Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Auf S. M. Fregatte Thetis.

Vor einiger Zeit brachten die öffentlichen Blätter die Nachricht, daß die ehemalige deutsche Segelfregatte »Thetis« meistbietend verkauft worden sei.

Arme gute »Thetis«, das ist also das schließliche Los deiner langen verdienst- und ehrenvollen Laufbahn gewesen, abgewrackt und als Brennholz verwertet zu werden!

Nun, es liegt wenigstens etwas Versöhnendes in dem Gedanken, daß du deine Seele im Feuer verflüchtigt und somit selbst durch deinen Tod noch Nutzen geschaffen hast – aber trotzdem hat man dich schnöde behandelt, die du einst der Stolz unserer Marine warst, als sie noch in den Kinderschuhen stand, und als du mit der durch deutsche Tapferkeit bei Eckernförde von den Dänen eroberten »Gefion« unsern ganzen Reichtum ausmachtest, dem unsere Kriegsflagge auf dem Ozean zu zeigen vergönnt war. Von 1854-1862, volle acht Jahre hat das schöne Schiff ununterbrochen fast alle Meere der Erde befahren, um den fremden Völkern darzuthun, daß Preußen gewillt sei, ebenfalls in die Reihe der Seemächte zu treten.

Aber nicht allein das war sein Verdienst, sondern die Marine hat ihr viel mehr zu danken. Auf ihm und der »Gefion« sind Hunderte von Offizieren und Tausende von Mannschaften kriegsschiffmäßig ausgebildet worden, und nur dem ist es zuzuschreiben, daß, als endlich nach der Einigung Deutschlands die Verhältnisse für Vergrößerung unserer Flotte sich günstiger gestalteten, diese energisch in Angriff genommen werden konnte.

Wenn Geld vorhanden ist, lassen sich verhältnismäßig in kurzer Zeit Kriegsschiffe bauen, aber sie bleiben totes Material, ein Körper ohne Seele, wenn sie nicht von geübten Offizieren und Mannschaften besetzt werden, und diesen wichtigen Punkt hatte der verstorbene hochverdiente Oberbefehlshaber, Prinz Adalbert von Preußen, vor allem im Auge, als er es durchsetzte, daß nach Einführung des Dampfes als Motor in die Marinen, die ausrangierte aber noch in vorzüglichem Zustande befindliche Segelsregatte »Thetis« von 38 Kanonen gegen ein paar kleine aber mit schweren Geschützen bewaffnete Dampfer »Nix« und »Salamander«, die den Engländern im Krimkriege bei der Belagerung von Kinburn vortreffliche Dienste leisteten, ausgetauscht wurde, die uns selbst damals wenig nützen konnten.

Dagegen hatte eine große Segelfregatte für uns so viel mehr Wert, als sie die beste Schule des Personals abgab. Der patriotische Prinz hoffte immer, daß für Deutschland und die Marine bessere Zeiten kommen würden, und in dieser Voraussicht suchte er eine genügende Anzahl von Offizieren und Mannschaften heranzubilden, um dereinst die erwarteten Schiffe besetzen zu können.

Noch vor seinem leider zu früh erfolgten Tode hatte er die Genugthuung, daß mit der Erstehung des Norddeutschen Bundes und bald darauf des Deutschen Reiches, die Marine sich schnell zu Bedeutung entwickeln konnte, weil nun auch die nötigen Kräfte an Personal vorhanden waren.

Als wir die »Thetis« erwarben, war sie bereits zehn Jahre alt. Ihre späteren langen Reisen und ihre häufigen schweren Kämpfe mit Sturm und See hatten sie jedoch so mitgenommen, daß sie nach Rückkehr von ihrer letzten dreijährigen Expedition nach Ostasien nicht mehr mit Sicherheit in ferne Gewässer gesandt werden durfte und einige Jahre nur kurze Touren in unseren Meeren machte, um dann einen Ruheposten im Hafen zu erhalten.

Aber, wenn sie jetzt auch nur noch vor Anker lag, war ihr eigentliche Ruhe trotzdem nicht vergönnt, und es ging noch fünf Jahre recht lebendig auf ihr zu, indem man sie zum Artillerieschulschiff machte, auf dem Offiziere, Kadetten und Mannschaften ihre besondere artilleristische Ausbildung erhielten.

Dann aber wuchsen die Schiffsgeschütze so bedeutend an Gewicht und Größe, daß das Schiff, welches bald von sich sagen konnte »Schier dreißig Jahre bist du alt«, sie nicht mehr zu tragen vermochte. Es mußte zu diesem Zwecke ein stärkeres, das englische Linienschiff »Renown« erworben und nach abermals wenigen Jahren durch ein noch stärkeres, unsern jetzigen »Mars« ersetzt werden.

Die gute »Thetis« aber wurde nun sehr schlecht behandelt. Trotz ihrer langjährigen ehrenvollen Dienstzeit bewährte sich auch bei ihr das Sprichwort »Undank ist der Welt Lohn«, und der ehemalige Stolz der Marine wurde, nachdem man die Masten herausgenommen, zum schmutzigen Kohlenhulk degradiert. Fast sechzehn Jahre diente sie noch in dieser erniedrigenden Lage, bis auch dazu ihre Kraft nicht mehr ausreichte und sie dem Schicksal alles Irdischen verfiel, in Staub und Asche zu zergehen.

Wer das einst so schöne Schiff gekannt und wie ich selbst Jahre lang den Ozean auf ihm durchmessen hat, der kann sich bei einem Vergleiche zwischen damals und jetzt eines wehmütigen Gefühls nicht erwehren.

Noch heute steht mir das prachtvolle Bild lebendig und unvergeßlich vor Augen, wenn die Fregatte im Hafen vor Anker lag. Wie schwebte sie leicht und graziös auf der dunkeln Flut, wie erfreuten die fein verlaufenden eleganten Linien des schlanken Rumpfes nicht allein das seemännische Auge, sondern auch das des für Schönheit empfänglichen Laien!

