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Das Seewesen der germanischen Vorzeit.

Der Standpunkt des Seewesens ist bei Völkern, deren Landesgrenzen vom Meere bespült werden, ein Maßstab für ihre Kultur, erhebt sich mit ihrem Aufschwung und sinkt mit ihrem Niedergang.

Als Griechenland sich auf dem Höhepunkte seiner geistigen Entwickelung befand, zeigte auch sein Seewesen eine für damalige Verhältnisse ungemein große Vollendung. Unter Roms Weltherrschaft blieb es anfänglich so stehen, verfiel dann langsam mit dem absterbenden Kaiserreiche, um endlich wie dieses von den Fluten der Völkerwanderung verschlungen zu werden.

Die stolzen und mächtigen Triremen und Quinqueremen, welche so lange das Mittelmeer durchfurcht und beherrscht hatten, verschwanden, und an ihrer Statt erschienen die rohen und gebrechlichen Fahrzeuge der Skythen, Goten und Vandalen.

Fast ein Jahrtausend blieb überall die Schiffahrt auf sehr niedriger Stufe, bis endlich das Licht der Civilisation wieder das Dunkel zu erhellen begann, das sich im Gefolge der Barbaren über Europa gelagert.

Dann aber übernahm der Norden die geistige Führung des von neuem erwachenden Völkerlebens und mit ihr auch die Entwickelung des Seewesens. Die außerordentlich hohe Stufe, welche letzteres gegenwärtig einnimmt, danken wir vorzugsweise jenem und dem germanischen Geiste.

Es ist deshalb wohl von Interesse, den Anfängen nachzuforschen, aus denen solche bewunderungswerte Resultate hervorgegangen, um so mehr, als die Germanen nicht wie die Griechen, Karthager und Römer in dem Seewesen der Phönizier Vorbilder fanden, sondern ihre Schiffahrt neu erfinden und eigenartig entwickeln mußten.

Die Verhältnisse der nordischen Meere stellten andere Anforderungen an den Bau der Fahrzeuge wie im Süden, und die bestgebauten römischen Ruderschiffe erwiesen sich in unsern Gewässern als unbrauchbar.

Sie waren wohl geeignet, das Mittelmeer zu befahren, das während des größten Teils des Jahres eine ruhige Oberfläche, gleichmäßige Streichwinde, ein von Klippen und Untiefen sehr freies Fahrwasser hat, wo zahllose Buchten und Häfen den vom Wetter bedrohten Schiffen Zufluchtsorte boten, und wo es außerdem nicht an Menschen mangelte, um die Ruderer für die vielreihigen Schiffe zu liefern, aber sie paßten nicht für unsern Norden mit seinem plötzlichen Windwechsel, heftigen Stürmen, Ebbe und Flut, mit seinen kurzen Wellen, den langgestreckten, flachen und von Gefahr drohenden Sandbänken umgürteten Küsten, die an Schätzen ebenso arm waren wie an Menschen.

Hier galt es, den Fahrzeugen ganz andere Formen zu geben, um den so viel größeren nautischen Schwierigkeiten siegreich entgegenzutreten. Sobald man begann, sich weiter zu wagen, mußte man darauf bedacht sein, die bald ermüdende Armkraft der verhältnißmäßig geringen Mannschaft durch die Hilfe des Windes zu ersetzen, und die Notwendigkeit, bei auflandigen stürmischen Winden sich von den gefährlichen Küsten fern zu halten, erzwang schon früh die Erfindung der Kunst des Kreuzens.

Trotz des tausendjährigen Alters ihrer Schiffahrt und trotz deren hoher Entwickelung hatten die Bewohner der Mittelmeerküsten sich die Kunst des Lavierens noch nicht zu erwerben gewußt. Sie besaßen zwar schon früh Segel, und in den aufgedeckten Gräbern von Sagarah sehen wir Fahrzeuge mit solchen aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. abgebildet, aber sie waren nur daraus berechnet, bei gutem Winde die Fahrt zu beschleunigen oder zeitweilig den Ruderern Erholung von ihrer anstrengenden Arbeit zu gönnen.

Doch selbst, wenn ihnen der Gedanke gekommen wäre, hätten sie ihn – wenigstens bei den mehrreihigen Ruderschiffen – nicht ausführen können, ohne ihr ganzes Bausystem von Grund aus zu ändern.

Um mit einem Schiffe bei bewegtem Wasser gegen den Wind zu kreuzen und dabei wirklich vorwärts zu kommen, bedarf dasselbe einer bestimmten Bauart und namentlich eines bestimmten Verhältnisses von Breite zur Länge. Letzteres ist für Manövrieren am günstigsten, wenn es sich wie 1:4 bis 4½ stellt. Mit 1:6 erreicht es die praktische Grenze für Zwecke des Lavierens, und darüber hinaus verschwindet die Manöverfähigkeit unter Segel überhaupt sehr schnell.

Bei den alten mehrreihigen Ruderschiffen war dies Verhältnis aber 1:9 oder wohl gar 1:10 und deshalb ein Kreuzen ganz unmöglich. Außerdem ist ein flacher Boden mit nur wenig hervortretendem Kiel, wie ihn die antiken Fahrzeuge besaßen, ebenfalls dem Lavieren sehr hinderlich. Solche Form des Rumpfes setzt seitlichem Winddrucke zu wenig Widerstand im Wasser entgegen, und das betreffende Schiff treibt bei stärkerem Winde und Seegang einfach quer ab.

Aus diesen Gründen konnten die römischen Schiffe den Germanen keine Vorbilder sein, namentlich auch, nachdem sie gesehen, wie feindliche Flotten elend an ihren Küsten zerschellten, weil es ihnen unmöglich war, einem auflandigen Sturm die Spitze zu bieten. Sie waren vielmehr auf sich selbst angewiesen, um die passende Form des Rumpfes, der Masten und Segel für ihre Gewässer zu finden, wenngleich es wohl außer Zweifel ist, daß die Ankunft der Römer und ihre Kämpfe gegen sie den ersten Antrieb dazu gaben.

Bis dahin waren die Schiffe oder vielmehr Boote der deutschen Küstenvölker sehr unvollkommener Art. Zwar sind die darüber auf uns gelangten Nachrichten ungemein dürftig, trotzdem läßt sich aber aus ihnen der Schluß ziehen, daß selbst die in maritimer Beziehung am weitesten vorgeschrittenen Germanenstämme, die Bataver, noch keine seefähigen Fahrzeuge besaßen und nicht über ihre Flußmündungen hinauskamen.

Es ist dies auch ganz natürlich, wenn man bedenkt, daß unsere Vorfahren als Hirten- und Jägervölker aus Mittelasien einwanderten und bei ihrer Ankunft an unseren Küsten keine nautischen Traditionen irgendwelcher Art mit sich bringen konnten. Ebensowenig boten die rauhe Nord- und Ostsee mit ihren Nebeln und Strömungen für sie eine Verlockung, sich dem unbekannten gefahrvollen Elemente anzuvertrauen, dessen brausende Wogen bei dem häufigen Unwetter donnernd an den öden Strand rollten und dessen Bewohner nur mit Furcht und Schrecken erfüllten.

Was uns über das Schiffswesen der Germanen seit dem Beginn unserer Zeitrechnung, mit dem auch zugleich der Anfang der deutschen Geschichte zusammenfällt, durch die alten Schriftsteller vermittelt ist, beschränkt sich, wie bemerkt, auf wenige kurze und technisch sehr allgemein gehaltene Notizen.

Strabo erwähnt in einigen Zeilen eines siegreichen Kampfes, den Drusus Germanicus, der erste römische Feldherr, der bis an die Nordsee vordrang, den Bructerern auf der Ems lieferte. Über die Beschaffenheit der germanischen Fahrzeuge giebt er zwar keine Andeutung, daß es aber höchst gebrechliche Kähne gewesen sein müssen, mit denen die streitbaren Bructerer die hochbordigen, so vollkommen gebauten und sehr gut bemannten römischen Triremen anzugreifen wagten, was freilich mehr für ihren Mut, als für ihre Klugheit spricht, geht aus einer Bemerkung des Vellejus hervor.

Dieser diente als Präfekt der römischen Reiterei unter Drusus' Bruder Tiberius auf dessen Zuge nach Deutschland und hat uns Bruchstücke einer von ihm verfaßten Geschichte dieses Krieges hinterlassen.

Im zweiten Buche erzählt er: »Als wir unser Lager am westlichen Ufer der Elbe aufgeschlagen hatten, flohen unsere Feinde am jenseitigen Ufer landeinwärts, sobald wir unsere Schiffe gegen sie in Bewegung setzten. Einer der Barbaren jedoch, ein älterer Mann von stattlicher Gestalt und, nach seinem Schmucke zu urteilen, von hohem Range, bestieg eine aus Holz ausgehöhlte Mulde, wie sie dort üblich sind, und kam, selbst diese Art von Fahrzeug lenkend, bis in die Mitte des Flusses.« (Im Jahre 5 nach Christo.)

Wir haben es also hier mit einem ausgehöhlten Stamme, einem Einbaum, zu thun, der nur klein sein konnte, da er von einem Manne gelenkt wurde. Dies war außerdem eine Persönlichkeit von hohem Range, und es läßt sich deshalb aus diesen Angaben mit Sicherheit schließen, daß die damaligen Anwohner der Elbe keine besseren und größeren Boote besessen haben.

