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S. M. Torpedoboot S. Nr. 25.

Wie friedlich sie daliegen, zu Dutzenden zusammengekoppelt und mit ihren gewölbten Rücken gerade wie eine Schar schwarzer Schildkröten, unsere Blitzboote, als ob sie kein Wässerchen trüben könnten! Aber sie haben es in sich, und wenn sie losgelassen sind, das Feuer in ihrem Leibe glüht, dicker schwarzer Qualm aus ihren niedrigen Schornsteinen die Luft verfinstert und das Brüllen ihrer Stimme in die Ohren gellt, dann rasen sie wie wildgewordene Stiere durch die Fluten.

Wehe dem Feinde, und sei es auch das mächtigste Panzerschiff, dem sie bis auf ein paar hundert Meter nahe kommen und dem sie ihren Torpedo, die unheimlichste und in ihren Wirkungen furchtbarste Waffe, welche der zerstörungssüchtige Menschengeist bis jetzt erfunden, entgegensenden. Sechs bis acht Fuß unter Wasser laufend, nimmt er seinen verderbenbringenden Weg auf den Gegner und senkt ihn in die Tiefe oder macht ihn wenigstens kampfunfähig.

Hundertzwanzig dieser kleinen Ungetüme zählt unsere Marine, die einander gleichen fast wie ein Ei dem andern, und ihre Zahl wird noch immer vermehrt werden; denn sie sind mit der beste Küstenschutz gegen feindliche Landungen und Blockaden in unseren deutschen Meeren. Die neuen Erfindungen ruhen nicht; von Jahr zu Jahr verbessern sich die Maschinen und mehrt sich die Geschwindigkeit der Torpedoboote, und bei dem Neubau müssen wir diesen Verhältnissen Rechnung tragen, damit uns die anderen Nationen nicht überflügeln.

Nur ungefähr 35 bis 40 m lang bei 4 m Breite und 2 m Tiefgang, ganz niedrig auf dem Wasser liegend und von dünnem Stahlblech, ja in neuester Zeit von Aluminium gebaut, um ihre Leichtigkeit und Schnelligkeit zu erhöhen, sind es nur winzige Fahrzeuge, aber eine ungemein mächtige Maschine verleiht ihnen eine Schnelligkeit bis zu 14, ja einzelnen etwas größeren bis zu 15 m in der Sekunde, was 7 bezw. 7½ deutschen Meilen in der Stunde entspricht. Gerade diese Geschwindigkeit, Lenkbarkeit und Kleinheit sind bei ihnen, da sie selbst keinerlei Panzer tragen können, ihr bester und einziger Schutz gegen die Schnellfeuer- und Maschinengeschütze der feindlichen Panzerriesen, die sie mit einem Hagel von Geschossen überschütten, von denen ein paar Treffer ihnen den Garaus machen. Weit gefährlicher werden sie dem Gegner aber bei Nacht, wenn sie sich ihm trotz seiner Scheinwerfer und sonstiger Schutzmaßregeln ungesehen nähern.

Aus der langen Reihe seiner im Torpedohafen beschaulicher Ruhe pflegenden Genossen ist jedoch eins der Boote vor kurzem herausgeholt, bei Hochwasser von einem Werftdampfer durch die Schleuse geschleppt und liegt auf dem Strome vor Anker. Es hatte wegen größerer Havarie in der Maschine sich einer längeren Reparatur unterziehen müssen, einige Probefahrten gemacht und war, da diese gut ausgefallen, am Morgen in Dienst gestellt, um noch eine Tour in See zu unternehmen.

Lieutenant zur See R. schreitet sehr selbstbewußt und in gehobener Stimmung auf dem Hinterdeck auf und ab. Mit dem sechsten Schritt ist er zwar schon immer an dem einen oder anderen Ende dieses geweihten Raumes, der von der Mannschaft nur dienstlich betreten werden darf, angelangt, aber beim jedesmaligen Umdrehen hat er so viel mehr Gelegenheit, einen Blick nach dem Top des Signalmastes – andere Takelage besitzt ein Torpedoboot nicht – zu werfen und mit dem dort wehenden Wimpel zu liebäugeln.

Nun, das ist erklärlich, ist es doch sein Wimpel, denn Lieutenant R. ist Kommandant S. M. Torpedoboot S. Nr. 25 und gestern zu dieser hohen Charge, dem Ziel der Wünsche aller jungen Lieutenants, welche den von ihnen heiß umworbenen Torpedokursus durchgemacht, ernannt worden. Da kann man ihm nachfühlen, von welchen Gefühlen des Stolzes und innerer Befriedigung seine Brust geschwellt ist.

