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Anhang. Zusätze und Nachweise

Zur Einleitung des ersten Teiles

(S. 3, Z. 2 f.) Der Ausdruck »Begriffe mittlerer Allgemeinheit« stammt von John Stuart Mill. – Über die beschriebene Entwicklung eines begrifflichen Systems von Gedanken vgl. E. Mach, Die Analyse der Empfindungen etc., 3. Aufl., Jena 1902, S. 242 f.

(S. 5, Z. 9 f.) Vgl. Ludwig Boltzmann, Über den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie, Almanach der k. k. Akademie der Wissenschaften zu Wien, 36. Jahrgang, S. 255: »Wie in die Augen springend ist der Unterschied zwischen Tier und Pflanze, trotzdem gehen die einfachen Formen kontinuierlich ineinander über, so daß gewisse gerade an der Grenze stehen, ebensogut Tiere wie Pflanzen darstellend. Die einzelnen Spezies in der Naturgeschichte sind meist aufs schärfste getrennt, hie und da aber finden wieder kontinuierliche Übergänge statt.« Über das Verhältnis von chemischer Verbindung und Mischung vgl. F.  Wald, Kritische Studie über die wichtigsten chemischen Grundbegriffe, Annalen der Naturphilosophie, I, 1902, S. 181 ff.

(S. 6, Z. 8 f.) Z. B. kommt die sehr ausführliche Untersuchung von Paul Bartels, Über Geschlechtsunterschiede am Schädel, Berlin 1897, zu dem Schlusse (S. 94): »Einen durchgreifenden Unterschied des männlichen vom weiblichen Schädel kennen wir bis jetzt noch nicht ... Alle etwa anzuerkennenden Unterschiede erweisen sich als Charaktere des männlichen, beziehungsweise weiblichen Durchschnittes und zeigen eine größere oder geringere Anzahl von Ausnahmen.« (S. 100:) »Eine sichere Diagnose des Geschlechtes ist zur Zeit nicht möglich, und wird, fürchte ich, nie möglich sein.«

(S. 6, Z. 11.) Konrad Rieger, Die Kastration in rechtlicher, sozialer und vitaler Hinsicht, Jena 1900, S. 35: »Jeder, der schon viele nackte Menschen gesehen hat, weiß doch aus Erfahrung: einerseits, daß es viele Frauen gibt, deren Becken ›männlich‹ ist; und anderseits, daß es viele Männer gibt, deren Becken ›weiblich‹ ist ... Bekanntlich ist deshalb die Geschlechtsdiagnose eines Skelettes durchaus nicht immer möglich.«

Zu Teil I, Kapitel 1

(S. 7, Z. 13.) Vor Heinrich Rathke (Beobachtungen und Betrachtungen über die Entwicklung der Geschlechtswerkzeuge bei den Wirbeltieren, Halle 1825. Neueste Schriften der naturforschenden Gesellschaft in Danzig, Bd. I, Heft 4) herrschte dogmatisch die Tiedemannsche Anschauung, daß ursprünglich alle Embryonen weiblich seien, und der Hode durch eine Weiterentwicklung des Eierstockes entstanden. (Vgl. Richard Semon, Die indifferente Anlage der Keimdrüsen beim Hühnchen und ihre Differenzierung zum Hoden, Habilitationsschrift, Jena 1887, S. 1 f.) Rathke (S. 121 f.) bekämpfte mit vielen Gründen die Auffassung, daß das männliche Geschlecht ein höher entwickeltes weibliches sei, und kam als erster zu dem Schlüsse: »Alle ... in diesem Werke mitgeteilten Beobachtungen bezeugen, daß aller sinnlicher Unterschied, der sich auf das verschiedene Geschlecht bezieht, zwischen den männlichen und weiblichen Gebilden in frühester Lebenszeit durchaus wegfällt. Wenigstens ist dies der Fall bei den inneren Geschlechtsteilen, denn von den äußeren kann ich fast nur allein aus fremder, nicht aber aus eigener Erfahrung urteilen. Diese fremden Erfahrungen aber scheinen ebenfalls auf eine Gleichheit jener äußeren Gebilde hinzudeuten. Es läßt sich demnach behaupten, daß wenigstens bei den Wirbeltieren die Geschlechter ursprünglich, soweit die sinnliche Wahrnehmung reicht, einander gleich sind.« Diese Ansicht wurde weiter geprüft, bestätigt und schließlich zur Geltung gebracht durch die Arbeiten von Johannes Müller (Bildungsgeschichte der Genitalien, Düsseldorf 1830), Valentin (Über die Entwicklung der Follikel in den Eierstöcken der Säugetiere, Müllers Archiv, 1838, S. 103 f.), R. Remak (Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbeltiere) und Wilhelm Wa1deyer (Eierstock und Ei, 1870).

(S. 7, Z. 15.) Für die Pflanzen ist dieser Nachweis erst in jüngster Zeit in K. Goebels Abhandlung »Über Homologien in der Entwicklung männlicher und weiblicher Geschlechtsorgane« (Flora oder allgemeine botanische Zeitung, Bd. XC, 1902, S. 279 bis 305) erfolgt. Goebel zeigt, wie auch bei der Pflanze männliche und weibliche Organe sich aus einer ursprünglichen Grundform entwickeln, indem im weiblichen Organ jene Zellen steril werden, die im männlichen zur Spermatozoidbildung führen, und umgekehrt.

(S. 7, Z. 16 ff.) Die Zeitangaben beziehen sich auf die äußeren Geschlechtsteile. Sie werden von den Beobachtern nicht in Übereinstimmung gemacht, vgl. W. Nagel, Über die Entwicklung des Urogenitalsystems des Menschen, Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. XXXIV, 1889, S. 269-384 (besonders S. 375 f.). Die im Texte gegebenen Daten im allgemeinen nach Oskar Hertwig, Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Tiere, 7. Aufl., S. 427, 441. Ganz kontrovers ist der Zeitpunkt der Differenzierung der inneren Keimdrüsenanlagen, ja selbst die Frage noch strittig, ob deren Anlage zuerst hermaphroditisch oder gleich sexuell bestimmt sei. Vgl. die auch hierüber am ausführlichsten orientierende Abhandlung Nagels (S. 299 ff.).

(S. 8, Z. 21 f.) Ich gebe hier nach Oskar Hertwig (Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere, 7. Aufl., Jena 1902, S. 444 f.) die vollständige »Tabellarische Übersicht I. über die vergleichbaren Teile der äußeren und der inneren Geschlechtsorgane des männlichen und des weiblichen Geschlechtes, und II. über ihre Ableitung von der ursprünglich indifferenten Anlage des Urogenitalsystems bei den Säugetieren«.

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(S. 8, Z. 9 v. u.) Ernst Häckel, Generelle Morphologie der Organismen, Band II: Allgemeine Entwicklungsgeschichte der Organismen etc., Berlin 1866, S. 60 f.: »Jedes Individuum (irgend einer Ordnung) als Zwitter ( Hermaphroditus) vereinigt in sich beiderlei Geschlechtsstoffe, Ovum und Sperma. Der Gegensatz hiezu ist die Trennung der Genitalien, die Verteilung der beiderlei Geschlechtsstoffe auf zwei Individuen (gleichviel welcher Ordnung), welche wir als Geschlechtstrennung oder Gonochorismus bezeichnen. Jedes Individuum irgend einer Ordnung als Nichtzwitter (Gonochoristus) besitzt nur einen von beiden Geschlechtsstoffen, Ovum oder Sperma.« In einer Anmerkung hiezu gibt er die Etymologie: »γονή, ἡ Genitale, Geschlechtsteil: χωριστός; getrennt. Wir führen dieses neue Wort hier ein, weil es bisher seltsamerweise gänzlich an einer allgemeinen Bezeichnung der Geschlechtstrennung mangelte, während man für die Zwitterbildung deren mehrere besaß (Hermaphroditismus, Androgynie).«

(S. 9, Z. 8.) Am wenigsten dimorph sind die Geschlechter wohl bei den Stachelhäutern (Echinodermen). Ferner finden sich nach Weismann, Das Keimplasma, Jena 1892, S. 466 f., auch bei Volvox, unter den Schwämmen und den Medusenpolypen Organismen, bei welchen männliche und weibliche Individuen lediglich durch die Art der Geschlechtszellen selbst sich unterscheiden, also ohne alle weiteren Sexualcharaktere.

(S. 9, Z. 10.) Normaler Hermaphroditismus unter den Fischen: beim Seebarsch (Serranus scriba), der Goldbrasse (Chrysophrys aurata) und der Myxine glutinosa (einem auf anderen Fischen schmarotzenden Zyklostoma). Vgl. C. Claus, Lehrbuch der Zoologie, 6. Aufl., Marburg 1897, S. 745, und Richard Hertwig, Lehrbuch der Zoologie, 5. Aufl., Jena 1900, S. 99.

(S. 9, Z. 15 v. u.) Aus Gründen der Vererbungslehre wird von Darwin und besonders von Weismann die Bisexualität der geschlechtlich differenzierten Lebewesen geradezu als eine Notwendigkeit postuliert. Darwin (Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation, 2. Aufl., Stuttgart 1873, Bd. II, S. 59 f.): »Wir sehen daher, daß in vielen, wahrscheinlich in allen Fällen die sekundären Charaktere jedes Geschlechtes schlafend oder latent in dem entgegengesetzten Geschlechte ruhen, bereit, sich unter eigentümlichen Umständen zu entwickeln. Wir können auf diese Weise verstehen, woher es z. B. möglich ist, daß eine gut melkende Kuh ihre guten Eigenschaften durch ihre männlichen Nachkommen auf spätere Generationen überliefert, indem wir zuversichtlich annehmen, daß diese Eigenschaften in den Männchen jeder Generation, wenn auch in einem latenten Zustande, vorhanden sind. Dasselbe gilt für den Kampfhahn, welcher seine Vorzüglichkeiten in betreff des Mutes und der Lebendigkeit durch seine weibliche auf seine männliche Nachkommenschaft überliefern kann; und beim Menschen ist es bekannt, daß Krankheiten, wie z. B. Hydrokele, welche notwendig auf das männliche Geschlecht beschränkt sind, durch die Tochter auf den Enkel überliefert werden können. Derartige Fälle, wie die vorstehenden, bieten ... die möglichst einfachen Beispiele von Rückschlag dar, und sie sind unter der Annahme verständlich, daß bei dem Großvater und Enkel eines und desselben Geschlechtes gemeinsame Charaktere, wenn auch latent, in dem zwischenliegenden Erzeuger des entgegengesetzten Geschlechtes vorhanden sind.« Weismann (Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung, Jena 1892, S. 467 f.): »Vom Menschen her wissen wir, daß sämtliche sekundären Geschlechtscharaktere nicht nur von den Individuen des entsprechenden Geschlechtes vererbt werden, sondern auch von denen des anderen. Die schöne Sopranstimme der Mutter kann sich durch den Sohn hindurch auf die Enkelin vererben, ebenso der schwarze Bart des Vaters durch die Tochter auf den Enkel. Auch bei den Tieren müssen in jedem geschlechtlich differenzierten Bion beiderlei Geschlechtscharaktere vorhanden sein, die einen manifest, die anderen latent. Der Nachweis ist hier nur in gewissen Fällen zu führen, weil wir die individuellen Unterschiede dieser Charaktere nur selten so genau bemerken, allein er ist selbst für ziemlich einfach organisierte Arten zu führen, und die latente Anwesenheit der entgegengesetzten Geschlechtscharaktere in jedem geschlechtlich differenzierten Bjon muß deshalb als allgemeine Einrichtung aufgefaßt werden. Bei der Biene besitzen die aus unbefruchteten Eiern sich entwickelnden Männchen die sekundären Geschlechtscharaktere des Großvaters, und bei den Wasserflöhen, bei welchen mehrere rein weibliche Generationen aus einander hervorgehen, bringt die letzte derselben Männchen hervor mit den sekundären Geschlechtscharakteren der Art, welche somit in latentem Zustande in einer großen Reihe von weiblichen Generationen vorhanden sein mußten.« Man vergleiche hiemit auch Moll, Untersuchungen über die Libido sexualis, Berlin 1898, Bd. I, S. 444.

(S. 9, Z. 6 v. u.) Als das »Objekt der Kunst« wird »die platonische Idee« bekanntlich betrachtet im dritten Buche der »Welt als Wille und Vorstellung« von Schopenhauer.

(S. 10, Z. 16.) Seit 1899 erscheint alljährlich unter Redaktion von Dr. Magnus Hirschfeld ein » Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen«. Dieses Unternehmen wäre noch verdienstvoller, als es ist, wenn es nicht nur die Homosexuellen und die Zwittergeburten, das sind die sexuellen Mittelstufen, in den Kreis seiner Betrachtung zöge. Vgl. übrigens Kap. IV und die Nachweise zu demselben.

(S. 10, Z. 1 v. u.) Auch für die Pflanzen. Vgl. August Schulz, Beiträge zur Kenntnis der Bestäubungseinrichtungen und Geschlechtsverteilung bei den Pflanzen, II. Teil, Kassel 1890, an vielen Orten, z. B. S. 185. Ferner erzählt Darwin, Die verschiedenen Blütenformen bei Pflanzen der nämlichen Art, Werke IX/3, Stuttgart 1877, S. 10, von der gemeinen Esche (Fraxinus excelsior): »... ich untersuchte ... 15 Bäume, welche auf dem Felde wuchsen, und von diesen produzierten 8 allein männliche Blüten und im Frühjahr und im Herbste nicht ein einziges Samenkorn; 4 produzierten nur weibliche Blüten, welche außerordentlich zahlreichen Samen ansetzten; drei waren Zwitter, welche, als sie in Blüte waren, ein von den anderen Bäumen verschiedenes Aussehen hatten: zwei von ihnen produzierten nahezu so viel Samen wie die weiblichen Bäume, während der dritte nicht einen hervorbrachte, so daß er der Funktion nach männlich war. Die Trennung der Geschlechter ist indessen bei der Esche nicht vollständig, denn die weiblichen Blüten enthalten Staubgefäße, welche in einer frühen Periode abfallen, und ihre Antheren, welche sich niemals öffnen oder dehiszieren, enthalten meistens eine breiige Substanz anstatt des Pollens. An einigen weiblichen Blüten fand ich jedoch einige wenige Antheren, welche allem Anscheine nach gesunde Pollenkörner enthielten. An den männlichen Bäumen enthalten die meisten Blüten Pistille, dieselben fallen aber gleichfalls in einer frühen Periode ab; und die Eichen, welche schließlich abortieren, sind sehr klein, verglichen mit denen in weiblichen Blüten von demselben Alter.« Man vergleiche übrigens die im III. Kapitel besprochene Heterostylie. – Was die Tiere betrifft, und besonders den Menschen, so ließen sich ganze Bogen mit Belegen aus hierauf bezüglichen Publikationen füllen. Ich verweise aber lieber zunächst auf Albert Moll, Untersuchungen über die Libido sexualis, I, S. 334 ff. (z. B. seine Beweise für das Vorkommen sezernierender Milchdrüsen bei Männern). – Konrad Rieger, Die Kastration in rechtlicher, sozialer und vitaler Hinsicht, Jena 1900, S. 21, Anmerkung 2: »Manche weibliche Ziegen haben sehr starke Hörner, die sich nur wenig von denen eines Ziegen bockes unterscheiden; andere weibliche Ziegen sind völlig hornlos, und schließlich gibt es auch Ziegen böcke ( und zwar unkastrierte) ohne Hörner.« S. 26: »Sieht man eine größere Anzahl von Rindviehbildern durch, so ergibt sich sofort, daß sehr bedeutende Unterschiede bestehen in bezug auf die Hörner bei den Stieren selbst.« S. 30: »Ich habe selbst zufällig neulich ein weibliches Schaf von einer importierten Rasse gesehen, das die schönsten Widderhörner hatte.« Vgl. ferner M., Über Rehböcke mit abnormer Geweihbildung und deren eigentümliches Verhalten, Deutsche Jäger-Zeitung, XXXII, 363. Edw. R.  Alston, On Female Deer with antlers, Proceed. Zoolog. Society, London 1879, p. 296 f. – Von lokalen Häufungen der Zwischenstufen bei Käfern und Schmetterlingen berichtet William Bateson, Materials for the study of Variation treated with especial regard of discontinuity in the origin of species, London 1894, p. 254: »In all other localities the male Phalanger maculatus alone is spotted with white, the female being without spots, but in Waigiu the females are spotted like the males. This curious fact was first noticed by Jentink.« (F. A.  Jentink, Notes, Leyd. Mus., VII, 1885, p. 90.) Und in einer Anmerkung hiezu: »Compare the converse case of Hepialus humuli (the Ghost Moth), of which, in all other localities, the male are clear and the females are light yellow-brown with spots, but in the Shetland Islands the males are very like the females, though in varying degrees. See Jenner Weir, Entomologist, 1880, p. 251 Pl.« – Darwin, Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation, II, 259: »Die vielen wohlbeglaubigten Fälle verschiedener männlicher Säugetiere, welche Milch geben, zeigen, daß ihre rudimentären Milchdrüsen diese Fälligkeit in einem latenten Zustande behalten.« Dazu Moll, Untersuchungen, I, 481: »Von der typischen Beschaffenheit der männlichen Brust finden wir bis zur völligen Ausbildung der weiblichen Brustdrüsen beim Manne zahlreiche Übergänge.« – Von der großen Veränderlichkeit sekundärer Geschlechtscharaktere handelt Darwin im 5. Kapitel der »Entstehung der Arten« (S. 207 ff. der Übersetzung von Haek, Universalbibliothek), von » Abstufungen sekundärer geschlechtlicher Charaktere« im 14. Kapitel der »Abstammung des Menschen usw.« (Bd. II, S. 143 ff. der. gleichen Ausgabe). – Über sexuelle Zwischenformen bei den Cerviden noch Adolf Rörig, Welche Beziehungen bestehen zwischen den Reproduktionsorganen der Cerviden und der Geweihbildung, Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, VIII, 1899, 382-447 (mit weiterer Literatur); bei den Vögeln: A.  Tichomiroff, Androgynie bei den Vögeln, Anatomischer Anzeiger, 15. März 1888 (III, 221-228); bei Vögeln und anderen Tieren: Alexander Brandt, Anatomisches und Allgemeines über die sogenannte Hahnenfedrigkeit und über anderweitige Geschlechtscharaktere bei Vögeln, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, 48, 1889, S. 101-190.

(S. 11, Z. 3.) Über das virile Weiberbecken vgl. W.  Waldeyer, Das Becken, Topographisch-anatomisch mit besonderer Berücksichtigung der Chirurgie und Gynäkologie dargestellt (in: G.  Joessel, Lehrbuch der topographisch-chirurgischen Anatomie. Teil II, Bonn 1899) S. 393 f.: »Wir finden auch Weiberbecken vom Habitus der Männerbecken. Die Knochen sind massiver, die Darmbeine stehen steil, der Schambogen ist eng, die Beckenhöhle hat eine Trichterform. Meist haben die betreffenden Frauen auch in ihrem übrigen Körperhabitus etwas ... Männliches (Viragines). Doch braucht dies nicht immer der Fall zu sein.«

(S. 11, Z. 5.) Über bärtige Weiber vgl. Max Bartels, Über abnorme Behaarung beim Menschen, Zeitschrift für Ethnologie, VIII (1876), 110-129 (mit Literaturnachweisen), XI (1879), 145-194,  XIII (1881), 213-233. Wilhelm Stricker, Über die sogenannten Haarmenschen (Hypertrichosis universalis) und insbesondere die bärtigen Frauen, Bericht über die Senckenbergische naturforschende Gesellschaft, Frankfurt 1877, S. 97 f. Louis A.  Duhring, Case of bearded women, Archives of Dermatology, III (1877), p. 193-200. Harris Liston, Cases of bearded women, British medical Journal vom 2. Juni 1894. Albert Moll, Untersuchungen über die Libido sexualis, Berlin 1898, I, p. 337 (mit Literatur). Cesare Taruffi, Hermaphrodismus und Zeugungsunfähigkeit, Eine systematische Darstellung der Mißbildungen der menschlichen Geschlechtsorgane, übersetzt von R. Teuscher, Berlin 1903, S. 164-173: Über Hypertrichosis beim Weibe, mit vielen weiteren Literaturangaben. Alexander Brandt, Über den Bart der Mannweiber (Viragines), Biologisches Zentralblatt, 17, 1897, S. 226-239. Les Femmes à barbe, Revue scientifique, VII, 618-622. Gustav Behrend, Artikel Hypertrichosis in Eulenburgs Realenzyklopädie, Bd. XI 3, S. 194. Alexander Ecker, Über abnorme Behaarung beim Menschen, insbesondere über die sogenannten Haarmenschen, Braunschweig 1878, mit weiterer Literatur S. 21.

(S. 11, Z. 13 ff.) Man vergleiche z. B. die in der Schrift von Livius Fürst, Die Maß- und Neigungsverhältnisse des weiblichen Beckens nach Profildurchschnitten gefrorner Leichen, Leipzig 1875, S. 16 und S. 24 ff. enthaltenen Tafeln mit den Maßzahlen, die von den verschiedenen Beobachtern von Luschka, Henle, Rüdinger, Hoffmann, Pirogoff, Braune, Le Gendre und Fürst selbst als Dimensionen des Beckens der Geschlechter angegeben werden. – Ferner W.  Krause, Spezielle und makroskopische Anatomie (II. Bd. der 3. Aufl. des Handbuches der menschlichen Anatomie von C. F. Th. Krause), Hannover 1879, S. 122 ff., mit Tabellen für die Maximal- und Minimalproportionen sowohl beim Manne als bei der Frau.

(S. 12, Z. 2 v. u.) Die Angabe über die Ophiten nach Überweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Teil II, Die mittlere oder die patristische und scholastische Zeit, 8. Aufl., Berlin 1898, S. 40.

Zu Teil I, Kapitel 2

(S. 13, Z. 14 v. u.) Havelock Ellis, Man and Woman, A Study of human secondary sexual characters, London 1894, deutsch: Mann und Weib, Anthropologische und psychologische Untersuchung der sekundären Geschlechtsunterschiede, übersetzt von Dr. Hans Kurella (Bibliothek für Sozialwissenschaft, Bd. III), Leipzig 1895. In Betracht kommt hier auch das einseitigere, aber originellere und durch glückliche Belege aus der belletristischen Literatur psychologisch bereicherte Werk von C.  Lombroso und G.  Ferrero, Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, Anthropologische Studien, gegründet auf eine Darstellung der Biologie und Psychologie des normalen Weibes, übersetzt von Kurella, Hamburg 1894.

(S. 14, Z. 20.) Joh. Japetus Sm. Steenstrup, Untersuchungen über das Vorkommen des Hermaphroditismus in der Natur, aus dem Dänischen übersetzt von C. F. Hornsenueh, Greifswald 1846, S. 9 ff. – Man vergleiche über Steenstrups Anschauungen die absprechenden Urteile von Rud.  Leuckart, Artikel »Zeugung« in Rud. Wagners Handwörterbuch der Physiologie, Bd. IV, 1853, S. 7431., und C. Claus, Lehrbuch der Zoologie, S. 117 6.

(S. 14, Z. 21.) Ellis, Mann und Weib, besonders S. 203 ff.

(S. 14, Z. 12 v. u.) Über die Geschlechtsunterschiede in der Zusammensetzung des Blutes, Ellis, S. 204 f. – Olof Hammarsten, Lehrbuch der physiologischen Chemie, 4. Aufl., Wiesbaden 1899, S. 137. »Beim Menschen kommen gewöhnlich in je 1 cm 3 beim Manne 5 Millionen und beim Weibe 4 à 4-5 Millionen [roter Blutkörperchen] vor. – Ernst Ziegler, Lehrbuch der allgemeinen und speziellen pathologischen Anatomie, Bd. II: Spezielle pathologische Anatomie, 9. Aufl., Jena 1898, S. 3: »In 100 cm 3 Blut sind ... bei Männern 14,5 g, bei Frauen 13,2 g Hämoglobin enthalten.« Vgl. bes. Lombroso-Ferrero, S. 22 f. und die dort zitierte Literatur.

(S. 14, Z. 10 v. u.) v.  Bischoff, Das Hirngewicht des Menschen, Bonn 1880. – Rüdinger, Vorläufige Mitteilungen über die Unterschiede der Großhirnwindungen nach dem Geschlecht beim Fötus und Neugebornen Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns. I, 1877, S. 286-307. – Auch Passet, Über einige Unterschiede des Großhirns nach dem Geschlecht, Archiv für Anthropologie, Bd. XIV, 1883, S. 89-141, und Emil Huschke, Schädel, Hirn und Seele des Menschen und der Tiere nach Alter, Geschlecht und Rasse, Jena 1854, S. 152 f., haben die Existenz solcher Unterschiede versichert und mit genauen Daten belegt.

(S. 14, Z. 8 v. u.) Alice Gaule, Die geschlechtlichen Unterschiede in der Leber des Frosches, Archiv für die gesamte Physiologie, herausgegeben von Pflüger, Bd. LXXXIV, 1901, Heft 1/2, S. 1-5.

(S. 14, Z. 5 v. u.) Wo der Ausdruck »erogen« (»Zones érogenes« als Name für diejenigen Körperteile, die sexuell besonders anziehend auf das andere Geschlecht wirken) zum ersten Male vorkommt, war mir zu ermitteln nicht möglich. Der verstorbene Professor Freiherr v.  Krafft-Ebing, von dem ich einmal Belehrung hierüber erbat, vermutete, bei Gilles de la Tourette. Doch ist in dessen großem Werke über die Hysterie nichts hierauf Bezügliches enthalten.

(S. 15, Z. 13.) Die Anführung aus Steenstrup, a. a. O. S. 9-10.

(S. 17, Z. 2.) John Hunter, Observations on certain parts of the animal economy, London 1786, berichtet in einem zuerst in den Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Vol. LXX/2, 1. Juni 1780, pag. 527-535, veröffentlichten »Account of an extraordinary pheasant« von der »Hahnenfedrigkeit« alter Hennen und vergleicht diese mit der Bärtigkeit der Großmütter. S. 63 (528) wird die berühmte Unterscheidung eingeführt: »It is well known that there are many orders of animals which have the two parts designed for the purpose of generation different in the same species, by which they are distinguished into male and female: but this is not the only mark of distinction in many genera of animals, of the greatest part the male being distinguished from the female by various marks. The differences which are found in the parts of generation themselves, I shall call the first or principle, and all others depending upon these I shall call secondary.« Wenn im Texte (S. 18 ff.) der Bereich der sekundären Charaktere strenger denn gewöhnlich als die Gesamtheit der erst in der Mannbarkeit äußerlich sichtbar hervortretenden Charaktere umschrieben wird, so ist damit auf Hunters ursprüngliche Bestimmung zurückgegriffen, S. 68: »We see the sexes which at an early period hat little to distinguish them from each other, acquiring about the time of puberty secondary properties, which clearly characterise the male and female. The male at this time recedes from the female, and assumes the secondary characters of his sex.« Vgl. Darwin, Das Variieren etc. I 2, S. 199. Entstehung der Arten (übersetzt von Haek), S. 201.

(S. 17, Z. 4.) Dafür, daß von den primären noch »primordiale« Sexualcharaktere abgeschieden werden müssen, sind die vielen Fälle beweisend, in denen die äußeren Geschlechtsteile etwa weiblich, die Geschlechtsdrüsen selbst immer noch männlich sind. Vgl. z. B. Andrew Clark, A case of spurious hermaphroditism (hypospadia and undescended testis in a subject who has been brought up as female and married fort sixteen years), Middlesex Hospital, The Lancet, 12. März 1898, p. 718 f. – L. Siebourg, Ein Fall von Pseudo-Hermaphroditismus masculinus completus, Deutsche medizinische Wochenschrift, 9. Juni 1898, S. 367-368.

(S. 17, Z. 19 f.) Die Lehre von der »inneren Sekretion« im allgemeinen stammt nicht, wie man jetzt überall angegeben findet, von Brown-Séquard, der sie nur auf die Keimdrüse als erster angewendet hat, sondern von Claude Bernard, nachdem schon bei C.  Legallois im Jahre 1801 eine dunkle Ahnung der Sache zu finden ist, worüber man Näheres aus der Année biologique, Vol.  I, p. 315 f., erfährt. Vgl. Bernard, Nouvelle fonction du foie considéré comme organe producteur de matière sucrée chez l'homme et les animaux, Paris, Baillière, 1853, p. 58 und 71 f. Ferner Leçons de physiologie expérimentale, Vol. I, Paris 1855, aus der folgende Stellen wörtlich angeführt seien: »On s'est fait pendant longtemps une très fausse idée de ce qu'est un organe sécréteur. On pensait que toute sécrétion devait être versée sur une surface interne ou externe, et que tout organe sécrétoire devait nécessairement être pourvu d'un conduit excréteur destiné à porter au dehors les produits de la sécrétion. L'histoire du foie établit maintenant d'une manière très-nette qu'il y a des sécretions internes, c'est-à-dire des sécrétions dont le produit, au lieu d'être déversé à l'extérieur, est transmis directement dans le sang« (p. 96). – »Il doit être maintenant bien établi qu'il y a dans le foie deux fonctions de la nature de sécrétions. L'une, sécrétion externe, produit la bile qui s'écoule au dehors; l'autre, sécrétion interne, forme le sucre qui entre immédiatement dans le sang de la circulation générale« (p. 107). – Ferner (Rapport sur les progrès et la marche de la physiologie générale en France, Paris 1867, p. 73): »La cellule sécrétoire crée et élabore en elle-même le produit de sécrétion qu'elle verse soit au dehors sur les surfaces muqueuses, soit directement dans la masse du sang. J'ai appelé sécrétions externes celles qui s'écoulent en dehors, et sécrétions internes celles qui sont versées dans le milieu organique intérieur.« (p. 79:) »Les sécrétions internes sont beaucoup moins connues que les sécrétions externes. Elles ont été plus ou moins vaguement soupçonnées, mais elles ne sont point encore généralement admises. Cependant, selon moi, elles ne sauraient être douteuses, et je pense que le sang, ou autrement dit le milieu intérieur organique, doit être regardé comme un produit des glandes vasculaires internes.« (p. 84:) »Le foie glycogénique forme une grosse glande sanguine, c'est-à-dire une glande qui n'a pas de conduit excréteur extérieur. Il donne naissance aux produits sucrés du sang, peut-être aussi à d'autres produits albuminoïdes. Mais il existe beaucoup d'autres glandes sanguines, telle que la rate, le corps thyroïde, les capsules surrénales, les glandes lymphatiques, dont les fonctions sont encore aujourd'hui indéterminées; cependant on regarde généralement ces organes comme concourant à la régéneration du plasma et du sang, ainsi qu'à la formation des globules blancs et des globules rouges qui nagent dans ce liquide.« Danach ist die sehr allgemeine Angabe, Brown-Séquard sei der Begründer der Lehre von den Funktionen der Drüsen ohne Ausführungsgänge, wie sie sich z. B. in Bunges »Physiologischer Chemie« (Lehrbuch der Physiologie des Menschen, Leipzig 1901, Bd. II, S. 545), bei Chrobak und Rosthorn (Die Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, I. Teil, Wien 1896/1900, S. 388), bei Ernst Ziegler (Lehrbuch der allgemeinen und speziellen pathologischen Anatomie, I 9, 1898, S. 80), Oskar Hertwig (Die Zelle und die Gewebe, Bd. II, 1898, S. 167) oder H.  Boruttau (Kurzes Lehrbuch der Physiologie, Leipzig und Wien 1898, S. 138) findet, zu korrigieren.

Brown-Séquard selbst (Effets physiologiques d'un liquide extrait des glandes sexuelles et surtout des testicules, Comptes rendus hebdomadaires des Séances de l'Académie des Sciences, Paris, 30. Mai 1892, p. 1237 f.) sagt: »Déjà en 1869, dans un cours à la Faculté de Médecine de Paris, j'avais émis l'idée que les glandes ont des sécrétions internes et fournissent au sang des principes utiles sinon essentiels.« Die Priorität gebührt demnach ohne Zweifel Bernard; nur die Anwendung auf die Keimdrüsen ist Brown-Séquards alleiniges Verdienst: »Je croyais, dès alors, que la faiblesse chez les vieillards dépend non seulement de l'état sénile des organes, mais aussi de ce que les glandes sexuelles ne donnent plus au sang des principes qui, à l'âge adulte, contribuent largement à maintenir la vigueur propre à cet âge. Il était donc tout naturel de songer à trouver un moyen de donner au sang de vieillards affaiblis les principes que les glandes sexuelles ne lui fournissent plus. C'est ce qui m'a conduit à proposer l'emploi d'injections sous-cutanées d'un liquide extrait de ces glandes.« Die erste Veröffentlichung Brown-Séquards über dieses Thema ist die in den »Comptes rendus hebdomadaires des séances et mémoires de la Société de Biologie«, Tome 41, 1889, p. 415-419 enthaltene (datiert vom 1. Juni 1889).

Als Gegner der Lehre von der inneren Sekretion, speziell der Keimdrüsen, sind zu nennen: Konrad Rieger in seiner Schrift über die Kastration (Jena 1900, S. 71; ihn erinnert sie an die Theorien der mittelalterlichen Mönche über die Folgen des »semen retentum«) und A. W.  Johnston, Internal Secretion of the Ovary, 25. Annual. Meeting of the American Gynaecological Society, vgl. British Gyn. Journal, Part 62, August 1900, S. 63. Unentschieden lassen die Frage, ob die Erscheinungen nach Kastration und Involution der Keimdrüsen, nach der Pubertät und in der Gravidität, soweit sie von den Genitalien ihren Ursprung nehmen, auf nervösem Wege oder durch das Blut vermittelt werden, Ziegler, Patholog. Anatomie, I 9, S. 80, und O.  Hertwig, Zelle und Gewebe, II, 162. Der letzte sagt: »Wenn auf der einen Seite der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Geschlechtsdrüsen und der sekundären Sexualcharaktere nicht in Abrede gestellt werden kann, so fehlt uns auf der anderen Seite doch das tiefere Verständnis dafür. Wird die Korrelation zwischen den Organen, welche funktionell direkt nichts miteinander zu tun haben, durch das Nervensystem vermittelt, oder sind es vielleicht besondere Substanzen, welche vom Hoden oder Eierstock abgesondert werden, in den Blutstrom geraten und so die weit abgelegenen Körperteile zu korrelativem Wachstum veranlassen? Zu einem Entscheid der aufgeworfenen Alternative fehlt es noch an jeder experimentellen Unterlage.«

Der letzte Satz war wohl schon zu der Zeit, da Hertwig ihn schrieb (1898), nicht mehr ganz richtig. Fr.  Goltz und A.  Freusberg hatten 1874 (»Über den Einfluß des Nervensystems auf die Vorgänge während der Schwangerschaft und des Gebäraktes«, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie, IX, 552-565) von folgendem zu berichten (S. 557): »Eine Hündin mit vollständiger Trennung des Rückenmarkes in der Höhe des ersten Lendenwirbels ist brünstig geworden, hat empfangen und ein lebensfähiges Junges ohne Kunsthilfe geboren. Bei und nach diesen Vorgängen hat das Tier alle die damit verbundenen Naturtriebe (Instinkte) entfaltet ebenso wie ein unversehrtes Geschöpf« (d. h. die Milchdrüsen füllten sich und das Junge wurde mit größter Zärtlichkeit behandelt. Man vgl. auch Brücke, Vorlesungen über Physiologie, II 3, Wien 1884, S. 126 f.). Goltz selbst kam schon damals zu folgendem Schlusse (S. 559): »Es scheint mir ... äußerst fraglich, ob überhaupt der Zusammenhang zwischen Gebärmutter und Milchdrüsen durch Beteiligung des Nervensystems zu denken ist. Mir sagt auch in diesem Falle der Gedanke mehr zu, daß das Blut diesen Zusammenhang vermittelt.« Er erinnert daselbst auch an die Ausfallserscheinungen nach der Kastration. In ihrer berühmter gewordenen Arbeit »Der Hund mit verkürztem Rückenmark« (Pflügers Archiv, 63, 362-400) sind Fr.  Goltz und J. R.  Ewald 22 Jahre nach jener Untersuchung nochmals auf das Thema zurückgekommen (vgl. in dieser Abhandlung S. 385 f.).

Der hauptsächlichste Beweis, daß keine nervöse Vermittlung vorliegt, ist, wie ich meine, darin zu erblicken, daß einseitige Kastration, also Exstirpation bloß eines Ovars oder Testikels, an der Entwicklung der sekundären Geschlechtscharaktere nicht das Geringste ändert. Den Einfluß jeder Keimdrüse hätte man aber, wenn ein solcher auf nervösem Wege sich vollzieht, als stets auf eine Hemisphäre des Körpers stärker sich erstreckend vorzustellen, ja eine halbseitige Kastration wäre, zunächst wenigstens, nur für eine Körperhälfte als entscheidend anzunehmen. Mit Ausnahme einer einzigen Angabe aber, der Rieger, Die Kastration, S. 24, mit Recht als Jägerlatein mißtraut (es ist die in Brehms Säugetieren, Leipzig und Wien 1891, III 3, 430: »Einseitig verschnittene Hirsche setzen bloß an der unversehrten Seite noch auf«), hat nirgends etwas Ähnliches verlautet: halbseitig verschnittene Tiere sind wie gar nicht verschnittene. So schon Berthold, Nachrichten von der Universität und Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, 1849, Nr. 1, S. 1-6. Vgl. z. B. Chrobak-Rosthorn, Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, 1/2, S. 371 f.: »Sokoloff Über den Einfluß der Ovarienexstirpation auf Strukturveränderungen des Uterus. Archiv für Gynäkologie, 51, 1896, 286 ff. operierte an Hunden, verfolgte die Veränderungen sowohl bei einseitiger als auch bei doppelseitiger Kastration. Bei ersterer trat die Brunst wie normal ein, bei letzterer blieb sie regelmäßig weg. Einseitige Kastration bei jungen Tieren läßt das Wachstum beider Gebärmutterhälften fortdauern. Schon 1½ Monate nach zweiseitiger Kastration war eine ausgesprochene Atrophie der zirkulären Muskelschichte aufgetreten.«

Diesen Beweis halte ich darum für stringenter selbst als die Transplantationsversuche (auf Grund deren J.  Halban, Über den Einfluß der Ovarien auf die Entwicklung des Genitales, Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, XII, 1900, 496-506, besonders S. 505, A.  Foges, Zur Lehre von den sekundären Geschlechtscharakteren, Pflügers Archiv, XCIII, 1902, 39 ff., Emil Knauer, Die Ovarientransplantation, experimentelle Studie, Archiv für Gynäkologie, LX, 1900, besonders S. 352-359, mit so viel Recht für die innere Sekretion sich entscheiden), weil diesen gegenüber als letzter noch immer der Einwand möglich wäre, daß vermittelnde nervöse Bahnen in das transplantierte Gewebe zugleich mit dessen Vaskularisierung eingezogen seien.

(S. 17, Z. 16 v. u. ff.) Einen anderen Begriff von tertiären Sexualcharakteren hat Havelock Ellis aufgestellt, Mann und Weib, S. 24: »... So haben wir z. B. die verhältnismäßig größere Flachheit des Schädels, die größere Aktivität und Ausdehnung der Schilddrüse und die geringere Durchschnittsmenge der roten Blutkörperchen beim Weibe. Diese Differenzen hängen wahrscheinlich indirekt mit primären und sekundären sexuellen Charakteren zusammen. Vom zoologischen Standpunkt aus sind sie kaum von Interesse, dagegen vom anthropologischen und gelegentlich auch vom pathologischen und sozialen Standpunkt aus höchst bemerkenswert. In dieselbe Gruppe mit den sekundären sexuellen Charakteren lassen sie sich keinesfalls einreihen, und wir tun wohl am besten, sie zu einer neuen Gruppe zusammenzufassen und als ›tertiäre sexuelle Charaktere‹ zu bezeichnen.« Ellis bemerkt selbst, daß »sich wegen der Tendenz dieser Merkmale, ineinander überzugehen, diese Teilung schwer durchführen läßt«. Aber nicht nur der theoretische, auch der praktische Wert dieser Gliederung scheint mir geringer als der Wert der im Texte vorgeschlagenen Einteilung, nach welcher als primordiale Geschlechtscharaktere die allgemein-biologischen, als primäre die im engeren Sinne anatomischen, als sekundäre die im engeren Sinne physiognomischen, als tertiäre die psychologischen und als quartäre die sozialen Unterschiede der Geschlechter bezeichnet werden.

(S. 18, Z. 9 ff.) Die Annahme dünkt mich sehr wahrscheinlich, daß gleichzeitig mit jeder äußeren eine innere Sekretion vor sich geht, also auch die letztere keine kontinuierliche, sondern eine intermittierende Funktion sei. Denn der Bartwuchs z. B. ist nicht gleichmäßig, sondern er erfolgt schubweise, stoßweise. Als Erklärung hiefür scheint eine interrupte innere Sekretion am nächsten zu liegen.

(S. 18, Z. 13 v. u.) Der Ausdruck »Komplementärbedingung« nach Richard Avenarius, Kritik der reinen Erfahrung, Bd. I, Leipzig 1888, S. 29.

(S. 19, Z. 3-20.) Über das Idioplasma vgl. C. v. Naegeli, Mechanisch-Physiologische Theorie der Abstammungslehre, 1884. Der Begriff wird dort, in einer von seiner Entwicklung im Texte etwas abweichenden Weise, eingeführt auf S. 23. Es heißt dann weiter: »Jede wahrnehmbare Eigenschaft ist als Anlage im Idioplasma vorhanden, es gibt daher so viele Arten von Idioplasma, als es Kombinationen von Eigenschaften gibt. Jedes Individuum ist aus einem etwas anders gearteten Idioplasma hervorgegangen, und in dem nämlichen Individuum verdankt jedes Organ und jeder Organteil seine Entstehung einer eigentümlichen Modifikation oder eher einem eigentümlichen Zustande des Idioplasmas. Das Idioplasma, welches wenigstens in einer bestimmten Entwicklungsperiode durch alle Teile des Organismus verteilt ist, hat also an jedem Punkte etwas andere Eigenschaften, indem es beispielsweise bald einen Ast, bald eine Blüte, eine Wurzel, ein grünes Blatt, ein Blumenblatt, ein Staubgefäß, eine Fruchtanlage, ein Haar, einen Stachel bildet.« Am wichtigsten ist für das hier in Betracht kommende die Stelle S. 32 f.: »Jede beliebige Zelle muß davon [vom Idioplasma] eine gewisse Menge enthalten, weil dadurch die ererbte Tätigkeit bedingt wird.« Ferner S. 531: »Jede Ontogenie ... beginnt mit einem winzigen Keim, in welchem eine kleine Menge von Idioplasma enthalten ist. Dieses Idioplasma zerfällt, indem es sich fortwährend in entsprechendem Maße vermehrt, bei den Zellteilungen, durch welche der Organismus wächst, in ebenso viele Partien, die den einzelnen Zellen zukommen, ... Jede Zelle des Organismus ist idioplasmatisch befähigt, zum Keim für ein neues Individuum zu werden. Ob diese Befähigung sich verwirklichen könne, hängt von der Beschaffenheit des Ernährungsplasmas ab. Das Vermögen hiezu kommt bei niederen Pflanzen jeder einzelnen Zelle zu; bei den höheren Pflanzen haben es manche Zellen verloren; im Tierreiche besitzen es im allgemeinen nur die zu ungeschlechtlichen oder geschlechtlichen Keimen normal bestimmten Zellen.« – Hugo de Vries: in seinem Buche: Intracellulare Pangenesis, Jena 1889, S. 55-60, 75 ff., 92 ff., 101 ff. und besonders S. 120. Oskar Hertwig, Die Zelle und die Gewebe, Grundzüge der allgemeinen Anatomie und Physiologie. (Diesem Buche verdanke ich in biologischer Hinsicht ganz allgemein neben Darwins »Variieren« die reichste Belehrung.) Hertwig begründet die Theorie im ersten Bande (Jena 1893), S. 277 ff.: »Wenn man das Moospflänzchen Funaria hygrometrica zu einem feinen Brei zerhackt, so läßt sich auf feuchter Erde aus jedem kleinsten Fragment wieder ein ganzes Moospflänzchen züchten. Die Süßwasserhydra läßt sich in kleine Stückchen zerschneiden, von denen sich jedes wieder zu einer ganzen Hydra mit allen ihren Eigenschaften umbildet. Bei einem Baum können sich an den verschiedensten Stellen durch Wucherung vegetativer Zellen Knospen bilden, die zu einem Sproß auswachsen, der, vom Ganzen abgetrennt und in Erde verpflanzt, sich bewurzelt und zu einem vollständigen Baum wird. Bei Zölenteraten, manchen Würmern und Tunikaten ist die ungeschlechtliche Vermehrung auf vegetativem Wege eine ähnliche, da fast an jeder Stelle des Körpers eine Knospe entstehen und zu einem neuen Individuum werden kann ... Ein abgeschnittener und ins Wasser gestellter Weidenzweig entwickelt wurzelbildende Zellen an seinem unteren Ende, und so wird hier von Zellen, die im Plane des ursprünglichen Ganzen eine sehr abweichende Funktion zu erfüllen hatten, eine den neuen Bedingungen entsprechende Aufgabe übernommen, ein Beweis, daß die Anlage dazu in ihnen gegeben war. Und so können sich umgekehrt auch aus abgeschnittenen Wurzeln Laubsprosse bilden, die dann zu ihrer Zeit selbst männliche und weibliche Geschlechtsprodukte hervorbringen. In diesem Falle stammen also direkt aus Zellbestandteilen einer Wurzel Geschlechtszellen ab, die als solche wieder zur Reproduktion des Ganzen dienen ... Die Botaniker hängen zum größten Teile der Lehre an, die kürzlich de Vries gegen Weismann verteidigt und in den Satz zusammengefaßt hat, daß alle oder doch weitaus die meisten Zellen des Pflanzenkörpers die sämtlichen erblichen Eigenschaften der Art im latenten Zustand enthalten. Dasselbe läßt sich auf Grund von Tatsachen von niedrigen tierischen Organismen sagen. Für höhere Tiere kann man den Beweis allerdings nicht führen; deswegen ist man aber nicht zu der Folgerung gezwungen, daß die Zellen der höheren und niederen Organismen insofern verschieden wären, als die letzteren alle Eigenschaften der Art im latenten Zustand, also die Gesamtheit der Erbmasse, die ersteren dagegen nur noch Teile von ihr enthielten.« – Als der heftigste Gegner der Idioplasmalehre ist August Weismann aufgetreten in seiner Schrift: Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung, 1885 (Aufsätze über Vererbung und verwandte biologische Fragen, Jena 1892, S. 215 ff.). Weismanns Hauptargument (S. 237): »Ehe nicht erwiesen wird, daß ›somatisches‹ Idioplasma überhaupt rückverwandelt werden kann in Keimidioplasma, haben wir kein Recht, aus einer von ihnen [den somatischen Zellen] Keimzellen entstehen zu lassen«, dürfte vor den genauen Untersuchungen von Friedrich Miescher (Die histochemischen und physiologischen Arbeiten von F. M., Leipzig 1897, Bd. II, S. 116 ff.) über die Entwicklung der Keimdrüsen der Lachse auf Kosten ihres großen Seitenrumpfmuskels nicht mehr haltbar sein. Vgl. übrigens die vernichtende Kritik, welche an den überaus künstlichen Theorien Weismanns von Kassowitz, Allgemeine Biologie, Bd. II, Wien 1900, geübt worden ist, auf die Weismann, wohl ihres überscharfen Tones halber, nicht geantwortet hat.

Für die Idioplasmalehre zeugen vollends Untersuchungen wie die von Paul Jensen, Über individuelle physiologische Unterschiede zwischen Zellen der gleichen Art (Pflügers Archiv, LXII, 1896, 172 bis 200). Es heißt da z. B. (S. 191): »Wenn ein Foraminifer durch abgetrennte eigene Pseudopodien niemals, dagegen stets durch abgeschnittene Pseudopodien eines anderen Individuums kontrektatorisch erregt wird, so muß das Protoplasma des ersteren sich von dem der letzteren in bestimmter Weise unterscheiden, oder allgemein ausgedrückt: das Protoplasma verschiedener Individuen muß physiologisch verschieden sein. Welcher Art aber ist diese Verschiedenheit und welcher Art der Reiz, der ihr entspringt? Wir werden nicht umhin können, Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung der Protoplasmen verschiedener Individuen anzunehmen.« – Über die Regenerationsfähigkeit (auch niederer Tiere) vgl. Hermann Vöchting, Über die Regeneration der Marchantieen, Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik, Bd. XVI, 1885, S. 367-414. Über Organbildung im Pflanzenreich, Physiologische Untersuchungen über Wachstumsursachen und Lebenseinheiten, Teil I, Bonn 1878, S. 236-240, besonders S. 251-253. – Jacques Loeb, Untersuchungen zur physiologischen Morphologie der Tiere, II. Organbildung und Wachstum, Würzburg 1892, S. 34 ff. (über Regeneration bei Ciona intestinalis).

(S. 19, Z. 3 v. u. ff.) Wenn jede Zelle, also auch jede Nervenzelle männlich oder weiblich (in bestimmtem Grade) ist, so entfällt auch der letzte Anlaß zur Annahme eines »psychosexuellen Zentrums« für den Geschlechtstrieb im Gehirn, wie es besonders Krafft-Ebing (Psychopathia sexualis, 11. Aufl., S. 248, Anm. 1) und seine Schüler, ferner (nach ihm) Taruffi, Hermaphrodismus und Zeugungsunfähigkeit, übersetzt von R. Teuscher, Berlin 1903, S. 190, ungeachtet der in der Anmerkung zu S. 17, Z. 19 zitierten Experimente von Goltz, postuliert haben.

(S. 20, Z. 12 v. u.) Wilhelm Caspari, Einiges über Hermaphroditen bei Schmetterlingen, Jahrbücher des nassauischen Vereines für Naturkunde, 48. Jahrgang, S. 171-173 (Referat von P.  Marchal, Année biologique, I. 288), berichtet, wie zuweilen die eine seitliche Hälfte eines Schmetterlings vollständig männlich und die andere vollständig weiblich ist. Bei Saturnia pavonia, einem Pfauenauge, ist der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Färbung sehr groß und daher bei Hermaphroditen in dieser Art der Kontrast zwischen rechter und linker Körperhälfte höchst auffallend. – Richard Hertwig, Lehrbuch der Zoologie 5, 1900, S. 99 über diesen »Hermaphroditismus lateralis« und jene hermaphroditischen Formen bei Schmetterlingen wie Ocneria dispar (einem Spinner), dessen männliche Hälfte die besondere Gestalt der männlichen Fühler, Augen und Flügel trägt, und sich durch sie wesentlich von der weiblichen Hälfte unterscheidet.

(S. 21, Z. 15 v. u. ff.) Aristoteles sagt (Histor. Anim. 5, 14, 545, a 21): εἰς τὸ ϑῆλυ γὰρ μεταβάλλει τὰ ἐϰτεμνόμενα . (9, 50, 632, a 4:) μεταβάλλει δὲ ϰαὶ ἡ φωνὴ ἐπι τῶν ἐϰτεμνομένων ἁπάντων εἰς τὸ ϑῆλυ. Die falschen Angaben über regelmäßige Verweiblichung des entmannten Tieres rühren in der neuesten Zeit hauptsächlich von William Yarrell her (On the influence of the sexual organ in modifying external character, Journal of the Proceedings of the Linnean Society, Zool. Vol. I, 1857, p. 81), und sind ihm (mit oder ohne Berufung auf ihn) oft nachgesprochen worden, z. B. von Darwin, Das Variieren etc., II², 59: »Der Kapaun fängt an, sich auf Eier zu setzen und brütet Hühnchen aus«; von Weismann, Keimplasma, S. 469 f.: »Bei ausgebildeten Individuen des einen Geschlechtes können unter besonderen Umständen die sekundären Sexualcharaktere des anderen Geschlechtes zur nachträglichen Ausbildung gelangen. Dahin gehören vor allem die Folgen der Kastration bei beiden Geschlechtern.« Ebenso von Moll, Die konträre Sexualempfindung, 3. Aufl., Berlin 1899, S. 170, Anm. 1. Gegen diese Theorien hat sich namentlich Rieger gewendet (Die Kastration, S. 33 f.), ferner Hugo Sellheim (Zur Lehre von den sekundären Geschlechtscharakteren, Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie, herausgegeben von A. Hegar, Bd. I, 1898, S. 229-255): »In keiner Weise konnten wir [bei den Kapaunen] einen Umschlag, eine Entwicklung von Mutterliebe konstatieren, die sich in einer Fürsorge für die beigegebenen Küchlein ausgesprochen hätte« (S. 234). »Von einer aktiven Annäherung an das weibliche Tier, wie sie von mancher Seite bei den durch die Entfernung der Hoden bedingten Veränderungen angenommen wird, ist bei dem Kastratenkehlkopf nichts zu merken« (S. 241). Schließlich hat Arthur Foges (Zur Lehre von den sekundären Geschlechtscharakteren, Pflügers Archiv, Bd. XCIII, 1902, S. 39-58) Sellheims Befunde bestätigt und die ältere Ansicht nochmals zurückgewiesen (S. 53). Die letzten Autoren gehen aber wohl zu weit, indem sie die Verweiblichung für ausgeschlossen zu halten scheinen; sie ist zwar keine notwendige Folge der Kastration, da sie jedoch gänzlich ohne dieselbe eintreten kann (vgl. S. 24, Z. 1-8 und die Anmerkung zu dieser Stelle), so wird durch Kastration ihre Möglichkeit in vielen Fällen wohl noch erleichtert werden.

