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Walfischfang.

Welchen hohen Respekt der alte Horaz seiner Zeit vor den Seeleuten gehabt hat, geht aus einer seiner Oden hervor, in der er sagt, daß die Brust desjenigen mit dreifachem Erz umgürtet gewesen sein müsse, der es zuerst gewagt, sich in schwankendem Fahrzeuge dem blauen Wasser anzuvertrauen. In welchen Dithyramben würde er aber wohl die Kühnheit desjenigen besungen haben, der sich zuerst unterfing, den Leviathan des Meeres, den Walfisch zu jagen und zu töten, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, einem solchen Schauspiele als Augenzeuge beizuwohnen, wie ein günstiger Zufall es mir einst selbst gestattete.

Ja, in der That, eine solche Jagd ist großartig, und wenn sie auch nicht durch irgend welche Gefühle edlerer Art veranlaßt wird, sondern Hoffnung auf Gewinn die einzige Triebfeder ist, ihren Gefahren zu trotzen, bleibt sie immer eine Thatsache, welche den Mannesmut, die Geschicklichkeit des Menschen und seine Geistesgegenwart auf die höchste Probe stellt und den glänzenden Beweis liefert, daß Intelligenz auch die gewaltigste rohe Kraft zu besiegen weiß.

In unseren nordischen Meeren jenseits des Polarkreises ist die Walfischjagd seit mehreren Jahrhunderten ausgeübt worden und hat ihren Unternehmern früher große Schätze abgeworfen. Auch Deutschland war dabei beteiligt, aber die ununterbrochene Verfolgung der Tiere, welche jedes Jahr nur ein Junges zur Welt bringen und sehr langsam wachsen, hat ihre unerschöpflich scheinende Zahl im Laufe der Zeit sowohl außerordentlich vermindert, als sie aus den grönländischen Gewässern vertrieben, und seit 50-60 Jahren ist der Fang so wenig ergiebig gewesen, daß wenigstens deutsche Schiffe ihm aufgaben, eine Zeit lang noch den Robbenschlag betrieben, dann aber allmählich auch diesen als nicht lohnend einstellten. In Glückstadt, von wo aus seiner Zeit der Walfang am eifrigsten betrieben wurde, und an einigen andern Orten unserer Küste sieht man noch mächtige Walfischrippen als Trophäen in der Nähe des Hafens aufgepflanzt, aber bald werden auch sie verwittern und vermorscht zusammenbrechen und damit die Erinnerung an eine dereinstige reiche Erwerbsquelle gänzlich erlöschen.

Andere Nationen mit mehr Unternehmungsgeist als wir sind diesem Beispiele freilich nicht gefolgt und haben sich gut dabei gestanden. Den im Norden vertriebenen Fisch suchten sie anderwärts auf, und namentlich waren es die Nordamerikaner, welche die verschiedenen Ozeane bis in die entlegensten Teile durchfurchten, um neue Jagdgründe aufzufinden, und damit außerordentliche Erfolge erzielten.

In der Mitte der dreißiger Jahre hatte der Fang seinen Höhepunkt erreicht und 1837 warf er allein für die amerikanischen Schiffe einen Ertrag von 201 718 Hektoliter Thran im Werte von 17½ Millionen Mark ab. 1842 kreuzte eine Flotte von nicht weniger als 882 Walfischfängern in den südlichen Meeren, und von ihnen waren 652 in Nordamerika beheimatet.

Aber diese rücksichtslose Verfolgung zeitigte bald ganz ähnliche Resultate, wie im nördlichen Eismeere. Die Wale wurden in einer Weise dezimiert, daß bereits in den siebziger Jahren der Indische Ocean von ihnen fast entvölkert war und 1880 kein Amerikaner mehr dort jagte. Gegenwärtig übersteigt die Zahl der Walfischfänger aller Nationen kaum zweihundert, welche im Stillen Meere, in den chinesischen und japanischen Gewässern oder bei Neu-Holland fischen, und wenn sie nicht besonders von Glück begünstigt werden, so gebrauchen sie drei bis vier Jahre, um ihr Schiff mit Thran zu füllen, so daß tut Verhältnis zu den Kosten einer so langen Reise der Gewinn nur ein mäßiger ist.

Unter den vielen Abarten der Wale sind es hauptsächlich zwei, auf welche man wegen ihres reichen Thrangehaltes am meisten Jagd macht; der Südwal, welcher mit dem grönländischen die meiste Ähnlichkeit hat, wahrscheinlich mit ihm identisch und vor seinen Verfolgern hierher geflüchtet ist, und der Potwal, ersterer mit Barten, letzterer mit Zähnen im Unterkiefer ausgestattet.

Außerdem giebt es noch zwei größere Arten, den Buckelwal, so genannt von einer dicken Rückenflosse, und den Finnwal, dessen Rückenflosse sichelartig geformt ist. Sie werden aber selten oder nie gejagt, weil beide so wilde, gewaltsame und unregelmäßige Bewegungen haben, daß ihr Fang mit der Harpune fast stets mißlingt, sie auch mit der in neuerer Zeit üblich gewordenen und geschossenen Bombenlanze schwer erreichbar sind und der Finnwal durch seinen sehr geringen Speckgehalt die aufgewandte Mühe nicht lohnt.

Die Jagd des Südwal ist die am wenigsten gefährliche. Allerdings kann es vorkommen, daß ein Schwanzschlag des verwundeten Tieres das angreifende Boot zerschmettert, wenn dasselbe nicht geschickt genug geführt wird, aber im allgemeinen ist der Südwal furchtsam und sucht nur zu entfliehen.

Der Potwal dagegen ist ein gar wütender Geselle. Sehr häufig wird er nach der Verwundung selbst zum Angreifer, beißt mit seinem furchtbaren Rachen Boote halb durch, ergreift die dabei über Bord Gefallenen und taucht mit ihnen in die Tiefe. Ja, es fehlt nicht an Beispielen, daß ganze Schiffe seiner entfesselten Wut zum Opfer gefallen sind, indem er mit solcher Gewalt nicht einmal, sondern in Zwischenräumen mehrmals gegen sie anrannte, daß er ihre Planken zerschmetterte und sie in die Tiefe versenkte.

Bei seiner Verfolgung müssen die Boote sehr auf ihrer Hut, die Besatzungen sehr eingeübt sein und der Bootsteurer kaltes Blut besitzen, um rechtzeitig dem rasenden Tiere auszuweichen und dennoch ihm so nahe zu bleiben, daß der Harpunier ihm mit der Lanze den tödlichen Stich in die Lunge versetzen kann.

Man kann sich deshalb eine Vorstellung davon machen, in welche gewaltige Aufregung eine solche Jagd sowohl die Beteiligten wie etwaige Zuschauer versetzen muß, bei der todbringende Gefahr und die Romantik des Oceans sich eng miteinander verknüpfen und man in atemloser Spannung den Ausgang erwartet.

Wie ich bereits oben bemerkte, verschaffte mir ein günstiger Zufall die Gelegenheit, in der Nähe einem solchen Kampfe beizuwohnen und dabei auch manches andere über den Fang und die noch wenig bekannte Naturgeschichte der Waltiere zu erfahren, was auch für den Leser von Interesse sein dürfte.