Donnerwetter! »Kommandant!« Das will etwas sagen mit 25 Jahren! Und dann das merkwürdige Zusammentreffen. Gestern an seinem 25. Geburtstage hat er seine Ernennung erhalten, und sein Boot trägt die Nummer 25. Wenn das keine gute Vorbedeutung ist, dann giebt es überhaupt keine.

Sollte der Stationschef das so arrangiert haben? Das wäre ein auffallendes Zeichen von ganz besonderem Wohlwollen und ein vielversprechender Ausblick in die Zukunft. Wie schade, daß er keine erwachsenen Töchter besitzt, sonst könnte man sich dankbar beweisen, ihnen nach Kräften den Hof machen und sich dadurch möglicherweise das Wohlwollen dauernd sichern.

Dabei kommt ihm jedoch ein Gedanke, der ein Tröpfchen Wermut in seinen überschäumenden Freudenbecher gießt. Unmittelbar nach seiner Ernennung am gestrigen Tage hat er sich neue Visitenkarten bestellt: »R., Lieutenant zur See und Kommandant S. M. Torpedoboot S. Nr. 25.«

Wie viel besser würde es sich doch machen, wenn statt »S. Nr. 25« stehen könnte »Marie« oder »Mathilde.« Doch nein, »Marie«, das klingt netter. »Mathilde« ist schon zu lange her. Sie war zwar seine erste wirkliche Liebe, aber man weiß ja, daß aus einer solchen, wenn sie auch noch so wirklich ist, selten etwas Ernstes wird. Trotzdem taucht ihr Bild in lebhaften Farben vor seinem geistigen Auge auf und weckt schöne Erinnerungen, so schön, daß er selbst den Wimpel vergißt und wachend von vergangenen Zeiten träumt. Mariens Bild scheint dadurch etwas verdunkelt, doch da ruft ihn eine prosaische Erscheinung in die Wirklichkeit zurück.

Er sieht plötzlich den Koch mit der Mittagsprobe vor sich stehen. Es sind Pflaumen und Klöße, die er pflichtmäßig zu schmecken hat, da es in zehn Minuten Zeit zum Mittagessen ist.

Hm! der Koch scheint gerade kein Künstler zu sein; die Klöße sind etwas klitschig, und das Ganze schmeckt nach Rauch. Letzteres freilich kann passieren, wenn die Kambüse nicht größer als ein Schilderhaus ist, in dem man sich nicht umdrehen kann, aber verlockend scheint die Aussicht auf Schiffskost gerade nicht, und der Herr Kommandant beschließt, heute lieber noch am Lande im Offizierkasino zu essen, für jene ist es noch Zeit genug, wenn es in See geht.

»Gig klar!« befiehlt er. Wie hübsch das klingt! Die Gig ist das Boot des Kommandanten, meistens schneeweiß gemalt mit außerbords umlaufender Goldleiste. Auf S. Nr. 25 muß sie jedoch als Mädchen für alles dienen, denn sie ist überhaupt nur das einzige Boot, sieht deshalb ziemlich rußig aus und ist eine Nußschale von 14 Fuß Länge und zwei Riemen. Krähne dafür giebt's auch nicht. Sie wird von ein paar Mann ohne weiteres von dem niedrigen Deck über Bord geschoben und nach dem Gebrauch ebenso wieder heraufgeschafft.

»Die Gig ist klar!« meldet der Obertorpeder, mit der Hand an die Mütze greifend und die Hacken zusammenschlagend. Er vereinigt drei Eigenschaften in sich; Wachoffizier, Bootsmannsmaat und Ober-Torpeder, das ist keine Kleinigkeit.

Der Kommandant nickt befriedigt mit dem Kopfe und steigt direkt vom Deck in die Nußschale, achtet aber vorsichtig darauf, daß er genau in deren Mitte tritt, damit sie nicht umkippt, und ebenso vorsichtig nimmt er hinten auf dem Sitzbrett Platz.

Dann aber kräuselt sich unmutig seine Stirn. »Wo ist der Wimpel?« ranzt er die Gigsgäste an, daß sie vor Schreck das Boot in heftiges Schwanken bringen. Wie sollte man ohne Wimpel sonst wissen, daß ein »Kommandant« im Boote sitzt.

Nun, der Schaden ist bald repariert. Der Obertorpeder reicht schleunigst den Wimpelstock ins Boot, und dahin fliegt es mit flatternder Flagge hinten und dem Wimpel vorne zu dem 50 Schritt entfernten Hafen. »Wie forsch das aussieht!« denkt der Kommandant.

