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XI. Kapitel. Erotik und Ästhetik

Weiber und Weiberhaß. Erotik und Sexualität. Platonische Liebe und Sinnlichkeit. Problem einer Idee der Liebe. – Die Schönheit des Weibes. Ihr Verhältnis zum Sexualtrieb. Liebe und Schönheit. Der Unterschied der Ästhetik von der Logik und Ethik als Normwissenschaften. Wesen der Liebe. Projektionsphänomen. Schönheit und Sittlichkeit. Schönheit und Vollkommenheit. Natur und Ethik. Naturschönheit und Kunstschönheit. Naturgesetz und Kunstgesetz. Naturzweckmäßigkeit und Kunstzweckmäßigkeit. Die Einzelschönheit. Die Geschlechtsliebe als Schuld. Haß und Liebe als Erleichterungen des moralischen Strebens. Die Schöpfung des Teufels. Liebe und Mitleid. Liebe und Schamhaftigkeit. Liebe und Eifersucht. Liebe und Erlösungsbedürfnis. Das Weib in der Erotik Mittel zum Zweck. Problem des Zusammenhanges von Kind und Liebe, Kind und Sexualität. Grausamkeit nicht nur in der Lust, sondern noch in der Liebe. Liebe und Mord. Liebe als Feigheit, Unrecht, Irrtum. Der Madonnenkult. Die Madonna eine gedankliche Konzeption des Mannes; ohne Grund in der realen Weiblichkeit. Widerstreben gegen die Einsicht in das wahre Weib. Die Liebe des Mannes zum Weibe als Spezialfall. Das Weib nur sexuell, nicht erotisch. Der Schönheitssinn der Frauen. Schön und hübsch. Liebe und Verliebtheit. Wodurch der Mann auf die Frau wirkt. Das Fatum des Weibes. Einordnung der neuen Erkenntnis unter die früheren. Die Liebe als bezeichnend für das Wesen der Menschheit. Warum der Mann das Weib liebt. Möglichkeiten.

 

Die Argumente, mit welchen die Hochwertung der Frau immer wieder zu begründen versucht wird, sind nun, bis auf wenige, noch nachzuholende Dinge, einer Prüfung unterzogen und vom Standpunkte der kritischen Philosophie, auf welchen die Untersuchung, nicht ohne diese Wahl zu begründen, sich gestellt hat, auch widerlegt. Freilich ist wenig Grund zur Hoffnung, daß man in einer Diskussion auf diesen harten Boden sich begeben werde. Das Schicksal Schopenhauers gibt zu denken, dessen niedrige Meinung »Über die Weiber« noch immer darauf zurückgeführt zu werden pflegt, daß ein venetianisches Mädchen, mit dem er ging, sich in den vorübergaloppierenden, körperlich schöneren Byron vergaffte: als ob die schlechteste Meinung von den Frauen der bekäme, der am wenigsten, und nicht vielmehr jener, der am meisten Glück bei ihnen gehabt hat.

Die Methode, statt Gründe mit Gründen zu widerlegen, den Angreifer einfach als Misogynen zu bezeichnen, hat in der Tat viel für sich. Der Haß ist nie über sein Objekt hinaus, und deshalb bringt die Bezeichnung eines Menschen als eines Hassers dessen, worüber er aburteilt, ihn stets mit Leichtigkeit in den Verdacht der Unaufrichtigkeit, Unreinheit, Unsicherheit, die durch die Hyperbel der Anklage und das Pathos der Abwehr zu ersetzen suche, was ihr an innerer Berechtigung gebricht. So verfehlt diese Art der Antwort nie ihren Zweck, die Verteidiger von allem Eingehen auf die eigentliche Frage zu entheben. Sie ist die geschickteste und treffsicherste Waffe jener ungeheuren Mehrzahl unter den Männern, die sich über das Weib nie klar werden will. Denn es gibt keine Männer, welche über die Frauen viel nachdenken und sie dennoch hochhalten, es gibt unter ihnen nur Verächter des Weibes und solche, die über das Weib nie länger und tiefer gedacht haben.

Es ist nun allerdings eine Unsitte, in einer theoretischen Kontroverse auf die psychologischen Motive des Gegners zu rekurrieren und diesen Rekurs statt der Beweise zu brauchen. Ich will auch niemand theoretisch darüber belehren, daß in einem sachlichen Streite die Gegner beide unter die überpersönliche Idee der Wahrheit sich zu stellen haben und ein Ergebnis unabhängig davon sollen zu erreichen suchen, ob und wie sie beide als konkrete Einzelpersonen existieren. Wenn aber von der einen Seite das logische Schlußverfahren folgerichtig bis zu einem gewissen Abschluß gebracht wurde, ohne daß die andere auf den Beweisprozeß an sich eingeht, sondern nur gegen die Konklusionen heftig sich sträubt: dann darf in gewissen Fällen der erste wohl sich erlauben, den zweiten für die Unanständigkeit seines, zum Eingehen auf strenge Deduktion nicht zu bewegenden Benehmens zu strafen, indem er ihm die Motive seiner Halsstarrigkeit recht vor die Augen rückt. Wären dem anderen diese Gründe bewußt, so würde er sie auch sachlich abwägen gegen die Wirklichkeit, die seinen Wünschen so widerstreitet. Nur weil sie ihm unbewußt waren, darum konnte er, sich selbst gegenüber, nicht zu einer objektiven Stellung gelangen. Deshalb soll jetzt, nach einer langen Reihe streng logischer und sachlicher Ableitungen, der Spieß umgekehrt, und einmal der Frauenverteidiger darauf untersucht werden, aus welchem Gefühle das Pathos seiner Parteinahme stammt: inwiefern es seine Wurzeln in lauterer und wie weit es sie in fragwürdiger Gesinnung hat.

Alle Einwände, welche dem Verächter der Weiblichkeit gemacht werden, gehen gefühlsmäßig samt und sonders aus dem erotischen Verhältnisse hervor, in welchem der Mann zu der Frau steht. Dieses Verhältnis ist von dem nur sexuellen, mit welchem bei den Tieren die Beziehungen der Geschlechter erschöpft sind, und das auch unter den Menschen dem Umfang nach die weitaus größere Rolle spielt, ein prinzipiell durchaus Verschiedenes. Es ist vollkommen verfehlt, daß Sexualität und Erotik, Geschlechtstrieb und Liebe, im Grunde nur ein und dasselbe seien, die zweite eine Verbrämung, Verfeinerung, Umnebelung, »Sublimation« des ersten; obwohl hierauf wohl alle Mediziner schwören, ja selbst Geister wie Kant und Schopenhauer nichts anderes geglaubt haben. Ehe ich auf die Begründung dieser schroffen Trennung eingehe, will ich, was diese beiden Männer betrifft, folgendes zu bemerken nicht unterlassen. Kantens Meinung kann aus dem Grunde nicht maßgebend sein, weil er sowohl die Liebe als den Geschlechtstrieb nur in so geringem Maße gekannt haben muß, wie überhaupt nie ein Mensch außer ihm. Er war so wenig erotisch, daß er nicht einmal das Bedürfnis hatte, zu reisen. Den in diesen Worten behaupteten Zusammenhang zwischen dem erotischen Bedürfnis und der Reiselust vermochten einige Leser, deren verwunderten Fragen ich Rede zu stehen hatte, nicht zu finden. Es ist zunächst aber, daß dieses Bedürfnis einem gewissen Ungenügen, einer Art unbestimmter Sehnsucht entspringen muß. Ich antizipiere freilich die im folgenden dargelegte Theorie der Erotik, wenn ich eine tiefere Analyse in Begriffen versuche. Wie die Zeit ins Unendliche verlängert wird, weil alle Zeitlichkeit Endlichkeit ist, und der Mensch der Endlichkeit zu entgehen trachtet, so wird auch, aus der gleichen Ursache, die andere Form der Sinnlichkeit, der Raum, als unendlich gedacht. Die Befreiung von der Zeit liegt aber nicht in einer noch so großen, unendlichen Erstreckung der Zeitlinie, sondern in ihrer Negation: die Ewigkeit ist nicht die längste Zeit, eher die kürzeste; sie ist völlige Aufhebung der Zeit. Diesem Ungenügen an jeder bestimmten Zeit, an der Zeitlichkeit, entspricht im Menschen ein Ungenügen an jedem bestimmten Räume; und dem Verlangen nach Ewigkeit dort, antwortet hier ein Verlangen nach der eigentlichen Heimat des Menschen, die er nirgends, an irgend einem konkreten Punkte des Weltalls weiß, und doch immerwährend dort sucht, ohne finden zu können; so entsteht die Unendlichkeit des Raumes, da an keiner Grenze Ausrasten und Einhalt wäre. Nur darum verläßt der Mensch jeden einzelnen Ort und pilgert immer wieder nach neuen Gegenden, wie er jede einzelne Zeit überwindet durch seinen Willen zum Leben. Freilich ist sein Streben auch hier ein vergebliches; der Raum erweitert sich ins Unendliche und bleibt doch Raum, und alles Wandern und Reisen bringt nur von begrenzter Stätte zu begrenzter Stätte.
Die Unfreiheit des Menschen liegt in der räumlichen Bestimmtheit nicht minder als in der zeitlichen; sie sind beide nur Wille vom Funktionalismus weg, Wille zur Freiheit. So heroisch aber das Freiheitsleben auch als Streben zur Überwindung des Raumes ist, so tragisch muß es enden, wenn es äußerlich gefaßt erscheint, wie im Bedürfnis zu reisen – so heldenhaft, so unglücklich auch diese Liebe.
Er steht also zu hoch und zu rein da, um in dieser Frage als Autorität mitzusprechen: die einzige Geliebte, an der er sich gerächt hat, war die Metaphysik. Und was Schopenhauer anlangt, so hat dieser eben wenig Verständnis für höhere Erotik, sondern nur eines für sinnliche Sexualität besessen. Dies läßt sich auf folgendem Wege ohne Schwierigkeit ableiten. Schopenhauers Gesicht zeigt wenig Güte und viel Grausamkeit (unter der er allerdings am fürchterlichsten selbst gelitten haben muß: man stellt keine Mitleidsethik auf, wenn man selbst sehr mitleidig ist. Die mitleidigsten Menschen sind die, welche sich ihr Mitleiden am meisten verübeln: Kant und Nietzsche). Aber nur zum Mitleiden stark veranlagte Menschen sind, worauf schon hier hingewiesen werden darf, einer heftigen Erotik fähig; solche, die »an nichts keinen Anteil nehmen«, sind der Liebe unfähig. Es müssen dies nicht satanische Naturen sein, im Gegenteil, sie können sittlich sehr hoch stehen, ohne doch recht zu bemerken, was ihr Nebenmensch gerade denkt oder was in ihm vorgeht; und ohne ein Verständnis für ein übersexuelles Verhältnis zum Weibe zu besitzen. So ist es auch bei Schopenhauer. Er war ein extrem unter dem Geschlechtstriebe leidender Mensch, er hat aber nie geliebt; wäre doch sonst auch die Einseitigkeit seiner berühmten »Metaphysik der Geschlechtsliebe« unerklärlich, deren wichtigste Lehre es ist, daß der unbewußte Endzweck auch aller Liebe nichts weiter sei als »die Zusammensetzung der nächsten Generation«.

