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Anhang: Skepsis gegen das Werkzeug des Denkens.

Fragment eines Vortrags, gehalten vor der Oxforder Philosophischen Gesellschaft am 8. November 1903, abgedruckt mit einigen Verbesserungen nach der Fassung im Mind 13. Bd. ( N S.), Nr. 51 (Vgl. auch 1. Kap. 6 1, und 10. Kap. 2 2, 1 und 2.)

 

Ich glaube, es könnte mir heute abend am besten dadurch gelingen, Ihr Interesse zu fesseln, daß ich Ihnen das besondere metaphysische und philosophische System kurz darstelle, innerhalb dessen sich mein Denken vollzieht, und daß ich Ihnen ganz besonders den einen oder andern Punkt zur Erwägung vorlege, in dem ich mich am weitesten von der geläufigen, überlieferten Philosophie zu entfernen glaube.

Sie müssen sich auf Dinge gefaßt machen, die Ihnen roh erscheinen werden, auf eine gewisse Abweichung in Ton und Redensart, die Ihnen vielleicht nicht gefällt, ferner darauf, daß Ihnen unwissentlich Dinge als neu und in unbeholfener Darstellung gegeben werden, die schon herrlich durchdacht und ausgesprochen worden sind. Aber zum Schluß mögen Sie vielleicht geneigt sein, mir manche der anfänglichen Verstöße nachzusehen ... Es läßt sich nicht vermeiden, daß ich bei der Feststellung meiner intellektuellen Fundamente einen Augenblick in die Autobiographie verfalle.

Ein Zusammentreffen äußerer Umstände führte dazu, daß ich eine ausgedehnte Kenntnis konkreter Dinge erwarb, ehe ich überhaupt zu philosophischer Prüfung gelangte. Ich habe einmal sagen hören, der Wilde oder das Tier seien geistig rein objektive Wesen, und in dieser Beziehung konnte ich bis weit über mein zwanzigstes Jahr hinaus einem Wilden oder einem Tiere gleichen. Ich war mir des subjektiven oder nach innen gewandten Elementes meines Wesens durchaus nicht bewußt. Ich war Positivist, ohne es zu wissen. Meine erste Ausbildung war gering gewesen: meine eigene Beobachtung, mein Suchen und Experimentieren hatte eine weit größere Rolle gespielt als irgendwelcher Unterricht, oder vielmehr, was ich durch den erhaltenen Unterricht lernte, war noch weniger, als was ich für mich selber lernte, zudem hörte er mit dem dreizehnten Jahre auf. Ich war mit den härteren Wirklichkeiten des Lebens, mit dem Hunger in mancherlei Form und vielen niedrigen und unangenehmen Nöten in ziemlich nahe Berührung gekommen, ehe ich noch fünfzehn Jahre alt war. Um jene Zeit begann ich, dem Wink einer gewissen theologischen und spekulativen Neugier folgend, einiges von dem zu erfahren, was ich überlegter- und gerechterweise Elementare Naturwissenschaft nennen will – Dinge, die ich Cassells »Volkserzieher« und billigen Leitfäden entnahm – und dann kam ich durch Zufälle und ehrgeizige Bestrebungen, die uns hier nicht interessieren können, zu drei Jahren aufklärender und gut wissenschaftlicher Arbeit. Im Mittelpunkt dieser drei Jahre stand Huxleys Kursus über vergleichende Anatomie in der Schule der Exhibition Road. Um diesen Kern ordnete ich eine umfangreiche Verdauung von Tatsachen an. Am Schluß dieser Zeit hatte ich eine Kenntnis des äußeren, realen Weltalls erlangt, die ich noch heute für ziemlich klar, vollständig und geordnet halte. Lassen Sie mich versuchen, Ihnen die Hauptsache von dem, was ich erwarb, vorzutragen. Der Mensch war für mich ein für allemal in das große Schema von Raum und Zeit hineingestellt. Ich kannte ihn unwiderruflich als das, was er war, als endlich und nicht endgültig, als ein Wesen der Kompromisse und Anpassungen. Ich hatte zum Beispiel seine Lungen von der Schwimmblase an durch ein Dutzend oder noch mehr Typen mit dem Seziermesser und der Sonde verfolgt; ich hatte gesehen, wie das urweltliche Caecum zusammenschrumpfte zu jenem Krankheitsnest, dem heutigen Blinddarm; ich hatte beobachtet, wie sich der Kiemenspalt langsam für die Zwecke des Ohres zurecht teilte, und wie die Verbindung der Kiefer der Reptilien benutzt wurde, um den Bedürfnissen eines Sinnesorgans abzuhelfen, das seinem heimischen und natürlichen Element, dem Wasser, entzogen war. Ich hatte der Entwicklung jener außerordentlich unbefriedigenden und unzuverlässigen Instrumente, der Zähne des Menschen, nachgespürt von den Hautschuppen des Hais bis zu ihrer gegenwärtigen Funktion, der einer Basis für Goldfüllungen, und hatte die langsame Entfaltung des verwickelten und schmerzhaften Prozesses der Schwangerschaft verfolgt, durch den der Mensch zur Welt kommt. All diese und viele verwandte Dinge hatte ich durch Sektion und Embryologie verfolgt – ich hatte die ganze Entwicklungstheorie in einem Jahreskurs über Paläontologie nachgeprüft und den Umfang des ganzen Prozesses in einem Kursus astronomischer Physik an der Skala der Gestirne gemessen. Und diese ganze Summe objektiver Aufklärung kam, ehe ich auch nur den Anfang irgend einer philosophischen und metaphysischen Fragestellung gefunden hatte, der Frage, weshalb ich glaubte, wie ich glaubte, was ich glaubte, oder was die Dinge im Grunde eigentlich seien.