Nach Rückkehr des Bootes schlägt es acht Glas, Mittag. Die Pfeife des Obertorpeders schrillt und ruft mit dem gehörigen Schnepper daran als Signal zum Essen. Die Leute würden es zwar auch ebenso gut hören, wenn er es mit gewöhnlicher Stimme sagte, aber dann könnte man ja denken, man befände sich nicht auf einem Kriegsschiffe, und auf was für einem! S. Nr. 25 ist zwar nur ein kleiner David, aber unter Umständen überwältigt er den großen Goliath.

Die Leute kriechen in das enge Loch, das den stolzen Namen »Zwischendeck« trägt. Es sind ihrer zwölf, sechs Torpedomatrosen, fünf vom Maschinenpersonal, außer dem Obertorpeder und Koch die gesamte Besatzung. Der letztere reicht die Eßback in das Loch hinunter, bleibt aber vorsichtig an Deck und nimmt seine Mahlzeit im Küchenschilderhaus. In gerechter Selbsterkenntnis mutmaßt er, daß die klitschigen Klöße und die Rauchpflaumen Anlaß zu Anzüglichkeiten geben könnten, und dazu ist es unten zu eng.

Seine Besorgnis ist jedoch unnötig. Nachdem sich die Leute mit Aufwendung bedeutender turnerischer Geschicklichkeit zwischen die scharfkantigen Rippen der stählernen Bordwand und den Eßtisch eingeklemmt haben, machen sie sich mit gutem Willen über die Lieblingsspeise her, und die reichlich zugemessenen Rationen verschwinden in kurzer Zeit.

Sie sind bei guter Laune, denn zum Abend schwebt ihnen die Aussicht vor, beurlaubt zu werden und sich dort entweder mit Hilfe von Mutterns Spargroschen noch einmal bei lustigem Tanzvergnügen ein paar Gläser Bier oder Grog zu gönnen, oder auch von einer der geliebten Köchinnen einen guten Bissen zugesteckt zu erhalten, bevor auf unbestimmte Zeit allein die Seekost in ihr Recht tritt.

Als jener Russe einem Berliner gegenüber äußerte, in Rußland habe jede einigermaßen anständige Familie einen eigenen Koch, übertrumpfte ihn jener mit den Worten: »Ach, det is jar nischt, bei uns hat jeder Soldat seine eigene Köchin.«

Selbst darin hat aber der Matrose etwas vor dem Landsoldaten voraus; mit seinem großen Herzen thut er es selten unter zweien.

Man sieht, daß sich im Hafen das Leben auf den Blitzbooten ganz nett und gemütlich abspielt, aber die Sache hat zwei Seiten, und bei diesen Nußschalen kann einem höchst ungemütlich werden, wenn sie auf längere Zeit in See geschickt werden und zwar bei schlechter Jahreszeit.

Unsere Kriegsschiffe sind nicht nur Sommervögel, sie werden zum Teil auch während des Winters in Dienst gehalten, um jeden Augenblick schlagfertig zu sein. Man findet sie bei jeder Witterung mitten im Winter zum Manövrieren in See und das ist in unsern deutschen Meeren keine Kleinigkeit, wenn Offiziere und Mannschaften dabei auch voll darthun, daß Sturm, Wogen und Eis in keiner Weise ihre Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen vermögen, und daß sie mit dem erforderlichen Schneid unter allen Verhältnissen ihre Schiffe zu handhaben verstehen.

Aber ernst bleibt die Sache doch, namentlich für Torpedoboote, deren Deck kaum mehr als zwei Fuß über Wasser liegt, die nicht einmal Bordwände zu einigem Schutz gegen überbrechende Wellen haben, von diesen wie eine Feder hin- und hergeworfen werden, über deren Schildkrötenbug die See zischend fortspült, so daß es den Anschein hat, daß sie mehr unter als über Wasser sind, und deren Besatzung, wenn dem winzigen Fahrzeuge etwas passiert, nur auf die 14füßige »Gig« und die Schwimmgürtel angewiesen ist, die sie einige Stunden über Wasser halten können.

Und dieser Ernst spricht sich auch auf den Zügen des jungen Kommandeurs aus, als er nach einigen Stunden aus dem Kasino, wo er die Henkersmahlzeit und etwas wehmütig den Abschiedstrunk genommen, an Bord zurückgekehrt ist.

