Christoph Martin Wieland
Briefe von Verstorbenen
Christoph Martin Wieland

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Zweiter Brief.

Lucinde an Narcissa.

Inhalt. Lucinde, eine in ihrer Blüthe verstorbene Schöne, bemüht sich, eine in den gefährlichen Reizungen der fröhlichen Welt verstrickte Freundin auf den Weg zurückzuführen, der durch ein Leben voll Unschuld, Einfalt und heitrer Wonne zu einer noch glücklichern Unsterblichkeit führt.

            Mitten in Seligkeiten, die mir mit Engeln gemein sind,
Näher der Gottheit und nie von der schönen Ruhe geschieden,
Deren Schatten, vom hohen Olymp auf die Erde geworfen,
Die betrogne Begierde der eiteln Sterblichen locket,
Seh' ich aus Auen des Friedens, aus Welten voll himmlischer Schönheit
Oft zur Erde hinab, wo mein Glück, im Strahle der Gottheit
Jetzt zur Vollkommenheit reifend, die ersten Keime getrieben;
Wo noch der Irrgang der Zeit mir meine Geliebtesten aufhält.
Aber Narcissa, die Rose der Schönen, die Göttin des Reizes,
Schimmert mit sieggewohnetem Aug', im goldenen Cirkel
Prächtiger Freuden, und hat schon ihre Lucinde vergessen,
Ihre Lucinde, die sich seraphischen Armen entreißet 16
Um sie zu seyn, und sie oft in die stolzen Gärten begleitet,
Welche zu Wüsten zu machen, ein Blick in den Frühling des Himmels
Schon genug ist. Zwar sah ich dein Herz in Wehmuth zerfließen,
Da dich der Tod Lucindens, die du vor wenigen Tagen,
Jugendlich froh und blühend wie eine Rose verlassen,
Ueberraschte; ein schwarzer versteinernder Anblick für Augen,
Die des Lächelns der Freude, wie meine Narcissa, gewohnt sind.
Doch du wandtest sie bald vom Grabe deiner Vertrauten
Auf dein geliebteres Selbst, und auf die Welt, die dir jetzo
Blühend erscheinet, wie du; bald hatten die Seufzer des Kummers
Sich im mächtigern Rauschen der Freuden des Lebens verloren.
Zwar noch schauerte manchmal, wenn dich der Spiegel dir vorhielt,
Deine furchtsame Brust; du bebtest beim Anblick der Rosen,
Die du sonst mit gefälligem Blick zu betrachten gewohnt bist.
Trauriger Fall, der dich zwang, an ihr Verwelken zu denken!
Jetzt erblickte dein Spiegel zum erstenmal thränende Wangen;
Aber die Fröhlichkeit ließ dich nicht lange den ernsten Gedanken
Preis gegeben; Ergötzungen mußten die Dünste zerstreuen,
Welche die grämliche düstre Vernunft aus dem Grabe der Freundin
Aufzog; bald gelang es dem edeln Jokasto, die junge
Herzenbezwingerin wieder mit sich und der Welt zu versöhnen,
Wo du erscheinst, bewundert, bei jedem Worte vergöttert,
Gleich als würd' es zu Weisheit, sobald dein Mund es berühret, 17
Siegest du – über Westen und wohl gekräuselte Köpfe,
Glänzest im Schauspiel, und störst den Philosophen im Lustgang;
Gleich gewohnt Liebe zu geben, es mag dir gefallen im Tanzsaal
Jetzt Diana zu seyn, jetzt halb entkleidet am Nachttisch
Mehr Cytheren zu gleichen. Die Herzen sind dein, ob du lächelst
Oder zürnest. Durch dich verlernte Florello sein Flattern;
Hylas erstaunte, daß ihm ein flüchtiger Seufzer entflohn war;
Selbst der schöne Jokasto vergaß beinah' daß er schön sey,
Als er dich sah, und lernte beinahe was anders noch lieben
Als sich selber. – So rauschen dir unter Rosengebüschen
Deine Tage dahin; so taumelt die goldene Jugend
Von dir hinweg, nur halb empfunden, gedankenlos freudig;
Und so ist Lucinde für dich vergebens gestorben!