(S. 22, Z. 4 f.) Über die Annahme männlicher Charaktere durch die Frauen, respektive Weibchen, nach dem Aufhören der Geschlechtsreife, respektive der Menopause, vgl. vor allem die ausführliche Abhandlung von Alexander Brandt, Anatomisches und Allgemeines über die sogenannte Hahnenfedrigkeit und über anderweitige Geschlechtsanomalien bei Vögeln, Zeitschr. f. wiss. Zool. 48, 1889, S. 101-190. – Die erste Angabe über Hahnenfedrigkeit bei Aristoteles, Histor. Animal. 9, 49, 631 b, 7 ff. – Im XIX. Jahrhundert handeln von ihr vornehmlich William Yarrell, On the change in the plumage of some hen-pheasants, Philosophical Transactions of the Royal Society of London, 10. Mai 1827 (Part. II, p. 268-275); Darwin, Das Variieren, II 2, 58 f.; Oskar Hertwig, Die Zelle und die Gewebe, Bd. II, Jena 1898, S. 162. – Hieher gehört vielleicht der interessante Fall von Hypertrichosis, den Chrobak und Rosthorn, Die Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, Teil I, S. 388, nach Virchow erzählen, »in welchem es sich um eine junge Frau handelte, die während der Menstruation an akutem Magen- und Darmkatarrh erkrankte, später amenorrhoisch wurde, und bei welcher sich während der Dauer des Ausbleibens der Regel der ganze Körper mit schwarzen wachsenden Haaren bedeckte«.

(S. 22, Z. 10 f.) Ricken: nach Brehms Tierleben, 3. Aufl. von Pechuel-Loesche, Säugetiere, Bd. III, 1891, S. 495: »Auch sehr alte Ricken erhalten bisweilen einen kurzen Stirnzapfen und setzen schwache Gehörne auf ... Von einem derartigen Geweih teilt mir Block mit, daß es aus zwei gegen 5 cm langen Stangen bestand und selbst einen alten Weidmann täuschen konnte, welcher die Ricke als Bock ansprach und erlegte.«

(S. 22, Z. 14 ff.) Vgl. Paul Mayer, Karzinologische Mitteilungen, Mitteilungen a. d. zool. Station zu Neapel, I, 1879, VI: Über den Hermaphroditismus bei einigen Isopoden, S. 165-179. Von Vertretern der Gattungen Cymothoa, Anilocra und Nerocila ist durch Mayer sichergestellt, daß dieselben Individuen in ihrer Jugend als Männchen fungieren, bei denen nach einer späteren Häutung die ursprünglich zwar vorhandenen, aber nicht funktionsfähigen Eierstöcke die männlichen Keimdrüsen zurückdrängen, so daß die Tiere nun die Rolle von Weibchen ausfüllen. – Der Ausdruck »Protandrie« (nach dem Muster der Botanik; vgl. Nolls Physiologie in Strasburgers Lehrbuch der Botanik, 3. Aufl., 1898, S. 250) wird auch von Mayer, S. 177, für diese Erscheinung gebraucht. Vgl. Cesare Lombroso und Guglielmo Ferrero, Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, übersetzt von Hans Kurella, Hamburg 1894, S. 3. Übrigens hat L.  Cuénot bei gewissen Seesternen ganz die gleiche Erscheinung nachweisen können: Notes sur les Echinodermes, III: »L'hermaphrodisme protandrique d'Asterina gibbosa Penn. et ses variations suivant les localités« (Zoologischer Anzeiger, XXI/1, 1898, S. 273-279). Er kommt zu dem Ergebnis (S. 275): »L'hermaphrodisme protandrique est donc ici indiscutable: les Asterina sont fonctionnellement mâles ... puis, elles deviennent exclusivement femelles pour le reste de leur existence.«

(S. 22, Z. 14 v. u. ff.) Über Fälle von sexueller Umwandlung wird auch sonst sporadisch berichtet. Z. B. von L. Janson, Über scheinbare Geschlechtsmetamorphose bei Hühnern, Mitteilungen d. deutsch. Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Heft 60, S. 478-480. – Kob, De mutatione sexus, Berlin 1823. – Anekdotenhafte Fälle sind bei Taruffi, Hermaphrodismus und Zeugungsunfähigkeit, Berlin 1903, S. 296, 307 f., 364 f., aus einer Literatur von sehr ungleicher Zuverlässigkeit gesammelt. – »Man hat eine zehn Jahre alte Ente gekannt, welche sowohl das vollständige Winter- als Sommergefieder des Enterichs annahm.« Darwin, Das Variieren etc., II 2, S. 58. Vgl. Moll, Untersuchungen über die Libido sexualis, I, S. 444. – R. v.  Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis mit besonderer Berücksichtigung der konträren Sexualempfindung, eine klinisch-forensische Studie, 8. Aufl., Stuttgart 1893, erwähnt S. 198 f. verschiedene höchst merkwürdige Fälle von Männern, die im Laufe ihres Lebens eine vollständige Umwandlung zum Weibe erfahren haben; besonders kommt in Betracht jene Autobiographie eines Arztes (S. 203 ff.) als Beispiel einer Umwandlung, die, wie Krafft-Ebing S. 215 selbst zugeben muß, durchaus ohne paranoischen Wahn ist, obwohl er auch jenen Fall auf S. 203 unter der Überschrift »Metamorphosis sexualis paranoica« einführt.

(S. 23, Z. 15.) Die hier erwähnten Versuche sind die von Emil Knauer (Die Ovarientransplantation, Experimentelle Studie, Archiv für Gynäkologie, Bd. LX, 1900, S. 322-376) ausgeführten. Nur in zwei von dreizehn Fällen mißlang die Transplantation nicht (ibid., S. 371). »Mit Rücksicht auf diese beiden letzten, positiven Erfolge glaube ich behaupten zu können, daß die Überpflanzung der Eierstöcke von einem auf ein zweites Tier ebenfalls möglich sei.« (S. 372.) Foges, der unter Kenntnis von Knauers Erfolgen denselben Versuch wiederholte, ist die Vertauschung nie gelungen (Pflügers Archiv, Bd. XCIII, 1902, S. 93), ebensowenig wie Knauers von ihm selbst, S. 373 f., zitierten Vorgängern. Als Grund ist wohl (neben etwaigen Schwankungen in der Vollkommenheit der technischen Ausführung) der im Text vermutete zu betrachten. – Über den guten Erfolg der Transplantation innerhalb des Tieres vgl. Knauer S. 339 ff.

(S. 23, Z. 9 v. u. ff.) Über die heute ihrer Gefahren wegen freilich fast außer Gebrauch gekommene Bluttransfusion vgl. L. Landois, Artikel »Transfusion« in Eulenburgs Realenzyklopädie der gesamten Heilkunde, 2. Aufl., Bd. XX, 1890, welcher für, und Ernst v. Bergmann, Die Schicksale der Transfusion im letzten Dezennium, Berlin 1883, sowie A. Landerer, Über Transfusion und Infusion, Virchows Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und klinische Medizin, Bd. CV, 1886, S. 351-372, die beide gegen die Transfusion sich einsetzen.

(S. 24, Z. 13 ff.) Über die »Organsafttherapie« unterrichtet am ausführlichsten der, ihrem Prinzipe freilich äußerst gewogene, gleichlautende Artikel von Georg Buschan in Eulenburgs Realenzyklopädie, 3. Aufl., Bd. XVIII (1898), S. 22-82.

(S. 25, Z. 14.) Nach Foges, Zur Lehre von den sekundären Geschlechtscharakteren, Pflügers Archiv, Bd. XCIII, 1902 (S. 57), wäre freilich die Quantität der ins Blut sezernierten Keimdrüsenstoffe von der größten Bedeutung; denn daß die vollständige Erhaltung des normalen Sexualcharakters durch Hodentransplantation bei seinen Versuchstieren nicht gelang, führt er darauf zurück, daß eine im Verhältnis zur Größe des normalen Hodens nur ganz kleine Menge Hodengewebes zur Anheilung kam.

(S. 25, Z. 16 ff.) Nach Buschan (a. a. O. S. 32) tut eine Reihe von Versuchen, die von Ferré und Bechasi (Note préliminaire sur l'étude de l'action du suc Ovarien sur le cobaye, Gazette hebdomadaire, XLIV, 1897, Nr. 50) in dem physiologischen Laboratorium der Universität Rom angestellt worden sind, deutlich dar, »daß die Wirkung dieser [der Organ-] Präparate auf das männliche Geschlecht eine ganz andere als auf das weibliche ist. Spritzten diese Beobachter von einem Ovarialextrakt ... 5 cm 3 einem weiblichen Meerschweinchen ein, dann trat weder eine lokale noch eine allgemeine Reaktion auf, nur das Körpergewicht erfuhr eine Zunahme; wurde die gleiche Menge einem männlichen Tiere injiziert, dann stellten sich ebenfalls keine lokalen noch Allgemeinerscheinungen, wohl aber Abmagerung ein. Bei Injektion von 10 cm 3 war beim weiblichen Tier die lokale Reaktion nur ganz gering, Allgemeinreaktion war nicht vorhanden und die Gewichtszunahme eine bedeutende; beim männlichen Tier dagegen die lokale Reizung schon ganz beträchtlich, ferner stellte sich eine vorübergehende Temperatursteigerung ein, und die Gewichtsabnahme war noch stärker ausgeprägt. Wenn endlich 15 cm 3 injiziert wurden, dann blieb die lokale Reaktion beim Weibchen eine nur schwache, beim Männchen hingegen nahm sie eine noch bedeutendere Höhe an; bei ersterem trat gleichfalls eine Temperatursteigerung um einige Dezigrade während des Injektionstages, bei letzterem hingegen eine sehr deutliche Hypothermie mit nervösem Zittern und intensiver Depression ein; außerdem erfuhr das männliche Meerschweinchen eine sehr beträchtliche Abnahme seines Gewichtes und starb schließlich innerhalb vier bis sechs Tagen«.

(S. 25, Z. 14 v. u. ff.) Es dürfte dies für verschiedene Organismen verschieden sein. Z. B. bemerken gegenüber anderslautenden Aussagen von Born und Pflüger die Hertwigs auf S. 43 ihrer »Experimentellen Untersuchungen über die Bedingungen der Bastardbefruchtung« ( Oskar und Richard Hertwig, Untersuchungen zur Morphologie und Physiologie der Zelle, 4. Heft, Jena 1885): »Selbst bei den stärksten Vergrößerungen ist es uns nicht möglich gewesen, zwischen den reifen Samenfäden eines Sphaerechinus oder Strongylocentrotus oder einer Arbacia Unterschiede in Form und Größe zu entdecken.« Dagegen setzt L. Weill, Über die kinetische Korrelation zwischen den beiden Generationszellen, Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, Bd. XI, 1901, S. 222-224, die Existenz individueller Unterschiede auch zwischen den Spermatozoiden und Eizellen derselben Tiere voraus. – Daß übrigens die Dimensionen der Eier sicherlich schwanken, ist aus den Maßzahlen zu ersehen, die Karl Schulin, Zur Morphologie des Ovariums, Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. XIX, 1881, S. 472 f., und W.  Nagel, Das menschliche Ei, ibid., Bd. XXXI, 1888, S. 397, 399, angeben.

(S. 25, Z. 8 v. u. ff.) Über die Geschwindigkeit der Spermatozoiden vgl. Chrobak-Rosthorn, I/2, S. 441.

(S. 25, Z. 5 v. u. ff.) Purser, The British Medical Journal, 1885, p. 1159 (nach Moll, Untersuchungen, I, S. 252), und besonders Franz Friedmann, Rudimentäre Eier im Hoden von Rana viridis, Archiv für mikroskopische Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. LII, 1898, S. 248-261 (mit vielen Literaturangaben, S. 261). Friedmanns Fall ist dadurch besonders interessant, daß sich in beiden Hoden (im einen fünf, im anderen zehn) wohl entwickelte Eier mit einem Durchmesser von 225-500 μ fanden, die sämtlich innerhalb der Samenkanälchen selbst und nicht erst zwischen den Hodenschläuchen lagen. Auch Pflüger, Über die das Geschlecht bestimmenden Ursachen und die Geschlechtsverhältnisse der Frösche, Archiv für die gesamte Physiologie, Bd. XXIX, 1882, S. 13-40, berichtet über die großen Graafschen Follikel, die er gegen sein Erwarten in den Hoden brauner Grasfrösche gefunden habe (S. 33). Seine Abhandlung spricht geradezu von Übergangsformen von Hode zu Eierstock. – Weitere Literaturausgaben bei Frank J.  Cole, A Case of Hermaphroditism in Rana temporaria, Anatomischer Anzeiger, 21.  September 1895, S. 104-112. G.  Loisel, Grenouille femelle présentant les caractères sexuels secondaires du mâle, Comptes rendus hebdomadaires des Séances et Mémoires de la Société de Biologie, LIII, 1901, p. 204-206. La Valette St. George, Zwitterbildung beim kleinen Wassermolch, Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. XLV (1895), S. 1-14.

(S. 27, Z. 4.) Einen freilich nicht weit geführten Anfang zu einer Theorie der sexuellen Zwischenformen hat der bekannte Gynäkologe A.  Hegar schon im Jahre 1877 gemacht (Über die Exstirpation normaler und nicht zu umfänglicher Tumoren degenerierter Eierstöcke, Zentralblatt für Gynäkologie, 10. November 1877, S. 297 bis 307; S. 305 heißt es): »Der Satz ›propter solum ovarium mulier est quod est‹ ist entschieden zu scharf gefaßt, wenn man denselben in dem Sinne auffaßt, daß von dem Eierstock ausschließlich der Anstoß zur Herstellung des eigentümlichen weiblichen Körpertypus und der speziellen weiblichen Geschlechtscharaktere gegeben werde. Schon Geoffroy-St.-Hilaire lehrte die Unabhängigkeit in der Entwicklung der einzelnen Abschnitte des Geschlechtsapparates, und Klebs hat in neuerer Zeit diese Lehre durch die Verhältnisse beim Hermaphroditismus motiviert. Jedenfalls ist es jedoch notwendig, auch selbst wenn man den Eierstock als wichtigstes Movens annimmt, noch weiter zurückzugehen und nach einem Moment zu suchen, welches bedingt, daß in dem einen Fall eine männliche, in dem anderen eine weibliche Keimdrüse zustande kommt. [Hier wurde als solches das Arrheno-, respektive Thelyplasma des ganzen Organismus angesehen.] ... Wir können hier für unsere Betrachtungen kurzweg von einem geschlechtsbedingenden Moment sprechen. Nehmen wir nun an, daß ursprünglich in jedem Individuum zwei geschlechtsbedingende Momente vorhanden sind, von denen das eine zum Manne, das andere zum Weibe führt, und nehmen wir ferner an, daß diese Momente nicht bloß die spezifische Keimdrüse, sondern gleichzeitig auch die anderen Geschlechtscharaktere herzustellen suchen, so erscheint uns eine genügende Erklärung für alle ... Tatsachen vorhanden zu sein. Die eine Bewegungsrichtung überwiegt für gewöhnlich so, daß nur ein spezifischer Typus geschaffen, während der andere verdrängt wird. Es kann dieses Übergewicht so bedeutend sein, daß, selbst bei Defekt oder rudimentärer Ausbildung der ihm zukommenden spezifischen Keimdrüse, doch die übrigen entsprechenden Geschlechtscharaktere hergestellt werden. [Disharmonie in der sexuellen Charakteristik der verschiedenen Teile eines Organismus.] In welcher Art jene Verdrängung stattfindet, ist freilich nicht leicht zu sagen. Wahrscheinlich spielen hier teilweise sehr einfache mechanische Vorgänge mit. [??] Das Bildungsmaterial wird aufgebraucht oder es bleibt einfach kein Platz, kein Raum mehr für die Entwicklung des andersartigen Organs. Einen analogen Vorgang finden wir ja bei Vögeln, bei denen der linke Eierstock durch sein kräftigeres Wachstum den rechten zur Atrophie bringt, gleichsam totdrückt ... Bei der zufälligen Schwäche der Bewegungsrichtung können leicht zufällige, selbst leichte Widerstände bedeutend einwirken. Es wird dann das andere geschlechtsbedingende Moment zur Geltung kommen, und wir sehen so ein Individuum entstehen, welches einen anderen Geschlechtstypus hat als denjenigen, welcher ihm seiner Keimdrüse nach zukommt. Meist sind freilich Gemische männlicher und weiblicher Eigenschaften in den mannigfachsten Kombinationen vorhanden bis zu jenen feinen Nuancen herab, bei denen wir von einem weibischen Manne und einem Mannweibe sprechen.«

(S. 28, Z. 15 f.) Maupas, Sur le déterminisme de la sexualité chez l'Hydatina senta, Comptes rendus hebdomadaires des Séances de l'Académie des Sciences, 14. September 1891, p. 388 f.: »Au début de l'ovogénèse, l'oeuf est encore neutre et, en agissant convenablement, on peut à ce moment lui faire prendre à volonté l'un ou l'autre caractère sexuel. L'agent modificateur est la température. L'abaisse-t-on, les jeunes oeufs qui vont se former revêtent l'état de pondeuses d'oeufs femelles; l'élève-t-on, au contraire, c'est l'état de pondeuses d'oeufs mâles qui se développe.«

(S. 28, Z. 18 v. u. f.) Vgl. M. Nußbaum, Die Entstehung des Geschlechtes bei Hydatina senta, Archiv für mikroskopische Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. XLIX (1897), 227-308, der S. 235 sagt: »Schon aus den von Plate angegebenen Maßen für männliche und weibliche Sommereier der Hydatina senta ergibt sich mit Notwendigkeit, daß man das Geschlecht nicht in allen Fällen aus der Größe der Eier vorhersagen kann. Man nehme an, daß sich aus den größten Eiern stets Weibchen und aus den kleinsten Männchen entwickeln. Zwischen diesen weit abstehenden Grenzen gibt es aber stufenweise Übergänge, von denen man nicht sagen kann, was aus ihnen werden wird ... Ein und dasselbe Weibchen legt Eier der verschiedensten Größe.«

(S. 28, Z. 17 v. u. f.) Die Ausdrücke »arrhenoid« und »thelyid« nach der zitierten Abhandlung Brandts (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd.  XLVIII, S. 102).

Zu Teil I, Kapitel 3

(S. 30, Z. 3 ff.) Carmen, Opéra-Comique tiré de la nouvelle de Prosper Mérimée par Henry Meilhac & Ludovic Halévy, Paris, Acte I, Scéne V, p. 13.

(S. 30, Z. 1 v. u.) Der Philosoph ist Arthur Schopenhauer in seiner »Metaphysik der Geschlechtsliebe« (Die Welt als Wille und Vorstellung, ed. Frauenstädt, Bd. II, Kapitel 44, S. 623 f.): »Alle Geschlechtlichkeit ist Einseitigkeit. Diese Einseitigkeit ist in einem Individuo entschiedener ausgesprochen und in höherem Grade vorhanden als im anderen: daher kann sie in jedem Individuo besser durch Eines als das Andere vom anderen Geschlecht ergänzt und neutralisiert werden, indem es einer der seinigen individuell entgegengesetzten Einseitigkeit bedarf, zur Ergänzung des Typus der Menschheit im neu zu erzeugenden Individuo, als auf dessen Beschaffenheit immer alles hinausläuft. Die Physiologen wissen, daß Mannheit und Weiblichkeit unzählige Grade zulassen, durch welche jene bis zum widerlichen Gynander und Hypospadiaeus sinkt, diese bis zur anmutigen Androgyne steigt: von beiden Seiten aus kann der vollkommene Hermaphroditismus erreicht werden, auf welchem Individuen stehen, welche, die gerade Mitte zwischen beiden Geschlechtern haltend, keinem beizuzählen, folglich zur Fortpflanzung untauglich sind. Zur in Rede stehenden Neutralisation zweier Individualitäten durch einander ist demzufolge erfordert, daß der bestimmte Grad seiner Mannheit dem bestimmten Grade ihrer Weiblichkeit genau entspreche; damit beide Einseitigkeiten einander gerade aufheben. Demnach wird der männlichste Mann das weiblichste Weib suchen und vice versa, und ebenso jedes Individuum das ihm im Grade der Geschlechtlichkeit entsprechende. Inwiefern nun hierin zwischen zweien das erforderliche Verhältnis statthabe, wird instinktmäßig von ihnen gefühlt, und liegt, nebst den anderen relativen Rücksichten, den höheren Graden der Verliebtheit zum Grunde.« Dieser Passus zeigt eine weit vollere Einsicht als die einzige noch zu erwähnende Stelle, wo ich Ähnliches entdecken konnte; diese findet sich bei Albert Moll, Untersuchungen über die Libido sexualis, Berlin 1897, Bd. I, S. 193. Da heißt es: »Wir können überhaupt sagen, daß wir zwischen dem typischen weiblichen Geschlechtstrieb, der auf vollständig erwachsene männliche Personen gerichtet ist, und dem typischen männlichen Geschlechtstrieb, der auf vollständig entwickelte weibliche Personen gerichtet ist, alle möglichen Übergänge finden.«

Beide Stellen waren mir unbekannt, als ich (Anfang 1901) dieses Gesetz als erster gefunden zu haben glaubte, so eng sich meine Darstellung speziell mit der Schopenhauers sachlich, ja manchmal wörtlich berührt.

(S. 31, Z. 3 ff.) Der Ausspruch Blaise Pascals (Pensées I, 10, 24): »II y a un modèle d'agrément et de beauté, qui consiste en un certain rapport entre notre nature faible ou forte, telle qu'elle est, et la chose qui nous plaît. Tout ce qui est formé sur ce modèle nous agrée: maison, chanson, discours, vers, prose, femme, oiseaux, rivières, arbres, chambres, habits,« mag hier Platz finden, obwohl seine weite Berechtigung erst allmählich im Laufe des Folgenden (vgl. Teil I, Kap. 5, und Teil II, Kap. 1) ganz klar werden kann.

(S. 31, Z. 17 v. u.) Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher Beziehung, übersetzt von David Haek (Universalbibliothek), Bd. II, Kap. 14, S. 120-132, Kap. 17, S. 285-290; die Fälle sprechen keineswegs allein von einer »Wahl« seitens des Weibchens, sondern ebensosehr von Bevorzugung und Verschmähung der Weibchen durch die Männchen. Vgl. auch: Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation, übersetzt von J. V. Carus, Kap. 18 (Stuttgart 1873, II 2, 186): »Es ist durchaus nicht selten, gewisse männliche und weibliche Tiere zu finden, welche sich nicht zusammen fortpflanzen, trotzdem man von beiden weiß, daß sie mit anderen Männchen und Weibchen vollkommen fruchtbar sind ... Die Ursache liegt, wie es scheint, in einer eingebornen sexuellen Unverträglichkeit des Paares, welches gepaart werden soll. Mehrere Beispiele dieser Art sind mir mitgeteilt worden ... In diesen Fällen pflanzten sich Weibchen, welche sich entweder früher oder später als fruchtbar erwiesen, mit gewissen Männchen nicht fort, mit denen man ganz besonders wünschte sie zu paaren« usw.

(S. 31, Z. 10-13 v. u.) »Fast ausnahmslos ...« » Beinahe immer ...« wegen Oskar und Richard Hertwig, Untersuchungen zur Morphologie und Physiologie der Zelle, Heft 4: Experimentelle Untersuchungen über die Bedingungen der Bastardbefruchtung, Jena 1885, S. 33: » In der Kreuzbefruchtung zweier Arten besteht sehr häufig keine Reziprozität. Alle möglichen Abstufungen finden sich hier. Während Eier von Echinus microtuberculatus sich durch Samen von Strongylocentrotus lividus fast ohne Ausnahme befruchten lassen, wird bei Kreuzung in entgegengesetzter Richtung nur in wenigen Fällen eine Entwicklung hervorgerufen. Die Befruchtung von Strongylocentrotus lividus durch Samen von Arbacia pustulosa bleibt erfolglos, dagegen entwickeln sich von Arbacia pustulosa immerhin einige Eier, wenn ihnen Samen von Strongylocentrotus lividus hinzugefügt wird. Und so ähnlich noch in anderen Fällen. Es ist zur Zeit gar nicht möglich, gesetzmäßige Beziehungen zwischen Bastardierungen in entgegengesetzter Richtung nachzuweisen.«

(S. 33, Z. 5 v. u.) Den Ausdruck »geschlechtliche Affinität«, in Analogie mit der chemischen Verwandtschaft, haben O. und R. Hertwig zuerst eingeführt (Experimentelle Untersuchungen über die Bedingungen der Bastardbefruchtung, Jena 1885, S. 44), und der erstere in seinem Buche »Die Zelle und die Gewebe«, Bd. I, S. 240 f., enger, als dies hier geschehen ist, auf die Wechselwirkungen zwischen Einzelzellen beschränkt.

(S. 34, Z. 17 v. u.) Mit den von Darwin (A Monograph on the Sub-Class Cirripedia: The Lepadidae or Pedunculated Cirripedes, London 1851, p. 55, S. 182, 213 ff., 281 f., 291 ff.; The Balanidae or sessile Cirripedes, The Verrucidae etc., London 1854, p. 29) bei Rankenfüßern entdeckten » komplementären Männchen«, welche mit Hermaphroditen sich paaren, hat die hier vorgetragene Anschauung von einer sexuellen Ergänzung trotz dem Ausdruck »Komplement« nichts zu schaffen.

(S. 35, Z. 17 v. u.) Wilhelm Ostwald, Die Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus (Vortrag auf der Naturforscherversammlung zu Lübeck), Leipzig 1895, S. 11 und 27. – Richard Avenarius, Kritik der reinen Erfahrung, Leipzig 1888-1890, an vielen Orten, z. B. Bd. II, S. 299.

(S. 37, Z. 18.) P. Volkmann, Einführung in das Studium der theoretischen Physik, insbesondere in das der analytischen Mechanik mit einer Einleitung in die Theorie der physikalischen Erkenntnis, Leipzig 1900, S. 4: »Die Physik ist ... ein Begriffssystem mit rückwirkender Verfestigung.«

(S. 37, Z. 15 v. u.) » Persoon gab in Usteris Annalen 1794, 11. Stück, S. 10, die erste Beschreibung der langgriffeligen und kurzgriffeligen Formen von Primula« sagt Hugo v.  Mohl, Einige Beobachtungen über dimorphe Blüten, Botanische Zeitung, 23. Oktober 1863, S. 326.

(S. 37, Z. 14 v. u.) Charles Darwin, The different forms of flowers on plants of the same species, London 1877, 2. ed., 1884, p. 1-277. (Deutsch: Die verschiedenen Blütenformen bei Pflanzen der nämlichen Art, Werke übersetzt von J. V. Carus, IX/3, Stuttgart 1877, S. 1-240.) In seinen ersten, den Gegenstand betreffenden Publikationen aus dem Jahre 1862 und den folgenden hatte Darwin bloß der mehrdeutigen Ausdrücke Dimorphismus und Trimorphismus sich bedient. Hiefür hat den Namen Heterostylie Friedrich Hildebrand zuerst vorgeschlagen in seiner Abhandlung »Über den Trimorphismus in der Gattung Oxalis« (S. 369) in den »Monatsberichten der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin«, 1866, S. 352-374. Vgl. auch dessen größere Werke: Die Geschlechtsverteilung bei den Pflanzen und das Gesetz der vermiedenen und unvorteilhaften Selbstbefruchtung, Leipzig 1867, und Die Lebensverhältnisse der Oxalisarten, Jena 1884, S. 127 f.

(S. 37, Z. 12 v. u.) Über die Heterostylie vgl. außer Darwins schönem Buch, dem Hauptwerk über den Gegenstand und der reichen, darin auf Schritt und Tritt zitierten Literatur: Oskar Kirchner und H.  Potonié, Die Geheimnisse der Blumen, eine populäre Jubiläumsschrift zum Andenken an Christian Konrad Sprengel, Berlin 1893, S. 21 f.; Julius Sachs, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., Leipzig 1887, S. 850; Noll in Strasburgers Lehrbuch der Botanik für Hochschulen, 3. Auflage, Jena 1898, S. 250 f.; Julius Wiesner, Elemente der wissenschaftlichen Botanik, Bd. III: Biologie der Pflanzen, Wien 1902, S. 152 bis 154. Anton Kerner v. Marilaun, Das Pflanzenleben, Bd. II, Wien 1891, S. 300 ff., 389 ff.; Darwin selbst noch in der »Entstehung der Arten«, Kap. 9 (S. 399 f., übersetzt von Haek), und »Das Variieren etc.«, Kap. 19 (II 2, S. 207 ff.).

(S. 37, Z. 11 v. u.) Die einzigen Monokotyledonen, die heterostyle Blüten besitzen, sind die von Fritz Müller (Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft, VI, 1871, S. 74 f.) in Brasilien entdeckten Pontederien.

(S. 38, Z. 1.) Auch Darwin nähert sich ein- oder zweimal dieser Auffassung, um sie sofort wieder aus den Augen zu verlieren, weil bei ihm stets der Gedanke an eine fortschreitende Tendenz der Pflanzen, diözisch zu werden, an die Stelle des allgemeingültigen Prinzips der sexuellen Zwischenformen sich schiebt (vgl. p. 257 der englischen Ausgabe). Doch sagt er an einer Stelle (p. 296) über Rhamnus lanceolatus: »The short-styled form is said by Asa Gray to be the more fruitful of the two, as might have been expected from its appearing to produce less pollen, and from the grains being of smaller size; it is therefore the more highly feminine of the two. The long styled form produces a greater number of flowers ... they yield some fruit, but as just stated are less fruitful than the other form, so that this form appears to be the more masculine of the two.«

(S. 38, Z. 11 f.) Es heißt im englischen Texte auf S. 137 (in der deutschen Übersetzung S. 118 1) von Lythrum salicaria wörtlich: »If smaller differences are considered, there are five distinct sets of males.«

(S. 38, Z. 10 v. u.) William Bateson, Materials for the study of Variation treated with especial regard to discontinuity in the origin of species, London 1894, p. 38 f. Er sagt von Xylotrupes geradezu: »The form is dimorphic, and has two male normals.« Die Stelle ist zu ausgedehnt, als daß ich sie ganz hiehersetzen könnte.

(S. 40, Z. 3.) Darwin, p. 148: »It must not however be supposed that the bees do not get more or less dusted all over with the several kinds of pollen.«

(S. 40, Z. 15 v. u. ff.) Hildebrand, Monatsberichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften, 1866, S. 370, spricht sich, gegen Lindley und Zuccarini, dahin aus, daß die kurzgriffeligen Blüten deshalb nicht männlich, die langgriffeligen deshalb nicht weiblich sein könnten, weil in der kurzgriffeligen Form die Narbe keineswegs verkümmert, in der langgriffeligen der Pollen keineswegs schlecht und wirkungslos sei. Aber es ist durchaus charakteristisch für die Pflanzen, daß bei ihnen in viel weiterem Umfange Juxtapositionen möglich sind als bei den Tieren.

(S. 40, Z. 7-11 v. u.) Darwin spricht p. 186 von dieser Erscheinung als von »the usual rule of the grains from the longer stamens, the tubes of which have to penetrate the longer pistils, being larger than those from the stamens of less length.« Vgl. auch p. 38, 140 und besonders 286 ff. – F.  Hildebrand, Experimente über den Dimorphismus von Linum perenne und Primula sinensis, Botanische Zeitung, 1. Jänner 1864, S. 2: »Meine Beobachtungen ... zeigten, daß ... die Pollenkörner der kurzgriffeligen Form bedeutend größer sind als die der langgriffeligen.«

(S. 41, Z. 13.) L. Weill, Über die kinetische Korrelation zwischen den beiden Generationszellen, Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, Bd.  XI, 1901, S. 222-224.

(S. 43, Z. 11.) Der Faktor t spielt hier, nicht nur unter den Menschen, oder den anderen Organismen, sondern selbst noch im Verkehre der Keimzellen eine wichtige und überaus merkwürdige Rolle. So schildern O. und R.  Hertwig, Untersuchungen zur Morphologie und Physiologie der Zelle, 4. Heft, Experimentelle Untersuchungen über die Bedingungen der Bastardbefruchtung, Jena 1885, S. 37, ihre Beobachtungen an Echinodermen: »Wir haben nun gefunden, daß Eier, welche gleich nach ihrer Entleerung aus dem strotzend gefüllten Eierstock bastardiert wurden, das fremde Spermatozoon zurückwiesen, es aber nach 10, 20 oder 30 Stunden bei der zweiten oder dritten oder vierten Nachbefruchtung in sich aufnahmen und dann sich normal weiter entwickelten.« S. 38: »Je später [nach der Entleerung aus den Ovarien] die Befruchtung geschah, sei es nach 50 der 10 oder 20 oder 30 Stunden, um so mehr wuchs der Perzentsatz der bastardierten Eier, bis schließlich ein Bastardierungsoptimum erreicht wurde. Als solches bezeichnen wir das Stadium, in welchem sich fast das gesamte Eiquantum, mit Ausnahme einer geringen Zahl, in normaler Weise entwickelt.«

(S. 43, Z. 14 v. u.) »Phantasien eines Realisten« von Lynkeus, Dresden und Leipzig 1900, II. Teil, S. 155-162.

(S. 44, Z. 1 f.) »... im allgemeinen ...«; k wird nicht immer einfach in Proportion mit der systematischen Nähe größer. Siehe O. und R.  Hertwig, a. a. O. S. 32 f.: »Das Gelingen oder Nichtgelingen der Bastardierung hängt nicht ausschließlich von dem Grade der systematischen Verwandtschaft der gekreuzten Arten ab. Wir können beobachten, daß Arten, die in äußeren Merkmalen sich kaum voneinander unterscheiden, sich nicht kreuzen lassen, während es zwischen relativ entfernt stehenden, verschiedenen Familien und Ordnungen angehörenden Arten möglich ist. Die Amphibien liefern uns hier besonders treffende Beispiele. Rana arvalis und Rana fusca stimmen in ihrem Aussehen fast vollständig überein, trotzdem lassen sich die Eier der letzteren nicht befruchten, während in einzelnen Fällen Befruchtung mit Samen von Bufo communis und sogar von Triton möglich war. Dieselbe Erscheinung ließ sich, wenn auch weniger deutlich, bei den Echinodermen konstatieren. Immerhin muß aber im Auge behalten werden, daß die systematische Verwandtschaft für die Möglichkeit der Bastardierung ein wichtiger Faktor ist. Denn zwischen Tieren, die so weit auseinanderstehen wie Amphibien und Säugetiere, Seeigel und Seesterne, ist noch niemals eine Kreuzbefruchtung erzielt worden.« Vgl. hiemit Julius Sachs, Lehrbuch der Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., Leipzig 1887, S. 838: »Die sexuelle Affinität geht mit der äußeren Ähnlichkeit der Pflanzen nicht immer parallel; so ist es z. B. noch nicht gelungen, Bastarde von Apfel- und Birnbaum, von Anagallis arvensis und caerulea, von Primula officinalis und elatior, von Nigella damascena und sativa und anderen systematisch sehr ähnlichen Spezies derselben Gattung zu erzielen, während in anderen Fällen sehr unähnliche Formen sich vereinigen, so z. B. Aegilops ovata mit Triticum vulgare, Lychnis diurna mit Lychnis ilos cuculi, Cereus speciosissimus und Phyllocactus Phyllanthus, Pfirsich und Mandel. In noch auffallenderer Weise wird die Verschiedenheit der sexuellen Affinität und systematischen Verwandtschaft dadurch bewiesen, daß zuweilen die Varietäten derselben Spezies unter sich ganz oder teilweise unfruchtbar sind, z. B. Silene inflata var. alpina mit var. angustifolia, var. latifolia mit var. litoralis u. a.« Vgl. auch Oskar Hertwig, Die Zelle und die Gewebe, Bd. I, S. 249.

(S. 44, Z. 11 v. u. f.) Wilhelm Pfeffer, Lokomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize, Untersuchungen aus dem botanischen Institut zu Tübingen, Bd. I, 1885, S. 363-482.

(S. 45, Z. 1.) Über die Wirkung der Maleinsäure (»welche, soweit bekannt, im Pflanzenreiche nicht vorkommt«), Pfeffer a. a. O. S. 412.

(S. 45, Z. 5.) Der Terminus wird bei Pfeffer eingeführt a. a. O. S. 474, Anm. 2.

(S. 45, Z. 14.) Hiefür spricht vor allem der Bericht L.  Seeligmanns, Weitere Mitteilungen zur Behandlung der Sterilitas matrimonii, Vortrag in der gynäkologischen Gesellschaft zu Hamburg, Referat im Zentralblatt für Gynäkologie, 18. April 1896, S. 429: »Eine Anordnung des mikroskopischen Präparates in der Weise, daß auf der einen Seite des Deckglases normales Zervikalsekret an und etwas unter das Deckglas gebracht wurde, ergab das Resultat, daß auf der einen Seite des Vaginalsekretes nach einiger Zeit nur ganz wenige Spermatozoen, die sich nicht mehr bewegten, vorhanden waren, während auf der anderen Seite des Zervikalsekretes sich die Samentierchen dicht gedrängt in lebhafter Bewegung befanden. Hier könne offenbar von einer chemotaktischen Wirkung des Zervikalsekretes auf die Samenzellen gesprochen werden.«

(S. 45, Z. 16 ff.) M. Hofmeier, Zur Kenntnis der normalen Uterusschleimhaut, Zentralblatt für Gynäkologie, Bd. XVII, 1893, S. 764-766: »Nach den positiven Beobachtungen kann ein Zweifel nicht mehr bestehen, daß tatsächlich der Wimperstrom im Uterus von oben nach unten zu geht

(S. 45, Z. 15 v. u. f.) Über die Wanderungen der Lachse, ihr Fasten und ihre Abmagerung vgl. vor allem Friedrich Miescher, Die histochemischen und physiologischen Arbeiten von F. M., gesammelt und herausgegeben von seinen Freunden, Bd. II, Leipzig 1897, S. 116-191, 192-218, 304-324, 325-327, 359-414, 415-420.

(S. 45, Z. 11 v. u. ff.) P. Falkenberg, Die Befruchtung und der Generationswechsel von Cutleria, Mitteilungen aus der zoologischen Station zu Neapel, Bd. I, 1879, S. 420-447. Es heißt dort, S. 425 f.: »Vollständig negative Resultate ergab der Versuch einer Wechselbefruchtung zwischen den nahe verwandten Cutleria-Spezies C. adspersa und C. multifida, die – abgesehen von der Verschiedenheit ihrer Standorte – sich äußerlich nur durch geringe habituelle Differenzen unterscheiden. Empfängnisfähigen, zur Ruhe gekommenen Eiern der einen Spezies wurden lebhaft schwärmende Spermatozoidien der anderen Art zugesetzt. In solchen Fällen sah man die Spermatozoidien unter dem Mikroskop zahllos umherirren und endlich absterben, ohne an den Eiern der verwandten Algen-Spezies den Befruchtungsakt vollzogen zu haben. Freilich blieben einzelne Spermatozoidien, welche zufällig auf die ruhenden Eier stießen, momentan an diesen hängen, aber nur um sich ebenso schnell wieder von ihnen loszureißen. Ganz anders wurde das Bild unter dem Mikroskop, sobald man auf derartigen Präparaten den Spermatozoidien auch nur ein einziges befruchtungsfälliges Ei der gleichen Spezies hinzusetzte. Wenige Augenblicke genügten, um sämtliche Spermatozoidien von allen Seiten her um dieses eine Ei zu versammeln, selbst wenn dasselbe mehrere Zentimeter von der Hauptmasse der Spermatozoidien entfernt lag. Es entsprach nunmehr das Bild ganz den von Thuret (Recherches sur la fécondation des Fucacées, Ann. des Sc. natur., Sér. 4, Tome II, p. 203, pl. 12, Fig. 4) für Fucus gegebenen Abbildungen, und ebenso wurde auch das an sich längst bewegungslos gewordene Ei nunmehr durch vereinte Kräfte der zahlreichen Spermatozoidien hin- und hergedreht ... Aus diesen Versuchen geht einmal hervor, daß die Anziehungskraft zwischen den Eiern von Cutleria und den Spermatozoidien sich auf verhältnismäßig bedeutende Distanzen geltend macht, daß auf der anderen Seite diese Anziehungskraft nur zwischen den Geschlechtszellen der gleichen Spezies existiert. Außerdem zeigen die mitgeteilten Erscheinungen, daß die Bewegungen der Spermatozoidien von Cutleria ... unter dem Einfluß der Anziehungskraft der Eier energisch genug sind, um jene Kraft, welche sie sonst dem einfallenden Lichte entgegenführt, zu überwinden und sie dazu befähigten, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen. Mag die Kraft, welche die Vereinigung der männlichen und weiblichen Geschlechtszellen von Cutleria anstrebt und die Bewegungsrichtung der männlichen Schwärmer reguliert, in der männlichen oder in der weiblichen Zelle oder in beiden ihren Sitz haben – so viel ist sicher, daß die Kraft, welche bei Cutleria die Spermatozoidien den Eiern zuführt, ihren Sitz in dem Organismus selbst haben muß und unabhängig vom Zufall und von Strömungen wirkt, welche etwa im Wasser stattfinden können.«

(S. 46, Z. 12 v. u.) Vgl. Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens von Joh. Peter Eckermann (30. März 1824).

(S. 46, Z. 4 v. u.) Die Analogien zwischen Mensch und Haustier betreffs des Nichtgebundenseins des sexuellen Verkehrs an bestimmte Zeitpunkte werden oft übertrieben; vgl. hierüber Chrobak-Rosthorn, Die Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, Wien 1900, Teil I/2, S. 379 f.

(S. 48, Z. 16 v. u.) Ich meine die außerordentlich wahre Stelle: »Nach wie vor übten sie eine unbeschreibliche, fast magische Anziehungskraft gegeneinander aus. Sie wohnten unter einem Dache; aber selbst ohne gerade aneinander zu denken, mit anderen Dingen beschäftigt, von der Gesellschaft hin- und hergezogen, näherten sie sich einander. Fanden sie sich in einem Saale, so dauerte es nicht lange, und sie standen, sie saßen nebeneinander. Nur die nächste Nähe konnte sie beruhigen, aber auch völlig beruhigen, und diese Nähe war genug; nicht eines Blickes, nicht eines Wortes, keiner Gebärde, keiner Berührung bedurfte es, nur des reinen Zusammenseins. Dann waren es nicht zwei Menschen, es war nur ein Mensch im bewußtlosen vollkommenen Behagen, mit sich selbst zufrieden und mit der Welt. Ja, hätte man eins von beiden am letzten Ende der Wohnung festgehalten, das andere hätte sich nach und nach von selbst ohne Vorsatz zu ihm hinbewegt.« ( Goethe, Die Wahlverwandtschaften, II. Teil, 17. Kapitel.)

(S. 49, Z. 8 ff.) Hiemit vergleiche man die Aussprüche der Dichter.

Theognis sagt zu dem Knaben Kyrnos (V. 183 f.):

»Κριοὺς μὲν ϰαὶ ὄνους διζήμεϑα, Κύρνε, ϰαὶ ἵππους
εὐγενέας, ϰαί τις βούλεται ἐξ ἀγαϑῶν
βήσεσϑαι· γῆμαι δὲ ϰαϰὴν ϰαϰοῦ οὐ μελεδαίνει
ἐσϑλὸς ἀνήρ, ἤν οἱ χρήματα πολλὰ διδῷ
οὐδὲ γυνὴ ϰαϰοῦ ἀνδρὸς ἀναίνεται εἶναι ἄϰοιτις
πλουσίου, ἀλλ' ἀφνεὸν βούλεται ὰντ' ἀγαϑοῦ.
χρήματα γὰρ τιμῶσι· ϰαὶ ἐϰ ϰαϰοῦ ἐσϑλὸς ἔγημεν,
ϰαὶ ϰαϰὸς ἐξ ἀγαϑοῦ· πλοῦτος ἔμιξε γένος.« usw.

Shakespeare legt dem Bastarden Edmund die bekannten Verse in den Mund (König Lear, I. Aufzug, 2. Szene):

»... Warum
Mit unecht uns brandmarken? Bastard? Unecht?
Uns, die im heißen Diebstahl der Natur
Mehr Stoff empfah'n und kräft'gern Feuergeist,
Als in verdumpftem, trägem, schalem Bett
Verwandt wird auf ein ganzes Heer von Tröpfen,
Halb zwischen Schlaf gezeugt und Wachen? ...«

(S. 49, Z. 5 v. u. ff.) Darwin: Das Variieren der Tiere und Pflanzen, Bd. II, Kap. 17-19 (z. B. S. 17» der 2. Aufl., Stuttgart 1873); besonders aber: Die Wirkungen der Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreich, Stuttgart 1877 (Werke Bd. X), S. 24: »Der bedeutungsvollste Schluß, zu dem ich gelangt bin, ist der, daß der bloße Akt der Kreuzung an und für sich nicht guttut. Das Gute hängt davon ab, daß die Individuen, welche gekreuzt werden, unbedeutend in ihrer Konstitution voneinander verschieden sind, und zwar infolge davon, daß ihre Vorfahren mehrere Generationen hindurch unbedeutend verschiedenen Bedingungen, oder dem, was wir in unserer Unwissenheit ›spontane Abänderung‹ nennen, ausgesetzt sind.«

Zu Teil I, Kapitel 4

(S. 51, Z. 1 ff.) Von der Literatur will ich nur die wenigen wichtigsten Bücher nennen, in denen man alle weiteren Angaben findet: Richard v.  Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis, mit besonderer Berücksichtigung der konträren Sexualempfindung, 9. Aufl., Stuttgart 1894. Albert Moll, Die konträre Sexualempfindung, 3. Aufl., Berlin 1899. Untersuchungen über die Libido sexualis, Bd. I, Berlin 1897/98. Havelock Ellis und J. A.  Symonds, Das konträre Geschlechtsgefühl, Leipzig 1896.

(S. 51, Z. 2 v. u.) v. Schrenck-Notzing, Die Suggestionstherapie bei krankhaften Erscheinungen des Geschlechtslebens, mit besonderer Berücksichtigung der konträren Sexualempfindung; Stuttgart 1892 (z. B. S. 193: »Der Anteil der okkasionellen Momente ist vielfach in der Ätiologie des Gewohnheitstriebes zu perversen sexuellen Entäußerungen ein größerer als derjenige erblicher Belastung«). Ein Beitrag zur Ätiologie der konträren Sexualempfindung, Wien 1895, S. 1 ff. Kriminalpsychologische und psycho-pathologische Studien, Leipzig 1902, S. 2 f., S. 17 f. – Emil Kraepelin, Psychiatrie, 4.  Aufl., Leipzig 1893, S. 689 f. – Ch. Féré, La descendance d'un inverti, Revue générale de clinique et de thérapeutique, 1896, zitiert nach Moll, Untersuchungen, Bd. I, S. 651, Anm. 3. In seinem Buche L'Instinct Sexuel, Evolution et Dissolution, Paris 1899, p. 266 f., legt Féré jedoch das Schwergewicht auf die kongenitale Veranlagung.

(S. 52, Z. 2 v. u. f.) »Komplementärbedingung« nach Avenarius, Kritik der reinen Erfahrung, Bd. I, Leipzig 1888, S. 29; »Teilursache« nach Alois Höfler, Logik unter Mitwirkung von Dr. Alexius Meinong, Wien 1890, S. 63.

(S. 54, Z. 16 f.) Daß in der Mitte zwischen M und W stehende Personen sich untereinander sexuell anziehen, wird auch sehr wahrscheinlich aus den Beobachtungen von Fr.  Neugebauer (Fifty false marriages between Individuals of the same gender with some divorces for »Erreur de Sexe«), Referat im British Gynaecological Journal, 15, 1899, S. 315, vgl. 16, 1900, S. 104 des »Summary of Gynaecology, including Obstetrics«.

(S. 54, Z. 16 v. u.) Vgl. Emil Kraepelin, Psychiatrie, 4. Aufl., Leipzig 1893, S. 690: »Verhältnismäßig selten sind jene Personen, bei welchem niemals eine Spur von heterosexuellen Regungen vorhanden gewesen ist.«

(S. 54, Z. 6 v. u. f.) Der Amerikaner Jas. G.  Kiernan soll zuerst den Grund der Homosexualität in der geschlechtlichen Undifferenziertheit des Embryos gesucht haben (American Lancet, 1884, und im Medical Standard [Nov.-Dez. 1888]), nach ihm Frank Lydston (Philadelphia Medical and Surgical Recorder, September 1888, Addresses and Essays, 1892, p. 46 und 246), beide in Abhandlungen, die mir nicht zugänglich geworden sind. Die gleiche Theorie bringt ein Patient von Krafft-Ebing vor, in dessen Psychopathia sexualis, 8. Aufl., Stuttgart 1893, S. 227. Dieser selbst hat sie akzeptiert in einer Abhandlung »Zur Erklärung der konträren Sexualempfindung«, Jahrbücher für Psychiatrie und Nervenheilkunde, Bd. XIII, Heft 2, ferner haben sich ihr angeschlossen Albert Moll, Untersuchungen über die Libido sexualis, Bd. I, S. 327 ff., Magnus Hirschfeld, Die objektive Diagnose der Homosexualität, Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Bd. I (1899), S. 4 ff., Havelock Ellis, Studies in the Psychology of Sex, Vol. I, Sexual Inversion, 1900, p. 132 f., Norbert Grabowski, Die mannweibliche Natur des Menschen, Leipzig 1896 etc.

(S. 56, Z. 7.) Die Anerkennung einer das Tierreich beherrschenden Gesetzlichkeit in der sexuellen Anziehung ist folgenschwer insofern, als sie die Hypothese einer »sexuellen Zuchtwahl« fast völlig unmöglich macht.

(S. 56, Z. 17.) Homosexualität bei Tieren: vgl. Ch.  Féré, Les perversions sexuelles chez les animaux in L'instinct sexuel, Paris 1899, p. 59-87. F.  Karsch, Päderastie und Tribadie bei den Tieren, auf Grund der Literatur zusammengestellt, Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Bd. II (1900), S. 126-154. Albert Moll, Untersuchungen über die Libido sexualis, Bd. I, 1898, S. 368 ff.

(S. 56, Z. 3 v. u.) Es beruht also auf einer Täuschung, wenn so viele glauben (wie schon Platon, Gesetze, VIII, 836 c), die »gleichgeschlechtliche Liebe« sei ein bloß dem Menschen eigentümliches, »widernatürliches« Laster. Doch dürfte für die Päderastie Plato da recht behalten; indes Homosexualität nicht auf den Menschen beschränkt ist

(S. 57, Z. 19 v. u. ff.) Vgl. Krafft-Ebing bei Alfred Fuchs, Die Therapie der anomalen Vita sexualis, Stuttgart 1899, S. 4.

(S. 58, Z. 5 v. u.) Der einzige wahrhaft große Mann, der die Homosexualität strenge verurteilt zu haben scheint, ist der Apostel Paulus (Römer, 1, 26-27); aber er hat selbst bekannt, wenig sexuell veranlagt gewesen zu sein, woraus allein auch der etwas naive Optimismus begreiflich wird, mit dem er von der Ehe spricht.