Er kommt nicht so siegesbewußt, wie er gegangen, und sein Stolz ist etwas gedämpft. Er glaubte, er solle nur zur weiteren Maschinenprobe eine kurze Spritzfahrt in See machen, aber der Oberwerftdirektor hat erklärt, eine solche sei nicht mehr nötig, und am Lande hat jener seine Segelordre empfangen. Sie lautet: »Von Wilhelmshafen nach Kiel«, und zwar soll S. Nr. 25 am andern Morgen in See gehen.

Es ist Mitte Dezember, am Nachmittage hat sich ein scharfer Nordwind aufgemacht; er jagt Schneeböen vor sich her, welche die Luft zeitweise ganz verdunkeln, und der Thermometer ist unter den Gefrierpunkt gesunken.

Das sind keine angenehmen Aussichten; aber was hilft es, dem Befehle muß gehorcht werden. Die schönen Tage im Hafen sind vorüber. Er fühlt sich nicht aufgelegt, auch noch den Abend in Gesellschaft der Kameraden im Kasino zuzubringen und zieht es vor, sich in seine Liliputkajüte zu begeben, in der er sich mit einiger Vorsicht gerade umdrehen kann, um dort die Seekarte und den Weg zu studieren, den er zu nehmen gedenkt.

Er soll zum ersten Mal ein Schiff über See führen unter schwierigen Verhältnissen, allein, ohne einen Berater, nur auf sich selbst angewiesen, denn sein Obertorpeder ist zwar ein tüchtiger praktischer Seemann noch aus der alten Schule, aber von Navigation versteht er nichts.

Auf seinen Schultern ruht eine große Verantwortung doch er scheut sich nicht, dieselbe zu übernehmen, und hegt genügendes Vertrauen zu seinem seemännischen Wissen und Können, um mit Gottes Hilfe die ihm gestellte Aufgabe zu lösen. Jetzt heißt es, der drohenden Gefahr kühn in das Auge sehen, sie überwinden und zeigen, daß man des geschenkten Vertrauens wert ist und trotz seiner Jugend sein Fach versteht.

Der Entschluß dazu ist gefaßt, aber trotzdem ist er nicht frei von innerer Aufregung. Lange liegt er wach in seiner Koje, und als endlich der Schlaf sich auf seine müden Lider gelegt, da wälzt er sich unruhig umher und schreckt auf, um dem Pfeifen des Windes im Schornstein und Signalmast zu lauschen, bis ihn der gleichmäßige und auf dem eisernen Deck hohltönende Schritt des Wachtpostens wieder einschläfert; aber schon lange vor Tagesanbruch leidet es ihn nicht mehr unten.

Zu 7 Uhr morgens hat er »Dampf auf!« beordert und diesen Befehl seiner Kommandantenschaft schriftlich im Nacht-Ordre-Buch eigenhändig verzeichnet. Zeitig haben die Heizer Feuer unter die Kessel gemacht; eine dichte schwarze Rauchwolke quillt aus dem Schornstein, und eine Viertelstunde vor der bestimmten Zeit spielt Dampf über dem Dampfrohr, ein Zeichen, daß die Maschine fertig zum Angehen ist.

Auf dem Flaggschiff schlägt es sechs Glas (7 Uhr) und auf allen Fahrzeugen im Hafen, die sich nach jenem richten, pflanzen sich die Glockenschläge fort.

»Alle Mann, Anker lichten!« befiehlt der junge Kommandant.

O, er weiß die erhaltenen Befehle pünktlich auszuführen, und der brave Obertorpeder ist ihm darin entgegengekommen. »Alle Mann« – es sind ihrer einschließlich des Kochs acht Mann, da das Maschinenpersonal unten in seinem Verließ bleiben muß – sind bereits vorher von ihm an die Ankertalje gespannt, und die Kette ist so weit eingehievt, daß der Anker auf- und niedersteht.

Die Pfeife schrillt, mit einem gewaltigen Ruck am Flaschenzuge wird der Anker aus dem Grunde gerissen und vor die Klüse geholt, die Schraube schlägt ein, und bevor noch die Glasen des letzten Schiffes im Hafen verklungen, ist S. Nr. 25 unterwegs.

Die Sirene heult, um die großartige Thatsache am Lande zu verkünden; die Flagge wird zum Abschiede dreimal auf- und niedergeholt, und die übrigen Schiffe würden den Gruß erwidern, wenn sie ihn bei der noch herrschenden Dunkelheit hätten sehen können.

»Brav gemacht, Lieutenant R., so liebe ich es!« würde der Stationschef gesagt haben. Er hat es zwar nicht gesagt, denn er ruht noch in süßem Schlummer, aber der Kommandant von S. Nr. 25 nimmt das Lob als genossen an und fühlt sich dadurch natürlich sehr gehoben.