Zittre nicht weg von dem Blatt, das in der Sprache der Wahrheit
Mit dir redet, die dir, so süß sie Engeln ertönet,
Nicht so angenehm klingt, als der Ausruf eitler Bewundrung
Oder abgöttische Lieder! Doch deine zärtlichste Freundin
Redet mit dir, du hörtest sie sonst. Verdienet sie etwa
Minder dein Ohr, da ihr Geist sich nun im Reiche des Lichtes
Aufgeklärt hat, und ihr Herz in den Armen himmlischer Geister
Zärtlicher lieben gelernt? –Wie kann ich schweigen, Narcissa,
Wenn du in taumelndem Leichtsinn zu eiteln Freuden herabsteigst,
Die du verachtest, zögest du nur in einsamer Stille
Einmal dich in dich selber zurück? – Ich sehe dich öfters.
Wenn du allein zu seyn glaubst. Du stehst dem gefälligen Spiegel 18
Gegenüber, zum Tanze geschmückt, und lächelst dich selbst an.
Schmeichelndes Glas, was zeigest du ihr? die heiterste Stirne,
Augen die seelenvoll scheinen und wie ihr Rosenmund sprechen,
Jeden Zug mit einer unnennbarer Anmuth geschmücket.
Welch ein zaubrisches Lächeln! Wie blüht die liebliche Wange,
Wie viel Herzen hat schon die schwarze Locke gefesselt,
Die den blendenden Hals so reizend beschattet! Wen fängt nicht
Dieser geschmeidige Leib, der sie den Grazien gleichet?
Ja, du bist schön, Narcissa. – Doch wenn Lucinde sich zeigte,
O wie erblaßte dein Stolz, wie welkte die sterbliche Schönheit
Plötzlich dahin im Glanz der unvergänglichen Jugend!
Doch der Sieg ist zu klein! Behalte den Vorzug, den mindstens
Keine Gespielin dir raubt; sey schön, sey reizend, entzückend,
Ich bin unsterblich! – Was ist die schönste marmorne Venus,
Gieb ihr noch Leben und Regung und ihren reizenden Gürtel,
Und was ist sie dann gegen die Seele, die Tochter des Himmels,
Welche noch blüht, wenn alle Gestirne, die Blumen des Aethers,
Ganze Himmel von überirdischer Schönheit, verwelkt sind?
Sie, die in ihren Gedanken den Plan der Welten umfasset,
Ins Unendliche sieht, mit Götterfreuden sich sättigt?
Was ist gegen die Weisheit die schönste Rundung der Wangen?
Was ein Lilienhals mit der reinen Unschuld verglichen?
Wird ein korallener Mund nur einen Gedanken verdunkeln,
Der, wie ein Seraphinsblick, durch tausend Welten umherstrahlt?
Und wie wenig verdient auch an sich selber ein Vorzug,
Der nicht dein ist, den dir der morgende Tag vielleicht raubet?
Zwar jetzt blühest du noch, beschämest, wenn du erscheinest,
Jede wetteifernde Schönheit; allein, Ein Blick in die Zukunft
Wird die Zaubergestalt des Gegenwärtigen löschen. 19
Blick' in mein Grab! Wo blieb die ehmals reizende Bildung?
Wo die glänzenden Augen, die Reize, die Liebesgötter?
Ach! wo sind sie, Narcissa! hier sind nur Knochen und Asche,
Und hier schließt sich dein Lauf. Hier, angebetete Schöne,
Wird die blendende Hand, die jetzt der entzückte Jokasto
Fast mit Küssen verschlingt, verächtliche Würmer einst speisen!
Welch ein Anblick, o Schöne! was wirst du seyn, wenn Lucinde
Ewigkeiten im Umgang der Geister des Himmels besitzet?
Ach! ein Geripp, ein Abscheu der tief bestürzten Bewundrer.
Bebst du? erstarrt dein Busen? – Getäuschte! du bebst vor dir selber;
Denn dieß ist das Ende der Schönheit, wofern ihr ein Geist fehlt,
Der die Unsterblichkeit erbt. – Wer wünscht nicht der schönen Narcissa
Eine Seele? – Hier färbt der Zorn die Wange dir wieder;
Höhnisch lächelnd rufst du: »Ein überflüssiges Wünschen!