In den vierziger Jahren befand ich mich auf einer Reise von Ostindien heimwärts. Wir standen auf der Höhe der Straße von Mozambique, als die frische Brise, welche uns bis dahin begleitet hatte, nachließ, die See sich glättete und das Schiff mit den eben vollstehenden Segeln nur noch mit wenig Fahrt durch das ruhige Wasser schlich.

Nachts auf der Mittelwache wurde voraus ein Feuerschein gemeldet. Wir waren so weit vom Land, daß ein Leuchtturm nicht in Frage kam, es blieb deshalb nur die Annahme übrig, daß es ein brennendes Schiff sei. Natürlich erregte uns dies im höchsten Grade, aber unser Staunen sollte noch mehr wachsen, als etwa eine halbe Stunde später sich ein zweiter Feuerschein, wenn auch schwächer, am Himmel abzeichnete. Wir vermochten uns das gar nicht zu erklären, da jedoch die Brise etwas auffrischte, liefen wir schnell heran, und bald ergaben die Nachtfernrohre, daß das zuerst gesehene wirklich ein brennendes Schiff war, dessen Form und Bemastung jetzt immer deutlicher und von der bald niedrigen bald höher lohenden Flamme beleuchtet sich vom Dunkel der Nacht abhob. Jetzt konnte man auch Menschen auf dem Deck unterscheiden, die um das Feuer beschäftigt waren, aber im ersten Augenblicke machte es uns ganz verwirrt, daß trotz des mächtigen Brandes keinerlei Unruhe unter der gefährdeten Mannschaft zu herrschen schien, bis endlich unser Kapitän lachend ausrief: »Keine Sorge, es ist ein Südseemann, der Thran kocht.«

Und so verhielt es sich in der That, während bei Tagesanbruch einige Meilen weit der zweite in Sicht kam.

Wenn Schiffe sich auf dem Ocean begegnen, so ist das für beide Teile stets ein Ereignis und eine willkommene Unterbrechung der von einer langen Reise untrennbaren trübseligen Eintönigkeit, wenn es sich dabei auch nur um einen Flaggengruß handeln sollte. Bei schönem Wetter werden jedoch auch öfter Besuche ausgetauscht, und das war auch die Absicht unseres Kapitäns, da es inzwischen ganz windstill geworden und wir kaum ein paar tausend Schritt von dem Fremden entfernt waren. Unser Boot lag schon längsseit im Wasser, als wir auf dem Amerikaner plötzlich einen Schrei vernahmen, der das ganze Schiff in Aufruhr zu setzen schien. Alles auf ihm stürmte wild durcheinander, alle Boote gingen fast gleichzeitig von ihren Krähnen nieder und nach wenigen Minuten begann eine rasende Jagd und zwar grade auf unser Schiff los. Zuerst machte uns dies ganz verblüfft, es war, als ob man einen Angriff auf uns beabsichtigte – aber bald erkannten wir an den wiederholten Rufen und Armbewegungen eines oben im Vortopp stehenden Mannes, daß es sich um Walfische handelte, die in der Richtung unseres Schiffes gesehen sein mußten und zu deren Verfolgung sich die Boote anschickten.

Hui! wie diese durch das Wasser stürmten, daß der weiße Gischt nach allen Seiten stob. Die Leute gaben ihre ganze Kraft aus, die schlanken schweren Riemen bogen sich unter ihrer gewaltigen Muskelkraft, und ermunternde Zurufe der Bootssteurer spornten die Ruderer zum Äußersten an.

Die Fahrzeuge kamen ganz nahe bei unserm Schiffe vorbei, aber was war das für eine sonderbare Gesellschaft, die wir in ihnen erblickten! Sie sahen nicht aus wie ordentliche Seeleute, sondern eher wie eine Räuberbande, aus dem Abhub aller Nationen zusammengewürfelt, mit verwahrlosten, hundertfach geflickten Kleidern, ungepflegten Haaren und Bart, Neger, Mulatten, Indianer, Halbblut, Weiße, ungewaschen und ungekämmt, alles durcheinander, und von oben bis unten von Thran triefend.

Wir bekamen einen ordentlichen Schreck, als wir diese wilde Bande an uns vorübersausen sahen, und waren nicht wenig erstaunt, als die einzige Ausnahme von der Sippschaft, einen Mann zu entdecken, dem man den tüchtigen Matrosen auf den ersten Blick ansah, dessen reinliche Kleidung auch vorteilhaft von den übrigen abstach, und der uns zunickend einen freundlichen Gruß herüberrief. Ein Deutscher – wie kam er unter diese verwahrloste Bande?

Das mochten mutige verwegene Gesellen, ausgezeichnete Ruderer und gewandte Harpuniere sein, aber was wir unter Seeleuten verstanden, das waren sie nicht, das verriet uns eilt Blick auf sie.

Doch andere Gedanken fesselten uns. Wir enterten sämtlich in die Toppen, um den Verlauf der Jagd besser zu überschauen, und prächtiger konnte sie sich für uns nicht gestalten. Kaum waren wir oben, als wir einen der Bootsteurer bei der stillen Luft rufen hörten: »Dort bläst er, da, da, da! Hurra, Jungens, das giebt einen guten Fang, es ist eine ganze Schule Potwale. Aber jetzt »fest rudern« und »stille«, sie kommen gerade auf uns zu!«

Wie durch Zauber flogen die Riemen aus dem Wasser, schwebten wagerecht über demselben, und die Boote liefen sich geräuschlos aus.

Die Herde von sechs bis sieben Stück war kaum fünfhundert Schritt von uns entfernt. Sie schien keine Ahnung von der drohenden Gefahr zu haben und zog in großem Kreise langsam durch das Wasser, bei dessen Durchsichtigkeit wir von unserm hohen Standpunkte aus ihre ungeschlachten Formen deutlich unterscheiden konnten.

Jetzt zeigte sich ein gewaltiger Rücken, dann ein Kopf, ihnen folgten andere, und wie fernrollender Donner bliesen sie die verbrauchte Luft als Nebelfontänen gen Himmel, um darnach wieder zu tauchen.

Die inzwischen still liegenden Boote setzten sich von neuem in Bewegung, um beim nächsten Emporkommen der Tiere zur Stelle zu sein, aber sie teilten sich, um womöglich mehrere Fische zu harpunieren.

Etwa tausend Schritt weiter hielten sie wieder mit Rudern inne, die Harpune fertig zum Wurf, aber gespannter konnten die Jäger selbst nicht auf das Emporkommen warten, als wir oben in den Toppen. Fast eine Viertelstunde lang wurde unsere Geduld hart auf die Probe gestellt, da erschien wie eine schwarze Klippe abermals der Rücken eines Wals über Wasser, kaum zwanzig Schritt von dem zunächst liegenden Boote.

Augenblicklich tauchten die Riemen ein; mit ein paar kräftigen Bewegungen des Steuerriemens warf der Bootsteurer das Fahrzeug herum, so daß es von vorn dem Fische entgegenkam, wohin er wegen seiner unten am Rachen sitzenden Augen nicht sehen kann; nach wenigen Sekunden blitzte das Eisen in der Sonne und flog mit tödlicher Sicherheit in den Leib des Riesen.

»Streich, streich!« tönte das Kommando des Harpunieurs; das Boot ging rückwärts und keinen Augenblick zu früh, denn der verwundete Wal stieg mit seiner hintern Hälfte kerzengrade in die Luft, um dann pfeilschnell in die Tiefe zu schießen und dabei mit dem mächtigen Schwanze so gewaltig auf das Wasser zu schlagen, daß es schäumte und brandete, wie auf einem Felsen im Sturm.