(S. 59, Z. 21 v. u.) Moll, Untersuchungen über die Libido sexualis, Bd. I, Berlin 1898, S. 484.

(S. 59, Z. 3 v. u.) Männer wie Michelangelo oder Winckelmann, jener sicherlich einer der männlichsten Künstler, sind also nach dieser Nomenklatur nicht als Homosexuelle, sondern als Päderasten zu bezeichnen.

Zu Teil I, Kapitel 5

(S. 60, Z. 15 f.) Wenn Theodor Gomperz, Griechische Denker, Leipzig 1896, Bd. I, S. 149, mit der Interpretation recht hätte, welche er einigen in lateinischer Übersetzung erhaltenen Versen des Parmenides gibt (vgl. Parmenides' Lehrgedicht, griechisch und deutsch von Hermann Diels, Berlin 1897, Fragment 18, und Diels' Bemerkungen hiezu, S. 113 ff.), so hätte ich den großen Denker hier als meinen Vorgänger zu nennen. Gomperz sagt: »In ... dieser Theorie tritt auch die den pythagoreisch und somit mathematisch Gebildeten kennzeichnende Tendenz hervor, qualitative Verschiedenheiten aus quantitativen Unterschieden abzuleiten. Das Größenverhältnis nämlich, in welchem der von ihm (ebenso wie schon von Alkmäon) vorausgesetzte weibliche Bildungsstoff zu dem männlichen steht, wurde zur Erklärung der Charaktereigentümlichkeiten und insbesondere der Art der Geschlechtsneigung des Erzeugten verwendet. Und dieselbe Richtung offenbart sich in dem Bestreben, die individuelle Verschiedenheit der Individuen gleichwie ihrer jedesmaligen Geisteszustände auf den größeren oder geringeren Anteil zurückzuführen, den ihr Körper an den beiden Grundstoffen hat.« Wenn Gomperz kein anderes Fragment meinen sollte als das oben bezeichnete, so gäbe diese Auslegung dem Parmenides etwas, das Gomperz gebührt. Vgl. auch Zeller, Die Philosophie der Griechen, I/1, 5. Aufl., Leipzig 1892, S. 578 f., Anm. 4.

(S. 61, Z. 8.) Hier ist angespielt auf die programmatische Schrift von L. William Stern, Psychologie der individuellen Differenzen (Ideen zu einer »differentiellen Psychologie«), Schriften der Gesellschaft für psychologische Forschung, Heft 12, Leipzig 1900.

(S. 62, Z. 8 f.) Über die Periodizität im menschlichen, und zwar gerade auch im männlichen Leben, sowie in allen biologischen Dingen, findet sich das Interessanteste und Anregendste in einem Buche, dessen auch sonst ungeschickt gewählter Titel über diesen Inhalt nichts vermuten läßt, nämlich bei Wilhelm Fließ, Die Beziehungen zwischen Nase und weiblichen Geschlechtsorganen, in ihrer biologischen Bedeutung dargestellt, Leipzig und Wien 1897, einer ungemein originellen Schrift, der eine historische Berühmtheit gerade dann sicher sein dürfte, wenn die Forschung einmal weit über sie hinausgelangen sollte. Einstweilen sind die höchst merkwürdigen Dinge, die Fließ entdeckt hat, noch bezeichnend wenig beachtet worden (vgl. Fließ, S. 117 ff., 174, 237).

(S. 67, Z. 20 v. u. f.) Über diese angebliche »Monotonie« der Frauen sind Äußerungen verschiedener Autoren zu finden in dem großen Sammelwerk von C.  Lombroso und G.  Ferrero, Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, Anthropologische Studien, gegründet auf eine Darstellung der Biologie und Psychologie des normalen Weibes, übersetzt von H.  Kurella, Hamburg 1894, S. 172 f.

(S. 67, Z. 13 v. u. f.) Größere Variabilität der Männchen: Darwin, Die Abstammung des Menschen etc., übersetzt von Haek, Kap. 8, S. 334 ff.; Kap. 14, S. 132 ff., besonders 136; Kap. 19, S. 338 ff. – C. B.  Davenport und C.  Bullard, Studies in Morphogenesis, VI: A Contribution to the quantitative Study of correlated Variation and the comparative Variability of the Sexes, Proceedings of the Amer. Phil. Soc. 32, 85-97. Referat Année Biologique, 1895, p. 273 f.

(S. 68, Z. 9 f.) Die »Aktualitätstheorie« des Psychischen ist die Theorie Wilhelm Wundts (Grundriß der Psychologie, 4. Aufl., Leipzig 1901, S. 387); sie lehnt alles substantielle und zeitlose Sein in der Psychologie ab und erblickt hierin ihren wesentlichen Unterschied gegenüber der Naturwissenschaft, welche über den Begriff der Materie nie hinauskommen könne (vgl. auch Wundts Logik, Bd. II, Methodenlehre, 2. Aufl., Leipzig 1895).

(S. 68, Z. 3 v. u. ff.) Die im folgenden dargetane prinzipielle Berechtigung der Physiognomik, die trotz Lichtenbergs übler Prophezeiung nicht »im eigenen Fett erstickt«, vielmehr an der Auszehrung gestorben ist, ist eigentlich bereits in dem Gedankengange des Aristoteles enthalten (περὶ ψυχῆς A3, 407 b, 13 f.): »'Εϰεῖνο δέ ἄτοπον συμβαίνει ϰαὶ τούτῳ τῳ λόγῳ ϰαὶ τοῖς πλείστοις τῶν περὶ φυχῆς· συνάπτουσι γὰρ ϰαὶ τιϑέασιν εὶς σῶμα τὴν φυχήν, οὐϑὲν προσδιορίσαντες διὰ τίν' αἰτίαν ϰαὶ πῶς ἔχοντος τοῦ σώματος. Καίτοι δόξειεν ἂν τοῦτ' ἀναγϰαῖον εἶναι· διὰ γὰρ τὴν ϰοινωνίαν τὸ μὲν ποιεῖ τὸ δὲ πάσχει ϰαὶ τὸ μὲν ϰινεῖται τὸ δὲ ϰινεῖ, τούτων δ' οὐδὲν ὑπάρχει πρὸς ἄλληλα τοῖς τυχοῦσιν. Οἱ δὲ μόνον ἐπιχειροῦσι λέγειν ποῖόν τι ἡ ψυχή, περὶ δὲ τοῦ δεξομένου σώματος οὐϑὲν ἔτι προσδιορίζουσιν, ὥσπερ ἐνδεχομένου ϰατὰ τοὺς Πυϑαγοριϰοὺς μύϑους τὴν τυχοῦσαν ψυχὴν εὶς τὸ τυχὸν ἐνδύεσϑαι σῶμα· δοϰεῖ γὰρ ἕϰαστον ἴδιον ἔχειν εἶδος ϰαὶ μορφήν. Παραπλήσιον δὲ λέγουσι ὥσπερ εἴ τις φαίη τὴν τεϰτονιϰὴν εἰς αὐλοὐς ἐνδύεσϑαι· δεῖ γὰρ τὴν μὲν τέχνην χρὴσϑαι τοῖς ὀργάνοις, τὴν δὲ ψυχὴν τῷ σώματι.«

(S. 69, Z. 12.) P. J. Moebius, Über die Anlage zur Mathematik, Leipzig 1900.

(S. 71, Z. 8.) Hume schweigt über den Unterschied, Mach leugnet ihn (vgl. Die Prinzipien der Wärmelehre, historisch-kritisch entwickelt, 2. Aufl., Leipzig 1900, S. 432 ff.).

(S. 71, Z. 21 v. u. f.) Die hier zurückgewiesene Ansicht über das Zeitproblem ist die von Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, 4. Aufl., Leipzig 1901, S. 233. Unendlich flach ist, was J. B.  Stallo zu dieser Frage bemerkt, The Concepts and Theories of modern physics, 3. ed., London 1890, p. 204.

(S. 72, Z. 7.) Über Aristoteles als Begründer der Korrelationslehre vgl. Jürgen Bona Meyer, Aristoteles' Tierkunde, Berlin 1855, S. 468.

(S. 72, Z. 10 ff.) Über die merkwürdige Korrelation bei Katzen sowie über »Correlated Variability« überhaupt vgl. Darwin, Das Variieren der Tiere und Pflanzen, Stuttgart 1873, Kap. 25 (Bd. II 2, S. 375). Vgl. Entstehung der Arten, S. 36 f., 194 f. der Haekschen Übersetzung (Universal-Bibliothek).

(S. 73, Z. 19 v. u.) Ernst Mach, Die Mechanik usw., 4. Aufl., S. 235.

(S. 74, Z. 1 f.) Hier berührt sich die Darstellung mit Wilhelm Dilthey, Beiträge zum Studium der Individualität, Sitzungsberichte der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1896 (S. 295-335), S. 303: »In einem ... Typus sind mehrere Merkmale, Teile oder Funktionen regelmäßig miteinander verbunden. Diese Züge, deren Verbindung den Typus ausmacht, stehen in einer solchen gegenseitigen Relation zueinander, daß die Anwesenheit des einen Zuges auf die des anderen schließen läßt, die Variationen im einen auf die im anderen. Und zwar nimmt diese typische Verbindung von Merkmalen im Universum in einer aufsteigenden Reihe von Lebensformen zu und erreicht im organischen und dann im psychischen Leben ihren Höhepunkt. Dieses Prinzip des Typus kann als das zweite, welches die Individuen beherrscht, angesehen werden. Dieses Gesetz ermöglichte es dem großen Cuvier, aus versteinerten Resten eines tierischen Körpers diesen zu rekonstruieren, und dasselbe Gesetz in der geistig-geschichtlichen Welt hat Fr. A.  Wolf und Niebuhr ihre Schlüsse ermöglicht.«

(S. 74, Z. 21 v.u.) Gemeint sind die künstlich des Oberschlundganglions beraubten Nereiden. »Hat man mehrere so operierte Würmer in einem Gefäß zusammen, so ... geraten sie in eine Ecke und suchen hier durch die Wand zu rennen. Die Würmer blieben viele Stunden so und gingen schließlich infolge ihres unsinnigen Bestrebens, vorwärts zu kommen, zugrunde.« Jacques Loeb, Einleitung in die vergleichende Gehirnphysiologie und vergleichende Psychologie mit besonderer Berücksichtigung der wirbellosen Tiere, Leipzig 1899, S. 63 (wo nach S. S.  Maxwell, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie, 67, 1897, eine Zeichnung von diesem Vorgange gegeben ist).

(S. 74, Z. 11 v. u.) Der Ausdruck »Aufpasser usw.« bei Schopenhauer, Parerga II, § 350 bis.

(S. 75, Z. 1 v. u.) Konrad Rieger sagt (Die Kastration, Jena 1900, Vorwort, S. XXV): »Auch ich teile vollkommen mit Gall, Comte, Moebius die Überzeugung: daß es der größte Fortschritt wäre, sowohl in der reinen Wissenschaft als in praktisch sozialer und politischer Hinsicht, wenn eine Methode gefunden würde, mittels deren es möglich wäre, Moral, Intelligenz, Charakter, Wille eines Menschen [physiognomisch] exakt zu bestimmen.« Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen und halte sie für ein wenig übertrieben; doch ich führe sie an, weil sie immerhin die Wichtigkeit der Sache ins Licht setzen hilft.

Zu Teil I, Kapitel 6

(S. 76, Z. 6.) Am nächsten kommt der in diesem Kapitel entwickelten Auffassung der Frauenfrage Arduin, Die Frauenfrage und die sexuellen Zwischenstufen, Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Bd. II, 1900, S. 211-223. Jedoch bin ich von diesem Autor gänzlich unabhängig.

(S. 78, Z. 10 v. u.) Vgl. Welcker, Sappho von einem herrschenden Vorurteil befreit, Göttingen 1816, wieder abgedruckt in seinen »Kleinen Schriften«, II. Teil, Bonn 1845, S. 80-144. Auch Q.  Horatius Flaccus, erklärt von Hermann Schütz, III. Teil, Episteln (Berlin 1883), Kommentar zu Epistel 1, 19, 28, und dazu Welcker, Kleine Schriften, Bd. V, S. 239 f.

(S. 79, Z. 4 v. u.) Mérimée: nach Adele Gerhardt und Helene Simon, Mutterschaft und geistige Arbeit, eine psychologische und soziologische Studie auf Grundlage einer internationalen Erhebung mit Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung, Berlin 1901, S. 162. Die Erzählung über George Sand und Chopin ebenda S. 166. Dieser fleißigen Arbeit verdanke ich auch sonst eine Anzahl von Belegen und den Hinweis auf einige Quellen.

(S. 79, Z. 9 v. u.) Die Angabe über Laura Bridgman rührt von Albert Moll her, Untersuchungen über die Libido sexualis, Berlin 1897/93, Bd. I, S. 144. Die Stellen bei Wilhelm Jerusalem, Laura Bridgman, Erziehung einer Taubstumm-Blinden, eine psychologische Studie, Wien 1890, S. 60, sprechen freilich eher für das Gegenteil. Über die George Sand: Moll, ibid., S. 698 f., Anm. 4; über Katharina II.: Moll, Die konträre Sexualempfindung, 3. Aufl., Berlin 1899, S. 516; über Christine: Adele Gerhardt und Helene Simon, Mutterschaft und geistige Arbeit, Berlin 1901, S. 209 (»jedenfalls eine durch sexuell-pathologische Erscheinungen gefährdete Persönlichkeit«).

(S. 80, Z. 3.) Man vergleiche »Briefe Ludwigs II. von Bayern an Richard Wagner«, veröffentlicht in der Wage, Wiener Wochenschrift, 1. Jänner bis 5. Februar 1899.

(S. 80, Z. 18 v. u. ff.) Über die George Eliot: Gerhardt und Simon, a. a. O. S. 155. Über Lavinia Fontana ibid., S. 98. Über die Droste-Hülshoff, S. 137. Über die Rachel Ruysch: Ernst Guhl, Die Frauen in der Kunstgeschichte, Berlin 1858, S. 122.

(S. 80, Z. 1 v. u. f.) Über Rosa Bonheur vgl. Gerhardt-Simon, S. 107 f. Dort ist nach dem Biographen der Malerin René Peyrol (Rosa Bonheur, Her Life and Work, London) zitiert: »The masculine vigour of her character, as also her hair, which she was in the habit of wearing short, contributed to perfect her disguise.« Wenn R. B. in Männerkleidern ging, schöpfte niemand den geringsten Verdacht.

(S. 81, Z. 6 v. u.) Da Frauen weniger produzieren als Männer, haben ihre Werke von vornherein einen Seltenheitswert und gelten eher als Kuriosität. Vgl. Guhl, Die Frauen in der Kunstgeschichte, S. 260 f.: »Es genügte, daß ein Werk von weiblicher Hand herrührte, um schon um deswillen gepriesen zu werden.«

(S. 83, Z. 2 f.) Vgl. P. J.  Moebius, Über die Vererbung künstlerischer Talente, in der »Umschau«, IV, Nr. 38, S. 742-745 (15. September 1900). Jürgen Bona Meyer, Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, 1880, S. 295-298. Karl Joel, Die Frauen in der Philosophie. Sammlung gemeinverständlicher Vorträge, herausgegeben von Virchow und Holtzendorff, Heft 246, Hamburg 1896, S. 32 und 63.

(S. 83, Z. 7 f.) Guhl, a. a. O. S. 8.

(S. 83, Z. 14.) Ich hätte hier noch als sehr männlich Dorothea Mendelssohn erwähnen sollen; über sie wie über ihren so weiblichen Gatten Friedrich Schlegel vgl. Joh.  Schubert, Frauengestalten aus der Zeit der deutschen Romantik, Hamburg 1898 (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, herausgegeben von Virchow, Heft 285), S. 8 f. Auch die hochbegabte homosexuelle Gräfin Sarolta V. aus Krafft-Ebings Psychopathia sexualis (8. Aufl., 1893, S. 311-317) wäre anzuführen gewesen.

(S. 83, Z. 22 v. u.) Guhl, a. a. O. S. 5.

(S. 83, Z. 5 v. u.) Wer eifriger sammelt, als ich dies getan habe, mit größeren Kenntnissen in der Literatur-, Kunst-, Wissenschafts- und politischen Geschichte, und reichlichere Quellen besser aufzufinden weiß, als ich dies hier vermochte, der wird gewiß zu diesem Punkte noch viele merkwürdige Bestätigungen entdecken.

(S. 85, Z. 6 f.) Die Stelle über die berühmten Frauen, Darwin, Abstammung des Menschen, übersetzt von Haek, Bd. II, S. 344 f.

(S. 85, Z. 6 v. u.) Mit dieser Angabe über Burns, die ich Carlyle, On Heroes etc., London, Chapman & Hall, p. 175, entnommen habe, steht im Widerspruch, was das »Memoir of Robert Burns«, welches der Ausgabe der Poetical Works, London, Warne, 1896, vorgedruckt ist, p. 16 f. über des Dichters Bildungsgang erzählt.

(S. 86, Z. 19 v. u.) Das Zitat aus Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, 4. Aufl., besorgt von Ludwig Geiger, Leipzig 1885, Bd. II, S. 125.

(S. 86, Z. 12 v. u.) Gerhardt und Simon, a. a. O. S. 46 f.

(S. 86, Z. 2 v. u. ff.) Hier bin ich durch Ottokar Lorenz angeregt. Dieser sagt (Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie, Stammbaum und Ahnentafel in ihrer geschichtlichen, soziologischen und naturwissenschaftlichen Bedeutung, Berlin 1898, S. 54 f.): »Die Erscheinungen, die man heute mit dem Namen der Frauenemanzipation nicht eben sehr treffend bezeichnet, vermöchte wohl kein Kenner vergangener Kulturzustände als eine in allen einzelnen Teilen neue Sache zu betrachten. Namentlich ist der Antrieb der Frauen, sich der gelehrten Bildung ihrer Zeit zu bemächtigen, im XVI. und im X. Jahrhundert ganz ebenso groß gewesen wie im XIX. Auch der heutige soziale Gedanke, den Frauen eine auf sich gestellte Wirksamkeit zu sichern, hat im kirchlichen und Klosterleben vergangener Zeiten seine vollen Analogien. Wenn man nun die Ursachen dieser im Wechsel der Zeiten sich ganz regelmäßig wiederholenden Erscheinungen erforscht, so ist doch unzweifelhaft, daß mindestens einen mächtigen Anteil daran jene Antriebe, jene Bewegungen haben müssen, die in den persönlichen Eigenschaften eben der nach der sogenannten Emanzipation in ihren verschiedenen Formen und Zeiten strebenden Frauen selbst begründet waren. Indem also die Frauenfrage im Wechsel der Zeiten bald mehr, bald weniger hervortritt, beweist sie für die aufeinanderfolgenden Geschlechter eine gewisse Wiederkehr frauenhafter Eigenschaften, die in gewissen Epochen unzweifelhaft weit mehr von männischer Art sind als in anderen, wo in denselben Zügen etwas geradezu Häßliches erblickt worden ist.«

(S. 87, Z. 12.) Darwin, Das Variieren etc., II 2, 58: »Es ist bekannt, daß eine große Anzahl weiblicher Vögel ..., wenn sie alt oder krank sind, ... zum Teil die sekundären männlichen Charaktere ihrer Spezies annehmen. In bezug auf die Fasanenhennen hat man beobachtet, daß dies während gewisser Jahre viel häufiger eintritt als während anderer.« Darwin beruft sich hiefür auf William Yarell, On the change in the plumage of some Hen-Pheasants, Philosophical Transactions of the Royal Society of London, 1827 (p. 270).

(S. 88, Z. 13.) Werner Sombart (Die Frauenfrage, in der Wiener Wochenschrift »Die Zeit«, 1. März 1902, S. 134) spricht über die Ansicht, daß die Maschinenarbeit an der Frauenarbeit die Schuld trage, weil sie Muskelkraft entbehrlich gemacht habe, und sagt: »Gewiß gilt das für zahlreiche Gewerbe, z. B. für die wichtige Weberei. Aber schon nicht für die Spinnerei, die vor Erfindung der mechanischen Spinnstühle viel ausschließlicher Frauenarbeit war als heute. Hier hat die Maschinentechnik die Möglichkeit gerade der Männerarbeit erst geschaffen, wie denn bekanntlich in den mechanischen Spinnereien zahlreiche männliche Spinner beschäftigt sind. Es gilt aber auch für die meisten anderen Gewerbe mit starker Arbeit nicht; man denke an Putzmacherei, Stickerei, Strickerei, Tabakindustrie und andere, in denen die Maschinen die Frauen eher verdrängt als sie herangezogen haben. Es gilt auch für das Hauptgebiet moderner Frauenarbeit, für die Konfektionsindustrie, nicht. Denn die Handnäherei ist doch der Frau nicht weniger zugänglich als die Maschinennäherei. Was vielmehr entscheidend für die Entwicklung der Frauenarbeit gewesen ist, was auf der Seite der Produktionsvorgänge die Differenzierung der ursprünglich-komplexen (und darum immer gelernten) Arbeitsverrichtung bedingte, war aber gar nicht einmal in erster Linie dieser Vorgang in der Produktionssphäre, sondern sind vielmehr bestimmte Gestaltungen der Bevölkerungsverhältnisse gewesen: die Entstehung von weiblicher Überschußbevölkerung auf dem Lande und in den Stadien, die auf tiefer liegende, hier nicht näher zu erörternde Ursachen zurückzuführen ist. Beliebt man ein Schlagwort, so kann man sagen: die moderne Frauenarbeit in der Industrie und den übrigen nicht zur Landwirtschaft gehörigen Sphären des Wirtschaftslebens verdankt ihre Entstehung nicht unmittelbar den Veränderungen in der Technik, sondern Umgestaltungen der Siedelungsverhältnisse.«

(S. 88, Z. 8 v. u. f.) Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis, S. 220: »Die Tendenz der Natur auf heutiger Entwicklungsstufe ist die Hervorbringung von monosexualen Individuen.«

(S. 89, Z. 1.) Über die Gephyreen; Weismann, Keimplasma, S. 477 f.: »Es gibt in verschiedenen Gruppen des Tierreiches Arten, deren Männchen sich beinahe in allen Charakteren von den Weibchen unterscheiden. Schon bei vielen Rädertieren sind die Männchen winzig klein gegenüber den Weibchen, haben eine in allen Teilen verschiedene Körpergestalt und entbehren des gesamten Nahrungskanals; und bei Bonellia viridis, einem Meereswurm aus der Gruppe der Gephyreen, weicht das Männchen so sehr vom Weibchen ab, daß man versucht sein könnte, es einer ganz anderen Klasse von Würmern, den Strudelwürmern, zuzuteilen. Zugleich ist hier der Unterschied in der Körpergröße zwischen beiden Geschlechtern noch weit bedeutender; das Männchen hat eine Länge von 1-2 mm, das Weibchen von 150 mm, und das erstere schmarotzt im Innern des letzteren« etc. Vgl. Claus, Lehrbuch der Zoologie, 6. Aufl., Marburg 1897, S. 403. Auch manche Asseln (Bopyriden) sind sexuell weiter differenziert als der Mensch, vgl. Claus, a. a. O. S. 482.

Zu Teil II, Kapitel 1

(S. 93, Z. 3.) Thomas Carlyle, On Heroes, Hero-Worship and the Heroic in History, London, Chapman & Hall, p. 99.

(S. 93, Z. 8 v. u. f.) Vgl. Franz L.  Neugebauer, 37 Fälle von Verdoppelungen der äußeren Geschlechtsteile, Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, VII, 1898, S. 550-564, 645-659, besonders S. 554 f., wo ein Fall von »Juxtapositio organorum sexualium externorum utriusque sexus« beschrieben ist. Von dem bloß auf Entwicklungshemmungen beruhenden Scheinzwittertum sehe ich hier ab.

(S. 95, Z. 16 v. u.) Aristoteles, Metaphysik, A 5, 986 a, 31: Αλϰμαίων ὁ Κροτωνιάτης φησὶ εἶναι δύο τὰ πολλὰ τῶν ἀνϑρωπίνων.

(S. 95, Z. 15 v. u.) Vgl. Schelling, Von der Weltseele, Werke, Stuttgart und Augsburg 1857, Abt. I, Bd. II, S. 489: »So ist wohl das Gesetz der Polarität ein allgemeines Weltgesetz.«

(S. 96, Z. 5 v. u. ff.) Gemeint sind hier die mit großem Recht sehr bekannt gewordenen hervorragenden Aufsätze von Wilhelm Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, Sitzungsberichte der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften, 1894, S. 1309-1407. Beiträge zum Studium der Individualität, ibid. 1896, S. 295-335. Im ersten Aufsatz heißt es z. B. (S. 1322): »In den Werken der Dichter, in den Reflexionen über das Leben, wie große Schriftsteller sie ausgesprochen haben, ist ein Verständnis des Menschen enthalten, hinter welchem alle erklärende Psychologie weit zurückbleibt.« Im zweiten Aufsatz (S. 299, Anm.): »Ich erwarte eine ... überzeugende Zergliederung ... auch der heroischen Willenshandlung, welche sich zu opfern und das sinnliche Dasein wegzuwerfen vermag.«

(S. 100, Z. 9.) Vgl. Heinrich Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Freiburg im Breisgau 1902, S. 545: »Die atomisierende Individual-Psychologie sieht alle Individuen als gleich an und muß es als allgemeinste Theorie vom Seelenleben tun, die individualistische Geschichtschreibung richtet ihr Interesse auf individuelle Differenzen.«

(S. 100, Z. 13.) Man vergleiche die Kontroversen zwischen G. v.  Below und Karl Lamprecht über die historische Methode und das Verhältnis der soziologischen Geschichtschreibung zur Individualität aus den Jahren 1898 und 1899.

(S. 100, Z. 21 v. u.) »Kein wissenschaftlicher Kopf kann je erschöpfen, kein Fortschritt der Wissenschaft kann erreichen, was der Künstler über den Inhalt des Lebens zu sagen hat. Die Kunst ist das Organ des Lebensverständnisses.« Dilthey, Beiträge zum Studium der Individualität, Berliner Sitzungsberichte, 1896, p. 306.

Zu Teil II, Kapitel 2

(S. 101, Z. 3 f.) Die Motti aus Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Zweiter Teil B. (S. 229 ed. Kirchmann); Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Aphorismus 232.

(S. 101, Z. 19.) Kant, a. a. O. (S. 228).

(S. 101, Z. 19 v. u.) »... die beachtenswerte Erscheinung, daß während jedes Weib, wenn beim Generationsakte überrascht, vor Scham vergehen möchte, sie hingegen ihre Schwangerschaft, ohne eine Spur von Scham, ja mit einer Art Stolz, zur Schau trägt; da doch überall ein unfehlbar sicheres Zeichen als gleichbedeutend mit der bezeichneten Sache selbst genommen wird, daher denn auch jedes andere Zeichen des vollzogenen Koitus das Weib im höchsten Grade beschämt; nur allein die Schwangerschaft nicht.« Schopenhauer, Parerga, II, § 166.

(S. 102, Z. 7.) Ich glaube es rechtfertigen zu können, daß ich zwei Psychologinnen, die mir durch Arbeiten bekannt waren, im Texte übergangen habe; denn die eine ist eine amerikanische Experimentatorin, die andere die russische Verfasserin einer schlechten Geschichte des Apperzeptionsbegriffes.

(S. 102, Z. 8 v. u.) Das Beste über das schwangere Weib und das, was in ihm vorgeht, ist in dem Gedichte: »Geheimnisvolle Kräfte schlingen« (Emil Lucka, Sternennächte, Verlag Wigand, Leipzig 1903) gesagt.

(S. 103, Z. 13 v. u. f.) So unter anderen Guglielmo Ferrero, Womans Sphere in Art, New Review, November 1893 (zitiert nach Havelock Ellis).

(S. 103, Z. 10 v. u. f.) Die Forscher scheinen eher der Meinung von der geringeren Intensität des »Geschlechtstriebes« beim Weibe zu huldigen (z. B. Hegar, Der Geschlechtstrieb, 1894, S. 9), die praktischen »Frauenkenner« sind fast alle in großer Entschiedenheit der entgegengesetzten Ansicht.

(S. 104, Z. 11 v. u.) Daß beim Weibe die Wollust nicht wie beim Manne durch irgend eine Ejakulation vermittelt sein kann, führt Moll aus (Untersuchungen, I, S. 8 ff.). Vgl. auch Chrobak-Rosthorn, Die Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, Wien 1900 (aus Nothnagels Spezieller Pathologie und Therapie), Bd. I, S. 423 f.: »Wir müssen mit Moll einen (Detumeszenz- (Entleerungs-), vielleicht richtiger Depletionstrieb, und einen Kontrektations- (Berührungs-) Trieb ... annehmen. Viel schwieriger steht die Frage dem Weibe gegenüber, bei welchem wir ... insofern keine Analogie mit dem Vorgang beim Manne finden können, als eine Ejakulation von Keimzellen nicht stattfindet ... Es kommt allerdings auch bei Frauen unter der Kohabitation häufig ein Flüssigkeitserguß aus den Bartholinschen Drüsen unter Bewegungen der Musculi ischio- et bulbo-cavernosi zustande, es findet auch eine Abschwellung der ebenfalls durch Muskelbewegungen strotzend gefüllten und dadurch vielleicht ein Unlustgefühl erzeugenden Gefäße (an den Schwellkörpern der Klitoris) statt, doch betrifft diese Entleerung einesteils nicht die keimbereitenden Organe, anderseits scheint sich diese sogenannte Ejakulation oft genug nicht einzustellen, ohne daß hiedurch das Gefühl der sexuellen Befriedigung verhindert würde.«

(S. 104, Z. 18 v. u.) Die Moll sehe Unterscheidung in dessen Büchern: Die konträre Sexualempfindung, 3. Aufl., Berlin 1899, S. 2. Untersuchungen über die Libido sexualis, 1897, Bd. I, S. 10.

(S. 106, Z. 4 v. u.) Daraus, daß W selbst durchaus und überall Sexualität ist, wird leicht erklärlich, daß man beim Weibchen in der ganzen Zoologie gar nicht eigentlich von »sekundären Geschlechtscharakteren« im selben Sinne reden kann wie beim Manne. Weibchen »bieten selten merkwürdige sexuelle Charaktere« ( Darwin, Entstehung der Arten, S. 201, ed. Haek).

(S. 110, Z. 9 f.) Auch unter den Tieren bildet bei den Männchen die Brunstzeit einen viel stärkeren Gegensatz zu ihrem sonstigen Leben als bei den Weibchen. Man vergleiche, um ein Beispiel statt vieler anzuführen, wie Friedrich Miescher den Rheinlachs vor und während der Laichzeit schildert (Die histochemischen und physiologischen Arbeiten von F. M., Leipzig 1897, Bd. II, S. 123): »Wenn man etwa im Dezember einen männlichen Salm, sogenannten Wintersalm, sieht, mit klarem, bläulich schimmerndem Schuppenkleid, der schönen Rundung des Leibes, mit der kurzen Schnauze ... ohne jede Spur von Hakenbildung ... und man daneben den bekannten Hakenlachs erblickt, mit einer Nase von doppelter Länge, einer überhaupt ganz veränderten Physiognomie des Vorderkopfes, mit der tigerartig rot und schwarz gefleckten, von Epithelwucherung trüben, dicken Hautschwarte, dem abgeplatteten Körper und den dünnen schlotternden Bauchwänden, so hat man immer wieder Mühe, sich zu überreden, daß dies Exemplare einer und derselben Spezies seien. Etwas geringer ist der Gegensatz beim weiblichen Exemplar. Die Länge und Form der Schnauze ist nicht wesentlich verschieden; die roten Flecken an Kopf und Leib, beim Winterlachs gänzlich fehlend, sind beim weiblichen Laichlachs schwächer entwickelt als beim Männchen; die Haut ist getrübt und wie unrein, doch nicht so stark verdickt.«

(S. 110, Z. 13.) Ein sehr hervorragender, aber merkwürdig wenig beachteter Aufsatz von Oskar Friedländer (»Eine für Viele«, eine psychologische Studie, »Die Gesellschaft«, Münchener Halbmonatsschrift, XVIII. Jahrgang, 1902, Heft 15/16, S. 166) nähert sich in diesem Punkte meiner Auffassung so weit, daß ich ihn hier, wie noch mehrfach, zitieren muß: »Sicherlich, der Geschlechtstrieb tritt beim Manne heftiger und ungestümer auf als beim Weibe. Es liegt dies wohl weniger an dem verschiedenen Grade der Intensität als daran, daß im männlichen Geiste die heterogensten Elemente aus allen psychischen Gebieten zusammenkommen, die um die Vorherrschaft kämpfen und die sexuellen Instinkte zu verdrängen suchen, und diese durch die Kontrastwirkung desto stärker empfunden werden, während ihre gleichmäßige Verteilung über die ganze Seele des Weibes ... sie nicht mit besonderer Schärfe zur Abhebung kommen läßt.«

Zu Teil II, Kapitel 3

(S. 112, Z. 8 v. u.) »Begierde und Gefühl sind nur Arten, wie unsere Vorstellungen sich im Bewußtsein befinden.« Joh. Friedr. Herbart, Psychologie als Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik, II. (analytischer) Teil, § 104 (Werke VI, S. 60, ed. Kehrbach, Langensalza 1887).

(S. 112, Z. 7 v. u.) A. Horwicz, Psychologische Analysen auf physiologischer Grundlage, Ein Versuch zur Neubegründung der Seelenlehre, H/1, Die Analyse des Denkens, Halle 1875, S. 177 f.: »Das Gefühl ist unserer Auffassung gemäß das früheste, elementarste Gebilde des Seelenlebens, es ist der früheste und einzige Inhalt des Bewußtseins, die Triebfeder der ganzen seelischen Entwicklung. Wie verhält sich nun hiezu das Denken? ... Das Denken ist eine Folgeerscheinung des Gefühls, wie es auch die Bewegung ist, es ist die ureigenste Dialektik der Triebe ... der stärker geübte, von anderen unterschiedene Trieb gibt durchdachte, geordnete, aus einer Anzahl von geläufigen Bewegungen ausgewählte Bewegungen, das ist durchdachtes Denken.« II/2, Die Analyse der qualitativen Gefühle, Magdeburg 1878, S. 59: »Es [das Gefühl] ist die allgemeinste elementarste Form des Bewußtseins, in dieser allereinfachsten Gestalt [bei Tieren und Pflanzen] freilich nur ein ganz schwaches, dunkles Bewußtsein, mehr ein brütendes Ahnen als ein Erkennen und Wissen. Aber es bedarf, um deutliches und klares Bewußtsein zu werden, keiner weiteren fraglichen Zutaten, sondern nur der Vervielfachung und intensiven Gradsteigerung.« Vgl. Wilhelm Wundt, Über das Verhältnis der Gefühle zu den Vorstellungen, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, III, 1879, S. 129-151, und Horwicz' Antwort: »Über das Verhältnis der Gefühle zu den Vorstellungen und die Frage nach dem psychischen Grundprozesse«, a. a. O. S. 308-341.

(S. 113, Z. 15.) Über solche »Feelings of tendency« vgl. William James, The Principles of Psychology, New York 1890, Vol. I, p. 254.

(S. 113, Z. 21 v. u.) Vgl. besonders Leibnitii Meditationes de cognitione, veritate ed ideis Acta eruditorum, Lips., November 1684, p. 537 f. (p. 79 f. ed. Erdmann).

(S. 113, Z. 17 v. u.) Wilhelm Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, 5. Aufl., Leipzig 1902, Bd. II, S. 286 ff.

(S. 113, Z. 9 v. u.) Richard Avenarius, Kritik der reinen Erfahrung, Bd. I, Leipzig 1888, S. 16. Der menschliche Weltbegriff, Leipzig 1891, S. 1 f. Vgl. Joseph Petzoldt, Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung, Bd. I, Die Bestimmtheit der Seele, Leipzig 1900, S. 112 ff.

(S. 113, Z. 8 v. u.) Über die verschiedenen Bedeutungen des Wortes »Charakter« (welches auch in dieser Schrift in dreifach verschiedener Anwendung, doch unter Vermeidung aller Äquivokationen gebraucht werden mußte) vgl. Rudolf Eucken, Die Grundbegriffe der Gegenwart, historisch und kritisch entwickelt, 1893, S. 273 ff.

(S. 114, Z. 10.) Die Avenariussche Zusammenstellung von Wahrnehmungs- und Gedächtnisbild hat unter den späteren Psychologen bloß Oswald Külpe akzeptiert, welcher in seinem »Grundriß der Psychologie, auf experimenteller Grundlage dargestellt« (Leipzig 1893), S. 174 ff., in terminologisch freilich durchaus nicht einwandfreier Weise die Lehre vom Gedächtnis als die Lehre von den »zentral erregten Empfindungen« abhandelt.

(S. 115, Z. 10 v. u.) Petzoldt, a. a. O. S. 138 ff.

(S. 116, Z. 11 v. u. f.) Vgl. A. Kunkel, Über die Abhängigkeit der Farbenempfindung von der Zeit, Archiv für die gesamte Physiologie der Menschen und der Tiere, IX, 1874, S. 21. Hiezu weiter Fechner, Elemente der Psychophysik, 1. Aufl., Leipzig 1860, Bd. I, S. 249 f.; Oswald Külpe, Grundriß der Psychologie, S. 131, 210: Hermann Ebbinghaus, Grundzüge der Psychologie, Leipzig 1902, S. 230.

(S. 117, Z. 8 v. u.) Johann Gottlieb Fichte, Über den Begriff der Wissenschaftslehre (Werke 1/1, Berlin 1845, S. 73): »Der menschliche Geist macht mancherlei Versuche: er kommt durch blindes Herumtappen zur Dämmerung, und geht erst aus dieser zum hellen Tag über. Er wird anfangs durch dunkle Gefühle ... geleitet ...« Schopenhauer, Parerga, I, § 14 (Werke IV, S. 159 f., ed. Grisebach): »Im allgemeinen ... ist über diesen Punkt zu sagen, daß von jeder großen Wahrheit sich, ehe sie gefunden wird, ein Vorgefühl kundgibt, eine Ahndung, ein undeutliches Bild, wie im Nebel, und ein vergebliches Haschen, sie zu ergreifen; weil eben die Fortschritte der Zeit sie vorbereitet haben. Demgemäß präludieren dann vereinzelte Aussprüche. Allein, nur wer eine Wahrheit aus ihren Gründen erkannt und in ihren Folgen durchdacht, ihren ganzen Inhalt entwickelt, den Umfang ihres Bereiches übersehen und sie sonach mit vollem Bewußtsein ihres Wertes und ihrer Wichtigkeit, deutlich und zusammenhängend, dargelegt hat, der ist ihr Urheber. Daß sie hingegen, in alter und neuer Zeit, irgend einmal mit halbem Bewußtsein und fast wie ein Reden im Schlaf ausgesprochen worden und demnach sich daselbst finden läßt, wenn man hinterher danach sucht, bedeutet, wenn sie auch totidem verbis dasteht, nicht viel mehr, als wäre es totidem litteris; gleichwie der Finder einer Sache nur der ist, welcher sie, ihren Wert erkennend, aufhob und bewahrte; nicht aber der, welcher sie zufällig einmal in die Hand nahm und wieder fallen ließ; oder wie Kolumbus der Entdecker Amerikas ist, nicht aber der erste Schiffbrüchige, den die Wellen dort einmal abwarfen. Dies eben ist der Sinn des Donatischen pereant qui ante nos nostra dixerunt.« Noch treffender sagt Kant: »Dergleichen allgemeine und dennoch bestimmte Prinzipien lernt man nicht leicht von anderen, denen sie nur dunkel vorgeschwebt haben. Man muß durch eigenes Nachdenken zuvor selbst darauf gekommen sein, danach findet man sie auch anderwärts, wo man sie gewiß nicht zuerst würde angetroffen haben, weil die Verfasser selbst nicht einmal wußten, daß ihren Bemerkungen eine solche Idee zum Grunde liege. Die so niemals selbst denken, besitzen dennoch die Scharfsichtigkeit, alles, nachdem es ihnen gezeigt worden, in demjenigen, was sonst schon gesagt worden, aufzufinden, wo es doch vorher niemand entdecken konnte.« (Prolegomena zu jeder künftigen Metaphysik, § 3, gegen Ende.)

(S. 117, Z. 4 f.) Das Zitat aus Nietzsche, Also sprach Zarathustra, III. Buch, Kap.: Der Genesende.

(S. 119, Z. 16 v. u.) S. Exner, Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Erscheinungen, I. Teil, Leipzig und Wien 1894, S. 76 ff. Vgl. H.  Höffding, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 13, 1889, S. 431.

(S. 119, Z. 5 v. u.) Avenarius, Kritik der reinen Erfahrung, Bd. I, Leipzig 1888, S. 77; Bd. II, Leipzig 1890, S. 57. Übrigens schlägt den gleichen Ausdruck in ähnlichem Falle Wilhelm Dilthey vor, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, Berliner Sitzungsberichte, 1894, S. 1387.

(S. 121, Z. 7.) Wahrscheinlicher jedoch als die Exnersche Theorie dünkt mich jetzt folgende Vermutung. Der Parallelismus zwischen Phylo- und Ontogenese, das »biogenetische Grundgesetz« wird gewöhnlich konstatiert, ohne daß man weiter darüber nachdenkt, warum die Entwicklung des Individuums immer die Geschichte der Gattung wiederhole; so eilig hat man es eben, die Tatsache für die Deszendenzlehre und besonders für ihre ungeteilte Anwendung auf den Menschen auszubeuten. Vielleicht liegt aber in der Entwicklung von der Henide zum differenzierten Inhalt ein Parallelprozeß zu jener Erscheinung vor, der ihre bisherige Isoliertheit und Rätselhaftigkeit aufheben könnte.

(S. 123, Z. 7 f.) Über die falsche populäre Annahme einer allgemeinen größeren Sinnesempfindlichkeit beim Weibe, eine Annahme, die Sensibilität mit Emotivität und Irritabilität verwechselt, vgl. Havelock Ellis, Mann und Weib, S. 153 f. Über das feinere Tastgefühl des Mannes. Lombroso-Ferrero, Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, S. 48 f.

(S. 123, Z. 2 v. u.) Vgl. Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, historisch-kritisch dargestellt, 4. Aufl., Leipzig 1901, S. 1 f., 28 f. Die Prinzipien der Wärmelehre, historisch-kritisch entwickelt, 2. Aufl., Leipzig 1900, S. 151.

Zu Teil II, Kapitel 4

(S. 126, Z. 1 f.) Die Bestimmungen, zu welchen dieses Kapitel über das Wesen der Genialität gelangt, sind ganz provisorisch und können erst nach der Lektüre des achten Kapitels verstanden werden, das sie wieder aufnimmt, aber in einem weit größeren Ganzen zeigt und darum erst eigentlich begründet.

(S. 129, Z. 14 v. u.) Über das Verstehen der Menschen und menschlicher Äußerungen ist in der wissenschaftlich-psychologischen Literatur bezeichnend wenig zu finden. Nur Wilhelm Dilthey bemerkt (Beiträge zum Studium der Individualität, Berliner Sitzungsberichte, 1896, S. 309 ff.): »Wir können zunächst das Verstehen eines fremden Zustandes als einen Analogieschluß auffassen, der von einem äußeren physischen Vorgang vermittels seiner Ähnlichkeit mit solchen Vorgängen, die wir mit bestimmten inneren Zuständen verbunden finden, auf einen diesen ähnlichen inneren Zustand hingeht ... Die Glieder des Nachbildungsvorganges sind gar nicht bloß durch logische Operationen, etwa durch einen Analogieschluß, miteinander verbunden. Nachbilden ist eben ein Nacherleben. Ein rätselhafter Tatbestand! Wir können dies etwa, wie ein Urphänomen, darauf zurückführen, daß wir fremde Zustände in einem gewissen Grade wie die eigenen fühlen, uns mitfreuen und mittrauern können, zunächst je nach dem Grade der Sympathie, Liebe oder Verwandtschaft mit anderen Personen. Die Verwandtschaft dieser Tatsache mit dem nachbildenden Verstehen ergibt sich aus mehreren Umständen. Auch das Verstehen ist von dem Maße der Sympathie abhängig, und ganz unsympathische Menschen verstehen wir überhaupt nicht mehr. Ferner offenbart sich die Verwandtschaft des Mitgefühls mit dem nachbildenden Verstehen sehr deutlich, wenn wir vor der Bühne sitzen!« ... »Gemäß diesen Verhältnissen hat auch die wissenschaftliche Auslegung oder Interpretation als das kunstmäßig nachbildende Verstehen immer etwas Genialisches, das heißt, sie erlangt erst durch innere Verwandtschaft und Sympathie einen hohen Grad von Vollendung. So wurden die Werke der Alten erst im Zeitalter der Renaissance ganz wiederverstanden, als ähnliche Verhältnisse eine Verwandtschaft der Menschen zur Folge hatten ... Es gibt keinen wissenschaftlichen Prozeß, welcher dieses lebendige Nachbilden als untergeordnetes Moment hinter sich zu lassen vermöchte. Hier ist der mütterliche Boden, aus dem auch die abstraktesten Operationen der Geisteswissenschaften immer wieder ihre Kraft ziehen müssen. Nie kann hier Verstehen in rationales Begreifen aufgehoben werden. Es ist umsonst, aus Umständen aller Art den Helden oder den Genius begreiflich machen zu wollen. Der eigenste Zugang zu ihm ist der subjektive.« ... (S. 314 f.:) »Die älteren Maler strebten, die bleibenden Züge der Physiognomie in einem idealen Moment, der für dieselben am meisten prägnant und bezeichnend ist, zu sammeln. Möchte nun eine neue Schule den momentanen Eindruck festhalten, um so den Eindruck des Lebens zu steigern: so gibt sie die Personen an die Zufälligkeit des Momentes hin. Und auch in diesem findet ja eine Auffassung des Inbegriffs von Eindrücken eines gegebenen Momentes unter der Einwirkung des erworbenen seelischen Zusammenbanges statt; eben in dieser Apperzeption entspringt die Verbindung der Züge von einem gefühlten Eindruckspunkt aus, welche Auslassungen und Betonungen bedingt: so entsteht ein Momentbild ebenso der Apperzeptionsweise des Malers als des Gegenstandes, und jede Bemühung, zu sehen, ohne zu apperzipieren, so gleichsam das sinnliche Bild in Farben auf einer Platte aufzulösen, muß mißlingen. Was noch tiefer führt, der Eindruckspunkt ist schließlich durch das Verhältnis irgend einer Lebendigkeit zu der meinigen bedingt, ich finde mich in meinem Lebenszusammenhang von etwas Wirkendem in einer Natur innerlich berührt; ich verstehe von diesem Lebenspunkt aus die dorthin konvergierenden Züge. So entsteht ein Typus. Ein Individuum war das Original: ein Typus ist jedes echte Porträt, geschweige denn in einem Figurengemälde. Auch die Poesie kann nicht abschreiben, was vor sich geht usw.« Sonst ist nur die Arbeit von Hermann Swoboda, Verstehen und Begreifen, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, XXVII, 1903, Heft 2 und 3, zu nennen. Swoboda hält wie Dilthey die Gleichheit, respektive Verwandtschaft für das einzige Erfordernis des Verständnisses; hierin weiche ich von beiden ab.

(S. 134, Z. 12.) Richard Wagner, Gesammelte Schriften und Dichtungen, 3. Aufl., Leipzig 1898, Bd. VI, S. 128.

(S. 136, Z. 16 v. u.) So wird etwa der Begabtere schon die Wirkung kleinster Kaffee- und Tee- und Nikotindosen auf sein psychisches Befinden intensiver fühlen als der Unbegabte.

(S. 136, Z. 1 v. u.) Es gibt nur Universalgenies: »ὃν γὰρ ὰπέστειλεν ὁ ϑεὸς, τὰ ῥήματα τοῦ ϑεοῦ λαλεῖ· οὐ γὰρ ἐκ μέτρου δίδωσι τὸ πνεῦμα.« ( Evang. Joh. 3, 34.)

(S. 137, Z. 16.) Die hier gerügte Verwechslung kommt besonders deutlich zum Vorschein bei Franz Brentano, Das Genie, ein Vortrag, Leipzig 1892, S. 11: »Jedes Genie hat sein eigentümliches Gebiet; nicht bloß gibt es kein Universalgenie im vollen Sinne des Wortes, sondern meist hat die Genialität auch in der einzelnen Kunstgattung engere Grenzen. So war z. B. Pindar ein genialer Lyriker und nichts weiter.« Wäre diese populäre Ansicht haltbar, so müßte man den Dichter und Maler Rossetti über den »bloßen« Dichter Dante stellen, Novalis höher halten als Kant und Lionardo da Vinci für den größten Menschen ansehen.

(S. 138, Z. 17 v. u.) Hiemit stimmt Schopenhauers Überzeugung überein (Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, Kap. 31, S. 447, ed. Frauenstädt): »Weiber können bedeutendes Talent, aber kein Genie haben.«

(S. 139, Z. 4 v. o.) Über das Verhältnis der anderen Menschen zum Helden Thomas Carlyle, On Heroes, Hero-Worship and the Heroic in History, London, Chapman and Hall, p. 10 ff.

Zu Teil II, Kapitel 5

(S. 140, Z. 7 v. u.) Anderthalb Jahre nach Niederschrift dieser Partien fand ich in Schopenhauers Nachlaß (Neue Paralipomena, § 143) eine Stelle, die einzige mir aus der gesamten Literatur bekannt gewordene, in der eine Ahnung des Zusammenhanges zwischen Genialität und Gedächtnis sich äußert. Sie lautet: »Ob nicht alles Genie seine Wurzel hat in der Vollkommenheit und Lebhaftigkeit der Rückerinnerung des eigenen Lebenslaufes? Denn nur vermöge dieser, die eigentlich unser Leben zu einem großen Ganzen verbindet, erlangen wir ein umfassenderes und tieferes Verständnis desselben, als die übrigen haben.«

(S. 141, Z. 4 f.) David Hume fragt einmal (A Treatise of Human Nature, 1. Ausgabe, London 1738, Vol. I, p. 455): »Who can tell me, for instance, what were his thoughts and actions on the first of January 1715, the 11. of March 1719 and the 3. of August 1733?« Das vollkommene Genie müßte dies von allen Tagen seines Lebens mit Sicherheit wissen.

(S. 144, Z. 4 v. u. ff.) Vgl. Goethe, Dichtung und Wahrheit, III. Teil, XIV. Buch (Bd. XXIV, S. 141 der Hesseschen Ausgabe): »Ein Gefühl aber, das bei mir gewaltig überhandnahm und sich nicht wundersam genug äußern konnte, war die Empfindung der Vergangenheit und Gegenwart in eins: eine Anschauung, die etwas Gespenstermäßiges in die Gegenwart brachte. Sie ist in vielen meiner größeren und kleineren Arbeiten ausgedrückt und wirkt im Gedicht immer wohltätig, ob sie gleich im Augenblicke, wo sie sich unmittelbar am Leben und im Leben selbst ausdrückte, jedermann seltsam, unerklärlich, vielleicht unerfreulich scheinen mußte.«

(S. 147, Z. 16 v. u. f.) »Der Erfolg der Sängerinnen hatte im Laufe des XVII. Jahrhunderts der Frau jede Gelegenheit auch der theoretisch-musikalischen Ausbildung eröffnet. Unzulängliche Vorbildung kann also in der Komposition als Grund für die minderwertige weibliche Leistung nicht gelten.« So Adele Gerhardt und Helene Simon, Mutterschaft und geistige Arbeit, S. 74; ich zitiere diese Stelle auch, um Mills geistreichen Syllogismus anzuführen: »Man unterrichtet die Frauen in der Musik, aber nicht damit sie komponieren, sondern nur damit sie ausüben können, und folglich sind in der Musik die Männer den Frauen als Komponisten überlegen.« (Die Hörigkeit der Frau, übersetzt von Jenny Hirsch, Berlin 1869, S. 126.)

(S. 147, Z. 14 v. u. f.) Die Angabe über die Malerinnen etc. nach Guhl, Die Frauen in der Kunstgeschichte, Berlin 1858, S. 150.

(S. 148, Z. 15.) »A mesure qu'on a plus d'esprit, on trouve qu'il y a plus d'hommes originaux. Les gens du commun ne trouvent pas de différence entre les hommes.« ( Pascal, Pensées, I, 10, 1.)