Diesem Zwischenspiel mit der Wissenschaft folgte unmittelbar eine Zeit, in der ich mich dem Unterricht widmen mußte. Es erwies sich als ratsam, eines jener Lehrdiplome zu erwerben, die so allgemein und so törichterweise verachtet werden. Die Vorbereitung auf dieses Examen verhalf mir zu einem oberflächlichen, aber anregenden Studium der Pädagogik und Didaktik, der Logik, der Psychologie und schließlich, als die kleine Diplomangelegenheit erledigt war, zur Philosophie. Wenn man aber von der vergleichenden Anatomie wie von einem kräftigenden Hochland zur Logik herabsteigt, so kommt man zu ihr mit einem Geiste, dem eine Menge sehr natürlicher Vorurteile einfach weggeblasen sind. Es ist ein Flankenangriff auf die Logik. Wenn einem bis ins Mark hinein klar ist, daß der ganze körperliche Bau des Menschen und alle Organe desselben das, was sie sind, nur sind infolge einer Reihe von Anpassungen und Annäherungen, und daß sie nur durch die Ausschaltung des Todes auf ihrer Höhe praktischer Leistungsfähigkeit erhalten werden, daß dasselbe auch von seinem Gehirn, seinen Instinkten und vielen seiner geistigen Anlagen gilt, so wird man seinen Denkapparat nicht ohne weiteres als auf eine irgendwie geheimnisvolle Weise verschieden und besser ansehen. Ich hatte auch noch nicht viel Logik gelesen, als ich schon Voraussetzungen bemerkte, denen ich nicht beistimmen konnte und Annahmen, die mir in vollkommenem Widerspruch zu stehen schienen mit dem Schema objektiver Tatsachen, das in meinem Geiste feststand.

Ich trat an die Prüfung der logischen Prozesse und der Sprache mit der Erwartung heran, sie würden den im Grunde provisorischen Charakter, den Charakter unregelmäßiger Begrenzung und Anpassung, teilen, der das ganze physische und tierische Sein des Menschen durchsetzt. Und ich fand, was ich erwartet hatte. Infolgedessen sah ich in den Voraussetzungen der Logik eine Art intellektueller Verwegenheit, die mich zuerst verwirrte, dann aber die ganze verborgene Skepsis in meinem Geiste weckte.

Meinen ersten Zank mit der überlieferten Logik entwickelte ich vor langer Zeit in einem kleinen Aufsatz, der im Juli 1891 in der »Fortnightly Review« gedruckt wurde. Er führte den Titel: »Die Wiederentdeckung des Einzigartigen«, und wenn ich ihn jetzt wieder durchlese, so sehe ich nicht nur, wie schlecht er war und selbst ärgerlich in seiner Manier – das habe ich längst gewußt –, sondern auch, wie auffallend schlecht er im Ausdruck war. Ich muß mit guten Gründen bezweifeln, ob die Kraft meines Ausdrucks sich in diesen Dingen sehr merklich gebessert hat, aber auf jeden Fall tue ich heute, wo jener erste Mißerfolg mir vor Augen steht, mein bestes.

Jener unglückliche Aufsatz übersah neben anderen Dingen, die ich nicht mehr als trivial ansehen kann, vollständig die eine Tatsache, daß bereits eine ganze Literatur da war über den Gegensatz des Einzigen und der Vielheit, des Gattungsideals und der individuellen Realität. Er legte keine Beziehungen fest zu andern Gedanken oder Denkern. Heute verstehe ich, was ich damals nicht verstand: weshalb er ganz unbeachtet blieb. Aber zu dem Gedanken, der jenem Aufsatz zugrunde lag, bekenne ich mich auch heute noch. Ich halte ihn für einen Gedanken, den man noch in seiner grundlegenden Bedeutung für das menschliche Denken anerkennen wird, und will versuchen, den Inhalt jenes frühen Aufsatzes noch einmal kurz darzulegen, als die beste Einleitung meiner Sache im allgemeinen. Der Anfang meines ganzen Skeptizismus ist wesentlich ein Zweifel an der objektiven Realität der Klassifizierung. Ich trage kein Bedenken, auszusprechen, daß darin der erste Grundsatz meiner Philosophie liegt.

Ich weiß wohl, daß die Klassifizierung eine notwendige Vorbedingung für die Tätigkeit des geistigen Apparates bildet, daß sie aber auch ein Abweichen von der objektiven Wahrheit der Dinge bedeutet. Die Klassifizierung ist sehr nützlich für die praktischen Zwecke des Lebens, aber sie ist eine sehr zweifelhafte Einleitung zu jener feinen Durchdringung, welche die Philosophie in ihren kühneren Augenblicken für ihre Zwecke fordert. Hier entspringen alle Besonderheiten meiner Art des Denkens.

