Christoph Martin Wieland
Briefe von Verstorbenen
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechster Brief.

Theanor an Phädon.

Inhalt. Theanor warnet seinen Freund vor den Ausschweifungen des menschlichen Stolzes in Erforschung der Wahrheit, bezeichnet ihm die unserm Verstande hierin gesetzten Gränzen, und ermahnt ihn, sich ganz der ächten Weisheit zu ergeben, die uns wohl und glücklich leben lehrt.

                        Eine Seele, die unter dem Mond, im Reiche des Irrthums,
Folgsam dem edeln Trieb, womit sie der Schöpfer beflügelt,
Und in geistiger Liebe zur schönen Wahrheit entzündet,
Sie mit Zärtlichkeit sucht; die von den bezauberten Blumen
Und den giftigen Früchten, womit der Weg, den sie wandelt,
Hier und da reizt, und der üppigen Luft, die zu weichem Entschlummern
Sanftbetäubend sie ladet, das goldne Ziel zu verfolgen
Unentlocket, die Dornen erwählt, die zum Eilen sie spornen;
Phädon, so eine Seele bei Menschenseelen zu sehen,
Ist ein reizender Anblick für empyreische Geister.
Wie wenn die Nacht den Himmel in einen Schleier von Wolken 76
Eingehüllt hat, und der Weise, der jetzt betrachtend und einsam
Unter den Bäumen einhergeht, nur selten einzelne Sterne
Zwischen dem Silbergewölk mit stillem Ergötzen entdecket;
So ergötzt uns die Seele, die aus der nächtlichen Erde,
Wie ein umwölkter Stern, mit bleichem, doch himmlischem Glanze,
Durch den Aether hin scheint, und uns sie näher zu schauen
Winket. So hast du, o Phädon, zu dir mich heruntergezogen.
In der Blüthe der Jugend schon nach dem hohen Genusse,
Den uns die Wahrheit gewähret, sich sehnen; gemeinere Freuden,
Die sich selber erbieten, mit ihren Reizen verachten,
Und die Kräfte der feurigen Seele der Seele nur widmen.
Dieß verdient dir die Liebe Theanors. – Schon zähl' ich im Geiste
Jede Zufriedenheit, die mir dein Wandel auf Erden bereitet;
Seh' in dir schon den himmlischen Freund, und segne die Stunden,
Die dich auf ihrem geflügelten Wagen zur Ewigkeit ziehen.

Aber, o Phädon, je mehr dein Herz vom Verlangen nach Wahrheit
Glühet, je schöner dir ihren Genuß die Hoffnung erhöhet;
Desto näher bist du der Gefahr betrogen zu werden,
Oder dich selbst unachtsam in Labyrinthen zu fangen.
Leicht, wenn du ihre unsterbliche Schönheit zu sehen entbrannt bist,
Kann der heftige Wunsch Phantomen zur Wahrheit vergöttern.
Hier ich ein Führer dir nöthig. Zwar legte der Schöpfer der Seelen,
Da sie aus bloßen Ideen zu Wesen reiften, in jede
Fähigkeit und unsterblichen Trieb nach Wahrheit, die immer
Ihre Gränzen erweitern. Doch ist es keiner erlaubet,
Vor der bestimmten Zeit sich über den Cirkel zu heben,
Ob die kühne Begier die kurzen Flügel gleich übet. 77
Sie von dem eiteln Bemühn, das ihre Stunden vernichtet,
Abzuhalten, und ihr den gewissen Weg zu eröffnen,
Ist die Vernunft, ein Strahl von der Sonne der Geister, den Menschen
Eingegossen, der Strahl, den Engel an ihnen verehren.
Er, entsprungen aus Gott, führt auch zu Gott uns zurücke;
Denn Gott selbst ist die Wahrheit, das Uebrige alles sein Schatten.
Aber er hat sich selber in diese nachahmenden Schatten
Blöderen Wesen verhüllt, und ihnen den Lichtstrahl gegeben,
Daß sie durch ihn die Gottheit in allem durchscheinend entdeckten,
Und von der Schönheit, die in der Verdunklung so reizend geblieben,
Zur Nachahmung entflammt, nach ihrem Muster sich formten.
Siehe, dieß lehrt die Vernunft, und ihr gehorchen ist Weisheit,
Ist der einzige Weg, auf dem uns die Wahrheit begegnet.

