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XII. Kapitel. Das Wesen des Weibes und sein Sinn im Universum

Gleichheit oder Gleichstellung. P. J. Moebius. Sinnlosigkeit oder Bedeutung der Weiblichkeit. Kuppelei. Instinktiver Drang. Der Mann und die Kuppelei. Welche Phänomene noch weiter Kuppelei sind. Hochwertung des Koitus. Der eigene Geschlechtstrieb ein Spezialfall. Mutter – Dirne. Das Wesen des Weibes nur in der Kuppelei ausgesprochen. Kuppelei = Weiblichkeit = universale Sexualität.

System von Einwänden und Widersprüchen. Notwendigkeit der Auflösung. Beeinflußbarkeit und Passivität. Unbewußte Verleugnung der eigenen Natur als Folge. Organische Verlogenheit des Weibes. Die Hysterie. Psychologisches Schema für den »Mechanismus« der Hysterie. Definition der letzteren. Zustand der Hysterischen. Eigentümliches Wechselspiel: die fremde Natur als die eigene, die eigene als die fremde. Der »Fremdkörper«. Zwang und Lüge. Heteronomie der Hysterischen. Wille und Kraft zur Wahrheit. Der hysterische Paroxysmus. Was abgewehrt wird. Die hysterische Konstitution. Magd und Megäre. Die Megäre als Gegenteil der Hysterika. Die Wahrheitsliebe der Hysterika als ihre Lüge. Die hysterische Keuschheit und Abneigung gegen den Geschlechtsakt. Das hysterische Schuldbewußtsein und die hysterische Selbstbeobachtung. Die Visionärin und Seherin im Weibe. Die Hysterie und die Unfreiheit des Weibes. Sein Schicksal und dessen Hoffnungslosigkeit.

Notwendigkeit der Zurückführung auf ein letztes Prinzip. Unterschiede zwischen Mensch und Tier, zwischen Mann und Frau. Übersichtstafel. Das zweite oder höhere Leben, das metaphysische Sein im Menschen. Analogien zum niederen Leben. Nur im Manne ewiges Leben. Das Verhältnis beider Leben und die Erbsünde. Geburt und Tod. Freiheit und Glück. Das Glück und der Mann. Das Glück und die Frau. Die Frau und das Problem des Lebens. Nichtsein des Weibes. Hieraus zunächst die Möglichkeit von Lüge und Kuppelei, Amoralität und Alogizität erschlossen. Nochmals die Kuppelei. Gemeinschaft und Sexualität. Männliche und weibliche Freundschaft. Kuppelei wider Eifersucht. Kuppelei identisch mit Weiblichkeit. Warum die Frauen Menschen sind. Wesen des Geschlechtsgegensatzes. Gegensätze: Subjekt – Objekt = Form – Materie = Mann – Weib. Kontrektation und Tastsinn. Deutung der Heniden. Non-Entität der Frau; als Folge universelle Suszeptibilität. Formung und Bildung der Frau durch den Mann. Trachten nach Existenz. Geschlechtsdualität und Weltdualismus. Die Bedeutung des Weibes im Universum. Der Mann als das Etwas, die Frau als das Nichts. Das psychologische Problem der Furcht vor dem Weibe. Die Weiblichkeit und der Verbrecher. Das Nichts und das Nicht. Die Schöpfung des Weibes durch den Verbrecher im Manne. Das Weib als die bejahte Sexualität des Mannes. Das Weib als die Schuld des Mannes. Was die Liebe des Mannes zum Weibe im tiefsten Grunde ist. Deduktion der Weiblichkeit.

 

»Erst Mann und Weib zusammen
machen den Menschen aus.«

Kant.