Ein mit anatomischen Studien genährter Geist ist natürlich durchdrungen von der Einsicht in die Unbestimmtheit und Unstetigkeit biologischer Gattungen. Eine biologische Gattung ist ganz klärlich eine große Zahl einzigartiger Individuen und von anderen biologischen Gattungen nur durch die Tatsache zu trennen, daß eine ungeheure Anzahl anderer, verbindender Individuen zurzeit unzugänglich – mit andern Worten tot und verschwunden – ist. Jedes neue Individuum dieser Gattung weicht in der Ausbildung seiner eigenen Individualität in wenn auch noch so winzigem Grade von den früheren Durchschnittseigenschaften der Gattung ab. Es gibt keine Eigenschaft einer Gattung – die Eigenschaften, die ihre Definition bilden, nicht ausgeschlossen –, bei der es sich nicht um ein Mehr oder Weniger handelte. Wenn sich zum Beispiel eine Gattung durch einen einzigen, großen, roten Fleck auf dem Rücken auszeichnet, so wird man bei der Durchsicht einer großen Anzahl von Beispielen finden, daß dieser rote Fleck hier zu einem Nichts zusammenschmilzt, dort sich zu einer allgemeinen Röte erweitert, hier zu Rosa erblaßt, dort zu Rotbraun und Braun wird oder sich purpurn schattiert usw., usw. Und dies gilt nicht nur von biologischen Gattungen. Es gilt auch von den Mineralien, die eine Mineraliengattung bilden, und ich entsinne mich, daß in den Vorlesungen des Prof. Judd über Felsklassifizierung die Worte: »sie gehen in unmerklichen Abstufungen ineinander über«, einen beständigen Refrain bildeten.

Sie werden vielleicht an die Atome der Elemente als Beispiele identisch gleicher Dinge denken, aber sie gehören nicht der Erfahrung, sondern der Theorie an, und es gibt kein chemisches Phänomen, das sich nicht ebensogut mit der Annahme erklären ließe, daß nur die ungeheuren Atommengen, die man notwendig bei jedem Versuch anwenden muß, vermöge des Durchschnittsgesetzes die Tatsache verhüllen, daß jedes Atom auch seine einzigartige Eigenschaft, seine besondere individuelle Verschiedenheit hat. Diese Idee von der Einzigartigkeit aller Individuen gilt nicht nur von den Klassifikationen der materiellen Wissenschaft, sie gilt, und zwar noch offenkundiger, auch von den Gattungen des gewöhnlichen Denkens und von den gewöhnlichen Bezeichnungen. Nehmen wir z. B. das Wort Stuhl. Wenn man »Stuhl« sagt, so denkt man allgemein an einen Durchschnittsstuhl. Aber sammeln Sie individuelle Beispiele, denken Sie an Lehnstühle und Schreibstühle, an Stühle im Speisezimmer und in der Küche, an Stühle, die in Bänke übergehen, Stühle, die die Grenzen des Begriffs überschreiten und zu Diwans werden, an die Stühle der Zahnärzte, die Throne, Opernsessel, Sitze aller Art, an jene wunderbaren Pilzgewächse, die den Boden der Kunst- und Gewerbeausstellungen versperren, und Sie werden sehen, was für ein lockeres Bündel diese einfache, feste Bezeichnung in Wirklichkeit ist. Im Bunde mit einem intelligenten Tischler würde ich es unternehmen, jede Definition des Stuhles oder des Stuhlartigen, die Sie mir gäben, zuschanden zu machen. Stühle sind genau so gut wie individuelle Organismen, wie Fels- oder Mineralproben, einzigartige Dinge – wer sie genau genug kennt, wird selbst in einer Garnitur mit der Maschine gemachter Stühle individuelle Unterschiede finden – und einzig deshalb, weil unser Gehirn nur eine begrenzte Anzahl von Schubfächern für unsern Verkehr mit einem unbegrenzten All objektiver Einzigartigkeiten hat, müssen wir uns in den Glauben hineintäuschen, daß etwas Stuhlartiges an der Gattung und allen Stühlen als Kennzeichen gemeinsam sei.

Lassen Sie es mich wiederholen: Dies ist in allen praktischen Dingen des Lebens, ja in Bezug auf alles, ausgenommen auf die Philosophie und umfassende Verallgemeinerungen von der geringsten Bedeutung. Aber in der Philosophie macht es sehr viel aus. Wenn ich mir zwei frische Eier zum Frühstück bestelle, so bringt man mir zwei nicht ausgebrütete, aber doch einzigartige Vogelindividuen, und die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß sie meinen Zwecken dienen. Ich kann die Hühnereier der Vergangenheit, die nicht ganz so waren wie diese, ruhig übersehen, und ebenso die der Zukunft, die von Generation zu Generation Abweichungen anhäufen werden. Ich kann es wagen, die seltene Möglichkeit einer Anormalität in der chemischen Zusammensetzung und einer störenden Abweichung in meiner physiologischen Reaktion zu übersehen; ich kann mit praktisch vollkommener Zuversicht und uneingeschränkter Einfachheit sagen: »zwei Eier«, nicht aber dann, wenn es sich nicht um mein Frühstück handelt, sondern um die äußerste erreichbare Wahrheit.