Dieses Zusammentreffen fand siebzehn Jahre nach dem Kampfe des Drusus gegen die Bructerer statt. Ems und Elbe liegen einander verhältnismäßig so nahe, daß die an beiden Strömen sitzenden Stämme gewiß engere Beziehungen zu einander gehabt haben und ihre Fahrzeuge nicht verschieden gewesen sein können. Es ist daher höchst wahrscheinlich, daß auch die der Bructerer rohe Einbäume waren.

Wir erfahren ferner durch Tacitus, daß zehn Jahre später (15 n. Chr.) Germanicus unter Leitung von Silius, Antejus und Cäcina an den Mündungen des Rheins zur Unterstützung des ersteren gegen die Cherusker tausend Schiffe bauen ließ, »ein Teil kurz mit schmalem Vorder- und Hinterteil und weitem Bauche, um desto besser den Wogen Widerstand zu leisten; einige mit flachem Boden, um ohne Nachteil auf Grund zu laufen; eine größere Anzahl, an denen auf beiden Seiten ein Steuerruder angebracht war, damit sie, wenn man plötzlich rückwärts rudern wollte, mit dem einen, wie mit dem andern Ende anrennen könnten. Viele erbaute man auch mit Verdecken, um darauf Wurfgeschütze fortzuschaffen und Pferde und Proviant mitzuführen. Ebenso handlich zum Segeln, wie schnell zum Rudern, machte der Soldaten frischer Mut sie stattlicher und zugleich furchtbarer.« (Ann. II 6.)

Auch diese Beschreibung ist kurz und technisch allgemein gehalten, aber es läßt sich aus ihr entnehmen, daß die Römer schon den Verhältnissen der nordischen Meere Rechnung zu tragen versuchten, wenngleich vorerst noch mit wenig Glück.

Wohl gelangte die Flotte bei günstigem Wetter bis zur Ems; als aber Germanicus nach Besiegung der Cherusker auf ihr eine der Legionen einschiffte, um sie nach dem Rhein zurückzuführen, wurde sie durch einen Sturm fast völlig vernichtet. Tacitus (Ann. II 23) erwähnt ausdrücklich, daß der Wind aus Süden gekommen sei. Bei einer solchen Windrichtung steht aber an unseren Küsten, denen sich die Römer unzweifelhaft ganz nahe hielten, keine schwere See, da er ablandig ist.

Wenn deshalb der größte Teil der Flotte verloren ging und Germanicus selbst sich mit seinem Admiralschiffe nur mit äußerster Mühe an die Küste der Katten retten konnte, so muß die neue Bauart noch vieles zu wünschen übrig gelassen haben.

Etwa 30 Jahre später berichtet der ältere Plinius über Seeräuberboote der Kauken, welche die reichen Provinzen Galliens heimsuchten und damit an den Römern Vergeltung übten. Noch waren dieselben aus einem Baumstamm gehöhlt, aber sie vermochten schon 30 Männer zu tragen.

Es war das erste Mal, daß Germanen das offene Meer befuhren. Mit diesen Raubzügen begannen unsere Vorfahren an der Nordseeküste sich zu kühnen und unternehmenden Seeleuten auszubilden, um schon kurze Zeit darauf unter dem Kaninefaten Gannask den Römern so gefährlich zu werden, daß im Jahre 47 n. Chr. Corbulo, der Statthalter von Niedergermanien, die gesamte Rheinflotte gegen sie aufbieten mußte, um sie im Zaum zu halten, obwohl Tacitus die Fahrzeuge der Kauken »Kähne« nennt und sie deshalb nur klein sein konnten.

Abermals einige Jahrzehnte später (70 n. Chr.) erhalten wir durch Tacitus die letzte Nachricht über germanisches Seewesen jener Zeit (Hist. IV 79 und V 23), leider aber noch dürftiger als die übrigen.

An ersterer Stelle erwähnt er bei Gelegenheit der batavischen Erhebung unter Claudius Civilis gegen die römische Herrschaft, daß die mit jenen verbündeten Kaninefaten die britannische Flotte angegriffen und den größten Teil der Schiffe versenkt oder genommen hätten, ohne daß er jedoch Näheres über das »Wie« sagt. Es ist deshalb auch unmöglich, daraus einen Schluß auf die Beschaffenheit der deutschen Fahrzeuge zu ziehen, mit denen dieser Erfolg erreicht wurde.

Es liegt die Wahrscheinlichkeit vor, daß die Kaninefaten die vor Anker liegenden römischen Schiffe überrascht haben. Das kann sehr wohl auch mit jenen von Plinius erwähnten Einbäumen geschehen sein, welche 30 Mann faßten, und es ist deshalb nicht die Annahme erforderlich, die germanischen Fahrzeuge seien schon soviel vollkommener gewesen, als einige Jahrzehnte zuvor.

Auf jene Einbäume scheint auch die zweite Notiz des Tacitus (Hist. V 23) hinzudeuten, obwohl sie verstümmelt ist.

Nachdem nämlich Civilis durch einen nochmaligen Überfall einen großen Teil der Schiffe genommen, heißt es in dem Bericht: »Er bemannte, was er an zwei- und einreihigen Schiffen (diese waren den Römern genommen) besaß. Dazu fügte er eine ungeheuere Menge Kähne, je dreißig bis vierzig …« Hier befindet sich leider eine Lücke im Text, die aber wohl ohne jeden Zwang mit »Mann haltend« ergänzt werden kann, was mit Plinius' Angaben übereinstimmen würde.

Während mit obigen Daten die Nachrichten der alten Schriftsteller über germanisches Seewesen westlich von der Elbe sich erschöpfen und letzteres demnach bis zur Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christo wenig über Einbäume hinausgekommen zu sein scheint, deutet dagegen eine andere Stelle des Tacitus (Germ. 44) daraufhin, daß die benachbarten Suionen (Skandinavier) in maritimen Dingen weiter vorgeschritten waren, obwohl die Beschreibung nach den deutschen Übertragungen ziemlich unverständlich ist, weil die Übersetzer einmal aus Mangel an technischer Kenntnis den Sinn des lateinischen Textes nicht richtig zu deuten vermochten und andererseits dieser möglicherweise auch verdorben ist.

Die Übersetzung lautet nach Horkel (die Geschichtsschreiber der deutschen Urzeit I, S. 671). »Die Suionen, mitten im Ozean, sind schon durch ihre Flotten mächtig. Die Gestalt der Schiffe hat das Unterscheidende, daß auf beiden Seiten ein Schnabel seine Spitze vorstreckt, stets zum Anlaufen bereit. Weder Segel nehmen sie zur Hilfe, noch versehen sie die Seiten mit festen Ruderbänken. Ohne Zwang und Regel, wie auf einigen Flüssen, und abwechselnd, wie es die Umstände erfordern, bald aus dieser, bald auf jener Seite wird gerudert.«

In diesem letzteren Satze liegt die Unklarheit.

Durch Barthold (Geschichte der deutschen Seemacht. Raumers Hist. Taschenbuch, III. Folge, S. 296) wird derselbe übersetzt: »Nach Notdurft wird wie auf Flüssen hier und dort das Ruderwerk angewandt.« Außerdem giebt Barthold den Satz »stets zum Anlaufen bereit« durch »immer der Flut zu widerstehen« wieder, und in ähnlicher Weise weichen die übrigen Übersetzer der fraglichen Stelle voneinander ab, ohne das Richtige zu treffen.

Der lateinische Text lautet: » quod utrimque prora paratam semper appulsi frontem agit«, das heißt im Deutschen richtig: »der Schnabel ist stets in Bereitschaft nach beiden Seiten (nach hinten und vorn) Front gegen ein Anrennen (nicht Anlaufen) zu machen.«

Mit »Anlaufen« könnte auch oder vielmehr hauptsächlich das Landen an einer Küste gemeint sein; das hat aber Tacitus, als etwas für ihn Gleichgültiges, offenbar nicht im Sinne gehabt. Er will begründen, daß die Suionen durch ihre Flotten mächtig seien, und hebt den kriegerischen Wert ihrer Fahrzeuge hervor, den er in ihrem Bau findet. Sie sind im Gegensatz zu den römischen Schiffen vorn und hinten ganz gleich gebaut und deshalb auch im stande, nach Belieben mit dem Hinterteile einen Spornstoß abzuwehren bezw. auszuteilen. Denn als solcher ist appulsus aufzufassen, was später noch durch eine unwiderlegliche Thatsache gezeigt werden wird.

Besonders kommt es aber auf den Satz an: »Ohne Zwang und Regel und abwechselnd, wie es die Umstände erfordern, wird bald auf dieser bald auf jener Seite gerudert.«

In dieser Form ist die Beschreibung völlig unverständlich. Man kann in einem Boote nicht beliebig bald auf dieser bald auf jener Seite rudern, ohne in beständigem Zickzack zu fahren, da die Hebelkraft der Riemen (Ruder), wenn sie nur auf einer Seite wirkt, das Fahrzeug nicht in gerader Linie vorwärts, sondern stets nach der entgegengesetzten Seite drängen muß. Nur bei ganz kleinen und schmalen Booten ist dies möglich, die von einem ganz hinten sitzenden Mann gelenkt werden, der dann den Riemen bald an der einen bald an der andern Seite eintaucht, damit das Boot vorwärts treibt und es zugleich steuert. Dies Manöver kann man noch heute bei unsern Flußkähnen und bei den Neger- und Indianerkanoes sehen, jedoch sind dergleichen Boote hier nicht gemeint; es sind eben große mit einer bedeutenden Zahl von Ruderern, welche geschildert werden.

