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Eine schlimme Nacht.

Wenn ein Seemann in das Inland kommt, hört man oft, namentlich aus Damenmunde, die Frage an ihn richten: »Haben Sie auch schon einmal einen Sturm erlebt?« und wenn er dann antwortet: »Ein paar Dutzend oder auch wohl gar: »Ein halbes Hundert«, dann schaut man ihn ungläubig an, und er kommt leicht in den Verdacht, Seemannslatein zu sprechen, das dem Jägerlatein bekanntlich wenig nachgiebt.

Und doch braucht er deshalb von der Wahrheit nicht abzuweichen, wenn er längere Jahre die sturmreichen Gewässer unserer nordischen Meere, das Kap Horn und das Kap der guten Hoffnung befahren hat. Könnte ich z. B. die von mir während meiner sechsunddreißigjährigen Seefahrtzeit erlebten Stürme an Zahl genau angeben, so würden hundert gewiß nicht zu hoch gegriffen sein.

Am Lande, wo man das Meer nur vom Hörensagen kennt, macht man sich von Stürmen auf ihm gewöhnlich eine für die Schiffahrt sehr gefährliche Vorstellung.

Nun ja, unter Umständen, wenn man mit auflandigem Winde eine Küste oder Untiefen nahe in Lee hat, können sie es freilich werden, und zahlreiche Schiffbrüche liefern den Beweis; in offenem Wasser jedoch sind sie gewöhnlich nicht so schlimm, ja nicht selten werden sie sogar von der Mannschaft willkommen geheißen.

Wenn nämlich das Schiff erst beigedreht ist, wobei das Bergen der Segel bei Hagel und Schnee, wenn das Tuch steif gefroren ist, die Leute sich die Fingernägel daran abbrechen und der Sturm es ihnen immer wieder aus den Händen reißt, freilich recht unangenehm werden kann, dann wird während der Sturmtage nur das gearbeitet, was unumgänglich nötig ist.

Zum Schutze gegen Wind und überkommende Spritzer sitzen, die Matrosen im Lee des mittschiffs auf dem Oberdeck stehenden größten Bootes, haben ihr wasserdichtes Ölzeug übergezogen, den braunen Südwester mit dem Nackenschirm auf den Kopf gesetzt, rauchen ihr Pfeifchen und spinnen Garne, je zäher, je besser für die aufmerksam lauschenden Kameraden.

Durch das Manöver des Beidrehens sucht man sich Schutz gegen verheerende Sturzseen zu verschaffen. Wird die See nämlich so grob, daß ihr seitliches Überbrechen oder auch ein Überrennen zu befürchten ist, wenn sie größere Geschwindigkeit als das Schiff selber erreicht, dann wird nicht länger gesegelt, sondern man legt letzteres unter kleinen Segeln mit dem Kopfe so nahe an den Wind wie möglich.

Bei modernen Schiffen größerer Art kann man dies in der Weise thun, daß die Kielrichtung mit dem Winde einen spitzen Winkel von sechs Strich oder 67½ Grad bildet. Der Wind trifft dann nur schräg von vorn auf die entsprechend gebraßten Rahen mit ihren Segeln, und das Schiff geht nicht mehr voraus, oder mindestens nur sehr langsam, sondern treibt langsam fast quer ab. Sein Rumpf glättet infolge dessen die Wellen und schafft dadurch an der Luvseite ein breites verhältnismäßig ebenes Kielwasser, an dessen Fläche die Sturzseen sich unschädlich verlaufen und in sich zusammenstürzen. In neuerer Zeit unterstützt man dies noch mit Öl, das man auf die Wasserfläche tropfen läßt. An der Spitze einer langen Stange, die man windwärts vorn über den Bug aussteckt, befindet sich ein mit Öl gefüllter Sack aus Segeltuch, der so eingerichtet ist, daß das Öl nur tropfenweise heraussickert. Ein solcher Tropfen hat aber die merkwürdige Eigenschaft, daß er sich im Nu in einer ganz dünnen Schicht über viele Quadratmeter Wasser ausbreitet, jedes Schäumen und Wirbeln desselben sofort unterdrückt und eine glatte Fläche schafft, vor der die heranrollenden Sturzseen wie durch Zauber, verschwinden. Die alten Mittelmeervölker haben bereits vor dreitausend Jahren diese Methode, ohne die sie mit ihren gebrechlichen Fahrzeugen wohl kaum über See gekommen wären, angewandt, und seit etwa zwanzig Jahren ist sie von uns mit Erfolg wieder aufgenommen.

Zwar suchen die schräg von vorn heranrollenden Wogen den Kopf des Schiffes wieder leewärts zu werfen, allein das oder die Sturmsegel am Hinterende des Schiffes wirken als Hebel dagegen. Ein gut gebautes Schiff bleibt dann in derselben Richtung liegen und macht, wie die Seeleute sagen, gut Wetter, d. h. es folgt wohl den Bewegungen der Wellen, die es heben und senken, aber es nimmt außer kleinen Spritzern kein Wasser über, behält wenigstens hinten ein trockenes Deck, und gewöhnliche Stürme können ihm nichts anhaben.

Dann und wann schickt jedoch, wie Jan Maat sich auszudrücken pflegt, der Teufel ihm Stürme aus seiner hintersten Kiste auf den Hals, gegen welche das Beidrehen wenig oder nichts nützt, und denen die größten, bestgebauten und geschicktest geführten Schiffe zum Opfer fallen, oder in denen sie wenigstens schwer havariert werden, und dies sind die sogenannten Cyklone oder Wirbelstürme, die Schrecken der Seeleute.

Viele der Leser haben wohl schon eine Windhose gesehen: nun sie ist ein Cyklon im kleinen und giebt ein getreues Abbild desselben.

Die Luft wirbelt um einen cylindrischen Mittelraum, weht in Spiralen mit wachsender Geschwindigkeit gegen denselben hin, so daß also die Windrichtung an jedem Punkte sich ändert und der ganze Windkörper wandert dabei in gerader Linie, meistens aber kurvenförmig vorwärts.