Prüfe nach dieser Richtschnur die Weisheit der blöden Sophisten!
Diese der Weisheit Gestalt so schön nachahmende Wolke,
Die zwar von fern ein jugendlich Auge betrügerisch anlockt,
Aber mit ihrem Besitz die Mühe wenig belohnet,
Ihr das Mark des Lebens und wache Morgen und Nächte
Aufgeopfert zu haben. Zwar ihre Blicke sind reizend,
Ihre Verheißungen goldner als Gold, sie lockten fast Engel
Ihrem Sirenenmund zu. – Du glaubtest sie hörend, der Schlüssel
Zu den geheimsten Tiefen der Schöpfung sey von der Natur ihr
Anvertraut, und das Geringste, wozu sie den Liebling erhebe,
Sey ein irdischer Gott. – Doch nah' ihr, so wird die Erscheinung,
Die dir von fern mit olympischem Pompe die Augen entzückte,
Schnell sich in leichte Gewebe von Luft und Dünsten verlieren; 78
Wie ein leuchtender Käfer in Sommernächten von ferne
Sternengleich schimmert, und, wenn du ihn fängst, ein verächtlicher Wurm ist.

Aber sie täuschet nicht nur dein eitles Umarmen mit Schatten;
Sie entführt dich dem richtigen Pfad, und läßt dich im Dunkeln
Zweifelhaft unter tausend verflochtenen Wegen verirret.
Wenn du dann unmuthsvoll tappst, so ist es der Zauberin Freude
Dich mit Strahlen von Hoffnung, die schnell sich entzünden, und plötzlich
Wieder verlöschen, zu täuschen. Und hat sie im nächtlichsten Irrgang
Lange genug dich gehalten, so webt sie Systeme von Träumen,
Zwanzig Schritte vor dir, die lieblich glänzend dir winken,
Wie zum Tempel der Wahrheit; du eilst durch dornige Büsche
Sie zu erreichen, und wenn du den Fuß in die goldene Pforte
Setzest, ist alles in siebenmal dichtere Schatten zerflossen.
So ist das Ende der Arbeit, worein sie die Thoren verstricket,
Die ihr Zauberlied fängt, Verwirrung und Zweifel und Irrthum!

Laß dieß, o Jüngling, so fest als ein diamantenes Denkbild
Deinem Geiste vorschweben! Die Weisheit lehret beglückt seyn.
Sie ist die Kunst, die Freuden, die uns der Schöpfer erbietet,
Anzunehmen; die Kunst, die Sphäre thätig zu füllen,
Die er uns angewiesen. Sie ist bescheiden und menschlich.
Sie zu finden bedarfst du nicht über die Wolken zu steigen,
Oder in Tiefen zu sinken. Sie wohnt nicht in fei'rlichem Dunkel,
Nein sie wird dir in offenen Fluren mit lächelndem Antlitz,
Gleich als ob sie dich suchte, begegnen, und hat dir die Augen
Ihre Feindin nicht schon verfälscht, so wirst du sie sehen.
Wenn sie in deinem Herzen die sympathetische Einfalt,
Die sie suchet, dann findet, so wird sie mit lieblicher Stimme
Und mit beredten Augen zu deiner Seele so sprechen: 79