Und wer zweifelt denn, daß ich beseelt bin? Wann hörtest du jemals,
Daß mein Hoffen sich nicht bis jenseits des Grabes erstrecke?«
Bist du unsterblich, Narcissa? vergib dem Irrthum! Wer konnte
Dieß errathen, der dich im labyrinthischen Tanzsaal
Unter Eulen und Schwanen und Traumgestalten erblickte,
Oder am Altar der Schönheit, von leichten Sylphen umflattert,
Wenn du die Muschen durchsuchst, und nachsinnst, wo die gewählte,
Um dem sichern Jokasto zur Unruh' Ursach' zu geben,
Reizen soll; oder wenn du, an einem einsamen Tage,
Mitten im Schooße der schönen Natur, von Dünsten geplaget,
Dich bei dir selbst nicht findest, und nach Zerstreuungen schmachtest? 20
Doch ich verkenne dich nicht, vermenge dich nicht mit den leeren
Puppen, die ohne Geist geistlose Bewunderer reizen.
Edel und gut ist dein Herz, und mehr als die flatternde Seele
Eines Schmetterlings blickt aus deinen Augen, Narcissa!
Ich verkenne dich nicht! Doch, sprich, wie ist's möglich, daß diese
Edlere Seele sich selbst so sehr verkennet? So lange
Ihres Ursprungs uneingedenk, gleich der Schmetterlingsseele,
Zwischen verächtlichen Wünschen und Sorgen ihr Leben vergaukelt?
Sprich, wie kann sie mit Seufzern vergoldeter Gecken, mit Weihrauch
Schwärmender Dichter sich nähren? Was hat sie dabei zu verlieren,
Wenn ein höheres Blau in Deliens schmachtenden Augen
Spielt? Und welch ein Stolz für Seelen, vom Himmel entsprungen,
Schöner als – Blumen zu seyn, und etwas länger zu blühen!
Warum hauchte der Schöpfer ein Wesen mit mächtigen Kräften
Und Begierden nach Wonne? und legte Funken der Gottheit
Tief in sein Innerstes hin, die erst, wenn die Sphären erlöschen,
Völlig entbrennen und unvergängliche Strahlen verbreiten?
Wie, von müßigen Thoren umringt, von einem Jokasto
Angebetet zu seyn? – Narcissa, da du nicht sterblich
Seyn kannst, wolltest du's auch, so komm zu dir selber und werde
Weise! Wag' es den Schleier des Selbstbetruges zu heben,
Und in dich selbst zu schauen! O sprich, der Blick, der so willig
Auf dem Glase verweilt, das die reizende Seite dir zeiget,
Sage was macht ihn hier so schüchtern? Wie bebt er so schamhaft
Von dem Herzen hinweg, in dessen Tiefen er sehn soll?
Und warum bebt er? Schreckt ihn vielleicht die verödete Wüste
Einer nicht wohl gewarteten Seel', unfruchtbar, verwachsen,
Wo, der Strahlen der Weisheit beraubt, die zärtlichen Keime 21
Jeder Tugend in Unkraut ersticken, und ganze Gefilde,
Statt des geistigen Frühlings, nur wilde Aussicht ihm geben?
Oder fürchtet er etwan im Irrgang verworrener Triebe
Neigungen nackend zu sehn, die er gern sich selber verbärge?
Fürchtet er etwa zu sehn, es decke dieß zaubrische Lächeln,
Diese Frühlingsgestalt, nur eine gebrechliche Seele?

Wie so schnell ist die Schönheit, dein höchster Ehrgeiz, verdorret,
Da der Strahl der Wahrheit sie traf! Wie wird dir die Weisheit,
Selbst um schön zu seyn, nöthig! Doch was du Freuden zu nennen
Würdigst, o sage mir, ist's nicht eben so flüchtig und eitel,
Als was dich in den Augen herzloser Thoren vergöttert?