 

Immer tiefer ist die Analyse in der Schätzung des Weibes bis jetzt hinuntergegangen, immer mehr Hohes und Edles, Großes und Schönes mußte sie ihm absprechen. Wenn sie nun in diesem Kapitel noch einen, den entscheidenden, äußersten Schritt in derselben Richtung zu tun sich anschickt, so möchte ich, zur Verhütung eines Mißverständnisses, gleich hier bemerken, worauf ich noch zurückkomme: daß mir wahrlich nichts ferner liegt, als dem asiatischen Standpunkt in der Behandlung des Weibes das Wort zu reden. Wer den vorausgehenden Darlegungen über das Unrecht aufmerksamer gefolgt ist, das alle Sexualität, ja selbst die Erotik noch an der Frau begeht, dem wird bereits zum Bewußtsein gekommen sein, daß dieses Buch kein Plädoyer für den Harem ist, und daß es sich hütet, die notwendige große Härte des Urteils zu entwerten durch die Forderung einer so problematischen Strafe.

Aber die rechtliche Gleichstellung von Mann und Weib kann man sehr wohl verlangen, ohne darum an die moralische und intellektuelle Gleich heit zu glauben. Vielmehr kann ohne Widerspruch zu gleicher Zeit jede Barbarei des männlichen wider das weibliche Geschlecht verworfen, und braucht doch der ungeheuerste, kosmische Gegensatz und Wesensunterschied hier nicht verkannt zu werden. Es gibt keinen Mann, in dem nicht noch irgendwie Übersinnliches lebte, keinen, der gar nicht gut wäre; und es gibt kein Weib, von dem in Wahrheit das gälte. Der tiefststehende Mann steht also noch unendlich hoch über dem höchststehenden Weibe, so hoch, daß Vergleich und Rangordnung hier kaum mehr statthaft scheinen; und doch hat niemand das Recht, selbst das tiefststehende Weib irgendwie zu schmälern oder zu unterdrücken. Durch die völlige Berechtigung des Anspruches auf Gleichheit vor jedem Gesetze wird kein gründlicherer Menschenkenner in der Überzeugung sich beirren lassen, daß zwischen den Geschlechtern die denkbar polarste Gegensätzlichkeit besteht. Was für seichte Psychologen (um von dem menschenkundigen Tiefblick der sozialistischen Theoretiker zu schweigen) die Materialisten, Empiristen und Positivisten sind, kann man abermals hieraus entnehmen, daß gerade aus ihren Kreisen vorzugsweise die Männer gekommen sind und auch jetzt noch aus ihnen sich rekrutieren, welche für die ursprünglich angeborne psychologische Gleichheit zwischen Mann und Weib eintreten.

Aber auch vor der Verwechslung meines Standpunktes in der Beurteilung des Weibes mit den hausbackenen und nur als tapfere Reaktion gegen die Massenströmung erfreulichen Ansichten von P. J.  Moebius bin ich hoffentlich gefeit. Das Weib ist nicht »physiologisch schwachsinnig«; und ich kann auch die Auffassung nicht teilen, welche in Frauen mit hervorragenderen Leistungen Entartungserscheinungen erblickt. Von einem mora1ischen Aussichtspunkt kann man diese Frauen, da sie stets männlicher sind als die anderen, nur freudig begrüßen, und müßte bei ihnen eher das Gegenteil einer Entartung, nämlich einen Fortschritt und eine Überwindung, zugestehen; in biologischer Hinsicht sind sie ebensowenig oder ebensosehr ein Degenerationsphänomen, als der weibliche Mann ein solches darstellt (wenn man ihn nicht ethisch wertet). Die sexuellen Zwischenformen sind aber in der ganzen Reihe der Organismen durchaus die normale und nicht eine pathologische Erscheinung, und ihr Auftreten also noch kein Beweis körperlicher Dekadenz.