Darauf sauste er mit dem Boote von dannen, daß es pfeilschnell durch die Fluten schnob, nachdem man einige hundert Faden Leine ausgesteckt hatte. Jeden Augenblick glaubten wir, es würde unter Wasser verschwinden, aber diese vorzüglich gebauten Fahrzeuge, vorn und hinten spitz und nach oben gebogen, schienen bei solchen Gelegenheiten förmlich über die Wellen zu fliegen.

Indessen war ein anderer Fisch der Herde von zwei Booten gleichzeitig harpuniert, und dasselbe Schauspiel wiederholte sich hier. Auch sie wurden mit glühender Fahrt fortgeschleppt, wenn auch nach anderer Richtung und so weit, daß wir sie kaum zu unterscheiden vermochten.

Die übrigen Wale waren jedoch spurlos verschwunden, und das vierte Boot machte sich deshalb auf, um dem ersten zu Hilfe zu kommen. Dieses wurde anfänglich in grober Linie nordwärts gezogen, dann machte der Fisch aber schnell eine Biegung, lief einige Male in engem Kreise umher, so daß der Bootsteurer sein Fahrzeug kaum in dessen Kielwasser folgen lassen konnte, und nahm darnach seinen Kurs wieder direkt auf unser Schiff. Dabei ließ zugleich seine Fahrt bedeutend nach, ein Zeichen, daß er zum Luftschöpfen bald nach oben kommen mußte.

Im Boote wurde deshalb die Harpunierleine alsbald eingeholt, um ersteres schnell an den Wal zu bringen, und vorn im Bug stand der Harpunier, mit der langgestielten, haarscharf geschliffenen Lanze fertig, um dem Tiere den Todesstreich zu versetzen.

Vielleicht nur drei- bis vierhundert Schritte von unserm Schiffe entfernt trat dieser Kampfmoment ein. Der Wal kam nach oben, das Boot prallte mit seinem Steven gegen dessen Körper, und die Lanze verschwand in diesem, um schnell wieder herausgezogen und nochmals in ihm versenkt zu werden.

Sie hatte gut getroffen. Beim Blasen stieg ein dunkelroter Strahl in die Lüfte, und »Blut, Blut!« hörten mir die Besatzung in wilder Erregung rufen, die sich uns Zuschauern mitteilte, da jetzt in kurzem der Tod eintreten mußte.

Aber sehr bald wurden wir von lähmendem Schrecken erfaßt. In seinem Jagdeifer hatte der Harpunier durch den zweiten Lanzenstich wohl zu viel Zeit verloren, und obwohl die Leute nach dem Kommando »Streich, streich!« ihre Kraft aufs äußerste anstrengten, um rückwärts zu rudern, war es zu spät.

Ein furchtbarer Rachen öffnete sich unmittelbar hinter dem Boot; todesbleich stürzten die Leute nach dem Vorderteile desselben, ein Splittern und Krachen erfolgte und die hintere Hälfte des Fahrzeuges war zerschmettert.

Ein Schrei des Entsetzens entfuhr uns bei dem Anblicke dieser grausigen Katastrophe, und in fieberhafter Hast ließen wir uns an den Tauen an Deck niedergleiten, um dem Befehle unseres Kapitäns zum Bemannen des eigenen Bootes Folge zu leisten, da das andere Boot des Walfischfängers zur Hilfeleistung noch nicht nahe genug heran war.

Die vordere Hälfte des mit Luftkasten versehenen verunglückten Fahrzeugs schwamm zwar noch, die Leute hielten sich außenbords daran fest, und eine unmittelbare Gefahr des Ertrinkens lag nicht vor, aber eine weit schrecklichere erforderte schleunigen Beistand – die Haie. Wo ein Walfisch verwundet ist, da erscheinen sie sofort zu Dutzenden, um ihren Anteil an der Beute zu nehmen und sie oft den Menschen streitig zu machen.

Kanin hatten wir jedoch vom Schiffe abgestoßen, so traf uns ein neuer Schreck – der Todeskamps des Wals. Dicke Blutstrahlen schossen aus dem Blasloch, er wälzte sich im Wasser umher, bald erschienen sein Kopf, bald seine Flossen oder sein Schwanz an der Oberfläche und peitschten dieselbe mit so furchtbarer Gewalt, daß die ganze Luft mit Schaum gefüllt war, als ob Brandung raste. In dem Gischte verschwand das halb zerstörte Boot, und uns stockte der Atem.

Doch nur wenige Minuten dauerte diese schauerliche Agonie; dann wurde das Tier ruhiger, noch ein gewaltiger Schwanzschlag, und es fiel auf die Seite; die eine Flosse ragte in die Lüfte, ein krampfhaftes Zittern lief durch den Körper, der Riese war gefällt.

Wie durch ein Wunder entging das Wrack des Bootes dem sichern Untergang. Durch das Zubeißen des Wals wurde die vordere Hälfte zugleich eine Strecke vorwärts geschoben, und das war seine Rettung gewesen.

In wenigen Minuten befanden wir uns zur Stelle und nahmen die Leute auf, doch keine Freude zeigte sich auf ihren Gesichtern, sondern nur bittere Enttäuschung. Der schwere Kampf war vergebens gewesen, der Wal zwar erlegt, aber dennoch verloren. Er sank immer mehr, und bald war er in der Tiefe verschwunden. Es geschieht das öfter, obwohl die meisten schwimmen bleiben und man keine rechte Erklärung für diese Verschiedenheit hat.

Während dem sahen wir von dem Südseemann noch ein fünftes Boot abstoßen und in der Richtung des zweiten harpunierten Fisches steuern, was unsere Aufmerksamkeit dahin lenkte. Durch das Fernrohr ergab sich, daß der Wal tot war und sich im Schlepptau befand, aber ein Boot fehlte, also auch dort mußte ein Unglück geschehen sein.

Das ursprünglich vierte Boot kehrte ebenfalls zur Hilfeleistung, um und als alle drei nach einigen Stunden mit der Beute anbugsiert kamen, erfuhren wir, daß zwar ein Schwanzschlag das sinkende Fahrzeug zerschmettert hatte, die Mannschaft aber glücklicherweise unverletzt aufgefischt war.

Die Geretteten, unter denen sich auch der erwähnte Deutsche befand, behielten wir bis dahin an Bord, da die Stille noch andauerte. Unser Landsmann, ein intelligenter tüchtiger Seemann, hatte sich aus reinem Übermut und Abenteuerlust auf den Südseemann verheuert und dies auch nur gekonnt, indem er seine Seemannschaft verleugnete. Die Kapitäne wollen gar keine tüchtigen Seeleute als Matrosen haben, sondern ein zusammengerafftes Volk, dem am Lande der Boden zu heiß wird.

Jene halten nämlich das schreckliche Leben an Bord nicht aus und suchen so bald als möglich zu desertieren, da sie im Auslande immer gesucht sind, während Nichtseeleute und namentlich Walfischfänger niemand haben will. Unser neuer Bekannter befand sich seit elf Monaten an Bord, machte aber gar kein Hehl daraus, daß es nicht zum Aushalten sei und er ebenfalls desertieren würde, sobald sich ihm Gelegenheit dazu biete.