Um den wahren Sinn des Textes zu finden, muß man etwas technische Kenntnisse zu Hilfe nehmen, und dann ergiebt sich als richtige Übersetzung von Tacitus' Worten » nec remos in ordinem lateribus adjungunt, solutum, ut in quibusdam fluminum, et mutabile, ut reposcit, hinc vel illinc remigium«. – »Die Ruderbänke waren nicht fest an den Seiten, sondern die Riemen frei, beweglich, so daß man sie nach Belieben vor- oder rückwärts gebrauchen konnte.«

Das » hinc vel illinc« sagt nämlich ganz dasselbe hier von der Bewegung der Riemen, wie das » utrimque« weiter oben von der prora; beides ergänzt und erklärt einander, heißt also auch hier »vor- und rückwärts« aber nicht »bald an dieser, bald an jener Seite.«

Die Riemen der Römer wurden durch Löcher in dem Schiffsrand gesteckt und waren deshalb nicht, wie Tacitus hier im Gegensatz betont, frei. Auf römische Manier konnte man zwar auch rückwärts rudern, wie in jedem unserer modernen Boote, aber keineswegs mit derselben Kraft und Schnelligkeit wie vorwärts.

Wenn man das thun will, so müssen nicht nur die Ruderer sich umdrehen, mit dem Gesicht nach vorn statt nach hinten, sondern auch die Ruderbänke versetzt werden, und das war, wie weiterhin noch ausgeführt werden wird, bei den Booten der Suionen nicht schwierig, weil sie lose, die Römer dagegen feste hatten. Diesen Unterschied gerade hebt Tacitus hervor und erklärt gleichzeitig dadurch für einen Seemann die Möglichkeit, nach Belieben und mit derselben Kraft das Boot vor- oder rückwärts zu treiben und zum Spornangriff überzugehen.

In der Zeit nach Tacitus fehlt uns jahrhundertelang jede Nachricht über die weitere Entwickelung des germanischen Seewesens. Im fünften Jahrhundert erwähnt Sidonius Apollinaris in einem Gedicht, daß die germanischen Seeräuber, welche die britannischen Küsten brandschatzten, Fahrzeuge besessen hätten, deren Seitenwände aus Weidengeflecht gefertigt und mit Tierhäuten bezogen seien, während die Segel ebenfalls aus Fellen bestanden.

Nennius ( Hist. Britonum) und Gildas ( de excidio Britanniae) berichten uns jedoch, daß die drei Fahrzeuge, mit denen Hengist und Horsa ihren Eroberungszug unternahmen, » longae naves, ciulae, ut lingua Saxonica exprimitur« waren, von denen jedes 150 Mann faßte.

Auch anderweitig wird geschichtlich beglaubigt, daß Hengist zuerst nur mit drei Ciulen (wovon unser heutiges, auch für das ganze Schiff gebräuchliche Wort »Kiel« herstammt) nach Britannien ging, und es ist deshalb wahrscheinlich, daß er zur Eroberung eines fremden Landes mit mindestens 400 Mann auszog. Schiffe von so großer Tragkraft, daß sie 150 Mann faßten und von der Elbe oder Eider nach England gingen, konnten aber nicht Seitenwände aus Weidengeflecht haben und mit Tierhäuten bezogen sein, sondern mußten aus festerem Material, das heißt aus Holzplanken erbaut und innen durch Rippen verstärkt werden.

Wahrscheinlich hat Sidonius die Fahrzeuge auch selbst gar nicht gesehen, sondern diese Beschreibung aus Plinius entlehnt, während es andererseits möglich ist, daß die Seeräuber auf ihren großen Fahrzeugen so leichte Boote mit sich führten, um mit ihnen in die seichteren Flüsse einzudringen.

Nach Sidonius erfahren wir wieder über ein halbes Jahrtausend lang nichts Genaueres über deutsches Seewesen, und erst die Flotte Wilhelms des Eroberers, welche dessen Gemahlin Mathilde auf den uns erhaltenen Gobelins von Bayeux in kunstvoller Stickerei dargestellt hat, giebt uns ein annähernd richtiges Bild von der Beschaffenheit der nordischen Schiffe um das Jahr 1066.

In Bezug auf das ganze erste Jahrtausend n. Chr. würden wir deshalb über die Schiffahrt der alten Deutschen mehr oder minder nur auf Vermutungen angewiesen sein, wenn uns nicht vor einigen Jahrzehnten ein glücklicher Zufall zu Hilfe gekommen wäre.

Dies ist nähmlich die Auffindung eines germanischen Seebootes aus dem dritten Jahrhundert n. Chr., welches uns nicht nur eine klare Vorstellung von dem maritimen Standpunkte unserer Vorfahren der damaligen Zeit giebt, sondern auch den Beweis liefert, wie letztere schon zweihundert Jahre vor dem Zuge der Angelsachsen ihre Fahrzeuge in einer verhältnismäßig so vollkommenen Weise herzustellen wußten, daß sie einen weit höheren Grad von Kultur voraussetzt, als wir jenen Völkerschaften in dieser frühen Zeit zuzuschreiben gewohnt sind.

Diese ebenso wichtige wie für die Kulturgeschichte hochinteressante Entdeckung wurde im Nydamer Moor, im Schleswigschen in der Nähe von Düppel gemacht, ist aber merkwürdigerweise weit weniger zur öffentlichen Kenntnis gelangt, als sie es verdient.

An der Ostküste Schleswigs finden sich, nur wenige tausend Schritte von ihr landeinwärts gelegen, bis nach Jütland hinauf und ebenso auf den Inseln Fühnen und Bornholm Torfmoore, welche in früheren Zeiten Einschnitte der Ostsee bildeten, aber seitdem entweder durch elementare Verhältnisse oder auch auf künstliche Weise vom Meere abgetrennt wurden, allmählich austrockneten und mit Torf vollwuchsen. Bei dem Moore von Nydam (Neudamm) ist letzteres historisch nachweisbar; bei ihm errichteten Menschenhände 1579 den benannten Damm.

In diesen Mooren, namentlich in denen von Nydam und Thorsberg, welches nördlich von Eckernförde in der Nähe des Dorfes Baarup liegt, sind seit 1859 zuerst zufällig, dann durch systematisches und von wissenschaftlicher Hand geleitetes Nachgraben eine große Menge höchst wertvoller antiker Funde gemacht, welche der frühesten Periode der Eisenzeit in dieser Gegend, d. h. der Zeit zwischen dem zweiten und vierten Jahrhundert v. Chr. angehören und höchst willkommene Aufschlüsse über den Kulturzustand der damaligen Anwohner geben.

Ob letztere noch zurückgebliebene Reste der hundert Jahre v. Chr. nach Gallien ausgewanderten Cimbern waren, ist unbestimmt, obwohl Strabo (B. VII) sie mit diesen Namen bezeichnet. Jedenfalls waren es jedoch deutsche Stämme, und die neueren Forscher fassen sie unter dem Namen Sachsen zusammen.

Der Landesteil, in dem das Thorsberger Moor liegt, heißt noch heute Angeln, und die Wohnsitze der Angeln und Sachsen, welche unter Hengist und Horsa nach Britannien zogen, hat man wohl unbedenklich hier zu suchen.

Die Thorsberger Funde wurden im Jahre 1860 gehoben und sind zum großen Teil in dänischem Besitz. Die aus dem Nydamer Moore, um welche es sich bei dieser Besprechung hauptsächlich handelt, sind dagegen zum größten und wichtigsten Teile dem archäologischen Museum in Kiel einverleibt.

Sie wurden in den Jahren 1862 und 1863 ausgegraben, waren für das Flensburger Museum bestimmt, konnten aber bei Ausbruch des Krieges 1864 nicht mehr nach Kopenhagen geschafft werden und fielen den Preußen in die Hände, um fortan in der Provinz zu verbleiben, der sie angehören.

Vorweg ist zu bemerken, daß die Moorfunde, welche vielfach aus Waffen bestehen, nicht etwa durch Zufall an die Orte gelangten, wo man sie ausgrub, sondern daß sie absichtlich in das damals die Moore bedeckende Wasser versenkt wurden, wie dies aus Lage, Anordnung und sonstiger Beschaffenheit der Stücke unzweifelhaft hervorgeht.

Die erste Entdeckung im Nydamer Moore war im Jahre 1859 der Fund eines abgebrochenen Bootsriemens. Es wurde jedoch nicht darauf geachtet, bis man beim Torfstechen in der Nähe das zweite dazu gehörige Stück fand. Dies erregte Aufmerksamkeit; man machte Anzeige bei der Behörde, und die dänische Regierung ordnete systematische Nachgrabungen an, die von außerordentlichem Erfolge gekrönt waren.

Anfang August stieß man auf die Überreste eines großen Bootes, vierzehn Tage später jedoch auf ein zweites verhältnismäßig sehr gut erhaltenes Boot aus Eichenholz, welches hier besonders in Betracht genommen werden soll.