Die verhältnismäßig kurzen, etwas nach hinten fallenden Masten, die sich daran aufbauenden langen Stengen mit den breiten Rahen, verliehen ihrer Erscheinung etwas Keckes, Herausforderndes, und doch paßte dazu wieder die Form des ziemlich niedrig auf dem Wasser liegenden Unterschiffes.

Die Segel an den mit geometrischer Genauigkeit vierkant gebraßten und getoppten Rahen waren so sorgsam aufgerollt und fest gemacht, daß sie an dem schwarzen Untergrunde sich nur wie weiße gemalte Linien abhoben.

Die Blöcke waren möglichst versteckt, um den Eindruck und die Symmetrie nicht zu stören, das glänzend schwarze Tauwerk überall so straff gezogen wie die Saiten einer Harfe. Auf den peinlich sauberen Planken des Oberdecks und auf dessen blitzendem Messingwerk spielte das Sonnenlicht; der schwarze Rumpf wurde oben durch den Kranz schneeigweißer Hängematten in den Finknetzkasten und unten durch den blankgescheuerten, goldglänzenden Streifen des über die Wasserlinie hinaufreichenden Kupferbeschlages begrenzt, während aus den Pforten der Batterie und des Oberdecks die braun polierten Mündungen der achtunddreißig Geschütze hervorschauten und dem Auge kündeten, daß das so friedlich daliegende Fahrzeug auch einen Kampf nicht scheue und sich in ihm furchtbar erweisen könne.

Und dann wieder auf See bei steifer Brise! Die wie Pyramiden himmelwärts aufsteigenden weißen Segel, von dem kräftigen Winde geschwellt, ließen die Fregatte dahinfliegen durch die schimmernden Wellen und den blendenden Gischt nach beiden Seiten weit von sich sprühend, in dessen Wasserstaub die Sonnenstrahlen Regenbogen in köstlichen Farben malten.

Vergebens suchten sie ihr etwas anzuhaben. Elastisch und spielend hob sie sich über die heranstürmenden Wellen fort, die ihr scharfer Bug triumphierend teilte, und mit stolzen Gefühlen innerer Befriedigung schaute die Besatzung auf ihr schönes Schiff, das sie so sicher trug, aus allen Kämpfen mit den entfesselten Elementen siegreich hervorging, das ihnen Heimat war, mit dem sie ihre Leiden und wenigen Freuden getreulich teilten, und mit dem sie durch tausend geheimnisvolle Bande eng verknüpft wurde.

Ja, die alten Segelschiffe, vor allem aber ihr schönster Typus, die Fregatte, sie vertraten die herzerhebende Poesie des Meeres, und seitdem sie durch die rauchenden Kriegsmaschinen der Neuzeit verdrängt sind, ist der größte Teil jener auf Nimmerwiederkehr dahingeschwunden.

Wenn ich an die gute »Thetis« zurückdenke, dann werden so manche Erinnerungen an die auf ihr verlebten Jahre in mir wachgerufen, an heitere und ernste Scenen; die letzteren jedoch in überwiegender Mehrzahl, wie sie das Seeleben überhaupt mit sich bringt. Das Leben des Seemanns ist ein schweres, entsagungs- und verantwortungsvolles; es sieht sich von außen, namentlich für die thatenlustige Jugend, romantisch und verlockend an, aber in Wirklichkeit erfüllt es das, was der Jüngling von ihr erhofft, nur in geringem Maße. Auch das Nachstehende ist eine solche Erinnerung, wenn sie ebenfalls auch nur eine düstere Seite unseres Berufs zeichnet.

Wir waren auf der Heimreise von Ostindien begriffen und befanden uns jenseits des Kaps der guten Hoffnung auf der südlichen Grenze des Passats, an dessen lieblichen Schönheiten wir uns wochenlang hatten erfreuen dürfen. Jetzt ging es nun allmählich nach Süden in die stürmischen Gewässer des Indischen Ozeans hinein, zuvor hatten wir jedoch mit leichten veränderlichen Winden und Windstillen zu kämpfen, wie das fast immer auf der Grenze zweier solcher Zonen der Fall zu sein pflegt.

Da wir uns noch innerhalb der Tropen befanden, die flaue Brise unsere Segel nur eben füllte und das Schiff kaum merkbar durch das Wasser trieb, brannte die Sonne scharf auf uns hernieder, und wir hatten sehr durch Hitze zu leiden.

Am Vormittage kam an der Luvseite ein Gegensegler in Sicht. Als er aus dem Wasser wuchs und uns als Kriegsschiff erkennen mochte, änderte er seinen Kurs und hielt gerade auf uns zu, sodaß wir daraus entnahmen, er wünsche uns zu sprechen.

Bei der schwachen Fahrt dauerte es aber fast bis zum Abend, bevor er so weit herankam, daß wir gegenseitig unsre Flaggen zeigen konnten. Es war ein Engländer, der dann auch bald ein internationales Signal zeigte. Dies internationale Signalsystem ist vor einigen Jahrzehnten unter den verschiedenen seefahrenden Nationen vereinbart und hat den Zweck, daß alle Schiffe, mögen sie deutsch, englisch, französisch u. s. w. sein, sich mittels dieser Weltsprache, so darf man sie wohl nennen, auf See untereinander verständigen können. Zu diesem Behufe haben alle, weitere Reisen unternehmenden Schiffe dieselben Signalzeichen – einige zwanzig an der Zahl, die aus hellleuchtenden Farben in verschiedenen Formen bestehen, sowie ein Signalbuch in der eigenen Sprache an Bord. Die einzelnen Signale bedeuten Zahlen und auch Buchstaben.

Will man nun signalisieren, so schlägt man in dem Buche das betreffende Wort oder den gewünschten Satz auf und zeigt die dazu gehörigen Flaggenzahlen oder Buchstaben, die man an der Mastspitze flattern läßt. So z. B. heißt 173 »Woher kommen Sie?« Der Engländer findet dann in seinem Buche » Where do you come from?« der Franzose » D'où venez-vous?« u. s. w.