Nun lassen Sie mich fortfahren und andeuten, wohin dieser Gedanke der Einzigartigkeit führt. Ich erinnere daran, daß sich der Vernunftschluß auf die Klassifizierung gründet, daß alles scharf logische Denken dazu neigt, der objektiven Realität der Klassifikation Glauben beizumessen. Wenn ich daher diese leugne, so leugne ich die absolute Gültigkeit der Logik. Die Klassifizierung und die Zählung, die beide die feinen Unterschiede objektiver Realitäten übersehen, sind den Dingen in früheren Zeiten des menschlichen Denkens auferlegt worden. Gestatten Sie, daß ich mir um der Klarheit willen hier eine Freiheit herausnehme – und, wie Sie vielleicht denken, eine unverzeihliche Unverschämtheit begehe. Das indische Denken und ebenso das griechische scheinen mir allzusehr eingenommen zu sein von der objektiven Behandlung gewisser notwendigen Vorbedingungen des menschlichen Denkens – der Zahl, der Definition, der Klasse und der abstrakten Form. Aber all das: Zahl, Definition, Klasse und abstrakte Form sind, meine ich, nur unvermeidliche Vorbedingungen geistiger Tätigkeit – sind eher bedauernswerte Vorbedingungen als wesentliche Tatsachen. Die Zangen unseres Geistes sind plumpe Zungen, und sie zerdrücken die Wahrheit ein wenig, wenn sie dieselbe anfassen.

Um diese Schwierigkeit versuchte sich Platos Geist sein Leben lang ein wenig ziellos herum. Meist neigte er dazu, die Idee als das Etwas hinter der Realität anzusehen, während mir scheint, die Idee sei das nur Annähernde und weniger Vollkommene, das, womit der Geist, individuelle Unterschiede übersehend, eine sonst unbezwingliche Zahl einzigartiger Realitäten zu umfassen sucht.

Erlauben Sie mir, Ihnen ein ungefähres Bild dessen zu geben, was ich bei diesem ersten Angriff auf die philosophische Gültigkeit allgemeiner Bezeichnungen klarzumachen versuche. Sie haben gewiß schon die Ergebnisse jener verschiedenen Methoden der Schwarz-Weiß-Reproduktion gesehen, welche die Anwendung eines Netzes von Rechtecken erfordern. Sie kennen das Verfahren (Autotypie), das ich meine – man verwendet es vielfach bei der Wiedergabe von Photographien. Bei einigem Abstand meint man wirklich, eine getreue Nachahmung des Urbildes zu haben; aber wenn man genauer hinsieht, findet man nicht mehr die einzigartige Form und die Massen des Originals, sondern eine Fülle von an Größe gleichen Rechtecken. Je ernsthafter man es untersucht, je genauer man hinsieht, um so mehr verliert sich das Bild im Netzwerk. Ich meine, die Welt der vernunftgemäßen Forschung steht zu der Welt, die ich objektiv real nenne, in sehr ähnlichem Verhältnis. Für die groben Zwecke des Alltags genügt das Netzbild; aber je feiner der Zweck wird, um so weniger taugt es, für einen ideal feinen Zweck, für die absolute und allgemeine Erkenntnis wird es – dies gilt für einen Menschen, der mit einem Teleskop in der Ferne steht, genau so wie für einen Menschen mit einem Mikroskop – überhaupt nicht taugen.

Freilich können Sie Ihr Netz der logischen Interpretation immer feiner, Ihre Klassifizierung immer enger machen – bis zu einer bestimmten Grenze hin. Aber Sie arbeiten wesentlich in Grenzen, und je näher Sie kommen, auf je feinere und dünnere Dinge Sie blicken, je mehr Sie sich entfernen von den praktischen Zwecken, für welche die Methode da ist, um so mehr wächst das Element des Irrtums. Jede Gattung ist unbestimmt, jede Bezeichnung wird an den Kanten verschwommen, und so ist starre Logik für meine Art des Denkens nur eine andere Redensart für Beschränktheit – für eine Art intellektueller Dickköpfigkeit. Wenn Sie eine philosophische oder metaphysische Untersuchung durch eine Reihe gültiger Vernunftschlüsse hindurchführen – ohne jemals einen allgemein anerkannten Fehler zu begehen –, so ergibt sich immer noch eine gewisse Reibung und ein Verlust objektiver Wahrheit, und in jeder Phase des Prozesses haben Sie Ablenkungen, die schwer aufzuspüren sind. Jede Gattung wackelt in ihrer Definition hin und her, jedes Werkzeug sitzt etwas lose im Griff, jede Skala hat ihren individuellen Fehler. So lange Sie es zu praktischen Zwecken mit den endlichen Dingen der Erfahrung zu tun haben, können Sie Ihren Prozeß hin und wieder kontrollieren und Ihre Bestimmungen korrigieren. Aber dann nicht mehr, sobald Sie sogenannte philosophische und theologische Untersuchungen anstellen, wenn Sie Ihren Apparat auf die endgültige, absolute Wahrheit der Dinge richten. Wer das tut, schießt gleichsam mit einer fehlerhaften Flinte und veränderlichen Patronen nach einer unerreichbaren, unbemerkbaren und unzerstörbaren Scheibe. Selbst, wenn man zufällig trifft, kann man nicht erfahren, daß man getroffen hat, und es ist also vollständig bedeutungslos.