Unser Kapitän fuhr dann mit den Geretteten zum Südseemann hinüber, und so bot sich mir Gelegenheit, ihn näher anzusehen. Nun, ein erbaulicher Anblick war das keineswegs, und es konnte kaum einen verwahrlosteren Kasten geben, da auf den Fischgründen außer dem Allernotwendigsten keine Arbeit gemacht wird, um das Schiff in stand zu halten, und die Leute Tag und Nacht für den Fang fertig sein müssen.

Wohin man blickte, starrte alles von Schmutz und triefte von Thran. Auf dem Deck hätte man Schlittschuh laufen können. Das Schlimmste war aber der unerträgliche Gestank, wenigstens für uns, denn die eigene Besatzung war nichts anderes gewöhnt. Der mitschiffs auf Deck aufgemauerte Herd wurde nämlich mit Speckschwarten und Fettabfall geheizt, und man kann sich denken, was das für einen das ganze Schiff verpestenden Geruch gab, während der dicke schwarze Qualm sich überall auf Masten, Segeln u. s. w. ablagerte.

Wahrhaftig, danach war es nicht zu verwundern, wenn anständige Matrosen sich scheuen, auf einem solchen Schiffe zu dienen.

Wir hätten gern das Abspecken des sechzig Fuß langen Pottwals noch mit angesehen, es liefen aber bereits Katzenpfoten über das Wasser, ein Zeichen, daß Wind im Anzuge war, und so blieben wir nur bis der Kopf vom Rumpfe getrennt wurde.

Zu diesem Zwecke wird mit scharfen, spatenähnlichen Instrumenten ein etwa sechs Fuß breites Stück Speck am Halse losgeschnitten, der Haken eines Flaschenzuges in dasselbe geschlagen und das Tau mit der Ankerwinde angezogen. Dann schält sich der Streifen unter steter Nachhilfe der Spaten ab, während der Fisch eine Umdrehung um sich selbst im Wasser macht.

Danach wird ein zweiter solcher Speckring nach hinten zu gelöst, vorher aber der Kopf vermittelst Ketten und sonstiger Vorrichtungen am Schiffe befestigt, so daß er sich an den bloßgelegten Nackenwirbeln von selbst abdreht.

Zunächst wird dann der Unterkiefer abgetrennt und danach die obere Kopfhälfte an Deck geheißt, da in ihrer Schädelhöhle das wertvolle Spermaceti sitzt. Der amerikanische Kapitän schätzte den Thrangehalt des Fanges auf sechzig Faß oder Hektoliter und rechnete auf zehn bis zwölf Zentner Spermaceti.

Jetzt kam flaue Brise durch, und wir nahmen Abschied von dem Yankee. Die Jagd war ja für uns ein hochinteressantes Schauspiel gewesen und hatte es ihr auch nicht an wilder Romantik gefehlt, aber an Bord des Fremden entschwand jeder Schimmer der letzteren, und sie verwandelte sich in brutale Prosa.

Wir waren herzlich froh, als wir wieder reine Luft atmen konnten. Der Wind frischte auf, unser Schiff ging allmählich schneller durch das Wasser, nach einigen Stunden tauchten die Mastspitzen des Südseemanns unter den Horizont, und bald verschwand auch die Rauchwolke seines Thranofens in der Atmosphäre.

Die Gefahren des Fanges, welche wir teilweise mit ansahen, sind jedoch keineswegs die einzigen, welche den Walfischfängern drohen. Oben im Norden waren und sind es die Eisberge, zwischen denen so manche Schiffe zertrümmert wurden und ihre Besatzungen entweder gleichzeitig den Tod fanden, oder dem furchtbaren Schicksale verfielen, auf dem Eise zu verhungern oder zu erfrieren. Unten im Süden ist es, wie ich schon oben erwähnte, verschiedentlich vorgekommen, daß verwundete Pottwale in ihrer Wut die Schiffe anrannten und in den Grund bohrten.

Das in seinen Folgen schrecklichste Beispiel dieser Art bot die amerikanische Brigg »Essex«. Nachdem von einem harpunierten Wale bereits ein Boot zerstört war, kehrte er sich gegen das Schiff selbst und rannte es an. Dies geschah mit solcher Gewalt, daß er einige Minuten wie betäubt still beim Schiff lag, das bereits leck geschlagen war.

Dann entfernte er sich eine Strecke, kam aber mit voller Fahrt zurück, um nochmals das Schiff anzurennen, und stieß eine ganze Planke aus dem Bug. Die Mannschaft flüchtete in die drei unverletzten Boote; es blieb auch noch soviel Zeit, um Proviant, Wasser und einige nautische Instrumente zu bergen – dann aber sank das Schiff, und die Boote waren allein auf dem endlosen Ozean, mitten im Stillen Meere, nahe dem Äquator auf hundertzwanzig Grad westlicher Länge und tausend Seemeilen vom nächsten Lande.

Es ist unglaublich, was die Schiffbrüchigen gelitten haben. Eins der Boote, im Sturm von den übrigen getrennt, blieb verschollen, die beiden anderen trieben drei volle Monate umher. Ein Teil ihrer Besatzungen verfiel dem Wahnsinn, die meisten starben. Von der sechsundzwanzig Köpfe zählenden Besatzung waren drei Mann in dem einen, zwei Unglückliche in dem anderen übrig geblieben, als das erste von einem Walfischfänger, das zweite einige Tage darauf, aber etwa sechzig Meilen davon entfernt, von einem Handelsschiffe aufgefunden und die bereits fast sterbenden Insassen gerettet wurden. Es ist dies ein düsteres Bild aus dem Seeleben, wie es leider in der einen oder anderen Form sich so oft wiederholt.

Auf einer meiner späteren Reisen trafen wir eines Nachmittags im südlichen Indischen Ozean zu unserem größten Staunen ein Boot unter Segel. Wir glaubten natürlich an ein Unglück und hielten darauf zu, fanden aber, daß es einem Südseefahrer angehörte und bei Verfolgung eines Walfisches von demselben abgekommen war.

Es war unsichtige Luft, wehte frisch und sah nach schlechtem Wetter aus. Wir konnten von dem Schiffe nichts sehen, aber die Leute schienen keineswegs ängstlich zu sein. Sie meinten, sie würden es schon wieder finden.

Wir gaben ihnen Speise und Trank, so gut wir es hatten; sie nahmen beides dankbar an, ebenso wie etwas Tabak, lehnten aber weiter angebotene Verproviantierung ab.

Nach etwa halbstündigem Aufenthalte bei uns hörten wir den dumpfen Schall eines Kanonenschusses und sie fuhren in der dadurch angezeigten Richtung ab. Besorgt blickten wir ihnen nach, bis wir sie aus den Augen verloren. Es wurde ganz dick, die Dunkelheit brach an und es fing an zu wehen. Ob sie ihr Schiff wiedergefunden haben oder auch von einem grausen Geschick ereilt sind – wer weiß es?

Bei unserem Zusammensein mit dem Amerikaner und namentlich durch den deutschen Matrosen erfuhren wir noch mancherlei Wissenswertes und wenig Bekanntes über das Leben der Wale. Durch lange Erfahrung wissen die Leute ganz genau, wo die Fische, wenn sie geblasen haben und dann tauchen, wieder aufkommen und nach wie langer Zeit, auch mit welcher Fahrt sie unverwundet schwimmen. Bisweilen bleiben sie eine Stunde unten und legen dann eine Strecke von einer deutschen Meile zurück. Ist Wind, so folgen die Boote unter Segel, um die Kräfte zu sparen.