Dies Boot lag in der Richtung von Nordwest nach Südost, d. h. wie das Moor selbst streicht, und war ebenfalls absichtlich versenkt, wie sich klar aus verschiedenen Löchern ergab, welche unter der Wasserlinie durch die Seitenplanken geschlagen waren.

Später im Herbst desselben Jahres fand man seitlich und parallel zu diesem noch ein drittes Boot aus Fichtenholz. Auch dieses war dank der erhaltenden Eigenschaft des Torfes so gut bewahrt, daß es am 27. Oktober 1863 in Gegenwart des dänischen Königs Friedrichs VII. bloßgelegt und später ausgehoben werden konnte.

Die Überbleibsel des ersten Bootes ergaben, daß dasselbe absichtlich zerstört war; trotzdem ließ sich aus ihm die Gleichheit der Bauart mit den beiden anderen Fahrzeugen, einige geringe Äußerlichkeiten ausgenommen, ersehen.

Leider ist das Fichtenboot verloren gegangen. Während das zweite, besterhaltene nach Flensburg geschafft wurde, um es dort unter Leitung des sachkundigen Herrn Stephensen aus Kopenhagen wieder herzustellen, ließ man das erstere bis zur Beendigung dieser Arbeit in der Nähe des Fundortes stehen, um es dann ebenfalls in Angriff zu nehmen, und bedeckte es solange mit Torf.

Das Eichenboot war gerade vollendet, als 1864 der Krieg ausbrach. Während der damit verbundenen Unruhen kümmerte sich niemand um die Reste des fichtenen. Sie wurden zerstört oder gestohlen, und die Wissenschaft hat damit einen großen Verlust zu beklagen.

Obwohl der Torf das Holz des Eichenbootes über 1600 Jahre lang merkwürdig gut erhalten hatte, war doch die ursprüngliche Form des Fahrzeuges nicht bewahrt worden. Die eisernen Nägel, welche meist die Planken zusammenhielten, wurden in der langen Zeit größtenteils vom Rost zerfressen, und jene hatten sich vielfach auseinander gegeben.

Ebenso war das Tauwerk verfault, welches die Rippen mit den Planken verband, und Vor- und Hintersteven, die beiden Endbegrenzungen des Bootes, hatten sich von letzterem abgelöst; aber da fast alle Stücke vorhanden waren, gelang es bald, die einstige Form wieder herzustellen. Letztere ist, vom nautisch-technischen Standpunkte aus betrachtet, eine außerordentlich vollkommene, so vollkommen, daß sie den seemännischen Beschauer auf das höchste überrascht und daß sie auch noch jetzt geradezu als Muster dienen kann.

Die Leichtigkeit der Konstruktion, das Verhältnis von Breite zu Länge, die feinen eleganten Linien, der in schön geschwungener Kurve vorn zum Bug und hinten zum Heck aufsteigende Kiel, sind ebensoviel Beweise für das hohe Verständnis, welches die alten Sachsen für den Bau von Fahrzeugen besaßen, um sowohl die Meeresfluten mit größter Schnelligkeit zu durchschneiden, als bei Sturm und Brandung den empörten Wogen die Spitze zu bieten und bei guter Leitung sich ohne Gefahr auf ihren schäumenden Kämmen zu wiegen.

Das Boot hat eine Länge von nahezu 24 m bei einer Breite von 3,41 m, was ein Verhältnis von 7:1 giebt, wie es jetzt bei unsern meisten Dampfern festgehalten wird. Während es flach im Boden ist, verschärft sich die Form desselben nach beiden Enden zu, die überhaupt ganz gleich gebaut sind, so daß das Boot mit derselben Leichtigkeit noch vorn wie nach hinten gerudert werden konnte. Die obere Fläche desselben bildet eine Kurve, wie wir sie ähnlich jetzt bei den als besonders gut seehaltend bekannten Walfischfängerbooten und den eisernen Rettungsbooten an unseren deutschen Küsten wiederfinden, mit welchen das Nydamer Boot auch in dem gleichgeformten Vorder- und Hinterteil übereinstimmt.

Eine Bodenplanke und fünf weitere Planken auf jeder Seite bilden den Rumpf, der innen durch Rippen, sowie durch Vor- und Hintersteven seine Festigkeit erhält. Die Planken sind aus bestem Holz gefertigt, und namentlich ist die Bodenplanke ein ausgesuchtes Stück von nicht weniger als 14,5 m Länge. Aus ihr ist auch gleichzeitig der Kiel herausgearbeitet der jedoch in der Mitte nur sehr wenig (2 cm bei 16 cm Breite) vorspringt, und nach vorn und hinten sich verjüngend, schließlich im Vor- und Hintersteven gänzlich verschwindet.

Dieser flache Kiel bei einem Boote von so großen Abmessungen läßt schon darauf schließen, daß letzteres nicht zum Segeln (wenigstens nicht bei Gegenwinden), sondern nur zum Rudern eingerichtet war.

Weiterhin spricht, wie schon oben dargelegt, das Verhältnis von Breite zu Länge für diesen Umstand, aber er findet auch außerdem seine volle Bestätigung in dem Mangel jeder Einrichtung im Innern, um einen Mast zu befestigen. Man kann daraus entnehmen, daß diese Fahrzeuge keine größeren, d. h. sich auf die Dauer von mehreren Tagen erstreckende Seetouren machten, sondern in Sicht der Küste blieben.

Der elegante und systematische Bau des Bootes verdient um so mehr Bewunderung, da seine Ausführung ganz bedeutend schwieriger sein mußte, als in der Jetztzeit. Wenn man auch annehmen kann, daß die zur Bearbeitung des Holzes notwendigen Äxte, Beile und Meißel vielfach schon aus Eisen bestanden, da die in und neben dem Boote gemachten Funde zeigen, daß man sich zu jener Zeit im Übergang zur Eisenzeit befand, so war dies Metall doch verhältnismäßig noch selten und kostbar. Man mußte sich darauf beschränken, es zum Befestigen der Seitenplanken unter sich zu benutzen, alle übrigen Verbindungen aber auf andere Weise herzustellen, und dies verursachte namentlich für damalige Zeiten außerordentliche technische Schwierigkeiten.

Gegenwärtig und überhaupt solange man über ausreichende Mengen von Metall gebietet, befestigt man die Außenplanken eines Fahrzeugs auf den Rippen durch Bolzen, die bei ungekupferten aus Eisen, bei solchen, deren Boden mit Kupferplatten beschlagen ist, aber aus Kupfer bestehen, weil sich sonst bei Berührung von Eisen mit Kupfer in Salzwasser sofort ein galvanischer Strom bildet, der das Eisen schnell zerstört.

Zu jener Zeit jedoch wurden die Rippen mit Basttauwerk oder Lederriemen an die Planken gebunden. Das Boot hat im ganzen neunzehn, in gleichmäßigen Abständen von einander angebrachte Rippen, die in ihrer Form fast sämtlich natürlich gewachsen sind, wie man ihrer bedurfte. Zu jeder Plankenbreite sind die Rippen zweimal durchbohrt, und diesen Bohrungen entsprechend, treten an jeder Planke zwei durchbohrte Vorsprünge oder Klampen heraus, durch welche das Verbindungstau gezogen wurde. Diese Klampen sind aber nicht besonders an den Planken befestigte Klötze, sondern aus dem vollen Holze der Planken herausgearbeitet.

Wenn man bedenkt, was für eine langsame und mühselige Arbeit es gewesen sein muß, die elf Planken in einer Gesamtlänge von 250 m aus 12 cm dicken Balken bis auf weniger als ein Dritteil ihrer Stärke mit unvollkommenen Werkzeugen zu verdünnen und die Klampen stehen zu lassen, so kann man nicht genug die Ausdauer und das Geschick der alten Sachsen bewundern.

Professor Engelhardt, zu dänischer Zeit Direktor des archäologischen Museums in Flensburg, spricht in seiner Abhandlung: » Denmark in the iron age, London 1866«, die Vermutung aus, die alten Germanen hätten diese merkwürdige Bauart eigens gewählt, um durch die lose Verbindung von Planken und Rippen dem Boote eine größere Elastizität in der Überwindung schwerer See und Brandung zu geben.

Vom seemännischen Standpunkte aus vermag ich jedoch dieser Auffassung nicht beizutreten. Ein Boot, wie das Nydamer, von 24 m Länge und ohne Verdeck, ist bereits durch seine Form so elastisch und weich, daß es viel eher einer Verstärkung des Verbandes, als einer Lockerung bedürfte, um einem Anprall der Wogen Widerstand zu leisten.

Hätten die Erbauer des Bootes das notwendige Eisen gehabt, so würden sie sich ganz bestimmt die so überaus mühselige und zeitraubende Arbeit erspart und wenigstens die Klampen angebolzt haben, anstatt sie aus dem vollen Holze der Planken herauszuzimmern. Für diese Annahme spricht auch der Umstand, daß unter den im Boot liegenden Waffen aus Knochen gefertigte Pfeil- und Lanzenspitzen gefunden sind. Bei genügend vorhandenem Metall würde man dieses gewiß vorgezogen haben.

Daß unter anderem auch damaszierte Schwerter mit dem Boote gefunden wurden, scheint nach meiner Ansicht nicht zu dem Schlusse zu berechtigen, daß viel Eisen vorhanden war, und ebensowenig, daß die alten Sachsen es in dieser kunstvollen Weise zu bearbeiten verstanden.