(S. 149, Z. 21 v. u.) Hiemit stimmt überein, was Helvetius (nach J. B.  Meyer, Genie und Talent, Eine prinzipielle Betrachtung, Zeitschrift für Völkerpsychologie, Bd. XI, 1880, S. 298) und Schopenhauer (Parerga und Paralipomena, II, § 53) über den nur dem Grade nach bestehenden Unterschied zwischen dem Genie und den Normalköpfen lehren. Vgl. auch Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, § 8: »Wie könnte denn ein Genie nur einen Monat, geschweige Jahrtausende lang von der ungleichartigen Menge erduldet oder gar erhoben werden ohne irgend eine ausgemachte Familienähnlichkeit mit ihr?«

(S. 149, Z. 13 v. u. ff.) Man vergleiche die Autobiographie der bedeutenden Menschen mit denen minder hervorragender Männer, jene reichen stets weiter zurück ( Goethe, Hebbel, Grillparzer, Richard Wagner, Jean Paul usw.). Rousseau, Confessions, Nouvelle édition, Paris 1875, p. 4: »J'ignore ce que je fis jusqu'à cinq ou six ans. Je ne sais comment j'appris à lire; je ne me souviens que de mes premières lectures et de leur effet sur moi: c'est le temps d'où je date sans interruption la conscience de moi-même.« – Natürlich ist nicht jeder Biograph seines eigenen Lebens ein großer Genius (J. St.  Mill, Darwin, Benvenuto Cellini).

(S. 151, Z. 1 v. u.) Richard Wagner, »Die Meistersinger von Nürnberg«, III. Akt (Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. VII, Leipzig 1898, S. 246).

(S. 152, Z. 6.) So bemerkt bereits Aristoteles (während Platon bis auf Timaeus 37 D ff. die Zeit im engeren Sinne nicht Problem geworden zu sein scheint), Physika VI, 9, 239 b, 8: Οὐ γὰρ σύγκειται ὃ χρόνος ἐκ τῶν νῦν ἀδιαιρέτων.

(S. 153, Z. 14.) Wie wenig tief im Wesen der Frau das Gedächtnis gegründet ist, geht daraus hervor, daß man in einer Frau das Erinnerungsvermögen für bestimmte Dinge töten kann, indem man ihr in der Hypnose verbietet, je wieder derselben zu gedenken. Einen solchen Fall entnehme ich einer Erzählung Freuds in seinen mit Breuer gemeinsam herausgegebenen »Studien über Hysterie«, Leipzig und Wien 1895 (S. 49): »Ich unterbreche sie hier ... und nehme ihr die Möglichkeit, alle diese traurigen Dinge wieder zu sehen, indem ich nicht nur die plastische Erinnerung verlösche, sondern die ganze Reminiszenz aus ihrem Gedächtnisse löse, als ob sie nie darin gewesen wäre.« Und in einer Anmerkung zu dieser Stelle fügt Freud hinzu: »Ich bin diesmal in meiner Energie wohl zu weit gegangen. Noch 1½ Jahre später, als ich Frau Emmy in relativ hohem Wohlbefinden wiedersah, klagte sie mir, es sei merkwürdig, daß sie sich an gewisse, sehr wichtige Momente ihres Lebens nur höchst ungenau erinnern könne. Sie sah darin einen Beweis für die Abnahme ihres Gedächtnisses, während ich mich hüten mußte, ihr die Erklärung für diese spezielle Amnesie zu geben« (um einen Rückfall in die Krankheit zu verhindern).

(S. 154, Z. 5.) Lotze: im »Mikrokosmus«, I. Aufl., 1858, Bd. II, S. 369.

(S. 156, Z. 11 v. u. f.) Diese Ableitung aus dem Schein der Bekanntheit neuer Situationen bei Rhys Davids, Der Buddhismus, Leipzig, Universalbibliothek, S. 107.

(S. 156, Z. 5 v. u.) Edward B. Tylor, Die Anfänge der Kultur, Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte, übersetzt von J. W. Spengel und Fr. Poske, Leipzig 1873, Bd. II, S. 1: Es »kann ... nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden, daß die Lehre von einem zukünftigen Leben, wie wir sie selbst bei den niedrigsten Rassen vorfinden, eine durchaus notwendige Folge des rohen Animismus ist«. – Herbert Spencer, Die Prinzipien der Soziologie, Bd. I, Stuttgart 1877, § 100 (S. 225). – Richard Avenarius, Der menschliche Weltbegriff, Leipzig 1891, S. 35 ff.

(S. 157, Z. 17 v. u. f.) Über dieses plötzliche Auftauchen aller Erinnerungen vor dem Tode oder in Todesgefahr und Todesnähe vgl. Fechner, Zend-Avesta, 2. Aufl., Bd. II, S. 203 ff.

(S. 158, Z. 15 f.) Über die »Euthanasie der Atheisten« vergleiche man, was F. A.  Lange erzählt (Geschichte des Materialismus, 5. Aufl., 1896, Bd. I, S. 358).

(S. 161, Z. 6 f.) Aus den angeführten Gründen sind mir die indischen Lehren vom Leben nach dem Tode, die griechische Anschauung vom Lethe-Trunk und die Verkündung von Wagners Tristan: »... im weiten Reich der Welten-Nacht. Nur ein Wissen dort uns eigen: göttlich ew'ges Ur-Vergessen«, ungleich weniger verständlich als die Anschauung Gustav Theodor Fechners, dem das zukünftige Leben ein volles und ganzes Erinnerungsleben ist (Zend-Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits vom Standpunkte der Naturbetrachtung, 2. Aufl., besorgt von Kurd Laßwitz, Hamburg und Leipzig 1901, Bd. II, S. 190 ff., z. B. S. 196): »Ein volles Erinnern an das alte Leben wird beginnen, wenn das ganze alte Leben hinten liegt, und alles Erinnern innerhalb des alten Lebens selber ist bloß ein kleiner Vorbegriff davon.« Die Annahme ist unethisch, welche die Erinnerungen aus dem Erdenleben mit dem Tode völlig ausgelöscht sein läßt: sie entwertet Wertvolles; da Wertloses ohnehin vergessen wird. Und dann: in der Erinnerung ist der Mensch bereits aktiv, das Gedächtnis ist eine Willenserscheinung; von einem Leben in voller Aktivität ist zu denken, daß es alle Elemente der Aktivität in sich aufgenommen habe; es ist ewig, weil es zeitlos ist und also Vergangenes und Zukünftiges nebeneinander sieht. Sehr schön sagt Fechner (ibid. S. 197 f.): »So denke dir also, daß nach dem letzten Augenschluß, der gänzlichen Abtötung aller diesseitigen Anschauung und Sinnesempfindung überhaupt, die der höhere Geist bisher durch dich gewonnen, nicht bloß die Erinnerungen an den letzten Tag erwachen, sondern teils die Erinnerungen, teils die Fähigkeit zu Erinnerungen an dein ganzes Leben, lebendiger, zusammenhängender, umfassender, heller, klarer, überschaulicher, als je Erinnerungen erwachten, da du immer noch halb in Sinnesbanden gefangen lagst; denn so sehr dein eigener Leib das Mittel war, diesseitige Sinnesanschauungen zu schöpfen und irdisch zu verarbeiten, so sehr war er das Mittel, dich an dies Geschäft zu binden. Nun ist aus das Schöpfen, Sammeln, Umbilden im Sinne des Diesseits; der heimgetragene Eimer öffnet sich, du gewinnst, und in dir tut's der höhere Geist, auf einmal allen Reichtum, den du nach und nach hineingetan. Ein geistiger Zusammenhang und Abklang alles dessen, was du je getan, gesehen, gedacht, errungen in deinem ganzen irdischen Leben, wird nun in dir wach und helle; wohl dir, wenn du dich dessen freuen kannst. Mit solchem Lichtwerden deines ganzen Geistesbaues wirst du geboren ins neue Leben, um mit hellerem Bewußtsein fortan zu arbeiten an dem höheren Geistesleben ...«

»Manche sind, die glauben wohl an ein künftig Leben, nur gerade, daß die Erinnerung des jetzigen hinüberreichen werde, wollen sie nicht glauben. Der Mensch werde neu gemacht und finde sich ein anderer im neuen Leben, der wisse nichts mehr von dem früheren Menschen. Sie brechen damit selbst die Brücke ab, die zwischen Diesseits und Jenseits überleitet, und werfen eine dunkle Wolke zwischen. Statt daß nach uns der Mensch mit dem Tode sich ganz und vollständig wiedergewinnen soll, ja so vollständig, als er sich niemals im Leben hatte, lassen sie ihn sich ganz verlieren; der Hauch, der aus dem Wasser steigt, statt den künftigen Zustand des ganzen Wassers vorzubedeuten, verschwindet ihnen mit dem Wasser zugleich. Nun soll es plötzlich als neues Wasser in einer neuen Welt da sein. Allein, wie ward es so? Wie kam's dahin? Die Antwort bleiben sie uns schuldig. So bleibt man auch gar leicht den Glauben daran schuldig.

Was ist der Grund von solcher Ansicht? Weil keine Erinnerungen aus einem früheren Leben ins jetzige hinüberreichen, sei auch nicht zu erwarten, daß solche aus dem jetzigen ins folgende hinüberreichen. Aber hören wir doch auf, Gleiches aus Ungleichem zu folgern. Das Leben vor der Geburt hatte noch keine Erinnerungen, ja kein Erinnerungsvermögen in sich, wie sollten Erinnerungen davon in das jetzige Leben reichen; das jetzige hat Erinnerungen und ein Erinnerungsvermögen in sich entwickelt, wie sollten Erinnerungen nicht in das künftige Leben reichen, ja sich nicht steigern, wenn wir doch im künftigen Leben eine Steigerung dessen zu erwarten haben, was sich im Übergange vom vorigen zum jetzigen Leben gesteigert hat. Wohl wird der Tod als zweite Geburt in ein neues Leben zu fassen sein; ... aber kann darum alles gleich sein zwischen Geburt und Tod? Nichts ist doch sonst ganz gleich zwischen zwei Dingen. Der Tod ist eine zweite Geburt, indes die Geburt eine erste. Und soll uns die zweite zurückwerfen auf den Punkt der ersten, nicht vielmehr von neuem Anlauf auf uns weiter führen? Und muß der Abschnitt zwischen zwei Leben notwendig ein Schnitt sein? Kann er nicht auch darin bestehen, daß das Enge sich plötzlich ausdehnt in das Weite?« (S. 199 f.)

(S. 163, Z. 14.) In den werttheoretischen Büchern von Döring, Meinong, Ehrenfels, Kreibig habe ich vergebens nach irgend einer Bestimmung des Verhältnisses von Wert und Zeit gesucht. Was bei Alexius v. Meinong, Psychologisch-ethische Untersuchungen zur Werttheorie, Graz 1894, S. 46 und 58 ff., bei Josef Clemens Kreibig, Psychologische Grundlegung eines Systems der Werttheorie, Wien 1902, S. 53 ff., zu finden ist, steht in keiner Beziehung zu dem hier in Betracht kommenden prinzipiellen Zwecke. Gerade was Kreibig ausführt, S. 54: »Das stets gleichbleibende lang andauernde Tönen einer Dampfpfeife oder eines Nebelhornes, das Einerlei eines gleichförmig grauen Himmels, das endlose Plappern eines witzelnden Gesellschafters wirkt auf die Dauer unlusterregend, auch wenn diese Inhalte ursprünglich angenehm empfunden wurden. Goethe sagt treffend, nichts sei schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen (!) Tagen. Auf allen höheren Gebieten finden wir ähnliche Tatbestände; der immer süße Mendelssohn, der leiernde Hexameter Vossens, das Lob der Speichellecker wird schließlich peinvoll. Der Sozialist Fourier beweist Beobachtungsgabe, indem er in seinem Phalansterium der ›Schmetterlingsleidenschaft‹ der Menschen durch entsprechenden Wechsel der pflichtmäßigen Beschäftigung jedes einzelnen Rechnung trägt. Daß anderseits eine zu rasche Abfolge differenter Inhalte ermüdend und damit negativ wertbeeinflussend wirkt, braucht nicht ausführlich belegt zu werden« – gerade diese Auseinandersetzung zeigt, wie heillos die Brentanosche Schule »Wertgefühl« und Lust konfundiert hat. Die Lust mag durch Dauer geschwächt werden; ein Wertvolles kann durch sie nie an Wert verlieren.

Nur an zwei Orten finde ich Meinungen, die an die Darlegungen des Textes erinnern könnten. Harald Höffding erblickt in seiner »Religionsphilosophie« (übersetzt von F. Bendixen, Leipzig 1901, S. 105, 193 ff.) das Wesen der Religion in der »Erhaltung des Wertes« in der Welt, wodurch man sich entfernt an den Satz von der Zeitlosigkeit des Wertes gemahnt fühlen könnte. Viel näher und deutlicher erkennbar ist meine Übereinstimmung mit Rudolf Eucken, Der Wahrheitsgehalt der Religion, Leipzig 1901, S. 219 f.: »... Wohl heißt es, daß der Mensch der bloßen Zeit angehört, aber er tut das nur für eine gewisse Fläche seines Daseins; alles geistige Leben ist eine Erhebung über die Zeit, eine Überwindung der Zeit. Was immer an geistigen Inhalten entfaltet wird, das trägt in sich den Anspruch, ohne alle Beziehung zur Zeit und unberührt von ihrem Wandel, d. h. also in einer ewigen Ordnung der Dinge zu gelten; nicht nur die Wissenschaft gibt ihre Wahrheit ›unter der Form der Ewigkeit‹, was immer wertvoll und wesenhaft sein will, das verschmäht ein Dahinschwimmen mit dem Flusse der Zeit, eine Unterwerfung unter den Wandel ihrer Mode und Laune, das will umgekehrt von sich aus die Zeiten messen und ihren Wert bestimmen.

Dieses Verlangen nach Ewigkeit begnügt sich nicht damit, eine Zuflucht aus den Wirren der Zeit zu suchen, es nimmt auf dem eigenen Boden der Zeit den Kampf mit ihr auf; dieser Zusammenstoß von Zeit und Ewigkeit ist es vornehmlich, woraus Geschichte im menschlichen Sinne entsteht und besteht. In der Zeit selbst erwächst ein Streben über alles Zeitliche hinaus zu etwas Unwandelbarem: so fixiert das Kulturleben von den Leistungen der Vergangenheit gewisse als klassisch und möchte sie nicht nur dauernd im Bewußtsein erhalten, sondern in ihnen ein untrügliches Maß des Strebens finden ... nicht dadurch entsteht Geschichte im menschlichen und geistigen Sinne, daß Erscheinungen einander folgen und sich anhäufen, sondern dadurch, daß diese Folge irgend gedacht und erlebt wird. Nun aber wäre nicht einmal ein Überschauen und die Vereinigung der Mannigfaltigkeit in einen Gesamtanblick möglich ohne ein Heraustreten des Beobachters aus dem rastlosen Strom der Zeit. Und die Betrachtung allein vermag keineswegs eine historische Gestaltung der Kultur hervorzubringen, diese kommt nur zustande, indem in der Geschichte Wesentliches und Nebensächliches, Bleibendes und Vergängliches auseinandertritt; sie ist nicht möglich ohne ein energisches Sondern und Sichten der chaotischen Fülle, die uns zuströmt. Der echte Bestand, der allein für die eigene Lebensführung Wert hat, ist aus der Erscheinung immer erst herauszuarbeiten. Wer anders aber sollte jenes Sondern und Sichten vollziehen als ein der Zeit überlegener, nach inneren Notwendigkeiten messender Lebensprozeß, und wie anders sollte er es tun, als indem er das echt Befundene aus allem Wandel der Zeit heraushebt und ihr gegenüber festlegt? ...« S. 221 f.: »... ein anderes ist es, die anthropomorphe Unsterblichkeit abzulehnen, ein anderes, dem Geisteswesen des Menschen alle Teilnahme an der Ewigkeit zu versagen. Denn dies heißt nicht sowohl Aussichten in die Zukunft abschneiden als alles Geistesleben der bloßen Zeit überantworten, damit aber es herabdrücken, zerstreuen, innerlich vernichten. Auch das zeitliche Leben wird zu bloßem Schatten und Schein, wenn ihm kein Streben zur Ewigkeit innewohnt; müßte doch bei voller Gebundenheit an die Zeit alles menschliche Erlebnis, alle menschliche Wirklichkeit nach dem Aufleuchten des bloßen Augenblicks sofort in den Abgrund des Nichts zurücksinken.«

Wollte ich noch weiteres anführen, so könnte ich nur auf den schönen Traum verweisen, den Knut Hamsun in seinem Roman »Neue Erde« (übersetzt von M. v. Borch, München 1894, S. 169 ff.) schildert, oder müßte schon hier auf die ewigen Ideen Platons zurückgreifen, die unberührt von der Zeit an einem Orte »jenseits des Himmels« thronen. Die Ideen Platons in ihrer späteren restringierten Fassung sind die Werte der modernen, von Kant begründeten Philosophie. Aber in der rein psychologischen Auseinandersetzung dieses Kapitels kommt das noch nicht in Betracht.

(S. 168, Z. 14 v. u. f.) Carlyle, On Heroes etc., p. 11 f. »He was the ›creature of the Time‹, they say; the Time called him forth, the Time did everything, he nothing ... The Time call forth? Alas, we have known Times call loudly enough for their great man; but not find him when they called! He was not there; Providence has not sent him; the Time, calling its loudest, had to go down to confusion and wreck because he would not come when called.

For if we will think of it, no time need have gone to ruin, could it have found a man great enough, a man wise and good enough: wisdom to discern truly what the Time wanted, valour to lead it on the right road thither; these are the salvation of any Time. But I liken common languid Times, with their unbelief, distress, perplexity, with their languid doubting characters and embarrassed circumstances, impotently crumbling-down into ever worse distress towards final ruin; – all this I liken to dry dead fuel, waiting for the lightning out of Heaven that shall kindle it. The great man, with his free force direct out of God's own hand, is the lightning. His word is the wise healing word which all can believe in. All blazes round him now, when he has once struck on it, into fire like his own. The dry mouldering sticks are thought to have called him forth. They did want him greatly; but as to calling him forth –! – Those are critics of small vision, I think, who cry: ›See, is it not the stick that made the fire?‹ No sadder proof can be given by a man of his own littleness than disbelief in great men

(S. 171, Z. 2.) Baco als Sprachkritiker: Novum Organum I, 43. – Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. I, Sprache und Psychologie, Stuttgart 1901.

(S. 171, Z. 17 v. u.) Hermann Türck, Der geniale Mensch, 5. Aufl., Berlin 1901, S. 275 f. – Cesare Lombroso, Der geniale Mensch, übersetzt von M. O. Fränkel, Hamburg 1890, passim. – Zur Erheiterung sei hier noch Francis Galton (Hereditary Genius, Inquiry into its Laws and Consequences, London 1892, p. 9, vgl. Preface, p. XII) folgende Auffassung entnommen: »When I speak of an eminent man, I mean one who has achieved a position that is attained by only 250 persons in each million of men, or by one person in each 4000.«

(S. 171, Z. 14 v. u.) Kant über das Genie: Kritik der Urteilskraft, § 46-50. Vgl. Otto Schlapp, Kants Lehre vom Genie, Göttingen 1902, besonders S. 305 ff. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, Werke I/3, S. 622-624. S. 623 heißt es: »Nur das, was die Kunst hervorbringt, ist allein und nur durch Genie möglich.« – Gegen Kantens Ausschluß der Philosophen von der Genialität wenden sich Jean Paul, Das Kampanertal oder über die Unsterblichkeit der Seele, 503. Stazion und Johann Gottlieb Fichte, Über den Begriff der Wissenschaftslehre, 1794, § 7. (Sämtliche Werke herausgegeben von J. H. Fichte, Bd. I/1, S. 73, Anmerkung.)

Zu Teil II, Kapitel 6

(S. 176, Z. 4 v. u.) Für den Psychologismus: Karl Stumpf, Psychologie und Erkenntnistheorie, Abhandlungen der philos.-philol. Klasse der königlich bayrischen Akad. der Wissensch., Bd. 19, 1892, S. 465-516. Alois Höfler, Logik, Wien 1890, S. 17: »Da die Psychologie sämtliche psychischen Erscheinungen, die Logik nur die Erscheinungen des Denkens, und zwar die des richtigen Denkens zum unmittelbaren Gegenstande hat, so bildet die theoretische Bearbeitung des letzteren nur einen speziellen Teil der Psychologie.« Theodor Lipps, Grundzüge der Logik, Hamburg 1893, S. 1 f., S. 149.

Gegen den Psychologismus: Edmund Husserl, Logische Untersuchungen, I. Teil: Prolegomena zur reinen Logik, Halle 1900. Hermann Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, 2. Aufl., Berlin 1885, S. 69 f., 81 f., und Logik der reinen Erkenntnis, Berlin 1902 (System der Philosophie, I. Teil), S. 509 f. Wilhelm Windelband, Kritische oder genetische Methode (Präludien, 1. Aufl., 1884, S. 247 ff.). Ferdinand Jakob Schmidt, Grundzüge der konstitutiven Erfahrungsphilosophie als Theorie des immanenten Erfahrungsmonismus, Berlin 1901, S. 16 f., 59 f., 69 f. Emil Lucka, Erkenntnistheorie, Logik und Psychologie, in der Wiener Halbmonatsschrift »Die Gnosis« vom 25. März 1903.

(S. 177, Z. 16.) Wenn Kant bei der Aufstellung seines Sittengesetzes für »alle möglichen vernünftigen Wesen« an einen besonderen Träger außer dem Menschen gedacht hat und nicht bloß das streng formale Prinzip reinhalten wollte von dem Zufälligen der empirischen Menschheit, so dürften ihm eher jene Bewohner anderer Gestirne vorgeschwebt haben, von welchen der dritte Teil der »Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels« handelte, als das, was Schopenhauer ihm unterschiebt (Preisschrift über die Grundlage der Moral, § 6): »Man kann sich des Verdachtes nicht erwehren, daß Kant dabei ein wenig an die lieben Engelein gedacht oder doch auf deren Beistand in der Überzeugung des Lesers gezählt habe.« Für die Engel nämlich gälte die Kantische Ethik gar nicht, da bei ihnen Sollen und Sein zusammenfiele.

(S. 177, Z. 9 v. u.) Auch der Aufsatz von A.  Meinong, Zur erkenntnistheoretischen Würdigung des Gedächtnisses, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, X, 1886, S. 7-33, liegt gänzlich abseits von den hier behandelten Problemen.

(S. 177, Z. 3 v. u. f.) Charles Bonnet, Essai analytique sur les facultés de l'âme, Copenhague 1760, p. 61: »La souplesse ou la mobilité des fibres augmente par le retour des mêmes ébranlements. Le sentiment attaché à cette augmentation de souplesse ou de mobilité constitue la réminiscence.« (Zitiert nach Harald Höffding.) Vgl. übrigens noch Max Offner, Die Psychologie Charles Bonnets, Eine Studie zur Geschichte der Psychologie, Schriften der Gesellschaft für psychologische Forschung, Heft 5, Leipzig 1893, S. 34 ff. – Ewald Hering, Über das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten Materie, Vortrag, 2. Ausgabe, Wien 1876. – Vgl. E.  Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 3. Aufl., Jena 1902, S. 177 ff.

(S. 178, Z. 1 v. u. ff.) Über Erinnerung unter dem Einflusse der Suggestion vgl. Friedrich Jodl, Lehrbuch der Psychologie, 2. Aufl., Stuttgart und Berlin 1903, Bd. II, S. 159: »Als eine Zwischenstufe zwischen dem, was ... als passives und aktives Moment der repräsentativen Aufmerksamkeit unterschieden wird, kann man den Fall ansehen, wo in die Leitung des Reproduktionsprozesses und die Fixierung der Aufmerksamkeit nicht der eigene Wille des Subjektes, sondern ein fremder Wille eingreift, um mit jenem bestimmte Zwecke zu erreichen oder bestimmte Bewußtseinsphänomene hervorzurufen ... Hier geschieht durch Einwirkung von außen, was bei der willkürlichen Reproduktion aus dem Willen des Subjektes heraus erfolgt.«

(S. 179, Z. 16.) Richard Avenarius, Kritik der reinen Erfahrung, Bd. II, Leipzig 1890, S. 32, 42 ff. – H.  Höffding, Über Wiedererkennen, Assoziation und psychische Aktivität, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, XIII, 1889, S. 420 f., und XIV, 1890, S. 27 ff. Psychologie in Umrissen, übersetzt von Bendixen, 2. Aufl., 1893, S. 163 f., Philosophische Studien, VIII, S. 86 f.

Im ersten Aufsatze sagt Höffding (S. 426 f.): »Was in solchen Bewußtseinszuständen ... gegeben ist, das ist die unmittelbare Auffassung des Unterschiedes zwischen Bekanntem und Vertrautem und etwas Neuem und Fremdem. Dieser Unterschied ist so einfach und klar, daß er sich ebensowenig näher beschreiben läßt als z. B. der Unterschied zwischen Lust und Unlust, oder der Unterschied zwischen Gelb und Blau. Wir stehen hier einem unmittelbaren Qualitätsunterschiede gegenüber. Die eigentümliche Qualität, mit welcher das Bekannte im Gegensatz zum Neuen im Bewußtsein auftritt, werde ich im folgenden die Bekanntheitsqualität nennen.« [Es] »ist noch hervorzuheben, daß die Selbstbeobachtung in den angeführten Fällen nicht die geringste Spur von anderen Vorstellungen zeigt, die durch die erkannte Erscheinung erweckt würden, und von denen man annehmen könnte, sie spielten eine Rolle beim Wiedererkennen selbst. Insofern also jemand annehmen wollte, alles Wiedererkennen setze derartige Vorstellungen voraus, so liegt ihm die Beweispflicht ob; und läßt sich das unmittelbare Wiedererkennen, so wie es in den angeführten Fällen auftritt, ohne eine solche Annahme erklären, so wird diese Erklärung die einzige wissenschaftliche sein«.

Gegen diese Lehre Höffdings haben sich mit durchaus unzureichenden Gründen Wilhelm Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, 4. Aufl., Leipzig 1893, Bd. II, S. 442, Anmerkung I, und William James, The Principles of Psychology, 1890, Vol. I, p. 674, Anmerkung 1, ausgesprochen. Höffding selbst bemerkt klar genug S. 431: »Diese Reproduktion braucht nicht dahin zu führen, daß das, was reproduziert wird, als selbständiges Glied im Bewußtsein auftrete. Und in den vorliegenden Fällen geschieht dies auch nicht. Deren Eigentümlichkeit bestand unter anderem gerade in ihrem nicht zusammengesetzten Charakter. Außer dem erkannten Zug oder den erkannten Zügen findet sich im Bewußtsein nicht das Mindeste, was mit dem Wiedererkennen zu schaffen hat. Das Wort » Les Plans« klingt bekannt, und diese Bekanntheitsqualität ist die ganze Erscheinung ...« Es ist dagegen unzutreffend, wenn Wundt behauptet (a. a. O. Seite 445): »Es geht immer der simultane deutlich in einen sukzessiven Assoziationsvorgang über, in welchem der zuerst vorhandene Eindruck, die dann hinzutretende Mittelvorstellung und endlich das Wiedererkennungsgefühl als die Glieder der Assoziationsreihe auftreten.«

(S. 180, Z. 6 v. u.) Nur dieselbe Verwechslung des Wiedererkennens mit dem Gedächtnis liegt den Beispielen zugrunde, auf Grund deren G. John  Romanes, Die geistige Entwicklung im Tierreich, Leipzig 1885, S. 127 f., den Tieren ein Gedächtnis zuschreibt.

(S. 184, Z. 6.) Der Ausdruck konnotativ (mitbezeichnend) stammt von John Stuart Mill, System der deduktiven und induktiven Logik, übersetzt von Gomperz, I 2, Leipzig 1884, S. 30 f. – Den Ausdruck »typische Vorstellung« gebraucht Harald Höffding, der Terminus »Repräsentativ-Vorstellung« ist der englischen und französischen Psychologie geläufig.

(S. 185, Z. 16 v. u.) Wunderbar gibt Fouqué dem Alogischen im Weibe zusammen mit seinem völligen Mangel an Kontinuität Ausdruck in der »Undine« (fünftes Kapitel): »Einen Teil des Tages über strich er mit einer alten Armbrust, die er in einem Winkel der Hütte gefunden und sich ausgebessert hatte, umher, nach den vorüberfliegenden Vögeln lauernd und, was er von ihnen treffen konnte, als guten Braten in die Hütte liefernd. Brachte er nun seine Beute zurück, so unterließ Undine fast niemals, ihn auszuschelten, daß er den lieben, lustigen Tierchen oben im blauen Luftmeer so feindlich ihr fröhliches Leben stehle; ja sie weinte oftmals bitterlich bei dem Anblick des toten Geflügels. Kam er aber dann ein andermal wieder heim und hatte nichts geschossen, so schalt sie ihn nicht minder ernstlich darüber aus, daß man nun um seines Ungeschickes und seiner Nachlässigkeit willen mit Fischen und Krebsen vorliebnehmen müsse.«

(S. 185, Z. 13 v. u.) G. Simmel, Zur Psychologie der Frauen, Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, XX, 1890, S. 6-46: »Hier ist der Ort, der vielkritisierten Logik der Frauen zu gedenken. Zunächst ist die Meinung, die ihnen dieselbe ganz oder fast ganz absprechen will, einfach abzuweisen; das ist eine von den trivialen Paradoxen, der gegenüber man sicher behaupten kann, daß jeder, der nur irgend eingehender mit Frauen zu tun hatte, oft genug von der Schärfe und Unbarmherzigkeit ihrer Folgerungen überrascht worden ist.« (S. 9 f.)

(S. 189, Z. 11 v. u.) Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 105 (Universalbibliothek).

Zu Teil II, Kapitel 7

(S. 190, Z. 9 v. u. f.) Die Stelle über Spinoza bei Kant ist ungemein charakteristisch (vgl. Kap. 13); man findet sie in der Kritik der praktischen Vernunft, S. 123, ed. Kehrbach. – Was Kant an Hume mit Recht sympathisch ansprechen durfte, war die Sonderstellung, welche dieser klügste Empirist immerhin der Mathematik einräumte. Das große Lob Humes aus dem Munde Kantens, welchem Hume sein hohes Ansehen bei den nachkantischen Philosophen und Historikern der Philosophie vornehmlich dankt, ist wohl so zu erklären, daß Kant selbst, schon bevor er Hume kennengelernt hatte, die Notwendigkeit der Ersetzung des metaphysischen durch den transzendentalen Standpunkt unklar gefühlt hatte. Den Angriff Humes empfand er als solchen, den er selbst längst hätte führen sollen, und machte sich den eigenen Mangel an Rüstigkeit in der Abrechnung mit allem Unbewiesenen in der Spekulation heftig zum Vorwurf. So kam es, daß er Humes Skeptizismus dem Dogmatismus gegenüber, den er in den eigenen Gliedern noch immer spürte, hochstellen konnte, und an der Flachheit dieses Empirismus, bei dem er freilich nie bleiben konnte, relativ wenig Anstoß nahm. – Wie unglaublich seicht Hume übrigens auch als Geschichtschreiber in seinen Urteilen über historische Bewegungen und historische Persönlichkeiten ist, darüber vergleiche man das Büchlein von Julius Goldstein, Die empiristische Geschichtsauffassung David Humes mit Berücksichtigung moderner methodischer und erkenntnistheoretischer Probleme, eine philosophische Studie, Leipzig 1903, z. B. die dort S. 19 f. aus Humes »History of England«, zitierten Äußerungen über die Religion und religiöse Menschen, besonders über Luther. Jene Stellen verraten geradezu Borniertheit.

(S. 190, Z. 3 ff.) David Hume, A Treatise of Human Nature, being an Attempt to introduce the experimental Method of Reasoning into Moral Subjects, Book I. Of the Understanding, Part IV. Of the sceptical and other Systems of philosophy, Sect. VI. Of personal identity, Vol. I, p. 438 f. (der ersten englischen Ausgabe, London 1739):

»For my part, when I enter most intimately into what I call myself, I always stumble on some particular perception or other, of heat or cold, light or shade, love or hatred, pain or pleasure. I never can catch myself at any time without a perception, and never can observe anything but the perception. When my perceptions are remov'd for any time, as by sound sleep; so long am I insensible of myself, and may truly be said not to exist. And were all my perceptions remov'd by death, and cou'd I neither think, nor feel, nor see, nor love, nor hate after the dissolution of my body, I thou'd be entirely annihilated, nor do I conceive what is farther requisite to make me a perfect non-entity. If any one, upon serious and unprejudiced reflection thinks he has a different notion [439] of himself, I must confess I can reason no longer with him. All I can allow him is, that he may be in the right as well as I, and that we are essentially different in this particular. He may, perhaps, perceive something simple and continu'd, which he calls himself; tho' I am certain there is no such principle in me.

But setting aside some metaphysicians of this kind, I may venture to affirm of the rest of mankind that they are nothing but a bundle or collection of different perceptions, which succeed each other with an inconceivable rapidity, and are in a perpetual flux and movement.«

(S. 191, Z. 1 f.) Georg Christoph Lichtenberg, Ausgewählte Schriften, herausgegeben von Eugen Reichel, Leipzig, Universalbibliothek, S. 74 f.: »Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewußt, die nicht von uns abhängen; andere, glauben wir wenigstens, hingen von uns ab; wo ist die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zu viel, sobald man es durch Ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis.«

(S. 191, Z. 6 f.) Hume, a. a. O. 455 f.: »All the nice and subtile questions concerning personal identity can never possibly be decided, and are to be regarded rather as grammatical than as philosophical difficulties ... All the disputes concerning the identity of connected objects are merely verbal.«

(S. 191, Z. 10 f.) E. Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 3. Aufl., Jena 1902, S. 2 ff., 6 f., 10 f., 18 ff., 29 f.

(S. 192, Z. 9 f.) Das Idioplasma ist also wohl das von Alois Höfler, Psychologie, Wien und Prag 1897, S. 382, vermißte physiologische Äquivalent des empirischen Ich.

(S. 193, Z. 8 v. u.) Die beiden Stellen aus Sigwart in dessen Logik, I 2 Freiburg 1889, S. 182, 190.

(S. 193, Z. 9.) Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, § 115 (Werke, vollständige Ausgabe, Bd. VI, S. 230 f., Berlin 1840): »Dieser Satz, statt ein wahres Denkgesetz zu sein, ist nichts als das Gesetz des abstrakten Verstandes. Die Form des Satzes widerspricht ihm schon selbst, da ein Satz auch einen Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat verspricht, dieser aber das nicht leistet, was seine Form fordert ... Wenn man behauptet, dieser Satz könne nicht bewiesen werden, aber jedes Bewußtsein verfahre danach, und stimmt ihm nach der Erfahrung sogleich zu, wie es ihn vernehme, so ist dieser angeblichen Erfahrung der Schule die allgemeine Erfahrung entgegenzusetzen, daß kein Bewußtseyn nach diesem Gesetze denkt, noch Vorstellungen hat usf., noch spricht, daß keine Existenz, welcher Art sie sey, nach demselben existiert. Das Sprechen nach diesem seynsollenden Gesetze der Wahrheit (ein Planet ist – ein Planet, der Magnetismus ist – der Magnetismus, der Geist ist – ein Geist) gilt mit vollem Recht für albern; dies ist wohl allgemeine Erfahrung.«

(S. 193, Z. 14 f.) Vgl. hiezu Hermann Cohen, System der Philosophie, I. Teil, Logik der reinen Erkenntnis, Berlin 1902, S. 79: »Man sagt, diese Identität bedeute nichts als Tautologie. Das Wort, durch welches der Vorwurf bezeichnet wird, verrät die Unterschlagung des Prinzipes. Freilich bedeutet die Identität Tautologie: nämlich dadurch, daß durch Dasselbe (ταῦτό) das Denken zum Logos wird. Und so erklärt es sich, daß vorzugsweise, ja ausschließlich die Identität als Denkgesetz stabiliert wurde

(S. 194, Z. 13 f.) Mit Heinrich Gomperz, Zur Psychologie der logischen Grundtatsachen, Leipzig und Wien 1897, S. 21 f., ist meine Darstellung an diesem Punkte vollkommen einer Ansicht. Er sagt: »... die wissenschaftlichen Begriffe bilden überall keinen Gegenstand der Psychologie, d. h. der psychologischen Erfahrung ... Wir gelangen zu solchen Begriffen durch eine eigene Methode, nämlich durch Synthese, wie wir zu den Naturgesetzen durch die Methode der Induktion vorschreiten, und verwerten diese Begriffe durch Analyse wie jene Gesetze durch Deduktion. Und deshalb gibt es eine Psychologie des wissenschaftlichen Säugetierbegriffes ebensowenig wie eine Psychologie des wissenschaftlichen Gravitationsgesetzes. Daß wir diese Gesetzmäßigkeiten durch eigene Worte – Säugetier und Gravitation – bezeichnen, kann hieran nichts ändern. Denn diese Worte bezeichnen lediglich äußere, wenn auch ideelle Dinge. Diese sind Gegenstände, nicht Elemente oder überhaupt Bestandteile des Denkens.«

(S. 195, Z. 16.) Die Stelle aus Kant: Kritik der reinen Vernunft, S. 145, Kehrbach. – Zur Lösung des von Kant bezeichneten Rätsels glaube ich hier und auf S. 237-244 ein Weniges beigetragen zu haben.

(S. 195, Z. 14 v. u.) Was ich unter Essenz meine, deckt sich also ziemlich mit dem aristotelischen τὸ τἰ ἦν εἶναι. Der Begriff ist auch für Aristoteles an einer Stelle λόγος τἰ ἦν εἶναι λέγων (Eth. Nicom. II, 6, 1107 a 6).

(S. 196, Z. 9 v. u.) Vgl. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, Werke I/3, S. 362: »In dem Urteil A = A wird ganz von dem Inhalte des Subjektes A abstrahiert. Ob A Realität hat oder nicht, ist für dieses Wissen ganz gleichgültig.« »Der Satz ist evident und gewiß, ganz abgesehen davon, ob A etwas wirklich Existierendes oder bloß Eingebildetes oder selbst unmöglich ist.«

(S. 197, Z. 1 v. o.) John Stuart Mill, System der deduktiven und induktiven Logik, Eine Darlegung der Grundsätze der Beweislehre und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. Buch II, Kapitel 7, § 5, 2. Aufl., übersetzt von Theodor Gomperz, Leipzig 1884, Bd. I (Gesammelte Werke, Bd. II), S. 326: »Ich erkenne im principium contradictionis, wie in anderen Axiomen eine unserer frühesten und naheliegendsten Verallgemeinerungen aus der Erfahrung. Ihre ursprüngliche Grundlage finde ich darin, daß Glaube und Unglaube zwei verschiedene Geisteszustände sind, die einander ausschließen. Dies erkennen wir aus der einfachsten Beobachtung unseres eigenen Geistes. Und richten wir unsere Beobachtung nach außen, so finden wir auch hier, daß Licht und Dunkel, Schall und Stille, Bewegung und Ruhe, Gleichheit und Ungleichheit, Vorangehen und Nachfolgen, Aufeinanderfolge und Gleichzeitigkeit, kurz jedes positive Phänomen und seine Verneinung unterschiedene Phänomene sind, im Verhältnis eines zugespitzten Gegensatzes, und die eine immer dort abwesend, wo die andere anwesend ist. Ich betrachte das fragliche Axiom als eine Verallgemeinerung aus all diesen Tatsachen.«

Von der Flachheit dieser Auseinandersetzung will ich schweigen; denn daß John St. Mill unter den berühmten Flachköpfen des XIX. Jahrhunderts der flachste ist, das kann wie eine identische Gleichung ausgesprochen werden. Aber man vermag auch nicht leicht falscher und leichtsinniger zu argumentieren, als es hier von Mill geschehen ist. Für diesen Mann ist Kant vergebens auf der Welt erschienen; er hat sich nicht einmal dies klar gemacht, daß dem Satze A = A nie eine Erfahrung widersprechen kann, und daß wir dies mit absoluter Sicherheit von Rechts wegen behaupten dürfen, während alle Induktion nie imstande ist, Sätze von solchem Gewißheitsgrade zu liefern. – Außerdem verwechselt Mill hier den konträren mit dem kontradiktorischen Gegensatz. – Die vielen verständnislosen Beschimpfungen des Identitätsprinzipes seien übergangen.

(S. 198, Z. 17 v. u.) Johann Gottlieb Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Leipzig 1794, S. 5 ff. (sämtliche Werke herausgegeben von J. H. Fichte, Erste Abteilung, Bd. I, Berlin 1845, S. 92 ff.):

»1. Den Satz A ist A (soviel als A = A, denn das ist die Bedeutung der logischen Kopula) gibt jeder zu; und zwar ohne sich im geringsten darüber zu bedenken: man erkennt ihn für völlig gewiß und ausgemacht an.

Wenn aber jemand einen Beweis desselben fordern sollte, so würde: man sich auf einen solchen Beweis gar nicht einlassen, sondern behaupten, jener Satz sey schlechthin, d. i. ohne allen weiteren Grund, gewiß: und indem man dieses, ohne Zweifel mit allgemeiner Bestimmung, tut, schreibt man sich das Vermögen zu, etwas schlechthin zu setzen.

2. Man setzt durch die Behauptung, daß obiger Satz an sich gewiß sey,

nicht, daß A sey. Der Satz: A ist A ist gar nicht gleichbedeutend dem: A ist, oder: es ist ein A. ( Seyn, ohne Prädikat gesetzt, drückt etwas ganz anderes aus, als seyn mit einem Prädikate ...) Man nehme an, A bedeute einen in zwei gerade Linien eingeschlossenen Raum, so bleibt jener Satz immer richtig; obgleich der Satz: A ist, offenbar falsch wäre. Sondern

man setzt: wenn A sey, so sey A. Mithin ist davon, ob überhaupt A sey oder nicht, gar nicht die Frage. Es ist nicht die Frage vom Gehalte des Satzes, sondern bloß von seiner Form; nicht von dem, wovon man etwas weiß, sondern von dem, was man weiß, von irgend einem Gegenstande, welcher es auch seyn möge.

Mithin wird durch die Behauptung, daß der obige Satz schlechthin gewiß sey, das festgesetzt, daß zwischen jenem Wenn und diesem So ein nothwendiger Zusammenhang sey; und der nothwendige Zusammenhang zwischen beiden ist es, der schlechthin und ohne allen Grund gesetzt wird. Ich nenne diesen nothwendigen Zusammenhang vorläufig = X.

3. In Rücksicht auf A selbst aber, ob es sey oder nicht, ist dadurch noch nichts gesetzt. Es entsteht also die Frage: unter welcher Bedingung ist denn A?

a) X wenigstens ist im Ich und durch das Ich gesetzt – denn das Ich ist es, welches im obigen Satze urtheilt, und zwar nach X als einem Gesetze urtheilt, welches mithin dem Ich gegeben, und da es schlechthin und ohne allen weiteren Grund aufgestellt wird, dem Ich durch das Ich selbst gegeben seyn muß.

b) Ob und wie A überhaupt gesetzt sey, wissen wir nicht; aber da X einen Zusammenhang zwischen einem unbekannten Setzen des A und einem unter der Bedingung jenes Setzens absoluten Setzen desselben A bezeichnen soll, so ist, wenigstens insofern jener Zusammenhang gesetzt wird, A in dem Ich und durch, das Ich gesetzt, so wie X; X ist nur in Beziehung auf ein A möglich; nun ist X im Ich wirklich gesetzt; mithin muß auch A im Ich gesetzt sein, insofern X darauf bezogen wird.

c) X bezieht sich auf dasjenige A, welches im obigen Satze die logische Stelle des Subjektes einnimmt, ebenso wie auf dasjenige, welches für das des Prädikats steht; denn beide werden durch X vereinigt. Beide also sind, insofern sie gesetzt sind, im Ich gesetzt: und der obige Satz läßt sich demnach auch so ausdrücken: Wenn A im Ich gesetzt ist, so ist es gesetzt; oder – so ist es.

4. Es wird demnach durch das X vermittelst X gesetzt: A sey für das urteilende Ich schlechthin und lediglich kraft seines Gesetztseyns im Ich überhaupt; das heißt: es wird gesetzt, daß im Ich – es sey nun insbesondere setzend oder urtheilend oder was es auch sey – etwas sey, das sich stets gleich, stets Ein und ebendasselbe sey; und das schlechthin gesetzte Ich läßt sich auch so ausdrücken: Ich = Ich; Ich bin Ich.

5. Durch diese Operation sind wir schon unvermerkt zu dem Satze: Ich bin (zwar nicht als Ausdruck einer Thathandlung, aber doch einer Thatsache) angekommen. Denn

X ist schlechthin gesetzt; das ist Thatsache des empirischen Bewußtseyns. Nun ist X gleich dem Satze: Ich bin Ich; mithin ist auch dieser schlechthin gesetzt.

Aber der Satz: Ich bin Ich, hat eine ganz andere Bedeutung als der Satz A = A. – Nämlich der letztere hat nur unter einer gewissen Bedingung einen Gehalt. Wenn A gesetzt ist, so ist es freilich als A, mit dem Prädicate A gesetzt. Es ist aber durch jenen Satz noch gar nicht ausgemacht, ob es überhaupt gesetzt, mithin, ob es mit irgend einem Prädicate gesetzt sey. Der Satz: Ich bin Ich, aber gilt unbedingt und schlechthin, denn er ist gleich dem Satze X: er gilt nicht nur der Form, er gilt auch seinem Gehalte nach. In ihm ist das Ich, nicht unter Bedingung, sondern schlechthin, mit dem Prädicate der Gleichheit mit sich selbst gesetzt; es ist also gesetzt; und der Satz läßt sich auch ausdrücken: Ich bin

Dieser Fichtesche Beweis ist verfehlt; denn er findet, obwohl er es anfänglich in Abrede stellt, im Satze selbst das Sein desselben A, von dem A = A behauptet wird, schon enthalten. Der Beweis, den ich selbst im Texte versucht habe, ist auch ungenügend und beruht auf einer unzulässigen Äquivokation, die in der Anmerkung S. 197 berichtigt ist. Meine Anschauungen hierüber haben sich während der Drucklegung des Buches geändert. Ich glaube jetzt, daß es aussichtslos ist, mit Fichte und Schelling aus dem Satze das Ich herauszulesen; was aber sehr wohl in ihm zum Ausdruck kommt, ist das Sein, das absolute, hyperempirische, gar nicht im geringsten mehr zufällige, sondern das an sich seiende Sein. Der Beweis gestaltet sich dann kurz so: es ist etwas (nämlich das Gleichheitszeichen, das X Fichtes), gleichgültig ob sonst etwas ist oder nicht. Es besteht und gilt mindestens das Sein A = A, unabhängig von jedem besonderen A, und ob ein solches A selbst nun sei oder nicht. Und weil die Frau zu diesem Satze gar keine Beziehung hat, darum ist sie nicht. Auch in dieser Form bleibt der Satz von der größten Tragweite für das zwölfte Kapitel, wo die Seelenlosigkeit der Frau in einen weiteren Zusammenhang aufgenommen wird (S. 378 ff.).

(S. 199, Z. 15.) Über die Reue vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 218 ff. (ed. Kehrbach).

(S. 200, Z. 19.) Kritik der praktischen Vernunft, S. 105, Kehrbach.

(S. 201, Z. 15.) Ibsens Brand antwortet den Fragenden (fünfter Aufzug):

» Wie lang das Streiten währen wird?
Es währt bis an des Lebens Ende,
Bis alle Opfer ihr gebracht,
Bis ihr vom Pakt euch frei gemacht,
Bis ihr es wollt, wollt unbeirrt;
Bis jeder Zweifel schwindet, nichts
Euch trennt vom: alles oder nichts.
Und eure Opfer? – Alle Götzen,
Die euch den ew'gen Gott ersetzen;
Die blanken gold'nen Sklavenketten,
Samt eurer schlaffen Trägheit Betten. –
Der Siegespreis? – Des Willens Einheit,
Des Glaubens Schwung, der Seelen Reinheit;
Die Freudigkeit, die euch durchschauen,
Die alles opfert, überdauert;
Um eure Stirn die Dornenkrone:
Seht, das erhaltet ihr zum Lohne.«

(S. 201, Z. 17 f.) Friedrich Hebbels sämtliche Werke, herausgegeben von Hermann Krumm, Bd. I, S. 214.

(S. 202, Z. 11 f.) Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, § 87 (S. 216, ed. Kirchmann): »Der Mensch, der sich eines Charakters in seiner Denkungsart bewußt ist, hat ihn nicht von der Natur, sondern muß ihn jederzeit erworben haben. Man kann auch annehmen, daß die Gründung desselben gleich einer Art Wiedergeburt, eine gewisse Feierlichkeit der Angelobung, die er sich selbst tut, sie und den Zeitpunkt, da diese Umwandlung in ihm vorging, gleich einer neuen Epoche ihm unvergeßlich mache.«

(S. 202, Z. 19ff.) Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 193 f., Kehrbach.

(S. 203, Z. 16 v. u. ff.) Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, dritter Abschnitt, wo die so einfachen und doch so tiefen Worte stehen (S. 75, ed. Kirchmann): »Die Naturnotwendigkeit war eine Heteronomie der wirkenden Ursachen; denn jede Wirkung war nur nach dem Gesetze möglich, daß etwas anderes die wirkende Ursache zur Kausalität bestimmte; was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein? Der Satz aber: der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstande haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs und das Prinzip der Sittlichkeit; also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.«

Zu Teil II, Kapitel 8

(S. 205, Z. 3 ff.) Die Stelle aus der »Großen Wald-Upanishad« (1, 4, 1) nach Paul Deussens Übersetzung (Sechzig Upanishads des Veda, Leipzig 1897, S. 392 f.).

(S. 207, Z. 18 ff.) Die folgenden Zitate aus Jean Pauls Werken, Hempelsche Ausgabe, XLVIII. Teil, S. 328. – Novalis Schriften, von Schlegel und Tieck, II. Teil, Wien 1820, S. 143 f. – Schellings Werke, 1/1, S. 318 f.

(S. 211, Z. 3.) Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung oder wie man mit dem Hammer philosophiert (Werke, Erste Abteilung, Bd. VIII, S. 165.)

(S. 212, Z. 18 v. u. ff.) Durch diese Bemerkung hoffe ich zur Verdeutlichung dessen beizutragen, was Wilhelm Dilthey, ohne recht verstanden worden zu sein, als den Grundunterschied zwischen psychischem und physischem Geschehen aufgedeckt hat (z. B. Beiträge zum Studium der Individualität, Berliner Sitzungsberichte, 1896, S. 296): »Darin, daß der Zusammenhang im Seelenleben primär gegeben ist, besteht der Grundunterschied der psychologischen Erkenntnis vom Naturerkennen, und da liegt also auch die erste und fundamentale Eigentümlichkeit der Geisteswissenschaften. Da im Gebiete der äußeren Erscheinungen nur Neben- und Nacheinander in die Erfahrung fällt, könnte der Gedanke von Zusammenhang nicht entstehen, wäre er nicht in der eigenen zusammenhängenden Einheitlichkeit gegeben.«

(S. 215, Z. 16.) Der bewußte Zusammenhang mit dem All, die Bewußtheit des Mikrokosmus, die den genialen Menschen konstituiert, reicht vielleicht auch zur Erklärung der Tatsache aus, daß wenn nicht alle, so doch gewiß die meisten Genies telepathische Erlebnisse und Visionen kennen und erfahren. Die geniale Individualität hat etwas vom Hellseher. Im Text wollte ich diese Dinge hier nicht berühren, weil heute, wer die Telepathie für möglich hält, einem Obskuranten gleich geachtet wird. Auch die Offenbarungen Sterbender reihen sich diesem Zusammenhange wohl ein: der Sterbende gewinnt eine tiefere Vereinigung mit dem All, als es dem Lebenden möglich war, und kann deshalb den Fernstehenden in der Todesstunde erscheinen, auf ihr Denken und Träumen einen Einfluß gewinnen.

(S. 215, Z. 17 ff.) Der Gedanke des Mikrokosmus liegt natürlich auch der Schöpfungsgeschichte der Genesis zugrunde, als welche den Menschen das Ebenbild Gottes sein läßt.