Diese Ansicht ist, wie ich zeigen zu können glaube, falsch. Zwar eine Liebe, die ganz frei von Sinnlichkeit ist, gibt es in der Erfahrung nicht. Der Mensch, mag er noch so hoch stehen, ist eben immer auch Sinnenwesen. Worauf es ankommt und was unwiderstehlich die gegnerische Ansicht zu Boden schlägt, ist, daß jede Liebe selbst, an und für sich – nicht erst durchs Hinzutreten asketischer Grundsätze – feindlich gegen alle jene Elemente des Verhältnisses sich stellt, die zum Koitus drängen, ja sie als ihre eigene Negation selbst empfindet. Liebe und Begehren sind zwei so verschiedene, einander so völlig ausschließende, ja entgegengesetzte Zustände, daß in den Momenten, wo ein Mensch wirklich liebt, ihm der Gedanke der körperlichen Vereinigung mit dem geliebten Wesen ein völlig undenkbarer ist. Daß es keine Hoffnung gibt, die von Furcht ganz frei wäre, ändert nichts daran, daß Hoffnung und Furcht einander gerade entgegengesetzt sind. Nicht anders verhält es sich zwischen dem Geschlechtstrieb und der Liebe. Je erotischer ein Mensch ist, desto weniger wird er von seiner Sexualität belästigt, und umgekehrt. Wenn es keine Anbetung gibt, die von Begierde gänzlich frei wäre, so darf man darum beide Dinge nicht identifizieren, die höchstens entgegengesetzte Phasen sein mögen, in welche ein reicherer Mensch sukzessive eintreten kann. Der lügt oder hat nie gewußt, was Liebe ist, der behauptet, eine Frau noch zu lieben, die er begehrt: so verschieden sind Liebe und Geschlechtstrieb. Darum wird es auch fast immer als eine Heuchelei empfunden, wenn einer von Liebe in der Ehe spricht.

Dem stumpfen Blicke, der dem gegenüber noch immer, wie aus grundsätzlichem Zynismus, an der Identität beider festhält, sei folgendes zu schauen gegeben: die sexuelle Anziehung wächst mit der körperlichen Nähe, die Liebe ist am stärksten in der Abwesenheit der geliebten Person, sie bedarf der Trennung, einer gewissen Distanz, um am Leben zu bleiben. Ja, was alle Reisen in ferne Länder nicht erreichen konnten, daß wahre Liebe sterbe, wo aller Zeitverlauf dem Vergessen nichts fruchtete, da kann eine zufällige, unbeabsichtigte körperliche Berührung mit der Geliebten den Geschlechtstrieb wachrufen und es vermögen, die Liebe auf der Stelle zu töten. Und für den höher differenzierten, den bedeutenden Menschen haben das Mädchen, das er begehrt, und das Mädchen, das er nur lieben, aber nie begehren könnte, sicherlich immer eine ganz verschiedene Gestalt, einen verschiedenen Gang, eine verschiedene Charakteranlage: es sind zwei gänzlich verschiedene Wesen.

Es gibt also »platonische« Liebe, wenn auch die Professoren der Psychiatrie nichts davon halten. Ich möchte sogar sagen: es gibt nur »platonische« Liebe. Denn was sonst noch Liebe genannt wird, gehört in das Reich der Säue. Es gibt nur eine Liebe: es ist die Liebe zur Beatrice, die Anbetung der Madonna. Für den Koitus ist ja die babylonische Hure da.

Kantens Aufzählung der transzendentalen Ideen bedürfte, sollte dies haltbar bleiben, einer Erweiterung. Auch die reine, hohe, begehrungslose Liebe, die Liebe Platons und Brunos, wäre eine transzendentale Idee, deren Bedeutung als Idee dadurch nicht berührt würde, daß keine Erfahrung jemals sie völlig verwirklicht aufwiese.

Es ist das Problem des » Tannhäuser«. Hie Tannhäuser, hie Wolfram; hie Venus, hie Maria. Die Tatsache, daß ein Liebespaar, das sich wirklich auf ewig gefunden hat – Tristan und Isolde –, in den Tod geht statt ins Brautbett, ist ein ebenso absoluter Beweis eines Höheren, sei's drum, Metaphysischen im Menschen, wie das Märtyrertum eines Giordano Bruno.

»Dir, hohe Liebe, töne
Begeistert mein Gesang,
Die mir in Engelschöne
Tief in die Seele drang!
Du nahst als Gottgesandte:
Ich folg' aus holder Fern', –
So führst du in die Lande,
Wo ewig strahlt dein Stern.«

*

Wer ist der Gegenstand solcher Liebe? Dasselbe Weib, das hier geschildert wurde, das Weib ohne alle Qualitäten, die einem Wesen Wert verleihen können, das Weib ohne den Willen nach einem eigenen Werte? Wohl kaum: es ist das überschöne, das engelreine Weib, das mit dieser Liebe geliebt wird. Woher jenem Weibe seine Schönheit und seine Keuschheit kommt, das ist nun die Frage.

Es ist häufig darüber gestritten worden, ob wirklich das weibliche Geschlecht das schönere sei, und noch mehr wurde seine Bezeichnung als das schöne schlechthin angefochten. Es wird sich empfehlen, zunächst im einzelnen zu fragen, von wem und inwiefern das Weib schön gefunden wird.

Bekannt ist, daß das Weib nicht in seiner Nacktheit am schönsten ist. Allerdings, in der Reproduktion durch das Kunstwerk, als Statue oder als Bild, mag das unbekleidete Weib schön sein. Aber das lebende nackte Weib kann schon aus dem Grunde von niemand schön gefunden werden, weil der Geschlechstrieb jene bedürfnislose Betrachtung unmöglich macht, welche für alles Schönfinden ununmgängliche Voraussetzung bleibt. Aber auch abgesehen hievon erzeugt das völlig nackte lebendige Weib den Eindruck von etwas Unfertigem, noch nach etwas außer sich Strebenden, und dieser ist mit der Schönheit unverträglich. Das nackte Weib ist im einzelnen schöner denn als Ganzes; als solches nämlich erweckt es unvermeidlich das Gefühl, daß es etwas suche, und bereitet darum dem Beschauer eher Unlust als Lust. Am stärksten tritt dieses Moment des Insichzwecklosen, des einen Zweck außer sich habenden, am aufrecht stehenden nackten Weibe hervor; durch die liegende Position wird es naturgemäß gemildert. Die künstlerische Darstellung des nackten Weibes hat dies wohl empfunden; und wenn das nackte Weib aufrecht stehend oder schwebend gebildet ward, so zeigte sie das Weib nie allein, sondern stets mit Rücksicht auf eine Umgebung, vor welcher es dann seine Blöße mit der Hand zu bedecken suchen konnte.