O wie würd' Ein Blick in die Seligkeiten des Himmels,
Nur ein einziger Blick die Freuden dir ekelhaft machen,
Denen du dich unbedachtsam ergibst! Du nenntest's Entweihung,
Mißgeburten der Thorheit mit einem Namen zu ehren,
Der nur der Tochter Gottes gebührt. – Und schon auf der Erde
Könntest du sie genießen. Die Tugend bringt ihren Geliebten
Oftmals Früchte von Göttergeschmack, von olympischen Zweigen
Abgebrochen. Wer wollte da noch auf dem irdischen Boden
Wollust lesen, und gierig die Kost den Thieren entwenden,
Wenn uns Engel Ambrosia reichen? Verächtlich's Ergötzen,
Das uns empfindlicher rührt, je minder die Seele gefühlt wird;
Das in der Ferne sich dir mit tausend Reizungen anbeut,
Und zu beglücken verspricht, dann halbgekostet entfliehet,
Und, im Fliehen entzaubert, nur widrige schwarze Gespenster,
Ekel und Sehnsucht zurückläßt. Wie thöricht, sich öfter als einmal
Von ihm täuschen zu lassen! es an den Gebärden nicht kennen,
Wenn es gleich seine Runzeln in ändernde Larven verhüllet!
Und was hat denn das Glück dir für dein Herz zu erwiedern?
Und was sind denn die Dinge, die dir zu gefallen verdienen? 22
Buntes Gewand, das ekle Gewebe von schleimigen Würmern,
Oder Blumen von strahlenden Steinen, die Locken zu schmücken;
Schlüpfriger Philomelen Gesang, zeittödtende Spiele;
Mitternächtliche Tänze, die noch der Morgenstern siehet,
Und der schimmernde Cirkel von hüpfenden Knaben und Schönen,
Deren jede sich selber nur sieht und heimlich frohlocket
Reizender als Narcissa zu seyn – dieß nennest du Freuden?
Arme Betrogne! Wie würdest du vor dir selber erröthen,
O wie beschämt, wie bestürzt, Narcissa, würdest du stehen,
Wenn dich mitten im Tanz einst der Gedank' überraschte
Daß in dir eine Seele schlummert, daß Engel dir zusehn?
Welche Vergnügungen, wenn, sie genießen zu können, die Seele
Eingeschläfert seyn muß; die Arme schmachtet indessen
Daß die erhitzten Sinnen in süßer Trunkenheit taumeln.
O wie übel befriedigt der niedrige Vorzug der Schönheit,
Oder des Glücks, den erhabenen Zug zur Ehre, das Zeichen
Einer großen Bestimmung, das uns der göttliche Finger
Eingedrückt hat! Die Ehrbegierde, die über den Sternen
Unter den Cherubinen zu glänzen bestimmt ist, wie kann sie
Mit der Beute der Muscheln, mit bunten Kieseln sich brüsten?
Aber noch übler sorgst du mit deinen fröhlichen Schwestern
Für den zärtlichen Hang zur Lust, die schätzbarste Gabe
Unsers Schöpfers, weil er ihm auch die Führerin zugab,
Die ihn zum Guten nur leite, das immer schön ist. Die Neigung
Die zur Freude dich lockt, ist dir mit dem keimenden Wurme
Wie mit dem ersten der Engel gemein; sie wächs't mit der Seele,
Reiniget sich mit ihr, und macht sie besserer Welten
Würdig. Doch nicht im Schooße der trägen geistlosen Freude,
Nicht im Ergötzen, das nur in den Sinnen wallet. Was Wunder,
Wenn du oft, zu dir selber verbannt, in der schönsten Einöde
Seufzest, wenn jeder befriedigte Wunsch in zwei sich zerspaltet 23
Und in reinerer Luft die Quelle der Fröhlichkeit stocket?
Oder erblickst du in deinem Herzen dieß traurige Leere
Und erzitterst? Dann fliehst du, das schwarze Gesicht zu vergessen,
Wieder mitten ins Rauschen der eiteln Ergötzung zurücke.