Offenbar wurden die Boote mit ihrem Inhalt nicht aus Not, auf der Flucht oder dergleichen, sondern aus Ursachen versenkt, die irgendwie mit dem religiösen Kultus der Besitzer zusammenhingen, sei es, um einer Gottheit ein Opfer zu bringen oder zur Totenfeier eines Häuptlings, wenngleich es schwer ist, darüber etwas Bestimmtes zu sagen.

Für diese Annahme spricht unstreitig die systematische Zerstörung und Unbrauchbarmachung aller in und bei dem Boote gefundenen Gegenstände, so wie die Anordnung der gleichartigen, wozu unbedingt Ruhe und Zeit erforderlich waren und die jede Überstürzung und Hast ausschlossen. So z. B. fand man eine Reihe Schilder übereinander, durch welche man eine Lanze gesteckt hatte, die dann senkrecht stehend, in den Boden getrieben war. Auch Skelette von Pferden wurden ausgegraben und selbst an ihren Schädeln zeigten sich die unverkennbaren Spuren von sechs bis acht Schwerthieben.

Wahrscheinlich ist deshalb der ganze Versenkungsakt als die Totenfeier eines Häuptlings zu betrachten, und daß man keine menschlichen Gebeine gefunden, spricht nicht gegen diese Annahme. Der Leichnam konnte verbrannt sein oder der Betreffende im Kampfe seinen Tod im Wasser gefunden haben. Dann war es bei einem seefahrenden Volke aber erklärlich, wenn sie die Gegenstände, welche sie sonst dem Toten mit ins Grab gaben, jetzt in das Wasser senkten, das sein Grab geworden.

Bei solchen Gelegenheiten wurden bekanntlich die dem Toten am liebsten gewesenen oder von ihm am höchsten geschätzten Gegenstände in die Gruft gelegt, und es läßt sich deshalb aus dem Funde der Damascener Klingen nicht schließen, daß diese Art allgemein gebraucht wurde. Zwei derselben haben übrigens römische Stempel, und dies führt zu der Annahme, daß sie nicht im Lande gefertigt, sondern entweder im Kampfe erobert oder auf dem Handelswege von den Römern, oder von Völkerschaften erworben wurden, die mit den Römern engere Beziehungen hatten.

Das Boot ist, wie es technisch heißt, klinker gebaut, d. h. die Planken fugen nicht, wie bei Schiffen jetzt allgemein gebräuchlich, glatt gegen-, sondern mit ihren Kanten übereinander und sind in Abständen von 14 cm durch starke eiserne Niete verbunden, außerdem aber ihre Fugen mit wollenen gewebten Stoffen und einer klebrigen pechartigen Masse wasserdicht gemacht.

Die beiden Steven dagegen sind mit der Bodenplanke durch einen Lasch verbunden, d. h. sie greifen mit Lappen so übereinander, daß ihre Flächen sich vergleichen. Bei solchem Lasch, wie derartige Verbindungen heißen, müssen aber Bolzen durch beide Teile geschlagen werden, weil dies den alleinigen Halt geben kann. Bei dem Nydamer Boot besteht diese Befestigung aus Holzpflöcken. Bei der Wichtigkeit dieses Verbandes würde man aber unbedingt Eisen genommen haben, wenn es vorhanden gewesen wäre, und dies bestätigt das Fehlen desselben.

Einen weiteren Beleg dafür finde ich in der Art der Befestigung der Ruderklampen auf dem oberen Bord (Dullbord), welche den Stützpunkt für die Riemen abgeben. Auch diese, wie die Rippen meistens aus gewachsenem Holz mit wenig Nachhilfe gefertigten Klampen, sind mit Basttauwerk am Dullbord befestigt und nicht, wie es so einfach gewesen wäre, darauf genagelt.

Engelhardt sucht diese Befestigungsweise dadurch zu erklären, daß er sagt, man habe sie gewählt, um die Ruderklampen schnell lösen und umgekehrt, d. h. mit der Öffnung nach dem vorderen Ende des Bootes weisend, wieder hinsetzen zu können, wenn man rückwärts rudern wollte.

Ich kann das nicht glauben. Bei der gleichen Form der beiden Enden des Fahrzeugs konnte man mit ihm allerdings rückwärts wie vorwärts rudern, aber war dies nötig? In See jedenfalls sehr selten, und wenn ein solches Manöver erforderlich war, so konnte es auf zweierlei Weise geschehen, die beide weit einfacher und viel weniger zeitraubend waren, als das Lösen, Umsetzen und Wiederfestbinden der Ruderklampen, das selbst bei sehr geübter Mannschaft immer fünf Minuten beansprucht haben würde.

Während dieser Zeit hätte das Boot seine Fahrt verloren, wäre ein Spiel des Windes und der Wellen und steuerlos geworden. Dem konnte man aber dadurch vorbeugen, daß man durch Rückwärtsrudern auf der einen und Vorwärtsschlagen auf der andern Seite einen Halbkreis beschrieb. Dazu war kaum eine Minute Zeit erforderlich, die Leute blieben an ihren Riemen, das Boot völlig in der Gewalt seines Befehlshabers, und es ist nicht gut denkbar, daß dies seit dem Gebrauch von Ruderbooten überhaupt allgemein bekannte Manöver nicht dem komplizierten Umsetzen der Ruderklampen vorgezogen sein sollte.

Im Kampfe, in engen Flüssen oder Wasserläufen, in welche diese langen, trotzdem aber flachgehenden Boote einzudringen vermochten, konnte dagegen ein plötzliches Rückwärtsrudern, um zu fliehen, oder einem von hinten anrückenden Feind die Spitze zu bieten, nötig werden, weil es an Raum fehlte. Aber auch in diesem Falle sind schwerlich die Ruderklampen umgesetzt. Letztere reichen in der Form, wie sie das Nydamer Boot ausweist, für den praktischen Gebrauch, namentlich bei bewegtem Wasser, nicht aus, auch selbst wenn nur vorwärts gerudert werden soll. Die Handhabung des Ruderns geschieht, indem der Ruderer zunächst den kürzeren, innerhalb des Bootes befindlichen Handgriff von sich so weit wie möglich zurückschiebt, wodurch der äußere längere Teil des letzteren (das Blatt) über Wasser nach der entgegengesetzten Seite bewegt wird. Dann taucht man das Blatt senkrecht in das Wasser und zieht mit aller Kraft den Handgriff gegen sich hin, wobei die Klampe als Stützpunkt dient.

Bei dem ersten Teile des Manövers, dem Zurückschieben, ist aber ebenfalls ein Stützpunkt nötig, der den nach vorn offenen Klampen des Nydamer Bootes fehlt, weil sonst der ganze Riemen auf dem oberen Bord ausgleitet. Wir geben dem Riemen diesen zweiten Stützpunkt, indem wir entweder quadratische, oben offene Löcher in die oberste Bordwand schneiden, oder die Metallklampe (Dulle) wählen, die auf beiden Seiten ein etwas nach innen gebogenes Horn hat, oder indem wir zwei senkrechte eiserne oder hölzerne Pflöcke in die obere Bordwand stecken, zwischen denen der Riemen liegt und dann sowohl beim Vorwärts- wie Rückwärtsrudern stets den nötigen Stützpunkt für seine Bewegungen findet.

So wenig aber wie die jetzigen Seeleute ohne den zweiten Stützpunkt gut rudern können, ebenso wenig vermochten es die damaligen, und wenn sie nur Ruderklampen mit einem Horn hatten, so mußten sie sich den zweiten Stützpunkt auf irgend eine andere Weise schaffen. Dies haben sie auch gethan, und zwar auf dieselbe Weise, wie es hier und dort, namentlich aber bei den norwegischen Fischerleuten noch heutzutage geschieht, deren Ruderklampen auch im übrigen dieselbe Form haben, wie die des Nydamer Bootes vor 1650 Jahren.

Es wurde nämlich ein Ring von Bast oder Ledertauwerk an der Ruderklampe befestigt, durch den man den Riemen steckte, und der den zweiten Stützpunkt abgab. Diese Tauringe sind im Nydamer Boot gefunden, und bei ihrem Vorhandensein war ein Umsetzen der Ruderklampen beim Rückwärtsrudern in keiner Beziehung notwendig.

Nur die Ruderer selbst hatten sich umzudrehen, die losen Ruderbänke zu verlegen, um die zur größten Kraftentwicklung notwendige Entfernung ihres Sitzes von den Ruderklampen herzustellen, und konnten dann das Boot mit voller Geschwindigkeit in der entgegengesetzten Richtung vorwärts treiben. Dies Manöver würde auch nicht eine halbe Minute bei geübter Mannschaft beansprucht haben, und aller Voraussetzung nach hat Tacitus bei der Beschreibung der Suionenboote dies im Auge gehabt.

Durch das Vorstehende ist wohl dargethan, daß nur Mangel an Eisen die Alten zwang, ihre Boote in der vorgefundenen Weise zu bauen, und bedürfte es noch eines Beweises, so geben ihn die Ruderklampen des fichtenen Bootes. Diese waren nämlich nicht aufgebunden, sondern aus der obersten Seitenplanke herausgearbeitet, also fest, und doch hat das Boot dieselbe Form gehabt, wie das Nydamer.