Das Weib ist weder tiefsinnig noch hochsinnig, weder scharfsinnig noch geradsinnig, es ist vielmehr von alledem das gerade Gegenteil; es ist, so weit wir bisher sehen, überhaupt nicht »sinnig«: es ist als Ganzes Un-sinn, un-sinnig. Aber das ist noch nicht schwachsinnig, nach dem Begriffe, den man in deutscher Sprache damit verbindet: dem Begriffe des Mangels an der einfachsten praktischen Orientierung im gewöhnlichen Leben. Gerade Schlauheit, Berechnung, » Gescheitheit« besitzt W viel regelmäßiger und konstanter als M, sobald es auf die Erreichung naheliegender egoistischer Zwecke ankommt. Ein Weib ist nie so dumm, wie es der Mann zuweilen sein kann. –

Hat nun das Weib gar keine Bedeutung? Verfolgt es wirklich keinen allgemeineren Zweck? Hat es nicht doch eine Bestimmung, und liegt ihm nicht, trotz all seiner Unsinnigkeit und Nichtigkeit, eine bestimmte Absicht im Weltganzen zugrunde? Dient es einer Mission, oder ist sein Dasein ein Zufall und eine Lächerlichkeit?

Um hinter diesen Sinn zu kommen, muß von einem Phänomen ausgegangen werden, das, so alt und so bekannt es ist, noch nirgends und niemals einer ernsteren Beachtung oder gar Würdigung wert befunden wurde. Es ist kein anderes als das Phänomen der Kuppelei, welches zum tiefsten, zum eigentlichen Einblick in die Natur des Weibes zu führen vermag.

Seine Analyse ergibt zunächst das Moment der Herbeiführung und Begünstigung des Sichfindens zweier Menschen, die eine sexuelle Vereinigung, sei es in Form der Heirat oder nicht, einzugehen in der Lage sind. Dieses Bestreben, zwischen zwei Menschen etwas zustande zu bringen, hat jede Frau ausnahmslos schon in frühester Kindheit: ganz kleine Mädchen leisten bereits, und zwar selbst dem Liebhaber ihrer älteren Schwestern, Mittlerdienste. Und wenn der Trieb zu kuppeln auch erst dann deutlicher zum Vorschein kommen kann, wenn das weibliche Einzelindividuum sich selbst untergebracht hat, d. h. nach seiner eigenen Versorgung durch die Heirat: so ist er doch die ganze Zeit über zwischen der Pubertät und der Hochzeit ebenso vorhanden; nur wirken ihm der Neid auf die Konkurrentinnen und die Angst vor den größeren Chancen derselben im Kampf um den Mann so lang entgegen, bis die Frau selbst ihren Gemahl sich glücklich erobert, oder ihr Geld, die Beziehungen, in welche er nun zu ihrer Familie tritt usw., ihn gekirrt und geködert haben. Dies ist der einzige Grund, aus welchem die Frauen erst in der Ehe mit vollem Eifer darangehen, die Töchter und Söhne ihrer Bekannten unter die Haube zu bringen. Und wie sehr nun erst das alte Weib kuppelt, bei dem die Sorge für die eigene sexuelle Befriedigung gänzlich in Wegfall gekommen ist, das ist so allgemein bekannt, daß man, sehr mit Unrecht, das alte Weib allein zur eigentlichen Kupplerin gestempelt hat.

Nicht nur Frauen, auch Männer werden sehr gern in den Ehestand zu bringen gesucht, auch von ihren eigenen Müttern, ja gerade von diesen mit besonderer Lebhaftigkeit und Zähigkeit. Ganz ohne Rücksicht auf die individuelle Eigenart des Sohnes ist es der Wunsch und die Sucht jeder Mutter, ihren Sohn verheiratet zu sehen: ein Bedürfnis, in dem man geblendet genug war, etwas Höheres, wieder jene Mutterliebe zu erblicken, von welcher ein früheres Kapitel nur eine so geringe Meinung gewinnen konnte. Es ist möglich, daß viele Mütter, sei der Sohn auch gar nicht für die Ehe geschaffen, von vornherein überzeugt sind, ihm durch sie erst zum bleibenden Glücke zu verhelfen; aber sicher fehlt sehr vielen selbst dieser Glaube, und jedenfalls spielt allerwärts und immer als stärkstes Motiv der Kuppel trieb, die gefühlsmäßige Abneigung gegen das Junggesellentum des Mannes, mit.

