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Kapitän Witts Seegeist.

Vor vierzig, fünfzig Jahren, als noch die alten hölzernen Segelschiffe die Meere beherrschten und die Dampfer nur erst vereinzelt auftraten, gestaltete sich das Leben an Bord bedeutend gemütlicher, als heutzutage. Die wilde Hast und grimme Konkurrenz, welche jetzt so viele Unglücksfälle herbeiführen, die Nerven der Seeleute zerrütten und ihre Körperkräfte vorzeitig aufzehren, kannte man damals noch nicht.

Wind und Wetter waren zwar nicht weniger gefährlich, aber der Handelsneid jagte die Schiffe nicht mit der Hetzpeitsche durch das Wasser. Man hatte Zeit, drehte die Schiffe in Stürmen rechtzeitig bei, führte im Nebel vorsichtig kleine Segel, suchte Land und Hafen nur bei Tage und klarer Luft anzulaufen, und die Folge war, daß man verhältnismäßig glücklich fuhr. Es gingen weniger Schiffe verloren, Zusammenstöße kamen höchst selten vor, während sie jetzt jährlich nur in europäischen Gewässern nach vielen Hunderten zählen, und wurden meist durch höhere Gewalt herbeigeführt, gegen welche seemännische Tüchtigkeit nicht zu schützen vermochte.

Ebenso war der Verdienst ein besserer. Die Seeleute konnten sparen, was ihnen jetzt so schwer fällt, und so bot sich ihnen die Möglichkeit, sich, bevor ihre Gesundheit untergraben war, von ihrem schweren Berufe zurückzuziehen und in beschaulicher Ruhe den Abend ihres Lebens und das so lange entbehrte häusliche Glück am Lande zu genießen.

Gewöhnlich kauften sie sich dann ein kleines Eigentum, ein Haus mit Garten, auf dem aber eine Windfahne nicht fehlen durfte, dessen Inneres möglichst kajütsmäßig eingerichtet war, und dessen stets hellgrün gestrichene Fensterläden freundlich weithin leuchteten. Jedenfalls wählten sie dafür aber Punkte aus, wo sie ihrem Elemente, dem Wasser, möglichst nahe waren und Schiffe sehen konnten, auf denen sie selbst den Ozean durchmessen, manche Freude aber auch so viel mehr Trübes erlebt, also in kleinen Städten an unseren Küsten oder Strommündungen.

Auf diese Weise bildeten sich an solchen günstig gelegenen Orten richtige Schifferkolonien, wo die Berufsgenossen nahe zusammenwohnten, sich jederzeit sahen, miteinander einen Schwatz hielten, das Alte lobten, am Neuen kein gutes Haar ließen, weil es keine konservativeren Menschen giebt, als alte Seeleute, und wo sie abends in gemütlichem Zusammensein bei einer Pfeife Tabak und einem Glase Grog oder Bier ihre Erinnerungen und Erlebnisse austauschten.

Daß die dabei gesponnenen Garne oft reichlich zäh ausfielen und bisweilen richtiges Jäger- oder vielmehr Seemannslatein zu Tage trat, was sich mit dem ersteren vollauf messen kann, war erklärlich, aber selten bewußt. Auf See erlebt man viel Wunderbares, das der wenig geschulte Geist der alten Sorte von Seeleuten als solches hinnahm, ohne einer natürlichen Erklärung zu bedürfen, und sie waren deshalb meistens gläubige Zuhörer, wenn ihnen noch Wunderbareres aufgetischt wurde, bei dem die Phantasie der Erzähler mehr oder weniger mitgeholfen hatte.

In einer solchen Kolonie hatte ich Mitte der Vierziger Jahre Gelegenheit, dergleichen Zusammenkünften beizuwohnen und dabei allerlei seltsame Dinge zu erfahren, die ich mir dann aufschrieb, um sie der Vergessenheit zu entreißen, um so mehr, da merkwürdigerweise dergleichen mir selbst nie passierte.

Als ich 1842 zur See ging, besaß Deutschland keine Marine, ich begann deshalb meine Laufbahn auf Kauffarteischiffen, und wurde, kaum 21 Jahre alt, Untersteuermann.

Als wir zur Herbstzeit in See gehen wollten, machten sich jedoch heftige dauernde Westwinde auf, und da es, weil man mehr Zeit hatte, damals ebenfalls noch nicht Mode war, auch bei Gegenwind die Schiffe durch Schleppdampfer in See zu bringen, um sie sich dann vielleicht wochenlang abquälen zu lassen, so kamen wir nur bis zur geschützten Reede von Krautsand bei Glückstadt und ankerten dort, um günstiges Wetter abzuwarten, was jedoch einige Wochen dauerte.

Inzwischen sammelte sich aus gleichem Grunde eine ganze Flotte um uns, und um die Zeit zu vertreiben, gab es auch gegenseitigen Besuch auf den Schiffen, oder die Kapitäne fuhren nach Glückstadt, um dort ansässige Fachgenossen in deren Hause oder in der »Kapitänsstube« eines Gasthauses zu sehen.

Unser Kapitän war von einem Bekannten ebenfalls in letztere eingeladen und forderte mich auf, ihn zu begleiten. Er war früher mein Obersteuermann gewesen und wir standen uns ziemlich nahe. Trotzdem war die Aufforderung bei meiner Jugend eine besondere Ehre für mich, denn in diesen Kreisen herrschte eine strenge Rangordnung, und zu Zusammenkünften aktiver Kapitäne wurden nur sehr ausnahmsweise Steuerleute zugelassen.

Ich wurde den Anwesenden vorgestellt, verhielt mich aber natürlich schweigend, antwortete, wie es sich im Kreise so alter erfahrener Männer gebührte, nur auf direkt an mich gerichtete Fragen und lauschte desto aufmerksamer auf die Unterhaltung, um das Belehrende und Interessante meinem Gedächtnisse einzuprägen und nach Rückkunft an Bord meinem Tagebuche einzuverleiben.

Wir mochten etwa eine Stunde in der kleinen, schiffsmäßig eingerichteten und zu ebener Erde liegenden Kapitänsstube zusammengesessen haben, und es war schon manches zähe Garn gesponnen, als sich die Thür öffnete und eine Persönlichkeit eintrat, die eine merkwürdige Erscheinung bot.

Ich wunderte mich, wie der Neuangekommene in das Heiligtum geriet, da er nichts weniger als nach einem Seemann aussah, denn diesen drückt sonst der Ozean einen eigentümlichen und unverkennbaren Stempel auf. Es war eine sehr große hagere Gestalt, mit ebenso langen, dürren Beinen wie Armen und wirren Haaren, die ihm ziemlich ungeschnitten um den Kopf hingen.

Auch sein Gesicht war über die Maßen schmal und lang und endete unten in einem spitzen Kinn mit einem Büschel drahtartiger Haare daran, die es noch unnatürlich verlängerten. Dabei war die weit vortretende Stirn breit und viereckig, was dem Gesicht das Aussehen eines Keils gab, die Ohren groß und fast quer abstehend und die Hautfarbe ein blasses leichenhaftes Gelb.

Auf Schönheit konnte der Mann deshalb keineswegs Anspruch machen, doch blitzten seine großen tiefschwarzen Augen in einem unheimlichen Glanze, was mit dem sonstigen traurigen Ausdruck seiner Züge in sonderbarem Widerspruch stand.

Nachdem er einige Augenblicke die Anwesenden gemustert, wobei er mich längere Zeit mit seinen stechenden Augen prüfend anschaute, so daß mir ganz unbehaglich zu Mute wurde, begrüßte er zuerst mit kräftigem Handschlage den Wirt und dann den Glückstädter Kapitän, wobei aus seinem weiten und etwas kurzen Ärmel eine magere, skelettartige Faust zum Vorschein kam, die an Länge den übrigen Gliedmaßen nicht nachstand.

Der Wirt schien gerade nicht sehr erbaut von dem neuen Gaste und wechselte mit dem Glückstädter einen eigentümlichen Blick; dieser erwiderte jedoch die Begrüßung freundlich mit den Worten: »Guten Abend, Witt, wie geht es und was führt Sie hierher? Nehmen Sie Platz. Hier stelle ich Ihnen Kapitän Meyer und Steuermann Werner von der Hamburger Bark ›Malwina‹ vor, und das ist Kapitän Krümmel vom ›Ajax‹ aus Altona. Beide Schiffe liegen auf Krautsand Reede.«

Außer uns vieren war niemand sonst da. Witt nickte melancholisch und sagte dann mit tiefer hohlklingender Stimme zu dem Glückstädter: »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen, lieber Freund. Ich sah zwar Sie durch die trüben Fensterscheiben, wußte jedoch nicht, daß Sie andere Bekannte bei sich hatten, die mir fremd sind, sonst wäre ich nicht hereingekommen.

»Aber,« fuhr er schwermütig seufzend fort, »daran ist nur unser kaltes, nasses, trauriges Klima schuld. Hätten wir die Wärme des goldigen Südens, dann könnten die Fenster offen stehen und man sähe beim Vorübergehen, wer sich im Zimmer befindet. O du schöner Süden, wann werde ich dich wiedersehen und deinen Zauber aufs neue genießen!«

»Wollen Sie nicht ein Tröpfchen zu sich nehmen, Witt?« fragte ihn sein Bekannter. »Etwas Kräftiges, das Sie inwendig erwärmt und Sie unser kaltes Klima vergessen läßt.«

»Ich bitte um etwas Genever,« erwiderte dieser in gedrücktem Tone, »Sie wissen ja, daß ich früher lange Zeit in England gewesen und eigentlich an Whisky gewöhnt bin, aber den giebt es ja hier leider nicht, und Genever kommt ihm immer noch am nächsten.«

Der Glückstädter ließ ein großes Glas Genever kommen und flüsterte dem Wirte zu: »Auf meine Rechnung«, wobei sich dessen Züge aufhellten. Witt trank mit augenscheinlichem Behagen die Hälfte und blickte dann schweigend und träumerisch in eine Ecke.