Die allseitig auf den Mittelpunkt gerichteten Luftströmungen stoßen dort zusammen, entweichen nach oben, und es entsteht dadurch in jenem bei sehr niedrigem Luftdruck eine saugende Bewegung, die am Lande den Staub aufwirbelt und die Windhose dem Auge sichtbar macht.

Der Durchmesser der letzteren überschreitet selten zwanzig, ihre Höhe kaum hundert Fuß, während dagegen ersterer bei Cyklonen Hunderte von Seemeilen betragen kann und die Mittelsäule bis in die höheren kalten Regionen der Atmosphäre hinaufreicht, an denen die mit Wasserdunst beschwerten aufsteigenden Luftteilchen sich verdichten und als gewaltige Regen von außergewöhnlichen elektrischen Entladungen begleitet herniederstürzen.

Die Fortbewegung eines Wirbelsturmes ist außerordentlich verschieden. Bisweilen geht sie sehr langsam vor sich, kaum 5-6 Seemeilen in der Stunde, dann wieder mit 15 bis 20 Seemeilen Geschwindigkeit; immerhin ist aber seine Sturmgewalt eine unbeschreiblich verheerende, und es ist schwer, an die Wahrheit ihrer furchtbaren Wirkungen zu glauben, wenn man sie nicht selbst erlebt hat.

Als z. B. im Jahre 1821 ein solcher Cyklon die Insel Barbados in den Antillen heimsuchte und sie fast in eine Wüste verwandelte, wurden von ihm aus den Batterien vierundzwanzigpfündige Geschütze aufgenommen und Hunderte von Schritten weit durch die Luft fortgeführt.

Während meiner Anwesenheit in Shanghai im Jahre 1862 vernichtete ein im chinesischen Meere »Taifun« genannter Wirbelsturm dort an einem Tage 800 Dschunken, und mit ihnen wurden 20 000 Menschen im Meere begraben.

Auf Manilla wurden 1882 zwanzigtausend Häuser zerstört, und Tausende von Menschen kamen um. Eine schwere eiserne Stange wurde von einem Gebäude losgerissen, flog in einer Höhe von 34 Metern über 300 Meter weit gegen das Observatorium und zerschmetterte den auf dem Dache aufgestellten Windmesser, der in diesem Augenblicke eine Windgeschwindigkeit von 53 Meter in der Sekunde anzeigte. Schwere zum Festmachen der Schiffe eingegrabene Kanonenrohre wurden aus dem Boden gerissen und zum Meeresufer hinabgerollt, einige dreißig auf der Reede liegende Dampfer gingen entweder verloren oder wurden schwer beschädigt.

Unsere Marine hat im Laufe der Jahre fünf Schiffe in Cyklonen eingebüßt: »Frauenlob«, »Amazone«, »Augusta«, »Eber«, »Adler«. Von den ersteren drei ist keine Spur geblieben, von letzteren beiden, die bei Samoa zu Grunde gingen, wurde nur ein kleiner Teil der Besatzungen gerettet. »Arkona« und »Olga« entgingen nur wie durch ein Wunder demselben Schicksale. Dem kürzlich verlorenen Kanonenboot »Iltis« hat wahrscheinlich auch ein Taifun den Untergang bereitet. Die Wissenschaft ist bemüht gewesen, die Ursachen dieser furchtbaren Natur-Erscheinungen klarzulegen, aber bis jetzt ist es ihr nicht einwandfrei gelungen, und sie hat nur Hypothesen von größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit aufzustellen, worauf näher einzugehen jedoch zu weit führen würde.

Indessen hat die Annahme wohl am meisten für sich, daß die Kraftquelle dieser gewaltigen, wenn auch räumlich beschränkten Phänomene in dem allgemeinen Kreislauf der Atmosphäre zu suchen ist, welche bekanntlich in höheren Regionen mit stürmischer Geschwindigkeit vor sich geht, und wo sich Wirbel bilden, die sich dann noch mit weit heftigerer Bewegung auf die Erde herabsenken.

Ein Glück ist es, daß diese Stürme sich meistens auf bestimmte Gegenden innerhalb der Wendekreise und dort auch wieder auf gewisse Monate beschränken, nämlich auf die westindischen Gewässer, auf einen Teil des Indischen Ozeans und des Stillen Meeres, sowie auf das Chinesische Meer. In ersteren tragen sie den Namen Orkane, in letzteren Taifune. Cyklone von kleinerem Durchmesser und kürzerer Dauer, aber von nicht weniger Heftigkeit kommen auch als Tornados an der westafrikanischen Küste und in Nordamerika vor.

Selten begegnet man solchen Wirbelstürmen in außertropischen Gewässern; bisweilen können sie sich jedoch von ihren Geburtsstätten auf Tausende von Meilen erstrecken. In einem solchen ging unsere Korvette »Amazone« in der Nordsee verloren, der von Westindien ausgehend bis dorthin reichte, und ich selbst erlebte 1860 jenseits des Kaps der guten Hoffnung im Indischen Ozean einen solchen auf 40 Grad Südbreite, auf den ich noch zurückkommen werde, und der bald ein Ende mit uns gemacht hätte.

Bis zur Mitte unseres Jahrhunderts betrachteten die Seeleute solche Stürme als schwere Heimsuchungen, die sie willenlos über sich ergehen lassen mußten und die deshalb große Opfer forderten. So z. B. gingen von den drei Schiffen, welche, solange Japan noch gegen fremde Nationen abgeschlossen war, die Holländer allein jährlich zu Handelszwecken dorthin schicken durften, fast regelmäßig zwei in Cyklonen verloren.