Man sieht bereits hier, daß die Frauen einem rein instinktiven Drange, der in sie gelegt ist, folgen, auch wenn sie ihre Töchter zu verheiraten suchen. Nicht aus logischen, und nur zum kleinsten Teile aus materiellen Erwägungen entspringen die unendlichen Bemühungen, welche die Mütter zu diesem Zwecke unternehmen, sie geschehen nicht aus Entgegenkommen gegen geäußerte oder unausgesprochene Wünsche der Tochter (denen sie in der speziellen Wahl des Mannes sogar oft zuwiderlaufen); und es kann, da die Kuppelei ganz allgemein auf alle Menschen sich erstreckt und nie auf die eigene Tochter sich beschränkt, hier am wenigsten von einer »altruistischen«, »moralischen« Handlung der mütterlichen Liebe die Rede sein; obwohl sicherlich die meisten Frauen, wenn jemand ihr kupplerisches Gebaren ihnen vorhielte, zur Antwort geben würden: es sei ihre Pflicht, beizeiten an die Zukunft ihres teueren Kindes zu denken.

Eine Mutter verheiratet ihre eigene Tochter nicht anders, als sie jedem anderen Mädchen zum Manne gern verhilft, wenn nur jene Aufgabe innerhalb der Familie zuvor gelöst ist: es ist ganz dasselbe, Kuppelei hier wie dort, die Verkuppelung der eigenen Tochter unterscheidet sich psychologisch in nichts von der Verkuppelung der fremden. Ja, ich behaupte: es gibt keine Mutter, die es nur unangenehm berührt, wenn ein Fremder, auch in noch so gemeiner Absicht und nichtswürdiger Berechnung, ihre Tochter begehrt und verführt.

Wie schon öfter das Verhalten des einen Geschlechtes zu gewissen Zügen des anderen als ein brauchbares Kriterium dafür verwendet werden konnte, welche Eigentümlichkeiten des Charakters ausschließlich auf eines beschränkt sind, und welche auch dem anderen zukommen Eine Zusammenstellung findet sich auf Seite 271 f. des 9. Kap., so kann, während bisher stets das Weib Zeuge sein mußte, daß gewisse, ihm von vielen so gern zugesprochene Eigenschaften ausschließlich dem Manne angehören, hier einmal durch sein Verhalten der Mann dokumentieren, wie die Kuppelei echt weiblich und ausschließlich weiblich ist: die Ausnahmen betreffen entweder sehr weibliche Männer oder einen Fall, der noch ausführlich wird besprochen werden. Kap. 13. Jeder wahre Mann nämlich wendet sich vom heiratsvermittelnden Treiben der Frauen, selbst wenn es sich um seine eigene Tochter handelt, und er diese gern versorgt sehen möchte, mit Widerwillen und Verachtung ab und überläßt die Kuppelsorgen überhaupt dem Weibe als sein Fach. Zugleich sieht man hier am klarsten, wie auf den Mann gar nicht die wahren psychischen Sexualcharaktere des Weibes attraktiv wirken, wie sie ihn vielmehr abstoßen, wo sie ihm bewußt werden: indes die rein männlichen Eigenschaften an sich, und wie sie wirklich sind, das Weib anzuziehen genügen, muß der Mann das Weib erst umformen, ehe er es lieben kann.