Diese Feststellung der notwendigen Unzuverlässigkeit aller Folgerungsprozesse, die aus der Täuschung aller Klassifikationen in einem ganz deutlich aus einzigartigen Wesen bestehenden Universum hervorgeht, bildet erst einen einleitenden Aspekt meiner allgemeinen Skepsis gegenüber dem Werkzeug des Denkens.

Ich muß Ihnen nun von einem andern Aspekt dieser Skepsis dem Werkzeug gegenüber sprechen; er betrifft negative Ausdrücke.

Nicht nur werden logische Klassen durch Kreise mit starrem, festem Umriß dargestellt, während sie keine so bestimmten Grenzen haben, sondern es besteht auch eine fortwährende Neigung, negative Bezeichnungen so aufzufassen, als stellten sie positive Klassen dar. Mit Beziehung auf die Worte gibt es, genau wie mit Beziehung auf die Zahlen und abstrakten Formen, bestimmte Phasen der menschlichen Entwicklung. Was die Zahlen betrifft, so gibt es, wie Sie wissen, eine Phase, wo der Mensch überhaupt kaum zählen kann oder nach bestem Wissen und Gewissen an den Fingern zählt. Dann kommt die Phase, wo er mit der Entwicklung der Zahl ringt, wo er sich über die Zahlen alle möglichen Gedanken macht, bis er schließlich einen verwickelten Aberglauben über vollkommene und unvollkommene Zahlen, über die Drei und die Sieben und dergleichen konstruiert. Ebenso geht es mit abstrakten Formen, und noch heute sind wir kaum erst mit dem Kopf über den ungeheuren verstiegenen Gedankenwirrwarr von Sphären, idealen Formen usw. hinaus, mit dem wir den kleinen, notwendigen Schritt zum klaren Denken bezahlten. Sie wissen besser als ich, eine wie große Rolle die numerische und geometrische Magie, die numerische und geometrische Philosophie in der Geschichte des Geistes gespielt hat. Der ganze Apparat der Sprache und des geistigen Verkehrs ist von gleichen Gefahren bedrängt. Die Sprache des Wilden ist vermutlich rein positiv: das Ding hat einen Namen, der Name hat sein Ding. Dies ist in der Tat die Tradition der Sprache, und noch heute sind wir, wenn wir einen Namen hören, geneigt – bisweilen ist es eine sehr gefährliche Neigung –, uns alsbald etwas vorzustellen, was dem Namen entspricht. Wir neigen vermöge eines unheilbaren geistigen Lasters dazu, in Bezeichnungen Inhalt zu stopfen. Wenn ich Wodget oder Crump zu Ihnen sage, so gehen Sie sofort über die Tatsache weg, daß das nichts ist, daß es sozusagen leere Wechselformulare sind, und Sie versuchen, sich vorzustellen, was wohl ein Wodget oder ein Crump sein mag. Und diese Neigung spielt im Fall negativer Ausdrücke ihre Rolle unter der verlockendsten Verkleidung. Selbst so offenkundig negative Bezeichnungen wie das Absolute, das Unendliche werden von dem Werkzeug der Erkenntnis hartnäckig behandelt, als wären es reale Existenzen, und sobald das negative Element nur ein wenig verhüllt ist, wie in dem Wort Allwissenheit, wird die Täuschung positiver Realität vollkommen.