Aber das Weib ist auch im einzelnen nicht durchaus schön, selbst wenn es möglichst vollkommen und ganz untadelig den körperlichen Typus seines Geschlechtes repräsentiert. Was hier theoretisch am meisten in Betracht kommt, ist das weibliche Genitale. Wenn die Meinung recht hätte, daß alle Liebe des Mannes zum Weibe nur zum Hirn gestiegener Detumeszenztrieb ist, wenn Schopenhauers Behauptung haltbar wäre: »Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen konnte nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt: in diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schönheit« – – so müßte das weibliche Genitale am heftigsten geliebt sein und vom ganzen Körper des Weibes am schönsten gefunden werden. Aber, von einigen widerlichen Lärmmachern der letzten Jahre zu schweigen, welche durch die Aufdringlichkeit ihrer Reklame für die Schönheit des weiblichen Genitales sowohl beweisen, daß erst eine Agitation nötig ist, um hieran glauben zu machen, als auch die Unaufrichtigkeit jener Reden erkennen lassen, von deren Inhalt sie überzeugt zu sein vorgeben: von diesen abgesehen läßt sich behaupten, daß kein Mann speziell das weibliche Genitale schön, vielmehr ein jeder es häßlich findet; es mögen gemeine Naturen durch diesen Körperteil des Weibes besonders zu sinnlicher Begierde gereizt werden, jedoch gerade solche werden ihn vielleicht sehr angenehm, nie aber schön finden. Die Schönheit des Weibes kann also kein bloßer Effekt des Sexualtriebes sein; sie ist ihm vielmehr geradezu entgegengesetzt. Männer, die ganz unter der Gewalt des Geschlechtsbedürfnisses stehen, haben für Schönheit am Weibe gar keinen Sinn; Beweis hiefür ist, daß sie ganz wahllos jede Frau begehren, die sie erblicken, bloß nach den vagen Formen ihrer Körperlichkeit.

Der Grund für die angeführten Phänomene, die Häßlichkeit des weiblichen Genitales und die Unschönheit seines lebenden Körpers als ganzen, kann nirgend anders gefunden werden als darin, daß sie das Schamgefühl im Manne verletzen. Die kanonische Flachköpfigkeit unserer Tage hat es auch möglich werden lassen, daß das Schamgefühl aus der Tatsache der Kleidung abgeleitet und hinter dem Widerstreben gegen weibliche Nacktheit nur Unnatur und versteckte Unzüchtigkeit vermutet wurde. Aber ein Mann, der unzüchtig geworden ist, wehrt sich gar nicht mehr gegen die Nacktheit, weil sie ihm als solche nicht mehr auffällt. Er begehrt bloß, er liebt nicht mehr. Alle wahre Liebe ist schamhaft, ebenso wie alles wahre Mitleid. Es gibt nur eine Schamlosigkeit: die Liebeserklärung, von deren Aufrichtigkeit ein Mensch im selben Momente überzeugt wäre, in dem er sie machte. Diese würde das objektive Maximum an Schamlosigkeit repräsentieren, welches denkbar ist; es wäre etwa so, wie wenn jemand sagen würde: ich bin sehnsüchtig. Jenes wäre die Idee der schamlosen Handlung, dies die Idee der schamlosen Rede. Beide sind nie verwirklicht, weil alle Wahrheit schamhaft ist. Es gibt keine Liebeserklärung, die nicht eine Lüge wäre: und wie dumm die Frauen doch eigentlich sind, kann man daraus ersehen, wie oft sie an Liebesbeteuerungen glauben.

In der Liebe des Mannes, die stets schamhaft ist, liegt nach alldem der Maßstab für das, was am Weibe schön, und das, was an ihm häßlich gefunden wird. Es ist hier nicht wie in der Logik: das Wahre der Maßstab des Denkens, der Wahrheitswert sein Schöpfer; nicht wie in der Ethik: das Gute das Kriterium für das Sollen, der Wert des Guten ausgestattet mit dem Anspruch, den Willen zum Guten zu lenken: sondern hier, in der Ästhetik, wird die Schönheit erst von der Liebe geschaffen; es besteht keinerlei innerer Normzwang, das zu lieben, was schön ist, und das Schöne tritt nicht an den Menschen mit dem Anspruch heran, geliebt zu werden. (Nur darum gibt es keinen überindividuellen, allein »richtigen« Geschmack.) Alle Schönheit ist vielmehr selbst erst eine Projektion, eine Emanation des Liebesbedürfnisses; und so ist auch die Schönheit des Weibes nicht ein von der Liebe Verschiedenes, nicht ein Gegenstand, auf den sie sich richtet, sondern die Schönheit des Weibes ist die Liebe des Mannes, beide sind nicht zweierlei, sondern eine und dieselbe Tatsache. Wie Häßlichkeit von Hassen, so kommt Schönheit von Lieben. Und auch darin, daß Schönheit so wenig wie Liebe mit dem sinnlichen Triebe zu tun hat, daß jene wie diese der Begierde fremd ist, drückt sich nur diese selbe Tatsache aus. Die Schönheit ist ein Unberührbares, Unantastbares, mit anderem Unvermengbares; nur aus völliger Weite kann sie wie nahe geschaut werden, und vor jeder Annäherung entfernt sie sich. Der Geschlechtstrieb, der die Vereinigung mit dem Weibe sucht, vernichtet dessen Schönheit; das betastete, das besessene Weib wird von niemand mehr der Schönheit wegen angebetet.

Dies leitet nun auch über zur Beantwortung der zweiten Frage: Was ist die Unschuld, was die Moralität des Weibes?

Von einigen Tatsachen, welche den Beginn jeder Liebe begleiten, wird hiezu am besten ausgegangen. Reinheit des Leibes ist, wie schon einmal angedeutet, beim Manne im allgemeinen ein Zeichen von Sittlichkeit und Aufrichtigkeit; wenigstens sind körperlich schmutzige Menschen kaum je von sehr lauterer Gesinnung. Nun kann man beobachten, wie Menschen, die sonst durchaus nicht sehr auf die Reinlichkeit ihres Leibes achten, in den Zeiten, da sie zu größerer Anständigkeit des Charakters sich aufraffen, auch stets häufiger und ausgiebiger sich waschen. Ebenso werden nun auch Menschen, die nie sauber gewesen sind, für die Dauer einer Liebe plötzlich aus innerem Triebe reinlichkeitsbedürftig, und diese kurze Spanne Zeit ist oft die einzige ihres Lebens, wo sie unter ihrem Hemde nicht unflätig aussehen. Schreiten wir zum Geistigen vor, so sehen wir, wie bei vielen Menschen Liebe mit Selbstanklagen, Kasteiungs- und Sühnungsversuchen beginnt. Eine moralische Einkehr fängt an, von der Geliebten scheint auch eine innere Läuterung auszugehen, auch wenn der Liebende nie mit ihr gesprochen, ja sie nur wenige Male aus der Ferne gesehen hat. Dieser Prozeß kann also unmöglich in dem geliebten Wesen selbst seinen Grund haben: die Geliebte ist nur zu oft ein Backfisch, nur zu oft eine Kuh, nur zu oft eine lüsterne Kokette, und niemand nimmt für gewöhnlich an ihr überirdische Eigenschaften wahr als eben derjenige, der sie liebt. Ist es also zu glauben, daß diese konkrete Person geliebt werde in der Liebe, oder dient sie nicht vielmehr einer unvergleichlich größeren Bewegung nur als Ausgangspunkt?