Sein Freund mochte wohl merken, daß wir drei Fremden nicht recht wußten, was wir aus der sonderbaren Persönlichkeit machen sollten, die so wenig Seemännisches an sich hatte, und hielt es für angemessen, die entstandene Verlegenheitspause dadurch zu unterbrechen, daß er uns mit jenem noch näher bekannt machte.

Mit ernster Miene, hinter der ich jedoch etwas vom Schalk zu wittern glaubte, sagte er: »Kapitän Witt ist auch einer von unserer Farbe und hat fünf Jahre lang den alten »Jupiter« von Hamburg gefahren, bis er aus dem Leim ging und ihm unter den Füßen fortsackte.

Wie er mir erzählt hat, mußte er dann mit der Mannschaft zu den offenen Booten greifen, in denen sie 72 Tage im Indischen Ozean umhertrieben, und davon 36 Tage ohne Nahrung und Wasser, außer wenn sie dann und wann einen Hai fingen, von dem sie lebten, und hier und da eine Regenbö ihre Kleider durchweichte, die sie dann aussogen. Es ist also kein Wunder, wenn er davon heute noch etwas angegriffen aussieht.

Später hat er die »Juno« bekommen von derselben Reederei; sie war zwar ebenso alt wie der »Jupiter«, aber er blieb doch in der Familie, obwohl er auch mit ihr wenig Glück gehabt hat. Sie verbrannte nicht weit von Bombay, und Kapitän Witt wurde abermals wie durch ein Wunder gerettet. War es nicht so, Witt?« wobei uns der Sprecher einen bezeichnenden Blick zuwarf. Offenbar hatte er die Absicht, den melancholischen Mann zum Reden zu bringen und erreichte auch seinen Zweck, denn dieser schnellte plötzlich lebhaft in die Höhe.

»Ja, ja,« rief er, »Sie haben recht, es war wirklich ein Wunder. Drei Tage trieb ich mit einer Reservespiere umher, an der ich hing und die von dem brennenden Schiffe unversehrt ins Wasser gefallen war, und am dritten Tage konnte ich mir einen schrecklichen Hai von dreißig Fuß Länge nur dadurch vom Leibe halten, daß ich die Spiere als Lanze gebrauchte und ihn beständig damit stieß. Das dauerte zwei Stunden, aber da ich dann matt wurde, obwohl ich ein ausgezeichneter Schwimmer war, wäre ich schließlich doch von ihm gepackt worden, wenn nicht glücklicherweise ein englischer Ostindienfahrer gekommen wäre und mich aufgefischt hätte.«

»Oh, ich habe noch viel mehr Schiffe kommandiert,« sagte er dann in großer Erregung, indem er seine schwarzen Augen so durchbohrend auf mich heftete, als hätte ich ihn schwer beleidigt, obwohl ich noch kein Wort gesprochen, auch nicht einmal eine Miene verzogen hatte und ordentlich zurückfuhr, »den »Mars«, die »Minerva«, den »Vulkan« und zuletzt noch den »Neptun«.«

»Das war ja fast der ganze Olymp,« dachte ich bei mir, als er seine stechenden Blicke wieder von mir abwandte, um sich mit praktischen Dingen zu beschäftigen. Er holte aus der Tasche eine kurze Pfeife hervor, füllte den Kopf aus des Glückstädters auf dem Tische liegenden Tabaksbeutel, den er irrtümlich wohl für den eigenen hielt, that ein paar kräftige Züge und fuhr dann mit seiner tiefen Grabesstimme fort:

»Wunder! ja am Lande sind sie seltener, aber auf See. Nun es ist Ihnen ja wohlbekannt, daß schon der Psalmist in der Bibel sagt, »diejenigen, welche zur See fahren, schauen viele Wunder«. Nicht wahr?« und ein Blitz seiner Augen traf jetzt Kapitän Krümmel, der davor, ebenso wie ich vorher, heftig erschrak.

»Ich glaube, ich habe davon gehört,« erwiderte dieser etwas kleinlaut.

»Ist Ihr Freund Seemann?« fragte Witt plötzlich den Glückstädter. Er schien ganz vergessen zu haben, daß er ihm kurz zuvor als Kapitän vorgestellt war.

»Na und wie!« erwiderte dieser lächelnd.

»Ha,« rief Witt, »und welche Wunder haben Sie das Glück gehabt, auf See zu erleben?«

»Das größte,« äußerte der Gefragte nach einigem Besinnen, »dessen ich mich erinnern kann, ist jedenfalls, daß ich nach dreißigjähriger Seefahrt immer noch am Leben bin.«

Witt durchbohrte ihn abermals mit seinen Blicken, die Antwort schien ihn keineswegs zu befriedigen.

»Und haben Sie nie einen Geist gesehen?« inquirierte er weiter.

»Welche Sorte von Geistern meinen Sie?« fragte Krümmel zurück, dem es immer unbehaglicher zu werden schien, indem er einen bittenden Blick zu dem Glückstädter hinüberwarf, als sollte ihm dieser zu Hilfe kommen.

»Welche Sorte von Geistern?« schrie jetzt fast der Lange, indem aus seiner Stimme zugleich Mitleid und Zorn hervorklangen und er Krümmel von Kopf bis zu Fuß musterte, als könne er dessen Einfalt nicht begreifen. »Nun, ich meine ein sichtbares und doch ungreifbares Wesen, ein Ding, das dieser Welt nicht angehört. Durchsichtig wie Luft und doch wieder so körperlich wie dieser Pfeifenkopf,« indem er letzteren hart aus den Tisch stieß.

Bei diesen Worten zog Krümmel ein mächtiges Taschentuch ans Tageslicht, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen; es schien ihm unheimlich zu werden. Er richtete an meinen Kapitän und mich die Frage, ob wir es nicht auch sehr heiß in der kleinen Stube fänden.

Ersterer machte Anstalt, dem Winke zu folgen, ihm mochte wohl auch bei dem Gebahren des melancholischen Gastes nicht recht geheuer sein, mich interessierte letzterer jedoch zu sehr, und ich fand es angemessen kühl, da ich gar zu gern seine Geschichte hören wollte. Krümmel warf mir zwar einen empörten Blick zu, daß ich junger Grasteufel es wagte, anderer Meinung zu sein, wie ein alter Kapitän, indessen ließ ich jenen ruhig von mir abgleiten, und da der Glückstädter uns verschmitzt lächelnd zunickte, blieben auch die beiden Kapitäne sitzen, während der Wirt ebenfalls einen Stuhl heranzog.

»Bitte, Kapitän Witt,« wagte ich jetzt höflich zu fragen, »würden Sie wohl sagen, welche Art von Geistern Ihnen erschienen ist, ein Landgeist oder Seegeist?«

Diese vorlaute Frage, der allerdings etwas Malice zu Grunde lag, trug mir einen unwilligen Blick meines Kapitäns ein, während sich in Krümmels Gesicht unverhohlenes Erstaunen über meine Dreistigkeit spiegelte, in dieser ehrbaren Gesellschaft ungefragt mitzusprechen und ich jeden Augenblick erwartete, von ihm einen Hieb über den Schnabel zu bekommen; aber meinen Zweck hatte ich doch erreicht, den Pflock aus dem Fasse gezogen, und nun begann der Inhalt reich zu strömen.

»Seegeist, Seegeist! junger Mann,« rief Witt, indem er mich diesmal wohlwollend anschaute und dabei den Rest seines Glases austrank, das der Wirt auf einen Wink des Glückstädters von neuem füllte.

»Oh, ich habe eine ganze Reihe von ihnen gesehen,« fuhr er fort und ließ wuchtige Rauchwolken aus seiner Pfeife hervorquellen, »aber der eine war doch von allen der fürchterlichste, und mich schaudert noch, wenn ich mir daran denke. Und doch,« fügte er mit veränderter und schwermütig elegischer Stimme fort, »verdanke ich ihm gewissermaßen mein größtes Glück auf Erden, mein geliebtes, schönes, angebetetes Weib und meine gesicherte Lebensstellung mit großem Vermögen.«

Er machte eine Pause, um einen tüchtigen Schluck zu nehmen und seine Pfeife aufs neue aus des Glückstädters Tabaksbeutel zu füllen, obwohl dies mit seinen guten Verhältnissen nicht recht zu stimmen schien.

»Nun, ich will Ihnen die Sache kurz erzählen,« fuhr er dann fort. »Sie wird Ihnen vielleicht etwas romanhaft klingen, aber mein ganzes Leben ist eigentlich nur ein Roman gewesen und bestätigt den Ausspruch der Bibel: »Die zur See fahren, schauen viele Wunder.«

»Sie müssen wissen,« wandte er sich an uns drei Fremde, »was meinem Freunde hier schon bekannt ist, daß ich in meinen jungen Jahren auf englischen Schiffen fuhr, die einem Bekannten meines Vaters gehörten.

Als ich meine Steuermannsprüfung bestanden hatte, wurde mir eine Stellung als dritter Steuermann auf einer großen, schönen, schnellsegelnden Brigg bestimmt, die eben vom Stapel gelaufen war und nach Jamaika gehen sollte. Kurz vor dem Segeln erkrankte jedoch der Kapitän so schwer, daß er ersetzt werden mußte und die Reeder sich deshalb nach London an ein befreundetes Haus wandten.

Etwa acht Tage später meldete sich daraufhin ein noch ziemlich junger Mann mit warmen Empfehlungsbriefen des letzteren, Namens Stanford, und die Reeder übertrugen ihm, sehr erfreut, daß ihr Schiff nun keinen weiteren Aufenthalt zu erleiden brauchte, den Befehl über die Brigg. Da er auch in den westindischen Gewässern sehr bekannt zu sein behauptete, erschien er den Eigentümern nur um so willkommener.