Die Sache ist also sehr einfach; die Zahlen – man heißt nicht mehr als vier Flaggen untereinander – gestatten Kombinationen von Tausenden von Wörtern und Sätzen, und will man darüber hinaus, so heißt man über dem Signal den Buchstabenwimpel, d. h. »die folgenden Flaggen bedeuten Buchstaben.«

Das Signal des Engländers lautete: »Bitte ein Boot zu schicken«.

Als wir mit »Ja« geantwortet, drehten beide Schiffe bei, und unser Kommandant sandte einen Kutter mit einem Offizier hinüber, um den Grund der Bitte zu erfahren. Gegen Sonnenuntergang kam derselbe zurück, aber gefüllt mit Menschen.

Er brachte 12 Schiffbrüchige; die Besatzung einer gesunkenen deutschen Brigg, welche der Engländer tags zuvor in einem offenen Boote auf dem Ozean treibend und fast verschmachtet aufgefunden hatte. Da er nach Bombay bestimmt war und annahm, daß wir heimwärts gingen, bat er unsern Kapitän, die Verunglückten aufzunehmen, was natürlich sofort bewilligt wurde. Die Mannschaften verteilte man im Zwischendeck unter den Matrosen, während Kapitän und Steuermann in der Messe der Deckoffiziere Unterkunft erhielten.

Letztere lag unmittelbar neben meiner Kammer, war nur durch eine dünne Bretterwand von ihr getrennt, und wenn Ruhe im Schiffe herrschte und in jener laut gesprochen wurde, so konnte ich ziemlich alles verstehen; was die Deckoffiziere veranlaßte, nur mit gedämpfter Stimme zu reden, wenn sie mich in meiner Koje wußten und ihre Unterhaltung nicht für meine Ohren bestimmt war.

Wir hatten einen wundervollen Tropenabend. Das Schiff schaukelte sich auf den leise schwingenden Wogen nur sanft; das an seinen Seiten vorbeiplätschernde Wasser murmelte wie ein rieselnder Bach, und in dem phosphorescierenden Wasser blitzte und leuchtete es von den Millionen kleiner Lebewesen, die das Meer bevölkern; das Kielwasser zog einen langen glühenden Streifen durch die Tiefe, als ob sich eine feurige Schlange endlos dahinwände, und in der Natur wie im Schiffe herrschte Schweigen und Ruhe.

Nach der großen Hitze des Tages hatte der erste Offizier gestattet, daß bis zur Ronde um 9 Uhr die Seitenfenster unserer Kammern geöffnet bleiben durften, während sie sonst auch bei schönstem Wetter mit anbrechender Dunkelheit geschlossen werden müssen, um die kühle Abendluft durch das Schiff streichen zu lassen und die in ihm aufgesammelte Wärme hinauszutreiben.

Wir Offiziere aßen um sechs Uhr nach Beendigung des gesamten Tagesdienstes zu Mittag. Es war in unserer Messe so heiß gewesen, daß mir aller Appetit vergangen war und ich mich so bald wie möglich losmachte, um mich in meine Kammer zu begeben, dort in einem bequemen Ausziehstuhl, den durch das Seitenfenster hereinflutenden kühlen Luftstrom zu genießen und bei einer Cigarre noch ein Stündchen zu verträumen, bis ich um acht Uhr die Wache erhielt und dann an Deck mußte.

Gegen sieben Uhr kamen auch die Deckoffiziere herunter, um ihre Abendmahlzeit zu nehmen, und es entspann sich nach derselben ein lebhaftes Gespräch, dem ich unwillkürlich lauschte.

»Wie sind Sie eigentlich zu dem Unglück gekommen, Kapitän?« hörte ich unsern Bootsmann fragen. »Erzählen Sie doch ich habe oben nur im allgemeinen gehört, daß Ihnen Ihr Schiff unter den Füßen weggesackt ist. War es denn ein so alter morscher Kasten, daß er von selbst aus dem Leime ging?«

»Gott bewahre,« erwiderte der Gefragte, »kerngesund, aber wir segelten nachts mit flotter Brise gegen ein treibendes Wrack, das so wenig aus dem Wasser hervorragte, daß der Ausguck es bei der Dunkelheit nicht sehen konnte und uns dann eine Planke im Bug eingedrückt wurde. Diese treibenden Wracks sind ja eine stete Gefahr für die Schiffahrt, man glaubt sich in freiem Fahrwasser ganz sicher, und plötzlich sitzt man auf solchem unglücklichen Dinge. Wie viel Fahrzeuge, von denen es nachher in den Zeitungen heißt »Verschollen«, mögen schon auf diese Weise zu Grunde gegangen sein, ohne daß je ein Mensch davon erfährt!«

Nein, meine »Juno« war ein gutes Schiff. Sie gehörte zwar noch zur alten Sorte mit einem runden Bug, als ob sie Pausbacken hätte, mit steil wie eine Mauer aufsteigenden Bordwänden und einem Heck, das nicht schön war und aussah, als ob es der Zimmermann nur so heruntergesägt hätte, aber in Planken und Inhölzern war sie fest und sicher, und trotz des vielen schlechten Wetters, bei dem sie grausam arbeitete, hatten wir nicht einmal nötig zu pumpen. Sie werden ja aber selbst wissen, daß dies eine Seltenheit bei alten Schiffen ist und gar manche von ihnen sozusagen auf den Pumpen über See getragen werden müssen.

Da die »Juno« auch ziemlich flachbödig war, können Sie sich denken, daß sie sich nicht für einen Schnellläufer ausgeben durfte, und gar oft habe ich mich ein bischen geärgert, wenn uns vorbeisegelnde Schiffe verhöhnten und uns vom Heck aus ein Tauende hinhielten, als ob wir uns an ihm fest machen sollten, um geschleppt zu werden.