In aller Liebe liebt der Mann nur sich selbst. Nicht seine Subjektivität, nicht das, was er, als ein von aller Schwäche und Gemeinheit, von aller Schwere und Kleinlichkeit behaftetes Wesen wirklich vorstellt; sondern das, was er ganz sein will und ganz sein soll, sein eigenstes, tiefstes, intelligibles Wesen, frei von allen Fetzen der Notwendigkeit, von allen Klumpen der Erdenheit. In seiner zeitlich-räumlichen Wirksamkeit ist dieses Wesen vermengt mit den Schlacken sinnlicher Beschränktheit, es ist nicht als reines, strahlendes Urbild vorhanden; wie tief er auch in sich gehen mag, er findet sich getrübt und befleckt, und sieht nirgends das, was er sucht, in weißer, makelloser Reinheit. Und doch bedarf er nichts so dringend, ersehnt er nichts so heiß, als ganz und gar er selbst und nichts anderes zu sein. Das eine aber, wonach er strebt, das Ziel, erblickt er nicht in hellem Glanze und unverrückter Festigkeit auf dem Grunde des eigenen Wesens, und darum muß er es draußen denken, um so ihm leichter nacheifern zu können. Er projiziert sein Ideal eines absolut wertvollen Wesens, das er innerhalb seiner selbst zu isolieren nicht vermag, auf ein anderes menschliches Wesen, und das und nichts anderes bedeutet es, wenn er dieses Wesen liebt. Nur wer selbst schuldig geworden ist, und seine Schuld fühlt, ist dieses Aktes fähig: darum kann das Kind noch nicht lieben. Nur weil die Liebe das höchste, stets unerreichte Ziel aller Sehnsucht so darstellt, als wäre es irgendwo in der Erfahrung verwirklicht und nicht bloß in der Idee vorhanden; nur indem sie es, ohne alle Beimischungen und Formenflecken, im Nebenmenschen lokalisiert, und so gleichzeitig eben der Tatsache Ausdruck gibt, daß im Liebenden selbst das Ideal der Erfüllung noch so ferne ist: nur darum kann mit der Liebe zugleich das Streben nach Läuterung neu erwachen, ein Hinwollen zu einem Ziele, das von höchster geistiger Natur ist und somit keine körperliche Verunreinigung durch räumliche Annäherung an die Geliebte duldet; darum ist Liebe die höchste und stärkste Äußerung des Willens zum Werte, darum kommt in ihr wie in nichts auf der Welt das eigentliche Wesen des Menschen zum Vorschein, das zwischen Geist und Körper, zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit gebannt ist, an der Gottheit wie am Tiere Anteil hat. Der Mensch ist in jeder Weise erst dann ganz er selbst, wenn er liebt. Nicht wenn er spielt ( Schiller) So erklärt sich's, daß viele Menschen erst als Liebende an das eigene Ich und an das fremde Du zu glauben beginnen, die, wie sich längst zeigte, nicht nur grammatikalische, sondern auch ethische Wechselbegriffe sind; so ist die große Rolle nicht länger unverständlich, welche in jedem Liebesverhältnis die Namen der beiden Liebenden spielen. So wird deutlich, warum viele Menschen zuerst in der Liebe von ihrer eigenen Existenz Kenntnis erhalten, und nicht früher von der Überzeugung durchdrungen werden, daß sie eine Seele besitzen. Vgl. S. 209. So, daß der Liebende zwar die Geliebte um keinen Preis durch seine Nähe verunreinigen möchte, aber sie doch aus der Ferne oft zu sehen trachtet, um sich ihrer – seiner – Existenz zu vergewissern. So, daß gar mancher unerweichliche Empirist, nun, da er liebt, zum schwärmerischen Mystiker wird, wofür der Vater des Positivismus, Auguste Comte, selbst das Beispiel gegeben hat, durch die Umwälzung seines ganzen Denkens, als er Clotilde de Vaux kennenlernte. Nicht nur für den Künstler, für den Menschen überhaupt gibt es psychologisch ein: Amo, ergo sum.

So ist die Liebe ein Projektionsphänomen gleich dem Haß, kein Äquationsphänomen gleich der Freundschaft. Voraussetzung dieser ist gleiche Geltung beider Individuen; Liebe ist stets ein Setzen der Ungleichheit, der Ungleichwertigkeit. Alles, was man selbst sein möchte und nie ganz sein kann, auf ein Individuum häufen, es zum Träger aller Werte machen, das heißt lieben. Sinnbildlich für diese höchste Vollendung ist die Schönheit. Darum wundert, ja entsetzt es so oft den Liebenden, wenn er sich überzeugt, daß im schönen Weibe nicht auch Sittlichkeit wohne, und er beschuldigt die Natur des Betruges, weil in einem »so schönen Körper« »so viel Verworfenheit« sein könne; er bedenkt nicht, daß er das Weib nur deshalb noch schön findet, weil er es noch liebt: denn sonst würde ihn auch die Inkongruenz zwischen Innerem und Äußerem nicht mehr schmerzen. Die gewöhnliche Gassendirne scheint deshalb nie schön, weil es hier von vornherein unmöglich ist, eine Projektion von Wert zu vollziehen; sie kann nur des ganz gemeinen Menschen Geschmack befriedigen, sie ist die Geliebte des unsittlichsten Mannes, des Zuhälters. Hier liegt eine dem Moralischen entgegengesetzte Beziehung offensichtlich zutage; das Weib im allgemeinen ist aber nur indifferent gegen alles Ethische, es ist amoralisch, und kann darum, anders als der antimoralische Verbrecher, den instinktiv niemand liebt, oder der Teufel, den jedermann sich häßlich vorstellt, für den Akt der Wertübertragung eine Grundlage abgeben; da es weder guttut, noch sündigt, sträubt sich nichts in ihm und an ihm gegen diese Kollokation des Ideals in seine Person. Die Schönheit des Weibes ist nur sichtbar gewordene Sittlichkeit, aber diese Sittlichkeit ist selbst die des Mannes, die er, in höchster Steigerung und Vollendung, auf das Weib transponiert hat.

Weil alle Schönheit immer nur einen abermals erneuten Verkörperungsversuch des höchsten Wertes darstellt, darum ist vor allem Schönen ein Gefühl des Gefundenhabens, dem gegenüber jede Begierde, jedes selbstische Interesse schweigt. Alle Formen, die der Mensch schön findet, sind vermöge seiner ästhetischen Funktion, die Sittliches und Gedankliches in Sinnlichkeit umsetzt, ebenso viele Versuche von seiner Seite, das Höchste sichtbar zu realisieren. Schönheit ist das Symbol des Vollkommenen in der Erscheinung. Darum ist Schönheit unverletzlich, darum ist sie statisch und nicht dynamisch, darum hebt jede Änderung im Verhalten zu ihr sie schon auf und vernichtet ihren Begriff. Die Liebe zum eigenen Werte, die Sehnsucht nach Vollkommenheit zeugt in der Materie die Schönheit. So wird die Schönheit der Natur geboren, die der Verbrecher nimmer wahrnimmt, weil eben die Ethik erst die Natur schafft. So erklärt sich's, daß die Natur immer und überall, in der größten und kleinsten ihrer Bildungen, den Eindruck des Vollendeten hervorruft. So ist auch das Naturgesetz nur ein sinnliches Symbol des Sittengesetzes, wie die Naturschönheit der sinnenfällig gewordene Adel der Seele; so die Logik die verwirklichte Ethik. Wie die Liebe ein neues Weib für den Mann schafft statt des realen Weibes, so schafft die Kunst, die Erotik des Alls, aus dem Chaos die Formenfülle im Universum; und wie es keine Naturschönheit gibt ohne Form, ohne Naturgesetz, so auch keine Kunst ohne Form, keine Kunstschönheit, die nicht ihren Regeln gehorcht. Denn die Naturschönheit zeigt die Kunstschönheit nicht anders verwirklicht als das Naturgesetz das Sittengesetz, als die Naturzweckmäßigkeit jene Harmonie, deren Urbild über dem Geiste des Menschen thront. Ja, die Natur, die der Künstler seine ewige Lehrmeisterin nennt, sie ist nur die von ihm selbst geschaffene Norm seines Schaffens, nicht in begrifflicher Konzentration, sondern in anschaulicher Unendlichkeit. So sind, um eines als Beispiel zu nennen, die Sätze der Mathematik die verwirklichte Musik (und nicht umgekehrt), Mathematik selbst die konforme Abbildung der Musik aus dem Reiche der Freiheit auf das Reich der Notwendigkeit, und darum das Sollen aller Musiker ein mathematisches. Die Kunst schafft also die Natur, und nicht die Natur die Kunst.

Von diesen Andeutungen, welche, wenigstens teilweise, eine Ausführung und Weiterbildung der tiefen Gedanken Kantens und Schellings (und des von ihnen beeinflußten Schiller) über die Kunst sind, kehre ich zum Thema zurück. Als Resultat für dessen Zwecke steht nun fest, daß der Glaube an die Sittlichkeit des Weibes, die »Introjektion« der Seele des Mannes in das Weib, und die schöne äußere Erscheinung des Weibes eine und dieselbe Tatsache sind, die letztere nur der sinnenfällige Ausdruck des ersteren. Begreiflich, aber eine Umkehrung des wahren Verhältnisses ist es also, wenn man von einer »schönen Seele« im moralischen Sinne spricht, oder nach Shaftesbury und Herbart die Ethik der Ästhetik unterordnet: man mag mit Sokrates und Antisthenes τὸ ϰαλόν und τἀγαϑόν für identisch halten, aber man darf nicht vergessen, daß Schönheit nur ein körperliches Bild ist, in dem die Sittlichkeit sich selbst verwirklicht vorstellt, daß alle Ästhetik doch ein Geschöpf der Ethik bleibt. Jeder einzelne und zeitlich begrenzte dieser Inkarnationsversuche ist seiner Natur nach illusorisch, denn er täuscht die erreichte Vollkommenheit nur vor. Darum ist alle Einzelschönheit vergänglich, und muß auch die Liebe zum Weibe es sich gefallen lassen, durch das alte Weib widerlegt zu werden. Die Idee der Schönheit ist die Idee der Natur, sie ist unvergänglich, wenn auch alles Einzelschöne, alles Natürliche vergeht. Nur eine Illusion kann im Begrenzten und Konkreten die Unendlichkeit, nur eine Irrung im geliebten Weibe die Vollkommenheit selbst erblicken. Die Liebe zur Schönheit soll sich nicht verlieren an das Weib, um den geschlechtlichen Trieb nach ihm zu überbauen. Wenn alle Liebe zu Personen auf jener Verwechslung beruht, so kann es keine andere denn unglückliche Liebe geben. Aber alle Liebe klammert sich an diesen Irrtum; sie ist der heroischeste Versuch, dort Werte zu behaupten, wo es keine Werte gibt. Die Liebe zum unendlichen Wert, das ist zum Absoluten oder zu Gott, sei es auch in Form der Liebe zur unendlichen sinnenfälligen Schönheit des Naturganzen (Pantheismus), könnte allein die transzendentale Idee der Liebe heißen – wenn es eine solche gibt –, die Liebe zu allem Einzelding, und auch zum Weibe, ist schon ein Abfall von der Idee, eine Schuld.

