Christoph Martin Wieland
Briefe von Verstorbenen
Christoph Martin Wieland

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Fünfter Brief.

Eukrates an Philedon.

Inhalt. Eukrates versichert seinen Bruder, einen von den Philosophen de la Bande joyeuse, daß die Erscheinung, die er von ihm gehabt, wirklich gewesen; und bemüht sich, ihm seine Vorurtheile und Abneigung gegen die Unsterblichkeit der Seele zu benehmen.

                      Dir, Philedon, den mindesten Vorwand zum Zweifel zu nehmen,
Ob dein Bruder es sey, den diese Zeilen dir zeigen,
Will ich beschreiben, was dir am gestrigen Abend begegnet,
Ob du es gleich in verschwiegenen Busen zu drücken beschlossen.
Höre denn dein Geheimniß! Dich rief der silberne Mondschein
Und die blühende Nachtluft, die, mit dem Ambra des Frühlings
Stärker gewürzt, vor deinem geöffneten Fenster vorbei zog,
In die dämmernden Gärten. Du schweiftest durch Lauben und Hecken
Und durch Gänge von Linden umher, und schienest zu staunen,
Minder vielleicht mit dir, als mit Kallista beschäftigt,
Der du die einsame Ruh' am Busen der Unschuld mißgönntest.
Plötzlich riß dich, vielleicht aus Träumen von künftigen Freuden, 60
Oder dem Sieg, den du über die Tugend voreilig genossest,
Ein umgebender Glanz, gleich dem, den der Fußtritt Aurorens
Auf bepurpurten Gipfeln und Morgengewölken zurückläßt.
Schaudernd fuhrest du auf; dein Wunder stieg, da dem Schimmer
Immer höherer Schimmer entfloß, bis die sonnichte Mitte
Deines Bruders verklärte unsterbliche Jugend hervorgab.
Leuchtende Wolken erhuben mich über den Boden; zwei Geister
Aus der obersten Luft, die um die Erde gewebt ist,
Schön wie goldne Rosen, umschwebten mein duftendes Haupthaar.
Deine Kühnheit, das Wundergesicht mit ruhigen Augen
Unverwandt anzusehn, bewegte mich länger zu säumen.
Endlich nach kurzem Zaudern, doch wie mit gefesselten Schritten,
Nahtest du mir, und plötzlich zerfloß die Erscheinung ins Dunkel.
Unsichtbar kam ich zurück, und hört' in der murmelnden Grotte
Deinen Streit mit dir selbst. – Wie sinnreich warst du, dich selber
Zu betrügen? Doch blieb dein versengtes Auge noch immer
Allzugeschickt, die Empfindung von Werken des Schlummers zu scheiden.
Erst nachdem dich der Schlaf am folgenden Morgen verlassen,
Siegte dein weiser Entschluß, und jetzo hieß die Erscheinung
Eine seltsame Frucht des träumezeugenden Abends.

Ist es dir denn so nöthig, Philedon, der reizenden Hoffnung
Ewig zu leben, den kleinsten entklimmenden Anschein zu rauben?
Bist du geneigter zu glauben, ein überfallender Unsinn
Habe dich wachend entzückt und mit Phantomen getäuschet,
Als daß Eukrates lebe, und dich zur Unsterblichkeit lade,
Der, wie du wähnst, mit dem letzten Athem die Seele verhauchte?
Warum warest du minder geneigt zu glauben, du träumest, 61
Da du neulich Kallisten auf Frühlingsblumen gegossen
Schlafen fandest, und gern die Blüthe der reizenden Jugend
Brachest, hätte sie nicht ihr wachsamer Engel erwecket?
Ist dein Auge nur dann ein Träumer, wenn seine Gesichte
Deine Neigungen kränken? Verdrießt dich, wenn Eukrates lebet,
Daß du vergeblich den Tod des ewigen Geistes gehofft hast?
Zürnest du, daß ein nächtlich Gesicht die Gebäude zerstöret,
Die du, auf Luft gegründet, aus Wolken zusammen gescherzt hast?
Zürnest du, daß der Mensch in der Fröhlichkeit seidenen Stricken,
Unter den Trauben des jauchzenden Bacchus, am glühenden Munde
Einer lustathmenden Thais, in Rosenlauben nicht – Mensch ist?
Daß ein höheres Ziel die Kräfte verlangt, die bestimmt sind
Welten zu überleben? – Doch schämt sich dein Stolz zu bekennen,
Wem du die süße Gewißheit des Todes der Seele verdankest.
Thierische kleine Begierden erscheinen, sich Würde zu geben
(Nicht zum erstenmal), stolz, im festlichen Ansehn der Weisheit.
Was die Geburt der Sinnlichkeit ist, wird dem ernsten Verstande
Untergeschoben. Der selbstbetrogne Philedon bered't sich,
Daß er der Wahrheit weiche, wenn ihn die Begierde dahin reißt.