Naturgemäß findet sich dieselbe Konzeption auch bei den Indern. Brihadâranyaka-Upanishad 4, 4, 5 ( Deussen, Sechzig Upanishads des Veda, Leipzig 1897, S. 476): »Wahrlich, dieses Selbst ist das Brahman, bestehend aus Erkenntnis, aus Leben, aus Auge, aus Ohr, bestehend aus Erde, aus Wasser, aus Wind, aus Äther; bestehend aus Feuer und nicht aus Feuer, aus Lust und nicht aus Lust, aus Zorn und nicht aus Zorn, aus Gerechtigkeit und nicht aus Gerechtigkeit, bestehend aus allem.« Chândogya-Upanishad 3, 14, 2 f. (a. a. O. S. 109): »Geist ist sein [des Menschen] Stoff, Leben sein Leib, Licht seine Gestalt; sein Ratschluß ist Wahrheit, sein Selbst die Unendlichkeit. Allwirkend ist er, allwünschend, allriechend, allschmeckend, das All umfassend, schweigend, unbekümmert; –

dieser ist meine Seele im inneren Herzen, kleiner als ein Reiskorn oder Gerstenkorn oder Senfkorn oder Hirsekorn oder eines Hirsekornes Kern; –

dieser ist meine Seele im inneren Herzen, größer als die Erde, größer als der Luftraum, größer als der Himmel, größer als diese Welten.

Der Allwirkende, Allwünschende, Allriechende, Allschmeckende, das All Umfassende, Schweigende, Unbekümmerte, dieser ist meine Seele im inneren Herzen, dieser ist das Brahman, zu ihm werde ich, von hier abscheidend, eingehen. – Wem dieses ward, fürwahr, der zweifelt nicht!«

Plato lehrt zuerst im Menon (81c): »ἅτε οὖν ἡ ψυχὴ ὰϑάνατός τε οὖσα ϰαὶ πολλάϰις γεγονυῖα ϰαὶ ἑωραϰυῖα ϰαὶ τὰ ἐνθάδε ϰαὶ πάντα χρήματα, οὐϰ ἔστιν ὅ τι οὐ μεμάϑηϰεν ... ἅτε γὰρ τῆς φύσεως ἁπάσης συγγενοῦς οὔσης ϰαὶ μεμαθηϰυἰας τῆς ψυχῆς ἅπαντα οὐδἐν ϰωλύει ... πάντα ... ὰνευρεῖν.« Anklänge finden sich auch im Philebos (29 a ff.), z. B.: »Τρέφεται ϰαὶ γίγνεται ϰαὶ ἄρχεται τὸ τοῦ παντὸς πῦρ ὑπὸ τοῦ παρ' ἡμῖν πυρός, ἣ τοὔαντίον ὑπ' ἐϰεἰνου τό τ' ἐμὸν ϰαὶ τὸ σὸν ϰαὶ τὸ τῶν ἄλλων ζώων ἅπαντ' ἴσχει ταῦτα.« Deutlicher Aristoteles, De anima, III, 8, 431 b, 21: »ἡ ψυχὴ τά ὄντα πώς ἐστι πάντα.« Vgl. Ludwig Stein, Die Psychologie der Stoa, Bd. I: Metaphysisch-anthropologischer Teil (Berliner Studien für klassische Philologie und Archäologie, Bd. III, 1. Heft, Berlin 1886), S. 206: »Bei Aristoteles hat man es bereits mit einem deutlichen Hinweis auf den Mikrokosmus zu tun. Ja man wird nicht fehlgehen, wenn man selbst diesen Terminus auf den Stagiriten zurückführt (Aristot. Physika, VIII, 2, 252 b, 24: »εἰ δ'ἐν ζῴῳ τοῦτο δυνατὸν γενέσϑαι, τἰ ϰωλύει τὸ αὐτὸ συμβῆνα ϰαἰ ϰατὰ τὸ πᾶν; εἰ γὰρ ἐν μιϰρῷ ϰόσμῳ γίνεται, ϰαὶ ἐν μεγάλῳ ...), wenn auch der Begriff älter sein mag.« S. 214: »In der Stoa tritt uns zum ersten Male ein klar ausgesprochener, scharf gezeichneter und kühn ausgebauter Mikrokosmos entgegen.« Weiteres über die Geschichte des Mikrokosmusgedankens (z. B. bei Philo) bei Stein a. a. O. Auch bei Augustinus findet er sich nach Überweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie, II 8, 128. Pico de Mirandolas Anschauung ist von mir ausführlich wiedergegeben S. 230 f. Vgl. auch Rudolf Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe und Ausdrücke, Berlin 1901, sub verbo, und Rudolf Eucken, Die Grundbegriffe der Gegenwart, historisch und kritisch entwickelt. 2. Aufl., Leipzig 1893, S. 188 f.

(S. 216, Z. 18 v. u. ff.) Empedokles bei Aristoteles Metaphysik, 1000 b, 6. – Plotinus Enneades I, 6, 9. – Übrigens steht auch bei Plato Rep. 508b: ἀλλ' [ὄμμα] ἡλιοειδέστατόν γε, οἶμαι, τῶν περὶ τὰς αἰσϑήσεως ὀργάνων.«

(S. 216, Z. 13.) In Kantens Ethik wird wohl nichts so wenig verstanden wie die Forderung, nach einer allgemeinsten Maxime zu handeln. Man glaubt noch immer, hierin etwas Soziales erblicken zu müssen, die Büchnersche Ethik (»Was Du nicht willst, daß man Dir tu« usw.), eine Anleitung für ein Strafgesetzbuch. Die Allgemeinheit des kategorischen Imperativs drückt nur die Metaphysik transzendental aus, welche nach Cicero (De natura deorum, II, 14, 37) der große Stoiker Chrysippos gelehrt hat: »... Cetera omnia aliorum causa esse generata, ut eos fruges atque fructus quos terra gignat, animantium causa, animantes autem hominum, ut equum vehendi causa, arandi bovem, venandi et custodiendi canem. Ipse autem homo ortus est ad mundum contemplandum et imitandum ...«

(S. 217, Z. 17 v. u.) Vielleicht sind die drei Probleme, an denen am schnellsten offenbar wird, wie weit die Tiefe eines Menschen reicht, das Problem der Religion, das Problem der Kunst und das Problem der Freiheit – alle drei im Grunde doch das eine Problem des Seins. Die Form aber, in welcher dieses eine Problem von den wenigsten verstanden wird, ist das Problem der Freiheit. Den niedrigsten Menschen ist der »Indeterminismus«, den mittelmäßigen der »Determinismus« selbstverständlich; daß hier der Dualismus am intensivsten sich offenbart, wie selten wird das begriffen!

Die tiefsten Denker der Menschheit haben sicherlich alle indeterministisch gedacht. Goethe, Dichtung und Wahrheit, IV. Teil, 16. Buch (Bd. XXIV, S. 177, ed. Hesse): »Wo sich in den Thieren etwas Vernunftähnliches hervorthut, so können wir uns von unserer Verwunderung nicht erholen, denn ob sie uns gleich so nahestehen, so scheinen sie doch durch eine unendliche Kluft von uns getrennt und in das Reich der Nothwendigkeit verwiesen.« Durch dieselbe Kluft aber scheidet sich Goethe von der »modernen Weltanschauung« und der »Entwicklungslehre«.

So auch Dante, Paradiso, Canto V, Vers 19-24:

»Lo maggior don, che Dio per sua larghezza
Fesse creando, ed alla sua bontate
Più conformato, e quel ch'ei più apprezza
Fu della volontà la libertate,
Di che le creature intelligenti
E tutte e sole fûro e son dotate.«

So läßt schon Platon, die Schelling-Schopenhauersche Freiheitslehre antizipierend (wie es überhaupt keinen philosophischen Gedanken gibt, der sich bei ihm nicht fände), in seinem »Staat« (X, 617, D E) die Parze Lachesis sagen: »Ψυχαὶ ἐφήμεροι  … οὐχ ὑμᾶς δαίμων λήξεται, ἀλλ' ὑμεῖς δαίμονα αἱρήσεσϑε  … αἰτία ἑλομένου· ϑεὸς ἀνὰίτιος .« Und so alle Größten, Kant, Augustinus, Richard Wagner (»Siegfried«, III. Akt: Wotan und Erda).

(S. 219, Z. 5 v. u.) Carlyle: On Heroes etc., an mehreren Orten, besonders S. 116 (ed. Chapman and Hall, London). Ganze und lautere Wahrheit ist, was er sagt: » The merit of originality is not novelty; it is sincerity

(S. 224, Z. 6 v. u. f.) Pensées de Blaise Pascal, Paris 1841, S. 184 (Partie I, Article X, 1).

(S. 227, Z. 16 v. u.) Ich vermöchte für das, was ich über das eigenartige Verhalten begabterer Menschen in Gesellschaft anderer bemerkt habe, kein besseres Zeugnis anzuführen als das hochinteressante Bekenntnis des auf dem Kontinent verhältnismäßig wenig gewürdigten englischen Dichters John Keats. Obwohl es mit besonderer Rücksicht auf den Dichter ausgesprochen ist, gilt es mit einigen leicht wahrzunehmenden Modifikationen vom Künstler, ja vom Genius überhaupt. Keats schreibt an seinen Freund Richard Woodhouse am 27.  Oktober 1818 (The poetical works and other writings of John Keats, edited by Harry Buxton Forman, Vol. III, London 1883, p. 233 f.): »As to the poetical character itself (I mean that sort, of which, if I am anything, I am a member; that sort distinguished from the Wordsworthian or egotistical sublime, which is a thing per se, and Stands alone), it is not itself – it has no self – it is everything and nothing – it has no character – it enjoys light and shade – it lives in gusto, be it foul or fair, high or low, rich or poor, mean or elevated – it has as much delight in conceiving a Jago or an Imogen. What shocks the virtuous philosopher delights the cameleon poet. It does no harm from its relish of the dark side of things, any more than from its taste for the bright one, because they both end in speculation. A poet is the most unpoetical of anything in existence, because he has no identity: he is continually in for, and filling, some other body. The sun, the moon, the sea and men and women, who are creatures of impulse, are poetical and have about them an unchangeable attribute; the poet has none. He is certainly the most unpoetical of all God's creatures. If then, he has no self Man würde sich einer sehr zweischneidigen Waffe bedienen, wenn man diese Worte so auffassen wollte, als hätte Keats wie Hume erklärt, keine Seele zu besitzen, da in Wirklichkeit vielmehr die Existenz der Seele hierin ausgesprochen ist., and if I am a poet, where is the wonder that I should say I would write no more? Might I not that very instant have been cogitating on the character of Saturn and Ops? It is a wretched thing to confess, but it is a very fact, that not one word I ever utter can be taken for granted as an opinion growing out of my identical nature. How can it, when I have no nature? When I am in a room with people, if I ever am free from speculating on creations of my brain, then not myself goes home to myself, but the identity of everyone in the room begins to press upon me, so that I am in a very little time annihilated – not only among men; it would be the same in a nursery of children …«

(S. 228, Z. 10 v. u. f.) Mach, Die Analyse der Empfindungen usw., 3. Aufl. 1902, S. 19.

(S. 228, Z. 9 v. u.) Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner, Leipzig 1898, Bd. VI, S. 249.

(S. 228, Z. 6 v. u. ff.) So sagt J. B.  Meyer, Genie und Talent, Eine psychologische Betrachtung, Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, XI, 1880, S. 289: »Cesare Borgia, Ludwig XI. von Frankreich, Richard III. waren geniale Bösewichter, und in der Reihe der Schwindler findet sich manches Genie« – und gibt damit durchaus der populären Meinung Ausdruck.

(S. 230, Z. 11.) Sophokles Aias Vers 553.

(S. 230, Z. 17 ff.) Joannis Pici Mirandulae Concordiaeque Comitis ... Opera quae extant omnia Basileae, Per Sebastianum Henricepetri, 1601, Vol. I, p. 207-219: »De hominis dignitate oratio.« Die zitierte Stelle p. 208. – Mirandola Giovanni Pico, Graf von Mirandola (einem Städtchen der südlichen Po-Ebene, welches zwischen Guastalla und Ferrara, nordöstlich von Modena liegt, und sonst noch von Schillers »Don Carlos« her bekannt ist) lebte nur von 1463-1494. – »Supremi spiritus« sind die Engel und die Teufel, die (»paulo mox«) gefallenen Engel. – Als denjenigen Menschen, der mit dem Lose keines Einzelgeschöpfes sich begnügt, hat man eben den Genius anzusehen; wenn das Genie das Göttliche im Menschen ist, so wird der Mensch, der ganz Genius wird, Gott.

Zu Teil II, Kapitel 9

(S. 233, Z. 7 f.) Theodor Waitz, Anthropologie der Naturvölker, Erster Teil. Leipzig 1859, S. 380: »Haben ältere christliche Autoritäten an der Ehe nur die sinnliche Seite gesehen und ernstlich bezweifelt, ob auch die Weiber eine Seele besitzen, so können wir uns nicht darüber wundern, daß ihnen von Chinesen, Indern, Muhammedanern eine solche geradezu abgesprochen wird. Wird der Chinese nach seinen Kindern gefragt, so zählt er nur die Knaben als solche; hat er nur Mädchen, so sagt er, er habe keine Kinder ( Duhaut-Cilly, Voyage autour du monde, 1834, II, 369).« (S. 233, Z. 16.) Aristoteles: De gener. animalium, I, 2, 716 a 4: τῆς γενέσεως ὰρχὰς ἄν τις ουχ ἥϰιστα ϑείη τὸ τὴλυ ϰαὶ τὸ ἄρρεν. τὸ μὲν ἄρρεν ὡς τῆς ϰινὴσεως ϰαὶ τῆς γενέσεως ἔχον τὴν ἀρχήν τὸ δὲ ϑῆλυ ὡς ὕλης. I, 20, 729 a 9: τὸ μὲν ἄρρεν παρέχεται τὸ τε εἶδος ϰαὶ τὴν ὰρχὴν τῆς ϰινήσεως, τὸ δὲ ϑῆλυ τὸ σῶμα ϰαὶ τὴν ὕλην. 729 a 29: τὸ ἄρρεν ἐστὶ ν ὡς κινοῦν, τὸ δὲ ϑῆλυ, ᾗ ϑῆλυ, ὡς π αθητικόν. ΙI, 1, 732 a 3: βέλτιον γὰρ ϰαὶ ϑειότερον ἡ ἀ ρχὴ τῆς ϰινή σεως, ἢ ἄρρεν ὑπάρχει τοῖς γινομένοις. ὕλη δὲ τὸ ϑῆ λυ. II, 4, 738 b 25: ἀεὶ δὲ παρέχει τὸ μὲν ϑῆλυ τῆν ὕλην, τὸ δὲ ἄρρεν τὸ δημιο υργοῦν. ἔστι τὸ μὲν σῶμα ἐϰ τοῦ ϑήλεος, ἡ δὲ ψυχὴ ἐϰ τοῦ ἄρρενος. Vgl. noch I, 21, 729 b 1 und 730 a 25. II, 3, 737 a 29. 740 b 12-25. Metaphysik, V, 28, 1024 a 34. IX, 1057 a 31 f. I, 6, 988 a 2 f. erläutert er nach demselben Prinzipe, warum der Mann mehr Kinder zeugen könne als die Frau: οἱ μὲν γὰρ ἐϰ τῆς ὕλης πολλὰ ποιοῦσιν, τὸ δ' εἶδος ἅπαξ γεννᾷ μόνον, φαίνεται δ' ἐϰ μιᾶς ὕλης μία τράπεζα, ὁ δὲ τὸ εἶδος ἐπιφέρων εἶς ὢν πολλὰ ποιεῖ. ὁμοίως δ ' ἔχει ϰαὶ τὸ ἄρρεν πρὸς τὸ ϑῆλυ· τὸ μὲν γὰρ ὑπὸ μιᾶς πληροῦται ὀχείας , τὸ δ ' ἄρρεν πολλὰ πληροῖ· ϰαίτοι ταῦτα μιμιήματα τῶν ὰρχῶν ἐϰείνων ἐστὶν.

Vergleiche über diese Lehre des Aristoteles: J. B.  Meyer, Aristoteles' Tierkunde, Berlin 1855, S. 454 f.; Hermann Siebeck, Aristoteles, Stuttgart 1899 (Frommanns Klassiker der Philosophie, Bd. VIII), S. 69; Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, II/2, Leipzig 1879, 3. Aufl., S. 325 und 525 f.; Überweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie, I 9, Berlin 1903, S. 259; J. J.  Bachofen, Das Mutterrecht, Eine Untersuchung der Gynaikokratie der Alten Welt, Stuttgart 1861, S. 164-168. – Speziell über die aristotelische Zeugungstheorie, ihr Verhältnis zu den früheren und den modernen Ansichten handelt Wilhelm His, Die Theorien der geschlechtlichen Zeugung, Archiv für Anthropologie, Bd.  IV, 1870, S. 202-208.

(S. 233, Z. 4 v. u. f.) Jean Wier, Opera omnia, Amstelodami 1660, Liber IV, Caput 24. Aus der späteren Literatur wüßte ich nur noch Oken zu nennen (Lehrbuch der Naturphilosophie, 3. Aufl., Zürich 1843, S. 387, Nr. 2958): »In der Paarung sind die männlichen Theile das Sinnesorgan, das weibliche nur der empfangende Mund. Eigentlich sind beide Sinnesorgane, aber jene das handelnde, diese das leidende.« (Ibid Nr. 2962:) »Wenn auch männlicher Same wirklich zur Frucht miterstarrt, so ist es doch nicht seine Masse, die in der Frucht zur Betrachtung kommt, sondern nur seine polarisierende Kraft.«

Die Absicht der Auseinandersetzungen des Textes geht nicht auf eine naturphilosophische Theorie der Zeugung, wie die von Aristoteles und Oken. Aber die Spekulation dieser Männer ging gedanklich ohne Zweifel von den geistigen Unterschieden der Geschlechter aus, und dehnte diese auch auf das Verhältnis der beiden Keime in der Befruchtung aus; deshalb darf ich sie hier wohl anführen.

(S. 234, Z. 9 f.) Vgl. Ausgewählte Werke von Friedrich Baron de la Motte-Fouqué, Ausgabe letzter Hand, Bd. XII, Halle 1841, S. 136 ff.

(S. 236, Z. 11 f.) Kantianer, die von dem Philosophen nur den Buchstaben fassen, werden das sicherlich in Abrede stellen; und es würde ihnen die Kantische Terminologie hiezu eine gewisse Handhabe bieten, nach welcher das transzendentale Subjekt das Subjekt des Verstandes, und der intelligible Charakter das Subjekt der Vernunft, die letztere aber, als das praktische Vermögen im Menschen, dem ersteren, als einem bloß theoretischen, übergeordnet ist. Doch kann ich mich auf Stellen berufen, wie in der Vorrede zur »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« (S. 8, ed. Kirchmann): »Teils erfordere ich zur Kritik einer reinen praktischen Vernunft, daß, wenn sie vollendet sein soll, ihre Einheit mit der spekulativen in einem gemeinschaftlichen Prinzip zugleich müsse dargestellt werden können, weil es doch am Ende nur eine und dieselbe Vernunft sein kann, die bloß in der Anwendung unterschieden sein muß.« Ähnlich in der »Kritik der praktischen Vernunft«, S. 110, 118, 145 (ed. Kehrbach). Übrigens war es eben diese »Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen)«, welche Kantens geplantes und nicht zustande gekommenes Hauptwerk »Der Transzendentalphilosophie höchster Standpunkt im System der Ideen: Gott, die Welt und der Mensch, oder System der reinen Philosophie in ihrem Zusammenhange« (vgl. Hans Vaihinger, Archiv für Geschichte der Philosophie, IV, S. 734 f.) darzustellen bestimmt war.

An diesem Orte möchte ich noch folgendes bemerken:

In der großen Literatur, welche sich mit dem Verhältnisse Goethes zu Kant beschäftigt, finde ich merkwürdigerweise die allerkantischeste Stelle im ganzen Goethe nicht erwähnt. Sie ist allerdings geschrieben, bevor Goethe noch irgend etwas von Kant gelesen hat, und ist auch weniger für sein Verhältnis zu dem konkreten Menschen Kant und dessen Büchern, als für Goethes Beziehung zur Kantischen Gedankenwelt charakteristisch. Sie findet sich in den noch in Frankfurt abgefaßten »Physiognomischen Fragmenten« (Erster Versuch, Drittes Fragment: Bd. XIV, S. 242 der Hesseschen Ausgabe) und lautet: »Die gütige Vorsehung hat jedem einen gewissen Trieb gegeben, so oder anders zu handeln, der denn auch einem jeden durch die Welt hilft. Eben dieser innere Trieb kombiniert auch mehr oder weniger die Erfahrungen, die der Mensch macht, ohne daß er sich dessen selbst bewußt ist.« Hierin ist deutlich die Identität des intelligiblen Wesens ausgesprochen, von dem einerseits die synthetische Einheit der Apperzeption ausgeht, und das anderseits das frei wollende Noumenon ist.

(S. 238, Z. 2 v. u.) Eine der einfachsten und klarsten Auseinandersetzungen über diesen Sachverhalt rührt von Franz Staudinger her, Identität und Apriori, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, XIII, 1889, S. 66 f.: »... nicht bloß die heutige Wahrnehmung von der Sonne ist eine andere als die gestrige, die heutige Sonne selbst ist nicht mehr die, welche gestern leuchtete. Dennoch aber sage ich: die gestrige Sonne ist mit der heutigen eins. Das heißt aber nichts anderes, als daß ich einen fortlaufenden Zusammenhang des Gegenstandes selbst, auf den meine zeitlich durchaus getrennten Vorstellungen gehen, voraussetzen muß. Es ist eine objektive Existenz des Gegenstandes selber gedacht, die ganz unabhängig von der Zerstücktheit unseres Wahrnehmens bestehen soll. Diese Feststellung der Dauer des Gegenstandes selbst ist das wesentliche Moment, welches unsere Substanzvorstellung konstituiert. Das Rätsel, welches hierin liegt, daß wir von ganz getrennten Vorstellungen, die doch jedesmal, streng genommen, nur gegenwärtige Gegenstände bezeichnen, zu der Vorstellung des Zusammenhanges eines einzigen dauernden Gegenstandes übergehen wird, obwohl es von Kant klar erkannt worden ist, noch allzuwenig der Aufmerksamkeit gewürdigt. Ob es Kant gelöst hat, und wie es zu lösen sein mag, ist freilich eine Frage, welche den Ursprungsort der Erkenntniselemente betrifft ... Wir müssen uns hier mit der Tatsache begnügen, daß wir gezwungen sind, solche Vorstellungen, die wir Wahrnehmungen nennen, auf einheitliche, mindestens von der ersten Wahrnehmung bis zur jetzigen dauernde Gegenstände zu beziehen.«

Auch diese Schwierigkeit scheint vor der im Texte dargelegten Auffassung zu verschwinden oder wenigstens ihre Identität mit einer anderen, allerdings nicht minder großen, zu erweisen. A = A, das Prinzip der Begrifflichkeit und Gegenständlichkeit, ist psychologisch eine Negation der Zeit (wenn auch im rein logischen Sinne des Satzes diese Beziehung auf die Zeit nicht liegt) und vermittelt insofern die Kontinuität des Objektes. Soweit aber in ihm das Sein des Subjektes zum Ausdrucke kommt, setzt er die gleiche Kontinuität für das innere Leben, trotz der Vereinzelung der psychischen Erlebnisse, trotz der Bewußtseinsenge. Es ist also nur ein Rätsel, die Frage nach der Kontinuität des Objektes dieselbe wie nach der Kontinuität des Subjektes.

(S. 239, Z. 17 v. u.) Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1. Aufl., Von der Synthesis der Rekognition im Begriffe (S. 119, Kehrbach).

(S. 240, Z. 19 v. u.) Vgl. besonders Huxley, Hume (English Men or Letters, edited by John Morley, No. 5, London 1881), p. 94 f.:

»When several complex impressions which are more or less different from one another – let us say that out of ten impressions in each, six are the same in all, and four are different from all the rest – are successively presented to the mind, it is easy to see what must be the nature of the result. The repetition of the six similar impressions will strengthen the six corresponding Clements of the complex idea, which will therefore acquire greater vividness: while the four differing impressions of each will not only acquire no greater strength than they had at first, but, in accordance with the law of association, they will all tend to appear at once, and will thus neutralise one another.

This mental Operation may be rendered comprehensible by considering what takes place in the formation of Compound photographs – when the images of the faces of six sitters, for example, are each received on the same Photographie plate, for a sixth of the time requisite to take one portrait. The final result is that all those points in which the six faces agree are brought out strongly, while all those in which they differ are left vague; and thus what may be termed a generic portrait of the six, in contradistinction to a specific portrait of any one, is produced.« – Eine ähnliche Anschauung von der Entstehung des Begriffes durch Übereinanderlagerung, wobei Verstärkung des Gleichartigen, Auslöschen des Ungleichartigen stattfindet, kennt auch schon Herbart (Psychologie als Wissenschaft, II, § 122), der freilich den Unterschied zwischen logischem und psychologischem Begriff ausgezeichnet verstanden und klargelegt hat (a. a. O. § 119). – Avenarius: Kritik der reinen Erfahrung, Bd. II, Leipzig 1890, S. 298 ff. – Mach, Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, Populär-wissenschaftliche Vorlesungen, Leipzig 1896, S. 217 ff. Tiefer gräbt Mach in den »Prinzipien der Wärmelehre, historisch-kritisch entwickelt«, 2.  Aufl., Leipzig 1900, S. 415 f., 419 f.

(S. 242, Z. 3.) Das Urteil existiert; als Voraussetzung dessen, daß es existiert, immaniert ihm die Annahme eines Zusammenhanges zwischen dem Menschen und dem All, erkenntnis-kritisch ausgedrückt, einer Beziehung des Denkens zum Sein. Diesen Zusammenhang, diese Beziehung zu ergründen ist das Hauptproblem aller theoretischen Philosophie, wie es das Hauptproblem aller praktischen Philosophie ist, das Verhältnis des Sollens zum Sein festzustellen. Das Sein soll durch das Denken geschaut, durch das Handeln verwirklicht werden; und so fallen an ihrem Ende die Forderung der Erkenntnis und die Forderung der Sittlichkeit wieder zusammen: der Dualismus von Empfindung und Denken, von sinnlichem Widerstand und Sittengesetz hat am Ende zu verschwinden. – Insofern also das Urteil ist, ist der Mensch der Mikrokosmus.

(S. 242, Z. 4 v. u.) Der Ausdruck » innere Urteilsform« bei Wilhelm Jerusalem, Die Urteilsfunktion, eine psychologische und erkenntniskritische Untersuchung, Wien und Leipzig 1895, S. 80.

(S. 243, Z. 15 v. u.) Dies hat bereits Lotze hervorgehoben (vgl. zu S. 154, Z. 5).

(S. 244, Z. 12 v. u.) Leibniz: Monadologie No. 31 (Opera philosophica, ed. Erdmann, p. 707): »Nos raisonnements sont fondés sur deux grands principes, celui de la contradiction, en vertu duquel nous jugeons faux ce qui en enveloppe, et vrai ce qui est opposé ou contradictoire au faux; [no 32] et celui de la raison suffisante, en vertu duquel nous considérons, qu'aucun fait ne serait se trouver vrai ou existant, aucune énonciation véritable, sans qu'il y ait une raison suffisante, pourquoi il en soit ainsi et non pas autrement, quoique ces raisons le plus souvent ne puissent point nous êtres connues.«

(S. 246, Z. 8.) Über die geringere Kriminalität der Frauen vergleiche z. B. den Artikel des Dr. G.  Morache, Die Verantwortlichkeit des Weibes vor Gericht in der »Wage« vom 14. März 1903, S. 372-376. Es heißt dort: »Die Zahl der Frauen übersteigt die der Männer ganz erheblich; in Frankreich weniger als anderswo, aber auch hier ist der Unterschied ein merklicher; wäre nun die weibliche Kriminalität der des Mannes gleich, so müßten die Zahlen, die sie zum Ausdruck bringen, ebenfalls ziemlich gleich sein.

Greifen wir nun drei beliebige Zahlen heraus; wenn man will, 1889, 1890, 1891. Während dieser Zeit sind 2970 Männer wegen schwerer Verbrechen (Mord, Kindesmord, Verbrechen gegen die Sittlichkeit) vor Gericht gestellt worden, während man 745 Frauen in dem nämlichen Zeitraum derselben Verbrechen anklagte. Die Kriminalität des Weibes wird also durch eine Zahl ausgedrückt, die ein Viertel der männlichen beträgt, oder mit anderen Worten, es werden von vier Verbrechen drei von Männern begangen und eines von Frauen. Selbst wenn wir das Verbrechen des Kindesmordes beiseite lassen, für das eigentlich nur der Mann verantwortlich ist, denn er ist ja der Autor, so findet man, daß bei den wegen gemeiner Verbrechen Angeklagten nur 211 Frauen auf 2954 Männer, kommen; das Weib ist also 14mal weniger verbrecherisch als der Mann.

An Auslegungen dieser unleugbaren Tatsachen – denn sie zu bestreiten wäre unmöglich – fehlt es nicht. Man sagt, die Körperkonstitution des Weibes eigne sich nicht zur Gewalttat, die die Mehrzahl der verbrecherischen Handlungen aufzuweisen habe; sie sei für die Verbrechen mit bewaffneter Hand, für den Einbruch nicht geschaffen. Man behauptet, wenn sie das Verbrechen auch nicht materiell begeht, so suggeriere sie es doch und habe ihren Nutzen davon; moralisch sei sie der Urheber und um so schuldiger, weil sie im Dunklen handelt und mit der Hand eines anderen schlägt. So kommt man auf das alte Wort zurück: Cherchez la femme ... Die italienische Schule hat recht wohl erkannt, daß das Weib vom materiellen Standpunkt weniger verbrecherisch ist als der Mann, doch sie gibt für diese Tatsache eine interessante Erklärung; der Verbrecher stiehlt und mordet, um sich ohne Arbeit das Geld zu verschaffen, das Müßiggang und Vergnügen gewährt. Das Weib besitzt, um zu demselben Zweck zu gelangen, ein weit einfacheres Mittel. Sie treibt Handel mit ihrem Körper, sie verkauft sich. Addiert man die Zahl der Verbrecherinnen zu der der käuflichen Frauen, so kommt man zur Zahl der männlichen Kriminalität.

Die Theorie scheint befriedigend, ist aber paradox. Außerdem ist sie grundfalsch: denn wenn man auch die Zahl der unter Anklage gestellten Verbrecherinnen kennt, so kann man doch nicht einmal annähernd die Zahl der Frauen abschätzen, die unter irgend einer Maske und unter ganz verschiedenen Modalitäten aus ihren Reizen Nutzen ziehen.«

Soweit Morache. Abgesehen von der Oberflächlichkeit der Meinung, die das Verbrechen des Gewinnes halber geschehen läßt, wäre noch zu bemerken, daß es genug Frauen vom Prostituiertentypus gibt, die sich gar nicht des Geldes oder Schmuckes wegen prostituieren, sich jedem Kutscher, der ihre Begierde erregt, hingeben, nicht also um noch höheren Luxus treiben zu können, Frauen aus den höchsten und reichsten Kreisen. – Vergleiche ferner Ellis, Mann und Weib, S. 364 ff., und die dort zitierte reiche Literatur. Lombroso-Ferrero, Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, Hamburg 1894, zweiter Teil: Kriminologie des Weibes, S. 193 ff., und besonders Paul Näcke, Verbrechen und Wahnsinn beim Weibe, mit Ausblicken auf die Kriminal-Anthropologie überhaupt, Wien und Leipzig 1894, mit sehr vollständigem Literaturverzeichnis auf S. 240-255.

(S. 247, Z. 17 v. u.) Darum ist die Frau auch nicht häßlich, während der Verbrecher häßlich ist.

(S. 248, Z. 17.) Von diesem Gesichtspunkt aus behandeln die Krankenpflege des Weibes E.  Leyden, Weibliche Krankenpflege und weibliche Heilkunst, Deutsche Rundschau, XIX, 1879, S. 126 bis 148, Franz König, Die Schwesternpflege der Kranken, Ein Stück moderner Kulturarbeit der Frau, a. a. O. LXXI, 1892, S. 141-146, Julius Duboc, Fünfzig Jahre Frauenfrage in Deutschland, Geschichte und Kritik, Leipzig 1896, S. 18 f. – Über den hysterischen Charakter mancher Krankenpflege (der nach Kapitel XII wohl begreiflich wird) vgl. Freuds Bemerkungen in Breuer und Freuds Studien über Hysterie, Leipzig und Wien 1895, S. 141.

(S. 252, Z. 3 f.) Mach, Die Analyse der Empfindungen, 3.  Aufl., 1902, S. 14.

(S. 252, Z. 12.) Sie ist z. B. abgedruckt bei Karl Pearson, The Grammar of Science, London 1892, p. 78.

(S. 252, Z. 14.) Kant: in der »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, S. 60, ed. Kirchmann.

(S. 253, Z. 15.) Das Wort »Eigenwert« stammt nicht von mir, sondern ist, wie ich glaube, zuerst gebraucht von August Döring, Philosophische Güterlehre, 1888, S. 56, 319 ff.

(S. 254, Z. 9 v. u. f.) Kant, Anthropologie, S. 234, ed. Kirchmann:

»Der Mann ist eifersüchtig, wenn er liebt; die Frau auch, ohne daß sie liebt; weil so viele Liebhaber, als von anderen Frauen gewonnen wurden, doch ihrem Kreise der Anbeter verloren sind.«

(S. 254, Z. 5 v. u.) Beweis: es gibt wohl Kameradschaft zu mehreren, Freundschaft aber nur zu zweien.

(S. 256, Z. 14.) Das Phänomen der Galanterie hoffe ich anderswo zu analysieren. Auch Kant spricht (Fragmente aus dem Nachlaß, ed. Kirchmann, Bd. VIII, S. 307) von der »Beleidigung der Weiber, in der Gewohnheit, ihnen zu schmeicheln«.

(S. 257, Z. 11.) Vgl. Auguste Comte, Cours de Philosophie positive, 2 ième  ed., par E. Littré, Vol. III, Paris 1864, p. 538 f. Er spricht vom »vain principe fondamental de l'observation intérieure« und der »profonde absurdité que présente la seule supposition, si évidemment contradictoire, de l'homme se regardant penser«. – Es stünde schlimm um die Ethik, wenn die Selbstbeobachtung nicht möglich wäre. Die Selbstbeobachtung ist ja Bedingung der Möglichkeit einer Ethik, und »Erkenne dich selbst« ist sittliches Gebot und folglich Möglichkeit: »Du kannst, denn du sollst.« Die Resultate der Selbstbeobachtung haben unmittelbare Evidenz, und den Charakter der stärksten Reellität, hier erlebe ich alle Kausalzusammenhänge, intellektuell nach dem Satze vom Grunde, emotional nach dem Gesetze der Motivation, und bin nicht auf Induktion, Experiment und Konstruktion verwiesen.

(S. 257, Z. 17.) Friedrich Jodl, Lehrbuch der Psychologie, 2. Aufl., Bd. IL Stuttgart und Berlin 1903, S. 103.

(S. 257, Z. 10 v. u.) Mill: in seinem Buche gegen Hamilton (nach Pierre Janet, L'Automatisme psychologique, 3 ième éd., Paris 1899, p. 39 f., wo zum Ich-Problem manches in Deutschland weniger Bekannte angeführt wird). Mach: Die Analyse der Empfindungen, 3. Aufl., 1902, S. 3, 18 f. – Übrigens sagt bereits Hume (Treatise I, 4, 6, p. 454 der ersten Ausgabe, Vol. I, London 1739): »Memory is to be considered as the source of personal identity.«

(S. 258, Z. 12 v. u.) Heinrich Schurtz, Altersklassen und Männerbünde, Eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft, Berlin 1902.

(S. 258, Z. 8 v. u.) Pascal: Pensées I, 7, 1, »Misère de l'homme«.

(S. 259, Z. 2.) Über die Kleptomanie der Weiber vgl. Albert Moll, Das nervöse Weib, Berlin 1898, S. 167 f. Paul Dubuisson, Les voleuses des grands magasins, Archives d'Anthropologie criminelle, XVI, 1901, p. 1-20, 341-370.

(S. 259, Z. 16.) Eduard von Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins, Prolegomena zu jeder künftigen Ethik, Berlin 1879, S. 522 f., macht die zutreffende Bemerkung:

»Fast alle Weiber sind geborne Defraudantinnen aus Passion. Wenige nur werden sich entschließen, zu viel erhaltene Ware oder zu viel herausbekommenes Geld zurückzuliefern; sie trösten sich damit, der Kaufmann habe ja doch genug an ihnen verdient, und es könne ihnen ja nicht bewiesen werden, daß sie sich ihrer Unterschlagung bewußt gewesen seien.«

(S. 259, Z. 14 v. u.) In einem einzigen Falle scheint das Umgekehrte vor sich gegangen zu sein. Der Mann der Isabella Parasole, einer berühmten Formenstecherin, soll den Namen seiner Frau angenommen haben. (Nach Ernst Guhl, Die Frauen in der Kunstgeschichte, Berlin 1858, S. 97.)

(S. 260, Z. 3.) Über die Buschmänner, Klemm, Allgemeine Kulturgeschichte der Menschheit, Leipzig 1844, Bd. I, S. 336.

(S. 261, Z. 18.) Hier darf ich Kant selbst für meine Anschauung von der Seelenlosigkeit des Weibes in Anspruch nehmen. Er sagt (Anthropologie, S. 234, ed. Kirchmann): » ›Was die Welt sagt, ist wahr, und was sie thut, gut‹ ist ein weiblicher Grundsatz, der sich schwer mit einem Charakter, in der engen Bedeutung des Wortes, vereinigen läßt.« Er fügt allerdings hinzu: »Es gab aber doch wackere Weiber, die, in Beziehung auf ihr Hauswesen, einen dieser ihrer Bestimmung angemessenen Charakter mit Ruhm behaupteten.« Keinesfalls wird jemand mit Ruhm behaupten, daß diese Einschränkung den »intelligiblen Charakter« des Weibes retten könne, der nach der Kantischen Hauptlehre Zweck an sich selbst ist. – Wenn übrigens ein Kantianer, der nur am Wortlaut des Meisters kleben würde, der ganzen Darlegung entgegenhielte, daß nach Kant der intelligible Charakter allen vernünftigen Wesen zukomme, so ist zu erwidern, daß das Weib eben keine Vernunft im Kantischen Sinne hat. Da das Weib nämlich keine Beziehung zu den Werten hat, so ist der Schluß auf das Fehlen des wertenden Gesetzgebers gerechtfertigt.

(S. 261, Z. 3 v. u.) Der abgrundtiefe Unterschied zwischen dem psychischen Leben des Mannes und der Frau wird noch immer, vielleicht selbst in diesem Buche, seiner Bedeutung und Tragweite nach unterschätzt. Nur selten finden sich hievon Ahnungen, wie bei Heinrich Spitta, Die Schlaf- und Traumzustände der menschlichen Seele mit besonderer Berücksichtigung ihres Verhältnisses zu den psychischen Alienationen, 2. Aufl., Tübingen 1882, S. 301: »Ein entscheidender, durchgreifender Einfluß auf das gesamte seelische Leben liegt zunächst in dem Geschlechtsunterschied begründet; dieser Teilungsstrich, den die Natur hiemit durch die ganze Menschenwelt gezogen hat, dokumentiert sich auf allen Gebieten des psychischen Lebens. Alles Fühlen, Wollen, Begehren, mit einem Worte die ganze Vorstellungsweise, alles Dienten und Trachten erhält durch den Unterschied der beiden Geschlechter einen eigenartigen Typus, welcher im Verlauf der einzelnen Lebensalter sich immer mehr ausprägt und damit gleichsam die Form bildet, unter welcher und in welcher ein jeder das Ganze seiner eigenen Geisteswelt in der ihm eigentümlichen Weise erfaßt. Der Unterschied im Seelenleben zwischen Mann und Weib ist ein ungeheurer, ein bis in die kleinsten Details hinein sich erstreckender ...« – Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, III. Teil (Kapitel von den drei Bösen): »Und wer begriff es ganz, wie fremd sich Mann und Weib sind!«

(S. 262, Z. 11.) Friedrich Albert Lange, Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, Buch II, 5. Aufl., Leipzig 1896, S. 381.

(S. 265, Z. 16 v. u. ff.) Vgl. hiemit Theodor Lipps, Suggestion und Hypnose, Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der königlichen Akademie der Wissenschaften zu München, 1897/11, S. 520: »Psychologisch ist das Ganze jederzeit mehr und in gewissem Sinne jederzeit eher als der Teil.« Und besonders Wilhelm Diltheys mehrfach erwähnte charakterologische Abhandlungen.

(S. 266, Z. 19 v. u. ff.) Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 289, ed. Kehrbach.

(S. 267, Z. 3.) Eine mit meiner Darstellung in gewissen Punkten sich berührende, sehr interessante Abhandlung ist die von Oskar Ewald, Die sogenannte empirische Psychologie und der Transzendentalismus Kants, Die Gnosis, Halbmonatschrift, Wien, 5. März 1903, S. 87-91. Ewalds Absicht läuft auf eine psychologische Kategorienlehre hinaus, als auf eine Tafel jener Verstandesbegriffe (»Wille, Kraft und psychische Aktivität«), die psychologische Erfahrung erst möglich machen sollen. Kant habe nur die eine Hälfte der Arbeit, den naturwissenschaftlichen Teil, geleistet, den anderen noch zu tun gelassen. Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen, weil es nach ihr zweierlei Erfahrung, eine äußere und eine ihr beigeordnete innere, geben müßte, und weil der Zusammenhang des psychischen Lebens ein unmittelbar erlebter ist, und aus seiner Beobachtung Erfahrungssätze von höherer als komparativer Allgemeinheit geschöpft werden können (vgl. S. 212 f.). Aber mit diesen Einwendungen möchte ich das von Ewald angeregte Problem keineswegs erledigt haben. Es ist dieses Problem, weit genug verfolgt, vielleicht das tiefste philosophische Problem überhaupt, oder identisch mit diesem; denn das Verhältnis von Begriff und Anschauung, von Freiheit und Notwendigkeit spielt hier herein. Und schließlich hängt diese ganze Frage aufs innigste mit dem Postulate der Unabhängigkeit der Erkenntnistheorie von der Psychologie zusammen. Ich kann hierauf nicht näher eingehen, und möchte auf jenen bedeutungsvollen, bloß an etwas okkultem Orte publizierten Gedanken hier nur hingewiesen haben.

(S. 267, Z. 19 v. u.) E.  Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 3. Aufl., Jena 1902, S. 60 f.

(S. 268, Z. 14 ff.) Die französischen Verse aus Edmond Rostand, Cyrano de Bergerac, Acte I, Scène IV (Paris 1898, p. 43).

(S. 268, Z. 15 v. u. ff.) Die hier bekämpften Anschauungen sind die von Mach, Die Mechanik, 4. Aufl., Leipzig 1901, S. 478 ff.

(S. 269, Z. 12.) Wilhelm Windelband, Geschichte und Naturwissenschaft, Rektoratsrede, Straßburg 1894.

(S. 269, Z. 16 v. u.) v.  Schrenck-Notzing, Über Spaltung der Persönlichkeit (sogenanntes Doppel-Ich), Wien 1896, erwähnt auf S. 6 nach Proust einen Fall (den einzigen mir aus der Literatur bekanntgewordenen) eines männlichen Hysterikers mit »condition prime« und »condition seconde«. Es sind gewiß noch einige Fälle mehr beobachtet worden; aber jedenfalls verschwinden sie an Zahl vor der Menge der Frauen mit derartigem psychischen Zustandswechsel. Daß es Männer mit »mehrfachem Ich« gibt, beweist nichts gegen die Thesen des Textes; denn der Mann kann eben auch jene eine Möglichkeit von den unzähligen in ihm verwirklichen, er kann auch Weib werden (vgl. S. 234, 350, 388 f.).

(S. 269, Z. 1 v. u.) So sagt Heinrich Heine in einem sehr schlechten Gedichte (Letzte Gedichte, zum »Lazarus« 12):

Die Gestalt der wahren Sphinx
Weicht nicht ab von der des Weibes.
Faselei ist jener Zusatz
Des betatzten Löwenleibes.

Todesdunkel ist das Rätsel
Dieser wahren Sphinx. Es hatte
Kein so schweres zu erraten
Frau Jokastens Sohn und Gatte.

Zu Teil II, Kapitel 10

(S. 276, Z. 4-6.) Nur 34% der eigentlichen Prostituierten bringen Kinder zur Welt (nach C.  Lombroso und C.  Ferrero, Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, übersetzt von H. Kurella, Hamburg 1894, S. 450).

(S. 276, Z. 15 v. u. f.) Die hier abgewiesene Meinung ist vor allem eine bekannte Lehre sozialdemokratischer Theoretiker, insbesondere August Bebels (Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 9. Aufl., Stuttgart 1891, S. 140 ff.): »Die Prostitution eine notwendige soziale Institution der bürgerlichen Welt.« »So wird die Prostitution zu einer nothwendigen sozialen Institution für die bürgerliche Gesellschaft, ganz wie Polizei, stehendes Heer, Kirche, Unternehmerschaft usw.«

(S. 277, Z. 21 v. u. f.) Vgl. über diese der Prostitution gezollten Ehrungen Heinrich Schurtz, Altersklassen und Männerbünde, Eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft, Berlin 1902, S. 198 f. Auch Lombroso-Ferrero, Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, Hamburg 1894, S. 228 ff.; über die Phönizier S. 230.

(S. 278, Z. 10.) Der hier berichtigte Gedanke Schopenhauers ist ausgesprochen in der »Welt als Wille und Vorstellung«. Bd. II, S. 630, Grisebach.

(S. 278, Z. 18 v. u.) Johannes Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen für Vorlesungen, II. Bd., 2. Abt., Koblenz 1838, S. 574 f.: »Beim Versehen ... soll etwas Positives gebildet werden, und die Form des Gebildes soll der Form in der Vorstellung entsprechen. Diese Wirkung ist schon deswegen unwahrscheinlich, weil sie sich von einem Organismus auf den anderen erstrecken soll; die Verbindung von Mutter und Kind ist aber nichts anderes als eine möglichst innige Juxtaposition zweier an und für sich ganz selbständiger Wesen, welche sich mit ihren Oberflächen anziehen und wovon das eine die Nahrung und Wärme abgibt, die sich das andere aneignet. [Dies eben, die Ansicht von der bloßen Juxtaposition, ist falsch. Vgl. im Texte 288 f.] Aber abgesehen davon läßt sich diese alte und höchst populäre Superstition vom Versehen durch viele andere Gründe entkräften. Ich habe Gelegenheit, die meisten Monstra zu sehen, welche in der preußischen Monarchie geboren wurden. Gleichwohl kann ich behaupten, daß mir trotz dieser großen Gelegenheit in der Regel nichts Neues in dieser Weise vorkommt, und daß sich hiebei nur gewisse Formen wiederholen, welche den großen Reihen der Hemmungsbildungen, Spaltbildungen, Defekte, Verschmelzungen seitlicher Teile mit Defekt der mittleren usw. angehören ... Bedenkt man ferner, daß sich jede Schwangere während der Zeit ihrer Schwangerschaft gewiß oft erschreckt, und daß sehr viele sich gewiß wenigstens einmal, wenn nicht mehrere Male versehen, ohne daß dies irgend eine Folge hat, so wird es, falls eine Monstrosität irgendwo geboren wird, gewiß nicht an Gelegenheit fehlen, diese auf eine dem populären Glauben entsprechende Weise zu erklären. Die vernünftige Lehre vom Versehen reduziert sich daher darauf, daß jeder heftige, leidenschaftliche Zustand der Mutter auf die organische Wechselwirkung zwischen Mutter und Kind einen ebenso plötzlichen Einfluß haben, und demzufolge auch eine Hemmung der Bildungen oder ein Stehenbleiben der Formationen auf gewissen Stufen der Metamorphose herbeiführen kann, ohne daß jedoch die Vorstellung der Mutter auf die Stelle, wo sich dergleichen Retentionen erzeugen, Einfluß haben könne, usw.«

Th. Bischoff, Artikel: »Entwicklungsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Mißbildungen« in Rudolf Wagners Handwörterbuch der Physiologie, Bd. I, Braunschweig 1842, S. 885 bis 889. Zunächst S. 886: » Meckel hat mit Recht zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß in der Frage nach dem Versehen, wie sie gewöhnlich aufgestellt wird, meistens zwei wesentlich verschiedene eingeschlossen sind, nämlich erstens die: können Affekte der Mutter auf die Entwicklung des neuen Organismus einen Einfluß haben? Und zweitens die: können Affekte der Mutter, die durch einen bestimmten Gegenstand veranlaßt werden, die Bildung des neuen Organismus dergestalt verändern, daß derselbe jenem Gegenstande gleich oder ähnlich wird? Wenn nun gleich die Erfahrung oft zeigt, daß sich der Fötus sehr selbständig, sowohl von den körperlichen als psychischen Zuständen der Mutter entwickeln kann, und demnach durchaus keine notwendige Beziehung zwischen beiden sich vorfindet, so haben doch anderseits Tausende von Fällen die Abhängigkeit der Entwicklung der Frucht von den körperlichen und psychischen Zuständen der Mutter so entschieden nachgewiesen, daß die erste Frage nur ganz unbedingt bejahend beantwortet werden kann ... Es ist in vielen Fällen wirklich wahr gewesen und ereignet sich noch, daß ein heftiger Schrecken oder Gemütsbewegung der Mutter eine Mißbildung veranlaßt hat, ohne daß indessen die Form derselben dem Gegenstande jenes Schreckens entspräche. Wir sehen aber, wie sich hieraus unter Beihilfe der Phantasie, die Ähnlichkeiten schafft, wo keine sind, viele Angaben erklären lassen. Allein auch noch für diese Ähnlichkeiten sind wir imstande, nähere Erklärungen und Aufschlüsse zu geben ...« »So ist es erklärlich, wie Furcht und Schrecken, deprimierende und schwächende Einflüsse Störungen und Hemmungen in der Ausbildung der Frucht hervorbringen können, welche zufällig und einzelne Male selbst eine gewisse: Ähnlichkeit mit den Objekten des Affektes haben können.« Er macht im weiteren achterlei Gründe namhaft, »welche man gegen die Erklärung der Entstehung gewisser Mißbildungen durch Affekte der Mutter, veranlaßt durch, diesen Mißbildungen ähnliche, Gegenstände, aufwerfen muß«, bekannte Argumente, die ich hier nicht alle wiederholen kann, und kommt zu dem Schlüsse: »Nehmen wir zu diesem allem noch hinzu, daß wir die meisten Mißbildungen aus den Entwicklungsgesetzen und anderen naturwissenschaftlich zu analysierenden Ursachen erklären können, so wird wohl jedermann zugestehen müssen, daß das Versehen zum wenigsten nur als eine sehr seltene und beschränkte Ursache der Mißbildungen angenommen werden kann.« S. 885: »Schon Hippokrates verteidigte eine Prinzessin, welche in den Verdacht des Ehebruches gekommen war, weil sie ein schwarzes Kind gebar, dadurch, daß zu den Füßen ihres Bettes das Bild eines Negers gehangen habe ... Später scheint es, daß vorzüglich der unglückliche und verderbliche Wahn, die Mißbildungen seien Wirkungen des göttlichen Zornes oder dämonischer und sodomitischer Abstammung, den Glauben an das Versehen vorzüglich bestärkt habe. Die unglücklichen Mütter solcher Mißbildungen waren natürlich gern bereit, den auf sie fallenden schrecklichen Verdacht und die ihm so oft folgenden grausamen Strafen dadurch von sich abzuwenden, daß sie die Annahme des Versehens so sehr als möglich unterstützten. So wurde sie denn die allgemein verbreitetste, und der Phantasie wurde es nicht schwer, für die Formen der Mißbildungen äußere Objekte als Ursachen aufzufinden.«

Charles Darwin: Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation, übersetzt von J. Viktor Carus, II. Bd., 2. Aufl., Stuttgart 1873, S. 301 (Kapitel 22).