Arme Narcissa, die in der Blüthe des Lebens, des Alters
Mangel schon fühlt, nach Freuden seufzet und doch zum Genusse
Ungeschickt ist! Ein Ueberfluß an beglückender Wonne,
Reich an Aendrung und reizend genug für die flüchtigste Neigung,
Könnte dir werden, sobald du nur in dir selber ihn suchtest.
Freundin, jede Begierd', jetzt Hasserin deiner Ruhe,
Kann sich zu Tugend adeln, laß nur die Weisheit ihr zeigen,
Was sie lieben soll; statt nach fremden Quellen zu lechzen,
Wird sie selbst Zufriedenheit strömen. Bald wird ihr der Himmel,
Dem sie bestimmt ist, bekannt; du wirst aus der übenden Tugend
Neue Vergnügungen, die du dir selbst bekennen darfst, schöpfen.
Eben die Triebe, Narcissa, die jetzt mit streichenden Schwingen
Nah' an der Erde flattern, sind über die Sonnen zu steigen
Fähig; du bist, wie du willst, durch deine Begierden ein Engel,
Oder ein Wurm. – Und willst du noch lang, mit dem niedrigen Ruhme
Eines glänzenden Wurmes zufrieden, von Freude zu Freude
Flattern? von Wunsch zu Wunsch, von einem Schimmer zum andern?
Unvorsichtige, flieh! es lauschen verborgene Schlangen
Unter den Nektarblumen; sie scheinen zu schlummern, und warten,
Bis du, zur Ruhe gereizt, dich dem düftenden Bette vertrauest.
Zwar du bist stolz auf die Unschuld, die deinen Busen bewachet;
Du verachtest, wovor du zittern solltest. Du rühmst dich,
Kalt in den Flammen zu bleiben, und lächelst jede Gefahr an.
Wurde die Unschuld denn niemals gefällt? hat scheinbare Bosheit
Nie mit ihrer Besiegung geprahlt? O Freundin, nur Tugend 24
Sichert ein zärtliches Herz, und diese befiehlt dir zu fliehen.
Was du für Unschuld hältst, ist Güte des Herzens und Ehrgeiz;
Schwache Waffen, den reizenden Feind, der mit Liebe bedrohet,
Abzuweisen. Der Ehrgeiz gefällt sich, Sklaven zu machen;
Und wie leicht ist die Güte gewonnen, die gerne geliebt ist?
Glaubest du, daß Jokasto die werthe Freiheit zu flattern
Ohne Absicht dir opfre? – Er sollte dich lieben? Die Schönheit
Raubt ihm nur Einen Wunsch, der ohne Liebe gestillt wird.
Oder erwartest du bloß von schönen Augen und Wangen,
Daß sie das wirken, was selbst Clarissens Tugend nicht wirkte? –
Ein gefälliger Blick, ein süßes Pochen im Busen,
Kann dich fällen. Die Wollust (die allzuoft Liebe genennt wird)
Wechselt die Maske, worin sie spielt, nach der Sinnesart derer,
Denen sie nachstellt, doch meistens läßt sie Freude sich nennen,
Sicher, in dieser Gestalt zu gefallen. So lockt sie dich anfangs
Durch Gefilde voll Anmuth in ihren bezauberten Irrweg,
Wo du, durch krumme Mäander starkhauchender Rosengesträuche
Taumelnd und lüstern nach neuen betrüglich ahnenden Freuden,
Endlich dahin verirrst, woraus dich Thränen nicht retten.
Fürchte dein Herz, Narcissa, mehr als den gefährlichsten Anfall;
Wenn es am stärksten sich wähnt, ist's oft am schwächsten. Ich zittre,
Wenn die Gefahr sich mir zeigt, die dir dein Vorwitz bereitet!