Aber hier unterbricht mich dein zuversichtlicher Eifer.
Lächelnd, als ob die Wahrheit auf deinen Lippen entstünde,
Wie ich dich in der Gesellschaft der horchenden Freunde jüngst sahe,
Stellst du der ernsten Vernunft Phantomen des Witzes entgegen: 62
»Wer ist behender, hoch fliegende Wünsche für Wahrheit zu ehren,
Als ein Mensch, dem die Erde, die ihn geboren, zu eng wird?
Welcher so gern die Seele, die, gleich der purpurnen Nelke,
Heute des Gartens Königin ist, und morgen am Staub klebt,
Allzu stolz vergänglich zu seyn, zum Engel erhübe!
Thörichter Stolz! Wie wenn ein bunter kaum sichtbarer Käfer,
In der Rose geboren, die Ledens Busen umschattet,
Sein verwegnes kurzsichtiges Auge zur Schönen erhübe,
Schwester sie grüßte und lüstern die Rosenflügel enthüllte,
Sie zu umfangen: so webt der Sohn der blühenden Erde,
Welche wie er einst welkt, als wär' er der Seraphim Bruder,
Ewigkeiten sich vor, und bewohnt im Geist die Olympe
Die der Träumer sich wünscht. – Vergeblich nennt man die Hoffnung
Ewig zu leben, auch wenn sie betrög', ein edles Erkühnen.
Ist es erhabner Stolz die Natur verbessern zu wollen?
Oder die Räume vergessen, die zwischen uns und die Gottheit
Ewig unmeßbar gelegt sind? – Ich sende die forschenden Blicke
In mein geheimestes Selbst, und such' im Busen der Seele
Ihre Bestimmung. Ist sie vielleicht die Verwandte der Geister?
Gießet ihr Blick, wie das Antlitz des sterneverdunkelnden Engels,
Sonnenglanz um sich her? Durchstrahlt sie die Wolken der Wahrheit?
Liegt die Natur eröffnet vor ihr? ermißt sie die Himmel?
Oder vermag sie mit muthigem Auge, wie ihre Gespielen,
Unversengt in die Gottheit zu schauen? – Ja, minder zu fordern,
Ist nur ihr eigenes Wesen ihr klar? besinnt sie sich etwan
An den Aether, worin sie entstand, und die Reihen der Götter, 63
Die mit himmelerfüllendem Jauchzen sie Schwester begrüßten,
Da sie die Ewigkeit, ihre gemeinsame Mutter, hervorgab?
Weiß sie nur, wie die Gedanken aus ihrem Schooße sich winden,
Kennt sie ihre Gestalt, und wie sie entstehen und schwinden?
Ist der Olymp ihr väterlich Land, sind ihre Begierden
Mit den Begierden der Engel harmonisch, soll göttliche Freude
Oder die helleste Blüthe der Wahrheit, ambrosische Speise,
Ihre Wünsche vergnügen, sind Welten voll sterblichen Reizes
Für die Unsterbliche viel zu verächtlich, – wie ist es doch möglich,
Daß sie so gern am blumigen Boden der Sinnlichkeit klebet?
Daß sie, die Göttin, den Taumel der irdischen groben Entzückung
Liebt und von thierischen Freuden berauscht der Engel nicht achtet?
Warum setzt die Gespielin der Götter ein lockendes Auge
Außer sich? Warum zerschmilzt sie auf einem steigenden Busen?
Alle Schönen der Erd' und der Inseln, in Chöre versammelt,
Jede mit eignem Reize bezeichnet, hier funkelnde Blicke,
Dort die sanft wallende Weiße der runden zierlichen Glieder,
Mit Juwelen bewaffnet, mit Frühlingskränzen geschmücket,
Oder im angebornen Glanz der nackenden Anmuth,
Sollten die Tochter des Himmels nicht stärker rühren, noch länger
Vor den Gedanken ihr schweben, als Beete voll prangender Tulpen,
Oder ein Kreis voll Sterne, der über ihr schimmernd sich wälzet. –
Steige herab, o Mensch, von den ungebührenden Sphären;
Lege die Gottheit nieder, und sey ein Verwandter der Thiere!
Also will's die Natur. Und ist es Schmach ihr zu folgen? 64
Jede Begierde, die du vergeblich zum Hoffen verweisest,
Unbekannt in der unsichtbaren Welt, der Speise der Engel
Ungewohnt, wird es dir danken. Mit ihrem Loose zufrieden,
Wird sie die jetzige Stunde, den schönen Frühling, erhaschen,
Und entkörperten Geistern recht gern die Ewigkeit gönnen.
Frage sie alle, die innersten Stimmen des fühlenden Herzens,
Ist's nicht Lust, wornach die Natur sie schmachten gelehrt hat?
Liebe zur Lust erhitzt die Adern des muthigen Jünglings;
Sanftere Triebe zur Lust glühn in den Wangen des Mädchens,
Wachsen mit ihrem Busen, und schmelzen die zärtliche Seele.
Was ihr Vernunft zu nennen beliebt, ist der Liebe zur Wollust
Unterthan, nur erfindsam für sie, und ohne sie träge.
O! wie harmonisch vereinigen sich die lüsternen Kräfte,
Wenn sich irgend ein lächelndes Bild der Freude gezeigt hat,
Sie zu erhaschen! – Und im Genuß, in der seligen Stunde,
O! wie jauchzet sie dann! wie völlig wird sie Empfindung,
Völlig Genuß, Entzückung und Wonne! – So blühet die Seele
Unter süßen Empfindungen auf, bis alles Vergnügen,
Das die Natur ihr gönnet, genossen ist, ihrem Bestreben
Sich nichts Neues mehr zeigt. Dann sucht sie mühsame Freuden,
Schöne Phantomen, nicht wirkliche Lust, Geburten des Wahnes.
So betrügt sie sich selbst, wie jener die Fürstin des Himmels
Zu umarmen geglaubt, und eine Wolke nur küßte.
Endlich erkaltet mit dem Vermögen die Wollust zu schmecken
Auch die Begierde. Die Nerven der Seele, wie ihres Gehülfen,
Nutzen sich ab, das Feuer erstirbt, die Phantasie welket.
Gibt die Natur nicht selbst den Beweis, daß Freude des Daseyns 65
Letzter Zweck ist, und für den Menschen nur sterbliche Freude,
Da wir, sobald sie und flieht, dem Tode nahn, und das Leben
Für uns kein Gut ist, sobald der Geschmack der Wollust vergehet?
Kann nun der Tod, da sein Vorhof, das Alter, Beraubung der Lust ist,
Kann er was anders seyn, als ewiger Mangel an Freude,
Mangel an süßem Gefühl, der Nahrung des Wesens, ein Nichtseyn?«

