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Eine sehr merkwürdige Geschichte.

In den letzten vierzig Jahren hat sich hauptsächlich durch die Einführung des Dampfes in der Schiffahrt eine große Wandlung vollzogen, nicht allein in dem Material, sondern auch im Personal. Die alten braven Seeleute, welche auf den langen Reisen der Segelschiffe herangebildet wurden und dort lernten, in den Kämpfen mit Sturm und See, sich auf eigene Kraft und fachmännisches Geschick zu verlassen, um die Elemente zu besiegen, deren Geist und Körper dadurch gestählt wurden, die sich auch unter den schwierigsten Verhältnissen mit den einfachsten Mitteln zu helfen wußten, sind an Zahl immer geringer geworden, je weiter das moderne Dampfschiff das alte Segelschiff verdrängt. Letzteres mußte unter allen Umständen mit dem Winde rechnen und seine Kräfte mit ihm messen; ersteres ist vollständig unabhängig von ihm, und der Motor Dampf treibt es stets auf geradem Kurse durch die erregten Wogen, ohne daß seine seemännische Besatzung eine Hand zu rühren braucht, da die früheren Masten und Segel fehlen. Dadurch hat sich auch der Charakter der Dampfermannschaften völlig geändert. Sie bedürfen gar nicht der langjährigen seemännischen Erziehung und Erfahrung wie früher, weil sie nicht oder nur in geringem Maße zur Anwendung kommt; der größte Teil braucht allein tüchtige Fäuste zu haben, um arbeiten zu können. Wenn er nur so viel Seebeine hat, daß er sich auf dem schwankenden Schiffsboden einigermaßen bewegen kann, dann genügt das. Die so sehr abgekürzten Reisen und der häufige Wechsel des Personals lassen auch nicht ein so enges Band knüpfen, wie es früher auf den oft jahrelangen Reisen Mann und Schiff aneinander fesselte, und die harmlose, ich möchte sagen kindliche Anschauungsweise, die der Seemann alten Schlages sich bewahrte, weil er Jahre lang dem Hasten und Treiben der Außenwelt und ihren Einflüssen entrückt war, schwindet immer mehr. Es ist das sehr schade, denn die Schiffahrt hat dadurch wertvolle und gute Elemente eingebüßt. Ich habe sie genau kennen gelernt und weiß sie zu schätzen. Bevor Deutschland eine Marine hatte, habe ich sieben Jahre unter und mit ihnen gelebt, sie als tüchtige Männer gefunden, auf die unser Vaterland stolz sein konnte. Noch gegenwärtig halte ich die deutschen Seeleute im allgemeinen für die besten der Welt, und sie beweisen das sowohl in der Kriegs- wie Handelsmarine fast täglich, aber vor vier bis fünf Jahrzehnten war der größte Teil noch besser, wenn auch ihr fachmännisches Herabsteigen nicht ihre Schuld, sondern in den veränderten Verhältnissen der Schiffahrt begründet ist.

Im Jahre 1852 erwarb Preußen von der ehemaligen schmählich unter den Hammer gekommenen deutschen Flotte die 1849 in der Bucht von Eckernförde eroberte dänische Fregatte »Gefion«. Sie wurde bald darauf nebst zwei andern kleinen Kriegsschiffen, der »Amazone« und dem »Merkur« auf zwei Jahre ausgeschickt, um die junge preußische Kriegsflagge in fremden Weltteilen zu zeigen. Sie hatte eine Mannschaft von fünfhundert Köpfen, die sämtlich jener alten tüchtigen Sorte angehörten, von der ich gesprochen.

Ich war damals Flagglieutenant des Kommodore Schröder auf der »Gefion«, ging als solcher keine Wache mit und hatte auch sonst als Adjutant bedeutend weniger Dienst, als die übrigen Offiziere. Ich benutzte dies, soweit es meine Stellung gestattete, mich diesen braven Leuten zu nähern, unterhielt mich oft mit ihnen und suchte dabei, wie ich das schon früher gethan, ihren Charakter zu studieren, für den ich mich von jeher interessiert habe.

An Bord größerer Kriegsschiffe giebt es immer einen oder mehrere Leute, die Talent zum Erzählen haben und deswegen sehr wohlgelitten bei der Mannschaft sind, weil der Matrose nichts mehr liebt, als solche Garne, mögen sie auch noch so zäh sein, und es auf den Abend- und Nachtwachen namentlich bei schönem Wetter, wo es nichts zu thun giebt keinen aufmerksameren Zuhörer giebt als ihn.

Auch wir hatten einen solchen Erzähler, der eine äußerst fruchtbare Phantasie besaß, um die er wirklich zu beneiden war, und an gar manchem schönen Tropenabend stand sein Mund nicht still, um die Kameraden, die ihm gläubig lauschten und in ihrer einfachen Denkweise fast nie Zweifel laut werden ließen, mit den merkwürdigsten Erlebnissen zu unterhalten. Er war ein befahrener Mann, der viele Jahre alle Meere durchfurcht hatte, bevor er Sehnsucht nach der Heimat bekam und dann in die Marine getreten war.

»Die zur See fahren, schauen viele Wunder,« sagt der Psalmist, und ich mutmaße, daß er bei diesem Ausspruche Jan Kräft, so hieß unser Erzähler auf der »Gefion«, im Auge gehabt hat, denn seine Geschichten übertrafen eine die andere immer an Wundern.

Ich pflegte an schönen Passatabenden mittschiffs an der Leeverschanzung zu stehen und meine Zigarre zu rauchen, was zur Zeit der alten Holzschiffe aus Besorgnis vor Feuersgefahr nur dort erlaubt war, und befand mich dann im Hörbereich Jan Kräfts, wenn er mit seinen Kameraden auf den Reservespieren im Lee der auf Deck stehenden Barkasse saß und ihnen eines seiner Garne spann. Da habe ich manches von seltsamen Erlebnissen vernommen, es am andern Tage meinen Seegeschichten einverleibt und mehrere davon meinen Lesern wieder erzählt. Auch die nachfolgende ist eine derselben.

»Ist einer von Euch schon 'mal um Kap Horn gewesen?« fragte Jan seine Zuhörer. Er wählte gern sehr entfernte Gegenden als Schauplatz seiner Erlebnisse.

»Nein,« war die einstimmige Antwort.

»Nun, dann freut Euch,« sagte er. »Ihr meintet, als wir auf der Ausreise den schweren Sturm vor dem englischen Kanal hatten, der unsere alte »Gefion« kieloberst zu kehren Lust hatte, so was von Wind hätte keiner von Euch je erlebt. Na, ich sage Euch, Maate, das war ja nur eine flaue Brise gegen die Stürme, die ich bei Kap Horn gehabt, und das noch dazu auf einer Nußschale von Brigg, kaum ein Viertel so groß, wie unser Schiff. Da konnte man nicht den Mund gegen den Wind aufmachen, sonst wären einem alle Zähne platt nach hinten geweht, und daß dabei der Mond nicht von seiner Verankerung losgerissen ist, wundert mich noch heute. Natürlich konnten wir keinen Lappen Segel führen, sie flogen wie Papierschnitzel weg, und die grünen Seen dampften nur immer so über die Brigg fort, daß oft nichts von ihr zu sehen und wir mehr unter als über Wasser waren. Drei Tage dauerte die Geschichte, und mit dem Nordwestwinde trieben wir nach Süden, immer mehr in die Eisgegend hinein, daß einem vor Frost die Seele im Leibe klapperte, und wenn nicht der Kapitän uns mit gutem Jamaika-Rum unter die Arme gegriffen hätte, wären wir bald so steif gewesen, wie eine Bramstenge.

Nun, Ihr wißt ja, wie wir Seeleute bei solchen Verhältnissen denken. In Ewigkeit kann es so nicht bleiben, und es kommt auch einmal wieder anders. Das that es denn auch, aber freilich ganz anders und so, wie es keiner von uns gedacht.

Am dritten Nachmittage, wo wir so gottvergessen herumtrieben, fiel der Schnee dick vom Himmel herunter, daß wir kaum fünfzig Schritt weit sehen konnten. Wir lagen wie bisher vor Top und Takel bei, auf Deck war nichts zu thun, und der Kapitän ließ uns alle zehn Mann in seine Kajüte kommen, damit wir bei einem Glase Rum ein bißchen auftauten. Wir hätten natürlich viel lieber heißen Grog getrunken, aber bei dem Wetter konnte in der Kambüse kein Feuer angemacht werden; die überkommenden Seen hatten ihre Thür weggeschlagen und spülten immer glatt durch sie hin. Nun es mußte auch so gehen; wir sprachen auch ganz gemütlich mit einander und freuten uns, daß unsere kleine Brigg sich trotz der schweren See so gut hielt und bis jetzt dicht geblieben war, als wir plötzlich durch einen Schrei aufgeschreckt wurden, den offenbar der einzige Mann an Deck, der Mann am Ruder, ausgestoßen hatte, und wir die Treppe hinauf stürzten.

»Was ist los?« rief der Kapitän ihm zu, »warum schreist du so entsetzlich, als ob ein Hai dich beim Kragen hätte?«

»Da, da!« rief der Mann mit kreidebleichem Gesicht und zeigte voraus nach Lee. Wir folgten mit den Augen, entsetzten uns aber sehr bald nicht weniger als er selbst. Keine hundert Schritt entfernt schimmerte eine weiße Wand, höher als unsere Masten, durch die dicke Schneeluft zu uns herüber. Es war ein gewaltiger Eisberg, an dem mit donnerndem Krachen die Brandung emporschlug und auf den wir sichtlich zutrieben. Uns stockte der Atem; in zehn Minuten waren wir verloren, wenn es nicht gelang, das Schiff über den anderen Bug zu bringen.

»Jungens,« sagte jetzt unser Kapitän, »wir müssen sofort halsen. Jan,« wandte er sich zu mir, »das Stagsegel los, und wir andern voraus nach Lee an Fall und Schoot, aber schnell, unser aller Leben hängt davon ab, daß wir die Brigg zum Abfallen bringen; vorher braßt die Hinterrahen vierkant!«

Ich flog mehr, als ich lief nach vorn auf das Bugspriet, um das Stagsegel zu lösen, während die andern schnell die Großbrassen herumholten. Um die Zeisinge abzuwickeln, nahm ich mir keine Zeit, ich schnitt sie mit dem Messer durch; nach einer Minute flog das Segel in die Höhe, und ich lief innenbords. Noch aber war ich nicht auf Deck angelangt, da kam luvwärts eine furchtbare See über, die mich mit fortriß und mich nach hinten schwemmte, bis ich vor der Ruderpinne aufdrehte und mit krampfhaftem Griff sie packte. Daß mir dabei die Arme nicht ausrissen, war wirklich ein Wunder. Zugleich sah ich aber, wie dieselbe Sturzsee dem Mann am Ruder die Beine unter dem Leibe fortschlug; ein Schrei, und er war hinten über die niedrige Verschanzung über Bord gespült.

Das Schiff fiel etwas ab, aber zu spät, im nächsten Augenblicke stieß das Bugspriet gegen den Eisberg, brach dicht vor dem Schiffe ab, dann hörte ich einen furchtbaren Krach, wußte aber nicht, was es war, denn gleichzeitig erhielt ich einen Schlag gegen den Kopf, der mich besinnungslos machte.

Als ich wieder zu mir kam, war es ganz dunkel; ich mußte also längere Zeit so gelegen haben und in der Zeit keine neue See übergekommen sein, denn sonst wäre ich wohl ertrunken. Eine dicke Beule am Kopf sagte mir, daß ich von irgend einem herabfallenden Gegenstand getroffen war. Merkwürdigerweise hatte aber der Sturm in der Zeit ganz nachgelassen, und auch die See war etwas heruntergegangen, so daß die Brigg nicht mehr so schwer hin und her geworfen wurde und kein Wasser übernahm. Von dem Eisberg war nichts mehr zu sehen, so sehr ich auch meine Augen anstrengte; wahrscheinlich war durch den Stoß des Bugspriets gegen denselben das Schiff seitwärts geschoben, von selbst über den anderen Bug gegangen und dadurch frei von ihm gekommen.

Aber sehr bald sollte ich andere und schlimmere Entdeckungen machen. Der gewaltige Krach, den ich gehört, erklärte sich jetzt; beide Masten waren nahe über Deck abgebrochen, der Fockmast trieb vorn außenbords, bildete mit seinen Rahen und seiner Takelage einen Treibanker, der den Kopf des Schiffes auf der See hielt und es vor abermaligen Sturzseen bewahrte, während der Großmast mit seinem ganzen Geschirr auf dem Deck lag und das mittschiffs stehende Großboot zerschmettert hatte.