Ich war bei Ankunft des neuen Kapitäns zufällig auf dem Kontor und muß sagen, daß er im ersten Augenblicke auch auf mich einen vorteilhaften Eindruck machte, um so mehr, als er mir gleich freundlich entgegentrat. Bald jedoch glaubte ich in seinen Zügen ein gewisses Etwas zu lesen, das mir durchaus nicht gefallen wollte und mich mit Mißtrauen erfüllte.

Es giebt Kapitäne, die an Land richtigen Heiligen gleichen, wenn sie aber auf See kommen, ihre wahre Flagge zeigen und sich dann als reine Teufel entpuppen. So einer schien mir Kapitän Stanford zu sein, wenngleich ich natürlich meine Meinung für mich behielt und nichts davon gegen die Reeder äußerte.

Es fehlten uns etwa noch acht Mann an unserer Besatzung, da Matrosen gerade knapp waren; aber kurz vor dem Segeln meldeten sich sechs tüchtige, kräftige Leute, die der Kapitän sofort annahm, indem er den Reedern erklärte, auf die letzten zwei Mann verzichten zu wollen, da er jetzt stark genug sei, um das Schiff mit Bequemlichkeit zu manöverieren.

Ich muß gestehen, daß ich den neuen Matrosen gegenüber ein ebenso unbehagliches Gefühl empfand, wie gegen den Kapitän, obwohl ich keinen faßbaren Grund dafür hatte, die Leute sich ruhig benahmen, sich als tüchtige Seeleute auswiesen und es mir nur auffiel, daß sie sich ganz für sich hielten.

Am letzten Tage schifften sich auch noch ein paar weibliche Passagiere ein, eine Miß Warden und ihre Begleiterin, Frau Lannis, um nach Jamaika zu gehen. Erstere, in England erzogen, kehrte zu ihrem Vater zurück und war ein reizendes junges Mädchen von 17 Jahren, süß wie eine aufblühende Rose und bezaubernd in ihrem Wesen, so daß es nicht Wunder nehmen konnte, wenn ihr vom ersten Augenblick an mein Herz zuflog.

Natürlich vergaß ich nicht meine untergeordnete Stellung der reichen Pflanzertochter gegenüber und hielt mich sehr zurück, glaubte jedoch zu bemerken, daß ich ihr auch nicht mißfiel.

»Nun, ich darf Ihnen wohl sagen,« fuhr Witt fort und seine Stimme nahm wieder einen weichen Ton an »daß ich damals für einen ansehnlichen, ja sogar hübschen jungen Mann galt. Nicht allein zu jener Zeit, sondern auch später war das weibliche Geschlecht mir sehr gewogen, und ohne meine schöne alle überstrahlende Frau, wäre ich wohl in mancherlei Fallstricke geraten«

Er seufzte tief, als ob er bedauerte, daß das nicht der Fall gewesen sei, und stärkte sich mit einem Schluck Genever, um sich dann eine kürzere Zeit schweigend zu verhalten und wie in Erinnerungen versunken ins Leere zu starren, die jedoch nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, nicht angenehm sein konnten.

Unwillkürlich trafen sich die Blicke von uns Zuhörern, und es zuckte um die Mundwinkel. Ein solches Dreiecksgesicht und solche Gliedmaßen konnte unmöglich bei weiblichen Wesen Wohlgefallen erweckt haben.

»Nun, Witt«, unterbrach der Glückstädter die entstandene Pause »wie wurde es weiter damit?«

»Ja so« erwiderte dieser aus seiner Träumerei emporfahrend, »mir trat nun gerade jener schreckliche Geist wieder vor die Seele, wie er höher und höher wachsend, zuletzt bis an die Wolken reichte – doch Sie werden es ja noch hören, und ich will fortfahren.«

In den westindischen Gewässern gab es zu jener Zeit immer noch eine Zahl Seeräuber. Außerdem hatte England Krieg mit Frankreich und Nordamerika – es war im Jahre 1813, – und letzteres hatte eine Menge Kaper gegen die englische Handelsmarine ausgerüstet, deshalb war es auch für uns nicht ratsam, unbewaffnet zu bleiben.

Wir hatten sechs gute Geschütze, eine reiche Auswahl von Handwaffen, dazu eine Besatzung von dreißig tüchtigen Leuten – damit konnten wir schon etwaige Angriffe abschlagen, um so mehr als das Schiff vorzüglich segelte und ein ausgezeichnetes Seeboot war.

Unsere Reise ging zuerst ganz nach Wunsch. Wir hatten günstigen Wind, prachtvolles Wetter, und die Damen konnten sich fast den ganzen Tag auf Deck unter dem Sonnensegel aufhalten.

Dies brachte mich öfters und länger mit Fräulein Warden in Berührung, als es unter anderen Umständen der Fall gewesen sein würde, und hatte die Folge, daß der erste Eindruck, den das junge Mädchen auf mich gemacht, sich immer mehr vertiefte, ich mich immer mehr in sie verliebte, und daß schließlich meine Seligkeit ihren Gipfelpunkt erreichte, als ich zu bemerken glaubte, daß meine Gefühle erwidert wurden.

Dem Kapitän und den beiden anderen Steuerleuten konnte unser gegenseitiges Verhältnis unmöglich entgehen, aber merkwürdigerweise nahm ersterer scheinbar gar keine Notiz davon und zeigte sich sehr freundlich gegen mich, als ob er ein ganz besonderes Interesse für meine Person hegte, während die braven aber wenig gebildeten Steuerleute sich auf unschuldige Neckereien über meine, wie sie meinten, jugendliche Schwärmerei beschränkten.

So verging die Zeit und wir näherten uns dem Passatgürtel, als ich eines Nachts für den erkrankten zweiten Steuermann die Mittelwache übernommen hatte.

Es war eine wundervolle Tropennacht, lau und lind; eine flaue Brise schwellte gerade so weit die Segel, daß sie rund vollstanden, die Brigg bewegte sich kaum in der ruhigen See, und Millionen Sterne glühten rings im Ozean, wenn die kleinen Wellen im Phosphorglanz überköpften oder das Schiff leise rauschend seine Bahnen durch sie zog, während der stahlblaue Himmelsdom sich über uns wölbte.

Die Wache hatte sich auf dem Deck zwischen den Geschützen niedergelegt; nur der Ausguckmann vorn auf der Back war wach und überall herrschte Stille am Bord.

Ich ging eine Zeitlang auf dem Hinterdeck auf und ab, lehnte mich gegen die Verschanzung und schaute still in mich versunken auf die vorbeigleitenden Wellen, um an meine Liebe zu denken und an eine schöne Zukunft.

Da zuckte ich plötzlich zusammen, und es lief wie ein Schauder durch meinen Körper. Ich fühlte, daß eine Hand meine Schulter berührte, ich hatte keine Schritte vernommen, und es war mir, als ob ein unirdisches Wesen sich in meiner Nähe befände. Ich wagte nicht, mich umzuschauen und verharrte noch einige Sekunden regungslos in meiner Stellung. Dann hörte ich ein leises Lachen, und als ich mich umdrehte, sah ich mich dem Kapitän gegenüber.

»Was, so träumerisch, Witt?« fragte er. »Es thut mir sehr leid, Sie gestört zu haben, aber ich konnte nicht schlafen und bin deshalb an Deck gekommen.«

»Es ist eine herrliche schöne Nacht, um sie hier oben zu genießen,« erwiderte ich – ich wußte im ersten Augenblick nichts Weiteres zu sagen, da mich noch immer das unangenehme Gefühl von vorhin beherrschte.

»Schön genug, aber verdammt zahm und langweilig« sprach er mehr zu sich, als zu mir. »Ich für meinen Teil ziehe Sturm und Kampf vor. Was meinen Sie, Witt, möchten Sie nicht auch lieber unter Preß von Segeln, daß die Leeverschanzung im Wasser pflügte und der Gischt in Wolken über den Bug sprühte, einen reich beladenen Feind verfolgen, als einen so ruhigen Kurs mit flauer Brise zu steuern, wie wir jetzt?«

»Nun, wenn nötig, würde ich einen Kampf nicht scheuen,« lautete meine Antwort, »und meinen Mann schon stehen, sollten wir angegriffen werden, aber solches Wetter wie heute gefällt mir auch.«

»Es wäre sonderbar,« sprach jener weiter, »wenn uns das Glück auf unserer langen Reise nicht begünstigte und wir nicht eine gute Prise machen könnten. Meinen Sie, daß unsere Leute zuverlässig sind?«

»Ich denke ja,« erwiderte ich, »daß sie sich tapfer gegen jeden Franzosen und Amerikaner schlagen werden, der mit uns anbinden will.«

Ich wußte nicht, wo der Kapitän mit diesen Reden hinauswollte, aber sie gefielen mir um so weniger, je länger er die Unterhaltung fortsetzte. Er kam immer darauf zurück, die Annehmlichkeiten eines Kapers zu schildern, wie große Vermögen man dabei gewinnen könne und wie einförmig und trübselig dagegen das Leben auf einem einfachen Handelsschiffe sei.

Ich wußte, daß unsere Reeder jede Kaperei feindlicher Fahrzeuge streng verboten und sie nur gestattet hatten, im Falle wir einen Angriff siegreich zurückschlügen. Deshalb trug diese Unterredung nicht wenig dazu bei, mein von Anfang an gegen den Kapitän gehegtes Mißtrauen noch bedeutend zu erhöhen, obwohl er, wie ich schon bemerkt, sich stets nur freundlich und wohlwollend gegen mich zeigte.

Während unseres Gesprächs war der Wind eingelullt, es fast still geworden und bei den Bewegungen des Schiffes klatschten die Segel mit hohlen Schlägen gegen Masten und Stengen. Der Kapitän unterbrach sich, warf einen Blick auf den Horizont ringsum und sagte dann zu mir: »Lassen Sie die Bramsegel bergen, wir bekommen bald eine steife Brise.«

Auf meinen Befehl sprang die Wache schleunigst auf, die Bramsegel wurden festgemacht, Leesegel eingenommen und Untersegel gegeit, da sie nichts nützten und durch das Schlagen gegen die Masten nur litten.