Vergessen Sie, bitte, nicht, daß ich Ihnen von meiner Philosophie erzählen, nicht über die Ihrige streiten will. Lassen Sie mich nun versuchen und ausdrücken, wie sich diese Materie der negativen Ausdrücke in meinem Geist gestaltet hat. Ich denke an etwas, was ich vielleicht am besten als hinter der Szene oder außerhalb des Saales befindlich, oder als die Leere ohne Folgerungen, oder als das Nichts, oder das Äußere Dunkel bezeichne. Das ist eine Art von hypothetischem Jenseits der sichtbaren Welt des menschlichen Denkens, und dahin erstrecken sich nach meiner Ansicht schließlich alle negativen Begriffe, tauchen unter und werden zum Nichts. Welche positive Klasse man auch aufstellt, welche Grenze man zieht, gleich hinter dieser beginnt die entsprechende negative Klasse, und sie verläuft in den unbegrenzbaren Horizont des Nichts. Sie sprechen von rosa Gegenständen, Sie übersehen, wenn Sie geübte Logiker sind, die ausweichenden Schattierungen des Rosa und ziehen Ihre Linien. Jenseits liegt das Nicht-Rosa, bekannt und erkennbar, und doch gelangt man in der Region des Nicht-Rosa zum Äußeren Dunkel. Das Nicht-Blau, Nicht-Glücklich, Nicht-Eisen, alle Nicht-Klassen stoßen in jenem Äußeren Dunkel zusammen. Eben jenes Äußere Dunkel und Nichts ist der unendliche Raum und die unendliche Zeit und alles Sein mit unendlichen Qualitäten, und dieser ganzen Region gegenüber erkläre ich mich in meiner Philosophie als inkompetent. So gut es sich machen läßt, werde ich, wo es sich um Nicht-Dinge handelt, weder behaupten noch verneinen. Ich will mich um Nicht-Dinge überhaupt nicht bekümmern, es sei denn durch Zufall oder aus Versehen. Wenn ich das Wort »unendlich« anwende, so geschieht dies so, wie man oft das Wort »zahllos« anwendet: »Die zahllosen Scharen des Feindes« – oder »unermeßliche« – »unermeßliche Klippen« – das heißt, eher um die Grenze des Messens zu bezeichnen als die Grenze vorstellbarer Meßbarkeit, als ein bequemes Hilfsmittel für: sovielmal diesen Meterstab, als Sie nur können, und noch einmal ebenso oft usw. Nun ist eine große Zahl scheinbar positiver Ausdrücke praktisch negativ (oder ist es geworden), und diese stehen für mich unter dem gleichen Bann. Eine beträchtliche Anzahl von Bezeichnungen, die in der Welt des Denkens eine große Rolle gespielt haben, scheinen mir durch den gleichen Mangel entwertet zu sein, keinen Inhalt zu haben, oder unbestimmten oder unberechtigten Inhalt. Zum Beispiel macht mir das Wort Allwissenheit, das unendliches Wissen voraussetzt, den Eindruck eines Wortes, das den trügerischen Schein weckt, als sei es fest und voll, während es in Wirklichkeit hohl und gänzlich inhaltslos ist. Ich bin überzeugt: Wissen ist das Verhältnis eines bewußten Wesens zu etwas, das nicht es selbst ist; das Gewußte ist bestimmt als ein System von Teilen und Aspekten und Beziehungen; Wissen ist Umfassung: es können also nur endliche Dinge wissen oder gewußt werden. Wenn man von einem Wesen von unendlicher Ausdehnung und unendlicher Dauer redet, von einem allwissenden und allmächtigen und vollkommenen Wesen, so ist mir, als redete man in Negationen von absolut nichts. Wenn Sie vom Absoluten sprechen, so sprechen Sie mir von nichts. Wenn Sie dagegen von einem großen, aber endlichen und dankbaren Wesen reden, einem Wesen, das nicht mein Ich ist, das sich in Raum und Zeit über meine Phantasie hinaus erstreckt, das alles weiß, was ich mir als gewußt denken kann, das alles zu tun vermag, das ich mir als getan denken kann: dann treten Sie in die Sphäre meiner geistigen Operationen und in das Schema meiner Philosophie ein ...

Dies also sind meine beiden ersten Angriffe auf das Werkzeug unserer Erkenntnis: zunächst, daß es nur arbeiten kann, wenn es unsre Individualität nicht berücksichtigt und Einzigartigkeiten in dieser oder jener Hinsicht als gleiche Dinge behandelt, um sie unter einen Begriff zu gruppieren, und daß es, nachdem es dies einmal getan hat, dazu neigt, die Bedeutung dieses Begriffes automatisch zu verschärfen; und zweitens, daß es negative Begriffe nur dann frei handhaben kann, wenn es sie als positiv behandelt. Aber ich habe noch einen weitern Einwand gegen das Werkzeug des menschlichen Denkens, der mit diesen ersten Einwänden nicht in Beziehung steht und auch ziemlich viel schwerer klarzumachen ist.

Dieser Gedanke soll im wesentlichen eine Art Schichtung in den menschlichen Ideen darstellen. Mir scheint es sehr, als lägen verschiedene Begriffe in unserem Denken gleichsam auf verschiedenen Niveaus und in verschiedenen Ebenen, und als verschuldeten wir eine große Menge von Irrtum und Verwirrung dadurch, daß wir Begriffe zusammenbringen, die nicht oder nur beinahe in der gleichen Ebene liegen.

Lassen Sie mich versuchen, durch ein höchst schlagendes Beispiel aus der Physik meine Absicht etwas aufzuklären. Angenommen, jemand begänne im Ernst davon zu sprechen, daß man durch ein Mikroskop ein Atom sehen, oder besser, daß man es mit einem Messer entzweischneiden könne. Eine Anzahl nicht analytisch gebildeter Leute wären bereit zu glauben, daß ein Atom so den Augen sichtbar sein oder durchschnitten werden könne. Aber jeder, der mit physikalischen Begriffen vertraut wäre, könnte ebenso leicht daran denken, die Quadratwurzel von 2 mit einer Krähenflinte zu ermorden, wie daran, ein Atom mit einem Messer zu durchschneiden. Unser Begriff von einem Atom wird durch einen Prozeß der Hypothese und Analyse erreicht, und in der Welt der Atome gibt es weder Messer noch Menschen zum Schneiden. Wenn Sie mit starker, konsequenter geistiger Bewegung gedacht haben, so ist, wenn Sie an Ihr Atom unter der Messerklinge denken, Ihre Messerklinge selbst zu einer Wolke schwingender, gruppierter Atome geworden und Ihre Mikroskoplinsen zu einem Mikrokosmos schwingender und vibrierender Moleküle. Wenn Sie auf dem Niveau der Atome an das Weltall denken, so gibt es kein Messer zum Schneiden mehr, keine Wage zum Wägen und kein Auge zum Sehen. Das Weltall hat in der Ebene, zu der der Geist des Molekularphysikers herabsteigt, keine einzige der Gestalten und Formen unseres gewöhnlichen Lebens mehr. Diese Hand, mit der ich schreibe, ist im Weltall der Molekularphysik eine Wolke kriegführender Atome und Moleküle, die sich verbinden und neu verbinden, kollidieren, rotieren und in der Weltatmosphäre des Äthers hierhin und dorthin fliegen.