Die Schraube rasselt, das Boot dreht mit dem Kopfe gegen die Strommündung, um mit der helfenden Ebbe wie ein Pfeil durch das Wasser zu sausen und einen langen weißschäumenden Streifen als Kielwasser in den graugelben Fluten der Jade zurückzulassen.

Der Wind hat sich während der Nacht gemäßigt, nur eine frische Brise weht noch, aber der Himmel ist mit grauem Gewölk bezogen, das kein Sonnenstrahl zu durchdringen vermag, und bei der schnellen Fahrt schneidet die Luft eisig in das Gesicht – »mit stumpfe Rasiermessers«, wie die Matrosen dies Gefühl auszudrücken pflegen.

Die Ufer treten allmählich zurück, um schließlich ganz mit dem Wasserhorizont zu verschmelzen. Hier ragt noch eine Windmühle auf einem Hügel, dort die Spitze eines Kirchturms hervor, dann verschwinden auch sie. Das Boot fliegt an der Adlertonne, der äußersten Fahrwassermarke der Jademündung und am letzten Feuerschiffe vorbei, auch die Leuchttürme von Wangerooge, Roter Sand und Helgoland tauchen tiefer, und bald umfängt nur noch die weite dunkelgrüne Fläche der Nordsee das kleine Fahrzeug.

Wie ein Strahl schießt es durch die Fluten, sein scharfer Bug teilt messergleich die Wellen und schleudert ihren blendendweißen Gischt in weitem Bogen nach beiden Seiten, während es wie ein Federball auf ihnen tanzt, bald hoch auf ihren Spitzen schwebend, bald tief in das Wellenthal hinabsinkend, aber außer einigen kleinen Spritzern nimmt es trotz seiner glühenden Fahrt kein Wasser über.

Der junge Kommandant steht auf dem Hinterdeck und schaut mit stiller Befriedigung dem Spiel der Wogen und dem anständigen Betragen von S. Nr. 25 zu.

»Was für ein kleines schneidiges Ding« denkt er, »ein Seeboot, wie man es sich nur irgend wünschen kann.«

Er hat recht, was man bis zu einer gewissen Grenze verlangen kann, das erfüllt es; dafür sind die von Schichau gebauten Boote, welche außer ihrer Nummer den Buchstaben S tragen, allgemein bekannt.

Er hat in betreff der Seetüchtigkeit alle andern Nationen geschlagen und Dutzende seiner Torpedoboote haben ihren Weg über den Ocean bis China und Japan ungefährdet zurückgelegt.

Lieutenant R. geht beruhigt in seine Kajüte hinunter, um das Versäumte der letzten unruhigen Nacht einzubringen und noch ein paar Stündchen zu schlummern, denn in der nächsten Nacht wird wenig an Schlaf zu denken sein. Dann geht es um Skagen und durch das gefürchtete Kattegat, und er kann das Deck nicht verlassen, während er es bei Tage seinem bewährten Obertorpeder wohl anvertrauen darf.

Bereits beginnen seine Gedanken zu verschwimmen und das rasselnde Geräusch der Schraube schläfert ihn ein, da schnellt er plötzlich von seinem Lager empor.

Ein Schrei hat ihn geweckt. Im selben Augenblicke stoppt auch die Maschine, und über seinem Kopfe hört er die Schritte von hin und her laufenden Menschen. Mein Gott, was kann da passiert sein? Es muß ein Unglück gegeben haben, und in der Verwirrung beginnt sein Herz stürmisch zu klopfen.

Er stürmt an Deck. »Was ist vorgefallen?« ruft er mit gepreßter Stimme, doch ein Blick schon giebt ihm Antwort aus die Frage.

»Mann über Bord!« lautet sie, jener schaurige Ruf an Bord, der alle Herzen erzittern läßt. Handelt es sich doch um Leben und Tod eines Kameraden, den man vor wenigen Augenblicken noch in der Blüte der Kraft und Gesundheit neben sich gesehen und der nun mit unbarmherzigen Wellen kämpft, die ihn in die Tiefe hinabzuziehen streben.

Der Kommandant braucht keine weiteren Befehle zu erteilen; der umsichtige Obertorpeder hat bereits die richtigen gegeben.

Im Augenblicke, wo der Mann auf dem schlüpfrigen, durch keine Verschanzung geschützten, sondern nur von einem Strecktau umzogenen Deck ausglitt und von dem überholenden Fahrzeuge über Bord geschleudert wurde, flog ihm auch schon die stets klar hängende Rettungsboje, ein breiter Korkring zu, der den Verunglückten bis zur Brust über Wasser hält.