Mit einem Sturm von hinten, wenn es so hart blies, daß trotz dichtgereffter Marssegel die Masten so krumm standen, als wollten sie vorn über den Bug fallen, kriegte ich aber doch noch 8 Knoten aus ihr heraus und war deshalb ganz mit ihr zufrieden. Sie war steif wie ein Kirchthurm, nahm auch bei schwerer See nur wenig Wasser über und zeigte sich überhaupt als ein so mackliges Seeboot, daß ich mir gar kein besseres Fahrzeug wünschen konnte.

Meine Reeder sind gute Leute; sie kannten ihr Schiff, und wenn ich lange Reisen machte, nahmen sie es mir deshalb auch nicht übel. Außerdem hatte ich Glück, traf hohe Frachten, und in drei Reisen hatte sich die »Juno« verdient.

Auch, daß es jetzt verloren gegangen ist, dafür kann ich nicht, und den Reedern wird es nicht viel ausmachen, da sie gut versichert haben. Ich selbst war ja darauf vorbereitet, daß ein Unglück passieren würde, und es hätte uns auch schlecht ergehen können, wenn nicht noch gerade zur rechten Zeit der Engländer gekommen wäre und uns aufgenommen hätte.

Das Schiff sank nach dem Zusammenstoße so schnell, daß wir kaum Zeit hatten, das Boot auszusetzen und das nackte Leben zu retten. Das bißchen Proviant und Wasser, was wir in der Eile mitnehmen konnten, reichte knapp zwei Tage, und als wir aufgefischt wurden, hatten wir schon sechsunddreißig Stunden keinen Bissen genossen und keinen Tropfen getrunken, obwohl die Sonne glühend auf unsere Köpfe brannte, die Zunge am Gaumen klebte und unsere Kräfte so schnell verfielen, daß wir es keinen Tag mehr hätten aushalten können.«

»Sie sagten, Sie wären vorbereitet gewesen«, fragte jetzt ein Deckoffizier, »wie meinen Sie das?«

»Nun«, erwiderte der Kapitän«, indem er seine Stimme etwas dämpfte, so daß ich aufmerksam zuhören mußte, um ihn zu verstehen, »ich hatte ihn gesehen und wußte, daß die Tage der ›Juno‹ gezählt waren.«

»Wen?« fragten mehrere Stimmen aufgeregt durcheinander.

»Den fliegenden Holländer«, lautete die Antwort.

Ein allgemeines verwunderndes Ah! ertönte aus dem Munde der Zuhörer, aus dem ich entnahm, daß keiner derselben an der Thatsache Zweifel hegte. Die Deckoffiziere gehörten sämtlich zu dem alten Stamm der Seeleute, welche mit dergleichen Sagen aufgewachsen waren und sie unbedingt für bare Münze nahmen.

»Das müssen sie uns erzählen, Kapitän«, rief lebhaft der Zimmermann, der den Ruf an Bord genoß, besonders für solche Wunder eingenommen zu sein, und die übrigen baten ebenfalls dringend darum.

»Gern«, erwiderte jener, »obwohl mich jetzt noch schaudert, wenn ich daran zurückdenke. Sie wissen ja, daß es jetzt manche unter unsern jüngeren Kameraden giebt, die an dergleichen nicht so recht glauben wollen oder wenigstens so thun, aber was man mit seinen eigenen Augen gesehen und bei dem einem der Angstschweiß immer vom Leibe nur so heruntergeströmt ist, das läßt man sich doch von keinem Menschen abstreiten.«

»Haben Ihre Leute ihn auch gesehen?« fragte jetzt der Bootsmann.

»Leider nicht, sie schliefen alle«, erwiderte der Kapitän.

»Sie schliefen? Alle, auch die ganze Wache?« kam es etwas ungläubig von den Lippen des Segelmachers.

»Ja wohl«, versicherte der Angeredete sehr bestimmt, »die, ganze Wache, der Mann am Ruder, der Ausguck auf der Wache, alle alle.«

»Teufel und Pumpstock«, äußerte dann der Segelmacher »das ist aber eine nette Wirtschaft bei Ihnen am Bord gewesen, nehmen Sie mir das nicht übel; ich würde den Kerls gehörig aufs Dach gestiegen sein.«

»Ja, aber sie konnten gar nichts dafür. Ich konnte sie mit keiner Gewalt wach bekommen, und das war ja gerade der unheimliche Zauber, den der fliegende Holländer ausübt. Er wird stets nur von Einem gesehen und die andern sind dann wie betäubt. Diesmal war ich es, und das kam wohl daher, weil ich in der Sylvesternacht geboren bin.«

Diese Erklärung schien die Zuhörer und selbst den skeptischen Segelmacher voll zu befriedigen, denn ich hörte nur ein beifälliges Gemurmel.

»Wir segelten eines Abends«, fuhr der brave Kapitän fort, »vor dem Winde mit Leesegeln an beiden Seiten, aber die Brise reichte nur gerade aus, um das Schiff steuerfähig zu halten, und die alte »Juno« schlingerte wie im Schlaf ihren Weg über die lange Dünung. Das bißchen Wind mußte wohl nur oben sein, denn unten fühlte man nichts davon. Die Oberbramsegel standen gerade voll, und auch die leichten Leesegel füllten sich meistens, aber Mars- und Untersegel hingen wie tot an Stengen und Masten auf und nieder. Bis aufs Wasser langte jedenfalls der Wind nicht, denn die See war blank wie Glas, nirgends rippelte eine Katzenpfote darüber hin, und der ganze Himmel mit allen Sternen spiegelte sich darin.

Es war gerade eine so schöne Nacht wie heute, alles still. Man hörte nicht, wie das Schiff durch das Wasser schlich und die Ruhe wurde nur durch das matte Schlagen der Segel gegen die Rundhölzer bei den leisen Bewegungen des Schiffes unterbrochen. Es klang wie schwaches und hohles Tönen auf das Deck nieder, als ob die Luft voll Nachtgeister wäre, die ihre unsichtbaren Flügel schwangen.

Der Himmel sah ganz schwarz aus, und die Sterne an ihm flimmerten nur wie Glühwürmer, als ob sie auch müde wären, kurzum alles ringsum war so merkwürdig geheimnisvoll, daß ich das Gefühl hatte, es müßte nächstens etwas Wunderbares passieren.

