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Ein Wort an die Leser

Dieses Buch ist voraussichtlich das letzte einer Reihe von Schriften, die – abgesehen von früheren einzelnen Aufsätzen – mit meinen »Ausblicken« begann. Ursprünglich sollten die »Ausblicke« das einzige Werk bleiben, in dem ich der Kunst oder dem Beruf (oder wie man es heißen mag) des Dichters untreu wurde. Ich schrieb es, um mir selbst klar zu werden über die zahllosen sozialen und politischen Fragen, die mir im Kopfe umgingen, Fragen, über die ich in meinem Buche weder ganz noch auch mit unklarem, verwegenem Gerede weggehen konnte, und die, soviel ich weiß, noch keiner so behandelt hatte, wie es meinem Bedürfnisse genügt hätte. Aber dieses Ziel erreichte ich in den »Ausblicken« nicht. Mein Kopf arbeitet langsam, vorsichtig aufbauend, und als ich jene Arbeit hinter mir hatte, sah ich, daß der größte Teil meiner Fragen noch nicht gelöst, nicht einmal scharf gefaßt war. Daher versuchte ich in dem Buche »Die Menschheit im Werden« die soziale Organisation auf einem andern Wege zu übersehen, sie als Erziehungsprozeß zu betrachten, nicht als etwas, das erst die Zukunft uns bringen sollte, und wenn mein zweites Buch vom literarischen Standpunkt aus noch weniger befriedigend ausfiel als das erste (und dies fürcht' ich), so glaube ich doch, meine Fehler waren belehrender – wenigstens für mein eigenes Wissen. Offener als in den »Ausblicken« wagte ich mich an diesen und jenen Gegenstand heran und schloß meinen zweiten Versuch mit dem Bewußtsein ab, manches noch flüchtig hingeschrieben, in vielem aber mir eine feste Ansicht gebildet zu haben. Denn über zahlreiche der behandelten Gegenstände habe ich mir schließlich eine persönliche Sicherheit errungen, auf der ich mein Leben lang beharren werde. In dem vorliegenden Buche habe ich versucht, Rechenschaft abzulegen über eine Reihe von Fragen, die ich im vorhergehenden fort- oder doch offen lassen mußte, manche Einzelheiten umzugestalten und das Bild einer Utopie zu geben, wie es im Laufe dieser Betrachtungen in meinem Geiste entstanden ist als ein Zustand der Dinge, der durchaus möglich und dem bestehenden vorzuziehen wäre. Aber dieses Buch hat mich zur dichterischen Schreibweise zurückgeführt. In den beiden vorhergehenden habe ich die Einrichtung der menschlichen Gesellschaft rein objektiv behandelt, in diesem ging meine Absicht weiter und tiefer: ich wollte ein Ideal, aber nicht nur für sich, sondern in der Rückwirkung auf zwei Persönlichkeiten aufstellen. Und da das vorliegende Buch vielleicht das letzte dieser Art ist, das ich veröffentlichen werde, so schrieb ich in dasselbe so gut als möglich die Ketzerei meines metaphysischen Skeptizismus hinein, auf dem mein ganzes Denken ruht, und schaltete gewisse Abschnitte ein, die sich mit den bestehenden Methoden der Soziologie und der Volkswirtschaftslehre beschäftigen.

Was ich da zuletzt sagte, wird freilich die Schmetterlingsleser nicht anlocken. Ich habe jedoch mein Bestes getan, um das Buch als Ganzes so klar und unterhaltend zu machen, als der Stoff es erlaubt, weil ich möchte, daß so viele als nur möglich es läsen. Aber allen jenen, die meine Seiten nur mit flüchtigen Blicken durchstreifen wollen, um schnell zu sehen, ob ich ihrer Meinung bin, die in der Mitte anfangen, oder ohne treue und lebhafte Aufmerksamkeit zu lesen pflegen, verspreche ich nichts als Ärger und Verwirrung. Wer nicht ein wenig Sinn und Verständnis für politische und soziale Fragen und etwas Übung in der Prüfung des eigenen Selbst mitbringt, kann hier weder Anregung noch Vergnügen finden. Wer über solche Dinge schon »seine Meinung hat«, dessen Zeit würde an dieses Buch verschwendet sein. Auch der willigste Leser jedoch wird für die besondere Methode, die ich diesmal gewählt habe, einiger Geduld bedürfen.