Der Kapitän blieb an Deck und beobachtete aufmerksam die Wetteranzeichen. Sein seemännisches Gefühl und seine Erfahrung hatten ihn nicht getäuscht, daß eine Bö im Anzuge war, über deren Dauer und Stärke man im ungewissen war. Noch vor Beendigung der Wache trübte sich der bis dahin sternklare Himmel, dunkle Wolkenmassen türmten sich am westlichen Horizont auf und eine heranrollende schwere Dünung kündete den nahenden Sturm.

Es wurde alles zum Empfange desselben klar gemacht, Marssegel dicht gerefft, Spieren, Boote, Luken und dergleichen doppelt befestigt und verschallt und »Alle Mann« gerufen.

Es war keineswegs zu früh, denn kaum brach die Dämmerung an, da fiel eine furchtbare Bö ein, legte das Schiff trotz seiner kleinen Segel bis zum Kentern über, und mit einem Knall wie ein Kanonenschuß brach die Gaffel des Briggsegels, während sein Tuch in Fetzen zerrissen vom Winde in die Lüfte entführt wurde.

In diesem Augenblicke ertönte der Angstruf: »Mann über Bord!« Ich blickte mich um und sah, daß der Kapitän von der Stelle, wo ich ihn kurz vorher gesehen, verschwunden war.

Ich stürzte nach hinten, schaute über das Heck und entdeckte im Dämmerlicht unmittelbar hinter jenem einen treibenden dunklen Gegenstand, der, da das Schiff noch keine Fahrt hatte, langsam nach hinten sackte und eine menschliche Figur zu sein schien.

Ohne mich zu besinnen, warf ich die Oberkleider ab und sprang über Bord. Beim Wiederauftauchen befand ich mich in unmittelbarer Nähe des Überbordgefallenen; es war Kapitän Stanford.

Er war besinnungslos und wahrscheinlich von der gebrochenen Gaffel getroffen über Bord geschleudert. Ich hielt seinen Kopf über Wasser und sah mich nach dem Schiffe um, doch wer malt meinen Schrecken, als ich es bereits in weiter Ferne erblickte, wie es, vom Sturme in Fahrt gesetzt, dahinflog.

Wie ich Ihnen schon sagte, war ich ein vollendeter Schwimmer, aber unter diesen Umständen gab ich uns beide verloren. Die schäumenden Wogen um mich, ihr Zischen und Brausen in meinem Ohr, wenn ihre Kämme über unseren Köpfen zusammen zu schlagen drohten, die niedrigen schwarzen Wolken über unseren Häuptern, das Heulen des Sturmes – dabei ohne Hoffnung auf Hilfe und Rettung allein aus dem Ocean – es war eine furchtbare Lage, und Verzweiflung drohte sich meiner zu bemächtigen.

In diesem schrecklichen Augenblicke bemerkte ich in geringer Entfernung einen Bootsmast, der bei dem Überlegen des Schiffes in der Bö aus dem Leeboot gespült sein mochte. Ich schwamm mit meiner Bürde darauf zu, erreichte ihn auch bald, und es gelang mir, sowohl mich selbst, wie auch den Kapitän darauf zu legen – er trug uns beide. Was konnte es uns viel nützen, aber der Ertrinkende greift nach einem Strohhalm.

Während ich noch damit beschäftigt war, Stanford höher auf die Spiere zu ziehen, kehrte dessen Besinnung zurück. – Es war, als ob er aus tiefem Schlafe erwachte, aber doch umfaßte er mechanisch den Mast mit beiden Händen, um sich daran festzuhalten, warf einen Blick umher und hatte sofort unsere Lage begriffen.

»Wahrhaftig, Witt,« sagte er, »Sie sind ein braver Kerl. Ich hatte Böses gegen Sie im Sinn, aber wenn wir gerettet werden, will ich lieber sterben, als Ihnen ein Haar krümmen lassen.«

Ich verstand nicht, was er damit meinte, da er ja stets nur freundlich gegen mich gewesen war, glaubte, er rede irre, und schenkte deshalb seinen Worten um so weniger Beachtung, als meine Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt waren und ich nur unseren baldigen Tod vor Augen sah.

Der vom Sturm gepeitschte Gischt dampfte über uns fort, und ich fürchtete jeden Augenblick, der Kapitän werde durch eine anrollende Woge von der Spiere gerissen werden. Schon gab ich alles auf, da schimmerte ein Hoffnungsstrahl. Als wir von einer Welle auf ihre Spitze gehoben wurden, sah ich die Brigg. Sie hatte beigedreht und ein Boot ausgesetzt, das gerade abstieß und nach uns Umschau hielt.

Es hatte schwere Arbeit, gegen Sturm und See anzukommen, welche letztere zu immer höheren Bergen anwuchs. Bald schwebte es hoch auf dem Kamme, dann verschwand es wieder im Thal, als sei es vom Abgrund verschlungen, oder der weiße Schaum hüllte es wie in eine Wolke ein, aber trotzdem kam es stetig vorwärts, und die nervigen Arme der Ruderer, unter denen sich die Riemen wie Gerten bogen, blieben Sieger.

Endlich sahen sie uns und begrüßten uns mit Hurra, aber bei dem Seegange mußten sie vorsichtig sein, uns an Bord zu nehmen. Die Spiere konnte leicht ein Loch in den Boden stoßen und dann waren wir alle verloren. Endlich gelang es einem der Bootsgasten, die Kleider des Kapitäns zu fassen und ihn ins Boot zu ziehen; er vermochte sich kaum noch fest zu halten, da sein Arm beschädigt war, und ich hatte zu thun, um ihn zu unterstützen; ich selbst hing noch an der Spiere.

In diesem Augenblicke bemerkte ich, daß die Bootsbesatzung aus jenen sechs mir so unsympathischen Matrosen bestand, welche der Kapitän kurz vor unserm Segeln angenommen hatte, und ich empfand bei dieser Wahrnehmung wieder ein höchst unangenehmes Gefühl, das im nächsten Augenblicke auch seine Berechtigung erhalten sollte.

Ich wollte die Bordwand des Bootes ergreifen, doch stieß die nächste See es eine Strecke weit fort, und so versuchte ich, wenigstens einen der Riemen zu erfassen.

»Laßt den jungen Laffen ersaufen,« hörte ich einen der Matrosen jetzt sagen, »wir haben keine Zeit, ihn an Bord zu ziehen.«

Mich durchzuckte es eisig. Was war das? Unter welchen Menschen befand ich mich?

Der Kampf um das Leben ließ mich das Blatt des Riemens packen, um an das Boot zu gelangen. Der schuftige Ruderer suchte mich abzuschütteln, doch da hörte ich einen schrecklichen Fluch Stanfords, und der Riemen wurde still gehalten.

Es war die höchste Zeit, meine Kräfte hatten sich so erschöpft, daß ich im nächsten Augenblick hätte sinken müssen, und ich wußte auch gar nicht, wie ich ins Boot und nahe dem Kapitän zu sitzen gekommen war; er mußte mich selbst hereingezogen haben.

Als ich mich etwas erholt hatte, flüsterte er mir zu: »Sagen Sie an Bord kein Wort von dem, was hier passiert ist, und Sie sind in Sicherheit, sonst habe ich keine Macht, Sie zu schützen.«

Bevor ich mir den Sinn dieser mir unverständlichen Worte klar zu machen vermochte, war das Boot, das jetzt vor Wind und See sehr schnell vorwärts kam, längsseit der Brigg angelangt. Mit der größten Schwierigkeit wurde es aufgeheißt, aber es war auch keinen Augenblick zu früh. Wenige Minuten später wäre es verloren gewesen, denn eine zweite Bö fiel mit furchtbarer Gewalt ein und setzte sich zu schwerem Sturm fort, der bis zum Abend dauerte und die beiden Damen nicht wenig erschreckte. Zwar beruhigten sie sich bald wieder nach dem eintretenden guten Wetter, desto unruhiger war jedoch mein eigener Gemütszustand.

Ich hatte das Gefühl, daß uns etwas sehr Bedrohliches bevorstehe. Die Scene im Boot hatte in mir den stärksten Verdacht erregt, aber dennoch fehlten mir zweifellose Beweisgründe, um den beiden andern Steuerleuten davon Mitteilung zu machen. Ebenso drängte sich mir die Gewißheit auf, daß ich sowohl vom Kapitän, wie von den sechs Matrosen scharf beobachtet wurde, und das konnte meine inneren Besorgnisse nur vermehren.

Wir waren nun im Passat und setzten unsere Reise westlich fort. Öfters begegneten wir Schiffen, und einige derselben schienen nicht übel Lust zu haben, auf uns Jagd zu machen, aber unsere Brigg segelte zu schnell, und sie mußten es bald aufgeben.

So schien eine Zeit lang alles gut zu gehen, bis der Kapitän einen südlicheren Kurs steuern ließ, als er nach Ansicht der Steuerleute nach Jamaika führte. Auf ihr Vorhalten erklärte er jedoch, er sei in den westindischen Gewässern genau bekannt, und der von ihm eingeschlagene Weg kürze wegen günstigen Windes und helfender Strömung die Reise bedeutend ab. Meine beiden Kameraden beruhigten sich dabei, mir aber wollte die Sache durchaus nicht in den Kopf, und mein Verdacht erhielt neue Nahrung.

Schließlich sichteten wir statt Jamaika die Insel Trinidad, wurden dort nachts von völliger Windstille befallen und erblickten am andern Morgen in kaum zwei Seemeilen Entfernung eine englische Korvette, die nach Zeigen unserer Flagge ein bewaffnetes Boot mit einem Offizier und zehn Mann zu uns sandte.