»Siehe mich hier, die du suchest! Der gütige König der Geister
Hat den heimlichen Hang, der auf meine Spur dich gebracht hat,
Selbst in dein Herz gehaucht; mir, dich zu suchen, befohlen.
Komm und vertraue dich mir. Ich bin es, die von den Menschen
(Ob mich schon wenige kennen), nachdem die Neigung den Pinsel
Führet, unähnlich gemalt und mit mancherlei Namen begabt wird.
Jetzo nennt man mich Tugend, jetzt Wahrheit; dieses verleitet
Viele mich von mir selber zu trennen, und Wahrheit und Tugend
Auf verschiednen Wegen zu suchen, doch, übel betrogen,
Meinen Feindinnen sich in die goldnen Netze zu liefern.
Wer die Wahrheit in menschlicher Bildung und Menschen bestimmet
Sehen will, komme zu mir. In ihrer nackenden Unschuld
Geb' ich sie ihm. Er lernet von ihr, nicht Himmel umspannen,
Nicht die stillarbeitenden Kräfte der Wesen erforschen,
Und die Kunst der Natur; nicht Gottes Tiefen ergründen,
Seine Mäander entwickeln, noch jene Ketten entdecken,
Welche die irdische Welt an die idealische binden.
Aber sie öffnet die Augen, und weht die Nebel des Irrthums
Und der Gewohnheit weg, die ihm die Schönheit der Schöpfung
Neidisch entziehn; sie lehrt ihn empfinden, und aus der Empfindung,
Mit Betrachtung vermählt, Gedanken zeugen. Dann sieht er
Alles mit Gott erfüllt, von seiner Weisheit durchstrahlet,
Alles mit Absicht geadelt und nach den Geistern gestimmet;
Und er forscht die Natur, nur daß er Gott in ihr sehe.
Von der unendlichen Menge bewundernswürdiger Züge
Seiner Weisheit und Liebe durchdrungen, obgleich die Sphäre
Die sie ihm malet, nur klein und halb mit Nächten bedeckt ist,
Ist er mit seinen Gränzen vergnügt, und wartet geduldig
Auf die hellere Klarheit, um die er die Engel nicht neidet; 80
Zweifellos, daß die moralische Welt, das schönste der Schöpfung
Und das edelste Theil, dem alles Uebrige dienet,
Eben so schön und harmonisch als wie der sichtbare Weltbau
Einst sich befinde, wenn himmlisches Licht den schärferen Augen
Ihren ganzen Entwurf zu übersehen erlaubet.
Siehe, so lehr' ich dich in der Gestalt der glänzenden Wahrheit.
Hast du mich angenommen, so werd' ich zur zärtlichen Tugend
Und erheitre den Ernst der Stirne mit lächelnder Liebe.
Dann wird jede der Lehren, die du vom Munde der Wahrheit
Schöpftest, in neuer Anmuth mit deinem Busen vermählet.
Von mir lernest du dann die Kunst dich zu freuen, die schwerste
Und die süßeste Kunst! Ich stimme dein Herz mit dem Geiste
Lieblich zusammen, und ordne die Triebe nach deiner Bestimmung,
Daß du, in der umgebenden Menge von Werken des Schöpfers,
Nicht sein göttliches Ohr allein mit Mißklang beleidigst.
Dann gesell' ich ein liebliches Chor von edeln Affecten,
Meine Töchter, dir zu, die Gespielen der himmlischen Freude;
Jede mit eigner Schönheit geschmückt, und den Schwestern doch ähnlich.
Sieh', die olympische Andacht, die lächelnde Liebe, die Hoffnung,
Und das zärtliche Mitleid, sind an dem Haupte des Chores.
Diese führen die Stunden dir zu, die du unter der Sonne
Lebest, und mischen zuweilen in deine menschlichen Freuden
Schon vom Nektar des Himmels. An ihre Arme geschlungen
Nahest du unvermerkt schnell der offnen Pforte des Aethers.«