Ablehnendes Verhalten der Züchtungstheoretiker: Hermann Settegast, Die Tierzucht, 4. Aufl., I. Bd.; Die Züchtungslehre, Breslau 1878. S. 100-102, 219-222. S. 219: »Der Glaube an die Möglichkeit des Versehens ist uralt. Schon die Bibel erzählt uns (1. Buch Mose, Kap. 30, Vers 37-39), daß der Erzvater Jakob es verstand, ein ›Versehen‹ der Mutterschafe künstlich hervorzurufen und auf diese Weise scheckige Lämmer zu erzeugen. Er tat nämlich Holzstäbe, die durch stellenweises Abschälen der Rinde ein scheckiges Aussehen gewonnen hatten, in Tränkrinnen. Es mag dahingestellt bleiben, ob Jakob der Meinung war, daß das Versehen an diesen bunten Holzstäben während des Bespringens der Mutterschafe, das an den Tränktrögen bewerkstelligt worden zu sein scheint, vor sich gehen werde, oder daß die schon tragenden Mutterschafe im Anblick der auffallenden Gegenstände, die ihnen beim Trinken vor die Augen gerückt wurden, und den bunten Stäben entsprechend scheckige Lämmer bringen müßten. Seinen gewinnsüchtigen Zweck hat aber Jakob erreicht und dadurch den Grund zu seiner Wohlhabenheit gelegt. Bis auf den heutigen Tag finden Schilderungen ähnlicher Art Gläubige.« In einer Anmerkung hiezu: »Äußert sich doch noch im Jahre 1874 Dr. J. in einer der gelesensten und geachtetsten Zeitungen Deutschlands unter anderem wie folgt: ›Es ist eine eigentümliche Erfahrung, welche der Züchter macht, daß durch die Imagination des Muttertieres, zumal wenn es tragend ist, sich die Farbe der es umgebenden Gegenstände und besonders die Farbe der Tiere von seiner nächsten Umgebung auf die Nachkommenschaft häufig überträgt. So ist es sehr oft beobachtet worden, daß der wiederholte und reichliche Verbrauch von Kalkanstrich den Ställen und Verschlagen, worin sich eine Rinderzuchtherde befindet, erheblich das Verhältnis der weißen oder weißscheckigen Kälber vermehrt, die geboren werden.‹ Solche und ähnliche Erzählungen legen Zeugnis von der Leichtfertigkeit ab, womit kritiklos und aus Sucht, dem Leser Pikanterien zu bieten, unbegründete Behauptungen mit dem Gewande sogenannter Erfahrungen umkleidet werden.« »... Der Umstände und Tatsachen, welche gegen die Möglichkeit des Versehens sprechen, gibt es so viele, daß es uns fast wie ein Rest von Aberglauben vorkommen will, wenn man an dieser haltlosen Theorie, durch die auffallende Formen erklärt werden sollen, ferner festhält.«

Endlich sei als ein Gynäkologe angeführt Max Runge, Lehrbuch der Geburtshilfe, 6. Aufl., Berlin 1901, S. 82 f.: »Die Frage, ob starke psychische Eindrücke, welche eine Schwangere treffen, Einfluß auf die Entstehung körperlicher Verbildungen oder geistiger Defekte der Frucht haben können, spielt bei vielen Laien eine große Rolle (Versehen der Schwangeren). Von der neueren wissenschaftlichen Medizin ist bis auf die jüngste Zeit die Frage abgelehnt worden, und insbesondere die Möglichkeit eines Kausalzusammenhanges zwischen psychischem Eindruck und einer vorliegenden Mißbildung des Kindes auf das bestimmteste geleugnet worden. In neuester Zeit hat man die genannte Frage aber doch einer Diskussion wert erachtet. Mag die Frage also wissenschaftlich noch diskutabel sein, für die Praxis gilt auch heute noch der Rat, bei Schwangeren und ihrer Umgebung den Glauben an das sogenannte Versehen ernstlich zu bekämpfen.«

Runge spielt hier an auf die Abhandlungen von J.  Preuß, Vom Versehen der Schwangeren, Berliner Klinik, Heft 51 (1892), Ballantyne, Edinburgh Medical Journal, Vol. XXXVI, 1891, und die Arbeit Gerhard, von Welsenburgs, Das Versehen der Frauen in Vergangenheit und Gegenwart und die Anschauungen der Ärzte, Naturforscher und Philosophen darüber, Leipzig 1899. v. Welsenburgs ausführliche Zusammenstellung läßt am Schlüsse die Frage unentschieden.

Über das Versehen und die sicher übertriebene Sucht, alle Mißbildungen hierauf als einzige Ursache zurückzuführen, vgl. noch Ploß-Bartels, Das Weib in der Natur- und Völkerkunde, 7.  Aufl., 1902, Bd. I, S. 809-811. Benjamin Bablot, Dissertation sur le pouvoir de l'imagination des femmes enceintes. E. v.  Feuchtersleben, Die Frage über das Versehen der Schwangeren, zergliedert in den Verhandlungen der k. k. Gesellschaft der Ärzte zu Wien, 1842, S. 430 f., und andere, worüber bei von Welsenburg nachgelesen werden kann. Dieser führt auch zahlreiche Fürsprecher des Versehens an (als solche Budge, Schönlein, Carus, Bechstein, Prosper Lucas, G. H.  Bergmann, A. von  Solbrig, Theodor Roth, Karl Hennig [die zwei letzteren in Virchows Archiv, 1883, 1886], Bichat u. a.). Ich möchte nur noch zitieren, was ein so hervorragender, so klarer und nüchterner Naturforscher wie Karl Ernst von Baer zu dieser Frage bemerkt hat (bei dem ebenfalls zu den Anhängern des Versehens zählenden ausgezeichneten Karl Friedrich Burdach, in dessen Physiologie als Erfahrungswissenschaft, 2. Aufl., Bd. II, Leipzig 1837, S. 127):

»Eine schwangere Frau wurde durch eine in der Ferne sichtbare Flamme sehr erschreckt und beunruhigt, weil sie dieselbe in der Gegend ihrer Heimat erblickte. Der Erfolg lehrte, daß sie sich nicht geirrt hatte; da der Ort aber sieben Meilen entfernt war, so dauerte es lange, bis man sich hierüber Gewißheit verschaffte, und diese lange Ungewißheit mag besonders auf die Frau eingewirkt haben, so daß sie lange nachher versicherte, stets die Flamme vor Augen zu haben. Zwei oder drei Monate nach dem Brande wurde sie von einer Tochter entbunden, welche einen roten Fleck auf der Stirn hatte, der nach oben spitz zulief in Form einer auflodernden Flamme; er wurde erst im siebenten Jahre unkenntlich. Ich erzähle diesen Fall, weil ich ihn zu genau kenne, da er meine eigene Schwester betrifft, und weil die Klage über die Flamme vor den Augen während der Schwangerschaft geführt und nicht, wie gewöhnlich, nach der Entbindung die Ursache der Abweichung in der Vergangenheit aufgesucht wurde.«

(S. 279, Z. 2 ff.) Henrik Ibsen, Die Frau vom Meer, Zweiter Aufzug, Siebenter Auftritt. – Goethe, Die Wahlverwandtschaften, Zweiter Teil, Dreizehntes Kapitel. – v.  Welsenburg weist auch auf Immermanns infolge eines bösen Traumes seiner Mutter mit einem hirschfängerartigen Male unter dem Herzen gebornen Jäger aus dem »Münchhausen« hin (Buch II, Kap. 7, S. 168-175, ed. Hempel).

Es ist von Interesse, zu hören, wie zwei Männer der Wissenschaft über die bekannte Begebenheit aus den »Wahlverwandtschaften« sich äußern. H.  Settegast, Die Tierzucht, 4. Aufl., Bd. I: Die Züchtungslehre, Breslau 1878, spricht S. 101 f. zuerst über die fragliche Beeinflussung des Embryo durch Eindrücke der Mutter während der Gestation und fährt dann fort: »Es wird erzählt, es sei einst ein weißköpfiges Fohlen geboren worden infolge des Umstandes, daß während des Beschälaktes im Gesichtskreise der Zeugenden sich ein Knabe befand, der sich den Kopf mit einem weißen Tuche verhüllt hatte. Ein scheckiges Fohlen ward geboren, nachdem die zur Beschälstation geführte rossige Stute den Weg wiederholt in Gesellschaft eines scheckigen Pferdes zurückgelegt hatte. In einem anderen Falle soll das Scheckenkleid des Fohlens durch das plötzliche Erscheinen eines scheckigen Jagdhundes während des Beschälaktes veranlaßt worden sein ... Wollte man einwenden, daß es zweifelhaft sei, ob das, was der Mensch für eine genug auffällige Erscheinung halte, die Einbildungskraft des zeugenden Tieres zu beschäftigen, auch von dem Tiere so angesehen werde, so könnten aus der Erfahrung zahlreiche Fälle beigebracht werden, in denen nachweisbar während der Begattung die Einbildungskraft eines der Zeugenden mit einem sinnlichen Gegenstande beschäftigt sein mußte. So gehört es z. B. in der Tierzucht zu den nicht ungewöhnlichen Mitteln, ein männliches Tier zur Begattung mit einem von ihm nicht begehrten dadurch zu vermögen, daß man eine seiner Favoritinnen in die Nähe der Verschmähten bringt. Nun wird der Sprung nicht versagt, die durch die Neigung des männlichen Individuums Begünstigte wird schnell zurück- und die Verschmähte zur Kopulation untergeschoben. Noch niemals hat man beobachtet, daß das Kind des so Betrogenen dem Gegenstande seiner Neigung, mit dem seine Phantasie während des Begattungsaktes beschäftigt sein mußte, gleiche, und daß sich ein Prozeß vollziehe, den Goethe in seinen Wahlverwandtschaften mit dichterischer Meisterschaft geschildert hat. In das von ihm beherrschte Gebiet der Phantasie und Dichtung wird man die Ansicht von dem Einfluß seelischer Eindrücke auf das Zeugungsprodukt zu verweisen haben

Viel bescheidener absprechend sagt Rudolf Wagner, Nachtrag zu Rud. Leuckarts Artikel »Zeugung« in Wagners Handwörterbuch der Physiologie, Bd. IV, Braunschweig 1853, S. 1013: »Infolge heftigen Schreckens kann Abortus entstehen. Anhaltender Gram kann ein Gesamtleiden der Mutter zur Folge haben, welches Zerrüttung ihrer Konstitution, schlechte Ernährung, Krankheiten des Fötus veranlassen kann. Aber ein spezifischer Einfluß durch Eindrücke äußerer Gegenstände auf die Schwangeren darf nicht zugegeben werden, und niemals kann die Entstehung von Mißbildungen, von Muttermälern etc. damit in Zusammenhang gebracht werden. Wer im Sinne von Goethes Wahlverwandtschaften – wo diese Ansicht mit der für den Menschenkenner eigentümlichen Tiefe durchgeführt ist – einen Einfluß innerer Gedankenbildung im Momente des Beischlafes auf die physische und psychische Bildung der Frucht annehmen will, der wird vom physiologischen Standpunkte weder zu widerlegen sein, noch wird ihm seine Ansicht bestätigt werden können. Bis zu solcher Tiefe ist die Physiologie noch nicht vorgeschritten, und es steht zu bezweifeln, daß sie je dahin gelangen werde. Wenn ich mein subjektives Urteil aussprechen soll, so muß ich jedoch gestehen, daß ich einen solchen Einfluß der bloßen Vorstellung im Momente des Zeugungsaktes viel eher zu bezweifeln als anzunehmen geneigt bin

Schließlich sei noch erwähnt, daß auch Kant das Versehen bestritten hat in der Abhandlung: Über die Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse (Berliner Monatsschrift, November 1785, Bd. VIII, S. 131-132, ed. Kirchmann): »Es ist klar, daß, wenn der Zauberkraft der Einbildung oder der Künstelei der Menschen an tierischen Körpern ein Vermögen zugestanden würde, die Zeugungskraft selbst abzuändern, das uranfängliche Modell der Natur umzuformen oder durch Zusätze zu verunstalten, die gleichwohl nachher beharrlich in den folgenden Zeugungen aufbehalten würden, man gar nicht mehr wissen würde, von welchem Originale die Natur ausgegangen sei, oder wie weit es mit der Abänderung desselben gehen könne, und, da der Menschen Einbildung keine Grenzen erkennt, in welche Fratzengestalt die Gattungen und Arten zuletzt noch verwildern, dürften. Dieser Erwägung gemäß nehme ich es mir zum Grundsatze, gar keinen in das Zeugungsgeschäft der Natur pfuschenden Einfluß der Einbildungskraft gelten zu lassen und kein Vermögen der Menschen, durch äußere Künstelei Abänderungen in dem alten Original der Gattungen oder Arten zu bewirken, solche in die Zeugungskraft zu bringen und erblich zu machen. Denn lasse ich auch nur einen Fall dieser Art zu, so ist es, als ob ich auch nur eine einzige Gespenstergeschichte oder Zauberei einräumte usw.«

(S. 280, Z. 17 v. u.) Daß den Prostituierten alle mütterlichen Gefühle abgehen, darüber vgl. Lombroso-Ferrero, S. 539 f. der deutschen Ausgabe (Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, Hamburg 1894).

(S. 283, Z. 8.) Die Argumente, welche als moralische Begründungen der Ehe angeführt werden, sind bare Sophisterei. Sogar vom Standpunkte der Kantischen Ethik – und es gibt keine andere Ethik – hat man sie auf folgende Weise aufrechtzuhalten gesucht, wie Theodor G. v.  Hippel (Über die Ehe, 3. Aufl., Berlin 1792, S. 150): »Nie ist der Mensch Mittel, allemal ist er Zweck: nie Instrument, sondern Spielmann; nie kann er genossen werden, sondern er ist Genießer! In der Ehe verbinden sich zwei Personen, einander gegenseitig zu genießen: das Weib will eine Sache für den Mann seyn, und auch der Ehemann macht sich dagegen in bester Form Rechtens verbindlich, sich dahin zu geben. Da beide sich zu Instrumenten herabsetzen, auf denen wechselweise gespielt wird, so geht Null mit Null auf: und dieser einzige Menschengenußkontrakt ist erlaubt, nöthig, göttlich weise.« Ja Kant selbst führt eine gleiche arithmetische Operation in seinen »Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre« aus (§ 25, S. 88 f., ed. Kirchmann): »Der natürliche Gebrauch, den ein Geschlecht von den Geschlechtsorganen des anderen macht, ist ein Genuß, zu dem sich ein Teil dem anderen hingibt. In diesem Akt macht sich der Mensch selbst zur Sache, welches dem Rechte der Menschheit an seiner eigenen Person widerstreitet. Nur unter der einzigen Bedingung ist dieses möglich, daß, indem die eine Person von der anderen gleich als Sache erworben wird, diese gegenseitig wiederum jene erwerbe, denn so gewinnt sie wiederum sich selbst und stellt ihre Persönlichkeit wieder her. Es ist aber der Erwerb eines Gliedmaßes am Menschen zugleich Erwerbung der ganzen Person – weil diese eine absolute Einheit ist –, folglich ist die Hingebung und Annehmung eines Geschlechtes zum Genuß des anderen nicht allein unter der Bedingung der Ehe zulässig, sondern auch allein unter derselben möglich.«

Diese Rechtfertigung berührt sehr eigentümlich. Es hebt sich moralisch nicht auf, wenn zwei Menschen einander gleich viel stehlen. Zu erklären ist diese Äußerung wohl nur aus der geringen Rolle, welche die Frauen in Kantens psychischem Leben spielten, und der geringen Heftigkeit der erotischen Neigungen, die er zu bekämpfen hatte.

(S. 284, Z. 8.) Vgl. Joseph Hyrtl, Topographische Anatomie, 5. Aufl., Wien 1865, S. 559 f.: »Der Zusammendrückung der Ausführungsgänge der einzelnen Drüsenlappen wird durch das Hartwerden der Warze vorgebeugt, welche sich um so mehr steift, je größer der mechanische Reiz ist, welchen die kindlichen Kiefer auf die Warze ausüben. Die zahlreichen Tastwärzchen an der Oberfläche der Papille werden die Erfüllung der Mutterpflicht mit einem wohltuenden Kitzel lohnen, der jedoch zu wenig wollüstig ist, um jede Mutter für die Leistung der heiligsten Pflicht zu gewinnen.« [Wohl aber jede Mutter nach dem im Texte entwickelten Begriffe einer eigentlichen Mutterschaft im Gegensatze zur Dirnenhaftigkeit.] – Über die Erektion der Warze selbst vgl. L.  Landois, Lehrbuch der Physiologie des Menschen, 9. Aufl., Wien und Leipzig 1896, S. 441: »Bei der Entleerung der Milch wirkt nicht allein rein mechanisch das Saugen, sondern es kommt eine aktive Tätigkeit der Brustdrüse hinzu. Diese besteht zunächst in der Erektion der Warze, wobei die glatten Muskeln derselben zur Entleerung der Milch auf die Sinus der Gänge drücken, so daß dieselbe sogar im Strahle hervorspritzen kann.« – Über die Uteruskontraktionen Max Runge, Lehrbuch der Geburtshilfe, 4. Aufl., Berlin 1898, S. 180: »Der Reiz der Warzen durch das Saugen löst Uteruskontraktionen aus.«

(S. 284, Z. 8 v. u.) Man vergleiche hiemit die folgenden Betrachtungen J. J.  Bachofens, die vielleicht tief genannt zu werden verdienen (Das Mutterrecht, Stuttgart 1861, S. 165 f.): »Der Mann erscheint als das bewegende Prinzip. Mit der Einwirkung der männlichen Kraft auf den weiblichen Stoff beginnt die Bewegung des Lebens, der Kreislauf des ὁρατος ϰόσμος. War zuvor alles in Ruhe, so hebt jetzt mit der ersten männlichen Tat jener ewige Fluß der Dinge an, der durch die erste ϰίνησις hervorgerufen wird, und, nach Heraklits bekanntem Bilde, in keinem Augenblicke völlig derselbe ist. Durch Peleus' Tat wird aus Thetis' unsterblichem Mutterschoße das Geschlecht der Sterblichen geboren. Der Mann bringt den Tod in die Welt. Während die Mutter für sich der Unsterblichkeit genießt, geht nun, durch den Phallus erweckt, aus ihrem Leibe ein Geschlecht hervor, das gleich einem Strome immer dem Tode entgegeneilt, gleich Meleagers Feuerbrand stets sich selbst verzehrt.« Auch S. 34 f. ist von Bachofen manches Schöne über die im »demetrisch-tellurischen Prinzipe« gelegene Art der Unsterblichkeit gesagt.

(S. 285, Z. 8 v. u. f.) Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, Buch 4, Kapitel 41.

(S. 287, Z. 14.) Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, Buch 4, Kapitel 44: »Der Endzweck aller Liebeshändel, sie mögen auf dem Sokkus oder dem Kothurn gespielt werden, ist ... wichtiger als alle anderen Zwecke im Menschenleben, und daher des tiefen Ernstes, womit jeder ihn verfolgt, völlig wert. Das nämlich, was dadurch entschieden wird, ist nichts Geringeres als die Zusammensetzung der nächsten Generation usw

(S. 288, Z. 19 v. u.) Z. B. sagt der freilich auch sonst überaus flache und unoriginelle Eduard von Hartmann, der jetzt von manchen, wie es scheint, bloß weil er kein Universitätsprofessor ist, schon für einen großen Denker gehalten wird, in seiner »Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins, Prolegomena zu jeder künftigen Ethik« (Berlin 1879), S. 268 f.: »Man denke ... an ein vom naivsten, aber rücksichtslosesten und schamlosesten Egoismus beseeltes Weib, das von dem Tage an, wo es Mutter wird, mit der ganzen Naivität des weiblichen Gefühls ihr Selbst auf die Personen ihrer Kinder mit ausdehnt, kein Opfer für das Wohl dieser scheut, aber auch die so erweiterte Mutterselbstsucht ebenso rücksichtslos und schamlos nach außen übt wie vorher ihren Egoismus, ja noch ungenierter, weil sie in ihren Mutterpflichten eine ethische Rechtfertigung ihres Verhaltens zu besitzen glaubt ... Ist auch eine solche einseitige Liebe, die rücksichtslos zu allem außerhalb dieses Liebesverhältnisses Liegenden sich verhält, eine sittlich unvollkommene, so ist sie doch im Prinzip ein unermeßlicher Fortschritt über den starren Eigennutz und die kahle Eigenliebe hinaus, und zeigt den grundsätzlichen Bruch mit der Beschränkung des Willens auf das alleinige Wohl der Individualität. Man kann sagen, daß in einer solchen Mutter, bei aller Einseitigkeit ihrer Moralität, doch unendlich viel mehr ethische Tiefe verwirklicht ist als bei dem Virtuosen der Klugheitsmoral, dem willenlosen Sklaven kirchlicher Moralformeln und dem Künstler der ästhetischen Moral zusammengenommen, da jene die Wurzel alles Bösen wenigstens in einem Punkte radikal und von Grund aus zerstört hat, während von diesen die beiden ersten sich durch außerhalb der Sache liegende Rücksichten, der letztere doch nur durch oberflächliche und äußerliche Seiten der Sache bestimmen läßt. Darum wird solche Liebe sittliche Achtung und in ihren höheren Graden selbst Ehrfurcht und Bewunderung erwecken, selbst da, wo ihre Einseitigkeit zu unsittlichem Verhalten nach anderen Richtungen führt.« Alle diese Irrtümer entstehen aus dem trotz Kant überall verbreiteten, aber ganz unhaltbaren Glauben an eine triebhafte, naive, unbewußte und auf diese Art vollkommene Sittlichkeit. Man wird es ewig zu wiederholen haben, daß Moralität und Bewußtheit, Unbewußtheit und Immoralität einerlei sind. (So spricht von »unbewußter Sittlichkeit« Hartmann, a. a. O. S. 311; es muß hiegegen anerkannt werden, daß er an anderen Stellen einsichtiger über die Frauen urteilt; z. B. S. 526: »Der Mangel an Rechtlichkeit und Gerechtigkeit macht das weibliche Geschlecht als Ganzes zu einem moralischen Parasiten des männlichen.«)

(S. 289, Z. 6 v. u.) Johann Fischart, Das philosophische Ehzuchtbüchlein. – Jean Richepins bekannte Ballade »La Glu« nach dem Bretonischen (in »La Chanson des Gueux«). Auch H.  Heine hätte mehrerer Gedichte wegen hier angeführt werden dürfen.

(S. 290, Z. 4.) J. J.  Bachofen, Das Mutterrecht, Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der Alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur, Stuttgart 1861, S. 10, sagt: »Auf den tiefsten, düstersten Stufen des menschlichen Daseins bildet die Liebe, welche die Mutter mit den Geburten ihres Leibes verbindet, den Lichtpunkt des Lebens, die einzige Erhellung der moralischen Finsternis, die einzige Wonne inmitten des tiefen Elends.« »Dasjenige Verhältnis, an welchem die Menschheit zuerst zur Gesittung emporwächst, das der Entwicklung jeder Tugend, der Ausbildung jeder edleren Seite des Daseins zum Ausgangspunkte dient, ist der Zauber des Muttertums, der inmitten eines gewalterfüllten Lebens als das göttliche Prinzip der Liebe, der Einigung, des Friedens wirksam wird.« Bachofen ist ein viel tieferer und weiter blickender Mann, von einer universelleren, echteren philosophischen Bildung als irgend ein Soziolog seit Hegel; und doch übersieht er hier etwas so Naheliegendes, wie den völligen Mangel an Unterschieden zwischen der Mutterliebe bei den Tieren (Henne, Katze) und beim Menschen.

Robert Hamerling, sonst mehr Rhetor als wahrer Künstler, macht über die Mutterliebe eine gute Bemerkung, die, ohne daß er dies zu wollen scheint, klar zeigt, wie von Sittlichkeit hier gar nicht gesprochen werden kann (Ahasver in Rom, II. Gesang, Werke, Volksausgabe, Bd. I, S. 59):

»Die Mutterliebe, sieh, das ist der Pflichtteil
Von Liebesglück, den jeder Kreatur
Auswirft die kargende Natur – der Rest
Ist Schein und Trug. – Wahrhaftig mich ergötzt es,
Daß es ein Wesen gibt, für das es ewig
Naturnotwendigkeit ist, mich zu lieben

(S. 290, Z. 19.) Über die berühmte Karoline vgl. Minna Cauer, Die Frau im XIX. Jahrhundert, Berlin 1898 (aus: Am Ende des Jahrhunderts, Rückschau auf hundert Jahre geistiger Entwicklung, herausgegeben von Dr. Paul Bernstein), S. 32-37.

(S. 292, Z. 19.) An Annäherungen an jenes größere Hetärentum (Aspasia, Kleopatra) hat es in der Renaissance nicht gefehlt. Vgl. Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, 4. Aufl., bes. von L. Geiger, Bd. I, S. 127.

(S. 295, Z. 16.) Die Erzählung über Napoleon nach Emerson, Repräsentanten des Menschengeschlechtes, übersetzt von Oskar Dähnert, Leipzig, Universalbibliothek, S. 199.

(S. 299, Z. 15.) Dieser Auffassung der Mutterschaft kommt am nächsten die des Aischylos (Eumeniden, Vers 658 f.):

»Οὐϰ ἔστι μήτηρ ἡ ϰεϰλημένου τέ κνου
τοϰεύς, τροφὸς δὲ ϰύματος νεοσπόρου.
τίϰτει δ'ὁ ϑρῴσϰων, ἡ δ'ἅπερ ξένῳ ξένη
ἔσωσεν ἔρνος, οἱσι μὴ βλάψῃ ϑεός.«

(S. 300, Z. 18.) Die Illusion der Vaterschaft hat der mächtigen Tragödie August Strindbergs »Der Vater« den Namen gegeben. (Man vgl. in dieser außerordentlichen Dichtung [übersetzt von E. Brausewetter, Universalbibliothek] als speziell auf diesen Punkt sich beziehend S. 34.)

(S. 300, Z. 22 ff.) Bachofen, Das Mutterrecht, S. 9: »... der Name matrimonium selbst ruht auf der Grundidee des Mutterrechtes. Man sagte matrimonium, nicht Patrimonium, wie man zunächst auch nur von einer materfamilias sprach. Paterfamilias ist ohne Zweifel ein späteres Wort. Plautus hat materfamilias öfter, Paterfamilias nicht ein einziges Mal ... Nach dem Mutterrecht gibt es wohl einen Pater, aber keinen Paterfamilias. Familia ist ein rein physischer Begriff, und darum zunächst nur der Mutter geltend. Die Übertragung auf den Vater ist ein improprie dictum, das daher zwar im Recht angenommen, aber in den gewöhnlichen nicht juristischen Sprachgebrauch später erst übertragen wurde. Der Vater ist stets eine juristische Fiktion, die Mutter dagegen eine physische Tatsache. Paulus ad Edictum in Fr. 5 D, de in ius vocando (2, 4) ›mater semper certa est, etiamsi vulgo conceperit, pater vero is tantum, quem nuptiae demonstrant‹. Tantum deutet an, daß hier eine juristische Fiktion an die Stelle der stets fehlenden natürlichen Sicherheit treten muß. Das Mutterrecht ist natura verum, der Vater bloß iure civili, wie Paulus sich ausdrückt.«

(S. 300, Z. 15 v. u.) Herbert Spencer, Die Unzulänglichkeit der natürlichen Zuchtwahl, Biologisches Zentralblatt, XIV, 1894, S. 262 f., bemerkt: »Ich bin einem ausgezeichneten Korrespondenten zu großem Dank verpflichtet, der meine Aufmerksamkeit auf beglaubigte Tatsachen gelenkt hat, die über die Nachkommen von Weißen und Negern in den Vereinigten Staaten berichtet werden. Indem er sich auf einen Bericht, der ihm mehrere Jahre zuvor gemacht worden war, bezieht, sagt er: ›Es ging darauf hinaus, daß die Kinder weißer Frauen von weißen Vätern mehrere Male Spuren von Negerblut zeigten, wenn die Frau früher ein Kind von einem Neger gehabt hatte.‹ Zu der Zeit, als ich diesen Bericht erhielt, besuchte mich ein Amerikaner, und darüber befragt, antwortete er, daß in den Vereinigten Staaten diese Meinung allgemein anerkannt werde. Um jedoch nicht nach Hörensagen zu urteilen, schrieb ich sogleich nach Amerika, Umfrage zu halten ... Prof. Marsh, der ausgezeichnete Paläontologe aus Yale, New Haven, der auch Beweise sammelt, sendet mir einen vorläufigen Bericht, in welchem er sagt: ›Ich selbst kenne keinen solchen Fall, aber ich habe viele Aussagen gehört, die mir ihre Existenz wahrscheinlich machen. Ein Beispiel in Connecticut wurde mir von einem Bekannten so zuverlässig beteuert, daß ich allen Grund habe, es für authentisch zu halten.‹

Daß Fälle dieser Art nicht häufig im Norden gesehen werden, ist natürlich zu erwarten. Das erste der oben erwähnten Beispiele bezieht sich auf Vorgänge, die im Süden während der Sklavenzeit beobachtet wurden; und selbst damals waren die bezüglichen Bedingungen natürlicherweise sehr selten. Dr. W. J.  Youmans in New York hat in meinem Interesse mehrere Medizinprofessoren befragt, die, obgleich sie nicht selbst solche Beispiele gesehen haben, sagen, daß das behauptete, oben beschriebene Resultat ›allgemein als eine Tatsache anerkannt wird‹. Aber er sendet mir etwas, das nach meiner Meinung als ein autoritatives Zeugnis gelten kann. Es ist ein Zitat aus dem klassischen Werk von Prof.  Austin Flint, das hier folgt:

›Eine eigentümliche und, wie es scheint, unerklärliche Tatsache ist es, daß frühere Schwangerschaften einen Einfluß auf die Nachkommenschaft haben. Das ist den Tierzüchtern wohl bekannt. Wenn Vollblutstuten oder Hündinnen einmal mit Männchen von weniger reinem Blut belegt worden waren, so werden bei späteren Befruchtungen die Jungen geneigt sein, die Art des ersten Männchens anzunehmen, selbst wenn sie von Männchen mit unzweifelhaftem Stammbaum erzeugt wurden. Wie man diesen Einfluß der ersten Empfängnis erklären kann, ist unmöglich zu sagen, aber die Tatsache ist unbestritten. Der gleiche Einfluß ist beim Menschen beobachtet worden. Eine Frau kann vom zweiten Mann Kinder haben, die dem ersten ähnlich sind, und diese Beobachtung ist besonders in bezug auf Haar und Augen gemacht worden. Eine weiße Frau, die zuerst Kinder von einem Neger hat, kann später Kinder von einem weißen Vater gebären, und doch werden diese Kinder unfragliche Eigentümlichkeiten der Negerrasse an sich tragen.‹ (A Text Book of Human Physiology. By Austin Flint, MD. LL. D.  Fourth edition, New York, D. Appleton & Co., 1888, p. 797.)

Dr.  Youmans besuchte Prof.  Flint, der ihm erzählte, daß er ›den Gegenstand näher untersucht habe, als er sein größeres Werk schrieb (das obige Zitat ist aus einem Auszug), und er fügte hinzu, daß er nie gehört habe, daß der Bericht in Frage gestellt sei‹.« (Vgl. über dieselbe Frage Spencer, Biolog. Zentralblatt, XIII, 1893, S. 743-748.)

(S. 300, Z. 14 v. u.) Vgl. Charles Darwin, Über die direkte oder unmittelbare Einwirkung des männlichen Elementes auf die Mutterform (Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation, 11. Kapitel, Bd. I, 2. Aufl., Stuttgart 1873, S. 445 f.): »Eine andere merkwürdige Klasse von Tatsachen muß hier noch betrachtet werden, weil man angenommen hat, daß sie einige Fälle von Knospenvariation erklären. Ich meine die direkte Einwirkung des männlichen Elementes, nicht in der gewöhnlichen Weise auf die Ovula, sondern auf gewisse Teile der weiblichen Pflanzen, oder, wie es der Fall bei Tieren ist, auf die späteren Nachkommen des Weibchens von einem zweiten Männchen. Ich will vorausschicken, daß bei Pflanzen das Ovarium und die Eihülle offenbar Teile des Weibchens sind, und es hätte sich nicht voraussehen lassen, daß diese von dem Pollen einer fremden Varietät oder Spezies affiziert werden würden, obgleich die Entwicklung des Embryo innerhalb des Embryosackes, innerhalb des Ovulums, innerhalb des Ovariums natürlich vom männlichen Element abhängt.

Schon im Jahre 1729 wurde beobachtet (Philosophical Transactions, Vol. XLIII, 1744/45, p. 525), daß sich weiße und blaue Varietäten der Erbsen, wenn sie nahe aneinander gepflanzt werden, gegenseitig kreuzten, ohne Zweifel durch die Tätigkeit der Bienen, und im Herbste wurden blaue und weiße Erbsen innerhalb derselben Schoten gefunden. Wiegmann machte eine genau ähnliche Beobachtung im jetzigen Jahrhundert. Dasselbe Resultat erfolgte mehrere Male, wenn eine Varietät Erbsen von der einen Färbung künstlich mit einer verschieden gefärbten Varietät gebaut wurde (Mr.  Swayne in: Transact. Horticult. Soc, Vol. V, p. 234, und Gärtner, Bastarderzeugung, 1849, S. 81 und 499). Diese Angaben veranlaßten Gärtner, der äußerst skeptisch über diesen Gegenstand war, eine lange Reihe von Experimenten sorgfältig anzustellen. Er wählte die konstantesten Varietäten sorgfältig heraus, und das Resultat zeigte ganz überzeugend, daß die Farbe der Haut der Erbse modifiziert wird, wenn Pollen einer verschieden gefärbten Varietät gebraucht wird. Diese Folgerung ist seitdem durch Experimente, welche J. M.  Berkeley angestellt hat, bestätigt worden ( Gardeners Chronicle, 1854, p. 404) ...«

(S. 447:) »Wenden wir uns nun zur Gattung Matthiola. Der Pollen der einen Sorte von Levkoj affiziert zuweilen die Farbe der Samen einer anderen Sorte, die als Mutterpflanze benutzt wird. Ich führe den folgenden Fall um so lieber an, als Gärtner ähnliche Angaben, die in bezug auf den Levkoj von anderen Beobachtern früher gemacht worden waren, bezweifelte. Ein sehr bekannter Gartenzüchter, Major Trevor Clarke (siehe auch einen Aufsatz, welchen dieser Beobachter vor dem Internationalen Hortikultur- und botanischen Kongreß in London 1866 gelesen hat), teilt mir mit, daß die Samen des großen rotblütigen, zweijährigen Levkojs (M. annua; »Cocardeau« der Franzosen) hellbraun sind, und die des purpurnen verzweigten Levkojs »Queen« (M. incana) violettschwarz sind. Nun fand er, daß, wenn Blüten des roten Levkojs mit Pollen des purpurnen befruchtet wurden, sie ungefähr 50% schwarzen Samen ergaben. Er schickte mir vier Schoten von einer rotblühenden Pflanze, von denen zwei mit ihren eigenen Pollen befruchtet worden waren, und diese enthielten blaßbraune Samen, und zwei, welche mit Pollen von der purpurnen Sorte gekreuzt worden waren, und diese enthielten Samen, die alle tief mit Schwarz gefärbt waren. Diese letzteren Samen ergaben purpurblühende Pflanzen wie ihr Vater, während die blaßbraunen Samen normale rotblühende Pflanzen ergaben. Major Clarke hat beim Aussäen ähnlicher Samen in einem größeren Maßstabe dasselbe Resultat erhalten. Die Beweise für die direkte Einwirkung des Pollens einer Spezies auf die Färbung der Samen einer anderen Spezies scheinen mir in diesem Falle ganz entscheidend zu sein.«

Darwin legt hier besonderen Nachdruck auf die radikale Veränderung in der Mutterpflanze durch den männlichen Pollen. So im englischen Texte (2. ed., London 1875, Vol. II, p. 430 f.): »Professor Hildebrand (Botanische Zeitung, Mai 1868, S. 326) ... has fertilised ... a kind [of maize] bearing yellow grains with the precaution that the mother-plant was true. A kind bearing yellow grains was fertilised with pollen of a kind having brown grains, and two ears produced yellow grains, but one side of the spindle was tinted with a reddish brown; so that here we have the important fact of the influence of the foreign pollen extending to the axis.« S. 449 (der deutschen Ausgabe): »Mr.  Sabine (Transact. Horticult., Soc, Vol. V, p. 69) gibt an, daß er gesehen hat, wie die Form der nahezu kugeligen Samenkapseln von Amaryllis vittata durch die Anwendung des Pollens einer anderen Spezies, deren Kapseln höckerige Kanten haben, verändert wurde.«

(S. 450:) »Ich habe nun nach der Autorität mehrerer ausgezeichneter Beobachter der Pflanzen, welche zu sehr verschiedenen Ordnungen gehören, gezeigt, daß der Pollen einer Spezies oder Varietät, wenn er auf eine distinkte Form gebracht wird, gelegentlich die Modifikation der Samenhüllen und des Fruchtknotens oder der Frucht verursacht, was sich in einem Falle bis auf den Kelch und den oberen Teil des Fruchtstiels der Mutterpflanze erstreckt. Es geschieht zuweilen, daß das ganze Ovarium oder alle Samen auf diese Weise modifiziert werden; zuweilen wird nur eine gewisse Anzahl Samen, wie in dem Falle bei der Erbse, oder nur ein Teil des Ovariums, wie bei der gestreiften Orange, den gefleckten Trauben und dem gefleckten Mais, so affiziert. Man darf nicht annehmen, daß irgend eine direkte oder unmittelbare Wirkung der Anwendung fremden Pollens unabänderlich folgt; dies ist durchaus nicht der Fall; auch weiß man nicht, von welchen Bedingungen das Resultat abhängt.«

(S. 451:) »Die Beweise für die Wirkung fremden Pollens auf die Mutterpflanze sind mit beträchtlichem Detail gegeben worden, weil diese Wirkung ... von der höchsten theoretischen Bedeutung ist und weil sie an und für sich ein merkwürdiger und scheinbar anormaler Umstand ist. Daß sie vom physiologischen Standpunkte aus merkwürdig ist, ist klar; denn das männliche Element affiziert nicht bloß, im Einklang mit seiner eigentlichen Funktion, den Keim, sondern auch die umgebenden Gewebe der Mutterpflanze.« (Hier fährt die englische Ausgabe I 2, p. 430, fort:) »...  We thus see, that an ovule is not indispensable for the reception of the influence of the male dement.«

(S. 300, Z. 10 v. u.) Ich setze den berühmten Bericht im Original her (Philosophical Transactions of the Royal Society of London, 1821, Part I, p. 20 f.):

A communication of a Singular fact in Natural History. By the Right Honourable the Earl of Morton, F. R. S., in a Letter addressed to the President.

Read November 23, 1820.

My Dear Sir,

I yesterday had an opportunity of observing a singular fact in Natural History, which you may perhaps deem not unworthy of being communicated to the Royal Society.

Some years ago, I was desirous of trying the experiment of domesticating the Quagga, and endeavoured to procure some individuals of that species. I obtained a male; but being disappointed of a female, I tried to breed from the male quagga and a young chesnut mare of seven-eights Arabian blood and which had never been breed from: the result was the production of a female hybrid, now five years old, and bearing, both in her form and in her colour, very decided indications of her mixed origin. I subsequently parted with the seven-eight Arabian mare to Sir Gore Ouseley, who has breed from her by a very fine black Arabian horse. I yesterday morning examined the produce, namely, a two years old filly, and a year old colt. They have the character of the Arabian breed as decidedly as can be expected, where fifteen-sexteenths of the blood are Arabian; and they are fine specimens of that breed; but both in their colour, and in the hair of their manes, they have a striking resemblance to the quagga. Their colour is bay, marked more or less like the quagga in a darker tint. Both are distinguished by the dark line along the ridge of the back, the dark stripes across the fore-hand, and the dark bars across the back-part of the legs. The stripes across the fore-hand of the colt are confined to the withers, and to the part of the neck next to them; those on the filly cover nearly the whole of the neck and the back, as far as the flanks. The colour of her coat on the neck adjoining to the mane is pale and approaching to dun, rendering the stripes there more conspicuous than those on the colt. The same pale tint appears in a less degree on the rump: and in this circumstance of the dun tint also she resembles the quagga – –

*

[p. 22] These circumstances may appear Singular; but I think you will agree with me that they are trifles compared whit the extraordinary fact of so many striking features, which do not belong to the dam, being in two successive instances communicated through her to the progeny, not only of another sire, who also has them not, but of a sire belonging probably to another species; for such we have very strong reason for supposing the quagga to be.

I am, my dear Sir
Your faithful humble servant
Morton

(S. 300, Z. 5 v. u.) Besonders ausführlich H.  Settegast, Die Tierzucht, 4. Aufl., Bd. I: Die Züchtungslehre, Breslau 1878, S. 223-234: Infektion (Superfötation). Er verweist alles in das Gebiet des Aberglaubens und der Phantastik. »So kommen wir denn zu dem Schluß, daß die vermeintliche Infektion der Mutter auf einer Täuschung beruht, und daß es unzulässig ist, durch sie die Fälle erklären zu wollen, in welchen das Kind in Farbe und Abzeichen, in Form und Eigenschaften der Übereinstimmung mit den Eltern ermangelt. Aus unseren bisherigen Untersuchungen über Abweichungen von elterlicher Verwandtschaft ist zu ersehen, daß die vereinzelten Fälle, welche die Infektionstheorie zu ihren Gunsten auslegt, und die zugleich als verbürgt angesehen werden dürfen, auf Rechnung der Neubildung der Natur zu schreiben sind.

Durch unsere Ausführungen glauben wir die Infektionstheorie widerlegt zu haben: daß es uns gelungen sein sollte, sie für immer zu bannen, dürfen wir kaum hoffen. Die Infektionstheorie ist die Seeschlange der Vererbungslehre.«

(S. 300, Z. 3 v. u.) F. C.  Mahnke, Die Infektionstheorie, Stettin 1864. Vgl. zu der Frage auch Rudolf Wagner, Nachtrag zu R. Leuckarts Artikel »Zeugung« in Wagners Handwörterbuch der Physiologie, Bd. IV, 1853, S. 1011 f. Oskar Hertwig, Die Zelle und die Gewebe, Bd. II, Jena 1898, S. 137 f.

(S. 300, Z. 2 v. u.) August Weismann, Das Keimplasma, Eine Theorie der Vererbung, Jena 1892, S. 503 f. Die Allmacht der Naturzüchtung, Jena 1893, S. 81-84, 87-91. Weismann verhält sich, wie er (seiner Überzeugung von der völligen Unbeeinflußbarkeit des Keimplasmas gemäß) es wohl muß, ablehnend, und beruft sich hiebei vor allem auf die eingehenden Erörterungen Settegasts. Ähnlich Hugo de Vries, Intracellulare Pangenesis, Jena 1889, S. 206-207.

Dagegen ist Darwin von der »direkten Wirkung des männlichen Elementes auf das Weibchen« (nicht bloß auf eine einzige Keimzelle desselben) überzeugt, Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation, Kap. 27 (Bd. II 2, S. 414, Stuttgart 1873); wie es wohl ein jeder sein muß, der sich die ungeheure Veränderung, welche in den Frauen sofort mit Beginn der Ehe eintritt, und ihre außerordentliche Anähnlichung an den Mann während derselben vor Augen hält. Vgl. im Texte S. 366 f., 386.

Darwin sagt a. a. O. S. 414: »Wir sehen hier, daß das männliche Element nicht den Teil affiziert und hybridisiert, welchen zu affizieren es eigentlich bestimmt ist, nämlich das Eichen, sondern die besonders entwickelten Gewebe eines distinkten Individuums.«

Ausführlicher spricht Darwin über die Telegonie im II. Kapitel dieses selben Werkes, wo er aus der Literatur eine große Zahl von Fällen anführt, welche für ihr Vorkommen beweisend sind (Bd. I 2, S. 453-455):

»In bezug auf die Varietäten unserer domestizierten Tiere sind viele ähnliche und sicher beglaubigte Tatsachen veröffentlicht worden, andere sind mir noch mitgeteilt worden; alle beweisen den Einfluß des ersten Männchens auf die später von derselben Mutter mit anderen Männchen erzeugten Nachkommen. Es wird hinreichen, noch einen einzigen Fall mitzuteilen, der in einem auf den des Lord Morton folgenden Aufsatz in den »Philosophical Transactions« enthalten ist: Mr. Giles brachte eine Sau von Lord Westerns schwarzer und weißer Essexrasse zu einem wilden Eber von einer tief kastanienbraunen Färbung; die produzierten Schweine trugen in ihrer äußeren Erscheinung Merkmale sowohl des Ebers als der Sau, bei einigen herrschte aber die braune Färbung des Ebers bedeutend vor. Nachdem der Eber schon längere Zeit tot war, ward die Sau zu einem Eber ihrer eigenen schwarzen und weißen Rasse getan (einer Rasse, von welcher man sehr wohl weiß, daß sie sehr rein züchtet und niemals irgend eine braune Färbung zeigt); und doch produzierte die Sau nach dieser Verbindung einige junge Schweine, welche deutlich dieselbe kastanienbraune Färbung besaßen wie die aus dem ersten Wurfe. Ähnliche Fälle sind so oft vorgekommen, daß sorgfältige Züchter es vermeiden, ein geringeres Männchen zu einem ausgezeichneten Weibchen zu lassen wegen der Beeinträchtigung der späteren Nachkommen, welche sich hienach erwarten läßt.

Einige Physiologen haben diese merkwürdigen Folgen einer ersten Befruchtung aus der innigen Verbindung und der freien Kommunikation zwischen den Blutgefäßen des modifizierten Embryos und der Mutter zu erklären versucht. Es ist indes eine äußerst unwahrscheinliche Hypothese, daß das bloße Blut des einen Individuums die Reproduktionsorgane eines anderen Individuums in einer solchen Weise affizieren könne, daß die späteren Nachkommen dadurch modifiziert würden. Die Analogie mit der direkten Einwirkung fremden Pollens auf den Fruchtknoten und die Samenhüllen der Mutterpflanze bietet der Annahme eine kräftige Unterstützung, daß das männliche Element, so wunderbar diese Wirkung auch ist, direkt auf die Reproduktionsorgane des Weibchens wirkt, und nicht erst durch die Intervention des gekreuzten Embryos.«

Wilhelm Olbers Focke, Die Pflanzenmischlinge, Ein Beitrag zur Biologie der Gewächse, Berlin 1881, S. 510-518: »Ich schlage ... vor, solche Abweichungen von der normalen Gestalt oder Färbung, welche in irgend welchen Teilen einer Pflanze durch die Einwirkung vom fremden Blütenstäube hervorgebracht werden, als Xenien zu bezeichnen, gleichsam als Gastgeschenke der Pollen spendenden Pflanze an die Pollen empfangende.« (S. 511.)

(S. 301, Z. 17.) Zum »Versehen« vgl. die Anmerkungen zu S. 278 f.

(S. 301, Z. 15 v. u.) Wie für das Versehen auf Goethe und auf Ibsen, so hätte ich, wenn ich nicht erst nach Abschluß dieses Kapitels hierauf wäre aufmerksam gemacht worden, auch für die Realität der Telegonie auf das Werk eines großen Künstlers mich berufen können: ich meine Madeleine Férat, den wenig gelesenen, aber wohl sehr großartigen Roman des jugendlichen Zola. Was Zola über die Frauen gedacht hat, muß, nach diesem wie nach anderen Werken, meinen Anschauungen sehr nahegestanden sein. Vgl. Madeleine Férat, Nouvelle édition, Paris, Bibliothèque-Charpentier 1898, S. 173 f., besonders S. 181 ff. und 251 f., Stellen, die ich ihrer großen Länge wegen nicht hiehersetzen kann.

(S. 303, Z. 8.) Über die Zuhälter vgl. Lombroso-Ferrero, Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, Hamburg 1894, S. 560 ff. der deutschen Ausgabe, über ihre Identität mit den eigentlichen Verbrechern«, ibid. S. 563-564.

Zu Teil II, Kapitel 11

(S. 307, Z. 11 f.) Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. II, Kapitel XXVII. – Die Erzählung in betreff des Lord Byron ist nach R. von  Hornstein wiedergegeben von Eduard Grisebach im Anhange zu Schopenhauers sämtlichen Werken, Bd. VI, S. 191 f.

(S. 309, Z. 1.) Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, Königsberg 1764, III. Abschnitt (Bd. VIII, S. 36 der Kirchmannschen Ausgabe): »Diese ganze Bezauberung ist im Grunde über den Geschlechtstrieb verbreitet. Die Natur verfolgt ihre große Absicht, und alle Feinigkeiten, die sich hinzugesellen, sie mögen nun so weit davon abzustehen scheinen, wie sie wollen, sind nur Verbrämungen und entlehnen ihren Reiz doch am Ende aus derselben Quelle.« – Schopenhauer in seiner wiederholt zitierten »Metaphysik der Geschlechtsliebe« (Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, Kap. 44).

(S. 310, Z. 13 v. u.) Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. II, § 369.

(S. 311, Z. 4.) Kant, Kritik der reinen Vernunft, Transzendentale Dialektik, I, 3. System der transzendentalen Ideen (S. 287 ff., Kehrbach).

(S. 312, Z. 10-17.) Das Lied ist das des Wolfram aus Wagners Tannhäuser, 2. Aufzug, 4. Szene.

(S .  318, Z .  3.) Platon , Phaedrus , p .  251 A . B .: »ὅταν ϑεοειδὲς πρόσωπον ἴδῃ ϰάλλος εὑ μεμιμημένον, ἤ τινα σώματος ἰδέαν, πρῶτον μὲν ἔφριξε  ... εἷτα προσορῶν ὡς ϑεόν σέβεται, ϰαὶ εἰ μὴ δεδιείη τὴν τῆς σφόδρα μανίας δόξαν, ϑύοι ἂν ὡς ἀγάλματι ϰαὶ ϑεῷ τοῖς παιδιϰοῖς. ιδόντα δὲ αὐτόν, οἷον ἐϰ τῆς φρίϰης, μεταβολή τε ϰαὶ ἱδρὼς ϰαὶ ϑερμότης ὰήϑης λαμβάνει. δεξάμενος γὰρ τοῦ ϰάλλους τὴν ὰποῤῥοὴν διὰ τῶν ὀμμάτων, ἐϑερμάνϑη ᾗ ἡ τοῦ πτεροῦ φύσις ἄρδεται. ϑερμανϑέντος δὲ ἐτάϰη τὰ περὶ τὴν ἔϰφυσιν, ἃ πάλαι ὑπὸ σϰληρότητος συμμεμυϰότα εἷργε μὴ βλαστάνειν. ἐπιῤῥυείσης δὲ τῆς τροφῆς ᾤδησέ τε ϰαὶ ὥρμησε φύεσϑαι ὰπὸ τῆς ῥίζης ὁ τοῦ πτεροῦ ϰαυλὸς ὑπὸ πᾶν τὸ τῆς ψυχὴς εἶδος. πᾶσα γὰρ ἦν τὸ πάλαι πτερωτή.«

(S. 319, Z. 6-12.) Vgl. Dante, Paradiso, Canto VII, v. 64-66:

»La divina bontà, che da sè sperne
Ogni livore, ardendo in sè sfavilla
Si che dispiega le bellezze interne.«

(S. 319, Z. 7 v. u.) Kant, Kritik der Urteilskraft. – Schelling, System des transzendentalen Idealismus, Sämtliche Werke, I. Abteilung, Bd. III. – Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen.

(S. 320, Z. 3.) Shaftesbury: nach W.  Windelband, Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaften, 2. Aufl., Leipzig 1899, Bd. I, S. 272. – Herbart, Analytische Beleuchtung des Naturrechts und der Moral, Göttingen 1836, Sämtliche Werke, ed. Hartenstein, Bd. VIII, S. 213 ff.

(S. 323, Z. 9 v. u.) Platons Gastmahl, 206 E.

(S. 323, Z. 1 v. u.) Platons, a. a. O. Kap. 27, S. 209 C–E (Übersetzung nach Schleiermacher).

(S. 324, Z. 7 v. u.) Novalis: »Es ist wunderbar genug, daß nicht längst die Assoziation von Wollust, Religion und Grausamkeit die Menschen aufmerksam auf ihre innige Verwandtschaft und ihre gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat.« (Novalis' Schriften, herausgegeben von Ludwig Tieck und Fr. Schlegel, Zweiter Teil, Wien 1820, S. 288.)

