem Schöpfer getreu, entflieh' der Drohung und lebe!

Also sprach sie mit flehender Stimme. Doch rührte der Anblick
Ihrer bekümmerten Unschuld noch mehr, als die jammernden Reden.
Jetzo konnte der Mann sich nicht mehr halten, er eilte
Mit verbreiteten Armen, in unbeschreiblicher Wonne,
Gegen die göttliche Frau, und umfing sie mit heiliger Liebe,
Unbesorgt, daß der Engel die frohen Entzückungen sehe.
Theu'rste, du letztes und bestes Geschenk der göttlichen Liebe,
Reine Unschuld, wie kann ich dem Schöpfer genug für dich danken?
Wie beseligst du mich, o Zulma! Dieser Entzückung,
Die mir deine Unschuld in ihrer siegenden Schönheit
Jetzo gewährt, glich keine, die du mir jemals gegeben.
Wende dich nicht; du findest mich deiner Zärtlichkeit würdig!
Aber laß mich vorher die heiligen Thränen entküssen,
Die dein seelenvoll Auge so unaussprechlich verschönern!
Theure, himmlische Seele, wie hüpft mein Herz mir vor Freude,
Daß es Zeugniß mir gibt, es sey mit jeder Empfindung
Deiner würdig geblieben! Wie macht dieß Bewußtseyn mich glücklich!
Freundin, ich wollte dich nur der Probe gleichfalls vertrauen,
Die ich zuerst erfahren (die Unschuld scheuet sich niemals
Vor der Prüfung), ich sagte dir, was der versuchende Seraph
Mir gesagt, und ließ dich vermuthen, als könnt' ich ihm glauben.
Aber nie hat mein Herz die schwarze Begierde beflecket,
Was er auch wohlberedt sprach, des Schöpfers Gebot zu verletzen.
Nein, sein hoher Befehl wird ewig in meinem Gedächtniß
Widerschallen! Wie könnt' ich den großen Gedanken vergessen, 127
Daß mich immer sein Auge durchschaut? O Schöpfer, wie könnt' ich
Deine Liebe verachten? wie gegen dich mich verschulden?
Gegen den, der mit Güte mich krönt, der diese mir schenkte,
Welche mit ihrer holdseligen Unschuld mein Leben verhimmelt?
Aber du, wer du auch seyst (hier wandte der Mensch sich zum Engel),
Wahrlich kein Geist des Himmels, wie du dich rühmest, entweiche!
Bist du – und, daß du es bist, gibt deine Rede mir Zeugniß –
Bist du ein Feind des allmächtigen Gottes, ein schnöder Verworfner,
Der ihm zuerst den Gehorsam versagte, und jetzt von Verzweiflung
Angefeuert, auch andere verführt, unseliger Seraph!
O wie konntest du glauben, dein lieblichtönend Geschwätze
Werde die Stimme Gottes unhörbar zu machen vermögen?
Zweifelsfrei wußtest du nicht, daß Gott den Menschen von Erde
Auch mit Vernunft begabte. Wie könnte die thörichte Hoffnung
Sonst dich getäuschet haben, mich wider Gott zu empören?
Meinest du der, dem Gott auch seinen Schatten nur zeiget,
Werde so frevelhaft seyn, die überredenden Worte
Eines verräthrischen Engels mit Gottes Befehlen zu messen?
Und was bist du denn, oder was sind die Seraphim alle
Gegen ihn, der die Ewigkeit füllt? Ein Morgengewölke,
Ein vergänglicher Hauch! – Und würde der Gottheit Befehl gleich
Unbegreiflich mir seyn, und würden die Engel gemeinsam
Mich mit den scheinbarsten Reden dem frohen Gehorsam entlocken,
Glaube mir (und wahrlich hier kann ein Verräther nur zweifeln!),
Niemals würd' ich vergessen, daß aller Engel Erkenntniß,
Aller Cherubim Weisheit, vor der, durch welche sie denken,
Wie ein flüchtiger Nebel im Strahl der Sonne zerfließet. 128
Fliehe demnach, Verräther, entflieh'! Ich sehe den Himmel
Sich mit blitzendem Schimmer eröffnen, die Seraphim steigen
Im Triumphe herab; entflieh' mit Schande bedecket!«