Phädon, so spricht die Weisheit, und ihre holdselige Einfalt
Ist dem Menschen gemäß. Wie wenig kennet der Stolze,
Der sie verschmäht, die Absicht der Dinge? Wie wenig sich selber?
Unzufrieden mit seiner Natur versucht er, den Menschen 81
Aus der Schöpfung zu tilgen, und will zum Engel sich adeln.
Er verachtet die Schranken, die seiner Erkenntniß gesetzt sind,
Glaubt sie zu brechen, und öffnet sich nur chaotische Räume.
Gleich als wär' es ihm Schande, das nicht zu wissen, was Gott sich
Vorbehalten, bemüht er sich weiter als Engel zu sehen,
Welche so wenig als er die geheimen Regungen kennen,
Die das große System der Weltgebäude beherrschen.
Thöricht strebt er die Wahrheit vom Leib zu entkleiden, und weiß nicht,
Daß in der ganzen Schöpfung die geistigen Kräfte mit Körpern
Angethan sind, sie sichtbar zu machen; daß sinnlichen Bildern,
Mit ätherischer Schöne geziert, zu den Seraphim selber
Zugang erlaubt ist, und keiner der hellesten Geister sich schämet
Von Entzückung zu glühn und in heiliger Liebe zu wallen.
Wenn der Verstand, um – den Menschen versagte – Wahrheit zu suchen,
Sich in pfadlose Tiefen hinabläßt, und ganz von den Sinnen
Abgerissen seyn will, dann lacht der Irrthum, und mengt sich
Unter die allzu zarten Begriffe. Wie selten ist's möglich,
Unter tausend kaum sichtbar'n verschlungnen Ideen, die wahren
Stets aus den falschen zu kennen, und, wenn man sie kennt, zu verhindern,
Daß sie nicht wieder entschlüpfen und sich im Haufen verlieren?
Billig straft die Natur die Hasser ihrer Gesetze:
Billig stürzet der Menschenverächter unter den Menschen.
Eine Seele, die über dem Abgrund verborgner Erkenntniß
Unverwandt hängt, und darüber vergißt, daß auch irdische Sorgen
Und die Gesellschaft der Brüder die Tugend des Weisen verlangen; 82
Eine Seele, die sich zum Gott zu läutern bemüht ist,
Und schon so sehr entmenscht ist, beim Anblick der holdesten Unschuld
Eben so marmorn zu bleiben, als ob sie Corinnen erblickte,
Sind sie nicht beide Mißgeburten im Reiche der Geister?
Oder stümmeln sie sich nicht selbst, um schöner zu scheinen?
Nach der Bestimmung des Menschen (der Ordnung des Königs der Wesen),
Die ihn mehr zum Empfinden als zum Erforschen erkoren,
Ist sein vollkommenster Preis die Schönheit der sinnlichen Seele
Und die Liebe, die zwischen dem Geist und den Neigungen herrschet.
Ist es nicht thöricht, o Phädon, die schönere Seite der Seele,
Die mit amorosischen Früchten die kleinste Pflege belohnte,
Ungebaut, unter Disteln und schwelgerisch wachsendem Unkraut
Seufzen zu lassen, um etwa die Herrschaft des eiteln Verstandes
Durch eroberte Klippen und dürren Sand zu erweitern?
Aber noch thörichter ist's in eines Unsterblichen Augen,
Wenn der irdische Mensch, bei seinem Funken von Einsicht,
Alles, was Gottes Weisheit erfand, die Sphäre der Dinge
Mustern will, und lächerlich stolz den unendlichen Weltbau
Mit dem Sandkorn ermißt. Wie könnte sein Wissen ihn blähen,
Hätt' er nur einen Blick in die hellen Tiefen gewaget,
Welche für Ewigkeiten mit Wundern des Schöpfers gefüllt sind?
Aber lieber verkleinert er den, den der Seraphim erster
Mehr mit anbetendem Schweigen als lauten Hymnen verehret,
Lieber verkleinert er ihn, und setzt der Unendlichkeit Gränzen,
Als im Staub, zu dem Wurme gebückt, sein Nichts zu gestehen. 83
Und ist denn der Entwurf, den Menschen vom Weltgebäu träumen,
Viel gemäßer, als wenn der Käfer die Flur, wo er flattert,
Gränzenlos glaubt, und gelbe Blumen zu Sonnen erhebet,
Und nicht wenig sich dünkt, daß so viel blühende Räume
Ihm, dem vollkommensten Wesen der Schöpfung, zu dienen gemacht sind?
Wahrlich, du bist in der Mitte von zweien Unendlichkeiten,
Da dein arbeitender Geist sich dort vergeblich vergrößert,
Unausdenkliche Größen, die immer in größre gehüllt sind,
Zu umspannen, und hier den kleinsten Atomen des Raumes
Durch geschärftere Blicke mit so viel andern besämt sieht,
Daß Aeonen vielleicht sie zu entwickeln ermüden:
Wahrlich, o Phädon, du bist in diesen grundlosen Tiefen,
Die sich rund um dich aufthun, ein Wurm, und blöder als Würmer
In der blühenden Flur; hier bleibt dir kein höherer Vorzug,
Als das Vermögen dein Nichts dir selber frei zu bekennen,
Und ein süßer Instinkt, der mit der Hoffnung dich tröstet,
Daß die unendlichen Scenen für deine Unsterblichkeit glänzen.