Dieß ist's also, womit den Verlust der erhabensten Hoffnung
Sich Philedon bezahlt? Dieß ist die glänzende Weisheit,
Die dir die Tugend und ihre belohnende Hoffnung, das Leben
Nach dem Tode, die Mutter der Heiden, die reizende Aussicht
In unsterbliche Zeiten und Götterfreuden entwendet?
Aber wisse, so gern du dich auch zu den Würmern verkröchest,
Was in dir fühlt und denkt, ist ewig! so ewig als Engel;
Stirbt so wenig als der, der ihm Unsterblichkeit einhaucht.
Sollt' er sein Bild in den Menschenseelen vernichten? das hieße
Götter vernichten! – Jedoch dein Aug' ist zu stumpf, in der Seele
Eine Gottheit zu sehn. – So höre denn nur die Begierden,
Deren Fordrung du eben verfälschtest, die Triebe zur Freude.
Frage sie: sind es wohl erdgeborne, vergängliche Freuden,
Was sie begehren? – Warum denn begehren sie selbst im Genusse,
Selbst im Arme der Lust, mit der sie vor dem Besitze
Ganz die Seele zu füllen vermeinten? Wie kommt es, daß keine
Sich mit ihrer allmächtigen Schönheit des Herzens versichert? 66
Läugnest du das, Philedon? Wann haben jemals die Lippen
Eines Sklaven der Freude, wann hat es sein Leben geläugnet?
Warum konnte dich einst die reizende Leda nicht halten?
Warum entlockte dich Flavia drauf der schönern Marina?
Warum verließest du doch so bald die feinen Entwürfe,
Die du dir ehmals gemacht, ein Epikurus, ein Weiser
In der Wollust zu seyn, mit Wahl und Geschmack zu genießen?
Hast du nicht alles versucht, und alles mit Ekel verlassen?
Flohest du nicht in den Schooß der Natur, dem Verdruß zu entgehen?
Aber auch da, Betrogner, entflieht dir die Ruhe! du suchest
Sie vergeblich in kühlenden Grotten, auf blumigen Rasen
Oder in Sommerlauben. Philedon, mitten in Wonne
Lechzest du noch, – und wahrlich du hattest immer gelechzet.
Nenn' es nicht ein Entzücken, das ganz die Seele befriedigt,
Ganz durchglühet, wenn irgend ein Taumel die Sinnen berauschet!
Nenn' es nicht Freude der Seele, wenn sie, vom wilden Getümmel
Taumelnder Nerven betäubt, sich selbst verlieret! Du selber
Weißest ja, wie sie beschämt vor ihrem eignen Bewußtseyn
Fliehen möchte, sobald sie sich wieder der Ohnmacht entreißet.
Doch ist's Wunder, daß du, dem nie die lautere Wollust
Schuldloser Freuden geflossen, in keinem Genuß dich befriedigst?
Wisse, daß selbst die Tugend mit ihren reinsten Geschenken
Nicht die Triebe der Seele, die nach der Ewigkeit dürstet,
Ganz zu vergnügen vermag! Ich lernt' es von der Erfahrung.
Niemals hatt' ein zärtlicher Herz in weiblichem Busen
Als in Selenen geschlagen, die ich im Tode verlassen. 67
Unschuld und Liebe, wie konnten sie redender ausgedrückt werden
Als in ihrem Gesicht? und das, was Mienen nicht zeigen,
Was nur in edeln Thaten gesehn wird, wie war es so göttlich!
Dieses Kleinod war mein. Mein Leben in ihrem Besitze
War ein Gemisch vom Glücke der Engel und irdischer Wonne.
Dennoch empfand ich in ihrer Umarmung, im reinsten Genusse
Wünschenswürdiger Lust, wenn nur Selene mein ganzes
Herz zu erfüllen schien, noch ungestillte Begierden,
Glänzende hohe Begierden, für welche die Seele zu klein war.
Und wie sollt' ein Geschöpf, und wär' es der obersten Schönheit
Noch so nahe verwandt, die göttliche Seele vergnügen?
Da es unmöglich war, die Geister zu Göttern zu schaffen,
Schuf sie der Schöpfer so groß, daß den Umfang ihrer Begierden
Nur die Gottheit erfüllt. Die Bestimmung geschaffener Dinge
Ist, nur die Kräfte der Geister zu diesem erhabenen Endzweck
Vorzubereiten. Wir steigen auf einer unendlichen Leiter
Zu ihm hinauf; die Erde trägt die untersten Sprossen.
Hat man diese bestiegen, (und ist dazu wohl das Alter
Eines Menschen vonnöthen?) kein Wunder, wenn dann die Seele
Ungern zurücksteigt, und sehnsuchtsvoll über die Wolken hinaufstrebt.