Der Pottwal muß von vorn oder hinten angegriffen werden, weil seine Augen am unteren Ende des Rachens sitzen und er nur das sieht, was von der Seite kommt. Der Südwal dagegen kann wegen der eigentümlichen Form seines Kopfes nur nach hinten sehen, dafür ist er aber im stande, mit seinem gewaltigen Schwanze seitwärts von einem Auge bis zum andern zu schlagen und alles zu zermalmen, was von der Seite kommt. Die größte Ruhe seitens der Angreifer ist erforderlich, da beide Arten ein feines Gehör haben.

Die Bartenwale nähren sich von Mollusken und Garnelen, die sowohl im nördlichen Eismeer, wie im südlichen Indischen und Stillen Ozean sich häufig in solchen Massen befinden, daß das Wasser durch sie rötlich gefärbt wird, die Pottwale dagegen leben hauptsächlich von Tintenfischen.

Deshalb ist oder war vielmehr die Straße von Mozambique von ihnen in solcher Menge heimgesucht, daß ganze Flotten von Südseeleuten dort jagten.

Inmitten jener Straße erhebt sich nämlich, wie die Lotungen ergeben haben, eine steile Felswand, an der riesige Tintenfische in großen Massen sitzen, um auf Beute zu lauern oder selbst von den Pottfischen verspeist zu werden. Es müssen dies ganz gewaltige Tiere sein, denn Teile ihrer Gliedmaßen, die öfter an der Oberfläche schwimmend von Walfischfängern gefunden werden, haben sehr große Dimensionen. Der amerikanische Kapitän erzählte, daß er Stücke von Fangarmen von zwei Fuß Durchmesser aufgefischt habe.

Wie klein erscheinen dagegen die beiden Polypen, welche vor etwa einem Jahrzehnt im Meerbusen von Mexiko am Ufer strandeten und das größte Staunen der Bevölkerung erregten. Sie hatten Fangarme von neun Fuß Länge und zwanzig Zentimeter Durchmesser.

Die Wunder der unerforschten Tiefe sind groß!

Als wir dem Amerikaner begegneten, waren wir von Ostindien bereits zwei Monate unterwegs gewesen und hatten nur selten einmal ein anderes Schiff passieren sehen. Man vergißt ja in so langer Zeit fast die Namen der Tage, weil sie stets dasselbe Einerlei zeigen. Die Unterhaltung ist natürlicherweise etwas dürftig und fadenscheinig geworden, weil der Stoff fehlt, sowohl auf dem Hinterdeck, wie vorn bei den Leuten, und selbst unserem Demosthenes, wie wir unseren Erzähler und Spaßmacher vor dem Maste nannten, war so ziemlich der Faden ausgegangen.

Das war freilich nun mit einem Schlage anders geworden; der fremde Südseemann und was man von ihm gesehen und gehört, gab reichlich Gelegenheit zum Schwatzen und Kritisieren, und auf der Abendwache, als die Leute bei dem schönen Wetter auf den Spieren im Lee vom Großboot saßen, stand der Mund nicht still.

Es wurde viel kritisiert, das ist einmal ein Hauptvergnügen des Matrosen. Zunächst wird das eigene Schiff vorgenommen, für gewöhnlich alles schlecht gemacht und kein gutes Haar an ihm gelassen. Auf dem vorigen war alles besser. Das hat jedoch nichts zu bedeuten, deshalb bleibt er doch der willige gehorsame Untergebene, der trotz Kälte, Sturm und See alles Mögliche leistet, was man irgend von Menschen verlangen kann, solange ihm das Wasser nicht über die Nase geht; dann allerdings fängt er an, sich mit seiner eigenen Person zu beschäftigen. Mit der Kritik ändert es sich jedoch plötzlich, wenn es sich um ein fremdes Schiff handelt. Dann steigt das eigene vor seinen Augen gleich um hundert Prozent, dann wird jede Einzelheit unbarmherzig durch die Zähne gezogen, und namentlich jetzt, wo es sich um den Amerikaner handelte, fehlte es nicht an gepfefferten Bemerkungen.

Nach Erschöpfung dieses kritischen Themas kamen dann andere Südseeleute und Walfischfänger an die Reihe. Die einen wußten diese, die anderen jene Geschichte von ihnen zu erzählen, und sie suchten sich gegenseitig zu übertrumpfen, wobei die seltsamsten Dinge zu Tage traten.

Jan Peters, so hieß unser Demosthenes, hörte zuerst schweigend zu, nickte bei den wundersamen Erlebnissen beifällig mit dem Kopf, als ob er sie bis zum Itippel glaubte, dann aber nahm er das Wort, was die übrigen ihm auch willig ließen, und es bewährte sich in vollem Maße die Äußerung des Bootsmanns bei ihm, der einmal von ihm gesagt: »Dem Jan ist die Zunge nicht hinten angewachsen, wie unsereinem, sondern in der Mitte, und er braucht beim Sprechen beide Enden.« Er spann seinen Kameraden ein Garn, das zu den zähesten gehört, die ich je gehört, und den vollgültigen Beweis lieferte, daß Jägerlatein mit Seemannslatein kaum mitkommen kann. Eine ähnliche Geschichte hatte ich in einem amerikanischen Blatte gelesen, Jan sie jedoch für seine Person zugeschnitten und demgemäß ausgeschmückt.

Seine Kameraden hatten augenblicklich Grönlandsfahrer vor. »Nun,« hörte ich einen der Matrosen sagen, »auf unseren Grönländern geht es übrigens nicht besser zu. Ich fuhr mit einem Kameraden aus Glückstadt zusammen, der hat mir mancherlei davon erzählt. Ihr wißt ja, daß einer, der in Grönland auf Robbenfang gewesen, bei uns Seeleuten so lange für unehrlich gilt, bis er erst sieben Jahre auf anständigen Schiffen gefahren und damit wieder die Schande abgewaschen hat. Mein Freund hatte dies gethan, war sogar verschiedene Male um Kap Horn gewesen und durfte deshalb ruhig von Grönland sprechen, ohne über die Achsel angesehen zu werden.

Ja, die Kerle auf dem Amerikaner sahen ja schmierig genug aus, aber nach dem, was mir mein Maat erzählte, geben ihnen die Grönlandsfahrer nichts nach. Die waschen sich nämlich auf der Reise nur zweimal, zuerst, wenn die Insel Jan Mayen passiert wird, wo die Fischgründe beginnen, und das zweite Mal, wenn sie nach Hause segeln und ihr »Kommandeur« ihnen im Bratenrock und mit der Angströhre auf dem Kopfe eine Rede hält, um sie zu fragen, ob einer von ihnen Lust habe, noch länger zu bleiben, dann solle ihm ein Boot mit Segeln, eine Harpune mit Leine, zwei wollene Decken, eine Flasche Schnaps und für acht Tage Proviant gegeben werden.