Aber das war noch nicht das Schlimmste. Vergebens sah ich mich nach meinen Kameraden um, ich suchte, rief nach ihnen, keiner war zu entdecken. Sie waren sämtlich, auch Kapitän und Steuermann, vorn in Lee bei dem Stagsegel Fall und Schoot beschäftigt gewesen, als die schwere See überkam, die mich mitnahm. Das Schiff hatte so schief gelegen, daß die Verschanzung beinahe im Wasser pflügte, und so waren sie sämtlich über Bord gegangen, anders ließ sich die Sache gar nicht erklären.

Nun, Ihr könnt Euch denken, wie mir zu Mute war. Ich habe es ja immer mit dem seemännischen Sprichwort gehalten, »so lange das Wasser nicht bis über die Nase geht, ist noch nichts verloren«. Es war mir zwar über die Nase gegangen, doch konnte ich jetzt wieder Atem holen, indessen allein auf einem vollständigen Wrack zu bleiben, hier in dieser vermaledeiten Gegend von Eis und Schnee, das ging doch über den Spaß, und es gehörte ein guter Kehrdichannichts dazu, um dabei ruhig zu bleiben.

Die Liebe zum Leben gewann aber doch die Oberhand, und meine nächste Sorge war, mich nach trockenen Kleidern umzusehen, denn ich war naß wie eine Katze und konnte mich vor Kälte kaum bewegen.

Vorn in unserm Logis war alles versäuft von den überkommenden Seen, ich suchte deshalb nach trockenen Kleidern in der Kajüte des Kapitäns. Jeder ist sich selbst der nächste, und der arme Kerl da unten in Gottes Keller brauchte sie ja doch nicht mehr.

Bald fand ich sie, und nun kam etwas Wärme in die erstarrten Glieder, die ganz auftauten, als ich jetzt auch wieder Feuer in der Kambüse anzünden und mir heißes Wasser zu einem steifen Grog machen konnte. Ich fühlte mich dabei ganz mollig, indessen kamen mir doch bald wieder Gedanken, die nicht so waren. Der Sturm hatte sich inzwischen noch weiter gelegt; es wehte kaum mehr eine mäßige Brise, der Schnee hatte aufgehört, und der Himmel war ganz klar geworden, so daß ich für die Nacht und den nächsten Tag auf gutes Wetter hoffen durfte.

Ich hatte eben in der Kajüte meinen Grog getrunken, ein ganz nettes Abendbrot aus den Vorräten des Kapitäns zu mir genommen, wie ich es lange nicht gesehen, und dachte gerade daran, in der warmen Koje einmal recht auszuschlafen, da wir in den letzten drei Tagen herzlich wenig davon gehabt hatten, da höre ich unter meinen Füßen plötzlich ein verdächtiges Geräusch, ein Glucksen, das mich schnell auf die Füße brachte. Na, das war eine schöne Bescherung, Wasser, das im Raume hin und her schwalkte. Also auch das noch, ein leckes Schiff, das mir vielleicht in wenigen Stunden unter den Füßen wegsackte. Mein nächstes war, die Pumpen zu peilen – drei Fuß Wasser!

Doch halt! unsereiner verliert nicht gleich den Kopf. Das Wasser konnte ja möglicherweise mit den Sturzseen durch die weggeschlagene Logiskappe in das Schiff gekommen sein; das mußte erst festgestellt werden. Ich peilte daher noch einmal sehr sorgsam die Pumpe – genau 3 Fuß. Hm! dachte ich, für alle Fälle willst du dir noch einmal eine Pfeife anstecken, das hast Du lange nicht gehabt, und wenn es auch die letzte sein sollte. Der Kapitän führte einen guten Tabak und sie schmeckte mir ausgezeichnet. Dabei verging eine halbe Stunde; dann peilte ich wieder sehr genau – 3 Fuß einen halben Zoll! Also doch leck, freilich nicht gar zu viel.

In der Nacht war vom Sinken noch keine Rede. Sechs Fuß Wasser konnte die Brigg wenigstens tragen, und ich hatte also noch 36 Stunden Zeit. Nur nicht verzweifeln, sagte ich mir, du bist bisher so wunderbar gerettet, daß der liebe Gott gewiß etwas Besonderes mit dir vorhat und schon weiter für dich sorgen wird. Nun, daß ich mich darin nicht irrte, seht Ihr, denn sonst säße ich nicht hier gesund unter Euch, aber allerdings war es etwas ganz Besonderes, daß ich aus meiner verzweifelten Lage mit einem blauen Auge davonkam.

Ich legte mich also ruhig zur Koje und schlief unter den warmen Decken auch sehr bald ein. Als ich erwachte, war es heller Tag und nach der Kajütsuhr hatte ich volle 16 Stunden geschlafen. Es war ein Glück, daß ich nun guten Vorrat hatte, denn in den nächsten drei Tagen gab es nichts davon.

Wie ich gehofft, war es gutes Wetter geworden; die Sonne schien klar vom wolkenlosen Himmel herab, es wehte eine ganz flaue östliche Brise, und die See war ruhig. Als ich mich aber an Deck etwas umgesehen, da machte ich die Entdeckung, daß die Brigg sehr tief im Wasser lag. Schnell peilte ich wieder die Pumpen, aber zu meinem Schrecken sah ich, daß nicht 4½ Fuß, wie ich gerechnet, sondern schon über sechs Fuß Wasser im Raum waren. Mit dem tieferen Sinken mußte die Brigg bedeutender geleckt haben, als gestern abend. Noch ein paar Stunden höchstens, dann ging sie auf den Grund, und ich natürlich mit ihr.

Das war gerade kein erfreulicher Gedanke, und ich ließ ziemlich trübselig meine Augen über das Schiff schweifen, ob sich nicht irgendwo ein Rettungsmittel böte, da schöpfte ich plötzlich neue Hoffnung. Wir hatten nur zwei Boote, das große auf dem Deck mittschiffs und eine kleine Jolle, welche in ihm gestanden hatte. Auf das große war der gebrochene Großmast gefallen und hatte es vollständig zerschmettert, dagegen lag das kleine Kiel oberst an Deck, was ich bisher übersehen hatte. Ich eilte darauf zu und fand es gänzlich unverletzt. Wie es dahin gekommen, war nur so erklärlich, daß die See, welche mich nach hinten geschwemmt, es aus dem Großboot gespült und es auf diese Weise auch vor der Vernichtung bewahrt hatte.

Das war meine Rettung. Durch Schlaf und gute Kost war ich völlig gekräftigt; mit Hilfe einer Talje setzte ich das Boot auf seinen Kiel querdecks mit der Spitze nach dem Wasser zu, wo die Verschanzung von der See weggeschlagen war, und machte die Fangleine innenbords fest. Ich mußte mich sehr eilen, denn augenscheinlich hatte ich keine Stunde mehr Zeit, ehe das Schiff fortsackte. Ich suchte mir zunächst den zur Jolle gehörigen Mast mit Segel, dann sprang ich in die Vorratskammer der Kajüte, packte an Eßwaren, was ich fand und was wenigstens für vier Wochen reichte, ins Boot, vergaß auch nicht alle Rum- und Weinflaschen, die zu erlangen waren, mitzunehmen, füllte ein Bootswasserfaß mit Wasser und nahm nebst einem Bootskompaß aus der Kajüte, zuletzt auch noch alles Kojenzeug mit. Wer wußte, wie lange ich in der Jolle aushalten mußte, ehe ich Land bekam oder von einem Schiffe aufgepickt wurde. Zwar war heller Sonnenschein, aber die Kälte sehr empfindlich, und dagegen wollte ich mich so gut wie möglich wahren.

Ich sah mich um, was ich sonst noch gebrauchen konnte, da mahnte mich etwas zur größten Eile. Das Wasser außenbords war nur noch etwa einen Fuß unter dem Oberdeck, spülte schon hier und da auf dasselbe, und es war höchste Zeit, daß ich ging. Für das Abbringen des Bootes lag die nahe Oberfläche ja günstig; ich brauchte nicht zu fürchten, daß es bei dem Fall ins Wasser beschädigt wurde, schob die Jolle mit Hilfe der Talje über Bord, löste die Fangleine vom Schiff und sprang hinein, um so schnell wie möglich mich vom Schiff zu entfernen und nicht in den Strudel zu kommen, wenn es sank. Es war dies keine Minute zu früh; kaum hatte ich mich hundert Schritt entfernt, da senkte sich das Vorschiff unter Wasser, einige Augenblicke stand die Brigg recht auf dem Kopf mit dem Heck hoch in der Luft, dann tauchte auch dieses, und bald war alles in der Tiefe verschwunden.

So, da saß ich! mutterseelenallein in der kleinen gebrechlichen Jolle, mitten auf dem weiten Ozean, in einer Gegend, wo höchst selten ein Schiff hinkommt, wo es gutes Wetter fast nicht, dagegen desto mehr Sturm, Eis und Schnee giebt, vielleicht Hunderte von Meilen vom nächsten Lande, denn unsereiner weiß ja nicht, wo sich das Schiff befindet, wenn nicht zufällig Kapitän oder Steuermann es gesagt haben – alles das war nicht dazu angethan, einen sehr mutig zu stimmen; und wenn ich auf der Brigg auch nicht viel gute Tage verlebt, gab es mir doch einen Stich ins Herz, als ich zuerst alle Kameraden verloren hatte und dann noch das Schiff selbst verschwinden sah.

Aber was half es; ich mußte mich darin fügen, die Zähne zusammenbeißen und an mich selbst denken, wie ich mich möglicherweise aus dieser verzweiflungsvollen Lage retten könne.

Mit dem Ostwinde konnte ich nach Norden steuern und hoffte damit sowohl einem besseren Klima als auch der großen Fahrstraße näher zu kommen. Ich setzte das Segel und nahm Nordkurs. Leider war die Brise nur flau, und das Boot kam langsam vorwärts, aber wenn es nur so blieb, dann war ich zufrieden. Ich nahm ein gutes Frühstück zu mir. Mit den warmen Decken außen und einem tüchtigen Schluck Rum innen war ich warm und behaglich und steuerte guten Muts vorwärts.

Vierundzwanzig Stunden blieb das Wetter so; das Boot steuerte fast allein, und nachts konnte ich dann und wann ein wenig einnicken, fast ohne daß es vom Kurse abkam; dann wurde es aber anders. Der Himmel bedeckte sich, es fing wieder an zu schneien, der Wind sprang auf Norden, wurde immer stärker und die See grob. Ich konnte nichts dagegen machen, als nur platt vor dem Winde halten, also gerade dahin, woher ich gekommen war, nach Süden, weil die See von der Seite lief und die kleine Jolle sofort gekentert hätte, während ich allerdings so auch fürchten mußte, daß irgend ein Brecher mich von hinten überrannte und ein Ende mit dem Boote und mir machte. Das kleine Ding schwamm aber wie eine Nußschale und nahm nicht einmal einen Tropfen Wasser über. Für mich kamen jedoch schlimme 48 Stunden, wie ich sie so schwer nicht in meinem Leben gehabt. Es wehte so hart, daß ich jeden Augenblick fürchten mußte, der Mast würde brechen, obwohl ich gleich, als der Wind anfing, so vorsichtig gewesen war, das Segel dicht zu reffen; dazu die schwere See brüllend neben und hinter mir überköpfend und eine grimmige Kälte. Die Finger erstarrten mir, da ich keinen Augenblick das Ruder loslassen durfte, um stets gerade vor See und Wind zu bleiben; mit knapper Not konnte ich nur mit einer Hand etwas von dem unter dem Sitzbrett verstauten Proviant zum Munde führen, und an Schlaf war natürlich nicht zu denken.

Wie gesagt, dauerte das 48 Stunden, und ich machte mich schon in Gedanken fertig, alles aufzugeben und das Boot quersees zu legen, damit der nächste Brecher dieser Qual ein Ende machte, weil ich es nicht länger aushalten konnte, da, in höchster Not, schien auf einmal Hilfe zu kommen. Der Schnee hatte aufgehört, die Luft klarte etwas auf, und ich sah Land voraus. Ihr könnt Euch denken, wie mir zu Mute war und das fast erstarrte Blut infolge der Freude wieder heiß durch den Körper schoß. Alle Müdigkeit und Verzweiflung verschwand, ich fühlte mich wieder vollgekräftigt, und das Boot flog auf die rettende Küste zu, die schnell aus dem Wasser wuchs und sich rechts und links von mir erstreckte, soweit das Auge reichte.