Als der Kapitän dies sah, legte es sich wie ein düsterer Schatten über seine Züge. Dann rief er die Mannschaft zur Musterung an Deck und erklärte ihnen, das Boot käme, um Mannschaften zu pressen. Wollten sie sich das gefallen lassen und sich zu Sklaven auf dem Kriegsschiffe hergeben, anstatt freie Männer zu bleiben, so möchten sie es thun, wollten sie es jedoch nicht, so sollten sie Widerstand leisten, und sie könnten sich dann auf seinen Schutz verlassen.

Nach diesen Worten öffnete er die Waffenkiste, schnallte einen Säbel um, steckte ein Paar Pistolen in den Gürtel, und dieser kurze Entschluß wirkte so anspornend auf die Leute, daß der größte Teil dem gegebenen Beispiel folgte und sich zum Kampfe bereit machte.

Als der englische Offizier das Deck betrat, sah er sich deshalb einer weit überlegenen Truppe gegenüber, deren Haltung nichts Gutes verhieß, da es wirklich so war, wie der Kapitän gesagt, und gepreßt werden sollte. Der Lieutenant ließ sich jedoch nicht einschüchtern und wählte in ruhiger ernster Weise die ihm geeignet erscheinenden acht Mann, darunter mich und merkwürdigerweise fünf von den Matrosen aus, welche damals im Boot gewesen waren, um den Kapitän und mich zu retten.

Stanfords Züge nahmen einen häßlichen Ausdruck an; auf seiner Stirn schwoll die Zornesader, und aus seinen Augen leuchtete finstere Entschlossenheit.

»Nehmen Sie meine Leute, wenn es Ihnen gefällt,« sagte er drohend zu dem Offizier, »aber Sie thun es auf eigne Gefahr.«

»Wir werden sehen,« erwiderte kurz der Lieutenant und faßte einen jener fünf an, um ihn in das Boot gehen zu heißen.

»Da springt eine Brise auf im Norden und kommt auf uns herunter!« rief jetzt laut der Kapitän und wechselte einen Blick mit dem betreffenden Matrosen. Dieser verstand den Wink, schlug blitzschnell den Offizier mit dem Kolben seiner Pistole nieder, und nun entstand ein allgemeiner Kampf.

Nach dem Vorgefallenen sahen die Kriegsschiffleute, daß es sich um ihr Leben handelte, und wehrten sich verzweifelt.

Ich sprang nach vorn, um mich zwischen die Kämpfenden zu werfen und sie zu trennen, da ich die Folgen des blutigen Auflehnens gegen bestehende, wenn auch harte Gesetze voraussah. Doch sofort traf mich ein Pistolenschuß und warf mich nieder.

Bis dahin hatte der Kapitän sich passiv gehalten und wohl geglaubt, ich habe die Absicht, ebenfalls gegen die Kriegsschiffmannschaften zu kämpfen. Als er mich jedoch fallen sah, drang er, mit geschwungenem Säbel und in der Linken die Pistole, mit solcher Wut auf die Gegner ein, daß sie mit Hilfe seiner Mannschaft in wenigen Minuten überwältigt und entweder tot oder schwer verwundet waren, während allerdings auch fünf von unseren Leuten durch die Engländer niedergehauen waren.

Gleichzeitig vernahm man einen Angstschrei von außenbords her; eine Kanonenkugel war von oben in das längseits liegende Boot geworfen. Sie hatte eine Planke losgerissen, das Wasser stürzte hinein, und in kaum einer halben Minute war es mit dem darin gelassenen Mann in die Tiefe gesunken.

»Brav gemacht, Leute!« rief der Kapitän, und es sprach sich eine teuflische Freude in seinen Zügen aus. »Ihr habt gezeigt, was Ihr könnt – jetzt über Bord mit jenen da« – er wies auf die Toten und Verwundeten, »die Brise ist gleich hier, und wir müssen fort, ehe die Korvette sie auch bekommt, sonst hängen wir bald sämtlich an der Raa, und ich habe Besseres mit Euch vor, um Euch für Eure Tapferkeit zu belohnen.«

Die unglücklichen Engländer wurden jetzt tot oder lebendig, ebenso unsere eigenen Toten über Bord geworfen, um den Haien zur Speise zu dienen. Die grause That und der Blutverlust machten mich ohnmächtig, ich sah noch, wie die Brise unsere Segel füllte, während mein Blick durch die Kanonenpforte die Korvette traf, welche bei dem Streichwinde in Stille liegen geblieben war, dann schwand mir die Besinnung.«

Der Erzähler machte eine Pause, um sich an seinem Genever zu laben und danach wieder durchs Fenster in das Dunkle zu starren, als ob seine Gedanken ganz wo anders weilten.

Der Glückstädter rief ihn in die Wirklichkeit zurück.

»Der Geist läßt aber verdammt lange auf sich warten, Witt« sagte er »und wenn er nicht bald kommt, dann werden unsere Gäste schwerlich seine Bekanntschaft machen. In einer Stunde setzt die Ebbe ein, und die Kapitäne müssen an Bord, wenn sie nicht bis Mitternacht gegen den heftigen Strom anrojen wollen.«

»Ja, ja«, erwiderte der Angeredete, aus seiner Träumerei erwachend, »Sie haben recht; aber warten Sie nur einige Augenblicke, er kommt gleich, und jetzt eben stand er wieder vor meiner Seele, gerade so schaurig, so fürchterlich, wie damals, als er in die Wolken wuchs,« und dabei schüttelte er sich wie im Fieberfrost.

»Lange Stunden,« fuhr er dann fort, »wußte ich nicht, was mit mir vorgegangen. Als ich aus meiner Bewußtlosigkeit erwachte, befand ich mich in der Kajüte auf einem Sopha gebettet, und Fräulein Warden saß mir gegenüber.

»Was ist vorgefallen?« fragte ich, mich aufrichtend und wild um mich blickend, da das Geschehene nur verwirrt mir in Erinnerung kam.

Sie stieß einen leisen Schrei aus, und ich sah, daß ihr Gesicht von Thränen überströmt war.

»Gott sei Dank, daß Sie wieder zu sich gekommen sind, Herr Witt,« rief sie, »der Kapitän, der Sie verbunden, teilte mir mit, Ihre Verletzung sei nicht gefährlich, nur eine Fleischwunde, und Sie würden bald wieder genesen. Aber fragen Sie mich nicht, was geschehen. Es ist ein schrecklicher Verdacht in mir aufgestiegen. Es hat Blutvergießen und Mord gegeben, und ich fürchte, es ist noch nicht zu Ende.«

»Wo ist Frau Lannis?« fragte ich.

»O die Arme hat sich in ihrer Kammer eingeschlossen und will niemand sehen. Sie ist durch das Vorgefallene so erschreckt worden, daß ich fast für ihren Verstand fürchte.«

»Ich will an Deck gehen und sehen, wie es steht,« sagte ich, »oh, jetzt erinnere ich mich des Furchtbaren. Offiziere und Mannschaften der Korvette wurden niederträchtig gemordet, und ich hatte nicht die Macht, sie zu retten, da mich die Kugel traf, als ich dazwischen treten wollte. Ach, Fräulein Warden, ich fürchte, Ihr Verdacht ist nur zu sehr gerechtfertigt, aber verlassen Sie sich darauf,« fügte ich hinzu, indem ich ihr die Hand hinstreckte, welche von ihr ergriffen wurde, »was auch komme, ich werde Sie schützen bis zu meinem letzten Blutstropfen.«

»Ich weiß, ich weiß, Herr Witt,« schluchzte das süße Mädchen, indem sie meine Hand preßte, »und werde es Ihnen ewig danken, doch,« fügte sie mit fester entschlossener Miene hinzu, »sollte es zum Schlimmsten kommen, nun dann bleibt mir noch das dort,« und sie zeigte durch das Kajütenfenster auf die schäumenden Wogen.

Sie bat mich flehentlich, nicht aufzustehen und meine Kräfte zu schonen, gab jedoch endlich nach, als ich ihr versprach, ihretwegen mich keiner Gefahr auszusetzen, und ich ging an Deck.

Oh, wie grauenvoll hatte sich dort aber die Scene verändert, seitdem ich bewußtlos hinuntergebracht wurde! Vorher das prachtvollste Wetter, ruhige See, blauer Himmel und die Segel kaum geschwellt von leichtem Winde, und jetzt schwerer Sturm, wild über den Himmel hinjagende Wolken, eine hochlaufende Dünung, durch welche die Brigg mit scharf angebraßten Raaen wie rasend dahinstürmte, während Gischt und Wellen in solchen Massen über das Vorderdeck sprühten, als wollten sie das ganze Schiff unter sich begraben, und weit im Westen die englische Korvette unter einem gewaltigen Preß von Segeln uns jagte.

Aber das war ja alles noch nichts gegen das, was ich jetzt auf dem Deck erblickte und mein Blut erstarren ließ. Überall traten mir Zeichen eines schweren Kampfes entgegen. Drei von unseren Leuten waren schwer verwundet, vier andere wurden im Vorderschiff als Gefangene bewacht, und die beiden Steuerleute waren mit den Händen auf dem Rücken an den Mast gebunden.

Der Kapitän stand auf dem Hinterdeck mit dem Fernrohr in der Hand, das er dann und wann auf den verfolgenden Engländer richtete, ohne scheinbar dem eigenen Schiffe Beachtung zu schenken, das unter dem furchtbaren Druck der Segel sich in die Wellenberge einwühlte, als wollte es in die Tiefe gehen.

Zwei Leute waren am Ruder, das sie bei der glühenden Fahrt der Brigg und ihren Stößen und Stampfen gegen die See nur mit größter Anstrengung zu handhaben vermochten, und folgten beim Steuern den Winken eines vor ihnen stehenden Mannes.

Es war eine Gestalt von übermenschlicher Größe, seine Gesichtsfarbe dunkel wie Bronze, das lange schwarze Haar im Sturm flatternd, mit großen brennenden Augen, wie die eines Adlers. Ich hatte ihn bisher nie gesehen, wie war er an Bord gekommen?