Aber du läugnest den Zweck und die hohe Verwandtschaft der Seele,
Weil ihr Blick nicht das ganze Gebiet der Wahrheit umfasset,
Weil sie in Bildern nur sieht, und auch mit Thieren verwandt ist.
Sind nicht die Engel selbst von einer Seite vom Staube, 68
Brüder des Wurmes, nur durch die Allmacht dem Unding entrissen?
Und was lehret dich glauben, Unsterbliche seyen zum Wissen,
Nur zum Wissen, unsterblich? – Es hat dem Schöpfer gefallen,
Ordnungen unter den Geistern zu setzen. Die einen erschuf er
Mehr zur Erkenntniß, die andern mehr zur Liebe, die meisten
Zwischen den beiden, mit ihnen den Menschen; doch gränzet er näher
An die liebenden Geister. Er bringt die edelsten Triebe,
Großmuth und Menschenhuld, Freundschaft und Mitleid in zärtlichen Keimen
Aus dem Schooße der Mutter. Wie würden sie bis in die Wolken
Ihre Zweige verbreiten, wenn frühe Weisheit sie pflegte?
Sind es nicht Strahlen von Gott, vom ewigen Urbild der Tugend,
Die wir in unserm Busen empfinden? und sage, Philedon,
Warum gab er sie uns? wie wenig sind sie auf Erden
Brauchbar, wie thürmen sich ihnen Gebirge von Hindernissen
Unüberwindlich entgegen? – Und ihre Belohnung sind Thränen!
O wenn der Schöpfer die Tugend uns nicht zur Führerin zugab,
Daß sie den steilen Pfad zu bessern Welten uns öffne,
Warum gab er sie uns? und warum legt er, der Weise,
Wenn wir Phantomen nur sind, so süße Reize zur Tugend
Tief in den Schooß der Seel'? Ist's nicht, weil uns Zeiten erwarten,
Wo sich mit freien ganz ausgespannten Kräften die Güte
Unsers Herzens beschäftigt, wo jede gehemmete Tugend 69
Sonnengleich ausbricht, und unsrer Liebe kein Gegenstand fehlet?
Sind die Seelen dem Tode bestimmt, wie gibt nicht Philedon
Lieber dem Zufall das Amt, die Mißgestalten zu machen,
Als dem unendlichen Weisen, der seine unscheinbarsten Werke
Mit Verhältniß und Harmonie und Zwecken geadelt?
Du bewunderst die Kunst der Natur in der flüchtigsten Blume,
Findest im Sonnenstaub Absicht, und einen göttlichen Künstler
In der Bildung kaum sichtbarer Würmer; und nur in der Seele
Siehst du innern Streit und fehlgeschlagene Absicht,
Ewige Wünsche, die nur die Hoffnung der Zukunft beruhigt,
Unruh' im Schooße der Lust, unbrauchbare schlafende Kräfte,
Strahlen vom göttlichen Antlitz, bestimmt ins Nichts zu zerfließen!
Und dieß ungeheure Gemisch von Unding und Engel
Nennest du, lästernder Thor, die Tochter Gottes, die Seele!
Nenne sie lieber das Mißgeschöpf eines geschwächten Gehirnes,
Mit den Sirenen und Sphingen verwandt, im Chaos geboren.