Nach Norden zu war sie steil und ziemlich hoch, und die Brandung donnerte so gewaltig an ihr empor, daß kein Gedanke an Landen war; nach Süden dagegen flachte sie mehr ab, und ich steuerte mit dem Boote dahin, aber auch hier schien es unmöglich heran zu kommen, ohne zerschmettert zu werden. Ich mochte wohl schon eine halbe Stunde längs der Küste gesegelt sein, und mein Mut war drauf und dran, mich wieder im Stich zu lassen, da entdeckte ich eine sich seitwärts in das Meer erstreckende Landzunge, auf deren Luvseite allerdings auch schwere Brandung stand, während jedoch im Lee das Wasser ruhig zu sein schien.

Vor Erregung und Frost zitternd, hielt ich auf die noch etwa zwei Seemeilen entfernte Bucht zu. In diesem Augenblicke brach die so lang entbehrte Sonne durch, aber anstatt Freude darüber zu empfinden, packte mich von neuem nur Schrecken. Die ganze Küste blitzte plötzlich wie ein strahlender Diamant – das was ich für Land gehalten, wo ich in Gedanken schon Menschen und Rettung gesehen, war nur ein Eisberg.

Trotzdem steuerte ich vorwärts; ich wußte, daß solche Berge mit der Meeresströmung stets, wenn auch langsam, nach Norden in wärmere Gewässer treiben und dort schmelzen. Ich war also sicher, daß es mit ihm nicht weiter nach Süden ging, wo mich nur Tod und Verderben erwarteten; ich hatte noch für lange Zeit Nahrungsmittel und fühlte außerdem, daß ich unbedingt auf festen Boden mußte, um mich zu bewegen, meine erstarrten Glieder zu erwärmen und nach dreitägigem Wachen einmal wieder zu schlafen.

In einer Viertelstunde war ich in der Bucht und fand sie, wie ich gehofft. Die Eisspitze streckte sich, ungefähr auf 200 Schritte weit fast im Halbkreise heraus, war an der Außenseite ziemlich hoch, aber innen flachte sie so ab, daß ich sie vom Boote aus gut besteigen konnte, und innerhalb derselben war ganz stilles Wasser. Ich war gerettet, freilich nur vorläufig, aber daran dachte ich im Augenblicke nicht.

Ich landete, nahm den Bootsmast, rammte ihn in eine breite Eisspalte so tief, wie ich konnte, machte die Fangleine daran fest, und das Boot lag nun so sicher wie in Abrahams Schoß. Dann lief ich so lange auf dem Eise hin und her, bis meine Glieder in Ordnung waren und ich warm wurde, aß und trank tüchtig, um danach auszuruhen. Es war ziemlich gegen Abend, als ich die Bucht erreicht hatte, und ich schlief unter meinen warmen Decken, über die ich noch gegen etwaigen Schnee das Segel gespannt hatte, so mollig und schön in der Jolle, wie ich nur wünschen konnte, bis zum andern Morgen.

Nur ein paar Mal wurde ich durch ein heftiges Krachen, das wie Kanonendonner klang, aufgeschreckt, kam aber bald ins klare darüber, daß es im Eisberge war, der unten im Wasser wohl zu schmelzen anfing und Risse bekam, war aber so todmüde, daß ich bald wieder einschlief und mit Tagesanbruch wie neugeboren erwachte.

Von der Bucht führte ein sanfter Abhang bis auf die Kuppe des Berges. Der daraufliegende festgefrorene Schnee machte das Klettern nicht beschwerlich, und ich marschierte mit einem Bootshaken als Stütze hinauf, indem ich hoffte, von der Höhe aus möglicherweise ein vorbeisegelndes Schiff zu sehen. Leider war meine Umschau vergeblich, doch sah ich, daß der Eisberg oben ein Feld von einigen Meilen Umfang mit fast ganz ebener Oberfläche bildete. Nur weiter nach Norden zu entdeckte ich eine wie ein krummer Baumstumpf emporragende Erhöhung. Ich ging darauf zu, um von ihr aus einen weiteren Ausblick zu gewinnen, fand sie etwa sechs Fuß hoch, nicht viel weniger im Umfange und nach der einen Seite merkwürdig gebogen und dünner. Ich stieg hinauf und stand auf der krummen Spitze, um mich umzuschauen. Da glaubte ich ganz an der Nordseite des Berges die Toppen eines Schiffes über die Eisfläche hervorragen zu sehen. Ich strengte meine Augen auf das schärfste an – es blieb kein Zweifel, ich unterschied deutlich zwei Stengen, aber ohne Segel: das Schiff mußte dort am Eisberge verankert sein.

Ihr könnt Euch vorstellen, wie mein Herz vor Freude zitterte bei dieser Entdeckung. Ich war im Begriff von der Erhöhung herunterzuspringen, da krachte auf einmal die ganze Insel wieder in ähnlicher Weise wie in der vergangenen Nacht, aber so furchtbar, daß ich zusammenfuhr, mein Fuß ausglitt und ich mit aller Gewalt auf die krumme Spitze der Erhöhung zu sitzen kam, sodaß diese abbrach und mit mir unten auf den Schnee rollte.

Ich erhob mich schnell wieder, und wollte mich eben auf den Weg nach dem Schiffe machen, da fiel mein Blick zufällig auf das abgebrochene Stück, und mir erstarrte fast vor Schreck das Blut in den Adern. Ich sah den Kopf eines Menschen; durch den Fall war die ihn einhüllende Schneedecke abgesprungen und das Gesicht dadurch freigelegt. Ein dichter schwarzer Bart umrahmte es, die Züge waren abschreckend, und die offenen verglasten Augen gespenstisch auf mich gerichtet.

Eine Zeit lang stand ich wie gelähmt, und es dauerte eine ganze Weile, ehe ich so weit wieder zur Besinnung kam, um mir zu sagen, daß ich in jener seltsam geformten Erhöhung das Grab eines erfrorenen Menschen vor mir habe, den in sitzender Stellung mit vornübergebeugtem Kopfe der Tod ereilt hatte, und dessen selbst zu Eis gewordener Hals durch meinen heftigen Fall abgebrochen war.

Aber wie kam der Mann hierher in diese eisige Einöde, sollte er mit jenem Schiffe dort in Verbindung stehen? Meine Neugierde wuchs, und ich beschloß die Sache näher zu untersuchen. Mit Hilfe des Eisenbeschlags an meinem Bootshaken begann ich die Schneedecke von dem Körper zu entfernen, und es gelang mir bald den Körper bloßzulegen. Es war so, wie ich mir gedacht, der Mann saß auf einem Eisblock wie auf einem Stuhle nach vorn gebeugt, hatte die Hände auf die Kniee gestützt und war in dieser Stellung zu Tode gefroren. Er war sehr warm gekleidet, mit dickem Rock und Beinkleidern, sowie mit schweren hohen Stiefeln, trug an einer Koppel ein kurzes breites Schwert und im Gürtel zwei Pistolen, während ich in einer Seitentasche eine goldene Uhr fand.

Bei näherer Betrachtung sah ich aber, daß der Schnitt der Kleider ein ganz anderer war wie heutzutage. Auf alten Bildern aus dem vorigen Jahrhundert hatte ich dergleichen gesehen, und auch die Form der Pistolen und des Schwertes stammte aus jener Zeit; der Mann mußte also hier schon mindestens 50 Jahre unter seiner Schnee- und Eishülle gesessen haben, obwohl der Körper so wohl erhalten war, als ob er eben erfroren sei.

Nun, ich dachte vorläufig nicht weiter darüber nach, aber jedenfalls machte ich mir kein Gewissen daraus, ihm den schönen warmen Rock auszuziehen, ihm Pistolen und Schwert, sowie die goldene Uhr abzunehmen. Er konnte sie doch nicht mehr gebrauchen, und mir würden sie gut thun.

Da der Weg zu dem Schiffe jedoch weit war und ich mich mit allen den Sachen nicht schleppen wollte, beabsichtigte ich den größten Teil derselben im Boot zu verstauen und nur das Schwert umzugürten. Ich ging also die kurze Strecke zurück; als ich aber an den Rand des Berges bei der Bucht kam, dachte ich, ich sollte vor Schreck in die Erde sinken. Bei jenem furchtbaren Krach im Berge hatte er sich in einzelne Teile gespalten, auch die vorstreckende halbkreisförmige Spitze, hinter der mein Boot lag, war abgetrennt, und beide schwammen, von Wind und Wellen getrieben, schon eine halbe Meile weit in See auf Nimmerwiedersehen.

Mir brach bei diesem Anblick der kalte Schweiß aus, und ich war nahe am Verzweifeln. Ohne Nahrung, ohne jede Hilfsmittel, allein auf dieser schrecklichen Eiseinöde zu bleiben und zu verhungern oder zu erfrieren, war ein geradezu schrecklicher Gedanke. Doch es war ja nichts dabei zu machen, und ich mußte mich in mein trauriges Schicksal fügen. Meine einzige Hoffnung blieb noch jenes Schiff; vielleicht fand ich dort Rettung; mein gesunkener Mut begann sich wieder zu heben, und ich machte mich sofort auf den Marsch dahin.

Nach zwei Stunden hatte ich mein Ziel erreicht, aber wiederum erwartete mich eine bittere Enttäuschung. Das Schiff lag nicht dort vor Anker, sondern in einer gewaltigen Spalte des Berges und etwa 100 Schritt vom Wasser entfernt eingeklemmt, wie in einem Bett eingefroren, aber nichts Lebendes war auf ihm zu entdecken. Masten, Rahen und Stengen mit einer dicken Eiskruste überzogen, sodaß sie in der Sonne glitzerten, auf dem Deck so hoher Schnee, daß er fast mit der Reiling gleichkam und man die Gegenstände darauf nur noch in Umrissen unterscheiden konnte, und ebenso waren die Formen des Unterschiffs nur sehr undeutlich erkennbar. Das Schiff mußte unbedingt schon lange Jahre so gelegen haben und weit nach Süden in das Eis geraten sein, von dem dann der Berg abgelöst und allmählich nach Norden getrieben war.

Wo waren die Mannschaften? Gewiß gehörte jener Mann, dessen Kopf ich abgebrochen, zu ihr, und nach dessen Kleidung zu schließen mußte ein halbes Jahrhundert verflossen sein. Waren die übrigen verhungert, erfroren oder in den Booten weggegangen? Ich konnte kein Boot sehen, weder auf dem Deck noch an den Krähnen außenbords, und das Schiff mußte doch wenigstens drei von ihnen gehabt haben.

Die grimmige Kälte ließ mich nicht länger darüber nachdenken. Der Weg mit dem schweren Mantel des Toten hatte mich zwar warm gemacht, aber nachdem ich ein paar Minuten gestanden, fühlte ich, daß es wie Eis in meine Glieder kroch und ich bald erfrieren mußte, wenn es mir nicht gelang, ein Obdach zu finden, das mich vor dem schneidenden Winde schützte.

Ich kletterte an Bord des Schiffes; ich mußte hinein, sonst war ich in weniger als einer Stunde ein Kind des Todes. Hinten auf dem Deck ragte eine Erhöhung hervor, das mußte der Eingang zur Kajüte sein, dort konnte ich mir am ehesten Zutritt verschaffen. Das kurze breite Schwert, das ich dem Toten abgenommen, kam mir jetzt zu statten; ohne dasselbe hätte ich nichts machen können und wäre elendiglich umgekommen. Ich gebrauchte es als Beil und Spaten. Es war ein schweres Stück Arbeit, aber ich hieb und grub darauf los wie toll, der Schweiß lief mir von der Stirn, mein ganzer Körper dampfte, und die Kälte hüllte mich in eine förmliche Wolke, doch ich kam vorwärts. Nach einer halben Stunde hatte ich die beiden Thüren so weit bloßgelegt, daß ich sie aufbrechen konnte. Ein unangenehmer Dunst drang mir entgegen, wie aus einem alten Grabe; ich schauderte, aber die Temperatur war doch eine ganz andere, wie oben auf dem Deck, und es kam mir fast vor, als ob ich in eine warme Stube träte. Ich ging die Treppe hinunter und stieß an eine Wand. Ich fand eine Thür, doch es gelang mir nicht sie zu öffnen, und alles war stockfinster um mich her. Ich mußte durchaus mehr Helligkeit schaffen, aber ein Oberlicht an Deck war nicht zu sehen, so sehr ich auch suchte, und an etwaige Fenster außenbords konnte ich nicht herankommen. Nach abermals halbstündiger schwerer Arbeit gelang es mir den Deckel der Kajütskappe von Eis zu befreien und zurückzuschieben, dadurch fiel das Licht von oben in das Schiff, und es wurde etwas heller. Nun konnte ich auch die Thür aufmachen, aber in den geöffneten Raum, der die Kajüte sein mußte, drang trotzdem so wenig Licht, daß ich nichts zu unterscheiden vermochte.