Seit 1850 haben sich jedoch sowohl Gelehrte wie praktische Seeleute mit Erforschung dieser Wirbel eingehender beschäftigt und unter ihnen auch unser berühmter Meteorologe der verstorbene Professor Dove, dessen von ihm entdecktes Gesetz der Stürme, nach welchem diese sich im Norden und Süden des Äquators in entgegengesetztem Sinne drehen, den Seeleuten einen außerordentlichen Dienst erwiesen hat.

Die Erfolge dieser Forschungen, die jedoch noch nicht abgeschlossen sind, waren immerhin solche, daß sie den Schiffsführern wertvolle Ratschläge an die Hand gaben, um das Nahen eines Wirbelsturmes zu erkennen und wenn ihn auch nicht gänzlich zu vermeiden, so doch wenigstens seinem gefürchteten Mittelpunkte auszuweichen, dessen Wut ein Schiff selten zu widerstehen vermag.

Fallender Barometer, besonderes Aussehen des Himmels und seiner Färbung, aus verschiedener Richtung laufender Seegang. Erscheinen von Vögeln oder Insektenscharen u. dgl. sind Anzeichen eines Cyklons, aber die Hauptsache für die Schiffe bleibt immer die Bestimmung der relativen Lage und ungefähren Entfernung des Mittelpunktes, sowie des Weges, den dieses marschiert, um danach die richtigen Maßnahmen treffen zu können.

Dafür hat nun ein praktischer Meteorologe, Namens Piddington, Regeln aufzustellen gesucht, und wenn dieselben in letzter Zeit auch angefochten wurden, so bleibt die Thatsache bestehen, daß diese Regeln in außerordentlich vielen Fällen sehr genützt haben.

Daß sie nicht immer den angestrebten Zweck erreichen, erklärt sich wohl unschwer daraus, daß die Natur überhaupt nicht immer nach derselben Schablone verfährt, und bis sie durch bessere und feststehende Regeln ersetzt sind, ist es nur ratsam, nach ihnen zu verfahren, da sie Tausende von Schiffen vor dem Untergange bewahrt haben.

Jene Regeln lauten kurzgefaßt folgendermaßen: Wenn man aus den verschiedenen Anzeichen Ursache hat, auf das Nahen eines Cyklons zu schließen, so wende man das Gesicht gegen den Wind. Dann liegt der Mittelpunkt im Norden des Äquators um einen Viertelkreis rechts und im Süden ebensoviel links.

Die Entfernung läßt sich natürlicherweise nur annähernd schätzen. Nach genauer Untersuchung von etwa sechzig Wirbelstürmen hat Piddington dafür eine Skala des stündlichen Barometerfalles aufgestellt. So und so viel Barometerfall in der Stunde ergeben die und die Entfernung.

Für die Bestimmung der Mittelpunktsbahn ist die Änderung der Windrichtung maßgebend. Da, wie schon bemerkt, diese an jedem Punkte des Umfanges eine andere ist und das sich wenig bewegende Schiff als fester Punkt gelten kann, so muß sich für letzteres die Lage des Centrums ändern, sobald sich der Wind dreht.

Hat man z. B. im Norden des Äquators Nord-Ostwind, dann liegt der Mittelpunkt des Windes um einen Viertelkreis rechts d. h. in Südost. Ist der Wind nach Verlauf von etwa einer Stunde auf Nord gegangen, so liegt es in Ost. Hat er sich nach Verlauf einer weiteren Stunde auf Nordwest gedreht, so befindet es sich in Nordost.

Setzt man nun diese Punkte mit der sich jeweilig nach dem Barometerfall ergebenden Entfernung auf der Seekarte ab, so hat man die Bahn des Wirbels und weiß, je nach dem Stande der Witterung, wie man zu handeln hat, um das Centrum vor oder hinter sich vorüber zu lassen, indem man über diesen oder jenen Bug beidreht oder vor dem Winde im rechten Winkel von der Bahn absegelt.

Ändert sich der Wind aber nicht, so sind zwei Fälle möglich. Entweder wird ersterer schwächer und der Barometer steigt, dann marschiert das Centrum in gerader Linie vom Schiffe ab und jede Gefahr ist beseitigt; oder es tritt das Gegenteil ein, und dann ist es die höchste Zeit zu fliehen. In dem angeführten Falle würde man also mit Nordwestwind platt vor dem Winde und mit soviel Fahrt, wie es dem Schiffe möglich ist, nach Südost zu steuern haben, um von dem Centrum frei zu kommen.

Immer wird dies jedoch nicht möglich sein; denn wenn in jener Richtung nahes Land oder Untiefen liegen, nun, dann ist eben nichts zu machen; dann muß man sein Geschick dem lieben Gott anheim stellen und über sich ergehen lassen, was er verhängt.

Nach dieser, wie ich hoffe, allgemeinverständlichen Erklärung des Wesens dieser Stürme, will ich versuchen einen solchen zu schildern, den ich selbst erlebt habe, und der sich nicht nur wegen seiner elementaren Gewalt und der damit für Schiff und Mannschaft verbundenen großen Gefahr, sondern auch wegen der begleitenden Umstände meinem Gedächtnisse fest eingeprägt hat, da sich in ihnen wieder einmal die düstere Romantik des Meeres in ihrer tragischsten Gestalt offenbarte.

Als Preußen in den Jahren 1860 bis 1862 zum ersten Male ein größeres Geschwader in transatlantische Gewässer aussandte, um Handelsverträge mit Japan, China und Siam abzuschließen, befehligte ich eines der vier Kriegsschiffe, die dasselbe bildeten, und zwar die »Elbe.«

Die drei übrigen »Arcona«, »Thetis«, und »Frauenlob« waren vorausgesegelt, und ich folgte ihnen nach kurzer Zeit allein, um mich zunächst nach Singapore zu begeben. Ich befand mich – es war gerade der 21. Juni, also dort Winteranfang, im Indischen Ozean jenseits des Kaps der guten Hoffnung, wo man ebenso wie bei Kap Horn auf sehr viel schlechtes Wetter zu rechnen hat.