Der Steuermann hatte die Abendwache; ich sollte ihn um zwölf Uhr ablösen, aber mich plagte eine solche Unruhe, ich fühlte mich auf der Brust so bedrückt, als läge eine schwere Last auf mir, und so blieb ich an Deck, um mich zu zerstreuen und mich mit dem Steuermann zu unterhalten. Aber auch das wollte gar nicht gehen, und wir beide blieben so einsilbig, als ob wir Blei in der Zunge hätten. Es lag etwas in der Luft, das ich fühlte und das mich höchst unbehaglich machte.

Gegen 10 Uhr ging ich in meine Kajüte, um mich in meine Koje zu legen und zu versuchen, ob ich doch nicht etwas schlafen könnte. Der Vollmond war eben aufgegangen und wie eine glühend rote Kugel aus dem Wasser gestiegen, dann allmählich ins Gelbe übergegangen, und sein Schein lagerte auf dem Wasser wie flüssiges Gold. Als ich mich unter Deck begab, war es so wunderbar hell, als ob die Sonne schien, und wie ich es nie gesehen hatte.

Man konnte meilenweit den ganzen Horizont übersehen, und die See lag wie eine unendliche Wüste da.

Gleich nach dem Hinlegen überfiel mich eine große Müdigkeit trotz des drückenden Gefühls, das noch immer auf mir lastete, und ich schlief schnell ein. Wie lange ich in diesem bleiernen Schlafe lag, weiß ich nicht, es kann aber nur kurze Zeit gewesen sein. Dann weckte mich plötzlich ein schreckhaftes Empfinden; ich fuhr in die Höhe und lauschte.

Nichts rührte sich im Schiffe oder auf Deck; alles war totenstill wie vorher; die »Juno« schlingerte langsam weiter, und nur dann und wann hörte ich das matte Flappen der Segel. Ich selbst war aber desto unruhiger und aufgeregter, in meinen Ohren klopften die Herzschläge wie mit Hämmern, meine Glieder waren eiskalt, aber von meiner Stirn tropften dicke Schweißperlen, mich drückte ein furchtbarer Alp, und ich lag wie im Fieber.

Was war das? Ein Grauen überkam mich, und es litt mich nicht länger in der Koje. Ich mußte hinaus, weil mir der Atem auszugehen drohte; ich sprang auf, lief in meinen Nachtkleidern die Kajütstreppe hinauf und ließ von der Thür der Kajütskappe aus meine Blicke über das Deck schweifen.

Alles war in Ordnung, gegen vorhin hatte sich nichts geändert. Die flaue Brise, das leise Rauschen des Wassers vor dem Bug und an den Seiten des Schiffes, der schwarze Himmel und die flimmernden Sterne, die sonderbare Helligkeit und der weite Ausblick auf den Horizont – alles wie vorher. Nichts regte sich, aber trotzdem schlug mein Herz gewaltig, und mich peinigte etwas Schreckhaftes, ohne daß ich sagen konnte was.

Der Mond war jetzt bis zur Höhe des Mars am Himmel aufgestiegen. Ich schaute auf die See, nach der Mondseite hin lag sie ebenso glatt und klar wie zuvor, nichts auf ihr zu sehen, aber als ich mein Auge nach der andern Seite wandte, da durchfuhr es mich, als ob ich ersticken sollte. Mein Gott, was erblickte ich dort?

Ganz nahe an Backbordseite nebenan segelte ein Schiff in Rufweite und steuerte genau denselben Kurs wie wir und auch genau mit derselben Fahrt. Aber es war keines aus der jetzigen Zeit, seine Bauart war ein paar Jahrhunderte alt, wie wir es auf alten Bildern aus jener Zeit sehen.

Es lag so klar auf dem Wasser, wie am hellen Tage, ganz vom Mondlicht übergossen. Ich sah deutlich das Unterschiff, seine Bemastung, die Segel und die ganze Takelage, als ob ich sie mit Händen greifen könnte, und doch vermochten meine Augen kein einzelnes Stück festzuhalten, dann verschwamm eins ins andere. Es war gelb gestrichen und kam mir vor wie ein großer schwimmender Sarg.

Der vordere Teil des Rumpfes lag niedrig auf dem Wasser und lief dann mit einen bedeutenden Sprung nach hinten auf, um hinten am Heck in einer hohen Schanze zu endigen, auf der sich noch ein Art Turm erhob. Statt der Marsen waren ähnliche turmartige Gebäude in den Toppen der Masten aufgebaut. An den Rahen hingen Segel, aber man sah die Sterne durch sie schimmern, sie waren so dünn und durchsichtig wie Spinnweben.

Auf dem Deck bewegten sich Gestalten hin und her, die oft an der Verschanzung stehen blieben und zu uns herüberschauten, aber es waren schattenhafte Wesen, und sie leuchteten in demselben blassen Lichte wie das Wasser, das vor dem Bug des Fremden rippelte.

Dabei war die ganze Lust mit einem durchdringenden Gerüche erfüllt, der schwer auf die Brust fiel, als ob man eine alte Gruft geöffnet hätte mit vermoderten und zerfallenen Särgen.

Ich lief zum Steuermann, der an der Verschanzung stand. Er hatte den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt und schlief fest. Ich rüttelte ihn auf das heftigste, aber vergebens, er war nicht zu wecken. Meine innere Angst steigerte sich immer mehr; mit schlotternden Knieen wankte ich zu dem Mann am Ruder, aber auch er befand sich im tiefsten Schlafe. Er hatte die Radspeichen krampfhaft umklammert; seine Arme waren starr wie Eisenstangen. Auch bei ihm half kein Rütteln, er schlief fest. Ich hielt zuerst beide für tot, aber sie atmeten, wenn auch tief und schwer.