Wenn ein begränzter Geist, ein Hauch des Schöpfers, es waget
Mit bewunderndem Zittern die Thaten Gottes zu denken,
Nur damit er den Saum des Schattens der Gottheit erblicke,
Und in Liebe der ewigen Schönheit sein Herz sich ergieße:
Phädon, so fordert die Pflicht, sie so groß und göttlich zu denken
Als die Seele vermag, wenn jede Kraft mit der andern
Um die Erhabenheit eifert. Hier ist Vergrößrung unmöglich.
Von den Werken des Wesens, das künftig jede der Sonnen
Aus dem Aether verweht, als zu dunkel ein ewiges Denkmal 84
Seiner Allmacht zu seyn, erhaben genug zu gedenken,
Sind (sie gestehen es selbst) seraphische Phantasien
Noch nicht feurig genug, obgleich der englische Tiefsinn
Sie im Fluge regiert. – Hier, Phädon, finden die Menschen
Für die schönste der Kräfte, die Schöpferin möglicher Dinge,
Die mit inwendigen Sinnen die Zukunft und das Vergangne
Gegenwärtig beschaut, die würdigsten Gegenstände.
Wenn sie die feurigen Flügel oft zu den Räumen erhübe,
Deren göttliche Pracht sie selbst mit ätherischer Schönheit
Krönte, und blickte sie oft in die unaussprechlichen Scenen,
Wo sie das Glück, unsterblich zu seyn, zum voraus empfindet;
Glaube mir, Freund, so würde dieselbe, die ohne die Weisheit
Immer, von Afterschönheit bethört, die Tugend vergiftet,
Mehr als der ernste Verstand die Herzen zur Tugend begeistern.
Und wie billig sind alle Vermögen der Seele der Tugend,
Nur der Tugend, geweiht, zu deren Gebrauch sie gemacht sind!
Ihr ist die Phantasie zum Flügel gegeben; für sie nur
Leuchtet die weise Vernunft; ihr sucht die Wissenschaft Speise.
Und was ist denn die Tugend? Die Himmel nennen sie Wollust!
Wollust, in die von der Seligkeit Gottes drei Tropfen gemischt sind,
Wollust für Engel, unsterblich wie sie, ambrosische Früchte,
Die, was Eva vergeblich vom Baum der Versuchung gehoffet,
Uns im Genuß vergöttern. – O Mensch, wie bist du erhaben!
Ehre dich selbst! Erkenn' in dir selbst den Genossen der Engel,
Ehre die Tugend, die dir in die werdende Seele gehaucht ward,
Sie, dein göttliches Theil! Sie ist's, die nach der Verordnung
Des erschaffenden Wortes die helle Sphäre der Seele 85
Treiben soll. Rufe die Kräfte, die ihr so willig gehorchen,
Nicht von dem heiligen Dienst zu ungebührlicher Arbeit;
Und den Verstand vor andern. Du würdest ihn niedrig entweihen,
Wenn du ihn, von der süßen Betrachtung der geistigen Schönheit
Weggerissen, die Räder des Stoffes zu treiben verdammtest.
Sieh nur, wie eben derselbe, der lauter Ordnung und Licht sieht,
Wenn er die Welt, wie er soll, im sittlichen Sehpunkt betrachtet,
Der im Menschen der Neigungen Höhlen, die Zeugung des Willens
Und den leisesten Wink des Instincts zu erspähen geschickt ist,
Der, wenn der große Gedanke von seiner Unsterblichkeit aufwacht,
Mit der äußersten Schwinge der hochgestiegnen Empfindung
An die Sphären und Seraphim stößt; der es wagen darf, selber
Ueber den Rand der Zeit in Ewigkeiten zu schauen;
Eben der, wenn ihn die Neugier beredet, den Stoff zu erforschen,
Sieht, sobald er die Schönheit der Oberfläche durchstrahlt hat,
Nichts als Dunkel und Chaos und ungestalte Verwirrung.