Mit vorgestreckten Armen suchte ich mich langsam vorwärts zu tasten, da stand mir auf einmal fast das Herz still durch einen furchtbaren Schreck. Meine Hand griff in das Gesicht eines Menschen, ich fühlte ganz deutlich die Nase und den Bart, beides steif und starr wie Stein. Meine Knie schlotterten, die Haare standen mir zu Berge, und mein Arm fiel wie gelähmt herab. Ich trat einen Schritt zurück, da stieß mein Kopf sehr empfindlich gegen die scharfe Ecke eines Gegenstandes, der einen klingenden Ton von sich gab.

Unwillkürlich griff ich danach und faßte eine von dem Deck herabhängende Laterne. Obwohl ich mich so heftig gestoßen, daß mir das Blut von der Stirn herabsickerte, kam es doch wie eine Erlösung über mich, und augenblicklich kehrte mein früherer Mut zurück. Ich hakte die Laterne ab und eilte damit in das Helle unter die Kajütskappe. Fast hätte ich aufjubeln mögen, als ich einen ziemlich langen Lichtstumpf darin entdeckte. Mit vor Freude zitternden Händen griff ich nach meiner Zunderbüchse, die ich vorsorglich von Bord mitgenommen und glücklicherweise stets in der Tasche behalten hatte. Nach wenigen Sekunden zündete ich mit dem Schwefelfaden die Laterne an. Mir fiel ein Stein von der Brust; jetzt konnte ich das Schiff untersuchen, hoffentlich fand ich noch etwas Proviant und Wasser, jedenfalls konnte ich mir aber in der Kambüse Feuer anmachen. Gott sei Dank, ich war gerettet, vorläufig wenigstens gegen das Erfrieren.

Ich ging bis an die Thür zurück und ließ das Licht der Laterne in die Kajüte fallen, aber ich kann nicht leugnen, daß es mich doch wieder eiskalt überlief, als ich zwei menschliche Gestalten entdeckte. Die eine saß auf einer Bank an dem Kajütstische, hatte den Kopf in die Hand gestützt und mir halb zugewendet; es war die Person, deren Gesicht ich mit der Hand berührt hatte. Die zweite saß ihr gegenüber auf der anderen Seite des Tisches und ruhte mit dem Kopfe und untergeschlagenen Armen auf diesem, als schliefe sie, so daß ich die Gesichtszüge nicht sehen konnte.

Obwohl ich mir sagte, daß beide gerade so tot sein mußten, wie jener Mann, den ich auf dem Eise gefunden, so fühlte ich doch unwillkürlich ein Grauen. Die Stellung war eine so natürliche, die Gesichtszüge des mir zunächst Sitzenden ähnelten so sehr denen eines lebenden Menschen, daß ich eine geraume Zeit zögerte, ehe ich näher trat, um mich dann zu überzeugen, daß ich es nur mit leblosen Gestalten zu thun hatte. Sie waren ebenso gekleidet wie der einzelne Mann auf dem Eise, und sie mußten zusammengehört haben.

Der Tisch nahm fast die ganze Breite der Kajüte ein, so daß zwischen ihm und den Seitenwänden nur ein schmaler Durchgang blieb. In der Hinterwand befanden sich zwei, an jeder Seite eine Thür. Ich öffnete zunächst die an Backbordseite und war nicht wenig erfreut, als ich dort entdeckte, was ich zunächst am nötigsten gebrauchte, die Kambüse mit allem Zubehör und Geschirr, auf dem Herde einen Haufen Asche und das beste vor allem für mich, in der einen Ecke eine große Kiste mit Kohlen. Wie wunderbar! dachte ich im ersten Augenblicke, die Menschen haben reichlich Feuerungsmaterial gehabt und sind doch zu Eisklumpen erfroren; sollten sie verhungert sein? und wieder empfand ich einen Schauder in Gedanken an dasselbe Schicksal, das mich erwartete. Doch nein, es war nicht so; der am Tisch sitzende Mann war überall gut genährt, in seinen lebenskräftigen Gesichtszügen keine Spur von Entbehrung wahrzunehmen. Es war nicht anders anzunehmen, als daß das Schiff auf unerklärliche Weise so tief nach Süden in die Eisregionen geraten war, daß auch das mächtigste Feuer nichts gegen die Kälte ausrichten konnte, denn, wenn ich mich, wo wir jetzt waren, noch stundenlang hatte im Freien bewegen können, war bei gutem Feuer in der Kambüse ein Totfrieren unmöglich.

Nun ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als selbst auf dem Herde ein Feuer anzumachen, hieb mit meinem Schwert einige Spähne von der Kohlenkiste und suchte sie in Brand zu stecken, aber statt dessen verbreitete sich ein solcher dichter Rauch in der Kambüse und der Kajüte, daß ich fast erstickte und schnell an Deck flüchtete. Offenbar hatte der Rauch keinen Abzug, ich suchte auf dem Deck nach einem Schornstein, und es gelang mir ihn zu finden. Er war nur kurz und ganz unter Eis und Schnee vergraben. Als ich ihn freigemacht, versuchte ich mein Heil aufs neue; bald flackerte jetzt das Feuer lustig, eine wohlthuende Wärme verbreitete sich überall, ich setzte mich nahe an den Herd und empfand zum ersten Male, seitdem unsere Brigg untergegangen war, wie mich ein molliges Behagen durchdrang, meine Glieder geschmeidig wurden und das Blut wieder warm durch meinen Körper strömte. Doch damit meldete sich auch gleichzeitig ein starkes Gefühl von Hunger und Durst. Ich hatte seit Tagesanbruch, als ich das Boot verließ, nichts genossen, stundenlang tüchtig gearbeitet, und jetzt war es fast Abend. Das rüttelte mich auf; ich mußte sehen, ob ich irgend etwas Genießbares im Schiffe aufzufinden vermochte, sonst teilte ich in kürzester Zeit das Schicksal jener beiden unheimlichen Gesellen in der Kajüte, vor denen noch immer mein Blick zurückscheute. Gleichzeitig erfaßte mich aber auch ein Schrecken, als ich das heruntergebrannte Licht in der Laterne betrachtete. Es reichte kaum noch für eine halbe Stunde; wenn ich bis dahin nicht irgend welchen Ersatz dafür fand, dann saß ich im Finstern, und mein Schicksal war besiegelt.

Ich warf schnell noch Kohlen auf das Feuer und begab mich auf die Suche. Die beiden Thüren in der Hinterwand führten zu ein Paar Schlafräumen. Sie waren auf das beste mit Betten und Decken ausgestattet. An den Wänden hingen prachtvolle Kleider von den schwersten Stoffen, wie ich sie selten gesehen, aber von Proviant und dergleichen war nichts zu entdecken, und ich ließ mir nicht Zeit, jene näher zu betrachten. Der Lichtstumpf drohte jeden Augenblick zu erlöschen, und die Angst trieb mich schnell zu der Thür an der Steuerbordwand. Und wie schon so oft in den letzten Tagen mein Herz in schwerer Sorge war, um im nächsten Augenblicke neue Hoffnung schöpfen zu können, so war es auch diesmal der Fall. Als ich nach längeren Versuchen die schwergängige Thür endlich öffnete, fiel zwar noch ein Strahl in den Raum, dann aber ging das Licht plötzlich aus, und mich umgab undurchdringliche Finsternis. Doch diesmal erfüllte mich kein neuer Schrecken. Jener letzte Strahl hatte mich eine Vorratskammer erkennen lassen, und mein suchender Blick war zuerst auf eine Anzahl Lichte gefallen, die auf einem der obersten Borde lagen. In freudiger Aufregung tastete ich mich zu der Stelle. Glücklicherweise hatte ich mich nicht getäuscht, ja, es waren Lichte, ich hielt sie in der Hand, und damit war ich aus aller Not.

So schnell wie möglich tappte ich mich nach der Kambüse zurück, nicht ohne in der Dunkelheit wieder gegen den einen Kerl zu stoßen und dadurch aufs neue wie vor einem Geist zu erschrecken, zündete ein neues Licht an und begab mich dann zurück zu dem Vorratsraum, um dessen Inhalt zu durchsuchen. Es war wirklich lohnend, das Herz lachte mir im Leibe, und alle meine Sorge war wie mit einem Schlage von mir genommen. Alle möglichen schönen Eßwaren waren dort vorhanden, Schinken, Zungen, Käse, Zucker, Thee, Schiffszwieback, was nur irgend ein ausgehungerter Mensch sich wünschen konnte, fand ich dort aufgestapelt, und für mich reichte es für Monate. Freilich war alles zu Stein gefroren, aber durch die Kälte auch wie frisch erhalten, und was machte mir das erstere, ich hatte ja in der Kambüse die Mittel, um es aufzutauen. In einem besonderen Fache waren Reihen von Flaschen mit Wein und Rum aufgestapelt – genug, nun entbehrte ich nichts mehr und durfte ruhig der Zukunft entgegensehen. Ein warmes Obdach, ausgesuchte Speisen für lange Zeit und dabei das Treiben des Eisberges in wärmere Gegenden, mehr konnte ich nicht verlangen. Ich kam aber immer mehr zu der Überzeugung, daß das Schiff von der anderen Seite des Kap Horn in den Südstrom gelangt und durch ihn und Sturm so weit nach dem Pol versetzt sein mußte, daß auch kein Feuer mehr gegen die grausame Kälte ausreichte und daran die Besatzung zu Grunde gegangen war.

Nun, zunächst grübelte ich nicht weiter darüber nach und dachte nur an die Befriedigung meines Hungers. Nach einer halben Stunde waren Schinken, Zunge und Brot im Backofen soweit aufgetaut, daß ich mir ein äußerst wohlschmeckendes Mahl davon bereiten konnte, ich schlug eine Weinflasche entzwei, um ein Stück des Inhaltes in einem Topfe zu schmelzen, und nie in meinem Leben habe ich schöner zu Abend gegessen, als auf diesem Eisberge.

Es war indessen spät geworden, und ich hatte nach allen den Strapazen und aufregenden Erlebnissen des Tages das Bedürfnis nach Ruhe. In der Kammer, die wahrscheinlich dem Kapitän gehört hatte, fand ich alles Nötige dafür; ein schönes Bett und eine Menge warmer Decken. Ich öffnete die nach dem Kochraum führende Thür, durch die eine wohlthuende Wärme hereinströmte, legte noch eine tüchtige Portion Kohlen nach, damit das Feuer möglichst lange aushielte, und begab mich zur Koje. Die unheimlichen beiden Kerle in der Kajüte beschäftigten zwar noch eine Zeit lang meinen Geist, da sie mir wie Gespenster vorkamen, die jeden Augenblick zu mir hereintreten konnten, aber schließlich fiel ich doch in einen tiefen Schlaf, aus dem ich erst erwachte, als meine Uhr, die ich tags zuvor ungefähr nach dem Stande der Sonne gestellt, auf zehn zeigte. Ich mußte also mindestens zwölf Stunden geschlafen haben und fühlte mich infolgedessen ungemein frisch und kräftig. Das Feuer war ausgegangen und die Luft so eisig, daß ich nach dem Aufstehen an allen Gliedern klapperte, aber bald brannte es in der Kambüse wieder lustig. Ich hätte gar zu gern eine Tasse heißen Kaffees genossen, aber bis jetzt hatte ich kein Wasser finden können, und Schnee und Eis, die ich von Deck holte, waren nach dem Schmelzen salzig und ungenießbar. Das machte mir natürlich wieder neue Sorge, aber bald warf ich sie von mir. Ein so gut ausgerüstetes Schiff mußte unbedingt auch Wasser an Bord haben, und ich begnügte mich deshalb vorläufig mit gewärmtem Wein, der mir auch sehr wohlthat.