Je länger ich ihn betrachtete, desto weniger vermochte ich mein Auge von ihm zu wenden. So mag einem Vögelchen zu Mute sein, wenn ein Schlangenblick es lähmt und auf seinem Platz festbannt, bis es dem drohenden Rachen anheimfällt.

Es war etwas unbeschreiblich Furchtbares und Grauenerregendes in seiner Erscheinung. Ich stand nur wenige Schritte von ihm entfernt, unterschied deutlich alle seine Bewegungen, wenn er den Ruderleuten durch Winke mit der Hand Anleitung zum Drehen des Rades gab; er war körperlich vor mir, und doch konnte ich seine Umrisse nicht festhalten, sie flossen mit der Luft ineinander.

Eine Eisrinde legte sich um mein Herz, dies Wesen konnte nicht von dieser Welt, es mußte ein Geist sein.«

»Endlich haben wir ihn,« murmelte der Glückstädter, »es war die höchste Zeit, in einer halben Stunde wird die Ebbe einsetzen.«

Der Erzähler schien die Bemerkung zu überhören und fuhr fort, indem seine Stimme wieder mehr den hohlen Grabeston annahm. »Ist so etwas möglich?« fragte ich mich. Ja, es war so, unzweifelhaft, eine Sinnestäuschung vollständig ausgeschlossen. Wohl hatte ich früher schon gehört, daß bisweilen der Böse an Bord von Schiffen erscheine, um sie als höllischer Lotse in Tod und Verderben zu führen, hatte es aber bis dahin nicht recht glauben wollen, doch hier war es der Fall. Er stand leibhaftig vor mir, und seine wie Kohlen glühenden Augen kündeten furchtbares Unheil.

Ich stand unschlüssig, was ich beginnen sollte, konnte mich nicht von der Stelle bewegen, weil eine geheimnisvolle Macht mich zwang, den Unhold fortwährend anzustarren, als der Kapitän auf mich zutrat und den Bann brach.

»Witt,« sagte er, »Sie sind nicht in dem geeigneten Zustand, um auf Deck zu sein. Bleiben Sie unten,« fügte er dann flüsternd hinzu, »dort sind Sie in Sicherheit.«

»Ich verstehe Sie nicht, Kapitän Stanford. Was hat dies alles zu bedeuten?« fragte ich in tödlicher Spannung.

»Daß unsere Brigg ihren Eigentümer gewechselt hat,« erwiderte er mit grausamem Lächeln, »und daß alle, welche sich weigern, meinen Befehlen zu gehorchen, sehr bald sich ohne Planke unter ihren Füßen finden werden.«

Ich war starr. So gewann der böse, von mir so lange gehegte Verdacht jetzt eine greifbare Gestalt. Wir befanden uns in den Händen blutdürstiger Seeräuber. Der Kapitän war ihr Anführer, jene sechs zuletzt an Bord gekommenen Matrosen seine Spießgesellen. Wie war es aber nur möglich, daß Stanford von dem Londoner Hause so warm empfohlen sein konnte?

Mich drohte ein Schwindel zu erfassen, da riß mich ein mein ganzes Innere erschütternder Ruf empor.

»Alle Mann klar zum Wenden!« ertönte eine tiefe unirdische Stimme unmittelbar neben mir. Das Kommando kam aus dem Munde des geisterhaften Lotsen.

Die Mannschaften flogen auf ihre Stationen, als liefen sie nicht, sondern würden vom Sturmwinde dahin gejagt. Das Ruder wurde in Lee gelegt, die Raaen sausten herum, die Brigg drehte sich wie im Kreisel und lag in unbeschreiblich kurzer Zeit über den anderen Bug, um weit luvwärts von der Korvette an den Wind zu gehen.

Nochmals ersuchte ich den Kapitän um Auskunft, was das alles zu bedeuten habe; aber ohne mir zu antworten, führte er mich nur unter Deck zu Fräulein Wardon, ersuchte sie, mich nicht wieder nach oben zu lassen, und entfernte sich dann schleunigst.

In höchster Erregung fragte mich das junge Mädchen, wie es stehe, und wie von Herzen gern ich sie auch beruhigt hätte, war ich doch gezwungen, ihr die Wahrheit mitzuteilen, wenn ich auch nicht wagte, ihr gegenüber des fürchterlichen Fremden und seines dämonischen Wesens zu erwähnen.

»Großer Gott, was wird unser Schicksal sein?« rief sie voll Entsetzen.

»Wenn der Kapitän Böses mit Ihnen im Sinne hätte,« suchte ich sie zu trösten, »würde er nicht bis jetzt damit gewartet haben, und ebenso bin ich überzeugt, daß er mir wohl will. So müssen wir unser Vertrauen auf Gott setzen und das Beste hoffen.«

Aber alle meine Bemühungen vermochten nicht, die Arme zu beruhigen, und sie befand sich in der traurigsten Gemütsverfassung, die dann durch einen markerschütternden Schrei, der vom Deck zu uns niederdrang, auf das höchste gesteigert wurde. Auch mich erschreckte derselbe so, daß ich trotz des Befehls des Kapitäns mich von ihr nicht zurückhalten ließ und nach oben stürzte, um die Ursache zu erfahren.

Oh, welch grauenerregender Anblick wartete mein! Der erste Steuermann war verschwunden, aber der zweite kündete nur zu deutlich, in welcher Weise. Dieser stand mit auf dem Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen auf dem Ende einer über die Bordwand gelegten Planke.

»Willst Du die Schiffsartikel unterzeichnen?« erscholl die den Sturm übertönende Stimme des furchtbaren Fremden.

»Niemals!« lautete die in festem Tone gegebene Antwort.

Der Lotse erhob die Hand, die Planke wurde an einem Ende gehoben, und mit einem Schrei stürzte der junge Mann in die Fluten.

Ihm folgten in gleicher Weise zwei Unteroffiziere und die vier gefangenen Matrosen, die sich gleichfalls weigerten, mit den Piraten gemeinschaftliche Sache zu machen, während die drei Verwundeten ohne weiteres über Bord geworfen wurden. Die übrigen hatten die Schiffsartikel unterschrieben. Durch den Mord von englischer Mannschaft hatten sie sich außerhalb des Gesetzes gestellt und waren, wenn man sie fing, ohnehin dem Strick verfallen; deshalb schlossen sie sich freiwillig an.

Ich stand wie gelähmt bei dieser Mordscene und erwartete nichts anderes, als daß jetzt auch an mich die Reihe kommen würde, aber weder der Kapitän noch die übrigen Leute schienen mich zu beachten. Ich hörte, wie ersterer sagte, ich sei wahnsinnig, und man ließ mich unbehelligt auf dem Deck herumgehen; ich war freilich nahe daran, es zu werden.

Gegen Abend nahm der Sturm noch an Stärke zu, doch die Brigg kreuzte mit vollen Segeln dagegen an, während die Korvette in Lee sie stetig verfolgte. Die Nacht breitete ihren Schleier über die empörten Wogen, aber unser Schiff flog mit rasender Fahrt durch sie hin, fort in die schwarze Finsternis, als ob es zur Hölle wolle. Die Masten bogen sich wie Rohrhalme, die Segel drohten jeden Augenblick aus den sie umsäumenden Tauen zu fliegen, der Sturm sauste und heulte und schrie in der Takelage, die Balken und Planken kreischten und krachten, als wollten sie aus den Fugen gehen, die See brüllte und sprühte den dampfenden Gischt wie dichtes Schneegestöber über uns, Blitze zuckten, als ob sie dies Grauen des umgebenden Chaos uns nur noch deutlicher vor Augen führen wollten, und in ihrem fahlen Lichte erschienen auch die Mannschaften wie Geister.

Und sollte ich hundert Jahre leben, nie wird diese über alle Beschreibung furchtbare Nacht aus meinem Gedächtnisse schwinden, in der Dämonen ihre Orgien feierten und die ein schauriges Gegenstück zu dem Mordwerk gab.

Der Erzähler schwieg eine kurze Zeit, um sich die Schweißtropfen von der Stirn zu wischen, während auch wir mit verhaltenem Atem der erschütternden Schilderung lauschten und nur der Glückstädter gleichmütig seine Pfeife weiter rauchte.

»Doch weder der Kapitän« nahm Witt seine Rede wieder auf, »noch die Besatzung schienen die Wut des Sturmes zu fürchten oder zu beachten, obgleich wohl nie ein irdisches Schiff so durch die Fluten gehetzt worden ist. O, sie wußten wohl, wen sie an Bord hatten; sie waren ihm verschrieben und verließen sich auf seine unheimliche Geschicklichkeit und seine Macht. Jeder Befehl aus seinem Munde wurde ohne Zögern und blitzschnell ausgeführt.

Alles das erfüllte mich mit unsagbarem Schrecken, aber trotzdem fühlte ich mich wie gebannt an Deck, als zwänge mich eine fremde Gewalt zum Bleiben, um noch Furchtbareres zu erleben. Jeden Augenblick erwartete ich, daß die Masten über Bord fliegen oder die Brigg auf ein Korallenriff stoßen und zerschmettert mit uns in den Abgrund sinken würde.

Zuletzt traf uns eine gewaltigere Bö als bisher, und mit donnerndem Knall zerriß das Großsegel. Bei dem jetzt fehlenden Hintersegel wurde das Vorderteil des Schiffes von der See herumgeworfen, und wir trieben nun schnell leewärts der verfolgenden Korvette entgegen.

»Braßt die Hinterraaen vierkant und auf mit dem Ruder!« ertönte das Kommando des Fremden.

Die Hinterraaen wurden aufgebraßt, das Schiff fiel ab, dann flogen auch die Vorderraaen herum, und wir stürmten jetzt vor dem Winde dahin, gerade auf den Engländer zu.

Es wurde klar zum Gefecht gemacht, die Geschütze geladen und zu Bord gerannt, und die Geschützführer standen fertig mit den Lunten, während der geisterhafte Fremde von Kanone zu Kanone ging, um selbst zu richten.