Ich hoffe nun, Sie sehen, was ich meine mit dem Ausdruck, daß das Weltall der Molekularphysik in einer andern Ebene liegt als das Weltall der gewöhnlichen Erfahrung; – was wir stabil und fest nennen, ist in jener Welt ein frei bewegtes System verschlungener Kraftzentren; was wir Farbe und Schall nennen, ist dort nicht mehr als eine so oder so lange Schwingung. Wir haben die Vorstellung jenes Weltalls der Molekularphysik durch ein großes Unternehmen organisierter Analyse erreicht, und unser Weltall der täglichen Erfahrung steht jener Elementarwelt gegenüber, als sei sie eine Synthese jener Elementardinge.

Ich möchte Ihnen andeuten, daß dies nur ein sehr extremes Beispiel für den allgemeinen Stand der Dinge ist, daß es feinere und schwierigere Niveauunterschiede zwischen zwei Begriffen geben, und daß man sich sehr wohl Begriffe denken kann, die schräg liegen, und die sich durch verschiedene Niveaus hinschlingen.

Vielleicht erreiche ich eine klarere Vorstellung von dem, was ich sagen möchte, wenn ich für die ganze Welt des menschlichen Denkens und Wissens ein konkretes Bild andeute. Denken Sie sich eine große Menge durchsichtigen Gelees, in das seine Ideen in allen Winkeln eingebettet sind, und zwar in allen Stadien der Einfachheit oder Verzerrung. Wie sie daliegen, sind es lauter gültige und mögliche Ideen, von denen in Wirklichkeit keine mit der andern unvereinbar ist. Wenn Sie sich denken, die Vertikalrichtung sei in diesem klaren Gelee gleichsam die Richtung, in der man durch die Analyse oder die Synthese vorschreitet, wenn man zum Beispiel vom Stoff zu Atomen und Kraftzentren hinab und hinauf zu Menschen und Staaten und Ländern steigt – wenn Sie sich vorstellen wollen, daß die Ideen in diesem Sinne liegen – so werden Sie den Anfang dessen haben, was ich meine. Aber unser Werkzeug, unser Denkprozeß, scheint wie das Zeichnen vor der Erfindung der Perspektive Schwierigkeiten mit der dritten Dimension zu haben, scheint Ideen nur handhaben oder in Beziehung bringen zu können, indem es sie auf dieselbe Ebene projiziert. Es wird klar sein, daß eine große Menge von Dingen in einem festen Gelee sehr gut neben einander existieren können, während sie sich schneiden, unvereinbar werden und gegenseitig zerstören, sobald man sie zusammen auf eine Ebene projiziert. Die Neigung unseres Werkzeugs, Begriffe aus verschiedenen Ebenen zusammenzubringen, verschuldet eine ungeheure Menge von Verwirrung, Not und geistigem Festfahren.

Die alte theologische Sackgasse zwischen dem freien Willen und der Prädestination gibt ein ausgezeichnetes Beispiel der Art des Festfahrens, die ich meine. Nehmen Sie das Leben auf dem Niveau der gewöhnlichen Empfindung und der gewöhnlichen Erfahrung, und keine Tatsache ist weniger bestreitbar als die Willensfreiheit des Menschen, wofern man nicht seine vollständige moralische Verantwortlichkeit damit meint. Aber man mache nur die oberflächlichste Analyse, und man sieht gleich eine Welt unvermeidlicher Konsequenzen, eine starre Welt von Ursache und Wirkung. Bestehen Sie auf einer einfachen Vereinbarung von beiden, und Sie sitzen da! Das Werkzeug versagt.

Auf diese drei Einwände und auf einen äußersten Argwohn gegenüber abstrakten Begriffen, der sich materiell aus meinem ersten und zweiten Einwand ergibt, baue ich vor allem meine tiefe Skepsis den ferneren Möglichkeiten des Denkwerkzeuges gegenüber auf. Dieses Werkzeug ist so wenig vollkommen wie das menschliche Auge oder Ohr, wenn es auch wie diese anderen Werkzeuge unbegrenzte Möglichkeiten der Entwicklung in der Richtung auf gesteigerten Wirkungsbereich und gesteigerte Kraft vor sich haben mag.

So viel von meinem Hauptstreit. Aber ehe ich schließe, möchte ich, da ich einmal hier bin, noch einiges Autobiographische sagen, und zwar im Hinblick auf Ihre Debatte, um zu zeigen, wie ich diese fundamentale Skepsis mit einem sehr positiven Glauben an weltumfassende Entwicklungen und einer sehr bestimmten Unterscheidung von Recht und Unrecht verbinde.