Als ich dann das Deck betrat, wehte dort ein schwerer Sturm aus Süd, von dem ich unten in dem in der Eisspalte liegenden Schiffe nichts gemerkt hatte; aber er heulte und pfiff um die aufragenden Stengen und Rahen schauerlich, und die aufgeregte See brandete an den Kanten des Berges ganz furchtbar. In der Nacht war ich einmal durch ein gewaltiges Krachen und Knattern, das wie eine Salve von Kanonenschüssen klang, aufgewacht, aber bald wieder eingeschlafen, da es sich nicht mehr wiederholte. Jetzt jedoch wurde mir auf einmal die Ursache desselben klar, denn als ich meinen Blick nach Süden warf, da trieb ein anderes mächtiges Eisfeld auf den Wellen. Das meinige hatte sich gespalten und war um die Hälfte kleiner geworden, so daß ich jetzt jenseits desselben das Meer sehen konnte, während tags zuvor die weiße Fläche bis an den Horizont reichte. Für mich war dies eine sehr freudige Entdeckung; wir mußten in wärmeres Wasser gekommen sein und also, wie ich hoffte, nach Norden treiben. Jenes hatte das Eis mürbe gemacht, und ich segnete den Sturm, der so schön geholfen hatte und jetzt noch besser half, da er es mit einem viel kleineren Stücke zu thun hatte, es schneller vorwärts bringen konnte und so meine Hoffnung auf Schmelzen und baldiges gänzliches Aufbrechen wachsen ließ.

Freilich verhehlte ich mir nicht, daß dabei auch das ganze Schiff zerquetscht werden, oder aber, wenn es wirklich glücklich davonkam, leck sein und mit mir sinken konnte; aber in den letzten Tagen hatte ich so Wunderbares erlebt, war so oft aus Todesnöten gerettet, daß ich mir auch jetzt keine unnötigen Sorgen machte und auf mein gutes Glück baute.

Lange konnte ich auf dem Deck nicht aushalten. Der aus Süden kommende Sturm brachte eine so grimmige Kälte mit, daß ich nach zehn Minuten ganz erstarrt war und schleunigst unter Deck eilen mußte, um in der Kambüse wieder aufzutauen.

Ich machte mich nun ans Werk, das Schiff im Innern zu untersuchen. Als ich die Thür zum Zwischendeck öffnete, erfaßte mich wieder ein Grauen. Ich erwartete dort natürlich, die Leichen der übrigen Mannschaften zu finden, und zögerte eine ganze Zeit, bevor ich langsam und vorsichtig den Raum betrat. Mein Blick fiel aus eine ganze Reihe von Hängematten, wohl fünfzig bis sechzig an der Zahl, die mich glauben ließen, daß ich mich an Bord eines Kriegsschiffes befand, um so mehr, als an den Seitenwänden eine Reihe Gestelle mit allen möglichen Waffen, Gewehren, Pistolen, Enterbeilen u. s. w. aufgestellt waren.

Ich berührte eine der Hängematten, aber sie war leer, ebenso alle anderen, als ich den Mut schöpfte, durch das Zwischendeck zu gehen; ich entdeckte nirgends, wie ich gefürchtet, eine Leiche. Wo waren die Mannschaften geblieben? Jetzt erklärte sich auch das Fehlen der Boote; sie mußten mit ihnen fortgegangen sein und ihre Offiziere zurückgelassen haben. Gewiß hatten sie gemeutert, und dann war das von den drei Zurückgelassenen nicht regierbare Schiff nach Süden getrieben und in das Eis geraten, denn der Kurs um Kap Horn führt nahe daran vorbei, aber nicht hundert Meilen südlicher, wo das Eis beginnt.

Meine weiteren Nachsuchungen im Schiff ließen mich in den nächsten Tagen immer Neues finden, durch das ich mehr und mehr über meine Zukunft beruhigt wurde. Die untern Räume waren mit Salzfleisch und anderem Proviant so voll gestaut, daß ich jahrelang die nötige Nahrung hatte; auch Wasserfässer entdeckte ich, und mit ihnen schwand meine letzte Sorge. Natürlich war nur Eis in ihnen, aber ich schlug eins entzwei, schmolz das Eis und konnte endlich meinen Durst nach Herzenslust löschen, mir Thee und Kaffee bereiten und kräftige Suppen kochen. Ganz vorn in der Pik lag auch ein großer Vorrat von Kohlen, wenngleich ich mich deretwegen weniger beunruhigte, da die Proviantfässer mich auf lange Monate mit Feuerungsmaterial versorgt hätten und bis dahin der Berg in wärmere Gegenden getrieben sein würde.

Der schwere Südsturm hielt in seiner gewaltigen Stärke drei Tage an, so daß ich in der ganzen Zeit nicht an Deck kam. Dann und wann krachte es ringsum, bald näher, bald ferner im Eise, an dem Wind und Seegang arbeiteten, aber ich gewöhnte mich allmählich daran und ließ mich das weiter nicht anfechten, aß und trank gut, lag viel in meiner warmen Koje und hätte mich sehr behaglich gefühlt, wenn nicht jene beiden Eismenschen immer in so verzweifelter Nähe bei mir gesessen hätten. Diese unglückliche Nachbarschaft machte mich immer aufgeregter, ließ mich oft aus dem Schlafe schrecken, so daß ich es schließlich nicht mehr aushalten konnte und beschloß, mich unter allen Umständen davon zu befreien.

Am dritten Tage ließ der Sturm nach, die schweren schwarzen Wolken, die bis dahin den Himmel deckten und abwechselnd Schnee und Hagel herunterschütteten, verschwanden. Bald wurde es ganz still, und die Sterne schienen klar und goldig. Die Luft war zwar immer noch sehr eisig, aber nicht mit den Tagen zuvor zu vergleichen, und ich nahm mir deshalb vor, heute meinen Plan auszuführen und die beiden Kerle über Bord zu werfen.

Ich begann mit dem an der hintern Seite der Kajüte. Es war das ein ungemein saures Stück Arbeit. An und für sich groß und schwer, behinderte auch seine zusammengekrümmte Gestalt den Transport ungemein. Der Tisch gestattete nicht, daß ich ihn direkt durch die vordere Kajütsthür nach der Treppe schleppen konnte. Vielmehr mußte ich ihn seitwärts durch die Kambüse und von dort an die vordere Seite des Tisches bringen. Das nahm aber bei der Starrheit des Körpers, der bei der engen Passage überall gegenhakte, meine Kräfte so in Anspruch, daß ich völlig außer Atem kam und mich eine ganze Zeit ausruhen mußte, als ich ihn endlich in der Kambüse hatte. Da kam mir der Gedanke, daß, wenn ich ihn möglichst nah an den Herd legte, seine Glieder auftauen und geschmeidiger werden würden. Ich rückte ihn dahin und machte mich dann daran, den andern zu entfernen. Das wurde mir bedeutend leichter; an der Treppe hatte ich einen Flaschenzug angebracht, dessen steif gefrorene Taue ich zuvor in der Kambüse warm gemacht, und mit seiner Hilfe gelang es mir bald, ihn die Treppe hinauf, und auf der glatten Schneedecke des Oberdecks bis vorn an die Verschanzung zu schleifen. Dort stellte ich ihn aufrecht an dieselbe, untersuchte aber vorher nochmals seine Taschen, wobei ich ebenfalls eine prachtvolle mit Brillanten besetzte goldene Uhr, einen Beutel mit 25 spanischen Dublonen und eine goldene mit Tabak gefüllte Dose fand. Ich war sehr erstaunt, daß Schiffsoffiziere solche Kostbarkeiten mitten im Eismeere mit sich herumtrugen, machte mir aber keine weiteren Sorgen darüber, sie an mich zu nehmen und sie fortan als mein rechtliches Eigentum zu betrachten. Danach ergriff ich den Menschen bei den Beinen, kippte ihn mit Leichtigkeit über die niedrige Verschanzung über Bord und in eine tiefe Eisspalte, die sich vor dem Bug befand. Ich hörte ein Krachen, und als ich ihm nachsah, lag er mit abgebrochenen Armen und Beinen in seinem kalten Grabe. Ich aber war nicht wenig froh, einen der Gesellen, die mir stets ein solches Grauen eingeflößt, für alle Zeiten los zu sein.

Bevor ich mich jetzt an den zweiten machte, sah ich mich draußen noch einmal um und bemerkte, daß das Eis in der Nähe sich verändert hatte. Etwa 200 Schritt vor dem Schiffe erblickte ich in der glatten Fläche eine breite und tiefe Spalte, die vordem nicht vorhanden gewesen und wahrscheinlich während des letzten Sturmes entstanden war. Sie lief in weitem Bogen rechts und links vom Schiffe anscheinend bis an den Rand des Berges, so daß jenes wie auf einer Halbinsel zu liegen schien. Ich begab mich auf das Eis und fand, daß die Spalte ungefähr 6 Fuß breit und 30 Fuß tief war, ehe sie enger wurde.

Mich erfüllte diese Wahrnehmung mit großer Freude. Es war höchst wahrscheinlich, daß mit der Zeit dies Stück gänzlich von dem großen Berge abspalten und dadurch die Gefahr bedeutend verringert würde, die dem Schiffe durch Zerquetschtwerden drohte. Doch behielt ich mir vor, dies später zu untersuchen und mich zunächst des zweiten Mannes zu entledigen.

Ich begab mich in die Kambüse zurück, glaubte aber, daß mich vor grausigem Schreck der Schlag rühren sollte, als ich einen Blick auf jenen geworfen, und blieb starr in der Thür stehen.

Ich hatte ihn in derselben Lage, wie er am Tisch gesessen, d. h. mit dem Kopf auf den verschränkten Armen ruhend, an das Feuer gebracht, und jetzt lag er auf dem Rücken; die gebogenen Arme waren neben dem Körper niedergesunken, die zusammengezogenen Kniee gestreckt und das Gesicht war frei. Ich sah letzteres jetzt zum ersten Male, die Augen waren geschlossen, aber die Züge des etwa 50-60 Jahre alt erscheinenden Menschen so widerwärtig, abstoßend und böse, daß dadurch mein Schaudern noch vermehrt wurde.

Mein Verstand sagte mir, daß das Feuer ihn wohl etwas auftauen, aber unmöglich eine solche Veränderung hervorgebracht haben konnte. Dazu gehörte die Kraft von Muskeln, der Mann mußte zum Leben erwacht sein und sich selbst herumgedreht haben. Ich überwand mich, näherte mich, wenn auch immer noch mit dem Gefühl des Grauens, und leuchtete ihm in das Gesicht. Er glich einem ruhig Schlafenden, von Atmen war zwar nichts zu spüren, auch nichts von Herzschlag, doch glaubte ich wahrzunehmen, daß der Arm ganz langsam sich mehr streckte und die geballten Hände sich etwas öffneten.

Ich hatte früher einmal gesehen, wie ein Erfrorener dadurch wieder zum Leben gebracht wurde, daß man seine Füße in heißes Wasser steckte, ihm heißen Rum einflößte und seinen Körper mit wollenen Tüchern so lange rieb, daß fast die Haut abging. Er hatte freilich nur einige Stunden so gelegen, als man ihn fand, und dieser, wer weiß wie viele Jahre, aber jener war ebenso gut tot gewesen, wie dieser, und jedenfalls wollte ich es versuchen und mein Bestes thun. Spornte mich doch auch der Gedanke an, im Falle des Gelingens nicht mehr einsam in der Öde um mich her zu sein und einen Kameraden zu haben, mit dem ich sprechen konnte, so sehr mich sein Äußeres auch abstieß. In dieser Aussicht schwand auch zugleich alle meine Furcht, und ich machte mich energisch an mein Rettungswerk.

Ich schürte das Feuer so viel wie möglich, machte heißes Wasser und schmolz Rumeis, zog dem Menschen Stiefel und Strümpfe, sowie auch die übrigen Kleider aus, die drei- und vierfach übereinander angezogen waren, hüllte seine Füße mit in das Wasser getauchten Tüchern ein, die ich sehr häufig wechselte, flößte ihm zwischen die etwas geöffneten Lippen heißen Rum ein und begann mit aller Kraft seinen Körper zu reiben, bis mir der Atem ausging. Dies setzte ich abwechselnd eine halbe Stunde fort, so daß mir der Schweiß von der Stirne rann, dann endlich wurde meine Mühe belohnt.

Ich fühlte ganz leisen Herzschlag, die Brust hob sich schwach auf und nieder, die Glieder bewegten sich, und nach kurzer Zeit schlug er auch die Augen auf. Er richtete sie auf mich mit einem Ausdruck, der mir ganz unheimlich erschien, dann fragte er etwas in Spanisch, das ich nicht verstand. Ich zuckte die Achseln, worauf er auf Englisch wiederholte: »Wo bin ich?« Ich erwiderte ihm in derselben Sprache: »In Ihrer Kajüte, ich bin ein Schiffbrüchiger, habe Sie erfroren gefunden und Sie wieder zum Leben gebracht.«

Er schwieg eine Weile, als ob er nachsinne, dann sagte er: »Mich friert, geben Sie mir etwas Warmes zu trinken.« Ich deckte ihn, nachdem ich ihn angekleidet, zunächst mit warmen Decken zu und reichte ihm dann den Topf mit dem gewärmten Rum. Er leerte ihn bis auf die Neige, gewiß einen Liter. »Nun,« dachte ich bei mir, »der kann mehr vertragen als du, aber vielleicht ist noch nicht alles Eis in seinem Leibe geschmolzen.«

»Ich bin müde,« sagte er, »und will etwas schlafen.« Er drehte sich auf die Seite, und bald hörte ich an seinen tiefen Atemzügen, daß er fest schlief.