Die Zahl der Riemen bei letzterem betrug vierzehn auf jeder Seite, und ihre Form unterscheidet sich von der heute gebräuchlichen sehr wenig. Die aufgefundenen Riemen scheinen dem äußern Ansehen nach aus Fichtenholz zu bestehen, jedoch hat die mikroskopische Untersuchung keinen festen Anhalt darüber gegeben, und sie können ebenso gut aus Esche gefertigt worden sein.

Letzteres ist sogar das Wahrscheinlichere, da Fichtenholz viel weniger zähe und elastisch ist und bei Seegang leicht bricht. Gewiß werden aber die Leute, welche solche Boote zu bauen verstanden, auch genau die Eigenschaften der ihnen zugänglichen Holzarten geprüft und gekannt haben, und da in jener Gegend viel Eschenholz wächst, können ihnen die Vorzüge des letzteren vor jedem anderen Holze mit Bezug auf Bootsriemen kaum entgangen sein. Ein im Boote gefundenes und noch mit Rinde bekleidetes Stück Holz hat sich als Eibe ergeben.

Die losen Ruderbänke wurden mit einem passenden Ausschnitt über die oberen Enden je einer Rippe gelegt und ruhten außerdem auf den Kanten einer Außenplanke, während senkrecht untergelegte lose Stützen ihr Durchbiegen verhinderten.

Das Steuerruder wurde einige Schritte seitwärts vom Boote gefunden. Es hat eine ähnliche Form wie die Ruder der antiken griechischen Fahrzeuge und war nicht wie jetzt am Hintersteven im Haken schwingend, sondern an der rechten Seite hinten angebracht. Dort schwebte es an der oberen Bordwand in einem starken Tau oder Lederringe, in dem es sich drehen konnte.

Diese Steuereinrichtung hat sich bis in das dreizehnte Jahrhundert erhalten; erst dann trat die jetzige in ihre Stelle. Der seemännische Ausdruck »Steuerbord« für die rechte Seite des Schiffes (von hinten nach vorn gesehen) stammt von ihr, da sich das Steuerruder stets an dieser Seite befand.

Im August 1864 soll im Moor durch österreichisches Militär auch noch ein eiserner Anker von nahezu derselben Form, wie sie jetzt gebräuchlich, gefunden sein, der wahrscheinlich zu einem der drei Fahrzeuge gehörte, jedoch ist er verloren gegangen.

In den durch die Rippen gebildeten Abteilungen des Bootes lagen verschiedene Gegenstände, deren einstige Verwendung indessen teilweise unerklärt geblieben ist. Ein Haufen Steine von mäßiger Größe in den mittleren Abteilungen scheint als Ballast gedient zu haben. Auch zwei Reisbesen, ebenso gebunden wie heute, fanden sich dort vor. Ferner ein Häufchen hölzerner Schilde, sodann Pfeile und hölzerne Gefäße, ferner Schwerter, Äxte und bronzene Fibulae, aber alle nach ihren Arten gesondert.

Außerdem entdeckte man verstreut einige Glasperlen, Kämme aus Knochen, Messer, hölzerne Bogen, eine einzelne eiserne Lanzenspitze, sowie ein flaches Stück Holz, auf dessen einer Seite ein Vogel geschnitzt war, und das möglicherweise zur Verzierung des Bootes gedient hat. Endlich stieß man noch auf zwei eiserne Schildbuckel, die zuerst mit Silber und darüber mit Gold belegt waren, also wohl einer hohen Person gehört haben müssen.

Das fichtene, anfangs gut erhaltene, aber wie erwähnt durch unglückliche Umstände verloren gegangene Boot hat ungefähr dieselben Größenverhältnisse wie das eichene gehabt. Nach Engelhardts Messung betrug die Länge seiner Bodenplanke noch zwei Meter mehr als bei letzterem, endete jedoch vorn und hinten in außerhalb des Bootes vorspringende und je einen Meter lange scharfe Spitzen. Sie können offenbar nur den Zweck gehabt haben, als Sporne zum Niederrennen feindlicher Fahrzeuge zu dienen und waren wahrscheinlich mit Eisen oder Metall bekleidet, das sich jedoch nicht mehr darauf befand.

Diese Konstruktion ist um so interessanter, als wir in ihr, wie in der ganzen Form des Bootes, in den losen Ruderbänken und der Art der Handhabung der Riemen einen weiteren Beleg für die Richtigkeit von Tacitus' Beschreibung der Suionenboote finden, »vorn und hinten spitz, mit freiem Ruderwerk, stets fertig, um dem Gegner mit dem Sporn die Spitze zu bieten«. Wir dürfen deshalb annehmen, daß wir in dem Nydamer Boote zugleich den Typus der suionischen vor uns haben, der im Laufe der Zeit nur hier und da eine Verbesserung erfahren haben mag.

Ja, es liegt die größte Wahrscheinlichkeit vor, daß Tacitus unter den Suionen auch die Bewohner der cimbrischen Halbinsel verstanden und deren Fahrzeuge beschrieben hat. Strabo sagt (B VII), die Römer seien nie über die Elbe hinausgekommen, alles jenseitige Land sei ihnen unbekannt geblieben, und so war eine Verwechselung von Cimbern und Suionen leicht möglich. Jedenfalls standen aber diese Völkerschaften, nur durch schmale Gewässer getrennt, als Seefahrer in so enger Beziehung, daß auch ihr Seewesen die gleiche Stufe eingenommen haben wird.

Einige Rippen des Fichtenbootes fand man gebrochen und durch daraufgebundene Rundstäbe ausgebessert. Sämtliche Tauwerksreste bestanden aus Bast oder Leder. Die Verwendung von Hanf oder Flachs scheint demnach nicht bekannt gewesen zu sein, aus welchem Grunde auch nicht Hede oder Werg, sondern gewebter Wollenstoff zum Kalfatern der Nähte genommen wurde.

Wie im Eichenboote lagen auch in und neben dem fichtenen vielerlei Gegenstände: Bruchstücke von damaszierten Schwertern, Metallteile von Schwertscheiden, Lanzenschäfte, ein Pfeilköcher, verschiedene hölzerne Gefäße, gleichfalls sortiert, ein Bastkorb mit einem Fischnetze darin, ein Teil eines größeren Trinkwasserbehälters mit der rohen Zeichnung eines Tieres, sowie zwei hölzerne Gefäße zum Ausschöpfen des Wassers (Oesfässer) in fast derselben Form, wie sie heute noch an Bord üblich sind.

Wie bereits erwähnt, sind die Boote mit großer Sorgfalt gearbeitet und mit staunenswertem technischen Verständnis gebaut, das den Anforderungen der nordischen Gewässer volle Rechnung zu tragen wußte und die alten Sachsen in seemännischer Beziehung auf eine sehr hohe Stufe stellt. Daß sie römische Vorbilder nicht gebrauchen konnten, sondern für die Konstruktion nur auf die eigene Erfindungsgabe angewiesen waren, gereicht ihnen zu um so größerer Ehre.

Die Fahrt des Hengist und Horsa mit solchen Ciulen, die inzwischen noch manche Verbesserungen erfahren haben mochten, erscheint vom seemännischen Standpunkte auch keineswegs mehr gewagt. Die Fahrzeuge waren vollständig dieser Aufgabe gewachsen und brauchten keinen Sturm zu fürchten, um so mehr als die Angelsachsen auf ihrem Zuge nach England sich der Segel bedienten. Gildas ( De excidio Britanniae § 23) sagt von ihnen ausdrücklich » secundis velis« – mit Segeln versehen – und es ist deshalb wahrscheinlich, daß die Ciulen später im Verhältnis zu ihrer Länge breiter gebaut worden sind.

Wenn die beiden Nydamboote auch nur zum Rudern eingerichtet waren, so ist damit nicht ausgeschlossen, daß die alten Sachsen nicht auch schon damals Segelfahrzeuge gehabt und nicht auch schon das Lavieren gekannt hätten. Jene Fahrzeuge konnten als schnelle Rennboote gebaut, dagegen die Mehrzahl der übrigen mit Segeln versehen sein.

Wenn Claudian ( De laudibus Stilich. II 0.254), der im vierten Jahrhundert lebte, Britannia in seinem Gedichte sagen läßt: »Auch mit ungünstigem Winde ist der nahende Sachse zu fürchten«, so läßt sich dies ohne Zwang dahin deuten, daß die germanischen Seeräuber mit ihren Booten – man nennt im allgemeinen ungedeckte Fahrzeuge Boote im Gegensatz zu den gedeckten Schiffen – lavieren konnten.

Nach einigen Stellen der Edda scheint diese Kunst jedoch viele Jahrhunderte von ihren Erfindern geheim gehalten zu sein, und erst sehr spät wurde sie Gemeingut der anderen seefahrenden Völker.

Man sollte denken, daß bei einem verhältnismäßig so hohen Standpunkte des germanischen Seewesens in so früher Zeit dasselbe sich auch schnell weiter entwickelt haben müsse – dem ist nicht so, die Funde und Reliquien aus späteren Jahrhunderten beweisen dies; im Gegenteil war jenes rückläufig geworden. Hauptsächlich ist diese Erscheinung wohl auf die Einflüsse der zerstörenden Völkerwanderung zurückzuführen. Das Seewesen kam aber auch dadurch zum Stillstand, daß die am weitesten darin vorgeschrittenen Sachsen mit der Eroberung Britanniens, das ihnen eine so viel bessere Heimat gab, ihren piratischen Gelüsten entsagten, die Schiffahrt vernachlässigten und sich lediglich dem friedlichen Ackerbau zuwandten.