Warum der Mensch diese Schuld auf sich lädt, ist im Früheren schon enthalten. So wie aller Haß nur üble Eigenschaften, die man selbst besitzt, auf den Nebenmenschen projiziert, um sie dort in einer desto abschreckenderen Vereinigung zu zeigen; wie der Teufel nur erfunden wurde, um die bösen Triebe im Menschen außer ihm darzustellen, und ihm den Stolz und die Kraft des Kämpfers zu leihen: so verfolgt auch die Liebe nur den Zweck, dem Menschen den Kampf um das Gute zu erleichtern, das er als Gedanken in sich allein zu ergreifen noch zu kraftlos ist. Beides, Haß und Liebe, ist darum eine Feigheit. Im Hasse spiegelt man sich vor, daß man von jemand anderem bedroht sei, um sich selbst hiedurch bereits als die angegriffene Reinheit zu fingieren, statt es sich zu gestehen, daß man das Böse aus sich selbst auszujäten habe, und daß es nirgend anders als im eigenen Herzen niste. Man konstruiert den Bösen; um sich die Genugtuung zu bereiten, ihm ein Tintenfaß an den Kopf geworfen zu haben. Nur darum ist der Teufelsglaube unsittlich: weil er eine unstatthafte Erleichterung des Kampfes darstellt und eine Abwälzung der Schuld. Durch die Liebe versetzt man, wie im Haß die Idee des eigenen Unwertes, die Idee des eigenen Wertes in ein Wesen, das zu ihrer Aufnahme geeignet scheint: der Satan wird häßlich, die Geliebte schön. So entbrennt man in beiden Fällen, durch eine Gegenüberstellung, durch die Verteilung von Gut und Böse auf zwei Personen, leichter für die moralischen Werte. Ist aber alle Liebe zu Einzelwesen statt zur Idee eine sittliche Schwäche, so muß dies auch in den Gefühlen des Liebenden zum Vorschein kommen. Niemand begeht ein Verbrechen, ohne daß ihm dies durch ein Schuldgefühl angezeigt würde. Nicht ohne Grund ist die Liebe das schamhafteste Gefühl: sie hat Ursache, sich zu schämen, weit mehr noch als das Mitleid. Der Mensch, den ich bemitleide, bekommt von mir etwas, im Akte des Mitleidens selbst gebe ich ihm aus meinem eingebildeten oder wesentlichen Reichtum; die Hilfe ist so nur ein Sichtbarwerden dessen, was bereits im Mitleiden lag. Der Mensch, den ich liebe, von dem will ich etwas, ich will zum mindesten, daß er mich nicht durch unschöne Gebärden oder gemeine Züge in meiner Liebe zu ihm störe. Denn durch die Liebe will ich mich irgendwo gefunden haben, statt weiter zu suchen und zu streben, ich will aus der Hand eines Nebenmenschen nichts weniger, nichts anderes empfangen, als mich selbst, ich will von ihm – mich!

Das Mitleid ist schamhaft, weil es den anderen tiefer gestellt zeigt als mich, weil es ihn erniedrigt. Die Liebe ist schamhaft, weil ich mich durch sie tiefer stelle als den anderen; in ihr wird aller Stolz des Individuums am weitesten vergessen, und das ist ihre Schwäche, darum schämt sie sich. So ist das Mitleid der Liebe verwandt, und hieraus erklärt sich, daß nur, wer das Mitleid kennt, auch die Liebe kennt. Und doch schließen sich beide aus: man kann nie lieben, wen man bemitleidet, und nie bemitleiden, wen man liebt. Denn im Mitleid bin ich selbst der feste Pol, in der Liebe ist es der andere; die Richtung beider Affekte, ihr Vorzeichen ist das Entgegengesetzte. Im Mitleid bin ich Geber, in der Liebe Bettler. Die Liebe ist die schamhafteste von allen Bitten, weil sie um das Meiste, um das Höchste bettelt. Darum schlägt sie in den jähesten, rachsüchtigsten Stolz so schnell über, wenn ihr durch den anderen unvorsichtig oder rücksichtslos zum Bewußtsein gebracht wird, um was sie eigentlich gefleht hat.

Alle Erotik ist voll von Schuldbewußtsein. In der Eifersucht tritt zutage, auf welch unsicheren Grund die Liebe gebaut ist. Eifersucht ist die Kehrseite jeder Liebe, und offenbart deren ganze Unsittlichkeit. Durch Eifersucht wird über den freien Willen des Nebenmenschen eine Gewalt angemaßt. So begreiflich sie gerade der hier entwickelten Theorie ist, indem durch Liebe das reine Selbst des Liebenden in der Geliebten lokalisiert wird, und auf sein Selbst der Mensch, durch einen erklärlichen Fehlschluß, einen Anspruch leicht stets und an jedem Orte zu haben glaubt: so verrät sie doch, schon weil sie voll Furcht ist, und Furcht wie das verwandte Schamgefühl Beide berühren sich im Begriffe der Scheu (im lateinischen: vereri). sich stets auf eine in der Vergangenheit verübte Schuld bezieht, daß man durch die Liebe etwas erlangen wollte, was man auf diesem Wege nicht verlangen durfte.

Die Schuld, mit welcher in der Liebe der Mensch sich belastet, ist der Wunsch, von jenem Schuldbewußtsein, das ich früher die Voraussetzung und Bedingung aller Liebe nannte, frei zu werden. Statt alle begangene Schuld auf sich zu nehmen und ihre Sühnung durch das weitere Leben zu erreichen, ist die Liebe ein Versuch, von der eigenen Schuld loszukommen und sie zu vergessen, ein Versuch, glücklich zu werden. Statt die Idee der Vollkommenheit selbsttätig zu verwirklichen, will die Liebe die Idee schon als verwirklicht zeigen, sie spiegelt das Wunder als geschehen vor, im anderen Menschen zwar – darum ist sie die feinste List –, aber es ist doch nur die eigene Befreiung vom Übel, die man so ohne Kampf zu erreichen hofft. Hieraus erklärt sich der tiefe Zusammenhang aller Liebe mit dem Erlösungsbedürfnis ( Dante, Goethe, Wagner, Ibsen). Alle Liebe ist selbst nur Erlösungsbedürfnis, und alles Erlösungsbedürfnis noch unsittlich (Kapitel 7, Schluß). Die Liebe überspringt die Zeit und setzt sich über die Kausalität hinweg, ohne eigenes Zutun will sie Reinheit plötzlich und unvermittelt gewinnen. Darum ist sie, als ein Wunder von außen statt von innen, in sich unmöglich, und kann ihren Zweck nie erfüllen, am wenigsten bei jenen Menschen, welche allein eigentlich in ganz unermeßlicher Weise ihrer fähig wären. Sie ist der gefährlichste Selbstbetrug, gerade weil sie den Kampf um das Gute am stärksten zu fördern scheint. Mittelmäßige Menschen mögen durch sie erst ihre Veredlung erfahren; wer ein subtileres Gewissen hat, wird sich hüten, ihrer Täuschung zu erliegen.