Aber du wähnst, der Verbruß, der mit dem Alter herbeischleicht,
Lehre, daß nun die Seele zum Ende laufe. Du irrest!
Wäre sie nur gemacht, den Raum von der Zeugung zum Tode
Auszufüllen, und endete sich mit dem Ende des Lebens
Das Vergnügen zu seyn; so würde sie über dem Abgrund
Ruhig in die genossenen Jahre der Freude zurücksehn,
Und dann lächelnd hinab in den Rachen des Undings sich stürzen.
Aber, weil ein geheimer Instinct, ein kostbares Denkmal
Ihrer olympischen Herkunft, sie gegen die Ewigkeit ziehet,
Kann sie anders als trauern, daß sich die Tage verweilen,
Denen sie Seraphsfittige wünscht, sie hinüber zu tragen, 70
Ihr die schwachen Bande, womit die Zeit sie noch aufhält,
Abzunehmen, und neue Scenen der Dinge zu öffnen?
Mit dem Zuwachs an Leben wächs't auch die Begierde zu leben.
Aber was ist ein Leben, das nicht mit Neuheit gekrönt ist?
Tage, die an Gestalt und Gang den entflohenen gleichen,
Sind die Hälfte vom Seyn und Nichtseyn, sind Pausen im Leben.
Billig demnach, daß die Seele, von Lust zum Leben entflammet,
Vor dem Bilde des Todes erschrickt, und den Cirkel der Tage,
Der ihr das Neue und Bess're versagt, der Langsamkeit anklagt.