Die Kuppelei reicht aber bedeutend tiefer und durchdringt das Wesen des Weibes in einer viel weiteren Ausdehnung, als jemand nach den obigen Beispielen, die nur den Umfang des Sprachgebrauches erschöpfen, glauben könnte. Ich will zunächst darauf hinweisen, wie die Frauen im Theater sitzen: stets mit der Erwartung, ob die zwei, wie die zwei Liebesleute »sich kriegen« werden. Auch dies ist nichts anderes als Kuppelei, und um kein Haar von ihr psychologisch verschieden: es ist das Herbeiwünschen des Zusammenkommens von Mann und Weib, wo auch immer. Aber das geht noch weiter: auch die Lektüre sinnlicher oder obszöner Dichtungen oder Romane, die ungeheure Spannung auf den Moment des Koitus, mit welcher die Frauen lesen, ist nichts, gar nichts als Verkuppelung der beiden Personen des Buches, tonische Exzitation durch den Gedanken der Kopulation und positive Wertung der sexuellen Vereinigung. Man halte das nicht für eine logische und formale Analogisierung, man versuche nachzufühlen, wie für die Frau psychologisch beides dasselbe ist. Die Erregung der Mutter am Hochzeitstage der Tochter ist keine andere als die der Leserin von Prévost, oder von Sudermanns »Katzensteg«. Es kommt zwar auch vor, daß Männer solche Romane zu Detumeszenzzwecken gern lesen, aber das ist etwas prinzipiell von der weiblichen Art der Lektüre Verschiedenes, es geht auf die lebhaftere Imagination des Sexualaktes und verfolgt nicht krampfhaft von Anbeginn jede Verringerung der Entfernung zwischen den beiden Menschen, um die es sich gerade handelt; und wächst nicht, wie bei der Frau, kontinuierlich, in Proportion mit einer sehr hohen Potenz vom reziproken Werte des Abstandes der Personen voneinander. Die atemlose Begünstigung jeder Verringerung der Distanz von dem Ziele, die deprimierte Enttäuschung bei jeder Vereitelung der sexuellen Befriedigung ist durchaus weiblich und unmännlich; aber sie tritt in der Frau ganz unterschiedslos bei jeder Bewegung auf, die ihrer Richtung nach zum Geschlechtsakte führen kann, betreffe sie nun Personen des Lebens oder der Phantasie.

Hat man denn nie darüber nachgedacht, warum die Frauen so gern, so »selbstlos« andere Frauen mit Männern zusammenbringen? Das Vergnügen, welches ihnen hiedurch bereitet wird, beruht auf einer eigentümlichen Erregung durch den Gedanken auch des fremden Koitus.

Aber die volle Breite der Kuppelei ist auch mit der Ausdehnung auf den Hauptgesichtspunkt aller weiblichen Lektüre noch nicht ausgemessen. Wo an Sommerabenden in dunklen Gärten, auf den Bänken oder an den Mauern Liebespaare eine Zuflucht suchen, dort wird eine Frau, die vorübergeht, stets neugierig, sie sieht hin, indes der Mann, der jenen Weg zu gehen gezwungen ist, sich unwillig abwendet, weil er die Schamhaftigkeit verletzt fühlt. Desgleichen wenden sich die Frauen fast nach jedem Liebespaare, dem sie auf der Gasse begegnen, um und verfolgen es mit ihren Blicken. Dieses Hinschauen, dieses Sichumdrehen ist nicht minder Kuppelei als das bisher unter den Begriff Subsumierte. Was man ungern sieht und nicht wünscht, von dem wendet man sich weg, und sperrt nicht die Augen nach ihm auf; die Frauen sehen darum ein Liebespaar so gern, und überraschen es deshalb am liebsten bei Küssen und weitergehenden Liebesbezeigungen, weil sie den Koitus überhaupt ( nicht nur für sich) wollen. Man beachtet nur, wie schon längst gezeigt wurde, was irgendwie positiv gewertet wird. Die Frau, die zwei Liebende miteinander sieht, wartet stets auf das, was kommen werde, d. h. sie er wartet es, nimmt es voraus, hofft es, wünscht es. Ich habe eine längst verheiratete Hausfrau gekannt, die ihr Dienstmädchen, das den Liebhaber eingelassen hatte, zuerst lang in großer Anteilnahme vor der Tür behorchte, ehe sie hineinging, ihm seine Stellung zu kündigen. Die Frau hatte also den ganzen Vorgang innerlich bejaht, um dann das Mädchen, in passiver Befolgung der ihr überkommenen Schicklichkeitsbegriffe, wenn nicht gar nur aus unbewußter Mißgunst, hinauszuwerfen. Ich glaube freilich, daß auch das letztere Motiv häufig mitspielt, und zur Verdammung der Betroffenen der Neid, der ihr jene Stunden doch nicht allein gönnt, seinen Teil beisteuert.