Der Liebende sucht im geliebten Wesen seine eigene Seele. Insofern ist die Liebe frei, und nicht jenen Gesetzen der bloß sexuellen Anziehung unterworfen, von denen der erste Teil gehandelt hat. Denn das psychische Leben der Frau gewinnt einen Einfluß, es begünstigt die Liebe, wo es der Idealisierung sich ausnehmend leicht fügt, auch bei geringeren körperlichen Vorzügen und mangelhafter sexueller Ergänzung, und vernichtet ihre Möglichkeit, wenn es gegen jene »Einlegung« zu sichtbar absticht. Dennoch ist, trotz aller Gegensätzlichkeit zwischen Sexualität und Erotik, eine Analogie zwischen ihnen unverkennbar. Die Sexualität benützt das Weib als Mittel, um zur Lust und zum leiblichen Kinde zu gelangen; die Erotik als Mittel, um zum Werte und – zum geistigen Kinde, zur Produktion zu kommen. Es ist ein unendlich tiefes, wenn auch, wie es scheint, wenig verstandenes Wort der platonischen Diotima, daß die Liebe nicht dem Schönen, sondern der Erzeugung und Ausgeburt im Schönen gelte, der Unsterblichkeit im Geistigen, wie der niedere Geschlechtstrieb dem Fortleben in der Gattung. Im Kinde sucht jeder Vater, der leibliche wie der geistige, nur sich selbst zu finden: die konkrete Verwirklichung der Idee seiner selbst, wie sie das Wesen der Liebe ausmacht, ist eben das Kind. Darum sucht der Künstler so oft das Weib, um das Kunstwerk schaffen zu können. »Und jeder sollte lieber solche Kinder haben wollen, wenn er auf Homer und Hesiod und die anderen trefflichen Dichter sieht, nicht ohne Neid, was für Geburten sie zurücklassen, die ihnen unsterblichen Ruhm und Angedenken sichern, indem sie selbst unsterblich sind ... Geehrt ist bei euch auch Solon, weil er Gesetze gezeugt, und viele andere anderwärts unter Hellenen und Barbaren, die viele und schöne Werke dargestellt haben und vielfältig Tugendhaftes gezeugt: denen auch schon viele Heiligtümer errichtet wurden um solcher Kinder willen, menschlicher Kinder wegen aber noch keinem.«

Es ist nicht eine bloß formale Analogie, nicht Überschätzung einer etwa nur zufälligen sprachlichen Übereinstimmung, wenn von geistiger Fruchtbarkeit, geistiger Konzeption und Produktion, oder, wie in diesen Worten Platons, von geistigen Kindern in tieferem Sinne zu reden versucht wird. Wie die leibliche Sexualität der Versuch eines organischen Wesens ist, die eigene Form dauernd zu begründen, so ist auch jede Liebe im Grunde nur das Streben, seelische Form, Individualität, endgültig zu realisieren. Hier liegt die Brücke, welche allen Willen zur eigenen Verewigung (wie man das Gemeinsame der Sexualität und der Erotik nennen könnte) mit dem Kinde verbindet. Geschlechtstrieb und Liebe sind beide Versuche zur Realisierung seiner selbst, der erste sucht das Individuum durch ein körperliches Abbild, die zweite Individualität durch ihr geistiges Ebenbild zu verewigen. Nur der geniale Mensch aber kennt die ganz und gar unsinnliche Liebe, und nur er sucht zeitlose Kinder zu zeugen, in denen sein tiefstes geistiges Wesen zum Ausdruck kommt.

Die Parallele kann noch weiter verfolgt werden. Daß aller Geschlechtstrieb der Grausamkeit verwandt ist, hat man nach Novalis oft wiederholt. Die »Assoziation« hat einen tiefen Grund. Alles, was vom Weibe geboren ist, muß auch sterben, Zeugung, Geburt und Tod stehen in einer unauflöslichen Beziehung; vor einem unzeitigen Tode erwacht in jedem Wesen auf das heftigste der Geschlechtstrieb, als das Bedürfnis, sich noch fortzupflanzen. Und so ist auch der Koitus, nicht nur psychologisch als Akt, sondern auch vom ethischen und naturphilosophischen Gesichtspunkte dem Morde verwandt: er verneint das Weib, aber auch den Mann; er raubt im Idealfall beiden das Bewußtsein, um dem Kinde das Leben zu geben. Einer ethischen Weltanschauung wird es begreiflich sein, daß, was so entstanden ist, auch wieder vergehen muß. Aber auch die höchste Erotik, nicht nur die niederste Sexualität, benützt das Weib nicht als Zweck an sich selbst, sondern stets nur als Mittel zum Zweck, um das Ich des Liebenden rein darzustellen: die Werke eines Künstlers sind immer nur sein auf verschiedenen Etappen festgehaltenes Ich, das er meist in diesem oder in jenem Weibe, und sei es selbst ein Weib seiner Einbildungskraft, zuvor lokalisiert hat.

Die reale Psychologie des geliebten Weibes wird aber hiebei immer ausgeschaltet: im Augenblicke, wo der Mann ein Weib liebt, kann er es nicht durchschauen. In der Liebe tritt man zum Weibe nicht in jenes Verhältnis des Verstehens, welches das einzig sittliche Verhältnis zwischen Menschen ist. Man kann keinen Menschen lieben, den man ganz erkennt, weil man dann gewiß auch die Unvollkommenheiten sehen müßte, die ihm als Menschen notwendig anhaften, Liebe aber nur auf Vollkommenes geht. Liebe zu einem Weibe ist daher nur möglich, wenn sich diese Liebe um die wirklichen Eigenschaften, die eigenen Wünsche und Interessen der Geliebten, soweit sie der Lokalisation höherer Werte in ihrer Person zuwiderlaufen, nicht bekümmert, sondern in schrankenloser Willkür an die Stelle der psychischen Realität des geliebten Wesens eine ganz andere Realität setzt. Der Versuch, sich im Weibe selbst zu finden, statt im Weibe eben nur – das Weib zu sehen, setzt notwendig eine Vernachlässigung der empirischen Person voraus. Dieser Versuch ist also voll Grausamkeit gegen das Weib; und hier liegt die Wurzel des Egoismus aller Liebe, wie auch der Eifersucht, welche das Weib gänzlich nur noch als unselbständiges Besitztum betrachtet, und auf sein inneres Leben gar keine Rücksicht mehr nimmt.

Hiemit vollendet sich die Parallele zwischen der Grausamkeit der Erotik und der Grausamkeit der Sexualität. Liebe ist Mord. Der Geschlechtstrieb negiert das körperliche und das psychische, die Erotik Das Säugen der Mutter ist ein Saugen des Kindes. Soweit reicht die Äquivalenz von Mutterschalt und Sexualität. Die Mutter stirbt fortwährend für das Kind. noch immer das psychische Weib. Die ganz gemeine Sexualität sieht im Weibe einen Apparat zum Onanieren oder eine Kindergebärerin; man kann gegen das Weib nicht niedriger sein, als wenn man ihm seine Unfruchtbarkeit vorhält, und ein erbärmlicheres Zeugnis kann einem Gesetzbuch nicht ausgestellt werden, als wenn es die Sterilität eines Weibes als legalen Grund der Ehescheidung anführt. Die höhere Erotik aber verlangt von der Frau schonungslos, daß sie das männliche Adorationsbedürfnis befriedige und sich möglichst anstandslos lieben lasse, damit der Liebende in ihr sein Ideal von sich verwirklicht sehen und ein geistiges Kind mit ihr zeugen könne. So ist die Liebe nicht nur antilogisch, denn sie setzt sich über die objektive Wahrheit des Weibes und seine wirkliche Beschaffenheit hinweg, sie will nicht nur die Denkillusion, und verlangt nicht nur ungestüm nach dem Betruge der Vernunft: sondern sie ist auch antiethisch gegen das Weib, dem sie die Verstellung und den Schein, die vollkommene Kongruenz mit einem ihr fremden Wunsche, gebieterisch aufnötigen möchte.

Denn die Erotik braucht die Frau nur, um den Kampf zu ebnen und abzukürzen, sie will von ihr immer bloß, daß sie den Ast abgebe, an dem er sich leichter zur Erlösung emporschwinge. So gesteht es ja Paul Verlaine:

»Marie Immaculée, amour essentiel,
Logique de la foi cordiale et vivace,
En vous aimant qu'est-il de bon que je ne fasse,
En vous aimant du seul amour, Porte du Ciel?«

Und fast noch deutlicher lehrt es Goethe im »Faust«:

»Dir, der Unberührbaren,
Ist es nicht benommen,
Daß die leicht Verführbaren
Traulich zu Dir kommen.

In die Schwachheit hingerafft,
Sind sie schwer zu retten;
Wer zerreißt aus eigner Kraft
Der Gelüste Ketten

Fern ist es mir, die heroische Größe zu verkennen, welche in dieser höchsten Erotik, im Madonnenkulte, liegt. Wie könnte ich vor der Außerordentlichkeit des Phänomens meine Augen verschließen, das den Namen Dante führt! Es liegt eine so unermeßliche Abtretung von Wert an das Weib in dem Leben dieses größten Madonnenverehrers, daß selbst der dionysische Trotz, mit dem diese Schenkung aller weiblichen Wirklichkeit entgegen vollzogen wird, den Eindruck vollster Erhabenheit hervorzurufen kaum verfehlt. Es liegt scheinbar eine solche Abnegation seiner selbst in dieser Verkörperung des Zieles aller Sehnsucht in einer irdisch-begrenzten Person, in einem Mädchen noch dazu, das der Künstler einmal, als Neunjähriger, zu Gesicht bekommen, das vielleicht später eine Xanthippe oder eine Fettgans geworden ist; es liegt darin ein derartiger Akt der Projektion aller, das zeitlich Eingeengte des Individuums übersteigenden Werte auf ein an sich gänzlich wertloses Weib, daß man nicht leicht es über sich bringt, die wahre Natur des Vorganges zu enthüllen, und gegen ihn zu sprechen. Aber es bedeutet jede, auch die sublimste Erotik, noch immer eine dreifache Unsittlichkeit: einen unduldsamen Egoismus gegen die wirkliche Frau der Erfahrung, die nur als Mittel zum Zweck der eigenen Hinanziehung benützt, der darum kein selbständiges Leben verstattet wird; mehr noch: eine Felonie gegen sich selbst, ein Davonlaufen vor sich selbst, eine Flüchtung des Wertes in fremdes Land, ein Erlöst – Sein – Wollen, und darum eine Feigheit, eine Schwäche, eine Würdelosigkeit in gerade einen absoluten Unheroismus; drittens endlich eine Abscheu vor der Wahrheit, die man nicht brauchen kann, weil sie der Absicht der Liebe ins Gesicht schlägt, die man nicht zu ertragen vermag, weil man dadurch um die Möglichkeit einer bequemen Erlösung käme.