Unbewußt liebest du schon! Oft sind die Sirenengestalten
Unbekannter Freuden vor deine Stirne getreten,
Und dein Herz hat verlangend gewallt. Die Verführerin zeiget
Dem Betrogenen nur den ersten Aufzug des Spieles,
Lauter bezauberten Grund, elysische Auen und Haine,
Lauter Genuß, Entzückung und ewig blühende Wonne. – 25
Jetzo sitzet Narcissa, von blumigen Büschen verborgen
Auf der Bank von Violen, und ohne den Zaubergürtel
Schön wie Armide, von tausend Amoretten umgeben;
Wollusttrunken, den Arm um den weißen Nacken umschlingend,
Klebet Jokasto entzückt an ihren Lippen; die Büsche
Rauschen von lüsternen Seufzern umher; die schwimmenden Augen
Sehn nur Entzückung um sich. – Doch schaue nun, glückliche Göttin,
Einen Augenblick weiter. – O grauenvolle Verwandlung!
Himmel voll Wollust, wo seyd ihr? wo seyd ihr ewige Freuden?
Und wen seh' ich dann hier? o möchte mein Auge mich täuschen!
Eben diese Narcissa, mit matten irrenden Blicken,
Todesblässe bedeckt die verzehrten Wangen, die Augen
Sind von Thränen erschöpft, die Locken, die Seile der Liebe,
Irren wild um den Lilienhals. Verlassen, verachtet,
Schmachtet sie, schmachbelastet, und keine Einsamkeit ist ihr
Einsam genug, sie dem strafenden Blick der Welt zu verbergen.
Ach, die Ruh' ist auf ewig von ihr gewichen, und Reue,
Thränen und ewiger Gram ihr Loos; die menschlichsten Freuden,
Freundschaft und Liebe, der Lohn der Tugend, entflohn ihr auf ewig;
Da der Verbrecher indeß, mehr schuldig, doch sicher vor Strafe,
Seiner Besiegten vergißt, und neue Narcissen vergöttert.

Freundin, vergib dieß traurige Bild der redlichen Liebe,
Wie sie die Himmlischen fühlen. Wir trennen Wahrheit und Liebe
Nie von einander. Von Eigennutz wie von Bedürfniß entfernet,
Suchen wir nur das Wohl des Geliebten, und schonen, aus schwacher 26
Falscher Zärtlichkeit nicht, ihm kurze Schmerzen zu machen,
Wenn sein Uebel allein durch ätzende Mittel zu heilen
Möglich ist. Auch verbirgt sich vor uns das Laster vergebens
Unter die Miene der Wahrheit; kein irdischer Schimmer verblendet
Unsern schärfern Sinn. Die Dinge, die ihr bewundert,
Zeigen sich uns, der Farben, die ihnen die Leidenschaft leihet
Und der Größe beraubt, die sie im wünschenden Auge
Erst empfangen, in nackter Natur, – jetzt schön, wie der Schöpfer
Sie gebildet, jetzt, wie sie der Fall von der Ordnung entstellet.
Glaube demnach, Narcissa, der treuen Erinnrung der Freundin,
Die im Schooße der Ruhe, zu welcher der Kummer den Zugang
Nie gefunden, für dich besorgt ist, und jetzo versuchet,
Ob ihr Bild noch nicht ganz in deinem Herzen erloschen,
Und was die Wahrheit bei dir vermag, die von sterblichen Lippen
Minder vielleicht dich rührt', als da sie vom Himmel dich suchet.
O wie erhöht mein eigenes Glück der süße Gedanke
Bald dich den stillen Pfad der Tugend wandeln zu sehen,
Deren Freuden du noch nicht kennest! O Schwester, nur diese
Machen uns seliger als die Menschen. Wie sind sie unendlich
Ueber die sinnlichen Freuden erhöht! wie olympische Blumen
Ueber verwelktes Gras. O könnt' ich, Narcissa, nur einen
Matten Schattenriß dir von dieser Seligkeit geben,
Der du bestimmt bist, die deine von Gott entsprossene Seele
Unbewußt, selbst im Wirbel der Eitelkeiten erseufzet;
O du rissest dich aus den seidenen Netzen der Thorheit
Ungestüm los, du verlörst den Geschmack an sterblichen Freuden;
Ja es scheute dein zärtlicher Fuß nicht Pfade von Dornen,
Sie darauf zu ersteigen, dafern es der Tugend gefiele 27
Ihre Blumen in Dornen zu wandeln. Hier athmet die Seele
Eine reinere Luft, die sie zum Denken erheitert.