Ich dachte über die letzten Stunden nach. Wie wunderbar hatte mir doch das Schicksal in den letzten Tagen mitgespielt! Hundertmal dem scheinbar gewissen Tode nahe, war ich im letzten Augenblick wieder gerettet, und das erfüllte mich mit der sichern Hoffnung, daß ich schließlich dennoch aus dieser Eiswüste befreit werden und gesund ins Vaterland zurückkehren solle.

Mein Kamerad schlief bis zum späten Abend, als er erwachte, saß ich unten am Herde, hatte mir nach einem guten Essen eine Pfeife angesteckt, wovon Dutzende in der Vorratskammer lagen, und mit dem Tabak gefüllt, den ich in der Dose des über Bord Geworfenen gefunden. Es war ein schöner Genuß, etwas Prachtvolleres hatte ich nie geraucht, und in die Dampfwolke gehüllt, träumte ich so vor mich hin, als der Spanier plötzlich die Decken von sich warf und von seinem Lager aufsprang. Er schien jetzt wieder im Vollbesitz seiner Lebenskraft zu sein und verlangte etwas zu essen. Ich reichte ihm von dem sehr reichlichen Rest der von mir gekochten Mahlzeit, den ich auf den Herd gestellt, und er verschlang ihn nicht nur bis auf den letzten Bissen, sondern nahm auch noch einen halben Schinken zu sich und trank verschiedene Flaschen Wein dazu, von denen ich eine Zahl zum Auftauen neben den Herd gesetzt. Er mußte schrecklich ausgehungert sein.

So lange hatte er kein Wort gesprochen; nachdem er gesättigt, fragte er mich jedoch nach allen Einzelheiten meiner Erlebnisse, die mich an Bord des Schiffes gebracht und die ich ihm ausführlich erzählte.

»Hm!« machte er, als ich zu Ende war, »und welches Datum schreiben wir heute?« Ich rechnete im Kopfe nach und erwiderte dann: »den 4. März.« Er sah mich mit seinen stechenden Augen eine Weile schweigend an, dann sagte er, während ein häßliches Lächeln über sein Gesicht flog. »Hm! und welches Jahr?« »1834« entgegnete ich.

Wieder blickte er mich an, daß es mir durch Mark und Bein ging. Dann äußerte er: »Lieber Mann, Sie scheinen etwas verrückt zu sein, und das Eis hat Ihnen den Verstand verdreht. Wir verließen mit unserm Schiffe am 8. November 1784 Callao um nach Westindien zu gehen, da uns die englischen Kreuzer an der Westküste den Boden zu heiß machten. Am 16. bekamen wir einen furchtbaren Nordsturm, der uns zusammen mit der Strömung nach Süden trieb und im Eise festlegte. Am nächsten Tage, am 17., meuterten unsere Leute, packten alle Kostbarkeiten, die wir auf unsern Seezügen den Handelsschiffen abgenommen, deren Mannschaft wir über die Planken marschieren ließen und die wir dann verbrannten, um keinen Zeugen gegen uns zurückzulassen, in die Boote und gingen davon, indem sie nur den Kapitän, den ersten, und mich, den zweiten Lieutenant, an Bord zurückließen. Drei Tage hielten wir es aus, aber kein Feuer vermochte uns gegen die schneidende Kälte zu schützen. Dann wurde ich auf einmal so müde, daß ich in der Kajüte einschlief, und Sie wollen mir einreden, es sei heute der 4. März 1834. Ein paar Tage mag ich wohl geschlafen haben, aber länger keinesfalls. Trinken Sie eine Portion heißen Rum, Ihr Gehirn scheint eingefroren zu sein.« Dabei grinste mich der Kerl so teuflisch an, daß er mir wie der leibhaftige Satan vorkam.

Ein furchtbarer Schrecken packte mich, und ich fühlte, wie ich leichenblaß wurde. Also ich befand mich nicht an Bord eines Kriegsschiffes, wie ich angenommen, sondern auf einem Seeräuber und einem Manne gegenüber, der vielleicht hundertfache Morde auf seinem Gewissen hatte, und dessen Reden nur zu deutlich verrieten, daß er sich nicht im geringsten etwas daraus machte. Und diesen Menschen, der mit derselben Ruhe auch mich hinterrücks niederstechen würde, hatte ich ins Leben zurückgerufen, nachdem er 50 Jahre als Eisklumpen tot gelegen hatte! Mir schwindelte, ich fing fast an zu glauben, daß mein eigener Verstand gelitten hatte, oder alles, was ich gehört und gesehen, nur ein schwerer Traum sei, und wußte ihm nichts zu erwidern.

»Die Kanaillen von Mannschaften,« fuhr der Unhold dann fort, »werden nicht weit gekommen sein. Konnten wir uns hier am Feuer schon nicht erwärmen, sind sie bestimmt schon nach ein paar Stunden zu Eis geworden. Ich wundere mich, daß sie uns vorher nicht den Hals abgeschnitten haben, freilich ein Dutzend von ihnen, hätte wohl bei dem Versuche daran glauben müssen,« und dabei grinste er wieder dämonisch, »aber wo ist der Kapitän und der erste Lieutenant? Als ich einschlief, war ersterer an Deck gegangen, um Umschau zu halten, und letzterer saß mir hier am Tisch gegenüber.«

Ich nahm mich sehr zusammen, um ihm nicht meine innere Furcht zu verraten und erzählte ihm in möglichst gleichgiltigem Tone, wie ich sie gefunden, was ich mit ihnen gemacht, und daß es auch meine Absicht gewesen sei, ihn denselben Weg gehen zu lassen, da ich ihn für tot gehalten.

Er lachte laut auf. »Das haben Sie recht gemacht,« rief er dann, »nun bin ich der alleinige Eigentümer des Schiffes und brauche unsern Schatz mit niemand anders zu teilen, wenn Sie auch natürlich dafür, daß Sie mich gerettet so viel davon bekommen sollen, um wie ein Prinz leben zu können.«

»Was für ein Schatz?« fragte ich, durch seine Reden aufmerksam geworden, »und den haben die Meuterer nicht mitgenommen?«

»Oh, die hatten andere Kostbarkeiten und Juwelen genug,« erwiderte er. »Wenn man im Laufe der Zeit 40-50 Schiffe durchsucht und ihre Besatzung still gemacht hat,« fügte er mit cynischem Lachen hinzu, »dann bleibt außer den Dublonen noch an Juwelen und sonstigen Kostbarkeiten genug übrig, um 60 Mann damit zufrieden zu stellen, da überdem die Goldkisten viel zu schwer für die überlasteten Boote waren. So einige Hunderttausend Dublonen, von denen jede ein paar Pfund Sterling wert ist, wiegen schon ein paar Zentner. Die Kisten sind hier hinten unter der Kajüte, dicht bei der Pulverkammer, in der Pik verstaut, und die Kerle wußten zu genau, daß wir uns eher mit der ganzen Gesellschaft in die Luft gesprengt hätten, als ihnen die Kisten zu überlassen. Wir aber müssen jetzt sehen, ob es uns nicht möglich ist, das Schiff flott zu machen.«

Ich erschrak bis ins Innerste bei diesen Worten des Mordgesellen, als er das alles ruhig erzählte, als ob er es nur natürlich fände, und selbst, was er vom Schatz sagte, erregte kaum meine Aufmerksamkeit, aber bei seinen letzten Worten schoß mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Ich erinnerte mich des fast rund um das Schiff laufenden Spaltes, den wahrscheinlich die Erschütterung der Insel durch den schweren Seegang verursacht hatte. Der Pirat sprach von der Pulverkammer, die ich bis dahin noch nicht entdeckt hatte. Wenn sie große Quantitäten barg, dann war es möglich, diese tief in die Spalte zu versenken und durch langsam brennende Zündschnüre, die sich unbedingt auch an Bord befanden, anzuzünden.

Unbedingt würde dies eine so gewaltige Erschütterung hervorbringen, daß sich der Eisblock, auf dem der Schuner eingebettet lag, von dem großen Berge löste und wir von ihm frei kamen. Damit war ja nicht alle Gefahr des Zerquetschtwerdens beseitigt, aber doch ganz bedeutend geringer geworden und vielleicht gelang es dann, durch kleinere Sprengungen das Schiff ganz frei zu bekommen.

Dieser Gedanke beschäftigte mich so lebhaft, daß ich vor mich hinstarrte und gar nichts auf die Worte des Seeräubers antwortete.

»Was haben Sie!« fragte er mich nach einer Pause, indem seine Augen sich durchbohrend und mißtrauisch auf mich richteten.

»Es ist mir soeben eine Idee gekommen«, erwiderte ich so gleichmütig, wie ich vermochte. »Befindet sich viel Pulver in der Kammer?«

»Etwa 30-40 Fässer von je 50 Pfund«, sagte er, wir mußten uns immer reichlich damit versehen, um nicht zu oft Land anzulaufen und es zu ergänzen, das war wegen der Kreuzer zu gefährlich.«

Zweitausend Pfund! das mußte genügen, um die ganze Insel auseinander zu sprengen, und die Hoffnung auf baldige Erlösung aus dem unseligen Eisgefängnisse ließ meine Pulse heftig schlagen.

»Wozu fragen Sie mich nach Pulver?«, äußerte mein Gegenüber, der mich noch immer mit lauerndem Blick betrachtete. Ich teilte ihm meinen Plan mit, den er außerordentlich praktisch fand, wobei er so freundlich ausschaute, wie es bei seinen abschreckenden Zügen möglich war.

Es war inzwischen dunkel geworden, heute abend ließ sich in der Sache nichts mehr thun, und wir mußten bis zum andern Morgen warten, ehe wir den Plan ausführten.

Ich bereitete das Abendbrot und wärmte Rum zu einem Glase Grog. Er aß unglaubliche Mengen und trank verhältnismäßig noch viel mehr, so daß ich glaubte, er würde jeden Augenblick vollständig sinnlos vom Stuhl sinken, aber das war keineswegs der Fall. Er wurde nur immer gesprächiger und lustiger, freilich in einer Weise, die mich vor einer solchen Bestie – denn Mensch konnte ich nicht sagen – immer mehr schaudern ließ. Er erzählte in rohester Weise von den blutigen Unthaten, die er und seine Kameraden ausgeführt, und sang dazwischen gotteslästerliche Piratenlieder, wie sie nicht schändlicher gedacht werden konnten. Daß wir durch das Pulver vom Eise freikommen würden, nahm er als selbstverständlich an und entwickelte dann den Plan, nach einer der westindischen Inseln zu segeln, wo er Gesinnungsgenossen kennen wollte, um mit ihnen den Schatz zu teilen und dann das alte Leben wieder zu beginnen. Wie wir beide allein das Schiff die tausend Meilen weit dahin bringen sollten, daran schien er nicht zu denken, und ebenso wenig kam ihm in den Sinn, daß er 50 Jahre lang erfroren gelegen hatte, während ich nach den gemachten Erfahrungen mich hütete, diesen letzten Punkt wieder zur Sprache zu bringen.

Schließlich wurde er müde und taumelte in sein Bett. Auch ich ging zur Koje, wälzte mich aber stundenlang schlaflos umher. In was für eine Gesellschaft war ich geraten und welches Unglück für mich, daß ich einen solchen Mordbuben wieder zum Leben hatte erwecken müssen!

Am andern Morgen war es gutes Wetter, und nach dem Frühstück machten wir uns an die Arbeit. Er zeigte mir die Pulverkammer und auch daneben die verstauten fünf Kisten, welche den Schatz enthalten sollten. Er schloß eine von ihnen auf, und in der That glänzte mir bei dem Scheine der Laterne nur Gold und Silber entgegen, so daß ich ganz geblendet wurde.

»Sehen Sie«, sagte er, »eine solche Kiste reicht, daß Sie wie ein Fürst leben können, und die sollen Sie haben, wenn wir in Westindien angekommen sind, weil Sie mich nicht wie meinen Kameraden über Bord geworfen haben.«

Ich fühlte, wie mich dabei wieder ein lauernder Blick wie der einer Giftschlange traf, zwang mich aber zu der ruhigen Antwort und sagte nur: »Ich wäre auch mit weit weniger zufrieden«, las jedoch auch in den Gedanken des Monstrums, daß nur die Notwendigkeit meiner Hilfe ihn veranlassen konnte, mich nicht vor unserer Ankunft im Hafen aus dem Wege zu räumen, daß es dann aber jedenfalls geschehen würde, um, wie er schon früher sich ausgedrückt, keinen Zeugen gegen sich zu haben.