Diese letzte Unsittlichkeit ist eben diejenige, welche jede Aufklärung über das Weib verhindert, weil sie sie meidet und so die allgemeine Anerkennung der Wertlosigkeit des Weibes an sich wohl stets hintanhalten wird. Die Madonna ist eine Schöpfung des Mannes, nichts entspricht ihr in der Wirklichkeit. Der Madonnenkult kann nicht moralisch sein, weil er die Augen vor der Wirklichkeit verschließt, weil mit ihm der Liebende sich belügt. Der Madonnenkult, von dem ich spreche, der Madonnenkult des großen Künstlers, ist in jeder Beziehung eine völlige Umschaffung des Weibes, die sich nur vollziehen kann, wenn von der empirischen Realität der Frauen gänzlich abgesehen wird; die Einlegung wird bloß dem schönen Körper nach ausgeführt, und sie kann nichts für ihren Zweck verwenden, was dem schroff entgegenstünde, wofür diese Schönheit Symbol werden soll.

Der Zweck dieser Neuschöpfung des Weibes oder das Bedürfnis, aus welchem die Liebe entspringt, ist nun ausführlich genug analysiert worden. Es ist zugleich der Hauptgrund, warum man vor allen Wahrheiten, die für das Weib nachteilig klingen, immer wieder die Ohren sich zuhält. Lieber schwört man auf die weibliche »Schamhaftigkeit«, entzückt sich am weiblichen »Mitleid«, interpretiert das Senken des Blickes beim Backfisch als ein eminent sittliches Phänomen, als daß man mit dieser Lüge die Möglichkeit preisgäbe, das Weib als Mittel zum Zweck der eigenen höheren Wallungen zu benützen, als daß man darauf verzichtete, diesen Weg für die eigene Erlösung sich offen zu lassen.

Hierin liegt also die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach den Motiven, aus welchen an dem Glauben an die weibliche Tugend so zähe festgehalten wird. Man will davon nicht lassen, es zum Gefäß der Idee der eigenen Vollkommenheit zu machen, diese in der Frau als realisiert sich vorzustellen, um mit dem zum Träger des höchsten Wertes gemachten Weibe leichter sein geistiges Kind und besseres Selbst zu realisieren. Der Zustand des Liebenden hat nicht umsonst so viel Ähnlichkeit mit dem des Schaffenden; die ganz besonders große Güte gegen alles, was lebt, die Verlorenheit für alle kleinen konkreten Werte sind beiden gemeinsam, als Zustände, die den liebenden gleich dem produktiven Menschen auszeichnen, und sie dem Philister, für den gerade die materiellen Nichtigkeiten die einzige Realität bilden, stets unbegreiflich und lächerlich erscheinen läßt.

Denn jeder große Erotiker ist ein Genie und alles Genie im Grunde erotisch, auch wenn seine Liebe zum Wert, das ist zur Ewigkeit, zum Weltganzen, nicht in dem Körper eines Weibes Platz findet. Das Verhältnis des Ich zur Welt, das Verhältnis von Subjekt zu Objekt ist nämlich selbst gewissermaßen eine Wiederholung des Verhältnisses von Mann zu Weib in höherer und weiterer Sphäre, oder vielmehr dieses ein Spezialfall von jenem. Wie der Empfindungskomplex zum Objekt umgeschaffen wird, aber nur vom Subjekte und aus diesem heraus, so wird das Weib der Erfahrung aufgehoben durch das Weib der Erotik. Wie der Erkenntnistrieb die sehnsüchtige Liebe zu den Dingen ist, in denen der Mensch immer und ewig nur sich selbst findet, so wird auch der Gegenstand der Liebe im engeren Sinne vom Liebenden selbst erst geschaffen, und er entdeckt in ihm stets nur sein eigenes tiefstes Wesen. So ist die Liebe dem Liebenden eine Parabel: im Brennpunkte steht allerdings sie; aber konjugiert ist die Unendlichkeit – –.

Es fragt sich nun noch, wer diese Liebe kennt, ob nur der Mann übersexuell, oder ob auch das Weib der höheren Liebe fähig ist. Suchen wir hierauf, ganz unabhängig und unbeeinflußt von den bisherigen Ergebnissen, eine Antwort aus der Erfahrung neu zu gewinnen. Diese zeigt ganz unzweideutig, daß W, eine scheinbare Ausnahme abgerechnet, nie mehr als bloß sexuell ist. Die Frauen wollen entweder mehr den Koitus oder mehr das Kind (jedenfalls aber wollen sie geheiratet werden). Die »Liebeslyrik« der modernen Frauen ist nicht nur vollkommen anerotisch, sondern ganz extrem sinnlich; und so kurz die Zeit ist, seit welcher die Frauen mit solchen Erzeugnissen sich hervorwagen, sie haben in dieser Beziehung Kühneres geleistet, als alle Männer je vorher es gewagt haben, und ihre Produkte sind wohl geeignet, die leckersten Erwartungen, die selbst an »Junggesellen-Lektüre« geknüpft werden können, zu befriedigen. Hier ist nirgends von einer keuschen und reinen Neigung die Rede, welche das geliebte Wesen durch die eigene Nähe zu verunreinigen fürchtet. Es handelt sich nur um den tobendsten Orgiasmus und die wildeste Wollust, und so wäre diese Literatur recht eigentlich danach angetan, die Augen über die durchaus nur sexuelle und nicht erotische Natur des Weibes zu öffnen.

Liebe allein erzeugt Schönheit. Haben die Frauen zur Schönheit ein Verhältnis? Es ist keine bloße Redensart, wenn man von den Frauen oft hört: »Ach, wozu braucht denn ein Mann schön zu sein?« Es ist keine bloße Schmeichelei für den Mann und nicht allein darauf berechnet, ihn an seiner Eitelkeit zu fangen, wenn eine Frau ihn um Rat fragt, welche Farben ihr zu einem Kleide am besten passen; sie versteht diese selbst nicht so zu wählen, daß sie ästhetisch wirken könnten. Über eine Anordnung, die Geschmack statt Schönheitssinn verrät, kommt eine Frau ohne männliche Hilfe selbst in ihrer Toilette nicht hinaus. Wäre in der Frau an sich irgend welche Schönheit, trüge sie auch nur einen Maßstab der Schönheit ursprünglich im tieferen Innern, so würde sie nicht vom Manne immerfort es sich versichern lassen wollen, daß sie schön sei.

Und so finden die Frauen auch den Mann nicht eigentlich schön, und je mehr sie mit dem Worte herumwerfen, desto mehr verraten sie, wie fern ihnen jedes Verhältnis zur Idee der Schönheit ist. Es ist der sicherste Maßstab der Schamhaftigkeit eines Menschen, wie oft er das Wort »schön«, diese Liebeserklärung an die Natur, in den Mund nimmt. Wären die Frauen sehnsüchtig nach Schönheit, so dürften sie ihren Namen seltener nennen. Sie haben aber kein Bedürfnis nach Schönheit und können keines haben, weil nur die sozial anerkannte äußere Erscheinung in solchem Sinne auf sie wirkt. Schön aber ist nicht, was gefällt; so oft diese Definition auch aufgestellt wird, so falsch ist sie, so gerade läuft sie dem Sinn des Wortes zuwider. Hübsch ist, was gefällt; schön ist, was der einzelne liebt. Hübschsein ist immer allgemein, Schönheit stets individuell. Darum ist alles wahrhafte Schön-Finden schamhaft, denn es ist aus der Sehnsucht geboren, und die Sehnsucht aus der Unvollkommenheit und Bedürftigkeit des Einsamen. Eros ist der Sohn des Poros und der Penia, der Sprößling aus der Verbindung von Reichtum und Armut. Um etwas schön zu finden, dazu gehört, als zur Objektivität einer Liebe, Individualität, nicht nur Individuation; bloßes Hübschsein ist gesellschaftliche Münze. Das Schöne wird geliebt, ins Hübsche pflegen die Leute sich zu verlieben. Liebe ist stets hinauswollend, transzendent, weil sie der Ungenügsamkeit des an die Subjektivität gefesselten Subjektes entstammt. Wer bei den Frauen solches Mißvergnügen vorzufinden meint, ist ein schlechter Deuter und Unterscheider. W ist höchstens verliebt, M liebt; und dumm und unwahr ist jene Behauptung lamentierender Frauen, das Weib sei wahrer Liebe fähiger als der Mann: im Gegenteil, es ist ihrer unfähig. Nicht jenem Bilde von der Parabel wie die Liebe, sondern dem eines in sich selbst zurücklaufenden Kreises gleicht alle Verliebtheit, und insonderheit die des Weibes.