Bis dahin hatten wir nicht viel damit zu kämpfen gehabt, obwohl wir doch schon zweimal zum Beidrehen gezwungen gewesen waren. Dann aber bedeckte sich der blaue Himmel mit einer undurchsichtigen Dunstschicht, die nicht die Sonne durchließ, und im Süden türmte sich langsam und drohend eine dunkle Wolkenbank auf, deren obere Kanten scharf wie mit einem Messer abgeschnitten waren, und die sich allmählich braunrot färbte, was immer eine verdächtige Erscheinung ist und den Seemann zur Vorsicht mahnt.

Der Wind war bisher mäßig gewesen und der Seegang dem entsprechend. Während ersterer allmählich abnahm, wuchs dagegen der letztere um Mittag bedeutend, die Dünung kam in langen einander jagenden Falten aus südlicher Richtung dahergerollt und brachte zugleich aus den Polargegenden einen eisigen Hauch mit sich.

Bisweilen vernahm man in den oberen Luftschichten ein sonderbares unheimliches Geräusch, wie das schmerzliche Stöhnen eines Riesen, dort oben mußte bereits etwas Außergewöhnliches vorgehen. Die Fische sprangen aus dem Wasser, und Sturmvögel, Albatrosse, Kaptauben, Lommen und Seeschwalben scharten sich um das Schiff. Bei gutem Wetter bleiben sie demselben fern, bei schlechtem jedoch, wo sich die See an dem Schiffe bricht, wirft sie die Mollusken und sonstigen kleinen Wassertiere, von denen jene leben, an die Oberfläche.

Dann wurde der Dunstschleier immer dichter; die Wolkenbank rückte allmählich bis zum Zenith empor; gegen ein Uhr nachmittags war es fast dunkel geworden, und der Wind hatte ganz nachgelassen. Es war aber eine unheimliche Stille, die schwer auf den Gemütern lastete und Unheil kündete.

Mir ahnte für die Nacht nichts Gutes, und ich ließ deshalb noch bei Tage alle Vorbereitungen treffen, um den kommenden Sturm gerüstet zu empfangen. Bis auf die dichtgerefften Marssegel wurden alle übrigen Segel geborgen, die Bramstangen an Deck genommen, um das Schiff in den Toppen zu erleichtern. Boote, Spieren, Kanonen wurden mit doppelten Befestigungen versehen, sämtliche Luken bis auf einen Niedergang gut dicht verschalkt – mit einem Worte nichts versäumt, um dem Schiffe jede mögliche Sicherheit gegen die Elemente zu geben und alles sturmklar zu machen, da der Barometer stetig und stark fiel.

Es dauerte jedoch noch einige Stunden, ehe der Wind kam, und wir sehnten uns ordentlich danach, denn in der immer wachsenden Dünung rollte das Schiff, das an den verkleinerten und schlaff niederhängenden Segeln keine seitliche Stütze fand, sich fast die Seele aus dem Leibe und krachte in allen Fugen.

Dann aber begann es zu wehen und zwar gleich mit »Trommeln und Pfeifen«, so daß ich schleunigst auch die gerefften Marssegel fortnahm, nur die kleinen Sturmsegel, Vorstengestagsegel und Sturmbesan setzen ließ und beidrehte, denn an Segeln war nun weiter nicht zu denken. Bei dem Zustande der Witterung wären entweder die Marssegel fortgeflogen oder die Masten gebrochen, das Schiff von den immer schneller heranströmenden Wogenbergen überrannt und mit uns in die Tiefe versenkt worden.

Es war so finster geworden, daß man keine Hand vor Augen sehen konnte, und der Himmel bildete nur eine schwarze Masse. Dann aber zerriß sie plötzlich, ihre einzelnen scharfgezackten Teile jagten mit rasender Fahrt über unsern Häuptern dahin, hier und dort durch klare Stellen unterbrochen, aus denen auf Augenblicke Sterne ihr weißes Licht auf die Meeresfläche niederschossen, während die vom Horizonte gespenstisch und in blaugelbem Lichte aufflammenden Blitze die herrschende Dunkelheit nur noch tiefer erscheinen ließen.

Der erste Stoß war nicht so sehr schlimm gewesen, aber kaum hatten wir beigedreht, da kam der zweite und zwar mit solcher Wut, wie ich es früher oder später nicht wieder erlebt habe.

Schon aus der Ferne schlug sein donnerndes Brausen an unser Ohr, und wir sahen auch, wie er herannahte, denn er wühlte die See turmhoch auf, wie man es nur in diesen Gewässern findet, und verwandelte ihre überbrechenden Kämme in eine einzige Schaummasse, die in Phosphorlicht glühend die Finsternis bekämpfte und den ganzen Horizont als leuchtenden Kreis zeichnete.

Trotz unserer kahlen Masten legte er das Schiff plötzlich so weit nach Lee über, daß fast die ganze Verschanzung im Wasser pflügte, und hielt es in dieser Lage fest. Masten und Stengen standen krumm wie Fiedelbogen, die Wanten und Pardunen (Haltetaue) waren an der Luvseite starr wie Eisenstangen gespannt, während sie in Lee lose hin und her schlenkerten, und wir mußten Taue quer über Deck spannen, um nur von einer Seite zur andern kommen zu können. Ringsumher kochte und brodelte die See, wie in einem Hexenkessel in unheimlich grünlichem Schimmer, und der Sturm jagte den Gischt über das ganze Schiff, als sei es in eine leuchtende Dampfwolke gehüllt.

Wenn die Wogen wie wandelnde Gebirge näher gerollt kamen und ihre riesigen Kämme überbrachen, dann übertönte ihr donnerndes Brausen noch das Heulen und Pfeifen des Sturmes in der Bemastung. Unser Schiff stöhnte und ächzte unter dem furchtbaren Druck des Windes und der See wie ein lebendes Wesen in Todesnot, sobald eine Woge es aus ihre Spitze hob und es dann in das Wellenthal hinabschleuderte, als sollte es nimmer wieder ins Tageslicht schauen.