Die Maschine wurde gestoppt, und ohne weiteren Befehl stürzte die Besatzung zu dem auf dem Oberdeck liegenden Boote, um es blitzschnell von seinen Befestigungen zu lösen und mit nervigem Arm über Bord zu schieben, während ein Unteroffizier und ein zweiter Mann auf den Kommando- und Steuerturm springen, um den über Bord Gefallenen mit den Augen zu verfolgen und dem nacheilenden Boote die Richtung anzugeben.

Es dauert kaum eine Minute, bis das letztere zu Wasser gebracht ist und abstößt, aber trotz des energischen Rückwärtsschlagens der Schraube ist das Torpedoboot bei seiner rasenden Fahrt noch Hunderte von Schritten vorausgeschossen, ehe es zum Stillstand gebracht werden kann.

Aller Augen spähen nach dem Mann; er ist verschwunden, und das Herz krampft sich zusammen.

»Ich sehe ihn, ich sehe ihn!« ruft freudig der Obertorpeder, dessen scharfes Auge ihn wieder entdeckt, als er auf dem Kamme einer Welle auftaucht, die ihn bis dahin den Blicken verborgen, und zeigt mit ausgestrecktem Arm, wohin die Leute im Boot zu rudern haben.

»Er hat die Boje!« ergänzt er seine Meldung, und Kommandant wie Mannschaft fällt ein Stein vom Herzen; sie atmen tief auf.

Gott sei Dank, diesmal ist das drohende Unheil noch glücklich abgewendet und ein lautes jubelndes Hurra begrüßt den Augenblick, in dem der Verlorengeglaubte vom Boote geborgen wird.

Das Torpedoboot dampft ihm entgegen, und bald befindet er sich an Bord, freilich fast erstarrt in dem eisigen Wasser, aber ein Glas heißer Grog, nicht zu stark von Wasser und steif wie eine doppelt gereffte Marssegelkuhlte, setzt sein Blut in die nötige Wallung und bringt ihn schnell wieder auf die Beine. Ein halbstündiger Aufenthalt in der Maschine trocknet ihn bis auf die Knochen, und das unfreiwillige Bad bei 2 Grad minus bringt einer derben Seemannsnatur weiter keinen Schaden.

Das Torpedoboot nimmt seinen alten Kurs wieder auf und peitscht mit 20 Knoten Fahrt abermals durch die zischenden Fluten.

Das Wetter scheint noch gut zu bleiben, aber mit dem erhofften Schlummer des Kommandanten ist es vorbei. Die Aufregung hat ihn vertrieben; die Reise hat nicht gut begonnen, und eine unbestimmte Ahnung sagt dem Offizier, daß noch Schlimmeres folgen könne.

Der Himmel bleibt dicht bedeckt, die Luft bitterkalt, dann und wann verdunkeln Schneeböen den Horizont noch mehr und engen ihn ein. In kurzen Zwischenräumen schaut der Offizier auf den Stand des Barometers, des treuen Beraters der Seeleute. Noch hält er sich auf derselben Höhe, aber die Brise wird etwas strammer, die See wächst, und der bis dahin seitwärts geschleuderte Gischt beginnt dampfend über den Bug zu sprühen.

Doch das darf den Dienst nicht hindern. In der Schiffsroutine steht schwarz auf weiß: »Von 2-3 Uhr Instruktion« und infolgedessen wird instruiert.

Der brave Obertorpeder weiht seine anderthalb Mann in die Geheimnisse der Torpedokanone ein, die er ihnen am Lande zum hundertsten Male anvertraut hat, und giebt sich der stillen Hoffnung hin, daß sein eindringlicher Vortrag doch endlich in den etwas schwerfälligen Gemütern seiner Untergebenen haften bleibe, wenngleich er bei den gewaltsamen und unberechenbaren Sprüngen von S. Nr. 25 sich selbst an die Kanone und die Matrosen sich an das Strecktau klammern müssen, um nicht umzufallen.

Der Dienst muß stramm aufrecht erhalten werden, und der hinten auf dem Deck stehende und die Instruktion überwachende Kommandant freut sich über den Eifer seiner Leute, obwohl ihnen der Wasserdampf über die Köpfe sprüht und ihnen eisig in den Nacken läuft.