Jetzt versuchte ich die Leute der Wache zu rufen, aber mir versagte die Stimme, kein Laut kam aus meinem Munde. Ich konnte mich auch nicht mehr bewegen, fühlte mich, wo ich stand, wie festgebannt, und eine unbekannte Gewalt zwang mich, meine Blicke stets starr auf das unheimliche Schiff zu richten.

Und nun ward es noch grausiger, überall an den Bordwänden des Fremden wanderten kleine blaue Flammen umher, wie Elmsfeuer, als ob sie lebendig wären, und sie tanzten auch auf den Spitzen der Rahen und Masten.

Mein Gott, welcher Geisterwind hatte dies Schiff hierher geweht? Vielleicht vor einer Stunde noch war die See glatt und leer; die Brise so flau, daß es auf irdische Weise und in so kurzer Zeit uns unmöglich hatte einholen können, und jetzt hielt es mit uns gleichen Schritt, keinen Zoll schneller oder langsamer.

Nun erschien eine Gestalt von übermenschlicher Größe auf der hohen Hinterschanze. Ich sah an ihren Bewegungen, daß sie uns anrief, aber trotz der wenigen Schritte Entfernung und der vollkommenen Stille vernahm ich auch nicht den leisesten Ton.

Wie flehend hob sie die Arme gegen mich, der ich unfähig war, mich zu bewegen. Eine andere gespenstische Gestalt brachte ein Sprachrohr. Die erstere setzte es an den Mund, aber wiederum hörte ich keinen Laut.

Dann verschwand sie von der Schanze, aber bald darauf tauchte ein kleines Boot aus dem Schatten des Geisterschiffes hervor und steuerte auf uns zu. Zwei Mann ruderten, ein dritter saß am Steuer. Es flog förmlich durch das Wasser und war im Augenblick längseits an der Stelle, wo ich stand, aber weder drang der Ruderschlag an mein Ohr, noch feuerte das Wasser, als es dasselbe durchschnitt.

Die steuernde Gestalt richtete sich auf, und es lief mir eiskalt durch den Körper. Sie hatte einen Brief in der Hand, den sie mir zureichte; ich sah, wie die Lippen sich bewegten, aber wiederum kam kein Ton hervor.

Himmel! War es ein Geist oder war ich taub und hatte mich auch der Zauber gepackt? Ich …«

Da schwieg der Erzähler und wohl aus demselben Grunde, der auch mich in diesem Augenblick erregte. Durch das offene Seitenfenster drang ein anscheinend vom Wasser herkommender Gesang an mein Ohr. Plötzlich unterbrach er sich, und ein lautes kreischendes Lachen folgte ihm.

Es war dies zur Nachtzeit, auf einem Kriegsschiffe, wo die größte Ruhe herrschen soll, etwas so Außergewöhnliches, daß ich unwillkürlich in die Höhe fuhr und auch ebenso die Deckoffiziere aufspringen hörte.

»Wer singt da vorn!« erschallte die durchdringende Stimme des wachhabenden Offiziers, der auf der Kommandobrücke stehend, sich gerade über meinem Kopfe befand.

»Niemand, Herr Lieutenant!« erwiderte der Unteroffizier vom Vordeck.

»Ich habe es aber ganz deutlich gehört,« rief der Wachehabende, »erst Singen und dann lautes Lachen.«

»Hier auf dem Vordeck hat kein Mensch einen Laut von sich gegeben,« versicherte der Unteroffizier. Der Lieutenant stieg von der Kommandobrücke und ging nach vorn.

Die Sache berührte mich so eigentümlich, daß ich an Deck eilte und gleichzeitig begaben sich auch die Deckoffiziere nach oben; wie ich selbst, hatten auch sie das Singen mit dem darauffolgenden schrillen Lachen gehört.

Da war es wieder! aber es klang weniger hell, als vorher, nur das unheimliche Lachen hörte man deutlicher. Mir wurde es aber sofort klar, daß es nicht vom Schiffe, sondern von außenbords kam. Durch die offenen Seitenfenster war es deutlicher in die Kammer gedrungen; auf dem Oberdeck wurden die Töne von der hohen Verschanzung aufgehalten und gedämpft.

Der Offizier der Wache hatte es diesmal nicht vernommen bei dem Geräusch, welches die bei seinem Betreten des Vordecks aufspringenden Leute machten. Ich ging ihm entgegen, um ihm mitzuteilen, daß die Laute von draußen und zwar von vorn herkämen.

In diesem Augenblicke betrat der Kommandant das Deck. Er hatte den ungewohnten Lärm gehört und fragte nach der Ursache, während die Leute sich an der Verschanzung und auf der Back zusammendrängten, um zu lauschen.

Als ich dem Vorgesetzten Meldung davon machte, schüttelte er ungläubig den Kopf.

»Wo sollte hier, mitten im Indischen Ozean Singen und Lachen herkommen, anders als von einem Schiff,« sagte er, »und das müßte so nahe sein, um es bei der sternklaren Nacht unbedingt sehen zu können.«

Er suchte mit dem Nachtfernrohr den Horizont ab. »Ich kann nichts sehen,« äußerte er dann, »es muß eine Sinnestäuschung gewesen sein.«

Ich schwieg pflichtschuldigst, obwohl ich meiner Sache ganz gewiß war. Sowohl ich, wie der Wachehabende und die Deckoffiziere hatten es so deutlich vernommen, daß eine Täuschung ausgeschlossen war.

In diesem Augenblicke schlug wieder der Gesang an mein Ohr: »Da ist es von neuem, Herr Kapitän,« rief ich, und alle an Bord horchten so lautlos, daß man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Derselbe Gesang in einer fremdartigen, nie gehörten Melodie, die aber erschütternd wirkte; dann aber brach er plötzlich ab, und es folgte jenes gespenstische Lachen.

Wir auf dem Hinterdeck sahen uns stumm an, und ich kann nicht leugnen, daß mir selbst etwas unheimlich zu Mute war, um so mehr, als mich die Erzählung des schiffbrüchigen Kapitäns in gewissem Grade erregt hatte. Die Sache hatte etwas Übernatürliches, Geisterhaftes an sich, für das wir im Augenblick keine Erklärung wußten.