Wenn du hieraus die Bestimmung der forschenden Kräfte des Geistes
Noch nicht genugsam erkenntest, so wird dir die Wahrheit, o Phädon!
Sonnengleich aufgehn, wenn ich, obschon mit verdunkelten Bildern,
Dir die Verändrung entwerfe, wozu der Tod uns erhöhet.
Zwar, sobald sich die Seele mit ihrem äther'schen Gewande
losgewickelt hat, gehet ihr, statt des irdischen Tages
Ein ätherischer auf, ihr himmlische Wunder zu zeigen, 86
Wunder von Schönheit, und hellere Schatten vom göttlichen Antlitz.
Aber den Wunsch, die Werke der Gottheit ergründen zu wollen,
Thut nur ein Mensch. Dieß ist der Vorzug der Weisheit des Engels,
Daß er Bewundrung allein für das Loos der Beschauer der Thaten
Gottes erkennt.
Aber von jedem ambrosischen Abfluß der göttlichen Liebe
Alle Tropfen zu schmecken, dazu sind unsere Seelen
Ganz Empfindung und Sinn. Und dennoch drängt in der Menge
Keine die schöne Gespielin, sie stimmen so lieblich zusammen
Als ein blühender Kranz von empyreischen Schönen.
Jede Empfindung erheitert sich schnell zum Gedanken und schmücket
Nur den geistigen Theil, wie sie erst den sinnlichen schmückte.
Aber vor allen Kräften des Geistes erwächs't das Gedächtniß
Zur Vollkommenheit an. Der Himmel in jeglicher Aussicht
Malt sich mit mildern Farben in diesem geistigen Spiegel,
Jede Seligkeit, die wir geschmeckt, und jede Entzückung,
Jeder Gedanke, durch den die Seele vor andern herausstrahlt,
Zieht hier Unsterblichkeit an; es herrschet die helleste Ordnung
Unter den Myriaden ätherisch geschmückter Ideen.
Alle gehorchen dem Willen. Er kann, so oft ihm beliebet,
Goldene Paradies' und Sonnen, von Engeln bewohnet,
Weit um sich her erschaffen. So sind wir mitten im Aether
Oft in der blühenden Erde, von weisen Freunden umgeben,
Hören den hohen Gesang des himmlisch begeisterten Dichters,
Wenn er, obschon mit schwächern Accenten, den Gegenstand preiset, 87
Den auch Seraphim preisen, und sehn die horchende Jugend
In der schlagenden Brust die erhabnen Lieder empfinden.
Und so verläßt uns der Himmel, auch wenn wir die Menschen besuchen,
Niemals; er strahlet in uns; sein Bild in den Geistern wird dauern,
Wenn ihn die alte Nacht mit seinen Sonnen verschlinget
Aber so heiter und ewig die Bilder der Schönheit und Freude
Sich im Gedächtniß erhalten, so hat doch der Schmerz und das Uebel
Keine Stelle darin. Sobald wir die Himmelsluft trinken,
Löscht sie auf einmal die traurigen Bilder des irdischen Elends
Aus dem hellen Gemüth; wir athmen ein süßes Vergessen
Alles Schmerzens in uns, und sind zur Freude nur fühlend.

Jüngling, du wallest zwar noch im Lande der sterblichen Dinge,
Unter Schatten von Lust und Schatten von Elend. Doch beide
Strahlet die Weisheit hinweg, die sich so zärtlich dir anbot;
Diese zwinget die Lust, des falschen Lächelns beraubet,
In die eigne Gestalt, und lehrt das Elend sich freuen.
Von ihr lernest du leben. Wer ihrer Vorschrift getreu ist,
Wird in der Erde, wie wir, die Schwester des Himmels erkennen! 88

 


 


 << zurück weiter >>