Wo der Mann auf die Frau individuell wirkt, ist es nicht durch seine Schönheit. Für Schönheit hat, auch wenn sie im Manne sich offenbart, nur der Mann einen Sinn: fällt es nicht auf, wie auch von männlicher, nicht nur von weiblicher Schönheit aller Begriff vom Manne ist geschaffen worden? Oder sollte auch dies Folge der »Unterdrückung« sein? Der einzige Begriff, der, wenn er auch von Frauen darum nicht herstammen kann, weil diese nie auch nur einen einzigen Begriff geschaffen haben, dennoch ihnen, in gewissem Sinne, seine materiale Erfüllung und die Lebhaftigkeit der ihn begleitenden Assoziationen verdankt, ist der Begriff des »feschen Kerls«, wie er in Wien und Süddeutschland, des »forschen Mannes«, wie er in Berlin und Norddeutschland heißt. Was durch diese Bezeichnung angedeutet wird, ist die starke und entwickelte Sexualität des Mannes; denn die Frau empfindet zuletzt doch immer als ihren Feind alles, was den Mann abzieht von der Sexualität und der Fortpflanzung, seine Bücher und seine Politik, seine Wissenschaft und seine Kunst.

Nur das Sexuelle, nie das Asexuelle, Transsexuelle im Manne wirkt als solches auf die Frau, und nicht Schönheit, sondern volles sexuelles Begehren verlangt sie von ihm. Es ist nie das Apollinische im Manne, das auf sie Eindruck macht (aber darum auch nicht das Dionysische), sondern stets nur, im weitesten Umfang, das Faunische in ihm; nie der Mann, sondern immer nur »le mâle« (das Männchen); es ist vor allem – darüber kann ein Buch über das wirkliche Weib nicht schweigen – seine Sexualität im engsten Sinne, es ist der Phallus. Die Wirkung des männlichen Bartes auf die Frau ist in einem weiteren Sinne und aus einem tieferen Grunde, als man vielleicht glaubt, psychologisch und biologisch ein vollständiges, und nur in der Intensität geschwächtes, Abbild der Wirkung des männlichen Gliedes selbst. Doch kann ich dies hier nicht näher begründen und ausführen.

Man hat es entweder nicht sehen oder nicht sagen wollen, man hat sich aber auch kaum noch eine ganz richtige Vorstellung davon gebildet, was das Zeugungsglied des Mannes für das Weib, als Frau wie schon als Jungfrau, psychologisch bedeutet, wie es das ganze Leben der Frau, wenn auch oft völlig im Unbewußten, zu oberst beherrscht. Ich meine keineswegs, daß die Frau den Geschlechtsteil des Mannes schön oder auch nur hübsch findet. Sie empfindet ihn vielmehr ähnlich wie der Mensch das Medusenhaupt, der Vogel die Schlange; er übt auf sie eine hypnotisierende, bannende, faszinierende Wirkung. Sie empfindet ihn als das Gewisse, das Etwas, wofür sie gar keinen Namen hat: er ist ihr Schicksal, er ist das, wovon es für sie kein Entrinnen gibt. Nur darum scheut sie sich so davor, den Mann nackt zu sehen, und gibt ihm nie ein Bedürfnis danach zu erkennen: weil sie fühlt, daß sie in demselben Augenblicke verloren wäre. Der Phallus ist das, was die Frau absolut und endgültig unfrei macht.

Es ist also gerade jener Teil, welcher den Körper des Mannes recht eigentlich verunziert, welcher allein den nackten Mann häßlich macht – weswegen er auch von den Bildhauern so oft mit einem Akanthus- oder Feigenblatte verdeckt ward –, derselbe, der die Frauen am tiefsten aufregt und am heftigsten erregt, und zwar gerade dann, wenn er wohl das Unangenehmste überhaupt vorstellt, im erigierten Zustande. Und hierin liegt der letzte und entscheidendste Beweis dafür, daß die Frauen von der Liebe nicht die Schönheit wollen, sondern – etwas anderes.

Die neue Erfahrung, um welche die Untersuchung damit endgültig bereichert ist, wäre aus dem Bisherigen vorherzusagen gewesen. Da Logik und Ethik ausschließlich beim Manne sich geltend machen, so war von vornherein wahrscheinlich, daß die Frauen mit der Ästhetik nicht auf besserem Fuße stehen würden, als mit ihren normierenden Schwesterwissenschaften. Die Verwandtschaft zwischen der Ästhetik und der Logik kommt in aller Systematik und Architektonik der Philosophien, nicht minder in der Forderung strenger Logik für das Kunstwerk, in höchster Vereinigung endlich in dem Bau der Mathematik und in der musikalischen Komposition zum Vorschein. Wie schwer es so vielen wird, Ästhetik und Ethik auseinanderzuhalten, ist schon erwähnt worden. Auch die ästhetische Funktion, nicht nur die ethische und logische, ist nach Kant eine solche, die vom Subjekte in Freiheit ausgeübt wird. Das Weib aber besitzt keinen freien Willen, und so kann ihm auch nicht die Fähigkeit verliehen sein, Schönheit in den Raum zu projizieren.

Damit ist aber auch gesagt, daß die Frau nicht lieben kann. Als Bedingung der Liebe muß Individualität, und zwar nicht rein und ungetrübt, jedoch mit dem Willen zur eigenen Befreiung von Staub und Schmutz, vorhanden sein. Denn ein Mittelding zwischen Haben und Nichthaben ist Eros; kein Gott, sondern ein Dämon; er allein entspricht der Stellung des Menschen zwischen Sterblichem und Unsterblichem: so hat es der größte Denker erkannt, der göttliche Platon, wie Plotin ihn nennt (der einzige Mensch, der ihn wirklich, innerlich verstanden hat; indes viele seiner heutigen Kommentatoren und Geschichtschreiber von seiner Lehre nicht viel mehr begreifen als die Ohrwürmer von den Sternschnuppen). Die Liebe ist also in Wirklichkeit keine »transzendentale Idee«; denn sie entspricht allein der Idee eines Wesens, das nicht rein transzendentalapriorisch, sondern auch sinnlich-empirisch ist: der Idee des Menschen.

Das Weib hingegen, das ganz und gar keine Seele hat, sehnt sich auch nicht, Seele geläutert von allem ihr anhaftenden Fremden irgendwo, irgendwann endlich ganz zu finden. Es gibt kein Ideal der Frauen vom Manne, das an die Madonna erinnern würde, nicht der reine, keusche, sittliche Mann wird von der Frau gewollt, sondern – ein anderer.

So ist denn bewiesen, daß die Frau nicht die Tugend des Mannes wünschen kann. Hätte sie in sich ein Unterpfand der Idee der Vollkommenheit, wäre sie irgendwie Ebenbild Gottes, so müßte sie auch den Mann, wie dieser das Weib, heilig, göttlich wollen. Daß ihr dies ganz fernliegt, ist wiederum nur ein Zeichen für ihren völligen Mangel an Willen zum eigenen Werte, den sie nicht, wie so gern der Mann, irgendwo außer sich verkörpert denkt, um leichter zu ihm emporstreben zu können.

Ein unauflösbares Rätsel bleibt nur dies, warum gerade die Frau mit dieser vergötternden Liebe geliebt wird, und, mit Ausnahme der Knabenliebe (in welcher indes der Geliebte ebenfalls zum Weibe wird), nicht irgend ein anderes Wesen. Ist die Hypothese nicht allzu kühn, die sich hierüber entwickeln läßt?

Vielleicht hat der Mann bei der Menschwerdung durch einen metaphysischen außerzeitlichen Akt das Göttliche, die Seele für sich allein behalten – aus welchem Motive dies geschehen sein könnte, vermögen wir freilich nicht abzusehen. Dieses sein Unrecht gegen die Frau büßt er nun in den Leiden der Liebe, in und mit welcher er der Frau die ihr geraubte Seele wieder zurückzugeben sucht, ihr eine Seele schenken will, weil er sich des Raubes wegen vor ihr schuldig fühlt. Denn gerade dem geliebten Weibe, ja, eigentlich nur ihm gegenüber drückt ihn ein rätselhaftes Schuldbewußtsein am stärksten. Die Aussichtslosigkeit eines solchen Rückgabeversuches, durch den er seine Schuld zu sühnen würde trachten wollen, könnte wohl erklären, warum es glückliche Liebe nicht gibt. So wäre dieser Mythos kein übler Vorwurf für ein dramatisches Mysterium. Aber die Grenzen einer wissenschaftlichen, auch einer wissenschaftlich-philosophischen Betrachtung sind mit ihm weit überflogen.

Was die Frau nicht will, wurde im obigen klargestellt; aber was sie zutiefst will, und daß dieses ihr innerstes Wollen dem Wollen des Mannes gerade entgegengerichtet ist, soll jetzt gezeigt werden.


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