Ich war nicht lange im Zweifel, was dies zu bedeuten habe. Ein Blitz zerklüftete die Finsternis, und in seinem bläulich gelben Schein erblickte ich die schimmernden Segel der Korvette in unmittelbarer Nähe vor uns. Ich glaubte, wir würden in sie hineinrennen, denn wir passierten sie fast Bord an Bord.

»Feuer!« kommandierte unser Verderber. Ein Geschütz nach dem andern entlud sich mit tödlicher Sicherheit und schüttete seinen vernichtenden Inhalt auf unsere Verfolger. Wilde Schmerzensschreie kündeten den unheilvollen Erfolg. Sie rangen sich aus dem Heulen des Sturmes und dem Brausen der See empor, aber dies konnten nicht allein Menschen sein, deren Klagelaute die Luft erfüllten, es war, als ob Tausende von bösen Geistern sie als höhnendes Echo zurückgäben.

Nicht ein Schuß des Gegners traf uns, wir waren von der Hölle gefeit.

Nun entstand eine angstvolle Pause, aber dann hörte man einen betäubenden Knall, als ob die Erde sich spalte, eine gewaltige Flammensäule schoß empor in die dunkle Nacht, die Masten mit ihren Raaen und Segeln flogen himmelwärts, der dunkle Rumpf der Korvette schien sich über die Wogen zu erheben, menschliche Gestalten bewegten sich im Scheine des Feuers in wilder Verwirrung durcheinander – dann war im nächsten Augenblicke alles verschwunden wie ein böser Traum. Ein schauriges Schweigen erfolgte, und die Brigg steuerte wieder unaufhaltsam weiter in die Finsternis.

Der Tag brach an, aber nur, um die Schreckensscene noch greller zu beleuchten. Der Sturm raste wie zuvor, die Wogen waren zu Bergen gewachsen, und vor beiden flogen wir dahin wie vor einem unsichtbaren drohenden Feinde.

Als endlich die Wut des Windes nachließ, kam die Küste des Festlandes in Sicht, und wir liefen eine kleine Insel an, wo wir in einer Bai, von außen völlig ungesehen ankerten, um Holz und Wasser einzunehmen.

Ich dachte daran, hier zu entfliehen, gab aber den Gedanken bald wieder auf. Ich wußte mich zu scharf bewacht, und dann hielt mich der Gedanke an Fräulein Warden zurück. Was würde das Schicksal des so heiß von mir geliebten Mädchens gewesen sein! Wir waren jetzt mehr als je aufeinander angewiesen.

Frau Lannis hatte krank zu Bett gelegen, die gräßlichen Scenen, die sie mit erlebt, hatten ihren Verstand getrübt. Im Verfolgungswahn befangen, verschmähte sie jede Pflege, weigerte sich entschieden, Fräulein Warden zu sehen, nahm keine Nahrung mehr zu sich und war nach der letzten Sturmnacht verschwunden. Zweifellos hatte sie sich während des Kampfgetöses in einem neuen Wahnsinnsanfalle und von niemand bemerkt über Bord gestürzt.

Abgesehen von ihrer Gefangenschaft in der Kajüte wurde Fräulein Warden in keiner Weise behelligt, und ich konnte dies nur dem Einflusse des Kapitäns zuschreiben, der mir überhaupt bei jeder Gelegenheit seine Dankbarkeit zeigte – wenigstens ein versöhnender Zug in seinem Charakter.

Wunderbar war es, daß während unseres Aufenthaltes bei der Insel der geheimnisvolle Lotse sich auch nicht einmal auf der Brigg zeigte. Einige der Leute wollten wissen, er sei damals zuerst in einem Kanoe an Bord gekommen, aber für ein so gebrechliches Fahrzeug und einen irdischen Menschen war das bei einer solchen Witterung ganz unmöglich, und so mußte sich nun die unumstößliche Gewißheit aufdrängen, daß es ein Geist der Finsternis und des Unheils war, der die ihm ergebene Mannschaft in Tod und Verdammnis trieb.

Als wir absegelten, wurde eine schwarze Flagge am Top geheißt, und die Mannschaft begrüßte die Piratenflagge mit lauten Hurras, um nun ein Leben voll Sünde und furchtbarer Verbrechen zu beginnen.

Lassen Sie mich schweigen über das, was ich in den nächsten Wochen noch mit zu erleben gezwungen war. Das Blut gerinnt mir fast, wenn ich daran zurückdenke, und ich begreife nicht, wie es mir überhaupt möglich war, noch weiter zu leben. Mein einziger Trost war, daß Fräulein Warden sich stets in der Kajüte halten mußte und wenigstens von den grauenvollen Thaten nichts sah.

Nachdem eine Reihe reichbeladener Schiffe genommen, durch Feuer zerstört und ihre Besatzungen umgebracht waren, liefen wir in einen kleinen Hafen an der kubanischen Küste ein, wo sich noch einige zwanzig Raubgesellen mit unserer Mannschaft vereinigten, um in wüsten Gelagen die Beute zu verprassen und danach auf neue Raubzüge und Scheußlichkeiten auszugehen, bei denen dann der plötzlich wiedererschienene Lotse stets Sporn und Anleitung gab.

Eines Tages, als wir wieder in einem versteckten Hafen lagen und ich schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, je aus diesen unseligen Verhältnissen befreit zu werden, teilte mir der Kapitän mit, daß er die Absicht habe, mich mit Fräulein Warden bei der ersten Gelegenheit auf Jamaika oder einer anderen englischen Insel an Land zu setzen.

»Ich werde dann, Witt«, sagte er zu mir, »mein Ihnen gegebenes Versprechen erfüllt haben. Ihretwegen habe ich auch Fräulein Warden vor Unheil bewahrt, und Sie sollen wenigstens nicht sagen, daß ich undankbar bin, mögen sonst auch meine Verbrechen reich an Zahl sein.«

Ich wollte ihm meinen Dank über diese unerwartete Großmut aussprechen, aber er unterbrach mich mit den Worten: »Reden Sie nicht davon. Ich trenne mich nicht freiwillig von Ihnen, sondern ich muß. Sie sind der einzige auf diesem dem Verderben geweihten Schiffe, für den ich Sympathie besitze, und doch habe ich die meisten der Mannschaften selbst auf den Pfad der Sünde gelockt und zu dem gemacht, was sie jetzt sind. Auch Sie wollte ich zu meinem Genossen machen, aber Sie haben der Versuchung widerstanden. Nun, ich zürne Ihnen deshalb nicht. Meine Laufbahn gehört gewiß nicht zu den beneidenswertesten, aber ich habe sie zu lange verfolgt, um noch zurückzukönnen. Meine Seele ist bereits verloren, ohne Hoffnung verloren.«

Er schwieg einen Augenblick. »Was für Unsinn spreche ich da!« rief er dann plötzlich aus und ein satanisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Wir werden nun bald scheiden, Witt, und uns nie wiedersehen«, sagte er nach einer Weile, »denn meine Zeit ist bald gekommen, und es wartet jemand auf mich, der niemand entschlüpfen läßt, der sich einmal in seine Hände gegeben.«

Er schwieg wieder eine Weile, in der das gute und böse Element in ihm kämpfen mochten, denn wiederum rief er aus: »Noch mehr Dummheiten!« und brach in ein lautes Lachen aus. »Ich habe wohl schön wirres Zeug gesprochen. Was habe ich gesagt? Nun es kommt nicht darauf an«, beantwortete er seine eigene Frage. »Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich Sie beide sobald wie möglich an Land zu setzen gedenke.«

»Und weshalb wollen Sie das schreckliche Leben nicht aufgeben, bevor es zu spät ist?« wagte ich zu fragen, »der liebe Gott nimmt jeden reuigen Sünder barmherzig auf.«

Dasselbe häßliche Lachen flog wieder über seine Zunge. »Kindische Frage, Witt!« antwortete er, »weil ich mit unlösbaren Banden daran gefesselt bin.«

»Alle Mann, Anker lichten!« Das Kommando des unheimlichen Fremden unterbrach das Gespräch.

Er war wieder da; Niemand wußte, wie er an Bord gekommen, und seine hohle tiefe Stimme tönte laut wie eine Posaune durch alle Räume des Schiffes.

»Meine letzte Fahrt!« rief mir der Kapitän zu und eilte an Deck. Es durchzuckte mich freudig, so hatten meine Worte doch vielleicht auf ihn Eindruck gemacht und er sich entschlossen, ihnen zu folgen. Ich dachte so, aber leider war es eine bittere Täuschung.

»Alle Mann, Anker lichten!« wiederholte er den Befehl des Lotsen, und im Augenblick war alles am Bord Leben und Energie.

»Hurra, Jungens! der auf dem Ocean schwimmende Reichtum wird unser Lohn sein,« ertönte eine unheimliche Stimme, und »Ha! Ha! Ha!« klang es geisterhaft im ganzen Schiffe wieder.

Der Anker war auf, die Segel gelöst und gesetzt, und wiederum flog die Brigg durch die Wogen, bereit zu neuen Unthaten und Vergehen.

Kaum hatten wir das Land geklart, da überzog sich der blaue Himmel mit schwarzem Gewölk, und es meldete sich aufs neue der Sturm. Wild türmte sich die See zu schäumenden Wogen, sie brachen brausend über Deck, Blitze fuhren hernieder, und der Donner brüllte. So oft ich das Verdeck betrat, sah ich den unheimlichen Lotsen in der Nähe des Ruders stehen unbeweglich wie eine Bildsäule. Er sprach kein Wort, aber auf seinen dunkeln Zügen spiegelte sich teuflische Befriedigung, in dem Blicke seiner brennenden Augen lag heute etwas Besonderes, Entsetzen erregendes, und während ich wie verzaubert auf ihn hinstarren mußte, fühlte ich meine Knie wanken und brach besinnungslos zusammen.

Tagelang ging es so fort in toller Fahrt nach Norden zu, da kam vor uns ein Segel in Sicht. Wir schienen über das Wasser zu fliegen, so schnell näherten wir uns dem Fremden.