Keine mißtrauische Vorsicht befiehlt uns die Freuden zu prüfen,
Die sich uns anerbieten; hier wohnen nur göttliche Freuden,
Früchte von edlen Thaten; Empfindungen himmlischer Liebe,
Die uns mit unaussprechlicher Lust zum Ewigen hinziehn.
Aber diese Betäubung, in der die Entzückung der Menschen
Allzugern sich verliert, die süße Ohnmacht, der Taumel
Glühender Freuden, der Wunsch der Sinne, das Sterben der Seele,
Sind uns fremde; denn keine Wollust blüht im Olympus,
Die für Thiere nur wächs't. Die süßeste Wallung des Herzens
Darf dem herrschenden Geist nicht einen Augenblick rauben.
Doch die erhabenste Lust strömt aus dem Innern der Seele
Selber hervor, und kehret in ihren unendlichen Urquell.
O Narcissa, die Gottheit, der Geist, der alles beseelet,
Alles beglückt, die unendliche Schönheit, das Urbild des Wahren,
Diese zu sehn sind unsre Blicke gereinigt. Die Gottheit,
Welche die Menschen im schwachen Abriß nur dunkel erkennen,
Den die Natur mit flüchtiger Hand im irdischen Stoffe
Von ihr gemacht, die sehn wir mit einem Anblick viel heller,
Als sie ein forschender Weiser in heiligen Nächten betrachtet,
Wenn er sich, wie vom Leib entfesselt, dem Land der Ideen
Fernher nähert, und mit tiefstaunendem Geiste die Quelle
Aller Ordnung und Güte beschaut. Dieß Schauen der Gottheit
Tilget jede geschaffene Schönheit aus unserm Gemüthe;
Plötzlich erlischt der Seraphim Glanz, die Himmel verschwinden
Und kein Ausdruck, kein Bild, kein Maß, nichts Endliches fasset 28
Was sie erfährt und fühlt, die selbst vergötterte Seele,
Welche Gott in sich fühlt. Doch unvollendete Wesen
Tragen nicht lange das Anschau'n Gottes, obschon sich sein Antlitz,
Sie nicht gar zu verzehren, durch hüllende Wolken nur zeiget.
Ungern zittern wir dann in unsre Sphäre zurücke,
Wo das Auge sich wieder erholt; die helleste Aussicht
Dünkt uns Nacht, das Schönste, was sonst in Entzücken uns setzte,
Rühret uns kaum. Doch freuen wir uns, im himmlischen Antlitz
Unsrer Geliebten, im Auge, woraus die Seele hervorstrahlt,
Züge der Gottheit zu finden; der Gottheit, von der wir so voll sind,
Daß wir alles verachten, was uns ihr Bild nicht zurückwirft.

Doch ich schweige, – du fassest noch nicht die Wonne der Geister.
Aber ist, was ich dir sagte, und mir zu entdecken erlaubt war,
Nicht vermögend, Narcissa, dein schlummerndes Herz zu erwecken?
Schämst du dich noch unsterblich zu seyn? und darfst du es wagen,
Ohne Verwirrung noch an die Puppenspiele zu denken,
Die dir ein edleres Kleinod als tausend goldene Welten,
Die dir die Würde der Seele geraubt, des heiligen Fremdlings,
Den der Olymp nicht herabließ, um sich im Schooße der Thorheit
Zu entgöttern? O möcht' ich dich unter den seltenen Schönen,
Die für den Himmel blühen, erblicken! O möchtest du weislich
Stunden gebrauchen, welche so nah' an die Ewigkeit gränzen,
Und zu Aeonen werden! Und wenn der Schatten des Himmels,
Dessen äußerste Züg' ich entwarf, die bezauberten Inseln
Schon vertilget, die ihr Betrogne, von Sehnsucht verleitet, 29
Durch die Meere des Lebens vergeblich verfolget; wenn Freuden
Wie sie dem Himmel entsprossen, der Liebe der Sterblichen werth sind –
O so säume nicht länger, Narcissa, die Tugend zu suchen,
Der es erlaubt ist, die Erde dir schon zum Himmel zu machen! 30

 


 


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