(S. 324, Z. 6 v. u.) Bachofen, Das Mutterrecht, Stuttgart 1861, S. 52: »Das stoffliche, das tellurische Sein umschließt beides, Leben und Tod. Alle Personifikationen der chthonischen Erdkraft vereinigen in sich diese beiden Seiten, das Entstehen und das Vergehen, die beiden Endpunkte, zwischen welchen sich, um mit Plato zu reden, der Kreislauf aller Dinge bewegt. So ist Venus, die Herrin der stofflichen Zeugung, als Libitina die Göttin des Todes. So steht zu Delphi eine Bildsäule mit dem Zunamen Epitymbia, bei welcher man die Abgeschiedenen zu den Totenopfern heraufruft (Plut. quaest. rom. 29). So heißt Priapus in jener römischen Sepulkralinschrift, die in der Nähe des Campanaschen Kolumbariums gefunden wurde, mortis et vitai locus. So ist auch in den Gräbern nichts häufiger als Priapische Darstellungen, Symbole der stofflichen Zeugung. Ja, es findet sich auch in Südetrurien ein Grab, an dessen Eingang, auf dem rechten Türpfosten, ein weibliches Sporium abgebildet ist.« – Der Kreislauf von Tod und Leben war auch ein Lieblingsthema der Reden Buddhas. Ihn hat aber auch der tiefste unter den voreleatischen Griechen, Anaximandros, gelehrt (bei Simplicius in Aristot. Physika 24, 18): »ἐξ ὧν ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, ϰαὶ τὴν φϑορὰν εἰς ταὔτὰ γίνεσϑαι ϰατὰ χρεών. διδόναι γὰρ αὐτὰ τίσιν ϰαὶ δίϰην τῆς ἀδιϰίας ϰατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν.«

(S. 325, Z. 21 v. u.) Giordano Bruno, Gli eroici furori, Dialogo secundo 13 (Opere di G. B. Nolano ed. Adolfo Wagner, Vol. II, Leipzig 1830, p. 332): »Tutti gli amori, se sono eroici, e non son puri animali, che chiamano naturali e cattivi a la generazione come instrumenti de la natura, in certo modo hanno per oggetto la divinità, tendono a la divina bellezza, la quale prima si comunica a l'anime e risplende in quelle, e da quelle poi, o per dir meglio, per quelle poi si comunica a li corpi.«

(S. 325, Z. 18 v. u.) Ed. v.  Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins, 1879, S. 699, spricht es nur der allgemeinen Meinung nach: »... es ist an der Zeit, den heranwachsenden Mädchen klarzumachen, daß ihr Beruf, wie er durch ihr Geschlecht vorgezeichnet ist, nur in der Stellung als Gattin und Mutter sich erfüllen läßt, daß er in nichts anderem besteht, als in dem Gebären und Erziehen von Kindern, daß die tüchtigste und am höchsten zu ehrende Frau diejenige ist, welche der Menschheit die größte Zahl besterzogener Kinder geschenkt hat, und daß alle sogenannte Berufsbildung der Mädchen nur einen traurigen Notbehelf für diejenigen bildet, welche das Unglück gehabt haben, ihren wahren Beruf zu verfehlen.«

(S. 326, Z. 3.) Besonders im Judentum werden zum Teil noch heute unfruchtbare Frauen als zwecklos betrachtet (vgl. Kapitel XIII, S. 407). Aber auch nach deutschem Recht »durfte der Mann wegen Unfruchtbarkeit seiner Frau ... geschieden zu werden verlangen«. Jakob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer, 4. Ausgabe, Leipzig 1899, S. 626.

(S. 326, Z. 16 v. u.) Das französische Zitat stammt aus dem Zyklus »Sagesse« (Paul Verlaine, Choix de Poésies, Edition augmentée d'une Préface de François Coppée, Paris 1902, p. 179).

(S. 329, Z. 16 v. u.) Vgl. Liebeslieder moderner Frauen, eine Sammlung von Paul Grabein, Berlin 1902.

(S. 330, Z. 18 v. u.) Poros und Penia als Eltern des Eros: nach der so tiefen Fabel des platonischen Gastmahls (p. 203, B–D). Vgl. S. 331 und 387.

(S. 331, Z. 7 v. u. ff.) Zu der Wirkung des männlichen Geschlechtsteiles auf das weibliche Geschlecht vgl. eine Erzählung Freuds ( Breuer und Freud, Studien über Hysterie, Leipzig und Wien 1895, S. 113); vor allem aber die großartige Szene in Zolas Roman »Germinal« (Quinzième Partie, Fin, p. 416), wo die Frauen das Zeugungsglied des gemordeten und nach dem Tode kastrierten Maigrat erblicken.

(S. 332, Z. 9.) Erst lange, nachdem ich diese Stelle niedergeschrieben hatte, wurde ich darauf aufmerksam, daß fascinum, von dem fascinare sich herleitet, im Lateinischen (z. B. Horaz, Epod. 8, 18); nichts anderes als das männliche Glied bedeutet.

(S. 333, Z. 15 f.) Plato, Symposion, 202, D–E: »Tί oὖv ἂv εἴη ὁ Ἔρως; ... Mεταξὺ ϑvητoῦ ϰαὶ ἀϑαvάτoυ, … δαίμωv μέγας, ὦ Σώϰρατες· ϰαὶ γὰρ πᾶ ν τὸ δαιμόvιov μεταξύ ἐστι ϑεoῦ ϰαὶ ϑvητoῦ. 203 E: oὔτε ἄπoρεῖ Ἔρως πoτὲ oὔτε πλoυτεῖ. σoφίας τε αὖ ϰαὶ ἀμαϑίας ἐ ν μέσ ῳ ἐστιv.«

(S. 333, Z. 20 v. u. f.) Der neueste Darsteller der platonischen Gedankenwelt ist in philosophischen Dingen Anhänger Mills: Theodor Gomperz, Griechische Denker, eine Geschichte der antiken Philosophie, Bd. II, Leipzig 1902, S. 201 ff. In manchen Regionen scheint dieser vielfach hochverdiente Autor selbst gefühlt zu haben, wie ferne er einem Verständnis der inneren Denkmotive des Philosophen ist. Interessanter sind jene Stellen des Buches, wo der Verfasser Plato zu begreifen meint und beloben zu müssen glaubt. Vor dem Geiste der Modernität, welcher die höchsten Synthesen, deren er fähig war, im Lawn-tennis-Spiele vollzogen hat, vermögen nur zwei Stellen des »Staates« vollste Gnade zu finden. (» Wir dürfen es Plato hoch anrechnen, daß er die ›hinkende‹ Einseitigkeit des bloßen Sport- und Jagdliebhabers nicht stärker mißbilligt als jene, die sich nur um die Pflege des Geistes und gar nicht um jene des Körpers kümmert ... Nicht minder bezeichnend ist es, daß er auch bei der Auswahl der Herrscher neben den Charaktereigenschaften nach Möglichkeit die Wohlgestalt berücksichtigt wissen will ... Hier ist der asketische Verfasser des Phaedon wieder ganz und gar Hellene geworden.« S. 583.) Dem Dialog über den Staatsmann wird wie als höchste Anerkennung diese, daß »ein Hauch von baconischem, modern induktivem Geiste ihn gestreift« habe (S. 465). Gleichsam als das Ruhmwürdigste im »Phaedon« erscheint die Antizipation der Assoziationsgesetze (S. 356), und allen Ernstes wird als eine »wunderbare Äußerung Platons« eine Stelle des Sophisten (247, D E) gepriesen, die als eine Vorwegnahme der »modernen Energetik« vielleicht aus purem Wohlwollen gegen den Denker mißverstanden wird, der mit John Stuart Mill so gar keine Ähnlichkeit hatte (S. 455). Wie es unter solchen Umständen dem Timaeus ergeht, das kann man sich leicht ausmalen. Man sollte übrigens – und diese Bemerkung richtet sich nicht bloß gegen eine unzulängliche Darstellung Platos – es durchaus unterlassen, einen Philosophen oder Künstler deswegen zu loben, weil die Nur-Wissenschaftler nach tausend Jahren einen Gedanken von ihm zu begreifen anfangen. Goethe, Plato und Kant sind zu größeren Dingen auf der Erde erschienen, als empirische Wissenschaft aus ihrer Erfahrung allein je einsehen oder begründen könnte.

(S. 333, Z. 7 v. u.) O.  Friedländer bemerkt in seinem Aufsatz »Eine für viele« (vgl. zu S. 110, Z. 13) S. 180 f. sehr scharf, aber wahr: »Nichts kann den Frauen ferner gelegen sein als der Kampf gegen die voreheliche Unkeuschheit des Mannes. Was sie im Gegenteil von dem letzteren verlangen, ist die subtilste Kenntnis aller Details des Geschlechtslebens und der Entschluß, diese theoretische Superiorität auch praktisch zur Geltung zu bringen ... Die Jungfrau vertraut ihre unberührten Reize meist lieber den bewährten Händen des ausgekneipten Wüstlings an, der lange das Reifeexamen der ars amandi abgelegt hat, als den zitternden Fingern des erotischen Analphabeten, der das Abc der Liebe kaum zu stammeln vermag.«

Zu Teil II, Kapitel 12

(S. 335, Z. 6.) Das Motto aus Kant habe ich irgendwo zitiert gefunden, kann mich aber nicht entsinnen, wo, noch war es mir möglich, in Kantens Schriften selbst es zu entdecken. In den »Fragmenten aus dem Nachlaß« (Bd. VIII, S. 330, ed. Kirchmann) heißt es: »Wenn man bedenkt, daß Mann und Frau ein moralisches Ganzes ausmachen, so muß man ihnen nicht einerlei Eigenschaften beilegen, sondern der einen solche Eigenschaften, die dem anderen fehlen« – übrigens eine Ansicht, durch die leicht die Wahrheit umgekehrt erscheinen könnte: der Mann hat alle Eigenschaften der Frau in sich, zumindest als Möglichkeiten; dagegen ist die Frau ärmer als der Mann, weil nur ein Teil desselben. (Vgl. den Schluß dieses Kapitels.)

(S. 336, Z. 16.) Paul Julius Moebius, Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes, 5. Aufl., Halle 1903. Über einige Unterschiede der Geschlechter, in: Stachyologie, Weitere vermischte Aufsätze, Leipzig 1901, S. 125-138.

(S. 343, Z. 16.) Man übertreibt oft die Stärke des Verlangens nach dem Kinde bei der Frau. Ed. v.  Hartmann (Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins, 1879, S. 693) bemerkt zum Teil mit Recht: »Der Instinkt nach dem Besitz von Kindern ist bei jungen Frauen und Mädchen keineswegs so allgemein und entschieden ausgeprägt, als man gemeinhin annimmt, und als die Mädchen selbst dies erheucheln, um dadurch die Männer anzuziehen; erst in reiferen Jahren pflegen kinderlose Frauen ihren Zustand als schmerzliche Entbehrung im Vergleich zu ihren kinderbesitzenden Altersgenossinnen zu fühlen ... Meist geschieht es mehr, um den Mann zufriedenzustellen, als um ihrer selbst willen, wenn junge Frauen sich Kinder wünschen; der Mutterinstinkt erwacht erst, wenn der hilfefordernde junge Weltbürger wirklich da ist.« Man sieht übrigens, wie notwendig sowohl in dieser Frage als den ewig wiederholten Behauptungen der Gynäkologen gegenüber (für welche das Weib theoretisch immer nur eine Brutanstalt ist) die im 10. Kapitel durchgeführte Zweiteilung ist.

(S. 346, Z. 8.)

»Das Weib ist's, das ein Herz sucht, nicht Genuß.
Das Weib ist keusch in seinem tiefsten Wesen,
Und was die Scham ist, weiß doch nur ein Weib.«

Hamerling, Ahasver in Rom, II. Gesang: Werke, Volksausgabe Hamburg, Bd. I, p. 58.

(S. 348, Z. 12.) Herbert Spencer, Die Prinzipien der Ethik, Bd. I, Stuttgart 1894, S. 341 f.

(S. 348, Z. 13 v. u.) Ellis, Mann und Weib, S. 288, äußert die interessante Vermutung, daß auch die Erscheinung der Mimikry mit der Suggestibilität in einem Zusammenhange stehe. Mit der Darstellung im Texte würde das vielleicht sich besser reimen als irgend eine andere Deutung jenes Phänomens.

(S. 349, Z. 1 v. u.) Wolfram von Eschenbach, Parzival, übersetzt von Karl Pannier (Leipzig, Universalbibliothek), Buch IV, Vers 698 ff.

(S. 350, Z. 15 v. u.) Sehr vereinzelt ist unter den Psychiatern eine Stimme, wie die Konrad Riegers, Professors in Würzburg: »Was ich erstrebe, ist die Autonomie der Psychiatrie und Psychologie. Sie sollen beide frei sein von einer Anatomie, die sie nichts angeht; von einer Chemie, die sie nichts angeht. Eine psychologische Erscheinung ist etwas ebenso Originales wie eine chemische und anatomische. Sie hat keine Stützen nötig, an die sie angelehnt werden müßte.« (Die Kastration in rechtlicher, sozialer und vitaler Hinsicht, Jena 1900, S. 31.)

(S. 351, Z. 4.) Pierre Janet, L'Etat mental des Hystériques, Paris 1894; L'Automatisme psychologique, Essai de Psychologie expérimentale sur les formes inférieures de l'activité humaine, 3. éd., Paris 1898; F.  Raymond et Pierre Janet, Névroses et Idées fixes, Paris 1898. – Oskar Vogt: in den zu Seite 363, Zeile 12 zitierten Aufsätzen. – Jos.  Breuer und Sigm. Freud, Studien über Hysterie, Leipzig und Wien 1895.

(S. 351, Z. 13.) Sigmund Freud, Zur Ätiologie der Hysterie, Wiener klinische Rundschau, X, S. 379 ff. (1896, Nr. 22-26). Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen, ibid. XII, 1898, Nr. 2-7.

(S. 351, Z. 9 v. u.) »Fremdkörper« nach Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 4.

(S. 351, Z. 3 v. u.) Hier gedenkt man vielleicht der vollendetsten Frauengestalt Zolas, der Françoise aus seinem gewaltigsten Romane »La Terre«, und ihres Verhaltens gegen den von ihr bis zum Schlüsse ganz unbewußt begehrten und stets zurückgewiesenen Buteau.

(S. 352, Z. 6.) Unter den hysterischen Männern sind wohl viele sexuelle Zwischenformen. Eine Bemerkung Charcots weist darauf hin (Neue Vorlesungen über die Krankheiten des Nervensystems, insbesondere über Hysterie, übersetzt von Sigmund Freud, Leipzig und Wien 1886, S. 70): »Beim Manne sieht man nicht selten einen Hoden, besonders wenn er Sitz einer Lage- oder Entwicklungsanomalie ist, in eine hysterogene Zone einbezogen.« Vgl. S. 74 über einen hysterischen Knaben von weibischer Erscheinung. Eine Stelle, die ich in demselben Buche gelesen zu haben mich bestimmt entsinne, aber später nicht mehr aufzufinden vermochte, gibt an, daß der Hode besonders dann eine hysterogene Zone darstelle, wenn er im Leistenkanal zurückgeblieben sei. Beim Weibe aber sind die hysterogenen Punkte auch lauter sexuell besonders stark hervorgehobene (der Ilial-, Mammar-, Inguinalpunkt, die »Ovarie«, vgl. Ziehens Artikel »Hysterie« in Eulenburgs Realenzyklopädie). Der Hode, welcher den Deszensus nicht vollzogen hat, ist eine Keimdrüse von stark weiblicher Sexualcharakteristik (nach Teil I, Kap. 2); er steht einem Ovarium nahe und kann auch dessen Eigenschaften übernehmen, also hysterogen werden. – Ich habe einmal in einer Vorlesung einen Psychiater die Unrichtigkeit der Lehre von der Weiblichkeit der Hysterie an einem Knaben demonstrieren sehen, dessen Testikel ihrer besonderen Kleinheit wegen (»von Erbsengröße«) ihm selbst aufgefallen waren.

Nach Briquet (zitiert bei Charcot, a. a. O. S. 78) kommen 20 hysterische Frauen auf einen hysterischen Mann.

Im übrigen hat auch der männlichste Mann, vielleicht gerade er am stärksten, die Möglichkeit des Weibes in sich. Hebbel, Ibsen, Zola – die drei größten Kenner des Weibes im 19. Jahrhundert – sind extrem männliche Künstler, der letztere so sehr, daß seine Romane trotz ihrem oft so sexuellen Gehalte bei den Frauen auffallend wenig in Gunst stehen ... Je mehr Mann einer ist, desto mehr vom Weibe hat er in sich überwunden, und es ist vielleicht der männlichste Mann insofern zugleich der weiblichste. Hiemit ist die Seite 103 aufgeworfene Frage wohl am richtigsten beantwortet.

(S. 353, Z. 17 v. u.) Pierre Janet kommt meiner Auffassung von der passiven Übernahme der Anschauungsweise des Mannes einmal ziemlich nahe. Névroses et Idées fixes, I, 475 f.: »... On a vu que le travail du directeur pendant les séances ... a été un travail de synthèse; il a organisé des résolutions, des croyances, des émotions, il a aidé le sujet à rattacher à sa personnalité des images et des sensations. Bien plus il a échafaudé tout ce système de pensées autour d'un centre spécial qui est le souvenir et l'image de sa personne. Le sujet a emporté dans son esprit et dans son cerveau une synthèse nouvelle, passablement artificielle et très fragile, sur laquelle l'émotion a facilement exercé sa puissance désorganisatrice,« p. 477: les phénomènes »consistent toujours dans une affirmation et une volonté c'est-à-dire une direction imposée aux gens qui ne peuvent pas vouloir, qui ne peuvent pas s'adapter, qui vivent d'une manière insuffisante«.

(S. 352, Z. 7 v. u.) Abulie: Vgl. die Beschreibung Janets (Un cas d'aboulie et d'idées fixes, Névroses et Idées fixes, Vol. I, p. 1 ff.).

(S. 353, Z. 11.) Von der außerordentlichen Leichtgläubigkeit der Hysterikerinnen spricht Pierre Janet, L'Automatisme Psychologique, Essai de psychologie expérimentale sur les formes inférieures de l'activité humaine, 3. éd., Paris 1899, p. 207 f. Ferner pag. 210: »Ces personnes, en apparence spontanées et entreprenantes, sont de la plus étrange docilité quand on sait de quelle manière il faut les diriger. De même que l'on peut changer un rêve par quelques mots adressés au dormeur, de même on peut modifier les actes et toutes la conduite d'un individu faible par un mot, une allusion, un signe léger auquel il obéit aveuglément tandis qu'il résisterait avec fureur si on avait l'air de lui commander.« Briquet, Traité clinique et thérapeutique de l'hystérie, Paris 1859, p. 98: »Toutes les hystériques que j'ai observées étaient extrêmement impressionables. Toutes, dès leur enfance, étaient très craintives; elles avaient une peur extrême d'être grondées, et quand il leur arriva de l'être, elles étouffaient, sanglotaient, fuyaient au loin ou se trouvaient mal.« (Vgl. im Texte weiter unten über die hysterische Konstitution.) Wie hiegegen der Eigensinn der Hysterischen alles eher denn einen Einwand bildet, das geht hervor aus der glänzenden Bemerkung von Lipps (Suggestion und Hypnose, S. 483, Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und der historischen Klasse der Akademie der Wissenschaften zu München, 1897, Bd. II): »...  blinder Eigensinn ist im Prinzip dasselbe wie blinder Gehorsam ..., es kann nicht verwundern, wenn ... beim suggestibeln ... beides angetroffen wird. Der größte Grad der Suggestibilität ... bedingt die Willensautomatie. Hier wirkt ausschließlich oder übermächtig der im Befehl eingeschlossene Willensantrieb. Ein geringerer Grad der Suggestibilität dagegen kann neben der Willensautomatie das blinde Zuwiderhandeln gegen den Befehl erzeugen.«

(S. 353, Z. 20-16 v. u.) Auch Freuds »Deckerinnerungen« (Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, VI, 1899) gehören hieher. Es sind das die Reaktionen des Schein-Ich auf diejenigen Ereignisse, auf welche es anders antwortet als die eigentliche Natur.

(S. 353, Z. 10 v. u. f.) Z. B. Th. Gomperz, Griechische Denker, Leipzig 1902, II, 353: »Erst unsere Zeit hat ... der vermeintlichen Einfachheit der Seele Tatsachen des ›doppelten Bewußtseins‹ und verwandte Vorgänge gegenübergestellt.«

(S. 353, Z. 1 v. u.) Vgl. auch S. 269, Z. 13 ff., und die Anmerkung hiezu.

(S. 354, Z. 17.) »Anorexie«, Mangel an Streben, hat man das zeitweilige Fehlen aller Emotivität, den völligen Indifferentismus der Hysterischen genannt; dieser resultiert aus der Unterdrückung der weiblichen Triebe, indem eben die einzige Wertung hier aus dem Bewußtsein verdrängt ist, deren die Frauen fähig sind und die sonst ihr Handeln bestimmt.

(S. 354, Z. 19 v. u.) über den »Shock nerveux« vgl. Oeuvres complètes de J. M.  Charcot, Leçons sur les maladies du système nerveux, Tome III, Paris 1887, p. 453 ff.

(S. 354, Z. 14 v. u.) »Gegenwille«: Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 2.

(S. 354, Z. 11 v. u.) Über die »Abwehr«: Freud, Neurologisches Zentralblatt, 15. Mai 1894, S. 364.

(S. 354, Z. 1 v. u.) Das »schlimme Ich«: Ausdruck einer Patientin Breuers (Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 36).

(S.355, Z. 10.) Der Ausdruck » Konversion«, »konvertieren« ist eingeführt worden von Freud, Die Abwehr-Neuropsychosen, Versuch einer psychologischen Theorie der akquirierten Hysterie, vieler Phobien und Zwangsvorstellungen und gewisser halluzinatorischer Psychosen, Neurologisches Zentralblatt, Bd. XIII, 1. Juni 1894, S. 402 ff. Vgl. auch Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 73, 105, 127, 177 ff., 190, 261. Er bedeutet: Umsetzung gewaltsam unterdrückter psychischer Erregung in körperliche Dauersymptome.

(S. 355, Z. 14.) Vgl. P. J.  Moebius, Über den Begriff der Hysterie, Zentralblatt für Nervenheilkunde, Psychiatrie und gerichtliche Psychopathologie, XI, 66-71 (1.  II. 1888).

(S. 356, Z. 12.) Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 6.

(S. 357, Z. 10 v. u.) Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 10, 203.

(S. 357, Z. 6.) Zur hysterischen Heteronomie vergleiche man z. B. Pierre Janet, Névroses et Idées fixes, I, 458: »D ..., atteinte de folie de scrupule, me demande si réellement elle est très méchante, si tout ce qu'elle fait est mal; je lui certifie qu'il n'en est rien et elle s'en va contente.«

(S. 357, Z. 19 v. u.) O. Binswanger, Artikel »Hypnotismus« in Eulenburgs Realenzyklopädie der gesamten Heilkunde, 3. Aufl., Bd. XI, S. 242: »Hysterische Individuen geben die reichste Ausbeute an hypnotischen Erscheinungen.«

(S. 358, Z. 2 ff.) Daß das Verhältnis zwischen Hypnotiseur und Medium ein sehr sexuelles ist, wird durch die merkwürdigen, besonders von Albert Moll (Der Rapport in der Hypnose, Untersuchungen über den tierischen Magnetismus, Schriften für psychologische Forschung, Heft III-IV, Leipzig 1892) studierten Tatsachen des »Isolier-Rapportes« bewiesen. Literatur bei Janet, Névroses et idées fixes, Vol. I, Paris 1898, p. 424, vgl. auch p. 425: »Si le sujet n'a été endormi qu'un très petit nombre de fois à des intervalles éloignés ... il se réveillera de l'hypnose dans un état presque normal et ne conservera de son hypnotiseur aucune préoccupation particulière ... Au contraire, si, pour un motif quelconque ... les séances de somnambulisme sont rapprochées, il est facile de remarquer que l'attitude du sujet vis-à-vis de l'hypnotiseur ne tarde pas à se modifier. Deux faits sont surtout apparents: le sujet, qui d'abord avait quelque crainte ou quelque répugnance pour le somnambulisme, recherche maintenant les séances avec un désir passioné; en outre, surtout à un certain moment, il parle beaucoup de son hypnotiseur et s'en préoccupe d'une façon évidemment excessive.« Also wirkt die Hypnose ganz wie der Koitus auf das Weib, es findet um so mehr Geschmack daran, je öfter sie wiederholt wird. Vgl. p. 427 f. über die »passion somnambulique«: »Les malades ... se souviennent du bien-être que leur a causé le somnambulisme précédent et ils n'ont plus qu'une seule pensée, c'est d'être endormis de nouveau. Quelques malades voudraient être hypnotisés par n'importe qui, mais le plus souvent il n'en est pas ainsi, c'est leur hypnotiseur, celui qui les a déjà endormis fréquemment, qu'ils réclament avec une impatience croissante.« p. 447 über die Eifersucht der Medien: »... beaucoup de magnétiseurs ont bien décrit la souffrance qu'éprouve une somnambule quand elle apprend que son directeur endort de la même manière une autre personne.« Ferner p. 451: »Si Qe., même seule, laisse sa main griffonner sur le papier, elle voit avec étonnement qu'elle a sans cesse écrit mon nom ou quelque recommandation que je lui ai faite.« »Si je la laisse regarder [une boule de verre] en évitant de lui rien suggérer, elle ne tarde pas à voir ma figure dans cette boule.« Janet selbst bespricht die Frage, ob die hypnotischen Phänomene sexuelle seien, S. 456 f., verneint sie aber aus ganz unstichhaltigen Gründen, z. B. weil die Hypnotisierte oft vor dem Magnetiseur Angst habe, oder ihm mütterliche Gefühle entgegenbringe; aber es ist klar, daß die Angst der Frauen vor dem Manne nur die Verschleierung eines erwartungsvollen Begehrens und das mütterliche Verhältnis eben auch ein geschlechtliches ist. Moll selbst sagt S. 131: »Eine gewisse Verwandtschaft der geschlechtlichen Liebe mit dem suggestiven Rapport kann übrigens für einzelne Fälle nicht geleugnet werden.« Freud bei Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 44: »So macht sich jedesmal schon während der Massage mein Einfluß geltend, sie wird ruhiger und klarer und findet auch ohne hypnotisches Befragen die Gründe ihrer jedesmaligen Verstimmung usf.« So wie die sexuellen Bande, welche eine Frau an einen Mann knüpfen, gelockert werden durch jede Schwäche, jede Lüge des letzteren, so vermag auch der Einfluß einer Suggestion gebrochen zu werden, sobald der Wille des Suggestors sich als gegensätzlich zu dem herausgestellt hat, was speziell von ihm erwartet wurde. Einen solchen Fall teilt Freud mit ( Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 64 f.): »Die Mutter ... gelangte auf einem Gedankenwege, dem ich nicht nachgespürt habe, zum Schluß, daß wir beide, Dr. N ... und ich, Schuld an der Erkrankung des Kindes trügen, weil wir ihr das schwere Leiden der Kleinen als leicht dargestellt, hob gewissermaßen durch einen Willensakt die Wirkung meiner Behandlung auf und verfiel alsbald wieder in dieselben Zustände, von denen ich sie befreit hatte.« Das Verhältnis zwischen Medium und Hypnotiseur ist eben stets und unabänderlich, zumindest auf der Seite des ersteren, ein sexuelles oder einem sexuellen ganz analog.

(S. 358, Z. 9.) Breuer bei Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 6-7.

(S. 359, Z. 1.) Umwandlung des hysterischen Anfalles in Somnambulismus: Pierre Janet, Névroses et Idées fixes, Vol. I, Paris 1898, p. 160 f.

(S. 359, Z. 11-13.) Es ist wohl überaus gewagt und sagt mir, als zu grob, selbst wenig zu, auch die etwaigen Heilerfolge der Ovariotomie hysterischer Erkrankung gegenüber, von denen so häufig berichtet wird, im Sinne meiner Theorie zu interpretieren. Dennoch fügen sich die zahlreichen bezüglichen Angaben, wenn auf sie nur Verlaß ist, leicht in die Gesamtanschauung. Die Geschlechtlichkeit nämlich, welche der Imprägnation mit dem gegengeschlechtlichen Willen entgegensteht, wird durch jene Operation radikal aufgehoben oder ungemein vermindert (vgl. Teil I, Kap. 2), und so entfällt der Anlaß zum Konflikte.

(S. 360, Z. 2 ff.) F. Raymond et Pierre Janet, Névroses et Idées fixes. Vol. II, Paris 1898, p. 313: »La malade entre à l'hôpital ... nouvelle émotion en voyant une femme qui tombe par terre: cette émotion bouleverse l'equilibre nerveux, lui rend tout à coup la parole et transforme l'hémiplégie gauche en paraplégie complète. Ces transformations, ces équivalences sont bien connues dans l'hystérie; ce n'est pas une raison pour que nous ne déclarions pas qu'elles sont à notre avis très étonnantes et probablement très instructives sur le mécanisme du système nerveux central.«

(S. 360, Z. 2 v. u.) Hiemit stimmen alle Angaben über den Charakter der Hysterischen gut überein. Z. B. bemerkt Sollier, Genèse et Nature de l'Hystérie, Paris 1897, Vol. I, p. 460: »Elles [les hystériques] sentent instinctivement qu'elles ont besoin d'être dirigées, commandées, et c'est pour cette raison qu'elles s'attachent de préférence à ceux qui leur imposent, chez qui elles sentent une volonté très-forte.« Er zitiert die Äußerung einer seiner Patientinnen: »Il faut que je sois en sous-ordre; ... je sais bien faire ce qu'on me commande, mais je ne serais pas capable de faire les choses toute seule, et encore moins de commander à d'autres.«

(S. 361, Z. 11.) Man könnte vielleicht glauben, daß die Mutter das hysterische Weib sei: dies war eine Zeitlang meine Anschauung, da ich die Mutter für weniger sinnlich hielt und die Hysterie aus einem Konflikt zwischen dem bloß nach dem Kinde gehenden Wunsche des Einzelwesens und dem Widerstreben gegen das, diesen Zweck zu erreichen, erforderliche Mittel, also aus einem im Unbewußten erfolgenden Zusammenstoß von Individual- und Gattungswillen in einem einzigen Individuum mir zu erklären suchte. Nach Briquet sind aber Prostituierte sehr häufig hysterisch. Es besteht hierin kein Unterschied zwischen Mutter und Dirne. Denn ebenso können Hysterikerinnen auch Mütter sein: die Léonie, an der Pierre Janet so viele Erfahrungen gesammelt hat, betrachtete ihn, der ihr Magnetiseur war, als ihren Sohn (Névroses et Idées fixes, Vol. I, p. 447). Ich habe seither reichlich Gelegenheit gefunden, selbst wahrzunehmen, daß Mütter und Prostituierte unterschiedslos hysterisch sind.

(S. 363, Z. 12.) Paul Sollier, Genèse et Nature de l'Hystérie, Recherches cliniques et expérimentales de Psycho-Physiologie, Paris 1897, Vol. I, p. 211: »... L'anesthésie est bien plus fréquente chez les hystériques que l'hyperesthésie, et par suite la frigidité est l'état le plus habituel ... Il est aussi une conséquence de l'anesthésie des organes sexuels chez l'hystérique qu'il est bon de signaler et que j'ai été à même de constater: c'est l'absence de sensation des mouvements du foetus pendant la grossesse. Quoique ceux-ci soient faciles à démontrer par la palpation, ce phénomène peut cependant donner dans certains cas des craintes non justifiées sur la santé du foetus; ou pousser certaines femmes à réclamer une intervention en niant énergiquement qu'elles sont enceintes.« Zum zehnten Kapitel (S. 284) würde das wohl stimmen: die Verleugnung der Sexualität muß auch eine Verleugnung des Kindes mit sich führen. Vgl. ferner bei Sollier noch Vol. I, pag. 458: »Chez celles-ci [les grandes hystériques] il y a de l'anesthésie génitale comme de tous les organes, et elles sont ordinairement complètement frigides ... Certaines hystériques prennent l'horreur des rapports conjugaux qui leur sont ou absolument indifférents quand elles sont anesthésiques, ou désagréables quand elles ne le sont pas tout-à-fait.«

(S. 363, Z. 15.) Oskar Vogt, Normalpsychologische Einleitung in die Psychopathologie der Hysterie, Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. VIII, 1899, S. 215: »Ich gebe A. einerseits die Suggestion, daß bei jeder Berührung des rechten Armes in ihm die Vorstellung einer roten Farbe auftauchen solle, und anderseits mache ich den rechten Arm anästhetisch. Berühre ich jetzt den Arm, so empfindet A. nicht die Berührung trotz darauf eingestellter Aufmerksamkeit, aber bei jeder meiner nicht von A. empfundenen Berührungen tritt doch die Vorstellung der roten Farbe in A. auf.«

(S. 365, Z. 9 v. u.) Guy de Maupassant, Bel-Ami, Paris, S. 389 f.

(S. 365, Z. 9-5 v. u.) Von einem solchen sehr lehrreichen Fall von Imprägnation durch gänzlich von außen gekommene Vorstellungen erzählt Freud bei Breuer und Freud, Studien über Hysterie, 1895, S. 242 f. Eine Dame phantasiert da in den Symbolen der Theosophen, in deren Gesellschaft sie eingetreten ist. Auf Freuds Frage, seit wann sie sich Vorwürfe mache und mit sich unzufrieden sei, antwortet sie, seitdem sie Mitglied des Vereines geworden sei und die von ihm herausgegebenen Schriften lese. Suggestibel sind Frauen wie Kinder eben auch durch Bücher.

(S. 366, Z. 1.) Der Ausdruck »Schutzheilige etc.« stammt von Breuer ( Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 204). Einiges Interessante in einem freilich tendenziös antireligiösen Schriftchen des Dr.  Rouby, L'Hystérie de Sainte Thérèse (Bibliothèque diabolique), Paris, Alcan, 1902, p. 11 f., 16 f., 20 f., 39 f. Gilles de la Tourette, Traité clinique et thérapeutique de l'Hystérie d'après l'enseignement de la Salpétrière, Paris 1891, Vol. I, p. 223, bemerkt: »Il n'est pas douteux que sainte Thérèse ... fût atteinte de cardialgie hystérique, ou mieux d'angine de poitrine de même nature, complexus qui s'accompagne souvent de troubles hyperesthésiques de la région précordiale.« Hahn, Les phénomènes hystériques et les révélations de Sainte-Thérèse, Revue des Questions Scientifiques, Vol. XIV et XV, Bruxelles 1882. Charles Binet-Sanglé, Physio-Psychologie des Religieuses, Archives d'Anthropologie criminelle, XVII, 1902, p. 453-477, 517-545, 607-623.

(S. 366, Z. 15 f.) Oskar Vogt, Die direkte psychologische Experimentalmethode in hypnotischen Bewußtseinszuständen, Zeitschrift für Hypnotismus, V, 1897, S. 7-30, 180-218. (Vgl. besonders S. 195 ff.: »Die Erfahrung lehrt, daß die Exaktheit der Selbstbeobachtung noch durch Suggestionen gesteigert werden kann.« S. 199: »Die Selbstbeobachtung kann gehoben weiden: einmal durch spezialisierte Intensitätsverstärkungen oder Hemmungen und dann durch Einengung des Wachseins und damit der Aufmerksamkeit auf die am Experiment beteiligten Bewußtseinselemente.« S. 218: »Es kann sich im einzelnen Menschen hohe Suggestibilität mit der Fähigkeit einer kritischen Selbstbeobachtung verbinden [nämlich im Zustande des vom Hypnotiseur erzeugten ›partiellen systematischen Wachseins‹].«) Zur Methodik der ätiologischen Erforschung der Hysterie, ibid. VIII, 1899, S. 65 ff., besonders S. 70. Zur Kritik der hypnogenetischen Erforschung der Hysterie, ibid. 342-355. Freud als Vorgänger: Breuer und Freud, Studien über Hysterie, S. 133 ff.

(S. 372, Z. 13 v. u. f.) Vgl. A. P. Sinnett, Die esoterische Lehre oder Geheimbuddhismus, 2. Aufl., Leipzig 1899, S. 153-172.

(S. 374, Z. 10.) Die Bemerkung über Schopenhauer bedarf einer Erläuterung. Die Verwechslung von Trieb und Wille ist vielleicht der folgenschwerste Fehler des Schopenhauerschen Systems. So viel sie zur Popularisierung seiner Philosophie beigetragen hat, um ebensoviel hat sie die Tatsachen unzulässig vereinfacht. Aus ihr erklärt sich, wie Schopenhauer, für den das intelligible Wesen des Menschen mit Recht Wille ist, dasselbe überall in der belebten Natur und schließlich auch in der unbelebten als Bewegung wiederfinden kann. Dadurch aber kommt notwendig Konfusion in Schopenhauers System. Er ist im tiefsten Grunde dualistisch veranlagt, und hat eine monistische Metaphysik; er weiß, daß gerade das intelligible Wesen des Menschen Wille ist und muß doch durch eine unglückliche Psychologie, welche Willen und Intellekt in einer sehr verfehlten Weise sondert, und nur den letzteren allein dem Menschen zuteilt, diesen von Tier und Pflanze unterscheiden; er ist, was man auch sagen mag, zuletzt Optimist, als Bejaher einer anderen Seinsform, über die er nur aller positiven Bestimmungen sich enthält, also eines anderen Lebens: und, so paradox dies dem heutigen Ohr klinge, nur sein Monismus gibt dem System die pessimistische Wertung: indem er den gleichen Willen hier wie dort sieht, ewiges und irdisches Leben nicht scheidet, und die einzige Unsterblichkeit danach nur die des Gattungswillens sein kann. So offenbart sich die Identifikation des höheren mit dem niederen Willensbegriff – welchen letzteren man stets als Trieb bezeichnen sollte – als das Verhängnis seiner ganzen Philosophie. Hätte er die Kantische Moralphilosophie verstanden, so hätte er auch eingesehen, was der Unterschied zwischen Wille und Trieb ist: der Wille ist stets frei, und nur der Trieb unfrei. Es gibt gar keine Frage nach der Freiheit, sondern nur eine nach der Existenz des Willens. Alle Phänomene sind kausal bedingt; einen Willen kann darum die empirische Psychologie, die nur psychische Phänomene anerkennt, nicht brauchen und nicht zulassen. Denn aller Wille ist seinem Begriffe nach frei und von absoluter Spontaneität. Kant sagt (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 77, Kirchmann): »Die Idee der Freiheit müssen wir voraussetzen, wenn wir uns ein Wesen als vernünftig und mit Bewußtsein seiner Kausalität in Ansehung der Handlungen, das ist mit einem Willen begabt uns denken wollen, und so finden wir, daß wir aus ebendemselben Grunde jedem mit Vernunft und Willen begabten Wesen diese Eigenschaft, sich unter der Idee seiner Freiheit zum Flandeln zu bestimmen, beilegen müssen.« Unfreiheit des Willens gibt es, wie man sieht, auch für Kant gar nicht: der Wille kann gar nicht determiniert werden. Der Mensch, der will, wirklich will, will immer frei. Der Mensch hat aber freilich nicht nur einen Willen, sondern auch Triebe. Kant (ibid. S. 78): »Dieses [das moralische] Sollen ist eigentlich ein Wollen, das unter der Bedingung für jedes vernünftige Wesen gilt, wenn die Vernunft bei ihm ohne Hindernisse praktisch wäre; für Wesen, die, wie wir, noch durch Sinnlichkeit, als Triebfedern anderer Art, affiziert werden, bei denen es nicht immer geschieht, was die Vernunft für sich allein tun würde, heißt jene Notwendigkeit der Handlung nur ein Sollen, und die subjektive Notwendigkeit wird von der objektiven unterschieden.«

Aller Wille ist Wille zum Wert, und aller Trieb Trieb nach der Lust; es gibt keinen Willen zur Lust und auch keinen Willen zur Macht, sondern nur Gier und zähen Hunger nach der Herrschaft. Platon hat dies im »Gorgias« wohl erkannt, er ist aber nicht verstanden worden. 466 DE: φημὶ γὰρ, ὦ Πῶλε' ἐγὼ τοὺς ρἡτορας ϰαὶ τοὺς τυράνvους δύvασϑαι μὲv ἐv ταῖς πόλεσι σμιϰρότατοv, ὥσπερ vῦv δὴ ἔλε γοv· οὐδὲv γὰρ ποιεῖv ὧv βούλοvται, ὡς ἔπος εἰπεῖv· π οιεῖv μέvτοι ὅτι ἂv αὐτοῖς δόξῃ βέλτιστοv εἶvαι. Und das »οὐδεὶς ἑϰὼv ἁμαρτάvει« des Sokrates – noch oft wird es wohl verlorengehen, immer wieder werden all die seichten und verständnislosen Einwände gegen diese gewisseste Erkenntnis sich vernehmen lassen und die noch traurigeren Versuche, Sokrates wegen dieses Ausspruches gewissermaßen zu entschuldigen (so z. B. Th.  Gomperz, Griechische Denker, Eine Geschichte der antiken Philosophie, Band II, Leipzig 1902, S. 51 ff.), unternommen werden. Um so öfter muß er denn wiederholt werden.

Die Idee eines ganz freien Wesens ist die Idee Gottes; die Idee eines aus Freiheit und Unfreiheit gemischten Wesens ist die Idee des Menschen. Soweit der Mensch frei ist, das heißt frei will, soweit ist er Gott. Und so ist die Kantische Ethik im tiefsten Grunde mystisch und sagt nichts anderes als Fechners Glaubenssatz:

»In Gott ruht meine Seele,
Gott wirkt sie in sich aus;
Sein Wollen ist mein Sollen.«

(Die drei Motive und Gründe des Glaubens, Leipzig 1863, S. 256.)

(S. 376, Z. 10.) Es ist eines der schönsten Worte Goethes (Maximen und Reflexionen, III): » Die Idee ist ewig und einzig; daß wir auch den Plural brauchen, ist nicht wohlgetan

(S. 376, Z. 9 v. u.) Ich finde nur in der kleinen, aber interessanten Schrift Karl Joels, Die Frauen in der Philosophie, Hamburg 1896 (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, Heft 246), S. 59, eine entfernt ähnlich lautende Bemerkung: »Das Weib ist intellektuell glücklicher, aber unphilosophischer nach dem alten Worte, daß die Philosophie aus dem Ringen und Zweifel der Seele geboren wird. Schopenhauers Mutter war eine Romanschriftstellerin und seine Schwester eine Blumenmalerin.«

(S. 378, Z. 13.) Vgl. Taguet, Du suicide dans l'hystérie, Annales Médico-Psychologiques, V. Série, Vol. 17, 1877, p. 346: »L'hystérique ment dans la mort comme eile ment dans toutes les circonstances de sa vie.«

(S. 379, Z. 8 v. u.) Lazar B. Hellenbach, Die Vorurteile der Menschheit, Bd. III: Die Vorurteile des gemeinen Verstandes, Wien 1880, S. 99.

(S. 383, Z. 7-12.) Wie innig Geschlechtlichkeit und Grenzaufhebung Hand in Hand gehen, darüber macht Bachofen, Das Mutterrecht, S. XXIII, eine Andeutung. »Der dionysische Kult ... hat alle Fesseln gelöst, alle Unterschiede aufgehoben, und dadurch, daß er den Geist der Völker vorzugsweise auf die Materie und die Verschönerung des leiblichen Daseins richtete, das Leben selbst wieder zu den Gesetzen des Stoffes zurückgeführt. Dieser Fortschritt der Versinnlichung des Daseins fällt überall mit der Auflösung der politischen Organisation und dem Verfall des staatlichen Lebens zusammen. An der Stelle reicher Gliederung macht sich das Gesetz der Demokratie, der ununterschiedenen Masse, und jene Freiheit und Gleichheit geltend, welche das natürliche Leben vor dem zivilgeordneten auszeichnet und das der leiblich-stofflichen Seite der menschlichen Natur angehört. Die Alten sind sich über diese Verbindung völlig klar, heben sie in den entscheidendsten Aussprüchen hervor ... Die dionysische Religion ist zu gleicher Zeit die Apotheose des aphroditischen Genusses und die der allgemeinen Brüderlichkeit, daher den dienenden Ständen besonders lieb und von Tyrannen, den Pisistratiden, Ptolemäern, Cäsar im Interesse ihrer auf die demokratische Entwicklung gegründeten Herrschaft [vgl. Kapitel X, S. 294] besonders begünstigt.« »Ausfluß einer wesentlich weiblichen Gesinnung«, so nennt Bachofen a. a. O. diese Erscheinungen; doch ist ihm keineswegs eine wirkliche Einsicht in die tieferen Gründe des Phänomens vergönnt gewesen; neben Aussprüchen wie diesem finden sich begeisterte Hymnen auf die keusche Natur des Weibes auch bei ihm.

(S. 384, Z. 6.) »Klein-Eyolf«, 3. Akt (Henrik Ibsens sämtliche Werke, herausgegeben von Brandes, Elias, Schienther. Berlin, Bd. IX, S. 72).

(S. 384, Z. 15.) Über die schwierige Frage des Verhältnisses des Âtman zum Brahman vgl. Paul Deussen, Das System des Vedânta etc., Leipzig 1883, S. 50 f.

(S. 386, Z. 6.) Milne-Edwards, Introduction à la Zoologie générale, I ére  partie, Paris 1851, p. 157. Ebenso Rudolf Leuckart, Artikel »Zeugung« in Wagners Handwörterbuch der Physiologie, Bd. IV, Braunschweig 1853, S. 742 f.: »... In physiologischer Beziehung erscheint diese Verteilung der weiblichen und männlichen Organe als eine Arbeitsteilung.«

Wenig Verständnis für das Verhältnis des Männlichen zum Weiblichen verraten Leuckarts abweisende Worte (a. a. O.): »Man hört nicht selten die Behauptung, daß männliche und weibliche Individuen einer Tierform nach Ausstattung und Tätigkeiten nicht bloß unter sich verschieden, sondern entgegengesetzt seien. Eine solche Auffassung müssen wir jedoch auf das entschiedenste zurückweisen. Die Lehre von dem Gegensatze der Geschlechter, die zunächst aus gewissen unklaren und mystischen Vorstellungen von der Begattung und Befruchtung hervorgegangen ist, stammt aus einer Zeit der naturhistorischen Forschung, in der man meinte, mit den Begriffen von Polarität, polarem Verhalten usw. das Leben in allen seinen Erscheinungen erklären zu können. Männliche und weibliche Produkte, Organe, Individuen sollten sich hienach verhalten wie + und -, als ob die Natur mit Geschlecht und Geschlechtsstoffen hantierte wie ein Physiker mit Elektrizität und Leydener Flaschen!

Eine unbefangene und vorurteilsfreie Naturbetrachtung zeigt uns zwischen männlichen und weiblichen Geschlechtsteilen keinen anderen Gegensatz als überhaupt zwischen Organen und Organgruppen, die sich in ihren Leistungen gegenseitig unterstützen und ergänzen. ... Die physiologischen Motive einer solchen Arbeitsteilung sind im allgemeinen nicht schwer zu bezeichnen. Es sind im Grunde dieselben, die eine jede Arbeitsteilung, auch auf dem Gebiete des praktischen Lebens, in unseren Augen rechtfertigen. Es sind die Vorteile, welche damit verbunden sind, vor allem Ersparnis an Kraft und Zeit für andere neue Leistungen. In dem Dualismus des Geschlechtes sehen wir nichts anderes als eine mechanische Veranstaltung, aus der gewisse Vorteile hervorgehen

Diese Auffassung des Geschlechtsunterschiedes ist die am weitesten verbreitete. Daneben kommen noch die Anschauungen von K. W.  Brooks (The law of Heredity, a study of the cause of Variation and the origin of living organisms, Baltimore 1883) und August Weismann (Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektionstheorie, Jena 1886) in Betracht, welche die geschlechtliche Fortpflanzung als das Mittel ansehen, »dessen sich die Natur bedient, um Variationen hervorzubringen« (so Weismann, Aufsätze über Vererbung, Jena 1892, S. 390); schließlich noch die Auffassungen von Edouard van Beneden (Recherches sur la maturation de l'oeuf, la fécondation et la division cellulaire, Gand 1883, p. 404 f.), Viktor Hensen (Physiologie der Zeugung, in Hermanns Handbuch der Physiologie, Bd.  VI/ 2 , S. 236 f.), Maupas (Le rajeunissement karyogamique chez les Ciliés, Archives de Zoologie expérimentale, 2. série, Vol. VII, 1890) und Bütschli (Über die ersten Entwicklungsvorgänge der Eizelle, Zellteilung und Konjugation der Infusorien, Abhandlungen der Senckenbergischen naturforsch. Gesellschaft, X, 1876), welche allerdings mehr auf das Wesen des Befruchtungsprozesses sich beziehen, in welchem diese Forscher nämlich die Absicht einer Verjüngung der Individuen erblicken. – Was Wilhelm Wundt, System der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1897, S. 521 ff,, über geschlechtliche und ungeschlechtliche Zeugung sagt, geht über eine Rezeption der herrschenden naturwissenschaftlichen Anschauungen nicht hinaus.

(S. 386, Z. 18 v. u.) Die diesbezügliche Widerlegung der Deszendenzlehre bei Fechner, Einige Ideen zur Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte der Organismen, Leipzig 1873, S. 59 ff.

(S. 387, Z. 2.) Es ist also in diesem Zusammenhange, wie man wohl sieht, die Feststellung der Passivität der Frau mehr als die Wiederholung einer alten Trivialität, als welche sie z. B. bei Joh.  Scherr, Geschichte der deutschen Frauenwelt, II 4, 1879, S. 262, erscheint.

( S .   387,  Z .   10  v .  u .) Plato im Timaeus , p .  50 BC : »δέχεται γὰρ ἀεὶ τὰ πάντα, ϰαὶ μορφὴν οὐδεμίαν ποτὲ οὐδενι τῶν εἰσιόντων ὁμοίαν εἴληφεν οὐδαμῆ οὐδαμῶς· ἐϰμαγεῖον γὰρ φύσει παντὶ ϰεῖται, ϰινούμενόν τε ϰαὶ διασχηματιζόμενον ὑπὸ τῶν εἰσιόντων. φαίνεται δὲ δι' ἐϰεῖνα ἄλλοτε ἀλλοῖον· τὰ δἐ εἰσιόντα ϰαὶ ἐξιόντα τῶν ὄντων ἀεὶ μιμήματα, τυπωϑέντα ἀπ' αὐτῶν τρόπον τινὰ δύσφραστον ϰαὶ ϑαυμαστόν, ὃν εἰσαῦϑις μέτιμεν. ἐν δ'οὖν τῷ παρόντι χρὴ γένη <a name ="page 605" title ="JohannN /gary " id ="page 605"> </a >διανοηϑῆναι τριττά, τὸ μὲν γιγνόμενον, τὸ δὲ ἐν ᾧ γίγνεται, τὸ δ'ὅϑεν ὰφομοιούμενον φύεται τὸ γιγνόμενον.« 52 A B : »τρίτον δὲ αὖ γὲνος τὸ τῆς χὡρας ὰεὶ, φϑορὰν οὐ προσδεχόμενον, ἕδραν δὲ παρέχον ὅσα ἔχει γένεσιν πᾶσιν, αὐτὸ δἐ μετ' ἀναισϑησίας ἁπτὸν λογισμῷ τινὶ νόϑῳ, μόγις πιστόν, πρὸς ὅ δὴ ϰαὶ ὀνειροπολοῦμεν βλέποντες ϰαὶ φαμεν ὰναγϰαῖον εἶναί που τὸ ὄν ἅπαν ἔν τινι τόπῳ ϰαὶ ϰατέχον χώραν τινά, τό δὲ μήτε ἐν γῇ μήϑτε που ϰατ' οὐρανὸν οὐδὲν εἶναι« usw . Vgl . J . J .  Bachofen , Das Mutterrecht , Stuttgart  1861, S .  164-168.