Alles krachte, kreischte und schrie in ihm bei diesen gewaltsamen Bewegungen, die Masten und Rahen, die Balken und Schotten, das Tauwerk und die Blöcke – es war ein schreckliches Konzert, bei dem man sich bisweilen des Grauens nicht erwehren konnte.

Inzwischen war der Mond aufgegangen, aber während sonst sein Erscheinen in Sturmnächten von den Seeleuten froh begrüßt wird, trug er heute nur dazu bei, den furchtbaren Eindruck des ringsumher wütenden Chaos noch zu vertiefen. Sein plötzliches Erscheinen und Verschwinden hinter den jagenden Wolkenmassen war nur sinnverwirrend und erregte in uns das Gefühl von Schwindel, so daß wir unsere Augen abwenden mußten.

Trotz alledem beschlich uns inmitten dieses außergewöhnlichen Naturereignisses keine große Besorgnis. Es ist kaum glaublich, was ein gut- und starkgebautes Schiff, wenn es rechtzeitig beigedreht wird, in solchem Wetter auszuhalten und wie es auch im übermenschlichen Kämpfen mit elementaren Naturkräften den Sieg davonzutragen vermag. Das wußten wir aber von unserer »Elbe« und blickten deshalb mit ziemlicher Ruhe auf den tosenden Aufruhr um uns her.

Schon mehrere Stunden hatten wir beigelegen und waren sehr von den vorzüglichen Seeeigenschaften unseres guten Schiffes durchdrungen, als unser Selbstbewußtsein plötzlich stark erschüttert wurde und nur ein merkwürdiger Glücksfall wenigstens einen Teil der Besatzung vor jähem Tode bewahrte.

Ich stand mit dem Offizier der Wache und einem Unteroffizier an der Luvverschanzung vor der Kampanje, dem hintern Halbdeck, in dem sich meine Kajüte und die Kammern der Offiziere befanden, als der Mann hinten am Steuerruder die über ihm hängende Schiffsglocke läutete, ein Zeichen, daß er eine Mitteilung zu machen habe.

Ich ließ den gleichfalls auf dem Hinterdeck befindlichen Bootsmann –, die ganze übrige Wachmannschaft hatte ich zum Schutze gegen etwa überkommende Seen nach vorn unter die Back geschickt –, der soeben bei den verschiedenen gewaltsamen Stößen des Sturmes gegen mich die charakteristische Äußerung gethan: »Das weht heute nicht, das schmeißt ja Wind!« über das Halbdeck zum Nachfragen gehen, als plötzlich wieder ein furchtbarer Puff einfiel, der mit einem Knall den Sturmbesan zerriß und ihn im Augenblick zu Atomen zerfetzt, in die Nacht entführte.

Da dem Schiffe jetzt das gegenwirkende Hintersegel fehlte, das ein gutes Beiliegen bedingt, wurde von der nächsten schräg von vorn kommenden schweren Welle sein Kopf leewärts geworfen. Darauf kam der Wind mehr von hinten ein: es begann bei der Gewalt des Sturmes sofort zu segeln, verlor dadurch das schützende seitliche Kielwasser, und gleich danach brach eine verheerende Sturzsee in der Gegend des Großmastes über Deck.

Sowohl ich selbst, wie der unmittelbar hinter mir stehende Offizier der Wache und der Unteroffizier vor mir wurden von ihr erfaßt und nach Lee des bis zum Kentern übergelegten Schiffes, aber in so sonderbarer Weise geschleudert, daß ich noch heute nicht begreifen kann, wie auf einem so engen Raume die Wirkung der Welle eine so verschiedene sein konnte, es sei denn, daß ihre Bewegung eine wirbelnde war.

Ich ging nämlich quer über das Deck in gerader Linie über Bord, während der Unteroffizier vor mir schräg nach hinten, gegen die Kammerthür des ersten Offiziers in der Kampanje mit solcher Kraft geworfen wurde, daß diese einbrach und ihr schlafender Bewohner durch die hereinflutenden Wassermassen in der Oberkoje fast erstickt wurde.

Der hinter mir stehende Wachoffizier dagegen wurde schräg nach vorn gespült und neun Fuß über Deck von den Strickleitern der Großwanten (Haltetaue des Großmastes) aufgefangen, sonst wäre er unfehlbar verloren gewesen.

Daß ich selbst aber nicht das Leben einbüßte, zählt zu den wunderbaren Ereignissen, wie sie öfter auf See vorkommen. Wie ich bemerkte, war das schon durch den bloßen Winddruck sehr schief liegende Schiff durch die Wucht der anprallenden mächtigen Sturzsee noch so viel weiter übergefallen, daß die Leeverschanzung mehrere Fuß unter Wasser lag, und das war mein Glück. Als sich dann das Fahrzeug nach dem Stoße wieder aufrichtete, wurde ich von ihr aufgeschöpft, bekam irgend etwas Festes innenbords zu fassen, konnte den Kopf über Wasser bringen, Atem schöpfen und war so gerettet.

Keiner von uns dreien wurde ernstlich verletzt, nur der arme Bootsmann, der sich gerade auf dem Rückwege vom Ruder oben auf dem Halbdeck befand, wurden von dem letzten Teile der Sturzsee gegen den Besansbaum geschleudert und lag stöhnend dort, aber mit gebrochenen Knieen. Von der übrigen Wachmannschaft war, da sie sich unter der Back aufhielt, niemand betroffen, und so hatten wir glücklicherweise kein Menschenleben zu beklagen.

Was sonst für Unheil auf dem Deck angerichtet war, konnte ich im ersten Augenblicke wegen der Dunkelheit nicht übersehen; nur wurde die mittschiffs stehende Dampfbarkasse von ihren hinteren Befestigungen losgeschlagen und stand quer statt längs, wobei sie einen Teil der Verschanzung zerschmettert hatte, und in den auf dem Deck wild hin und her wogenden Wassermassen trieb ein Chaos von zerstörten, und verwüsteten toten und lebendigen Gegenständen – Schweine und Hühner – deren Natur man erst unterscheiden konnte, als sich das Wasser durch die Sturzpforten etwas verlaufen hatte.