Der Merkwürdigkeit halber schneiden sie dann aber beim jedesmaligen Waschen eine Kerbe in den Großmast, damit sie sich nicht verzählen und es aus Versehen zum dritten Male thun. Mit dem Umziehen sind sie jedoch noch flinker bei der Hand. Sie kehren nämlich alle vier Wochen ihre Hemden um und rufen dann aus: »Ach, wie wohl thut es doch, einmal die Wäsche zu wechseln!«

Ein schallendes Gelächter folgte den Worten, in das ich unwillkürlich mit einstimmen mußte.

»Ach, Jungens,« nahm nun Jan Peters das Wort, »das ist noch gar nichts. Da habe ich vor fünf Jahren ganz was anderes bei einem Südseemann erlebt, den wir im Stillen Meere trafen, als wir mit der »Martha« nach den Sandwich-Inseln segelten – dagegen war der von heute das reine Gold. Wir gingen mit flauer Brise und kaum fünf Meilen Fahrt durchs Wasser, als vor uns, etwas in Lee, ein Mitsegler in Sicht kam, den nur Hand über Hand holten, was uns bei dem schönen Wetter zuerst sonderbar vorkam, sich bald aber aufklärte. Er lag nämlich unter ganz kleinen Segeln, gerade wie der heute, hatte nicht einmal Bramstengen oben, die Marssegel waren dichtgerefft und die Untersegel gegeit, gerade, als ob er auf uns wartete.

Da wir dachten, er sei irgendwie in Not, ließ der Kapitän auf ihn abhalten, und beim Näherkommen fanden wir heraus, daß es ein Südseemann war, aber was für einer! Gott stehe mir bei; habe ich je in meinem Leben eine verkommenere Schute gesehen, so war es dieser.

Es schien gerade, als ob er schon ein Dutzend Jahre auf hundert Faden Wasser auf dem Grunde gelegen hätte und auf irgend eine Weise zum Luftschnappen wieder nach oben gekommen wäre. In einer Bibel meiner Großmutter habe ich einmal als Junge ein Bild von dem Schiffe des alten Noah gesehen, der damit seinen Schwager, den König Salomo in Jerusalem, besuchen wollte, aber, weil sie nicht ordentlich loteten, unterwegs auf einer blinden Klippe strandete – und gerade so sah dieser aus.

Als wir so bis auf eine halbe Seemeile herangekommen waren und an der Verschanzung standen, um das Untier anzustaunen, da ging so ein alter zerrissener Lappen an der Flaggleine der Gaffel in die Höhe. Es sollte wohl eine Flagge vorstellen, aber kein Mensch konnte ausmachen, was für eine, nicht einmal der Kapitän mit dem Kieker. Kaum war sie oben, da wurde sie heruntergeholt, dann wieder aufgeheißt, und so ging das noch ein halb Dutzend mal, aber so langsam und ruckweise, als ob sie zehn Zentner schwer wäre, und dann blieb sie schließlich halbstocks, wie ein Dieb am Galgen, hängen.

»Halloh!« rief währenddem der Kapitän, »was ist da los? Da balgen sich welche; die einen heissen den Lappen, die anderen wollen ihn wieder herunterholen, und ein alter Kerl steht dabei und schmeißt die Arme in der Luft herum, wie Windmühlenflügel. Wir wollen doch einmal ein bißchen näher herangehen, halt mal einen Strich ab,« befahl er dem Mann am Ruder, »die Sache kommt mir doch sehr kurios vor. Jetzt glaube ich auch die Flagge zu erkennen. Wie es mir vorkommt, ist es eine amerikanische und im Schau gebunden, also ein Notsignal. Aber zum Kuckuck, was will der Kerl eigentlich? Leck ist er nicht, sonst müßte er tiefer im Wasser liegen. Seine Rahen und Spieren sind alle da, wenn sie auch loddrig genug aussehen, von den Booten fehlt auch keins – es könnten ihm also nur Proviant und Wasser ausgegangen sein. Nun, wir werden es ja bald sehen.«

Wir liefen also näher heran, machten kleine Segel und drehten etwa auf fünfhundert Schritte in Lee von dem Fremden bei, um auf ein Boot von ihm zu warten. Ja, es kam aber keins. Dagegen standen die Leute an der Verschanzung und winkten uns.

»Nanu,« sagte der Kapitän, »was soll denn das bedeuten, sind sie so schwach, daß sie nicht einmal ein Boot bemannen können, wenn sie etwas von uns wollen? Steuermann, fahren Sie doch einmal mit der Gig hinüber und sehen, was da eigentlich los ist. Der Kasten sieht ja aus, als ob er aus dem Grabe auferstanden wäre.

Das Boot wurde zu Wasser gelassen, der Steuermann fuhr hinüber, und ich war einer von den Bootsgästen. Da wir Ruderer mit dem Rücken gegen den Fremden saßen, konnten wir natürlich nichts von ihm sehen, aber je näher wir kamen, desto komischere Gesichter schnitt der Steuermann. Die Augen wurden immer größer und größer und sein Gesicht allmählich so lang wie eine nasse Hängematte. Er mußte etwas ganz Außerordentliches sehen, was uns natürlich um so neugieriger machte, und wir legten uns deshalb so stramm hinter die Riemen, daß die Gig nur so durch das Wasser pfiff und wir in zehn Minuten längsseit waren.

Potz Teufel und Pumpstock, war das ein Gewächs!

Wo man hinsah, lauter Löcher in den Seitenplanken, aus denen ganze Büschel von Langhalsen (Entenmuscheln) heraushingen. Der Kupferbeschlag über Wasser bestand nur noch aus Fetzen, und unter Wasser war der Boden so dick mit Seegras bewachsen, daß eine Herde Kühe vierzehn Tage hätte darauf weiden können. Die Rüsteisen waren vom Rost zerfressen und nur noch so dünn wie Schiemannsgarn. Von den Planken war ebenso wie von den über unseren Köpfen hin und her schlackernden Booten durch Regen und See jedes bißchen Farbe heruntergewaschen, das stehende Gut sah nicht schwarz, sondern weiß aus, hatte in zehn Jahren keinen Tropfen Teer gesehen. Vom laufenden Gut war kein einziges mehr ganz, alles geknotet oder gespleißt mit langen Schwabbern daran, die Segel mit tausend Flicken und so ausgefahren, wie das einzige Hemde von unsereinem nach einer dreijährigen Reise.

Nun aber erst die Mannschaft, die am Fallreep zusammengedrängt stand! Gott steh mir bei! lauter uralte Kerle mit langen weißen Haaren und Bärten, der jüngste wenigstens sechzig Jahre alt, mit zitternden Händen und wackligen Beinen und mit Kleidern, die nur aus Flicken bestanden, Segeltuch, Flaggentuch, Sackleinwand, Presenning, eins immer über das andere gepackt und von allen möglichen Farben.

Wir wußten gar nicht, was wir von solcher Gesellschaft denken sollten, waren ganz paff, und es lief uns eiskalt über den Rücken herunter, weil wir zuerst dachten, wir wären an den fliegenden Holländer geraten, und ihr wißt ja, daß man dann aufgeschrieben ist und keine acht Tage mehr zu leben hat.

Des Steuermanns Augen wurden bei dem Anblick zwar noch größer und runder als vorher, aber er wollte sich vor uns wohl nicht blamieren und kletterte in die Rüst, da nicht einmal eine Fallreepstreppe ausgehängt war. Als er aber einen Blick auf das Deck gethan, da drehte er sich um und winkte, daß wir auch mit heraufkommen sollten. Offenbar traute er sich nicht allein weiter zu gehen.