»Eine Prise, eine Prise!« jubelten die Piraten, ohne zu ahnen, welche infernalische Sturmgewalt sie verblendete und dem Verderben entgegentrieb. Sie vermuteten in jenem ein großes reichbeladenes Handelsschiff, während ich es sofort als Kriegsschiff erkannte.

Es wurde klar zum Gefecht gemacht, aber diesmal richtete, der Lotse nicht die Kanonen. Dann wurde die Flagge geheißt um den Fremden einzuschüchtern, der jedoch ohne Anzeichen von Furcht seinen Kurs ruhig weiter steuerte.

Sehr bald war er im Bereich unserer Geschütze, und die Brigg machte sich bereit, längsseits zu laufen. Da luvte jener plötzlich an den Wind, so daß er quer vor uns lag. Bevor wir dem Manöver folgen konnten, spie es aus seinen Kanonenpforten Feuer und Flammen, ein Hagel von Geschossen sauste daher und bestrich unser Deck der Länge nach. Dann fiel er sofort wieder vom Winde ab, um uns die zweite eben so furchtbar wirkende Breitseite über den andern Bug zu geben.

Wer beschreibt das Entsetzen, die Wut- und Schmerzensschreie der enttäuschten Piraten, die zu Dutzenden niedergeschmettert waren und sich in ihrem Blute wälzten. Aber sie schrieen und fluchten vergebens, nur ein grausam hohnvolles Lachen war die Antwort, und diesmal wußten sie, woher es kam.

Jeder Schuß des Feindes wirkte vernichtend, während wir ihm kaum Schaden zufügten. Eine Zahl unserer Geschütze ward demoliert, das Deck von Geschossen aufgerissen, während der von einer Kugel durchbohrte Großmast schwankte und jeden Augenblick zu stürzen drohte.

Doch all diese schreckliche Verwirrung und das Toben des Kampfes übertönte die Stimme des Lotsen, der die Mannschaft stets zu neuen Anstrengungen spornte. Ihre einzige Hoffnung auf Sieg war jetzt noch, dem Fremden längsseits zu laufen und Mann gegen Mann mit ihm zu ringen.

Es gelang, Kapitän Stanford warf selbst den Enterhaken, der beide Schiffe aneinander fesselte, und nun begann der wütendste Kampf. Dreimal enterten die Seeräuber das Deck der Korvette, deren Bootsmannschaft sie grausam gemordet, die damals ein Blendwerk der Hölle vor ihren Augen vernichten und in Feuer und Flamme aufgehen ließ, aber ebenso oft wurden sie zurückgeschlagen, und ihnen war jetzt ein unerbittlicher Rächer erstanden.

Während der ganzen Dauer des Kampfes hatte ich, ohne mich daran zu beteiligen und gleichgültig dagegen, ob mich eine Kugel oder ein Splitter traf, auf dem Deck gestanden. Wäre Fräulein Warden nicht gewesen, hätte ich den Tod willkommen geheißen, der mich von einem so qualvollen Dasein in solcher Umgebung erlöste, aber um sie beschützen zu können, wünschte ich dennoch zu leben.

Lauter erkrachten die Geschütze, und jede feindliche Kugel durchbohrte die Seite der Brigg, wütender tobte die Schlacht – da glaubte ich zu bemerken, daß unser Schiff tiefer und tiefer sank.

Der Gedanke, daß mein geliebtes Mädchen jetzt dem Tode geweiht werde, trieb mich schnell in die Kajüte hinunter. Ich fand sie ohnmächtig vor Schreck, aber sah auch, daß das Wasser bereits den Fußboden der Kajüte überspülte. Sie in meine Arme nehmen, mit der süßen Last an Deck eilen war eins. Ein Pirat versuchte mir entgegenzutreten; mit übermenschlicher Kraft schmetterte ich ihn zu Boden, und da in diesem Augenblicke beide Schiffe hinten zusammenstießen, schwang ich mich über die Hängemattenkasten an Bord der Korvette.

Ein Offizier sah mich, glaubte, daß das Schiff von dieser Seite geentert werden sollte, stürzte mit einigen Leuten auf mich zu, und ich würde unzweifelhaft niedergehauen sein, hätte sich das wieder zu sich gekommene Fräulein Warden nicht schützend vor mich mit dem Ausrufe geworfen: »Oh, um Gottes Willen tötet ihn nicht, er ist kein Pirat!«

Die Angreifer hielten sich zurück, und ein anderes grauenhaftes Schauspiel nahm ihre Aufmerksamkeit voll in Anspruch.

Die Brigg war so tief gesunken, daß das Wasser außenbords bereits mit dem Deck gleichstand, und auf der Korvette hatte man in diesem Augenblicke den Enterhaken gelöst, um nicht mit in die Tiefe gezogen zu werden.

Der Lotse stand zwischen den Toten und Verwundeten, inmitten des Chaos von zerschossenen Stengen und Rahen. Allmählich wuchs seine Gestalt zu gigantischen Formen. Sein Kopf mit den glühenden Augen reichte bereits bis zu den Marsen hinauf, und Blitze umzuckten ihn wie Flammenbündel. Der Donner rollte, die Geschütze erkrachten, menschliche Stimmen und Verzweiflungsrufe mischten sich damit, geisterhaftes Hohngelächter schmetterte dazwischen – ein Höllenkonzert, das die Sinne betäubte.

Da stampfte der Lotse mit den Füßen auf das Deck, und von allen Seiten brach die See darüber fort.

Er stampfte zum zweiten Male, und der Gischt flog in Wolken über die Masten – zum dritten Male, und hinunter ging die verfehmte Brigg, hinunter in die unermeßliche Tiefe des Ozeans, aus der noch die letzten Todesschreie der Piraten gurgelnd heraufdrangen, während der Lotse mit teuflischem Grinsen auf sie herabschaute.

Dann wuchs er weiter empor, höher und höher, bis er an die Wolken ragte, aber seine Umrisse wurden undeutlicher, zerflossen in der Luft, und als die Wogen über den Mastspitzen zusammenschlugen, da war er spurlos verschwunden.

Mit dem Augenblicke, wo das schreckliche Drama beendet war, legte sich auch der Sturm, die See beruhigte sich, das düstere Gewölk zerstob, und die Sonne sandte ihre goldenen Strahlen herab auf die Stätte, auf der sich so entsetzliches abgespielt. Die Korvette aber war unversehrt aus dem Kampfe hervorgegangen, kein Mann verwundet, keine Spiere, kein Segel beschädigt.

Der Kapitän nahm sich unserer auf das liebenswürdigste an, als er unsere traurige Geschichte gehört. Er brachte uns nach Jamaika und Fräulein Warden in die Hände ihres Vaters zurück, der seine Tochter schon längst als Tote beweint hatte und nun selig die Wiedergefundene an seine Brust preßte.

Es war natürlich, daß er ihr keinen Wunsch versagte. Der erste, den sie äußerte, war, mir ihre Hand schenken zu dürfen, und so kam ich in den Besitz des schönsten, liebevollsten Weibes, das es je gegeben, und nach dem Tode des Vaters auch in den Genuß eines fast fürstlichen Vermögens, das mich gegen alle Wechselfälle des Schicksals gesichert hat. Nur eins fehlt an unserem Glücke, uns sind leider Kinder versagt geblieben.

Noch habe ich vergessen zu sagen, daß ich bei meiner Rückkehr nach England auch den Schlüssel dazu erhielt, wie ein solcher Mensch wie Stanford von dem Londoner Hause so warm empfohlen werden konnte.

Zwei Tage nach dem Absegeln unserer Brigg hatte sich bei der Reederei der wirkliche Stanford gemeldet. Auf der Reise nach Liverpool war er von Räubern überfallen, seiner gesamten Papiere, der Empfehlungsbriefe und seiner Barschaft beraubt und so mißhandelt worden, daß er für tot liegen blieb. Unser Kapitän und seine sechs Spießgesellen waren die Räuber gewesen.«

Der Erzähler trocknete abermals die Schweißtropfen, die auf seiner Stirn perlten, und durch seinen Körper zuckte ein nervöses Zittern; augenscheinlich hatte er die geschilderten Scenen im Geiste noch einmal durchlebt. Er leerte sein zum dritten Male gefülltes Glas, erhob sich von seinem Sitze und reichte dem Glückstädter die Hand. »Ich bin hier ein Eindringling gewesen. Nichts für ungut, Freund, aber daran war das trübe Wetter schuld – oh du sonniger Süden, wie vermisse ich dich. Gute Nacht allerseits.«

Damit verließ er Zimmer und Haus.

Wir saßen noch eine Weile stumm. Dann sagte der Glückstädter: »Wo er zum Kuckuck das alles herbekommt!«

»Ja,« meinte Krümmel, »ein verdammt wunderliches Schiff das, aber merkwürdig bleibt es doch, daß er nicht einmal den Namen der Brigg genannt hat, auf der er dies alles erlebte. Er zählte uns doch alle anderen Fahrzeuge auf, die er gefahren hat.«

»Ich weiß ihn,« äußerte der Glückstädter, der diesmal aber ernst blieb.

»Nun?« fragte mein Kapitän.

»Sonnenstich,« erwiderte jener. »Er hat mir schon wenigstens zwanzig Geschichten von Seegeistern erzählt, mit denen er Bekanntschaft gemacht, aber die heutige kannte ich noch nicht, er muß sie erst in den letzten Nächten erlebt haben. Verheiratet ist er nie gewesen; er wohnt seit fünfzehn Jahren hier bei einer alten Frau, die ihm die Wirtschaft führt, und da er keine Verwandten besitzt, geben wir hier ansässigen Kapitäne ihm soviel, daß er leben kann.«

»Armer Kerl!« dachte ich bei mir. Als wir nach anderthalbstündigem Kampf gegen Wind und Ebbe an Bord anlangten, ging ich in meine Kammer und schrieb das Gehörte nieder.

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