Da kommt auf einmal eine stärkere See angerollt, ein »Rasmus«, wie die Seeleute jene personificieren, und sie beschließt, sich der Geplagten anzunehmen. Anstatt tote bisher unter dem Fahrzeuge fortzurollen, bricht sie diesmal ganz unerwartet über die Breitseite desselben.

Pflichttreu beugen die Matrosen den Nacken, in den sich jetzt das Wasser hinuntergießt, wenn sie dabei auch noch verzwicktere Gesichter schneiden als bisher. Pflichttreu spuckt der Obertorpeder das salzige Element aus, das ihm den zur Belehrung gerade geöffneten Mund gefüllt, wenn dabei auch leider der Wachetrost, das Tabakspriemchen, den Weg über Bord nimmt, obwohl es vorsichtig hinter dem letzten Backenzahn am Steuerbord verstaut war, und macht sich bereit, den so jäh unterbrochenen Vortrag wieder aufzunehmen, da erschallt vom Hinterdeck das unerwartete Kommando »Ausscheiden mit Instruktion, die Leute sich umziehen!« und diese verschwinden eiligst in der Zwischendeckluke.

Die gutmütige See hat völlig ihren Zweck erreicht, da sie nicht nur die Matrosen gehörig abgespült, sondern mit ihrem letzten Zipfel auch das Hinterdeck bestrichen und dabei den Herrn Kommandanten so gründlich eingeweicht hat, daß er von oben bis unten trieft und keinen trockenen Faden am ganzen Körper behält.

Im Vertrauen auf sein schneidiges Seeboot hat er es verschmäht, den Südwester aufzusetzen, den wasserdichten Ölrock und die Seestiefel anzuziehen, und wird nun dafür gründlich hineingelegt, so daß ihm plötzlich das alte Sprichwort ins Ohr klingt: »Was du nicht willst, daß dir geschieht, das thu auch keinem Andern nicht.« Sein übergroßer Diensteifer ist etwas stark abgekühlt, und das kommt seinen Leuten zu gute.

Aber ärgerlich ist es doch. Wie schade! Er war so stolz auf sein Boot, wollte den Kameraden in Kiel triumphierend verkünden: »S. Nr. 25 nimmt keinen Tropfen Wasser über«, und jetzt diese bittere und sehr nasse Enttäuschung!

Schleunigst verschwindet auch er in der Kajüte, um sich umzuziehen und wasserfest zu machen. Bei Rückkehr auf das Deck wirft er im Vorbeigehen einen Blick auf das Barometer. Ha! was ist das? Einen ganzen Millimeter in der letzten halben Stunde gefallen! Das ist sehr bedenklich.

Er eilt schleunigst nach oben. In der kurzen Zeit, welche er zum Umziehen gebrauchte, ist die Brise schon bedeutend steifer geworden; eine zweite große See dampft über das ganze Verdeck und dort kommt eine dunkle Schneeböe herangerückt.

Hu, das wird eine schöne Nacht werden!

Und sie ward es. Ein regelrechter Nordweststurm macht sich auf; die See wird immer gröber, bald muß die Maschine langsamer gehen, weil das winzige Fahrzeug die Nase untersteckt, als wollte es direkt auf den Grund gehen.

Schließlich bleibt nichts übrig, als die Schraube nur so viel Umdrehungen machen zu lassen, daß der Kopf des Torpedobootes auf der Richtung der See gehalten wird – und dabei in Lee die Jammerbucht an der dänischen Westküste, in der schon so viele Hunderte und Tausende von Schiffen rettungslos verloren gegangen sind.

Das ist eine schwere Prüfung für den jungen Kommandanten, die auch wohl einen älteren und erfahreneren mit banger Sorge erfüllen könnte.

Die See bricht jetzt beständig über Deck, wie über eine Klippe. Die Leute sind unter Deck geschickt, um sie nicht über Bord spülen zu lassen. Thun können sie doch nichts, nur der Mann am Ruder muß da sein, er aber steht im Steuerturm und ist dort wenigstens vor Überflutung geschützt.

Der Lieutenant selbst kennt jedoch seine Pflicht und bleibt auf seinem Posten. Er könnte im Kommandoturm Schutz suchen, aber dort fehlt ihm die freie Umschau, und diese hat er allein auf dem Deck.

Mit der einen Hand am Strecktau, mit der anderen am Maschinentelegraphen steht er wie eine Bildsäule am Steuerturm, um dem Manne am Ruder erforderliche Befehle erteilen zu können, unbekümmert, ob Schnee und Gischt ihm ins Gesicht peitschen, ob die Finger erstarren oder die See ihm die Füße unter dem Leibe wegzuschlagen droht.