Das durfte uns jedoch vorläufig nicht kümmern, wir hatten Wichtigeres zu thun, um das Schiff möglichst schnell gegen die Wiederkehr einer solchen Katastrophe, die dann wahrscheinlich unser Schicksal besiegelt hätte, zu sichern.

Den Sturmbesan zu ersetzen, hätte zu viel Zeit gekostet, deshalb schickte ich den Unteroffizier nach vorn, um die Wachmannschaft zum Beisetzen des Sturmgaffelsegels am Großmast rufen zu lassen, da bei dem Heulen des Windes und dem Brausen der See an Kommandieren nicht zu denken war, während ich selbst mit dem Wachoffizier auf das Halbdeck kletterte, um den Bootsmann hinunter zu tragen und ihn dem Doktor zu übergeben.

Es schien jedoch, als ob sich das Unglück an unsere Fersen heften wollte, denn uns drohte eine noch viel schrecklichere Gefahr. Kaum waren wir mit dem Bootsmann bis zum Deck gekommen, als der Mann am Ruder wieder die Glocke läutete und zwar diesmal so heftig, daß es mich eiskalt überlief, und ich schleunigst dorthin stürmte, um zu sehen, was für ein neues Unheil es gegeben. Nun es war furchtbar genug, wenn seine Folgen auch glücklicherweise durch die Geistesgegenwart des ersten Offiziers noch abgewendet werden konnten.

In der hintern Kammer der Kampanje lag schwerkrank unser Zahlmeister, der Tags vorher von einem Blutsturze befallen war. Auf dem kleinen Tische neben seiner Koje stand eine Spirituslampe, um, wenn nötig, in der Nacht schnell warmes Wasser für ihn machen zu können.

Seine schwachen Rufe waren bei dem Tosen der Elemente wohl nicht gehört und so war er auf den unglücklichen Gedanken gekommen, sich selbst Wasser zu wärmen. Dabei stürzte die Lampe herunter, der brennende Spiritus hatte sich auf dem Deck der Kammer ausgebreitet, und dieses stand in Flammen.

Bei dem angstvollen Läuten war auch der erste Offizier aus seiner nebenliegenden Kammer gesprungen, hatte beim Erblicken des Feuers augenblicklich sein von der Sturzsee gänzlich durchnäßtes Bettzeug herbeigeschleppt und damit die Flammen erstickt. So wurden wir glücklicherweise vor einem grauenvollen Schicksale bewahrt.

Das Sturmgaffelsegel war bald gesetzt, das Schiff luvte dadurch wieder an den Wind, und solange jenes hielt, waren wir vor wiederholten Sturzseen gesichert.

Es schien inzwischen, als ob die Macht des Orkans ihren Höhepunkt überschritten hätte, denn der Barometer fiel nicht mehr. Mitternacht war herangekommen, und dann bricht sich oft solches Unwetter; wenigstens hörten die über alle Begriffe heftigen Orkanstöße auf, bei denen es war, als ob solide Massen gegen das Schiff geschleudert würden.

Er wehte zwar noch immer hart genug und auch die See hatte nicht abgenommen, aber wir konnten doch darangehen, den angerichteten Schaden näher zu betrachten. Nun er war groß genug, alles, was nicht niet- und nagelfest, war losgebrochen, vernichtet, fortgeschwemmt.

Ich war natürlich bis auf die Haut durchnäßt; in meinen hohen Gummistiefeln stand das Wasser bis zum Knie, ich konnte mich jedoch nicht umziehen, weil durch die Sturzsee auch meine Kajütsthür eingeschlagen, mein Bett und meine Kleider durchweicht oder fortgespült waren. Ich hatte einen kleinen allerliebsten Hund von den Kanarischen Inseln, die ich angelaufen hatte, an Bord und fand ihn in meiner Oberkoje ertrunken. Die ganze Kampanje war auf einige Zoll von dem Deck, mit dem ihre Schwelle stark verbolzt war, emporgehoben, und durch die Spalte rauschte das Wasser lustig in der Kajüte hin und her.

Wir hatten zwei Grad Wärme, und es war wahrhaftig kein Vergnügen, sich bei solcher Temperatur nur vom Sturm auf Deck trocknen zu lassen, aber in solchen Augenblicken denkt man nicht daran und wird nur in späteren Jahren wieder in unangenehmer Weise an dergleichen Episoden durch rheumatische und gichtische Leiden erinnert, die mir auch im reichen Maße zu teil geworden sind. Nach ein paar Stunden war ich wirklich trocken geweht, nur in den Stiefeln blieb so weit das Wasser stehn, als es beim Hochheben der Füße nicht aus den Schäften herauslaufen wollte.

Soweit es möglich war, wurde nun das Deck aufgeklart, und der angerichtete Schaden zeigte sich als recht bedeutend, wenn er auch das Schiff selbst nicht gefährdet hatte.

Mit vieler Mühe brachten wir die Dampfbarkasse wieder an Ort und Stelle, vernagelten die von ihrem Hinterteile durchbrochene Verschanzung mit Brettern, um das Wasser abzuhalten, das trotzdem bei jedem Überholen des Schiffes durch die Speigatten (Ablaufslöcher) wie durch Springbrunnen bis zur halben Masthöhe gepreßt wurde und dann als Platzregen auf das Deck niederströmte.

Es schien jedoch, als ob die Aufregungen der Nacht kein Ende nehmen sollten, und abermals war uns ein Drama vorbehalten, das unsere Nerven auf die härteste Probe stellte.