Forderst du mehr Beweise, Philedon? – Fast muß ich erröthen,
Daß ich beweise, was dir die Natur mit unzähligen Stimmen
Allenthalben entgegendonnert, was jegliche Neigung,
Jede vom Schöpfer gen Himmel gerichtete Neigung dir zeiget.
Aber wie sollte Philedon vorm Schlangengezische der Lüste
Rufende Sphären und Donner der Stimme Gottes vernehmen?
Höre dann eine bekanntere Stimme! – Die Eigenliebe,
Auch sie zeuget für mich. Was sagt die holde Sirene?

»Wenn es wahr ist, wenn einst, vielleicht heut', mit der stehenden Ader
Mir die Empfindung erstirbt, und die Seele im Hause des Todes
Unter den andern zum ewigen Denkmal des Siegers erstarret,
O so verbirg mir mein Schicksal! Ich hasse die Wahrheit, o gönne,
Gönne mir meinen Traum, den liebenswürdigsten Irrthum!
Dichte Beweise von ihm; o suche mir Schein für die Hoffnung,
Für die selige Hoffnung, die schon in dieß Leben den Himmel
Bringt, und die Zeit mit entwendeten Strahlen der Ewigkeit krönet. 71
Siehe, wie jede Lust sich in diesen Strahlen verschönert,
Wie sich jeglicher Gram, von entgegensehenden Freuden
Angelächelt, erheitert? O laß mir die Paradiese,
Die mir der milde Betrug zwei süße Minuten lang gönnet!
Laß mir den werthen Gedanken, so lang der Tod mir ihn lässet,
Daß ich dieß blühende Licht stets trinken werde, daß Sonnen
Schatten einst sind, den Glanz, in dem ich schwimme, zu mildern!
Laß mich im irdischen Frühling den empyreischen sehen!
Warum will dein grausamer Dienst, noch ehe die Zeit kommt,
Eh' die strenge Natur mir das Urtheil des Todes verkündigt,
Mit den Schrecken der ewigen Nacht, die flüchtigen Tage,
Die mir noch lachen, verfinstern? Ich will sie in Freude verträumen,
Sicher, voll Hoffnung, in künftigen bessern Aeonen verirret!
Wenn dann die eiserne Stunde herbeirauscht, dann will ich die Arme
Nach dem Scheusal, das mir mit Engelsmienen erscheinet,
Fröhlich verbreiten, und Harmonien der Seraphim hören,
Und in der dumpfen Entzückung ins Unding sinken und sterben!«