Zuerst wollte uns das gar nicht scheinen, aber schließlich faßten wir uns doch ein Herz und enterten ihm nach. Donnerwetter! wir waren doch alles junge kräftige Kerle, hofften mit den alten Wackelköpfen schlimmstenfalls noch fertig zu werden und jumpten über die Verschanzung an Bord.

Herr du meine Güte, war das ein Deck! Überall aus den Nähten wuchs Gras und Moos hervor, wie auf einem alten Kirchhof, und grade so roch es auch, wie Moder, und das war auch kein Wunder, denn alles, was sich von Holz darauf befand, Nagelbänke, Betinge u. s. w., alles war verrottet und morsch wie Zunder.

Und als dann alle die alten Kerle mit ihren wackelnden Köpfen und zahnlosen Mäulern sich auf uns zu drängten, da wurde uns erst recht unheimlich zu Mute, und wenn ich mich nicht geschämt hätte, wäre ich am liebsten gleich wieder ins Boot zurückgesprungen.

Sie waren jedoch sehr zahm und demütig, nahmen ihre ebenfalls nur aus Lappen bestehenden Kopfbedeckungen ab, und als die Sonne auf ihre kahlen Schädel schien, glänzten diese wie frisch polierte Billardkugeln. Sie murmelten alle etwas vor sich hin, aber zu verstehen war es nicht, und nur so viel bekamen wir heraus, daß es Englisch sein sollte und sie etwas von uns begehrten.

Der Steuermann fragte nach dem Kapitän. Da wiesen sie auf einen auf dem Hinterdeck an der Verschanzung stehenden Mann. Er schien noch viel älter zu sein als alle die übrigen, die weißen Augenbrauen waren so lang gewachsen, daß sie ihm über das halbe Gesicht hingen wie ein Schleier, zwischen dessen Maschen aber ein Paar brennend-schwarze Augen hervorblitzten. Er mußte bestimmt gehört haben, daß nach ihm gefragt wurde, aber er rührte sich nicht.

Unser Steuermann wagte sich offenbar an den so grimmig ausschauenden Menschen nicht näher heran, sondern blieb stehen und fragte nach dem Steuermann.

Da wiesen sie auf einen andern Greis, der an Backbord dem Kapitän gegenüberstand. Es war, als ob er dessen Zwillingsbruder sei, ebenso alt, ebenso grimmig aussehend, und wie jener mit untergeschlagenen Armen, ohne sich von der Stelle zu rühren.

Unser Steuermann schien eben solche Angst vor ihm zu haben, wie vor seinem Gegenüber, denn er blieb ebenfalls auf seiner Stelle stehen. Da kam ein drittes altes Gestell auf ihn zugewackelt. Er hatte keinen Zahn mehr im Munde, er hustete alle Augenblicke, und vor Schwäche klappten seine Kniee gegeneinander.

Mit zitternder Stimme sagte er: »Ich bin der Bootsmann des Schiffes und spreche im Namen der Mannschaft. Wir haben vorhin das Notsignal geheißt; Kapitän und Steuermann wollten uns zwar daran verhindern, aber wir können es nicht mehr an Bord aushalten und bitten Sie um Hilfe. Wie Sie sehen, sind wir Walfischfänger und haben 79 Faß Thran an Bord. Sie stammen von dem Fisch, den wir vor 29 Jahren als einzigen gefangen haben.«

»Vor 29 Jahren?« rief unser Steuermann ganz bedonnert aus und prallte förmlich zurück, wie wir alle; wir glaubten nicht recht gehört zu haben.

»Vor 29 Jahren,« murmelte der Bootsmann, »so wahr, wie ich hier stehe,« während die übrige Mannschaft halb in ängstlicher, halb in drohender Haltung bald auf ihren Kapitän, bald auf ihren Steuermann hinüberblickte, die sich immer noch nicht rührten und nur so giftige Blicke schossen, daß uns alle eine Gänsehaut überlief.

»Vor 29 Jahren harpunierten wir unsern ersten und einzigen Fisch,« fuhr der Bootsmann fort, »und er gab die 79 Faß Thran, das ist aber auch alles, was wir in den 34 Jahren gefangen haben.«

»In 34 Jahren?« kam es wieder aus dem Munde unseres Steuermannes mit einer wahrhaften Grabesstimme, und uns andern wurde immer graulicher zu Mute.

»Ja, ja!« erwiderte der Bootsmann, indem er mit zitternder Hand auf die Mannschaft zeigte, »das ist lange her, nicht wahr? damals waren wir alle rüstige junge Kerle lustig und guter Dinge. Nun haben wir es aber satt und möchten ein Ende machen. Aber der da«, und er zeigte über die Schulter auf den unbeweglichen Kapitän, »der hat einen fürchterlichen Eid geschworen bei zehntausend Teufeln und ihrer Großmutter, daß er nicht zu Hause segeln will, bis das Schiff voll Thran ist, und sehen Sie, dieser Eid liegt wie ein böser Zauber auf uns. Wir haben in alle der Zeit Fische genug gesehen; manchmal spielten sie in ganzen Herden rings um unser Schiff, aber wir konnten nie einen fangen, das machte alles der fürchterliche Eid. Und nun erst recht nicht in den letzten Jahren, weil wir so alt sind, keine Riemen mehr handhaben und keine Harpune mehr werfen können.

Die Rahen heissen und die Segel setzen oder bergen, das können wir schon lange nicht mehr. Deswegen führen wir nur die dichtgerefften Marssegel und haben keine Bramstengen oben. Die Segel wären auch schon längst aus den Lieken geflogen, wenn wir nicht immer im Stillen Meere blieben. Wie lange wird es dauern, dann werden wir uns ohne Hilfe einer Dördehand (dritte Hand, kleiner Flaschenzug) nicht mehr an- und ausziehen können.

»Aber,« sagte der Steuermann, der sich wie wir selbst vor Staunen über diese merkwürdigen Auslassungen gar nicht fassen konnte, indem er einen scheuen Seitenblick auf den Kapitän warf, »welchen Zweck kann der Mann haben, Euch so lange in See zu halten, da doch nichts gefangen wird. Es wäre doch viel gescheuter von ihm, wenn er eine frische junge Mannschaft an Bord nähme und Euch in ein Spital für alte Leute brächte.«

»Der Eid, der fürchterliche Eid,« sagte der Bootsmann, schwermütig den Kopf schüttelnd, und die anderen murmelten es ihm nach. »Wir verstehen nichts von Navigation, und der da drüben paßt verdammt auf, daß wir kein anderes Land anlaufen, als Inseln mit Menschenfressern, wo wir Proviant und Wasser nur mit Lebensgefahr einnehmen können.«

»Vor 34 Jahren,« sagte nun ein anderer alter Kerl mit weinerlicher Stimme, »da ließ ich eine Frau mit drei Kindern zurück. Was sollen sie nur davon denken, daß sie in der ganzen Zeit noch nicht einmal einen Brief von mir erhalten haben. Müssen sie nicht glauben, daß ich gar nicht mehr wiederkomme. Oh, dieser Eid, dieser fürchterliche Eid!« und dabei schüttelte er ebenso schwermütig mit dem Kopf, wie er es vom Bootsmann gesehen.