Während gegen zwei Uhr die Wache noch beim Aufklaren des Deckes beschäftigt war, meldete der auf der Back postierte Ausguck, daß an Steuerbord ein Schiff in Sicht sei. Mein Nachtfernrohr bestätigte die Meldung. Aus dem grünlichen Dämmerschein, den der Mond und die schäumenden Kämme der überbrechenden Seen über die dunkle Flut warfen, tauchte ein dunkler Schatten auf.

Anfänglich erschien und verschwand er noch, je nachdem der Fremde auf die Spitze einer Woge gehoben wurde, oder in das Wellenthal hinabging. Bald jedoch zeigten sich seine Umrisse deutlicher und dauernd, und zu meinem größten Schrecken erkannte ich, daß er unter einem Preß von Segeln, der nach seemännischen Begriffen bei solchem furchtbaren Wetter geradezu wahnsinnig genannt werden mußte, vor dem Winde direkt auf uns herunter kam.

Die sich vor ihm auftürmende Bugwelle leuchtete wie ein Feuerberg, und ebenso glühten die neben seinen Seiten auflaufenden Wogen in unheimlichem Lichte, in dem sich die Formen des Unterschiffes um so deutlicher und gespenstisch abzeichneten.

Mit einer rasenden Fahrt kam er daher gesaust. Wir selbst lagen unter unsern kleinen Sturmsegeln so gut wie still, konnten nicht ausweichen, und wenn er seinen jetzigen Kurs beibehielt, dann mußte er uns in wenigen Minuten zerschmettern.

Uns stockte der Atem, auch die Mannschaft war sich bewußt, was unserer wartete, und schaute wie gelähmt, starr und wortlos auf den Segler, der wie der fliegende Holländer auf uns heranstürmte und Tod und Verderben drohte.

Kaum noch fünfhundert Schritte war er von uns entfernt. Der Wind trug das dumpfe Rauschen der Wogen an unser Ohr, die er durchschnitt, und wir sahen, wie sie ihm zur Seite gierig bis oben an die Verschanzung hinaufzüngelten, als wollten sie das Schiff mit ihren nassen und doch glühenden Armen umklammern und mit sich in die erbarmungslosen Fluten hinabziehen.

Es legte sich eine Eisrinde um mein Herz; noch wenige Augenblicke, und unser Schicksal war besiegelt. Der Fremde führte keine Laternen; wie ein dunkles Nachtgespenst der Tiefe nahm er unaufhaltsam seinen verderbenbringenden Weg.

Da geschah etwas Wunderbares. Entweder mußte er uns gesehen, oder wie wir später wohl richtig mutmaßten, sich das Steuerruder von selbst anders gelegt haben. Er änderte nämlich plötzlich seinen Kurs um einige Kompaßstriche und ging in ungefähr dreißig Schritt Entfernung hinter unserm Heck herum. Ein Stein fiel uns vom Herzen und, man kann sich denken, wie befreit wir aufatmeten; die furchtbare Gefahr war glücklich abgewendet.

Durch mein Fernrohr konnte ich jetzt deutlich das Deck des Fremden übersehen, vermochte aber kein lebendes Wesen auf ihm zu entdecken. Wo war die Mannschaft? Hatte sie das Schiff verlassen? Aber das müßte schon vor vielen Stunden geschehen sein, denn seit Ausbruch des Sturmes hätte kein Boot ausgesetzt werden und in der See leben können.

Ein Seitenboot fehlte, aber das konnte gerade so gut von der See fortgeschlagen sein, wie das eine von uns, das beim Überlegen des Schiffes durch die Sturzsee sich mit Wasser gefüllt hatte und mit samt seinen Krähnen weggebrochen war.

Oder lag die gesamte Besatzung etwa krank, war sie aus Mangel an Proviant und Wasser entkräftet und verschmachtet, und hatte sie das Schiff sich selbst überlassen müssen, daß es steuerlos durch Nacht und Sturm dahinsauste? Wer wußte es! das Meer birgt ja so viele schreckenerregende Geheimnisse in seinem Schoße, die nie aufgedeckt werden. Und dann diese vollen Segel, wie hatten sie dem wütenden Sturme widerstehen können? Das Schiff segelte zwar vor dem Winde und dadurch war seine Kraft um ebenso viel vermindert, wie es selbst Fahrt machte, aber immerhin waren seine Stöße so gewaltig, daß man es doch nicht begreifen konnte, daß wenn die Segel auch hielten, nicht die Masten gebrochen waren.

Ich hatte auch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn das erschütternde Drama war noch nicht beendet. Kaum hatte der Fremde unser Heck passiert, da änderte er ebenso unvermutet wieder seinen Kurs und schoß dicht an den Wind, so daß er jetzt in Lee parallel mit uns lag; wieder ein so unseemännisches Manöver, daß es unmöglich absichtlich herbeigeführt sein konnte und auch augenblicklich von den unausbleiblichen Folgen begleitet wurde.

Die vollen Segel konnten den Druck des nun nicht mehr von hinten, sondern von der Seite kommenden Windes nicht aushalten. Mit dumpfem Knalle, der wie ein ferner Kanonenschuß zu uns herunter tönte, zerbarsten sie, einen Augenblick peitschten sie noch in der Luft, um dann wie eine Rauchwolke zu verschwinden, während gleichzeitig die Stengen zerbrochen von oben stürzten.

Unmittelbar danach wälzte sich auch eine Sturzsee über das Vorderteil und warf damit zugleich den Kopf des unglücklichen Schiffes wieder windabwärts, so daß es zu segeln begann, um kurz danach wieder nach der andern Seite aufzudrehen und von neuen Sturzseen überflutet zu werden.

Mit gepreßtem Herzen verfolgten wir diesen Verzweiflungskampf; er konnte nicht lange mehr währen. Wenn sich nun aber doch Menschen an Bord befanden, welche Gefühle mochten ihr Herz bewegen? und es überrieselte uns kalt bei diesem Gedanken. Dann hatten sie uns gesehen, und wir, wir waren ohnmächtig und konnten ihnen trotz der geringen Entfernung keinerlei Hilfe bringen in ihrer Seelenangst und Todesnot!