Ich versöhne diese Dinge miteinander, indem ich Sie einfach darauf hinweise, daß, wenn mein Bild von jenem dreidimensionalen Gelee, in dem unsre Ideen hängen, irgendeine Gültigkeit hat, eine solche Versöhnung in der Logik, wie Sie eine verlangen, eine solche Projektion der Dinge auf eine Ebene ohne Mißklang unnötig und unmöglich ist.

Dieses Bestehen auf dem Element der Einzigartigkeit, diese Unterordnung der Klasse unter die individuelle Eigenart vernichtet nicht nur den universellen Anspruch der Philosophie, sondern auch den universellen Anspruch ethischer Imperation und jeder religiösen Lehre. Wenn Sie mich auf meine Fundamentalstellung zurückdrängen, so muß ich gestehen, ich stelle den Glauben und die Maßstäbe und Regeln der Lebensführung auf genau dasselbe Niveau wie meine Anschauung über das, was in der Kunst recht ist, und was ich für die rechte Praxis in der Kunst halte. Ich bin zu einer gewissen Selbsterkenntnis gelangt, und ich sehe, es gibt für mich sehr deutliche Imperative; aber ich bin gern bereit zuzugeben, daß sich ihre Gültigkeit für irgendjemand sonst nicht erweisen läßt. Ich halte ein politisches Vorgehen, halte die moralischen Handlungen genau ebenso sehr für einen Selbstausdruck wie Dichtung oder Malerei oder Musik. Da aber die Grundelemente des Lebens Assimilierung und Angriff heißen, so versuche ich nicht nur, meinen Imperativen zu gehorchen, sondern sie mit Überredung und Überzeugung auch andern Geistern einzupflanzen, mein Gutes zu fördern und meinem Bösen zu widerstehen und es zu überwinden, als wäre es das allgemeine Gute und das allgemeine Böse, an das nicht denkende Menschen glauben. Und offenbar widerspricht es für mich in keiner Weise dieser Philosophie, wenn ich sehe, daß andre mitschwingend meinen Tönen antworten, oder daß ich mitschwingend Tönen antworte, die rings um mich erklingen, daß ich dann dieser gemeinsamen Ähnlichkeit zwischen mir und anderen einen Namen gebe, daß ich diese anderen und mich gemeinsam an dieses Etwas anknüpfe, als wäre es nach außen getreten und umspannte uns alle.

Die Skepsis gegenüber dem Werkzeug ist zum Beispiel nicht unvereinbar mit religiösem Anschluß und mit einer Organisation auf der Grundlage eines gemeinsamen Glaubens. Es ist möglich, Gott als ein in Beziehung auf Menschen und Gesellschaften synthetisches Wesen anzusehen, genau wie die Vorstellung eines Weltalls von Atomen und Molekülen und unorganischen Beziehungen dem menschlichen Leben gegenüber analytisch ist.

Die Ablehnung des Beweises in allen Fällen, außer in den unmittelbaren und kontrollierbaren, worauf diese Skepsis dem Werkzeug gegenüber hinausläuft, die Leugnung jeder allgemeinen Gültigkeit für Sätze der Moral und der Religion verweist ethische, soziale und religiöse Lehren in das Gebiet der Poesie und hilft ein wenig, die Entfremdung von Wissen und Schönheit zu korrigieren, die heutzutage im Bereich des Geistes so häufig als charakteristischer Zug angetroffen wird. All diese Dinge sind Selbstausdruck. Eine solche Anschauung verleiht jener durchdringenden und erleuchtenden geistigen Eigenschaft, die wir Einsicht nennen, neuen und größeren Wert. Und wenn die Einsicht den Widersprüchen ins Angesicht sieht, die sich aus den Unvollkommenheiten des geistigen Werkzeugs ergeben, so heißt sie Humor. In diesen eingeborenen, unlehrbaren Eigenschaften, meine ich – im Humor und im Sinn für Schönheit –, liegt alle Hoffnung auf intellektuelle Erlösung von der Erbsünde unseres geistigen Werkzeugs, die wir in dieser ungewissen und schwankenden Welt einzigartiger Erscheinungen hegen können ...

So breite ich meine kleine Ausrüstung an fundamentalen Sätzen offen vor Ihnen aus, von Herzen froh über die Gelegenheit, die Sie mir gegeben haben, sie herauszunehmen, sie mit der Strenge anzusehen, die mir durch die Gegenwart von Hörern aufgezwungen wird, und den Eindruck zu hören, den sie bei Ihnen hervorbringen. Natürlich hat eine solche Skizze unweigerlich etwas Oberflächliches. Die Zeit, die mir zur Verfügung stand – ich meine die Zeit, die ich auf die Vorbereitung verwenden konnte – war zu kurz für eine erschöpfende Vollendung der Darstellung. Aber ich glaube, im ganzen habe ich die Hauptlinien meiner geistigen Landkarte getroffen. Ob ich mich verständlich gemacht habe, ist eine ganz andere Frage. Es ist eher Ihre als meine Aufgabe, zu sagen, wie diese meine Kartenskizze sich zu Ihrer systematischen Kartographie verhält ...

Hier folgten Anmerkungen über Persönlichen Idealismus und über Schillers Humanismus, die nicht weiter von Bedeutung sind.

 

Ende


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