Also sprach er. Den Grimm des feindlichen Dämons zu schildern,
Kann für Herzen, die nichts als sanfte Bewegungen fühlen,
Weder möglich noch angenehm seyn. Er hatte die Hölle
Und sich selbst nie stärker gefühlt. Vom obersten Gipfel
Seiner Hoffnung so plötzlich herabgestürzet zu liegen,
Schmerzt' ihn mehr als der Fall vom Olympus. Die Tugend des Weibes,
Die er schwächer geglaubt, besiegte den Sünder so völlig,
Daß er anstatt in Wuth zu entbrennen, nur kraftlos erseufzte.
Jetzt empfand er die Allmacht der schönen Unschuld; vergebens
Blitzte der höllische Zorn aus seinen Augen, sie zwang ihn
Mitten in seinem Unmuth zu lächeln. Noch blieb ihm der Schatten
Seiner Hoffnung, den Mann, den halbbesiegten, zu fangen.
Aber auch dieser Schatten verschwand, da er voller Entzückung
Zulma umfing, und sich mit ihr in der Treue bestärkte.
Länger kann er nun nicht den Zorn im glühenden Busen
Furchtsam drücken, er flammt ihm im Antlitz, er droht in den Augen.
Ungestüm wirft er das englische Kleid voll ätherischer Klarheit
Von sich, und steht hochdrohend in seiner eignen Gestalt da.
Dennoch gelang es ihm nicht, die seligen Menschen zu schrecken,
Die, vom Flügel der Vorsicht bedeckt, den Sünder verhöhnten.
Jetzo wollt' er mit donnerndem Fuße den Garten verwüsten,
Hügel auf Hügel hinwälzen, und seine Cedern entwurzeln;
Aber sein Grimm erlag, des Schöpfers unsichtbare Stärke
Kam ihm zuvor, er stampfte vergebens den ruhigen Boden.
Und die Chöre der Engel, die mit olympischem Pompe 129
Aus der Sonne gestiegen, den Sieg der Menschen zu feiern,
Da sie Satan erblickten (die Narben vom Donner des Sohnes
Hatten vor allen ihn kenntlich gemacht), den blöden Versucher,
Da sie ihn sahn, wie er knirschend vor Wuth, der Freude der Menschen,
Ihrer beständigen Treu' und ihren Umarmungen zusah:
Spotteten sie des Wurmes, der, gegen Gott sich empörend,
Jetzt der wehrlosen Unschuld der schwachen Menschen gewichen.
Satan fühlte den Hohn. Der Anblick ihres Triumphes
Und der jauchzenden Freude, von der die Hügel erschallten,
War ihm nicht länger erträglich, er floh, und flucht' im Entfliehen
Gott und sich selbst, und kam, von neuen Entschlüssen durchstürmet,
In den Abgrund zurück.
Aber das Paradies ward mehr als bei der Erschaffung
Von seraphischen Freuden belebt; die Engel umfingen
Segnend die heiligen Menschen, und ehrten die siegende Tugend,
Und die Gottheit in ihr. Der Siegeslieder Getöne
Flog auf den Flügeln ambrosischer Winde von Hügel zu Hügel.
Selbst die Natur empfand den Triumph der Menschen; die Ceder
Sagt' ihn der Ceder, die Auen verschönert' ein himmlisches Lächeln.
Alle Gestirne der Ruhestadt Gottes, die Sonnen und Erden
Feierten diesen Tag, an dem die Unschuld auf ewig
Ueber die Erde zu herrschen vom König des Himmels geweiht ward. 130

 


 


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