»Und nun sehen Sie bloß hier,« kam jetzt ein Dritter, und nahm einen Lappen vom Kopfe, der eine Mütze vorstellen sollte. »Als ich mich vor 34 Jahren auf diesem Unglücksschiffe verheuerte, da hatte ich so dichtes schönes Haar, wie nur je ein Kopf im Friseurladen und jetzt? Oh dieser Eid, dieser fürchterliche Eid!« Und als er auf seinen Schädel wies, da spiegelte sich die Sonne darin, wie in poliertem Marmor.

Die armen Teufel thaten uns schrecklich leid, der Steuermann wurde auch gerührt und sagte: »Nun ich will sehen, was ich für Euch thun kann.«

Er trat wirklich einige Schritte dem Kapitän näher. »Entschuldigen Sie,« redete er ihn an, »ich möchte mich zwar nicht gern in Ihre Angelegenheiten mischen, aber Ihre Leute meinen, daß sie wirklich lange genug in See gewesen sind, und ich möchte doch empfehlen, einen Hafen anzulaufen, diese alten Kerle zu entlassen und auch Ihr Schiff ein bißchen nachzusehen, es scheint das wirklich nötig zu haben. Mit einer jungen Mannschaft würden Sie dann auch bald ihre Thranfässer füllen können. Nichts für ungut, Kapitän.«

Wir waren ganz verblüfft über die lange Rede, denn so eine hatten wir noch nicht gehört. An Bord sprach er höchstens drei Worte auf einmal, meistens nur zwei, wenn er nachts bei einer Bö mit der Handspeiche über unsern Köpfen auf das Deck donnerte und in die Logiskappe hinunterbrüllte »Reeve, reeve!« (Reffen, reffen), daß wir vor Schreck kopfüber aus der Koje und an Deck stürmten. Es mußte daher wohl auch etwas von dem Zauber des fürchterlichen Eides über ihn gekommen sein, und er sah sich verteufelt stolz nach uns um.

Aber das dauerte nicht lange. Bis dahin hatte der Kapitän sich nicht gerührt, jetzt aber reckte er sich auf einmal in die Höhe, immer weiter, als wollte er mit dem Kopfe in den Bramtop, und ich versichere Euch, zuletzt stand er wie ein Riese da und war schrecklich anzusehen. Seine langen Augenbrauen sträubten sich und standen gerade aus wie Borsten, und die unheimlichen Augen brannten wie feurige Kohlen. Mit seinen langen Knochenarmen und den vertrockneten Fingern daran, die wie Wegweiser an einem Kreuzwege aussahen, zeigte er auf die Fallreep und rief, nein brüllte mit einer Stimme, daß uns fast das Blut in den Adern gerann: »Scheeren Sie sich von meinem Schiffe, Herr!«

Und als wir uns erschreckt umdrehten, da machte es sein Zwillingsbruder, der alte Steuermann, ebenso. Mit teuflischem Ausdruck in seinem Gesichte und zitternden Nasenflügeln sprühte er im höchsten Zorn: »Scheeren Sie sich von meinem Schiffe!«

Es war grauenerregend, als die beiden uralten Kerle mit ihren langwallenden weißen Bärten und blitzenden Augen dastanden und uns Blicke wie Dolche zuschleuderten.

Nun, Ihr könnt Euch denken, wie uns das in die Knochen fuhr und wie schnell wir back braßten, um über Steuer zu gehen. Im Vorbeipassieren hielt der Steuermann noch einmal eine Rede und sagte zu der Mannschaft: »Es thut mir leid, Leute, daß ich nichts für Euch thun kann, aber ich habe keinen Grund einzuschreiten. Die Mannschaften müssen nach dem Gesetz dem Kapitän gehorchen. Das ist nun einmal so, und es läßt sich nichts dabei machen. Ich kann Euch nur Adieu sagen und wünschen, daß Eure lange Reise bald ein Ende haben möchte.«

Damit sprang er aber auch mit einem Satz auf die Reiling und enterte schleunigst ins Boot. Der Zauber war fort, denn von nun an sprach er wieder nicht mehr als drei Worte und bei »Reeve, reeve!« nur zwei, wobei allerdings die Handspeiche auf dem Deck das übrige sagte.

Wir ruderten so schnell wie möglich an Bord zurück. Wir braßten voll, bald hatten wir den schauerlichen Walfischfahrer aus Sicht verloren, und uns wurde wieder leicht um's Herz.«

Damit beendete Jan sein Garn. Lautlos und gespannt hatten die Kameraden zugehört, doch jetzt machte einer von ihnen eine Bemerkung, die einen leisen Zweifel auszudrücken schien. Jan ließ sich indessen nicht dadurch beirren. »Ja, Ihr scheint es nicht recht glauben zu wollen, Maate, aber ich habe es doch erlebt, und es ist so, so wahr ich hier sitze. Übrigens kann ich noch einen anderen Beweis dafür geben. Vier Jahr später traf ich einen Bekannten, der kurz vorher dasselbe Schiff in der Südsee auf 191 Grad Länge getroffen hatte. Er war an Bord gegangen, und die Mannschaft hatte ihm genau dasselbe geklagt, aber der Kapitän stand noch immer auf seinem fürchterlichen Eid, und so werden sie sich wohl noch heute dort herumtreiben.«

Dieser Schluß schien auch die letzten Zweifel zu bannen, und wahrscheinlich hatten die 191 Grad sehr imponiert. Jan hatte zwar nicht gesagt, ob Ost- oder Westlänge, und wohl auch nicht gewußt, daß man nur bis 180 Grad zählt, aber der Beweis hatte doch durchgeschlagen. Es wurde nichts weiter geredet und da es überdem 8 Glas (12 Uhr) schlug und die andere Wache zur Ablösung kam, war das zähe Garn abgesponnen.

Als ich mich zur Koje legte, dachte ich über letzteres noch nach. Es waren mehrere Punkte darin, die an den fliegenden Holländer erinnerten, der hier wohl nur in veränderter Gestalt erschien.

Hier wie dort ein furchtbarer Eid; dort Gerippe, hier uralte Leute, die um Erlösung bitten. Hier eine beständig dauernde Reise von 40, dort eine solche von 200 Jahren. Die Sagen gehen an Bord von Mund zu Mund und variieren nach dem Erzählertalent des Vortragenden und dessen mehr oder minder lebhafter Phantasie.

Sie werden auch so bald nicht aussterben, denn man erlebt auf See wirklich viel Seltsames und für den Verstand des gewöhnlichen Matrosen nicht recht Erklärliches. Man sieht z. B. Schiffe in wenigen hundert Schritt Entfernung genau mit allen Einzelheiten, und plötzlich sind sie spurlos verschwunden. Luftspiegelungen, sich niedersenkende Nebelschleier, von deren plötzlichem und strichweisem Erscheinen, namentlich in der Dämmerung, man selbst nichts merkt, mögen die Ursachen sein. Aber Bestimmtes läßt sich bis jetzt wenig darüber sagen, und es wird sich also noch lange Gelegenheit für dergleichen Garne bieten, die gläubig von den Matrosen hingenommen werden.

Es ist das auch ganz gut so, denn sonst verflüchtigte sich damit auch ziemlich der Rest des poetischen Schimmers, der früher in so reichem Maße das Seeleben umwob, und den der prosaische Dampf, das Jagen nach Gewinn und die hastende Zeit immer weiter verdrängen.

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