Diese Methode mag etwas Zufälliges an sich haben, ist aber nicht so leichtfertig, als sie aussieht. Ich glaube – sogar jetzt, da ich mit dem Buche fertig bin – sie führt am besten zu einer Art von durchsichtiger Unbestimmtheit, die ich für einen solchen Gegenstand stets angestrebt habe. Bevor ich sie auswählte, habe ich mehrere Anfänge zu einer Utopie durchversucht. Von allem Anfang an verwarf ich die Form strenger Begründung, die sich an den sogenannten »ernsthaften« Leser wendet (der oft genug nur an großen Fragen mit wichtiger Miene herumnascht). Er möchte alles in festen, kräftigen Linien sehen, in Schwarz oder Weiß, mit Ja oder Nein, denn er versteht nicht, daß hier so vieles gar nicht auf diese Weise dargestellt werden kann; wo etwas schief oder unbestimmt erscheint, wo er den nötigen Ernst vermißt oder gar Stimmung entdeckt, oder auch die Schwierigkeiten einer vielseitigen Darstellung, da folgt er nicht mehr. Für ihn ist es typisch, daß er auf der unüberwindlichen Ansicht stehen bleibt, der Geist der Schöpfung könne nicht über zwei hinaus zählen: er hat es nur mit Alternativen zu tun. Solchen Lesern will ich hier nicht gefallen. Selbst wenn ich alle meine triklinischen Kristalle als Würfelsystem darstellte – –! Ich sah ein, es wäre nicht der Mühe wert, dies zu tun. Als ich nun die begründende Form abgelehnt hatte, arbeitete ich fleißig weiter und suchte monatelang nach einem Plan für das vorliegende Buch. Zuerst versuchte ich jene erprobte Methode, die Fragen von einem verschiedenen Standpunkt aus zu übersehen, denn diese hatte mich immer angezogen, ohne daß ich sie noch gemeistert hätte, also den erörternden Roman in der Art wie Peacock (und Mallock) ihn aus dem Dialog der Alten entwickelt haben; aber hierzu Charaktere und die notwendige Intrige zu erfinden, war mir lästig, und so gab ich dies auf. Dann machte ich den Versuch, meinem Gegenstand eine Form zu geben, die der doppelten Persönlichkeit in Boswells Johnson ungefähr ähnlich gewesen wäre, eine Art Wechselspiel zwischen Monolog und Kommentar; obgleich dies dem, was ich suchte, näherkam, schlug es zuletzt doch fehl. Hierauf überlegte ich mir etwas, das man eine »einfache Erzählung« nennen könnte. Der erfahrene Leser wird erkennen, daß dieses Buch zu einer fließenden Erzählung geworden wäre, wenn ich gewisse spekulative und metaphysische Stoffe fortgelassen, die Geschehnisse aber breiter ausgemalt hätte. Aber gerade auf jene Stoffe wollte ich diesmal nicht verzichten. Ich sehe nicht ein, warum ich dem gemeinen Geschmack nach bloßen Erzählungen Vorschub leisten sollte. Kurzum, ich schuf, was hier vorliegt. Dies alles muß ich dem Leser eingehend sagen, damit er wohl wisse, daß dieses Buch das Ergebnis von Überlegungen und Prüfungen und genau so ist, wie ich es haben wollte, wie sonderbar es auch beim ersten Lesen erscheinen mag. Ich habe durchweg eine Art halbseidenen Gewebes aus philosophischer Unterredung und dichterischer Erzählung im Auge.


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