Wir machten uns nun daran, mit Hilfe von Flaschenzügen 12 Pulverfässer an Deck zu heißen, sie über das Eis zu rollen, die Zündschnur an ihnen zu befestigen und sie in kleinen Zwischenräumen in die Spalte hinabzulassen, wo diese am tiefsten war. Die Schnüre arrangierten wir so, daß sie an einer langen Spiere lose festgemacht bis zu dem mittelsten Fasse hinabliefen und eine gute halbe Stunde brannten, ehe sie das Pulver erreichten. Wenn dann das Faß explodierte, mußten so gut wie gleichzeitig auch die andern sich entzünden.

Dann liefen wir schleunigst zurück hinter das Schiff bis an den Rand des Blockes, in dem es fest saß, und ich erwartete die Minuten zählend mit fieberhaftem Herzklopfen den Erfolg meines Planes. Würde er gelingen und den Block absprengen, oder auch zugleich das Schiff zerschmettern oder schwer beschädigen?

Nun, die Würfel waren gefallen, rückgängig ließ sich nichts mehr machen; es mußte gewagt werden.

Genau, wie wir die Zündschnur berechnet, erfolgte nach einer halben Stunde die Explosion, alle Fässer zugleich. Sie war ganz furchtbar, wie der Donner von Hunderten schwerer Geschütze; große und kleine Eisblöcke und Splitter verfinsterten die Luft, und der Pulverdampf strömte in mächtigen Wolken aus der Spalte nach oben. Es war ein Glück, daß wir uns auf das Eis niedergelegt hatten, sonst wären wir von dem gewaltigen Luftdruck glatt in das Meer, an dessen Rande wir uns befanden, geschleudert worden, und ebenso wurde das Schiff vor schwerer Beschädigung dadurch gerettet, daß nur seine beiden dünnen Stengen über die Vertiefung, in der es lag, hinausragten.

Als wir keine weitere Explosion mehr fürchten zu müssen glaubten, gingen wir an die Spalte, aber welche Enttäuschung harrte meiner! Ich hatte mir ganz andere Erfolge vorgestellt, fand jedoch, hauptsächlich den Riß nur oben erweitert, während von einem Tiefergehen nach unten nichts zu bemerken war. Das Experiment war mißlungen; wir saßen fest wie früher, und meine Hoffnung auf Erlösung war zu Grabe getragen.

Ein bitteres Gefühl beschlich mein Herz, und ich war tief unglücklich, namentlich bei der Aussicht, mit meinem Gefährten, den ich, seit ich gestern seinen eigentlichen Charakter erkannte, aus tiefster Seele haßte, noch weiter leben zu müssen.

Ich begab mich wortlos an Bord, gefolgt von dem ebenfalls schweigsamen Piraten. Ich bereitete das Abendessen, und wir nahmen dasselbe zu uns, ohne miteinander zu sprechen, aber ich bemerkte, wie ein tückischer Ausdruck auf seinen Zügen lag. Er trank wieder eine Masse Rum wie am vorigen Tage, seine kleinen Augen funkelten, und noch nie war er mir so unheimlich erschienen wie jetzt.

Ich erwartete jeden Augenblick, daß er über mich herfallen und mich ermorden würde. Er war größer und stärker als ich, wenngleich ich mehr jugendliche Gewandtheit besaß. Unbemerkt steckte ich eins der spitzen Tischmesser in meinen Gürtel, um nicht unvorbereitet auf einen plötzlichen Angriff zu sein.

Er begann jetzt zu sprechen, aber nur um mich in roher Weise über meinen verunglückten Sprengungsplan auf das gröbste zu verhöhnen. Offenbar war er angetrunken, und um ihn nicht noch mehr zu reizen, schwieg ich zuerst. Als er dann aber immer ausfallender wurde und in gemeinster Weise auf die Engländer schmähte, da er mich für einen solchen hielt, lief mir die Galle über. Kochend vor Wut sprang ich auf mit dem Messer in der Hand und trat einige Schritte auf ihn zu. »Halten Sie ein jetzt«, donnerte ich ihm zu, »sonst giebt es ein Unglück. Bis jetzt habe ich auf ihre Unflätereien geschwiegen, Sie elender Pirat und hundertfacher Mörder; Sie haben wohl geglaubt, ich sei mutlos, aber da irren Sie sich gewaltig; kommt noch ein verletzendes Wort aus Ihrem Munde, dann sitzt Ihnen dies Messer bis zum Heft im Herzen, und ich thue dann, was ich schon gestern hätte thun sollen, ich werfe Sie über Bord in die Eisspalte zu Ihrem Kameraden, so wahr ein Gott im Himmel lebt!«

Ich trat noch einen Schritt näher an die Bank, auf der er saß. Da wechselte plötzlich der Ausdruck in seinen Zügen, und in seinem Blicke sprach sich offenbare Angst aus. Entweder war er bei aller seiner Schlechtigkeit ein elender Feigling, oder es war eine List, und ich mußte auf meiner Hut sein. Sehr bald sollte ich jedoch eines andern belehrt werden.

Die Augen starr auf mich gerichtet, rückte er, ohne sich zu erheben, rückwärts auf der Bank von mir fort, bis er plötzlich das Ende derselben erreicht hatte, darüber hinweg hinfiel, mit dem Kopfe scharf auf das Deck schlug und dann liegen blieb. Immer noch glaubte ich, er spiele mir eine Komödie vor, um mich sicher zu machen und dann plötzlich über mich herzufallen, aber als ich vergebens fünf Minuten auf sein Aufstehen gewartet, kam es mir doch so vor, als sei er wirklich von dem Sturze betäubt, und ich leuchtete ihm mit der Laterne in das Gesicht.

Er lag mit offenen Augen da, aber sie blickten mich jetzt nur wie mitleidflehend an, und in seinen Gesichtszügen war eine solche Veränderung vorgegangen, daß ich vor Staunen starr war. Sie erschienen plötzlich um 50 Jahre gealtert.

»Ich fühle mich sehr elend«, sagte er, mit matter veränderter Stimme, »und mich friert, geben Sie mir etwas heißen Rum«. Er erschien mir wirklich krank, der Fall auf den Kopf mußte ihm sehr geschadet haben, und jedenfalls war ich überzeugt, daß er gegenwärtig unschädlich sei und ich nichts von ihm zu fürchten habe. Ich hielt es aber doch für nötig, ihm nochmals anzudrohen, daß ich mir kein Gewissen daraus machen würde, ihn niederzuschlagen, sobald er mich noch mit einem Worte verletzte.

Er kauerte sich zusammen wie ein Hund, der die Peitsche fürchtet. Ich reichte ihm einen Napf mit heißem Rum und er trank ihn gierig bis zum letzten Tropfen aus. Trotzdem klagte er über Kälte; ich sagte ihm, er möge sich zur Koje legen, und er versuchte auch aufzustehen, aber es gebrach ihm an Kraft dazu und er fiel immer wieder zurück. Das war nichts Gemachtes, sondern wirkliche Schwäche, und ich empfand nun ein gewisses Mitleid mit ihm. Da er mir zu schwer war, um ihn in seine Kammer zu tragen, holte ich Matratzen und Decken und bettete ihn so warm wie möglich auf dem Fußboden.

Ich bereitete mein Abendessen und saß eine Pfeife rauchend vor dem Herde, als ich auf einmal durch einen Stoß emporgeschreckt wurde, der das ganze Schiff heftig erschütterte, während es gleichzeitig im Eise krachte und knatterte. Ich stürzte an Deck, um nach der Ursache zu forschen. Es war ganz windstill und noch hell genug, um alles deutlich zu unterscheiden. Ein sonderbares Geräusch wie ein Glucksen und Knirschen vor dem nach dem Eisfelde zugekehrten Bug schlug an mein Ohr, und ich eilte dorthin. Ein freudiger Schreck durchzuckte mich, als ich sah, daß die tiefe Eisspalte, in die ich den andern Piraten hinabgeworfen, sich mindestens um das zehnfache verbreitert hatte und mit Wasser gefüllt war, aus dem von Zeit zu Zeit größere und kleinere Eisstücke von unten an die Oberfläche emporschossen, die jenes Geräusch verursachten. Gleichzeitig bemerkte ich auch, daß der Schuner, dessen Bug früher etwas schräg nach oben gerichtet war, jetzt auf ebenem Kiel lag. Das Eis unter seinem Vorderteil mußte fortgebrochen sein, und so erklärte sich der Stoß. Mein Experiment mit dem Pulver hatte also doch Erfolg gehabt. Wie glücklich ich darüber war, kann man sich denken, aber da es in dem Block noch immer weiter krachte, wagte ich nicht das Schiff zu verlassen und nach der großen Spalte zu sehen, in der wir das Pulver versenkt hatten. Vielleicht konnte hinter mir eine neue Spalte entstehen und ich war dann abgeschnitten. Daß meine Freude trotzdem nicht frei von Sorgen war, ist erklärlich. Drohte doch die beständige Gefahr, daß das Schiff schwer beschädigt und leck werden konnte. Schon durch jenen Stoß mochte letzteres der Fall gewesen sein und es drängte mich, mich davon zu überzeugen. Da die Pumpen voll Eis waren und ich deshalb in ihnen den Wasserstand im Schiffe nicht messen konnte, eilte ich vorn in das Zwischendeck, öffnete die Luke und stieg in die Pik hinab, fand aber dort zu meiner großen Beruhigung alles knochentrocken.

Das Krachen im Eise hörte jetzt auch allmählich auf, und nach einer halben Stunde war alles still. Ich begab mich nun wieder nach unten; der Spanier lag genau so, wie ich ihn hingelegt, und seine Atemzüge verrieten tiefen Schlaf.

Nach dem Abendessen wurde auch ich müde, legte mich zur Koje und schlummerte bald ein. Zwar wurde ich in der Nacht einige Male wieder durch Krachen geweckt, da ich aber keine Erschütterung des Schiffes verspürte, ließ ich es mich nicht weiter anfechten.

Mit Tagesanbruch bewog mich jedoch eine sonderbare Bewegung des Schiffes schleunigst aufzuspringen, mit der ein lautes Klatschen auf Deck verbunden war. Ich stürzte die Treppe hinauf, aber wer beschreibt meine Freude und mein Staunen, als ich meinen sehnlichsten Wunsch erfüllt, den Block, in dem der Schuner saß, von der Insel frei und diese etwa ein halbe Meile entfernt sah. »Gott sei ewig Dank«, rief ich aus innerstem Herzen, aber sehr bald drückte mich der Blick in die nächste Zukunft doch wieder sehr nieder.

Die Gefahr war noch keineswegs beseitigt. Das Eisbett des Schiffes war ganz bedeutend kleiner geworden als vor der Sprengung, kaum hundert Schritt im Umfange; ein Südwestwind hatte sich aufgemacht und trieb zugleich mit der Strömung den Block mit ziemlicher Fahrt nach Norden, wie ich es nur wünschen konnte, während der Bug sich bereits im offenen Wasser befand und die Dünung durch diese Öffnung Spritzer über das Vordeck sandte, aber je weiter ich in wärmeres Wasser kam, desto eher mußte das Eis unten schmelzen, und je leichter konnte der Block mit dem Gewicht des Schiffes darauf kentern; dann war ich allerdings verloren. Indessen war ich machtlos, mußte mich in mein Schicksal ergeben und konnte nur die Hoffnung hegen, nach so vielen grausen Gefahren auch diese glücklich zu überstehen.

Ich ging in die Kajüte, um mein Frühstück zu bereiten. Als ich das Feuer angemacht, sah ich nach dem Spanier. Er lag noch mit offenen Augen, aber wie sah er aus! Backen und Schläfe eingefallen, die Unterlippe hängend, die gestern noch so stramme Haut gelb, welk und so voller Runzeln wie zerknittertes Pergament, die Hände dürr und wie vertrocknet und das Ganze wie eine lange im Grabe gelegene Leiche. Auf das heftigste erschreckt durch diese unerklärliche Veränderung, glaubte ich nicht anders, als er sei tot oder er läge im Sterben.