Erst Jahrhunderte später, als Dänen und Normannen in die Fußstapfen der Sachsen traten und die englischen Küsten mit Feuer und Schwert heimsuchten, erinnerten sich letztere unter ihrem Könige Alfred ihrer einstigen Kraft und Geschicklichkeit auf dem Meere. Der so lange schlummernde seemännische Geist regte sich mächtig aufs neue; sie bauten Flotten und schlugen damit Dänen und Normannen zurück, um fortan ihre Herrschaft zu behaupten und bis auf den heutigen Tag die Führung im Seewesen zu übernehmen.

Für die Ansicht, daß das nordische Seewesen sich in den nächsten sechshundert Jahren nach dem Nydamer Boote nur wenig vervollkommnet hat, besitzen wir durch einen weiteren glücklichen Zufall seit kurzer Zeit auch einen thatsächlichen Beweis.

Es ist dies die Auffindung eines alten Wikinger Bootes aus dem neunten Jahrhundert nach Christo, dessen gut erhaltene Bestandteile ebenfalls eine genaue Wiederherstellung gestatteten.

Dasselbe wurde im Sommer 1880 in der Nähe des norwegischen Seebades Sandefjord in einem Hünengrabe, das der Volksmund Königshügel getauft hatte, ausgegraben. Wie bei Nydam dem Torfe, dankte hier das Boot hauptsächlich der blauen Erde, in der es stand, seine Erhaltung, wenngleich seine ursprüngliche Form durch den tausendjährigen auf ihm lastenden schweren Druck gelitten hatte.

Auch sein Hinkommen an diesen Ort war kein Spiel des Zufalls, sondern Absicht. Ein Wikingerhäuptling hatte in ihm seine letzte Ruhestätte gefunden und war in ihm in einer eigens dazu erbauten Grabkammer mit schrägem Dach beigesetzt. Die in der Kammer zerstreut umherliegenden menschlichen Gebeine, sowie Reste von kostbaren Kleidungsstücken und Pferdegeschirr stellen diese Thatsache außer Zweifel. Daß die Gebeine zerstreut lagen und der Inhalt des Raumes außer jenen Resten wenig oder nichts enthielt, erklärt sich aus einer in sehr früher Zeit verübten Beraubung des Grabes.

Man fand, daß die eine Seite des Bootes durchbrochen war, und ebenso zeigten sich unverkennbare Spuren eines durch den Hügel bis zu jener Öffnung führenden Ganges. Immerhin sind die gebliebenen Reste kulturhistorisch von ungemein großem Interesse und verraten eine hohe Stufe des Kunstgewerbes.

Die Kleider bestehen aus feinem, reich mit Gold und Silber durchwirktem Tuche; das Pferdegeschirr wies einen kunstvollen Beschlag von Blei und vergoldeter Bronze auf. Wäre man in den Besitz des vollständigen ursprünglichen Inhalts der Grabkammer gelangt, so würde man wohl haben bestimmen können, ob die Sachen Ergebnisse eigener Gewerbsthätigkeit der Wikinger, oder durch die kühnen Seeräuber von anderen Nationen geraubt waren, was sich jetzt nicht feststellen läßt.

Der zweifellose Umstand, daß wir in dem Fahrzeuge einen Sarkophag vor uns haben, unterstützt die oben ausgesprochene Ansicht, daß auch das Nydamer Boot zur Totenfeier eines Häuptlings versenkt wurde, da es wahrscheinlich ist, daß zwei räumlich einander so nahe wohnende Stämme, selbst wenn sie nicht demselben Volke angehörten, doch denselben religiösen Kultus und dieselben Leichenfeierlichkeiten hatten.

Das Wikinger Boot ist wie das Nydamer von Eichenholz gebaut und hat auch dessen ungefähre Länge von 23 m, aber in der Breite findet sich ein bedeutender Unterschied. Sie beträgt 5 m, und dadurch stellt sich das Verhältnis zwischen beiden nicht wie bei jenem auf 7:1, sondern nur wie 4,6:1, und zeigt sich damit das Fahrzeug nicht lediglich als Ruder-, sondern als Segelboot, wofür auch der vorgefundene Maststumpf mit seiner sehr starken Befestigung im Boden den augenscheinlichen Beweis liefert.

Im übrigen zeigt es sowohl im Äußeren wie in der Bauart mit dem Nydamer Boote große Ähnlichkeit. Es ist vorn und hinten spitz, ohne Verdeck, ungefähr gleich hoch (1,5 m), nur erscheint es wegen seiner größeren Breite in seinen Linien nicht von so feinem eleganten Schnitt wie jenes.

Wie dort sind auch hier die Seitenplanken klinkerweise übereinander gefügt und durch eiserne Niete miteinander verbunden. Die zwanzig Rippen (gegen neunzehn des Nydamer Bootes) sind oben mit eisernen Bolzen an den Planken befestigt, unten aber wie bei jenem durch Tauwerk verbunden. Diese Verschiedenheit läßt sich ebenfalls nur durch Eisenmangel erklären, da sie technisch sonst unverständlich bleibt.

Neben der Segelkraft besaß das Fahrzeug auch Riemen, und zwar sechzehn auf jeder Seite. Diese wurden jedoch nicht wie im Nydamer Boote in Klampen bewegt, sondern fanden ihren Stützpunkt in runden, mit einem Schlitz versehenen Öffnungen, die man in die oberste Bordplanke hineingeschnitten hatte. Der Schlitz diente dazu, um die Riemen mit dem Blatt von innen durchstecken und sie ebenso wieder in das Boot ziehen zu können. Wenn letzteres geschehen war, ließen sich die Öffnungen durch einen Schieber schließen, um das Eindringen des Wassers abzuhalten.

Eine ähnliche Einrichtung finden wir bei den mehrreihigen Ruderschiffen der alten Griechen und Römer. Auch hier waren runde Löcher durch die Bordwand geschnitten und außen mit Lederschläuchen umnagelt. Die Riemen füllten beim Rudern diese Schläuche aus. Nahm man sie ein, so hingen die Schläuche an der Schiffsseite herab, so daß weder beim Rudern noch beim Segeln Wasser durchgelassen wurde.

Die Wikinger Riemen haben eine Länge von 6 m, sind jedoch in der Form des Blattes von der altsächsischen verschieden. Bei dieser hatte das Blatt, wie auch jetzt, ungefähr die doppelte Breite des übrigen Teiles und zwar gradlinig, bei jenem war es kürzer, aber dafür breiter in Lanzettenform, wie sie auf den ältesten phönizischen Fahrzeugen üblich war.

Dagegen ist das Steuerruder von der früheren Lanzettenform in die mehr gradlinige und wirksamere übergegangen, wie wir sie heute besitzen. Wie bei dem Nydamer Boote war es hinten an der rechten Seite angebracht.

Längs der ganzen oberen Bordwand, die mit dem Teile, welchen man jetzt die Verschanzung nennen würde, unter einem Winkel nach innen fiel, lagen die Schilde der Besatzung. Diese wurden zu jener Zeit, wie aus alten Zeichnungen, namentlich der Bayeux Gobelins hervorgeht, während der Fahrt stets an dieser Stelle untergebracht, obwohl es noch nicht ganz klar ist, wie man sie dort befestigte. Jedenfalls erfüllte diese Einrichtung aber ihren Zweck. Die Schilde waren aus dem Wege und gleichzeitig zur Hand, während sie andrerseits die Bordwand erhöhten und das Spritzwasser abhielten.

Als etwas Interessantes hat sich bei diesem Funde auch ergeben, woher unsere jetzige Bezeichnung »Fisch« stammt, die wir für die Verstärkung der Verdecke gebrauchen, dort wo die Masten sie durchschneiden. Bei uns ist dies eine dicke Eichenplanke, auf dem Boden des Wikinger Schiffes befindet sich dagegen ein starker Block, der als Mastfuß diente und wie ein Fisch geformt ist.

Unter den Bruchstücken eines andern alten, vor längerer Zeit im norwegischen Kirchspiel Tune entdeckten Bootes fand man dieselbe Form der Mastspur, so daß sie damals allgemein üblich gewesen sein muß. Diese Fische waren so eingerichtet, daß sich der Mast in ihnen aufrichten und niederlegen ließ.

Über dem großen Fahrzeuge stieß man auch auf Reste von zwei oder drei kleineren Booten, bei denen sich ganz gleich geformte Ruderklampen zeigten, wie beim Nydamer Boote. Nur wurden sie nicht wie dort angebunden, sondern auf die oberste Bordwand genagelt, ob mit Eisen- oder Holznägeln, ist indessen nicht mehr ersichtlich.