»Sie haben doch Recht gehabt,« sagte der Kapitän zu mir gewandt, »das ist eine menschliche Stimme und zwar ganz in der Nähe. Aber wie ist es möglich, daß wir das Schiff nicht sehen, zu dem sie gehören muß? Die Luft ist so klar, daß die Sterne bis unmittelbar über dem Horizonte stehen, also kann auch kein Nebel uns das Schiff verbergen. Vordeck da,« rief er dann, »kann einer von euch ein Fahrzeug sehen?«

Hunderte von Augen suchten das Dunkel zu durchdringen, aber ohne Erfolg.

»Nichts ist zu sehen,« kam die Antwort nach einer Weile von vorn, »aber wir haben alle das Singen und Lachen gehört.«

Sämtliche Offiziere waren an Deck gekommen und musterten mit ihren Fernröhren jeden Kompaßstrich des Horizontes, aber ebenso vergeblich. Die Sache wurde immer unverständlicher und rätselhafter.

Da ertönte derselbe seltsame Gesang zum vierten Male, aber jetzt viel deutlicher. Unser segelndes Schiff mußte ihm näher gekommen sein, und gleichzeitig rief eine Stimme aus dem Fockwant, in welches ein Teil der Leute, um besser zu sehen, hinaufgeklettert war: »Ein Boot voraus, zwei Strich an Steuerbord!« Alle hatten den Horizont abgesucht, das niedrig auf dem dunkeln Wasser liegende Boot in der Nähe, war von ihnen übersehen.

Bei dem Rufe löste es sich wie ein Druck von unserm Herzen und auch von dem der Mannschaft, die sich bereits flüsternd in allerlei abergläubischen Vorstellungen ergangen hatte, ebenso wie die Deckoffiziere, die mit dem deutschen Kapitän zusammenstanden.

Als ich an der Gruppe vorbeigegangen, hatte das Wort »fliegender Holländer« mein Ohr getroffen. Nun wir waren ja nicht weit von seiner Domäne, dem Kap der guten Hoffnung. Es hatte sich aber gezeigt, daß wenigstens nichts Unirdisches zu Grunde lag, wenngleich trotzdem noch vieles unerklärlich blieb.

»Geien Sie das Großsegel und brassen Sie die Großrahen back,« befahl der Kommandant dem Wachehabenden. »Lassen Sie den Leekutter klar machen; jedenfalls wollen wir sehen, wie diese mysteriöse Angelegenheit zusammenhängt. Der Offizier, der die nächste Wache bekommt, soll mitfahren.« Dieser war ich selbst.

»Gei auf Großsegel, brasst die Großrahen back und Steuerbordkutter klar!« befahl der Wachehabende. Der Bootmannsmaat wiederholte das Kommando, und sein schrillender Pfiff begleitete es.

In wenigen Minuten war der Befehl ausgeführt. Die Bootsbesatzung eilte auf das Hinterdeck zu ihrem Fahrzeuge, und sehr bald war der Kutter von seinen Krähnen zu Wasser gelassen. Sobald er unten war, sprang auch ich hinein und ließ in höchster Spannung, wie sich die Sache entwickeln werde, Kurs in der Richtung des fremden Bootes nehmen.

In kurzer Zeit waren wir längseits, aber fast stand das Herz mir still bei dem furchtbaren Anblick, der meiner harrte.

Auf einer Ducht, mit dem Kopfe quer über die Bordwand hängend, lag eine Leiche, eine zweite hinten im Boot, und über ihr kauerte eine menschliche Gestalt, aber in welchem erschütternden Zustande.

Ihre Beine waren bis zum Knie krampfhaft emporgezogen, und die vertrockneten Hände, wie die Krallen eines Raubvogels aussehend, klammerten sich zu beiden Seiten an den Dullbord. Ich leuchtete dem unglücklichen Wesen mit der Bootslaterne in das Gesicht, um zu sehen, ob es noch lebe, fuhr aber unwillkürlich entsetzt zurück.

Ja, der Mensch lebte, aber wie grauenerregend sah er aus! Die Züge verfallen, von einer Gesichtsfarbe, wie die eines längst Gestorbenen. Fast braungefärbte Haut überspannte die Stirn so straff, als wollte sie jeden Augenblick zerreißen, und das Ganze machte den Eindruck eines Totenkopfes, aber aus ihm leuchteten mir zwei tiefschwarze Augen mit so brennender Glut entgegen, daß es mir durch Mark und Bein ging.

Und dann begann dies erbarmungswürdige Geschöpf wieder jenen eigentümlichen Gesang, der uns alle in so große Aufregung versetzt hatte und dem der Ausbruch des erschütternden Lachens folgte.

Ich befand mich einem Wahnsinnigen gegenüber, seines Verstandes beraubt durch Hunger und Durst, durch unsagbare Qualen in einem offenen Boote auf der weiten mitleidslosen Meereswüste!

Keine Spur von Nahrung, kein Tropfen Wasser fand sich im Boote. Ein kleines Wasserfaß lag vorn im Boot, aber zerschlagen, und in der Brust der auf der Ducht liegenden Leiche steckte bis zum Heft ein Matrosenmesser. War dies das Zeichen eines Verzweiflungskampfes um den letzten Wassertropfen, oder war es Selbstmord, um entsetzliche Leiden zu enden? Wer wußte es? Aber mich durchlief ein Schauer; ich befand mich einem Stück Romantik des Meeres gegenüber, aber in ihrer tragischsten Gestalt.

Ich nahm jetzt das Boot ins Schlepptau und bugsierte es an Bord. Ich machte dem Kommandanten meine Meldung, und der unglückliche Überlebende wurde an Deck genommen, wo ihm der Arzt etwas Rum und Wasser einflößte.

Die Wirkung war zauberhaft; der zusammengekrümmte Körper streckte sich und versuchte sich aufzurichten, aber die Kräfte versagten doch.