»Wie geht es Ihnen?«, rief ich ihm zu. Ich stand nahe vor ihm und das Licht der Laterne fiel ihm in das Gesicht, aber trotzdem suchten seine Augen nach mir. »Schlecht, sehr schlecht,« flüsterte er mit gebrochener Stimme, »aber wo sind Sie?« »Hier stehe ich ja vor Ihnen!« erwiderte ich. »Heilige Mutter Gottes!« kam es jetzt aus seinem Munde, »ich bin blind, alles ist stockfinster um mich, und ich fühle, daß ich sterben muß. Oh, alle ihr Heiligen, noch nicht, noch nicht, laßt mich noch leben, ich muß erst meine schweren Sünden bereuen. Barmherziger Gott, nur noch eine kleine Weile laß mich hier, um mein Gewissen zu erleichtern. Nein, nein,« schrie er fast, »ich will noch nicht sterben.« Dann sank die Stimme zu einem undeutlichen Gemurmel herab, aus denen ich nur einzelne Worte, »Jesus, Maria, Joseph«, heraushörte.

Ich schauderte. Nun es ans Sterben ging, klammerte sich dieser Elende, der in seinem Leben vor keiner Sünde und auch dem scheußlichsten Verbrechen nicht zurückgescheut, an Gott und die Heiligen, um seine belastete Seele zu retten!

Daß er es nicht mehr lange machen würde, war klar ersichtlich und ich sehr froh darüber. Tausendmal lieber wieder allein, als mit einem solchen Menschen noch länger zusammenleben.

Nachdem ich gegessen und mich genügend erwärmt, ging ich wieder an Deck. Die Aussicht hatte sich verändert; die Sonne war verschwunden, die Brise aufgefrischt, und dichtes Schneegestöber erfüllte die Luft. Als es nach etwa einer Stunde aufklarte, wurde ich aufs neue von einem Todesschreck erfaßt. Rechts voraus kam ein ziemlich großer Eisberg in Sicht. Er war kaum vier- bis fünfhundert Schritt entfernt, wir trieben genau auf ihn zu, und ich war völlig außer stande, dagegen etwas zu thun. Er war etwa so hoch wie unsere Masten und hatte oben eine etwas schräg überfallende Kuppe. Stießen wir zusammen, dann war ich unbedingt verloren. Nun, ich hatte bereits dem Tode so oft in das Gesicht geschaut, daß ich mich in mein Schicksal ergab und ziemlich gefaßt dasselbe erwartete. Lange konnte es ja nicht mehr währen, und dann war ich von meinen Leiden erlöst.

Minute auf Minute verstrich, und wir kamen immer näher, dann erfolgte mit furchtbarem Krach der Zusammenstoß; der Schuner holte tief nach Steuerbord über, und schon glaubte ich ihn im Sinken und meine Stunde gekommen, doch dann richtete er sich wieder auf und schwankte auf seinem Eislager hin und her, nur daß der Eiswall an Steuerbord vom Schiffe losgebrochen auf dem Wasser schwamm. Der Berg mußte unter Wasser eine vorstreckende Fläche gehabt haben, die dies bewirkte, während durch die Erschütterung seine eigene hohe Kuppe abgebrochen, aber glücklicherweise nach der anderen Seite gefallen war.

Ich atmete tief auf; so war ich denn abermals vor einer grausen Gefahr bewahrt worden. Eine etwa fußdicke Eiskruste haftete zwar noch an der Steuerbordseite des Schiffes, aber sonst war diese frei. Die Wand an Backbord saß noch fest, aber sie war viel niedriger und meine Angst vor Kentern bedeutend mehr geschwunden. Ich eilte nun wieder in die Pik vorn, aber das Schiff war trocken wie vorher. Es lag jetzt vorn weit niedriger, als hinten; wenn es leck geworden wäre, hätte sich das Wasser vorn sammeln müssen; die Katastrophe hatte ihm also nichts geschadet.

Am Horizonte sah ich noch mehr Eisberge auftauchen; wenn ich mich nicht anderen Zusammenstößen aussetzen wollte, mußte ich das Schiff steuern können. Das Ruder selbst war frei von Eis, aber die Fingerlinge so eingefroren, daß es sich mit meinen Kräften nicht bewegen ließ. Mir kam ein Gedanke; ich machte auf dem Herde so viel kochendes Wasser wie möglich und goß es in dauerndem Strome durch den Koker auf die Fingerlinge.

Vorher hatte ich einen Flaschenzug an dem Ende der Ruderpinne angehakt. Als ich mit dem heißen Wasser zu Ende war, riß ich mit aller Kraft an jenem. Plötzlich stürzte ich rücklings auf Deck, der Flaschenzug hatte nachgegeben. Das Ruder war los und ich konnte es bequem bewegen. Ich legte es nach einer Seite über, und das Schiff mit dem Eise folgte langsam. Mir fiel ein Stein vom Herzen; abermals war eine schwere Gefahr beseitigt, ich konnte andern Bergen ausweichen.

Als ich wieder in die Kajüte kam und nach dem Spanier sah, lag er steif und starr da; er war tot, sein Flehen zu den Heiligen hatte nichts geholfen, und fluchbeladen war er zur Hölle gefahren.

Aber wie wunderbar war die in den letzten vierundzwanzig Stunden mit ihm vorgegangene unbegreifliche Veränderung! Nach langem Nachdenken fand ich nur eine Erklärung dafür. Als er erfroren war, mochte er fünfzig bis sechzig Jahre alt sein, und als ich dann seine schlummernden Lebensgeister erweckte, waren sie in derselben Weise wie damals wieder aufgeflammt für eine kurze Weile. Inzwischen waren aber seitdem fünfzig Jahre verflossen, er jetzt hundert alt, und die Zeit hatte ihr Recht geltend gemacht, dasselbe von ihm gefordert, und zwar so schnell wie möglich. Das war die einzige mögliche Erklärung für den merkwürdigen Fall, und noch heute bin ich der festen Überzeugung, daß es auch die einzig richtige war.

Ich machte nicht viel Umstände mit der Leiche, hob sie auf – sie war federleicht – und warf sie über Bord. Bald war sie meinen Blicken entschwunden.

Nun war ich allein Herr des Schuners und der Riesenschätze, die er in sich barg, aber trotzdem kamen mir wieder schwere Gedanken. Wenn ich auch wirklich glücklich wieder mit Menschen zusammentraf, würde man meine Erlebnisse mir glauben? Würde man nicht an den auf Deck stehenden Kanonen, den vielen Handwaffen und sonstigen Einrichtungen den Piraten, den Schatz als geraubtes Gut erkennen, fortnehmen und mich nach unendlichen Fährlichkeiten so arm wie eine Kirchenmaus zurücklassen?

Der Südwestwind hielt an mit ziemlicher Stärke, und ich sah, wie das Schiff immer mehr Fahrt nach Norden machte und von Tag zu Tag das Backbordeis mehr abbröckelte, wobei der Seegang helfend förderte. Ich begegnete noch einigen Eisbergen, konnte ihnen aber ausweichen, die Luft wurde allmählich milder, und so wuchs von Tag zu Tag meine Hoffnung, bald in die Fahrstraße anderer Schiffe zu kommen. Es gelang mir, das vordere Schratsegel los zu machen und zu setzen. Dadurch beschleunigte ich nicht nur die Fahrt, sondern machte auch die freudige Entdeckung, daß das Schiff mit ihm beinahe von selbst steuerte und auf dem gegebenen Nordkurse liegen blieb. Dadurch war es mir bei der gleichmäßigen Brise möglich, das Ruder zeitweise, ja mehrere Stunden lang sich selbst zu überlassen, mir meine Mahlzeiten zu kochen und in Absätzen zu schlafen, da ich es sonst unmöglich hätte aushalten können.

Am sechsten Tage nach dieser Fahrt, auf der ich nach meiner Schätzung ungefähr neunzig bis hundert Meilen zurückgelegt hatte, schlug endlich die Stunde meiner Erlösung. Das Eis an Backbord war inzwischen so weit abgebröckelt, daß nur noch eine etwa drei Fuß dicke Schicht am Schiffe festsaß, während letzteres sonst überall frei war.

Da sah ich einen fremden Segler am Horizont auftauchen, der in schrägem Kurs auf mich zukam. Nun, ich brauche niemand zu sagen, wie mir bei dieser Entdeckung zu Mute war, vor freudiger Aufregung zitterte ich am ganzen Körper; so durfte ich denn hoffen, daß meinen Ängsten und Nöten ein Ziel gesetzt werde.

Bald wuchs das Unterschiff aus dem Wasser auf. Ich machte mit einer zusammengebundenen Flagge ein Notsignal, das auch bald bemerkt wurde. Der Fremde drehte in der Nähe bei und setzte ein Boot aus, das auf mich zuruderte. Ich stand an der Verschanzung an Steuerbord und winkte ihm zu.

Da schreckte mich ein Knall, der von Backbord herkam. Als ich hinüber eilte, sah ich, daß die letzte Eisschicht, die noch an dieser Seite haftete, abgesprungen war, ohne mir im ersten Augenblick darüber Gedanken zu machen, daß dies mit einem so heftigen Laut geschehen. Als das Eis sich jedoch im Wasser umwälzte, bemerkte ich an seiner unteren Fläche ein großes schwarzes Stück Holz, und mir stand das Herz still, als ich jetzt zugleich ein Rauschen im Schiffe vernahm. Das Eis hatte eine Bodenplanke mitgenommen, und durch die gewaltige Öffnung drang die See unaufhaltsam in das Schiff, das zusehends sank. In diesem Augenblicke legte das fremde Boot an, ich hatte gerade noch Zeit, hineinzuspringen und den Leuten zuzurufen: »Fort, fort aus dem Sog, das Schiff sinkt!« da tauchte auch schon sein Bug unter Wasser, und nach einigen Minuten verschwand es in der Tiefe. Das war das Ende meiner unglücklichen Fahrt! Ich war gerettet, aber von allen Schätzen, die der Piratenschuner in sich barg, war mir nichts geblieben, als die Kleidung, in der ich stand, die goldene mit Brillanten besetzte Uhr und die Tabaksdose, die ich bei mir trug.«

»Sechs Glas! Ruder und Posten verfangen, Loggen!« Diese Kommandos unterbrachen Jan Kräft's Erzählung, der auch ich mit großem Interesse gelauscht. Die zur Ablösung bestimmten Leute sprangen auf, nur Jan, der nicht dabei beteiligt war, blieb sitzen.

Ich trat näher und fragte ihn, ob er die beiden Gegenstände noch besitze. »Leider nein,« erwiderte er. »Der Engländer, der mich aufgefischt, brachte mich zwar glücklich nach seinem Lande, aber da ich ganz mittellos war, mußte ich beides verkaufen, und wenn der Kapitän nicht glücklicherweise für mich eingestanden hätte, wäre ich wegen Diebstahlsverdacht noch obenein eingesteckt. Aber ein Andenken habe ich mir doch noch bewahrt. Ich wollte die Dose nur verkaufen, wenn ich dafür eine andere von derselben Form erhielte.« Er zeigte sie mir. »Sehen Sie, das ist sie, sie gleicht der anderen auf ein Haar, und das Schiff hier auf dem Deckel ist dem Piratenschuner, auf dem ich so schreckliche Tage verlebt, so ähnlich wie ein Ei dem andern.«

Ich nahm die länglich aus Messing geformte Dose und sah sie näher an. Sie stammte aus dem vorigen Jahrhundert, war holländisches Fabrikat, und ich bin selbst später in den Besitz von zwei solchen gekommen, auf deren Deckeln Schlachten Friedrichs des Großen verherrlicht waren.

»Jan,« sagte ich, indem ich ihm die Dose zurückreichte, »Sie haben wirklich viel Wunderbares erlebt, was Ihnen so leicht keiner nachmacht. Das Wunderbarste ist aber, daß Sie den fünfzig Jahre lang gefrorenen Seeräuber wieder zum Leben brachten, und ich kann mit Ihnen seinen schnellen Verfall und Tod nur damit erklären, daß die fünfzig Jahre an ihm ihr Recht geltend machten, nachdem der heiße Rum seine Kräfte für vierundzwanzig Stunden aufgestachelt hatte.

Die Geschichte ist aber so außerordentlich merkwürdig, und dergleichen passiert so selten, daß ich sie doch aufschreiben will, damit sich doch auch andere Menschen daran erbauen.

Gute Nacht, Jan,« damit reichte ich ihm die Hand.

»Gute Nacht, Herr Leutnant,« erwiderte er, indem sich ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht stahl. Er wußte, was er trotz meines Ernstes von meinen Worten zu halten hatte, aber bei den Kameraden war er durch seine Erzählung in deren Achtung wieder bedeutend gestiegen. Sie glaubten jedes Wort, und namentlich imponierte ihnen die Dose.

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