Kannst du sie hören, Philedon, und lächeln? – Verächtliche Größe!
Feiger Held; der mit Trotz der Vernichtung entgegengehet!
Hier erlaubt' ich dir Thränen! Hier dürfte der Weiseste winseln;
Zittre, fröhlicher Thor, je stärker dein Wahn dich bezaubert,
Vor der entscheidenden Stunde wird alle Bezaubrung verschwinden.
Wenn ihr stürmender Flügel dich weckt, dann erwachen auf einmal
Alle Stimmen der Seele! dann zeugt das bange Gedächtniß
Jeder verworfenen That, dann richtet das ernste Gewissen, 72
Und du bist lauter Gehör! Dann wird es umsonst seyn zu wünschen,
Daß der Abgrund den Rachen dich zu verbergen eröffne!
Hättest du deinen ungläubigen Freund, den treuen Genossen
Deines Wahnsinns gehört, als das Rauschen der bangesten Stunde
Ihn aus dem Taumel der Sinnlichkeit riß; als feig und erzitternd
Jeder Entschluß entfloh, den einst die Fröhlichkeit eingab,
Da sie den fernern Tod verachten konnte! – Philedon,
Hättest du da Lysandern gehört! – Ich hört' ihn. Das Winseln,
Ach! das Winseln der bangen Natur, der Verzweiflungen Stimme
Seufzt noch in meinen Ohren: – »Wo bin ich? von was für Gesichten
Bin ich umringt? – wie plötzlich hat sich die Scene der Freude
In Entsetzen verwandelt? Betrüglich frohlockende Freude,
Gleich als wärest du ewig, warum entfliehst du auf immer?
Schwarzer Gedanke! wie tödtest du mich! – O Scheidung auf immer!
Von der Wollust des Lebens, vom Jauchzen der sorglosen Jugend!
Und wohin? – Was hemmen für mitternächtliche Wolken
Meinen bebenden Blick? – Ich wünsch' und fürchte zu sehen?
O du bist schrecklich, Tod! wie hast du mich niedergeworfen!
Vormals verachteter Feind, nun allzufurchtbarer Sieger.
Grausam sind deine Schrecken, die schwärzeste Donnerwolke
Gegen sie ist mittäglicher Glanz! – Was ist's denn, das in mir
So erzittert? – Ja, Seele, du hast dich selber getäuschet! 73
Kühn gelobtest du vormals dir selbst, den Tod zu verhöhnen.
Stirb jetzt! Vergeh'! und lächle noch mit der letzten Empfindung
In die Freuden zurück, die du jüngern Thoren nun lässest.
Aber du zitterst! – Ist's denn so schwer, ins Unding zu sinken?
Ewig von Schmerzen befreit, in des Lebens Ursprung und Grabmal
Wieder zurückzusinken? Doch, armer Betrogner, was hoff' ich?
Nimmer zu seyn! – Entsetzliche Hoffnung für denkende Wesen!
Wie empört sich mein Alles! wie ächzet in jeder Empfindung
Angst und Zweifel und quälende Furcht! – Vernichtung! wie kann ich
Dich nur denken? – Schon sink' ich, von deinem Donner getroffen,
In Betäubung dahin; schon fühl' ich mein Wesen zerfließen.
Furchtbare Stille, mit Schrecken und Finsternissen umhangen,
Lastet, wie ein Gebirge auf mir; kein Trieb, kein Gedanke
Wagt es zu beben! durch alle Tiefen des starrenden Herzens
Herrschet ein tödtliches Schweigen. –
Aber wie kurz? O Natur! warum erweckst du mich wieder?
Schon fing ich an zu vergehn. Warum erweckst du mich wieder?
Grausame, warum tobet aufs neu' die wilde Verwirrung
Schwarzer Gedanken in mir? Was für ein schwärzeres Schreckbild
Stürmet auf mich daher? – Elender, du hoffest vergebens
Deine Vernichtung vom Tod. Was Gott gehaucht hat, ist ewig!
Soll ich leben? fortdauern? wozu? – O Zukunft! was bist du?
Lichtlose Nächte, mit Schreckgestalten erfüllet, umringen
Meinen jammernden Geist. – Unsterbliches Elend! unsterblich
Und vom Angesicht Gottes verworfen! wer kann es ertragen!
O warum ward ich! Unendliche Nacht, mit Unglück befruchtet,
Warum warfst du mich aus? O, läg' ich noch unter den Todten, 74
Welche das Licht der Sonne nie sahn, zum Leben stets unreif,
Aus den Tafeln der Wesen getilgt, auf ewig vergessen!«

Laß dich das rühren, Philedon! so viel erweckende Stimmen,
Selbst der Himmel, der mich, dich aufzurufen, herabläßt,
Sollen sie alle vergeblich dir rufen? – Erkenne, Betrogner,
Eh' die Erfahrung dein Elend vollendet, erkenne das Kleinod,
Das dein Busen verwahrt; erkenne, daß Ewigkeiten
In ihm verborgen liegen, und ihr entscheidendes Schicksal
Von Minuten erwarten. Dieß ist der Auszug der Weisheit.
Dieß macht dich mit der Stunde vertraut, vor der jetzt dein Wesen
Innerlich bebt, obgleich das Gesicht betrügerisch lächelt,
Mit der besten der Stunden, der Krone des Lebens der Weisen,
Ohne welche das irdische Leben ein fühlbares Nichtseyn,
Ein unseliger Streit mit Tod und Leben nur wäre.
Diese macht erst den Wandel der Tugendhaften begreiflich,
Rettet uns vom Verdacht des Unsinns, und ehret den Schöpfer.
Dreimal heilige Stunde! die ganze Unsterblichkeit feiert
Dein Gedächtniß, wenn Seufzer der Tugend dein richterlich Antlitz,
Da du kommst, in die Miene des liebenden Seraphs verwandeln! 75

 


 


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