(S. 387, Z. 6 v. u. f.) Diese Interpretation der χὡρα als des Raumes hat am ausführlichsten Hermann Siebeck zu begründen gesucht (Platos Lehre von der Materie, Untersuchungen zur Philosophie der Griechen, 2. Aufl., Freiburg 1888, S. 49-106).

(S. 388, Z. 8.) Plato, Timaeus, 50 D: »Καὶ δὴ ϰαὶ προσειϰάσαι πρέπει τὸ μὲν δεχόμενον μητρἰ, τὸ δ'ὅϑεν πατρἰ, τὴν δὲ μεταξὺ τούτων φύσιν εϰγόν ῳ.« 49 A: »τίνα οὖν ἔχον δύναμιν ϰατὰ φύσιν αὐτὸ ὑποληπτέον; τοιαν δε μάλιστα, πάσης εἶναι γενέσεως ὑπο δοχὴν αὐτό, οἷον τιϑήνην.« Vgl. Plutarch de Is. et Osir., 56 (Moralia 373 E F).

(S. 388, Z. 10.) Aristoteles: vgl. zu S. 233, Z. 16.

(S. 388, Z. 4 v. u.) Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Zweites Hauptstück, Erklärung 1-4.

(S. 389, Z. 9.) Die Ahnung dieser tieferen Bedeutung des Gegensatzes von Mann und Weib ist sehr alt (vgl. S. 12 u.). Die Pythagoreer haben nach Aristoteles (Metaphysik, A 5, 986 a, 22-26) eine »Tafel der Gegensätze« aufgestellt, in welcher sie »... τὰς αρχὰς δέϰα λέγουσιν εἶναι τὰς ϰατὰ συστοιχίαν λεγομένας, πέρας ϰαὶ ἄπειρον, περιττὸν ϰαὶ ἄρτιον, ἕν ϰαὶ πλῆϑος, δε ξιὸν ϰαὶ ἀριστερόν, ἄρρεν ϰαὶ ϑῆλυ, ἠρεμοῦν ϰαὶ ϰινούμενον, εὐϑὺ ϰαὶ ϰάμπυλον, φῶς ϰαὶ σϰότος, ὰγαϑὸν ϰαὶ ϰαϰόν, τετράγωνον ϰαὶ ἑτερόμηϰες.«

(S. 389, Z. 16 v. u. f.) Gemeint sind die Untersuchungen von Jastrow (A Statistical Study of Memory and Association, Educational Review, New York, December 1891; zitiert nach Ellis, Mann und Weib, S. 173).

(S. 394, Z. 18.) Hier möchte ich nicht unterlassen, Giordano Brunos Worte anzuführen (De gli eroici furori, im einleitenden Schreiben an Sir Philip Eidney, Opere di Giordano Bruno Nolano ed. Adolfo Wagner, Vol. II, Leipzig 1830, p. 299 f.):

»È cosa veramente ... da basso, bruto e sporco ingegno d' essersi fatto constantemente studioso, et aver affisso un curioso pensiero circa o sopra la bellezza d' un corpo feminile. Che spettacolo, o dio buono, più vile e ignobile può presentarsi ad un occhio di terso sentimento, che un uomo cogitabundo, afflitto, tormentato, triste, maninconioso, per divenir or freddo, or caldo, or fervente, or tremante, or pallido, or rosso, or in mina di perplesso, or in atto di risoluto, un, che spende il miglior intervallo di tempo e li più scelti frutti di sua vita corrente destillando l'elixir del cervello con mettere in concetto, scritto e sigillar in publici monumenti quelle continue torture, que' gravi tormenti, que' razionali discorsi, que' faticosi pensieri, e quelli amarissimi studj, destinati sotto la tirannide d' una indegna, imbecilla, stolta e sozza sporcaria? ... Ecco vergato in carte, rinchiuso in libri, messo avanti gli occhi, e intonato a gli orecchi un rumore, un strepito, un fracasso d' insegne, d' imprese, di motti, d' epistole, di sonetti, d' epigrammi, di libri, di prolissi scarfazzi, di sudori estremi, di vite consumate, con strida, ch' assordiscon gli astri, lamenti, che fanno ribombar gli antri infernati, doglie, che fanno stupefar l' anime viventi, suspiri da far esmanire e compatir li dei, per quegli occhi, per quelle guance, per quel busto, per quel bianco, per quel vermiglio, per quella lingua, per quel labro, quel crine, quella veste, quel manto, quel guanto, quella scarpetta, quella pianella, quella parsimonia, quel risetto, quel sdegnosetto, quella vedova finestra, quell' eclissato sole, quel martello, quel schifo, quel puzzo, quel sepolcro, quel cesso, quel mestruo, quella carogna, quella febre quartana, quella estrema ingiuria e torto di natura, che con una superficie, un' ombra, un fantasma, un sogno, un circeo incantesimo ordinato al servigio de la generazione, ne inganna in specie di bellezza; la quale insieme viene e passa, nasce e muore, fiorisce e marcisce: et è bella un pochettino a l' esterno, che nel suo intrinseco, vera- e stabilmente è contenuto un navilio, una bottega, una dogana, un mercato di quante sporcarie, tossichi e veneni abbia possuti produrre la nostra madrigna natura: la quale, dopo aver riscosso quel seme, di cui la si serva, ne viene sovente a pagar d' un lezzo, d' un pentimento, d' una tristizia, d' una fiacchezza, d' un dolor di capo, d' una lassituldine, d' altri e d' altri malanni, che sono manifesti a tutto il mondo, a fin che amaramente dolga, clove soavemente proriva ... Voglio che le donne siano cosi onorate et amate, come denno essere amate et onorate le donne: per tal causa dico, e per tanto, per quanto si deve a quel poco, a quel tempo e quella occasione, se non hanno altra virtù che naturale, cioè di quella bellezza, di quel splendore, di quel servigio, senza il quale denno esser stimate più vanamente nate al mondo, che un morboso fungo, quel con pregiudizio di miglior piante occupa la terra, e più noiosamante, che qual si voglia napello, o vipera, che caccia il capo fuor di quella? ...« usw.

(S. 395, Z. 9 v. u.) Das Weib also ist der Ausdruck des Sündenfalles des Menschen, es ist die objektivierte Sexualität des Mannes und nichts anderes als diese. Eva war nie im Paradiese. Dagegen glaube ich mit dem Mythus der Genesis (I, 2, 22) und mit dem Apostel Paulus (I. Timoth. 2, 13, und besonders I. Korinth. 11, 8: οὐ γὰρ ἐστιν ὰνὴρ ἐϰ γυναιϰός, ὰλλὰ γυνὴ ἐ ξ ὰν δρός) an die Priorität des Mannes, an die Schöpfung des Weibes durch den Mann, an seine Mittelbarkeit, durch die seine Seelenlosigkeit ermöglicht ist. Gegen diese metaphysische Posteriorität des Weibes, die eine Posteriorität dem Seins-Range nach ist und keine bestimmte zeitliche Stelle hat, sondern eine in jedem Augenblick vollzogene Schöpfung des Weibes durch den noch immer sexuellen Mann, sozusagen ein fortwährendes Ereignis bedeutet, bildet es keinen Einwand, daß bei wenig differenzierten Lebewesen das männliche Geschlecht noch fehlt, und die Funktionen, die es auf höherer Stufe ausübt, entbehrlich scheinen. Daß übrigens hierin eine schroffe Absage an alle deszendenz-theoretischen Spekulationen liegt, soweit diese auf die Philosophie einer Einflußnahme sich vermessen, dessen bin ich mir wohl bewußt, vermag aber die Verantwortung für diesen Schritt verhältnismäßig leicht zu tragen. Philosophie ist nicht Historie, vielmehr ihr striktes Gegenteil: es gibt keine Philosophie, die nicht die Zeit negierte, keinen Philosophen, dem die Zeit eine Realität wäre wie die anderen Dinge.

Dagegen ist es sehr wohl begreiflich, wie die Anschauung von der Ewigkeit der Frau und der Vergänglichkeit des Mannes hat entstehen können. Das absolut Formenlose scheint ebenso dauerhaft zu sein wie die reine geistige Form, diese dem Dutzendmenschen ganz unvollziehbare Vorstellung. Und über die Ewigkeit der Mutter ist im 10. Kapitel das Nötigste bemerkt. Man vgl. auch Bachofen, Das Mutterrecht, S. 35: »Das Weib ist das Gegebene, der Mann wird. Von Anfang an ist die Erde der mütterliche Grundstoff. Aus ihrem Mutterschoße geht alsdann die sichtbare Schöpfung hervor, und erst in dieser zeigt sich ein doppeltes getrenntes Geschlecht; erst in ihr tritt die männliche Bildung ans Tageslicht, Weib und Mann erscheinen also nicht gleichzeitig, sind nicht gleich geordnet. Das Weib geht voran, der Mann folgt; das Weib ist früher, der Mann steht zu ihr im Sohnesverhältnis; das Weib ist das Gegebene, der Mann das aus ihr erst Gewordene. Er gehört der sichtbaren, aber stets wechselnden Schöpfung; er kommt nur in sterblicher Gestalt zum Dasein. Von Anfang an vorhanden, gegeben, unwandelbar ist nur das Weib; geworden, und darum stetem Untergang verfallen, der Mann. Auf dem Gebiete des physischen Lebens steht also das männliche Prinzip an zweiter Stelle, es ist dem weiblichen untergeordnet.« S. 36: »In der Pflanze, die aus dem Boden hervorbricht, wird der Erde Muttereigenschaft anschaulich. Noch ist keine Darstellung der Männlichkeit vorhanden; diese wird erst später an dem ersten männlich gebildeten Kinde erkannt. Der Mann ist also nicht nur später als das Weib, sondern dieses erscheint auch als die Offenbarerin des großen Mysteriums der Lebenszeugung. Denn aller Beobachtung entzieht sich der Akt, der im Dunkel des Erdschoßes das Leben weckt und dessen Keim entfaltet; was zuerst sichtbar wird, ist das Ereignis der Geburt; an diesem hat aber nur die Mutter teil. Existenz und Bildung der männlichen Kraft wird erst durch die Gestaltung des männlichen Kindes geoffenbart; durch eine solche Geburt reveliert die Mutter den Menschen das, was vor der Geburt unbekannt war, und dessen Tätigkeit in Finsternis begraben lag. In unzähligen Darstellungen der alten Mythologie erscheint die männliche Kraft als das geoffenbarte Mysterium; das Weib dagegen als das von Anfang an Gegebene, als der stoffliche Urgrund, als das Materielle, sinnlich Wahrnehmbare, das selbst keiner Offenbarung bedarf, vielmehr seinerseits durch die erste Geburt Existenz und Gestalt der Männlichkeit zur Gewißheit bringt.«

Das μὴ ὄν nämlich, welches vom Weibe vertreten wird, ist das völlig Ungeformte, Strukturlose, das Amorphe, die Materie, die keinen letzten Teil mehr hat an der Idee des Lebens, aber ebenso ewig und unsterblich zu sein scheint, wie reine Form, schuldfreies höheres Leben, unverkörperter Geist ewig ist. Das eine, weil nichts an ihm geändert, vom Formlosen keine Form zerstört werden kann; das zweite, weil es sich nicht inkarniert, weil es nicht endlich, und darum nicht vernichtbar wird.

Der Begriff des ewigen Lebens der Religionen ist der Begriff des absoluten, metaphysischen Seins (der Aseität) der Philosophien.

(S. 395, Z. 2 v. u.) Dante, Inferno, XXXIV, Vers 76 f.

(S. 396, Z. 16 f.) Es hat Anspruch auf das ernsteste Nachdenken, und verdient die tiefste Ehrfurcht des Hörers, und nicht Gelächter (womit ihm heute wohl allenthalben geantwortet würde), wenn Tertullian das Weib so apostrophiert (De habitu muliebri liber, Opera rec. J. J. Semler, Halae 1770, Vol. III, p. 35 f.): »Tu es diaboli ianua, tu es arboris illius resignatrix, tu es divinae legis prima desertrix, tu es, quae eum suasisti, quem diabolus aggredi non valuit. Tu imaginem dei, hominem, tam facile elisisti; propter tuum meritum, id est mortem, etiam filius dei mori debuit; et adornari tibi in mente est, propter pelliceas tuas tunicas?« Diese Worte sind an die Weiblichkeit als Idee gerichtet; die empirischen Frauen würden durch die Zumessung einer solchen Bedeutung sich stets nur angenehm gekitzelt fühlen; die Frauen sind sehr zufrieden mit dem antisexuellen Manne, und ratlos nur dem asexuellen gegenüber.

(S. 396, Z. 11.) Wie sich durch seine Sexualität der Mann dem Weibe annähert, geht aus der Tatsache hervor, daß die Erektion dem Willen entzogen ist und durch ihn nicht aufgehoben werden kann, gleichwie eine Muskelkontraktion vom gesunden Menschen auf Befehl des Willens rückgängig gemacht wird. Der Zustand der wollüstigen Erregtheit beherrscht das Weib ganz, beim Manne doch nur einen Teil. Aber die Wollust dürfte die einzige Empfindung sein, welche im allgemeinen nicht durchaus verschieden ist bei den beiden Geschlechtern; die Empfindung des Koitus hat für Mann und Frau eine gleiche Qualität. Der Koitus wäre sonst unmöglich. Er ist der Akt, der zwei Menschen am stärksten einander angleicht. Nichts kann demnach irriger sein als die populäre Ansicht, daß Mann und Weib vor allem oder gar ausschließlich in ihrer Sexualität differieren, wie ihr z. B. Rousseau Ausdruck gibt (Emile, Livre V, Anfang): »En tout ce qui ne tient pas au sexe la femme est homme.« Gerade die Sexualität ist das Band zwischen Mann und Frau und wirkt auch stets ausgleichend zwischen beiden.

(S. 397, Z. 7 v. u.) Auch das spezifische Mitleid des Mannes mit der Frau – ihrer inneren Leere und Unselbständigkeit, Haltlosigkeit und Gehaltlosigkeit wegen – weist, wie alles Mitleid, auf eine Schuld zurück.

(S. 398, Z. 8 v. u.) Es sind hiemit scheinbar drei verschiedene Erklärungen der Kuppelei (und somit Herleitungen der Weiblichkeit) gegeben; aber sie drücken, wie man wohl sieht, alle ein und dasselbe aus. Die sich ewig vergrößernde Schuld des höheren Lebens ist die dem Menschen ewig unerklärliche, für ihn wahrhaft letzte Tatsache des Abfalls jenes Lebens zum niederen Leben; der plötzliche Absturz des völlig Schuldlosen in die Schuld. Das niedere Leben aber kulminiert in jenem Akte, durch das es neu erzeugt wird; alle Begünstigung des niederen Lebens schließt darum notwendig Kuppelei ein. Dieses selbe Streben, das irdische Leben Realität gewinnen zu lassen, ist dadurch bezeichnet, daß alle Materie sich verführerisch der Formung entgegendrängt; oder wie dies Plato tiefsinnig angedeutet hat: durch die betrügerische Zudringlichkeit der Penia (der Armut, des Leeren, des Nichts) an den trunkenen, träumenden Gott Poros (den Reichen).

Zu Teil II, Kapitel 13

(S. 399, Z. 3 f.) Das Motto stammt aus dem »Judentum in der Musik« (Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner, 3. Aufl., V. Band, Leipzig 1898, S. 66).

(S. 399, Z. 11 v. u.) Über den mangelhaften Bartwuchs der Chinesen, Darwin, Abstammung des Menschen, übersetzt von Haek, Bd. II, S. 339. Auch die Stimme des Mannes soll sich bei den verschiedenen Menschenrassen nicht gleich sehr von der des Weibes unterscheiden, z. B. gerade bei Chinesen und Tataren »die Stimme des Mannes nicht so sehr von der des Weibes abweichen wie bei anderen Rassen«. ( Darwin, Die Abstammung des Menschen, übersetzt von Haek, Leipzig, Universalbibliothek, Bd.  II, S. 348, nach Sir Duncan Gibb, Journal of the Anthropological Society, April 1869, p. LVII und LVIII.)

(S. 401, Z. 13 v. u.) Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, 4. Aufl., München 1903, S. 345 ff.

(S. 403, Z. 8.) Als hervorragendere »Philosemiten« könnten nur der sehr überschätzte G. E.  Lessing und Friedr. Nietzsche in Betracht kommen, der letztere aber wohl bloß infolge eines Oppositionsbedürfnisses gegen Schopenhauer und Wagner; und der erstere hat den eigenen Rang viel klarer erkannt und offener eingestanden als die Geschichtschreiber der deutschen Literatur (vgl. Flamburgische Dramaturgie, Stück 101 f.). Der schärfste Antisemit unter allen ist wohl Kant gewesen (nach der Anmerkung zum § 44 seiner »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht«). Vgl. über den »Consensus ingeniorum« Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, S. 335.

(S. 409, Z. 1 v. u.) I. Buch Mosis, Kap. 25, 24-34; 27, 1-45; 30, 31-43.

(S. 410, Z. 11-15.) Nach M.  Friedländer, Der Antichrist in den vorchristlichen jüdischen Quellen, Göttingen 1901, S. 118 ff., hat der Antichrist schon im vorchristlichen Judentum (z. B. dem freilich sehr spät entstandenen Buche Deuteronomium) eine Rolle als »Beliar« gespielt. Friedländers Auffassung gipfelt, wie ich glaube (von dem historischen Materiale muß ich absehen), darin, daß der Antichrist erst da sein mußte, damit der Christ komme, ihn zu vernichten (S. 131). Damit wird jedoch dem Bösen eine selbständige Existenz vor dem Guten und also unabhängig von diesem zugesprochen; das Böse indes ist nur »Privation« des Guten ( Augustinus, Goethe). Der Teufel wird vom guten Menschen erdacht, der gegen ihn ankämpft. Nur der gute, nicht der böse Mensch fürchtet das Böse, dem der Verbrecher selbst dient. Das Böse ist nur ein Abfall vom Guten, und hat nur einen Sinn in bezug auf dieses; indes das Gute an sich ist und keiner Relation bedarf.

Die wenigen Elemente des vorchristlichen jüdischen Teufelsglaubens stammen nach den Resultaten der Forschung aus dem Parsismus. Vgl. W.  Bousset, Die jüdische Apokalyptik, ihre religionsgeschichtliche Herkunft und ihre Bedeutung für das Neue Testament, Berlin 1903, S. 38-51. S. 45: »Der Schluß drängt sich mit zwingender Gewalt auf: die jüdische Apokalyptik ist in dem Neuen, was sie in den Hoffnungsglauben des Judentums hineinbringt, von Seiten der eranischen Religion bedingt und angeregt.« Und S. 48: »Nun läßt sich doch behaupten, daß der Dualismus spezifisch unisraelitisch ist. Die Religion der Propheten und des Alten Testamentes kennt den Teufel nicht. Die Gestalt des Satans, wie sie im Erzählungsstück des Hiobbuches, in der Chronik, bei Sacharja auftritt, hat mit der späteren des Teufels, wie sie im neutestamentlichen Zeitalter herrscht, äußerst wenig, nicht viel mehr als den Namen gemeinsam. Und überdies sind sämtliche hier genannten Stücke – auch das Erzählungsstück des Hiobbuches – recht spät. Der Teufelsglaube, die Annahme eines organisierten dämonischen Reiches widerspricht direkt dem Geiste der Frömmigkeit der Propheten und Psalmen, ihrem starken und starren Monotheismus. Hingegen ist in keiner anderen Religion der Dualismus so heimisch und wurzelt so tief wie in der eranischen Religion. Auch von hier aus drängt sich der Schluß der Abhängigkeit der jüdischen Apokalyptik unmittelbar auf.«

(S. 411, Z. 14.) So nicht nur die Argumente des Tages, sondern selbst Schopenhauer (Parerga und Paralipomena, Bd. II, § 132): »[Das jüdische Volk] lebt parasitisch auf den anderen Völkern und ihrem Boden, ist aber dabei nichtsdestoweniger von lebhaftestem Patriotismus für die eigene Nation beseelt, den es an den Tag legt durch das festeste Zusammenhalten, wonach alle für einen und einer für alle stehen; so daß dieser Patriotismus sine patria begeisterter wirkt als irgend ein anderer. Das Vaterland des Juden sind die übrigen Juden: daher kämpft er für sie, wie pro ara et focis, und keine Gemeinschaft auf Erden hält so fest zusammen wie diese.«

(S. 414, Z. 17 v. u.) Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, 4. Aufl., München 1903, S. 143, Anm. 1. – Über die jüdische Diaspora der letzten vorchristlichen Jahrhunderte vgl. ferner M. Friedländer, Der Antichrist in den vorchristlichen jüdischen Quellen, Göttingen 1901, S. 90 f.

(S. 416, Z. 12.) Über den Mangel an Unsterblichkeitsglauben im Alten Testamente hat Schopenhauer das Treffendste und Kräftigste gesagt (Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 151 f., ed. Grisebach).

(S. 416, Z. 14.) Schopenhauer, Neue Paralipomena, § 396 (Handschriftlicher Nachlaß, Bd. IV, herausgegeben von Eduard Grisebach, S. 244).

(S. 416, Z. 19 v. u.) Gustav Theodor Fechner, Die drei Motive und Gründe des Glaubens, Leipzig 1863, S. 254-256. Auch in der »Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht«, Leipzig 1879, S. 65-68.

(S. 416, Z. 6 v. u.) Tertulliani Apologeticus adversus gentes pro christianis, cap. 17 (Opera, Vol. V, p. 47, rec. Semler, Halae 1773).

(S. 416, Z. 4 v. u.) Chamber1ain, a. a. O. S. 391-400.

(S. 417, Z. 13.) Schopenhauer hat das Wesen des Jüdischen an einer Stelle sehr sicher herausgefühlt; denn von ihm rührt das Wort her von den »dem Nationalcharakter der Juden anhängenden, bekannten Fehlern, worunter eine wundersame Abwesenheit alles dessen, was das Wort verecundia ausdrückt, der hervorstechendste, wenngleich ein Mangel ist, der in der Welt besser weiterhilft als vielleicht irgend eine positive Eigenschaft ...« (Parerga und Paralipomena, Bd. II, § 132).

Diesen Mangel an verecundia will ich erst weiterhin berühren und in einen Zusammenhang mit allem übrigen jüdischen Wesen zu bringen versuchen (S. 591).

(S. 418, Z. 14 v. u.) Aus Versen Keplers zitiert nach Johann Karl Friedrich Zöllner, Über die Natur der Kometen, Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntnis, 2. Aufl., Leipzig 1872, S. 164.

(S. 418, Z. 4 v. u.) Gustav Theodor Fechner, Ideen zur Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte der Organismen, Leipzig 1873. Wilhelm Preyer, Naturwissenschaftliche Tatsachen und Probleme, Populäre Vorträge, Berlin 1880, II. Vortrag: Die Hypothesen über den Ursprung des Lebens (»Kosmozoen-Theorie«).

(S. 421, Z. 2.) Was Schopenhauer (Über den Willen in der Natur, Werke, ed. Grisebach, III, 337) und Chamberlain (Grundlagen des 19. Jahrhunderts, 4. Aufl., S. 170 f.) Spinoza hauptsächlich zum Vorwurf machen, seine merkwürdigen sittlichen Lehren, das bildet in weit geringerem Grade einen Einwand gegen ihn und gegen das Judentum, und am wenigsten deutet es auf irgend eine Immoralität in Spinoza selbst hin. Spinozas ethische Lehre ist gerade darum so besonders flach geworden, weil er persönlich recht wenig Verbrecherisches in sich zu überwinden hatte. Aus demselben Grunde treffen auch Aristoteles', Fechners oder Lotzes ethische Theorien so wenig das eigentliche Problem, obwohl sie, als Arier, von vornherein tiefer sind als der Jude.

(S. 421, Z. 10.) Ich glaube, daß auf einem Mißverständnis, auf einer Verwechslung von Wille und Willkür beruht, was Chamberlain sagt (a. a. O. S. 243 f.): »Das liberum arbitrium ist entschieden eine semitische und in seiner vollen Ausbildung speziell eine jüdische Vorstellung.«

(S. 421, Z. 15.) Wie ganz anders auch Fechner, den eine oberflächliche Betrachtung in sehr große Nähe zu Spinoza zu rücken versucht hat, als welcher jenem an Bedeutung und Tiefe weit nachsteht! Vgl. z. B. Zend-Avesta, II², 197: »Der Mensch, aus dem der jenseitige Geist kommt [beim Tode] ..., bleibt unter allen Einwirkungen, die ihm begegnen mögen, ein Individuelles.«

(S. 423, Z. 15.) Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Zweiter Band, erstes Buch, Kapitel 8: Zur Theorie des Lächerlichen. – Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, § 26-55.

(S. 425, Z. 12.) Im »Fliegenden Holländer«, im »Lohengrin«, im »Parsifal« ist das Problem des Judentums offen formuliert; aber Siegfried, der »dumme Knab'«, ist nicht minder als Parsifal, der »reine Tor«, von Wagner in einem Gegensatze zu allem Jüdischen gedacht worden.

(S. 427, Z. 15.) Wie all dies aber untereinander zusammenhängt, wird man am besten verstehen, wenn man die folgenden Verse aus der Chândogya-Upanishad vernimmt (7, 19-21; S. 184 der Deussenschen Übersetzung, Leipzig 1897):

»›Man denkt, wenn man glaubt. Ohne Glauben ist kein Denken; nur wer Glauben hat, hat Denken. Den Glauben also muß man suchen zu erkennen!‹

›Den Glauben, o Herr, möchte ich erkennen!‹«

»Man glaubt, wenn man in etwas gewurzelt ist; ohne Gewurzeltsein ist kein Glaube; wer in etwas gewurzelt ist, der glaubt daran. Das Wurzeln also muß man suchen zu erkennen.

›Das Wurzeln, o Herr, möchte ich erkennen.‹

›Man ist in etwas gewurzelt, wenn man schafft; ohne Schaffen ist kein Gewurzeltsein; nur wer etwas schafft, ist gewurzelt. Das Schaffen also muß man suchen zu erkennen.‹

›Das Schaffen, o Herr, möchte ich erkennen.‹«

(S. 430, Z. 13-11 v. u.) Die Selbstsetzung des Ich bleibt der tiefste Gedanke der Fichteschen Philosophie. Vgl. Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Sämtliche Werke herausgegeben von J. H. Fichte, I/1, Berlin 1845, S. 95 f: (vgl. zu S. 198, Z. 17 v. u.):

»a) Durch den Satz A = A wird geurtheilt. Alles Urtheilen aber ist laut des empirischen Bewußtseyns ein Handeln des menschlichen Geistes; denn es hat alle Bedingungen der Handlung im empirischen Selbstbewußtseyn, welche zum Behuf der Reflexion, als bekannt und ausgemacht, vorausgesetzt werden müssen.

b) Diesem Handeln nun liegt etwas auf nichts höheres gegründetes, nemlich X = Ich bin, zum Grunde.

c) Demnach ist das schlechthin gesetzte und auf sich selbst gegründete – Grund eines gewissen (durch die ganze Wissenschaftslehre wird sich ergeben, alles) Handelns des menschlichen Geistes, mithin sein reiner Charakter; der reine Charakter der Thätigkeit an sich; abgesehen von den besonderen empirischen Bedingungen derselben.

Also das Setzen des Ich durch sich selbst ist die reine Thätigkeit desselben. – Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt, das Ich ist, und es setzt sein Seyn, vermöge seines bloßen Seyns. – Es ist zugleich das Handelnde und das Produkt der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung und That sind Eins und ebendasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung ...

8. Ist das Ich nur, insofern es sich setzt, so ist es auch nur für das setzende und setzt nur für das seyende. – Das Ich ist für das Ich, – setzt es aber sich selbst, schlechthin so wie es ist, so setzt es sich nothwendig und ist nothwendig für das Ich. Ich bin nur für Mich; aber für mich bin ich nothwendig (indem ich sage für Mich, setze ich schon mein Seyn).

9. Sich selbst setzen und Seyn sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich. Der Satz: Ich bin, weil ich mich selbst gesetzt habe, kann demnach auch so ausgedrückt werden: Ich bin schlechthin, weil ich bin.

Ferner, das sich setzende Ich und das seyende Ich sind völlig gleich, Ein und ebendasselbe. Das Ich ist dasjenige, als was es sich setzt; und es setzt sich als dasjenige, was es ist. Also: Ich bin schlechthin, was ich bin.

10. Der unmittelbare Ausdruck der jetzt entwickelten Thathandlung wäre folgende Formel: Ich bin schlechthin, das ist ich bin schlechthin, weil ich bin, und bin schlechthin, was ich bin; beides für das Ich.

Denkt man sich die Erzählung von dieser Thathandlung an die Spitze einer Wissenschaftslehre, so müßte sie etwa folgendermaßen ausgedrückt werden: Das Ich setzt ursprünglich sein eigenes Seyn

(S. 431, Z. 1.) Vgl. H. S.  Chamberlain, a. a. O. S. 397 f. – Die Dualität von Religion und Glaube, die Chamberlain S. 405 f. behauptet, dürfte kaum haltbar sein.

(S. 432, Z. 14.) Vgl. H. S.  Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, 4. Aufl., München 1903, S. 244, 401.

(S. 434, Z. 15 v. u.) Man sieht, wie schwierig es ist, das Judentum zu definieren. Dem Juden fehlt die Härte, aber auch die Sanftmut – eher ist er zähe und weich; er ist weder roh noch fein, weder grob noch höflich. Er ist nicht König, nicht Führer, aber auch nicht Lehnsmann, nicht Vasall. Was er nicht kennt, ist Erschütterung; doch es mangelt ihm ebensosehr der Gleichmut. Ihm ist nie etwas selbstverständlich, aber gleich fremd ist ihm alles wahre Staunen. Er hat nichts vom Lohengrin, aber beinahe noch weniger vom Telramund (der mit seiner Ehre steht und fällt). Er ist lächerlich als Korpsstudent; und gibt doch keinen guten Philister ab. Er ist nie schwerblütig, aber auch nie von Herzen leichtsinnig. Weil er nichts glaubt, flüchtet er ins Materielle; nur daher stammt seine Geldgier: er sucht hier eine Realität und will durchs »Geschäft« von einem Seienden überzeugt werden – der einzige Wert, den er als tatsächlich anerkennt, wird so das »verdiente« Geld. Aber dennoch ist er nicht einmal eigentlich Geschäftsmann: denn das »Unreelle«, »Unsolide« im Gebaren des jüdischen Händlers ist nur die konkrete Erscheinung des der inneren Identität baren jüdischen Wesens auch auf diesem Gebiete. » Jüdisch« ist also eine Kategorie und psychologisch nicht weiter zurückzuführen und zu bestimmen; metaphysisch mag man es als Zustand vor dem Sein fassen; introspektiv kommt man nicht weiter als bis zur inneren Vieldeutigkeit, dem Mangel an irgend welcher Überzeugtheit, der Unfähigkeit zu irgend welcher Liebe, das ist ungeteilten Hingabe, and zum Opfer.

Die Erotik des Juden ist sentimental, sein Humor Satire, jeder Satiriker aber ist sentimental, wie jeder Humorist nur ein umgekehrter Erotiker. In der Satire und in der Sentimentalität ist jene Duplizität, die das Jüdische eigentlich ausmacht (denn die Satire verschweigt zu wenig und fälscht darum den Humor); und jenes Lächeln ist beiden gemeinsam, welches das jüdische Gesicht kennzeichnet: kein seliges, kein schmerzvolles, kein stolzes, kein verzerrtes Lächeln, sondern jener unbestimmte Gesichtsausdruck (das physiognomische Korrelat innerer Vieldeutigkeit), welcher Bereitschaft verrät, auf alles einzugehen, und alle Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst vermissen läßt; jene Ehrfurcht, die allein alle andere » verecundia« erst begründet.

(S. 434, Z. 8 v. u.) Chamberlain, a. a. O. S. 329 f.

(S. 435, Z. 17.) Über das »epileptische Genie« vgl. besonders Lombroso, Der geniale Mensch, Hamburg 1890, an vielen Orten. Über Napoleons Epilepsie orientiert Louis Proal, Napoleon I. était-il épileptique? Archives d'Anthropologie criminelle, 1902, p. 261-266 (mit den Zeugnissen von Constant und Talleyrand).

(S. 435, Z. 6 v. u.) Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, S. 46-47, ed. Kehrbach. Vgl. S. 49 f.: »Wenn der Mensch aber im Grunde seiner Maximen verderbt ist, wie ist es möglich, daß er durch eigene Kräfte diese Revolution [einen Übergang zur Maxime der Heiligkeit der Gesinnung] zustande bringe und von selbst ein guter Mensch werde? Und doch gebietet die Pflicht, es zu sein, sie gebietet uns aber nichts, als was uns tunlich ist. Dieses ist nicht anders zu vereinigen, als daß die Revolution für die Denkungsart, die allmähliche Reform aber für die Sinnesart (weiche jener Hindernisse entgegenstellt), notwendig und daher auch dem Menschen möglich sein muß. Das ist: wenn er den obersten Grund seiner Maximen, wodurch er ein böser Mensch war, durch eine einzige unwandelbare Entschließung umkehrt (und hiemit einen neuen Menschen anzieht); so ist er sofern dem Prinzip und der Denkungsart nach ein fürs Gute empfängliches Subjekt usw.« –

Das andere Genie erfährt die Gnade noch vor der Geburt; der Religionsstifter im Laufe seines Lebens. In ihm stirbt ein älteres Wesen am vollständigsten und tritt vor einem gänzlich neuen zurück. Je größer ein Mensch werden will, desto mehr ist in ihm, dessen Tod er beschließen muß. Ich glaube, daß auch Sokrates hier den Religionsstiftern (als der einzige unter allen Griechen Nietzsche hatte auch wohl recht, als er in ihm keinen echten Hellenen erblickte; indes Plato wieder ganz und gar Grieche ist. sich nähert; vielleicht hat er den entscheidenden Kampf mit dem Bösen an jenem Tage gekämpft, da er bei Potidaea vierundzwanzig Stunden allein an einem und demselben Orte aufrechtstand.

Kant (Religionsphilosophie; vgl. ferner im Texte S. 202 und im Anhang S. 531 f.), Goethe (Zitat auf S. 437), Jakob Böhme (De regeneratione) und Richard Wagner (Wotan bei Erda, Siegfried, III. Akt) sind ebenfalls diesem Ereignis einer buchstäblichen Neugeburt des ganzen Menschen weniger fern gewesen als die meisten anderen großen Männer. Aber bei ihnen beschränkt sich die Neugeburt auf einen Akt, vermöge dessen sie auch bereits die ganze Zukunft gewissermaßen in die Gegenwart resorbieren: sie empfinden auch allen künftigen Rückfall ins Unmoralische bereits als ihre Schuld voraus, und wachsen so über beides, über Vergangenheit und Zukunft, hinaus: durch eine zeitlose Setzung des Charakters, durch ein Gelöbnis für alle Ewigkeit. Aber dieser Vorgang erfolgt bei ihnen nicht in einem so völligen Gegensatze zu ihrem früheren Leben wie beim Religionsstifter. Dieser steigt aus der Nacht zum Lichte empor, und sein fürchterlichstes Entsetzen ist das über die Nacht, in der er bislang blind gelebt und sich wohl gefühlt hat, und in der die anderen Menschen noch blind leben und sich wohl fühlen.

Zu Teil II, Kapitel 14

(S. 443, Z. 11 v. u.) »Alle höhere Kultur ist nicht auf das Prinzip der Sexualität, sondern im Gegenteil auf das Prinzip der Askese gegründet«, das ist (wenn man Askese nicht zu eng, nicht im Sinne einer Jesuitenschulung faßt) das wahrste Wort aus dem trefflichen Aufsatze von O.  Friedländer (vgl. zu S. 435, Z. 6 v. u.).

(S. 443, Z. 12-17.) Auf das Überwiegen des dirnenhaften Elementes im heutigen Weibe dürfte die zunehmende Unlust und Unfähigkeit der Mütter, ihre Kinder zu stillen, viel eher zurückweisen als auf den seit Jahrhunderten unverändert großen Alkoholgenuß (vgl. S. 284, Z. 8 f.).

(S. 444, Z. 11.) Sogar in die Wissenschaft ist diese Wertung des Mannes nach seiner geschlechtlichen Fähigkeit eingedrungen. »Il ne peut être douteux que les testicules donnent à l'homme ses plus nobles et ses plus utiles qualités.« ( Brown-Séquard, Archives de Physiologie normale et pathologie, 1889, p. 652.)

Es ist sehr verdienstlich von Rieger, diesen so populären Anschauungen derart kräftig entgegengetreten zu sein, wie er es in seinem Buche über »Die Kastration« (Jena 1900) getan hat.

(S. 446, Z. 6 v. u.) Auf einem anderen Wege und weniger durch eine Analyse der Weiblichkeit als der Männlichkeit kommt Oskar Friedländer (»Eine für Viele«, eine Studie, Die Gesellschaft, Münchener Halbmonatsschrift, 1902, Heft 15/16) zu demselben Ergebnis (S. 181 f.): »Die Geschlechter bilden und beeinflussen einander in der Richtung nach dem physischen und moralischen Ideale, das sie als Maßstab ihrer wechselseitigen Wertschätzung zugrunde legen und von dessen mehr oder minder vollkommener Erfüllung die Bevorzugung der einen vor den anderen bei der Liebeswahl abhängig zu denken ist. Wenn echte Weiblichkeit mit dem Attribute der Keuschheit unzertrennlich verbunden ist, so ist demnach der Grund dafür nicht in der Natur des Weibes, sondern in der moralischen Disposition des Mannes zu suchen. Ihm ist die Keuschheit, im weiteren Sinne: die Fähigkeit, die Schranken des sinnlichen Einzeldaseins zu übersteigen, der höchste sittliche Wert und wird es trotz aller beklagenswerten Aberrationen, an denen unser, einem durchaus unberechtigten Optimismus huldigendes Zeitalter so reich ist, immer bleiben; darum überträgt er ihn in der Form eines moralischen Imperativs auf das andere Geschlecht. Der Frau ist, weniger im ethischen als im sexuellen Interesse, alles an der Erfüllung dieser Forderung gelegen. Deshalb hält sie so unerbittlich zähe daran fest, zähe besonders am Scheine der Keuschheit, an den Regeln der Konvenienz.

Die Anwendung auf den entgegengesetzten Fall wird man mir erlassen. Es heißt dem Scharfsinn meiner Leser nicht allzuviel zumuten, wenn ich ihnen die Entscheidung anheimstelle, wo das Ideal der männlichen Unkeuschheit seinen Ursprung genommen haben mag.«

(S. 446, Z. 5 v. u.) Doch ist auch der Wert, der auf Jungfräulichkeit gelegt wird, wie bekannt, ein sehr verschiedener bei den verschiedenen Menschenrassen. Vgl. Heinrich Schurtz, Altersklassen und Männerbünde, Berlin 1902, S. 93.

(S. 447, Z. 6 v. u.) Der Mensch, der sich straft durch Fleischeskreuzigung und Abtötung des Leibes, will den Sieg ohne Kampf; er räumt den Leib aus dem Wege, weil er zu schwach ist, dessen Triebe zu überwinden. Er ist ebenso feig wie der Selbstmörder, der sich erschösse, weil er am Siege über sich verzweifelte. Und die Buße ist der Reue geradezu entgegengesetzt; denn sie beweist, daß der Mensch gar nicht über seiner Missetat steht, sondern noch in ihr befangen ist, sonst würde er sich nicht züchtigen; er würde trotz der Zurechnung einen Unterschied machen zwischen dem Moment der Tat und dem Moment der Reue, wofern Reue da wäre. Denn Bedingung der Reue ist nunmehrige Unfähigkeit zur Tat, und diese Unfähigkeit zum Bösen kann kein Mensch in sich strafen wollen. Auch Kant hat die Askese durchschaut (Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, § 53).

(S. 448, Z. 9 v. u.) Richard Wagner, Parsifal, ein Bühnenweihfestspiel. Zweiter Aufzug. (Gesammelte Schriften und Dichtungen, 3. Aufl., Leipzig 1898, Bd. X, S. 360 f.)

(S. 451, Z. 15 v. u.) Schopenhauer: »Die Mormonen haben recht.« (Parerga und Paralipomena, Bd. II, § 370 Ende.) Demosthenes 59, 122 (Kατὰ Nεαίρας): »Tὰς μὲν γὰρ ἑταίρας ἡ δονῆς ἕνεϰ' ἔχομεν, τὰς δὲ παλλαϰὰς τῆς ϰαϑ' ἡμέραν ϑεραπείας τοῦ σώματος, τὰς δἐ γυναῖϰας τοῦ παι δοποιεῖσϑαι γνησίως ϰαὶ τῶν ἔν δον φύλαϰα πιστὴν ἔχειν.«

(S. 451, Z. 14 v. u. f.) Goethe, Zweite Epistel. – Molière, Les Femmes Savantes, Acte II, Scene VII. – Selbst Kant dürfte, wäre er nach einer Schrift aus dem Jahre 1764 zu beurteilen, keineswegs von diesem Vorwurfe ausgenommen werden. Denn in den »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen« (III. Abschnitt, Bd. VIII, S. 32, ed. Kirchmann) steht: »[Die Frauenzimmer] tun etwas nur darum, weil es ihnen so beliebt, und die Kunst besteht darin, zu machen, daß ihnen nur dasjenige beliebt, was gut ist. Ich glaube schwerlich, daß das schöne Geschlecht der Grundsätze fähig sei, und ich hoffe dadurch nicht zu beleidigen, denn diese sind auch äußerst selten beim männlichen.«

(S. 452, Z. 11.) Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, ed. Kehrbach, S. 47.

(S. 452, Z. 11 v. u.) W. H.  Riehl, Die Familie, Stuttgart 1861, S. 7, sagt: »Man muß ... den tollen Mut der Sozialisten bewundern, welche den beiden Geschlechtern trotz aller leiblichen und seelischen Ungleichartigkeit doch die gleiche politische und soziale Berufung zusprechen und ganz resolut ein Gesetz der Natur entthronen wollen, um ein Gesetz der Schule und des Systems an seine Stelle zu setzen. Périsse la nature plutôt que les principes!«

Dieser Standpunkt, den Riehl toll nennt, ist der meinige. Ich kann nicht einsehen, wie ein anderer gewählt werden könnte, wofern man nicht utilitaristisch, sondern ethisch zu denken gewillt ist. Sicherlich wird der alte Mißbrauch, der mit den Worten der Natur, des Natürlichen und Naturgemäßen getrieben wird, sich erneuern, sobald es diese Forderung zu bekämpfen gelten wird. Das Verhältnis des Menschen zur Natur wird aber, um es ganz unzweideutig zu sagen, nicht zerstört, sondern erst geschaffen dadurch, daß der Mensch sich über sie erhebt, mehr wird als ein bloßes Glied, ein bloßer Teil von ihr. Denn Natur ist immer das Ganze der sinnlichen Welt, und dieses kann nicht von einem seiner Teile aus übersehen werden.

(S. 453, Z. 12 f.) Je tiefer das Weib steht, desto notwendiger muß es emanzipiert werden. Gewöhnlich schließt man umgekehrt.

(S. 453, Z. 18-20.) Ich meine hier die »Vera«-Literatur, welche im Jahre 1902 ziemlich viel Staub aufgewirbelt hat. Das einzige Gute, was über die ganze Streitfrage geschrieben worden ist, findet man in dem mehrfach zitierten Aufsatze von Oskar Friedländer, Eine für Viele, eine Studie (vgl. besonders zu S. 435, Z. 6 v. u.).

(S. 453, Z. 3 v. u. f.) Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Aphorismus 238.

(S. 455, Z. 1.) » Pythagoras erscheint als der Vertreter des Frauengeschlechtes, als der Verteidiger seiner Rechte, seiner Unverletzlichkeit, seines hohen Berufes in der Familie und im Staate. Den Männern stellt er die Unterdrückung des Weibes als Sünde dar. Nicht unterworfen, sondern mit voller Gleichberechtigung dem Gatten beigeordnet soll das Weib sein.« (J. J.  Bachofen, Das Mutterrecht, Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der Alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur, Stuttgart 1861, S. 381.)

(S. 456, Z. 6.) Über die »Parsifal«-Dichtung Wagners ist mir eine einzige verständnisvolle Abhandlung bekannt geworden: Zur Symbolik in Wagners Parsifal, von Emil Lucka, Wiener Rundschau, V, 16, S. 313 f. (15. August 1901). Leider ist in diesem sehr vorzüglichen Aufsatz das Thema allzu knapp behandelt. Eine Auffassung der Dichtung, welche von jenem Autor in vielen Punkten beträchtlich abweicht, ausführlich darzulegen, hoffe ich selbst Gelegenheit zu finden.

(S.  457, Z. 12.) Clemens Alexandrinus, Stromata, HI 6, vol. I, p. 532, ed. Potter (Oxford 1715) = p. 1149 ed. Migne Patrologiae Graecae, Tomus VIII, Paris 1857): Τῇ Σαλώμῃ ὁ Κύριος πυνϑανομένῃ μέχρι πότε ϑά vατος ἰσχύσει οὐχ ὡς ϰαϰοῦ τοῦ βίου ὄντος ϰαὶ τῆς ϰτίσεως πονηρᾶ ς »Μέχρις ἄν, εἶπεν, ὑμεῖς αἱ γυναῖϰες τίϰτετε « ἀλλ' ὡς τὴν ἀϰολουϑίαν τὴν φυσιϰὴν διδάσϰων· γεννήσει γὰρ πάvτως ἕπεται ϰαὶ φϑορά – Ibid. III, 13 (I, 553 Potter, p. 1192 Migne) wird aus dem »Evangelium der Ägypter« nach dem Zeugnis des Cassianus (dessen Werk Περὶ εγϰρατείας oder περὶ εὐνουχίας ) folgendes Wort Jesu berichtet: Πυνϑανομένης τῆς Σαλώμης πότε γ vωσϑήσεται τὰ περὶ ὧ v ἤρετο, ἔφη ὁ Κύριος, »Ὅταν τὸ τῆς αἰσχύνης ἔνδυμα πατήσητε, ϰαὶ ὅτα v γένηται τὰ δύο ἕν , ϰαὶ τὸ ἄρρεν μετὰ τῆς ϑηλείας οὔτε ἄρρεν οὔτε ϑῆλ υ .« – Schließlich ibid. III, 9 (I, 540 Potter, p. 1165 Migne): »ἤλϑον ϰαταλῦσαι τὰ ἔργα τῆς ϑηλείας «· ϑηλείας μὲν, τῆς ἐπιϑυμίας· ἔργα δέ γέννησιν ϰαὶ φϑοράv.

Es ist dieser Ausspruch so ohne alle Vorgänger im Griechentum, daß wohl seine Echtheit angenommen und es ein hohes Glück genannt werden darf, daß er nicht verlorenging, wie die herrlichsten Aussprüche Christi sicherlich verlorengegangen sind, weil die synoptischen Evangelisten sie nicht verstehen und also nicht behalten konnten.

Daß das Begehren nach dem Weibe von allem Anfang an unsittlich ist, liegt übrigens bereits im Worte: ۛ»πᾶς ὁ βλέπων γυναῖϰα πρὸς τὸ ἐπιϑυμῆσαι ἤδ η ἐμοί χευσεν αὐτὴν τῇ ϰαρδίᾳ αὔτοῦ« ( Evang. Matth. 5, 28).

(S. 457, Z. 8 v. u.) Augustinus, De bono viduitatis, Cap. XXIII (Patrologiae Latinae, Tom. XL, p. 449 f., ed.  Migne, Paris 1845): »Non vos ... frangat querela vanorum, qui dicunt: Quomodo subsistet genus humanum, si omnes fuerint continentes? Quasi propter aliud retardetur hoc saeculum, nisi ut impleatur praedestinatus numerus ille sanctorum, quo citius impleto, profecto nec terminus saeculi differetur.« De bono conjugali, Cap. X (ibid. p. 381): »Sed novi qui murmurent. Quid si, inquiunt, omnes homines velint ab omni concubitu continere: unde subsistet genus humanum? Utinam omnes hoc vellent, dumtaxat in charitate de corde puro et conscientia bona et fide non ficta (1. Tim. 1, 5): multo citius Dei civitas compleretur, et acceleraretur terminus saeculi.« Ich verdanke diese Nachweise Schopenhauers »Welt als Wille und Vorstellung«, Bd. , Kap. 48.

(S. 458, Z. 6.) Hier liegt also das eigentliche Motiv jener Furcht, nach welchem Leo Tolstoi (Über die sexuelle Frage, Leipzig 1901, S. 16 ff., 87 f.) gesucht hat, ohne es zu finden.

(S. 458, Z. 18 v. u.) Man mag es krankhaft nennen, daß der Mann die schwangere Frau abstoßend häßlich findet (wenn sie auch manches Mal ihn sinnlich erregt), aber es ist dies eben das, was ihn vor dem Tiere auszeichnet, und wer es ihm ausreden will, der will ihn der Menschheit entkleiden. Das Phänomen liegt tief; es zeigt wieder, wie alle Ästhetik nur ein Ausdruck der Ethik ist. – »Toutes les hideurs de la fécondité« sagt einmal Charles Baudelaire (Les fleurs du mal, Paris 1857, 5. Gedicht, p. 21).

(S. 459, Z. 12 v. u.) Die Idee der Menschheit im Kantischen Sinne ist auch von Platon an einer berühmten Stelle der Politeia ausgesprochen (IX, 589 A B), in der zugleich die Anschauung vom Menschen als dem mit allen Möglichkeiten ausgestatteten Wesen liegt: »… ὁ τὰ δίϰαια λέγων λυσιτελεῖν φαίη ἂν δεῖν ταῦτα πράττ ειν ϰαὶ ταῦτα λέγειν, ὅϑεν τοῦ ἀνϑρώπου ὁ έντὸς ἄνϑρωπος ἔσται ἐγϰρατέστατ ος …«

(S. 460, Z. 3-6.) Die ganze Entwicklung, welche Herbert Spencer, Die Prinzipien der Ethik, Stuttgart 1892, Band II, S. 181 f., beschreibt, die Entwicklung vom »Fidschi-Insulaner, der sein Weib töten und aufessen konnte«, von den alten Germanen, bei denen der Mann das Weib »wieder verkaufen und sogar töten durfte«, von den ältesten englischen Zeiten, wo die Braut gekauft wurde und ihr eigener Wille beim Handel nicht in Frage kam, bis auf den heutigen Tag, da die Frau wenigstens von Rechts wegen selbständiges Eigentum besitzen darf – diese ganze Entwicklung ist keineswegs durch irgend welche Bewegungen von seiten der Frauen hervorgerufen, sondern allmählich durch Vervollkommnung der gesetzlichen Institutionen vom Manne herbeigeführt worden.

Ich möchte hier noch Oskar Friedländer anführen, welcher a. a. O. S. 182 f. (Die Gesellschaft, 1902, Heft 15/16) sagt: »Die spärlichen moralischen Elemente, die in der Emanzipationsbewegung enthalten sind, haben übrigens, und das kennzeichnet am besten die innere Bedeutung des ganzen Rummels, ebensowenig als das Keuschheitsideal ihren Ursprung im erhitzten Hirne der für die Emanzipation des Fleisches besonders begeisterten Vorkämpferinnen genommen. Es waren Männer, die jene Elemente zur Geltung brachten, um der unwürdigen ›Hörigkeit der Frau‹ Ende zu bereiten, und die Frauen erschienen erst auf dem Kampfplatze, als der Frontangriff zu ihren Gunsten entschieden war und sie nicht länger mit Ehren fernbleiben konnten. Es spricht wohl deutlich genug, daß gerade in ihren Reihen die erbittertsten Gegner der neuen Richtung erstanden. Die scheinbare Bereitwilligkeit, den veränderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, die aggressive Haltung mancher Frauen darf einen nicht über die wahre Sachlage hinwegtäuschen. Das Hochschulstudium nimmt in diesen Kreisen keinen höheren Rang ein als der Radfahrsport oder das Lawn-Tennis-Spiel: das erforderliche Minimalquantum wissenschaftlicher Bildung zählt heute mit zu den sekundären Geschlechtscharakteren. Den ethischen Kern der Emanzipationstendenz, die Erhebung auf das moralische Niveau des Mannes, haben die Frauen immer als einen lästigen Zwang empfunden, dessen sie sich auch sicherlich entledigen werden, wenn es nur mit Anstand, ohne die gute Meinung ihrer Anwälte allzu offenkundig zu desavouieren, geschehen kann.«


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