Der Doktor wollte ihn unter Deck bringen lassen und gab den Lazarethgehilfen Anweisungen, aber kaum hatten diese den Unglücklichen angefaßt, da war es, als ob plötzlich Riesenkräfte über ihn kämen. Er schleuderte die beiden Gehilfen weit von sich und stürzte auf die Fallreep zu, wo gerade die zweite Leiche, die eines 12-14jährigen Knaben aus dem Boote heraufgebracht und auf das Deck niedergelegt war.

Er umklammerte dieselbe und brach über ihr zusammen. » Agua, agua para mi querido hijo, para mi Pedrillo!« kam es in verzweiflungsvollem Jammer, der uns in die Seele schnitt, aus seinem Munde, » oh Dios, un poco agua, esta muriendo!«

»Wasser, Wasser für mein geliebtes Kind, für meinen kleinen Pedro, um Gottes Barmherzigkeit willen, einen Tropfen Wasser, er stirbt ja!«

Es war ein Spanier. Auf einen Augenblick kehrte sein Verstand zurück, aber nur, um für sein Kind um Erbarmen zu flehen. Noch einmal versuchte der Arme sich etwas aufzurichten, um einen langen schmerzlichen Blick auf das Antlitz des toten Knaben zu werfen. Ay de mi! Wehe mir, entrang sich leise seiner Brust, – dann neigte sich sein Haupt auf den Körper seines Kindes, ein konvulsivisches Zittern ging durch seinen Körper; seine Seele war entflohen.

Stumm und auf das tiefste erschüttert umstanden wir den Toten, und selbst den harten Matrosen liefen Thränen über die gebräunten Wangen.

Am andern Tage wurden die drei Leichen ihrem weiten Grabe, der dunkeln Tiefe, übergeben.

Es war wieder ein wunderbarer Morgen angebrochen; eine leichte Brise schwellte die Segel, vom wolkenlosen Himmel warf die Sonne ihr goldiges Licht herab auf den Ozean, der in seinem tiefen Blau sich ohne Grenzen vor den Blicken aufrollte, dessen kleine mit Silberschaum gekrönten Wellen überköpften und sich tändelnd zu haschen und zu jagen schienen.

Das Schiff wurde zum Stillstand gebracht, während zugleich die Flagge zum Zeichen der Trauer halbstocks an der Gaffel emporstieg.

Offiziere und Mannschaften sammelten sich mittschiffs an der Fallreep. Die in Hängematten eingenähten und am Fußende mit Kanonenkugeln beschwerten Leichen wurden aus der Batterie an Deck gebracht. Der erste Offizier verlas das Totengebet, dem die tiefergriffene Mannschaft andächtig lauschte.

Dann hob man das Rostwerk, auf dem die Leichen ruhten, legte sie schräg auf die Plattform der Fallreep, und langsam glitten sie hinab in die bodenlose Tiefe. Schwächer und schwächer leuchteten die weißen Hängematten aus ihr herauf, einige Luftblasen stiegen empor zur Oberfläche – dann war jede Spur verschwunden.

Keine Blume schmückt die Stelle
Und kein Hügel zeigt den Ort,
Nur des Meeres flücht'ge Welle
Und der Wind rauscht drüber fort.

Das von uns aufgefischte Boot trug auf seinem Heck keinen Schiffsnamen, wie es sonst wohl üblich ist. Nachzuforschen, zu welchem Schiffe es gehörte, war deshalb unmöglich, und so barg der Ozean wiederum eins der vielen Geheimnisse von namenlosen menschlichen Leiden, über das er für immer einen undurchdringlichen Schleier gebreitet.

In einigen Monaten werden die Schifffahrtszeitungen den Namen des verschwundenen Schiffes veröffentlichen, und daneben wird das tieftraurige Wort »Verschollen« erscheinen. Wo und wie es mit seiner Besatzung von seinem furchtbaren Geschick ereilt, von welchen unaussprechlichen Qualen letztere vorher heimgesucht sind, bevor sie endlich ein mitleidiger Tod erlöste – niemand wird es je erfahren.

Am andern Morgen sprach ich mit dem Kapitän der deutschen Brigg. Ich teilte ihm offen mit, daß ich an jenem Abend seine hochinteressante Erzählung von dem ihm erschienenen fliegenden Holländer in meiner Kammer mit angehört und gar zu gern wissen möchte, wie es schließlich geworden sei.

Zuerst blickte er mir prüfend ins Gesicht, er mochte mich wohl auch für einen der Jüngeren halten, die sich über so tiefernste Sache lustig machen, aber ich verstand es meisterhaft, meinen Zügen einen durchaus gläubigen Ausdruck zu geben, so daß sein Mißtrauen schwand.

»Wie weit haben Sie denn die Geschichte gehört?« fragte er dann offenbar beruhigt.

»Bis die Gestalt im Boot Ihnen den Brief zureichte,« erwiderte ich.

»Ach ja,« äußerte er. »Ja, denken Sie nur, obwohl ich wußte, daß man einen solchen Brief nicht annehmen darf, wenn man kein Unglück mit dem Schiffe erleben will, so zwang mich doch eine unwiderstehliche Gewalt, ihn zu empfangen. Sobald er aber in meiner Hand lag, zerfiel er in Asche, und als ich dann einen Blick nach dem Geisterschiff warf, war es mit samt dem Boote spurlos verweht.

Gleichzeitig konnte ich wieder frei aufatmen und fand den Gebrauch der Glieder wieder, der Steuermann ging ruhig auf dem Hinterdeck auf und ab, der Mann am Ruder drehte die Speichen, und ich legte mich zur Koje, um noch bis zum Beginne meiner Wache ruhig zu schlafen. War das nicht wunderbar?«

»Ganz gewiß, Kapitän,« erwiderte ich, »es war hochinteressant für mich, die Erlebnisse von Ihnen zu hören und ich danke Ihnen sehr dafür.«

Dann verabschiedete ich mich mit freundlichem Nicken von dem braven Manne und dachte bei mir selbst: »Wie merkwürdig lebendig doch manche Menschen bisweilen träumen können!«

.


 << zurück weiter >>