Aus der vorstehenden Vergleichung der beiden Boote ergiebt sich, daß die Fortschritte im nordischen Seewesen während eines Zeitraumes von sechshundert Jahren nur sehr geringe gewesen sind. Auch die nächsten Jahrhunderte weisen wenige Verbesserungen auf, wie die aus 1066-1070 stammenden erwähnten Gobelins darthun. Wenn man auch von der Stickerei einer Fürstin nicht die genaue Wiedergabe technischer Details erwarten darf, kann man die allgemeine Richtigkeit der Formen nicht anzweifeln. Danach unterscheiden sich aber die Normannenschiffe wenig von den Wikingern. Wie diese wurden sie noch durch Ruder und Segel fortbewegt, hatten nur einen Mast und ein viereckiges Segel; das Steuerruder war noch an der Seite angebracht, die Schilde lagen auf der obersten Bordwand, die Abmessungen des Rumpfes stimmen ungefähr überein, wie man aus der Zahl der Riemen abnehmen kann und auch aus der Angabe der normannischen Dichter Roman de Rou und Wace hervorgeht. Sie hatten einen flachen Boden und geringen Tiefgang, denn Wace sagt, daß Wilhelm der Eroberer, um seinem Heere die Möglichkeit der Flucht abzuschneiden, den Seeleuten befohlen habe, die Schiffe zu vernichten, sie auf das Land zu ziehen und Löcher in den Boden zu hauen. Nur scheinen die Normannen-Fahrzeuge nach den Gobelins im Vorder- und Hinterteil voller gebaut, als die Wikinger, und damit ist der Übergang zu der zweckmäßigen Form der Segelschiffe angebahnt.

Die Edda nennt die Wikinger Schiffe »Drakar«, auch »Snakkar«, Drachen- oder Schlangenschiffe. Diese Bezeichnungen erhielten sie von den geschnitzten Drachen- oder Schlangenköpfen, mit denen man die als Voluten gebogenen und sich sehr hoch erhebenden Vor- und Hintersteven verzierte, oder ihnen vielmehr ein erschreckendes Aussehen zu geben suchte. Auch von diesen Verzierungen wurden verschiedene gefunden, welche in der Behandlung des Holzes künstlerischen Stil und kraftvolles Leben verraten. Da diese Schnitzereien bestimmt Ergebnisse heimischen Gewerbes waren, ist es möglich, daß auch die in der Grabkammer gefundenen Reste im Lande selbst gefertigt worden sind. Der aufgefundene Drachenkopf ist übrigens zu klein, um zu dem großen Boote gepaßt zu haben. Wahrscheinlich hat er zu einem der kleineren gehört, und ist der hochaufragende und über die Schicht blauer Thonerde hinausreichende Stevenzierat des größeren verfault.

An sonstigen Gegenständen war die Ausbeute im Wikingerschiff verhältnismäßig gering. Sie beschränkt sich hauptsächlich auf einen großen kupfernen Kessel und einen großen hölzernen Trinkwasserbehälter, in dem man ein kleines hölzernes Trinkgefäß und ein geschnitztes hölzernes Beil fand, welches möglicherweise ein Kinderspielzeug gewesen ist, sowie schließlich geschnitzte Zieraten, die an den beiden Enden der Boote angebracht waren und neben denselben lagen.

Zu den beschriebenen beiden Fahrzeugen aus alter Zeit ist im Jahre 1895 noch der Fund eines dritten Bootes getreten, das in Westpreußen bei dem Dorfe Baumgart in der Nähe von Christburg, 10 km von der südlichen Spitze des Drausensees und 26 km von der Küste des Frischen Haffs entfernt, ausgegraben wurde.

Es ist zwar kleiner als das Nydamer Boot und das Wikinger Schiff und fand sich nur in Bruchstücken vor, die teilweise auf einem größeren Flächenraum zerstreut lagen, aber immerhin ist es möglich gewesen, dasselbe so zu rekonstruieren, daß man seine Größenverhältnisse, seine Form und Bauart feststellen und das wiederaufgebaute Boot dem Provinzial-Museum in Danzig überweisen konnte.

Die Länge desselben zwischen den Steven gemessen beträgt 11,9 m, seine größte Breite 2,52 m und seine Höhe 0,95 m. Es besitzt 10 Spanten, die aus gewachsenem Holze gearbeitet und an ihren Außenkanten gezahnt sind, um in die Plankengänge zu passen, und sie sind nach Aufbau der letzteren zwischen diese eingesetzt, wie es im Norden noch heutigen Tages geschieht.

Die Planken sind klinkerweise d. h. überlappend wie bei dem Nydam-Boote zusammengefügt und ebenso wie bei jenem durch eiserne Niete unter sich und auch mit dem Kiel verbunden, aber an den Spanten mit Holznägeln befestigt, statt wie bei dem Nydam-Boote und dem Wikinger Schiffe an ausgesparten Klampen der Plankengänge mit Tauen angebunden zu sein.

Das Boot hat einen Kiel in einer Länge von 9 m, und es ist daraus zu entnehmen, daß es nicht für Binnengewässer, sondern für Seefahrten bestimmt war. Dafür spricht auch, daß es Mast und Segel hatte, was sowohl aus der runden Öffnung in der aufgefundenen Segelducht, wie auch aus der viereckigen Mastspur im Mittel-Spant deutlich hervorgeht. Dagegen fehlten alle Vorrichtungen zum Rudern, obwohl es wahrscheinlich ist, daß solche vorhanden gewesen sind. Auch das Verhältnis von Breite zu Länge, 1:4,7, spricht für das Segeln, da es für Kreuzen das günstigste ist.

Sämtliche Holzteile bestehen aus Eichenholz, das sich in der Moorerde, in der man sie fand, gut erhalten hat. Die Seitenplanken reichen nicht über die ganze Länge des Bootes. Wo sie stumpf aufeinander stoßen, sind sie mit tierischen Haaren, die man zu Strähnen geflochten, abgedichtet. Nähere Untersuchung dieses Materials hat ergeben, daß es vom Bison stammt.

Wie das Nydamer- so ist auch das Baumgart-Boot an beiden Enden scharf mit ausfallendem Steven gebaut und hat mit jenem in seiner äußeren Form eine geradezu überraschende Ähnlichkeit, ebenso wie seine technische Ausführung auf hohes Geschick seiner Erbauer schließen läßt.

Leider sind bei dem Boote keinerlei charakteristische Gegenstände gefunden worden, welche zur Bestimmung seines Alters dienen könnten, wenn dasselbe auch entschieden vor das zehnte Jahrhundert nach Christo gesetzt werden muß. Das Abdichten mit Kuhhaaren läßt den Schluß zu, daß der Hanf damals noch nicht bekannt war. Karl der Große empfahl 812 den Anbau von Hanf, und scheint dieser bis dahin nicht kultiviert gewesen zu sein.

Am nächsten kommt man aber wohl dem Alter, wenn man den Fundort in Betracht zieht. Der Drausensee hat in früheren Zeiten eine viel größere Ausdehnung gehabt und im Zusammenhang mit dem Frischen Haff gestanden, aber sich im Laufe der Jahrhunderte, wie dies aus alten Karten hervorgeht, stets verkleinert, was er auch jetzt noch thut. In der Ritterzeit hat die Wasserverbindung nicht mehr bestanden, und im vierzehnten Jahrhundert waren schon alle heutigen Ortschaften in der Umgegend des Drausen vorhanden.

Es muß aber Jahrhunderte gedauert haben, bis das Südende desselben 10 km weit und mehr verlanden konnte, und so darf man mit hoher Wahrscheinlichkeit den Zeitpunkt, wo das Baumgart-Boot im Drausen strandete (dies geht aus verschiedenen Bruchteilen des Kiels hervor), zwischen die Jahre 7-900 n. Chr. setzen. Die geringe Anwendung von Eisen, die sich nur auf Nieten beschränkt, unterstützt diese Annahme.

Ebenso ist kaum zu bezweifeln, daß das Boot nicht aus Preußen, sondern entweder aus dem Norden, oder aus dem Westen stammt, für welche letztere Mutmaßung die auffallende Ähnlichkeit mit dem Nydamer Boote spricht.

Zu Ende des neunten Jahrhunderts machte der Seefahrer Wulfstan eine Reise unter Segel von Schleswig nach Truso (das heutige Elbing). König Alfred von England erwähnt dessen Reisebericht in der angelsächsischen Übersetzung der Weltgeschichte von Orosius, aber in dem Berichte findet sich keinerlei Andeutung, daß die Bewohner von Truso selbst Seehandel getrieben oder Schiffe gebaut haben.

Immerhin bilden die drei Funde aber wesentliche Ergänzungen für unsere Kenntnis der Kulturgeschichte germanischer Vorzeit und klären uns besonders über den Standpunkt des damaligen Seewesens auf, von dem wir uns bis dahin nur dunkle Vorstellungen zu geben vermochten. Namentlich wetteifert das Nydamer Boot in seinen schönen, feinen und zweckmäßigen Formen mit den besten Modellen der Neuzeit und giebt einen glänzenden Beweis für die Tüchtigkeit des germanischen Geistes auch in nautischen Dingen, der von Angelsachsen und Normannen auf England übertragen, sich dort weiter entfaltet und im Verein mit der wagenden Kühnheit der alten Seekönige der neuen Heimat ihre hohe Weltstellung und bis jetzt auch die unbestrittene Herrschaft auf dem Meere verschafft hat, während seit einigen Jahrzehnten sich dieser Geist auch wieder in Deutschland mächtig zu regen beginnt und auf dem besten Wege ist, sich den ihm gebührenden Anteil an der Meeresherrschaft zu erobern.

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Druck von Greßner & Schramm, Leipzig.

 


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