Jetzt schoß ein Feuerstrahl in die Nacht empor. Zuerst glaubte ich, es sei ein Signal, aber nur zu bald erkannte ich meinen Irrtum.

»Das Schiff brennt!« rief der neben mir stehende Wachoffizier aus, und so war es. Der Strahl verschwand in einer Gischtwolke, die sich wie ein dichter Nebel ausbreitete. Dann züngelte er noch einmal empor, vom Sturme hin und her gepeitscht, wie eine glühende Geißel, um abermals zu verschwinden.

Oh Gott, man spricht von den Schrecken der See, von ihrer Erbarmungslosigkeit gegen menschliche Leiden und fühlt tiefes Mitleid – aber was will das alles sagen gegen die Gefühle, die bei diesem Anblicke und dieser Umgebung auf unser Inneres hereinstürmten und unser Herz zerrissen!

Das Branden und Brausen der See in ihrem unheimlichen Phosphorschimmer, die grellen Blitze, welche den Horizont zerklüfteten, das ebenso blitzartige Erscheinen und Wiederverschwinden des Mondes in dem zerrissenen schwarzen Gewölk, die Riesenwellen mit ihren schäumenden Kämmen, die wie schneegekrönte Berge sich daherwälzten und das verfehmte Schiff vor sich herjagten wie der wilde Jäger mit seiner Meute; das Heulen des Sturmes in unserer Takelage mit seinem schrillen Kreischen, das wie ein infernalisches Hohngelächter auf die Schreckenslaute erklang, die sich von jenem dunklen Schatten, der wenige Schritte von uns entfernt zum willenlosen Spielball der Elemente diente, in diesem Augenblicke zum Himmel emporringen mochten – alles das machte einen unsagbar schmerzlichen Eindruck auf uns.

Noch einmal lohte eine blutrote Feuersäule empor – dann war und blieb alles dunkel. Nur die schweren Wellen rollten über die leere Stätte hin, aber nicht mehr so wild und regellos, wie vorher. Es war, als seien sie befriedigt, daß sie ihr Opfer gehabt.

Allmählich ließ auch der Sturm nach; mit Tagesanbruch konnten wir die Marssegel setzen, aber die See wollte sich noch immer nicht legen, weiter südlich mußte es noch hart wehen. Für uns hatte sich der Wind nach rechts gedreht, so daß unser Schiff gerade mit dem Kopfe gegen die Richtung der See lag. Erst jetzt bei Tageshelle konnten wir ihre gewaltige Höhe wahrnehmen. Wenn wir von einer Welle gehoben wurden, dann schien es, als ob wir auf der Spitze eines hohen Berges schwebten, und schossen wir dann wieder unter einem Winkel von 45 Grad in das Thal hinab, dann stieg uns das Herz oft in die Kehle, und es beschlich uns das Gefühl, als gingen wir direkt in den Abgrund, aber die gute »Elbe« schwamm wie ein Kork auf der Wasserflut.

Ich maß bei dieser Gelegenheit die Höhe der Wellen oder vielmehr der Dünung, die in unabsehbar langen Falten heranrollte. Ich kletterte zu diesem Zweck in die Bemastung hinauf, bis ich, wenn das Schiff unten im Thal und auf ebenem Kiele lag, über die Wogenkämme fort den Horizont sah. Dies ergab 20 Meter, das Doppelte von dem, was ich je früher gesehen und was in unsern nordischen Gewässern nicht vorkommt.

Der Tag brachte uns jetzt auch eine volle Übersicht dessen, was die Sturzseen an Unheil angerichtet. Es war ein ziemlich trostloser Anblick. Außer dem, was ich schon weiter oben erwähnt, war von Deck alles fortgeschlagen, das Fortepiano in meiner Kajüte umgeworfen und zerbrochen, Wäschestücke aus meiner und den Kammern der Offiziere in die verschiedensten Ecken des Vorschiffes oder über Bord gespült, das lebende Vieh mit samt seinen Behältern fortgewaschen, die Kambüse (Küche) zertrümmert und ein Boot verloren, sämtliches lose Tauwerk außenbords schwabbernd – kurz das Deck sah aus wie ein wüstes Schlachtfeld, und es gab tagelang zu thun, ehe wir wieder alles in Ordnung gebracht.

Dem nächtlichen erschütternden Drama fehlte jedoch schließlich auch nicht Komik. Als ich mit Hellwerden die Mannschaften mustern ließ, fehlte ein Mann, der Offiziersteward. Wir konnten natürlich nur annehmen, daß er über Bord gegangen sei, und es sollte schon sein Tod im Logbuche vermerkt werden, als sich die Sache anders herausstellte und wir sehr überrascht wurden.

In der Kampanje befand sich noch eine unbewohnte Offizierskammer. Als sie geöffnet wurde, um nachzusehen, ob alles darin in Ordnung sei, ertönte ein allgemeines Gelächter. Der Steward lag darin und schlief, aber nicht allein, sondern in trautester Umarmung mit einem Schwein. Als die Tiere in der Nacht mit Quieken und Schreien auf dem Deck hin und herfluteten, um schließlich über Bord gespült zu werden, hatte der brave Mann dies eine für unseren Tisch gerettet und war mit ihm in jene Kammer geflüchtet, wo beide nach den erlittenen Strapazen in schönster Harmonie ausruhten.

Fernerhin wurden wir auf unserer Reise vor ähnlichen Stürmen verschont und gelangten nach zweiundeinhalbjähriger Abwesenheit wohlbehalten in die Heimat zurück, aber jene schlimme Nacht des 21. Juni ist uns unvergeßlich geblieben.

Von den vier Schiffen des Geschwaders kehrte eins leider nicht wieder. Der »Frauenlob« war in einem Taifun im Chinesischen Meere, kaum hundert Meilen von Japan entfernt mit Mann und Maus verloren gegangen.

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