Stunde um Stunde verrinnt, ringsum schwarze Nacht, nur die überbrechenden Kämme der empörten Wogen schäumen unheimlich in grünlichen Phosphorlichte; Sturm und See brausen um die Wette und treiben das Boot näher der Jammerbucht.

Wenn eine schwere See angerollt kommt, der Bug des Fahrzeuges steil in die Höhe steigt, um nach wenigen Augenblicken ebenso steil in das Wellenthal nieder zu stoßen, und wenn dann die freigewordene Schraube plötzlich wie rasend in der Luft herum wirbelt, dann durchzittert ein banges Gefühl die Brust des jungen Offiziers. Wird das schwache Boot es aushalten, die Maschine nicht zusammenbrechen?

Mitternacht ist nahe; wie so oft, erschöpft sich auch heute die Wut des Sturmes um diese Zeit. Noch kommen einzelne Schneeböen, und in ihnen pfeift und heult es gar schaurig um Schornstein und Signalmast, aber allmählich werden die Pausen länger, die See beginnt langsam zu fallen und hier und dort lugt freundlich und verheißend ein Stern durch das zerreißende Gewölk.

Die harte Prüfung ist überstanden. S. Nr. 25 hat sich glänzend bewährt, der Kommandant aber auch, wenn er auch in der durchlebten Stunde um Jahre älter und reifer geworden ist.

Der junge Tag bringt gutes Wetter und ruhiges Wasser, doch auch grimmige Kälte. Wieder fliegt das Fahrzeug mit 20 Knoten Fahrt durch das Wasser, an Skagen vorbei und durch den Belt. Der feine Gischt saust darüber hin, um sich sofort in Eis zu verwandeln. Er überzieht das Deck, die Türme, Mast und Wanten mit einem glasigen Mantel, dessen Stärke beständig wächst, bis das Boot einem schwimmenden Eisberge gleicht und der Wimpel am Topp nicht mehr flattert, sondern wie eine grade Stange erscheint.

Was schadet es? Am Maschinenfeuer tauen die erstarrten Glieder wieder auf. Die Insel Langeland ist vorübergeglitten, und bald winkt am fernen Horizont der Feuerturm von Bülk. In einer Stunde, mit dem scheidenden Tageslicht, ist das Ziel erreicht und die grausige Nacht vergessen.

Der Anker fällt im sichern Hafen von Kiel, der Kommandant meldet sich beim Stationschef, der ihn freundlich beglückwünscht, dann aber eilt er schleunigst an Bord zurück, um nach den schweren körperlichen und geistigen Anstrengungen die nötige Ruhe zu suchen.

Wie mollig liegt es sich jetzt in der stillen Koje ohne das Rasseln der Maschine, ohne das Heulen des Sturmes und Brausen der See; wie bald schließen sich die müden Augen, um das Versäumte nachzuholen!

Doch wiederum stören den jungen Kommandanten unruhige Träume, aber in ihnen spiegelt sich nicht der durchlebte Kampf mit Wind und Woge, sondern ein noch grausigerer, eines David gegen einen Goliath, seines winzigen Bootes gegen einen Panzerriesen.

Donnernd brüllen dessen schwere Geschütze, Hunderte von Geschossen aus Schnellfeuer- und Revolverkanonen umsausen wie eiserner Hagel den kühnen Angreifer, aber er scheint gefeit. Der Torpedo wird abgelassen und nimmt seinen unheilvollen Weg. Ein dumpfes Krachen, eine gewaltige sich hoch in die Lüfte erhebende Wassersäule, untermischt mit Splittern und Eisenplatten – dann sinkt der Koloß mit seiner gesamten Besatzung in die Tiefe.

»Sieg, Sieg!« jubelt der Schläfer und fährt unbewußt mit dem Kopfe in die Höhe, sinkt aber mit brennendem Schmerze in die Koje zurück. Im Kampfeseifer ist er mit dem Schädel gegen das eiserne Deck gestoßen.

Wie schade, daß alles nur ein Traum war! Nun, vielleicht verwirklicht sich dereinst sein Traum, und der Kommandant von S. Nr. 25 erringt sich dann nicht nur den Orden pour le mérite, sondern auch die 50 000 Mark, welche als Prämie für die Zerstörung eines feindlichen Panzerschiffes ausgesetzt sind.

Wünschen wir es ihm von Herzen. Der Dienst auf unseren Torpedobooten ist die Schule, aus der kühne und schneidige Seeoffiziere hervorgehen und welche die Nerven stählt, die in künftigen Seekriegen den Ausschlag geben werden.

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