Der Gedanke des Koitus wird von der Frau stets und in jeder Form, in der er sich vollziehen mag (selbst wenn ihn Tiere ausführen), lebhaft ergriffen, und nie zurückgewiesen Die eine scheinbare Ausnahme, die es hievon gibt, findet noch in diesem Kapitel eine gründliche Erörterung.; sie verneint ihn nicht, empfindet keinen Ekel vor dem Ekelhaften des Vorganges, sucht nicht sofort lieber an etwas anderes zu denken: sondern die Vorstellung ergreift völlig von ihr Besitz und beschäftigt sie unausgesetzt weiter, bis sie von anderen Vorstellungen ebenso sexuellen Charakters abgelöst wird. Hiemit ist ein großer Teil des vielen so rätselhaft scheinenden psychischen Lebens der Frauen sicherlich beschrieben. Das Bedürfnis, selbst koitiert zu werden, ist zwar das heftigste Bedürfnis der Frau, aber es ist nur ein Spezialfall ihres tiefsten, ihres einzigen vitalen Interesses, das nach dem Koitus überhaupt geht; des Wunsches, daß möglichst viel, von wem immer, wo immer, wann immer, koitiert werde.

Dieses allgemeinere Bedürfnis richtet sich entweder mehr auf den Akt selbst, oder mehr auf das Kind; im ersten Falle ist die Frau Dirne und Kupplerin um der bloßen Vorstellung vom Akte willen; im zweiten ist sie Mutter, aber nicht nur mit dem Wunsche, selbst Mutter zu werden; sondern an jeder Ehe, die sie kennt oder zustande bringt, ist, je mehr sie der absoluten Mutter sich nähert, desto ausschließlicher ihr Sinnen auf die Hervorbringung des Kindes gerichtet: die echte Mutter ist auch die echte Großmutter (selbst wenn sie Jungfrau geblieben ist; man vergleiche Johann Tesmans unübertreffliche » Tante Jule« in Ibsens » Hedda Gabler«). Jede ganze Mutter wirkt für die Gattung insgesamt, sie ist Mutter der ganzen Menschheit: jede Schwangerschaft wird von ihr begrüßt. Die Dirne will die anderen Weiber nicht schwanger, sondern bloß prostituiert sehen wie sich selbst.¦

Wie die eigene Sexualität der Frauen ihrer Kuppelei noch untergeordnet ist, und eigentlich nur als ein besonderer Fall der ersteren aufgefaßt werden darf, das geht sehr deutlich aus ihrem Verhältnis zu den verheirateten Männern hervor. Nichts ist den Frauen, da sie sämtlich Kupplerinnen sind, so wie der ledige Stand des Mannes zuwider, und darum suchen sie alle ihn zu verheiraten; ist er aber schon Ehemann, so verliert er für sie auch dann sehr viel an Interesse, wenn er sogar früher ihnen ganz ausnehmend gefallen hat. Auch wenn sie selber bereits verheiratet sind, also nicht mehr jeder Mann zunächst unter dem Gesichtspunkte der eigenen Versorgung in Betracht kommt, und nun, wie man denken sollte, der Ehemann darum nicht mehr geringere Beachtung finden müßte als der andere, Ledige, selbst dann, als ungetreue Ehefrauen, kokettieren die Weiber kaum mit dem Gatten einer anderen; außer wenn sie über diese einen Triumph feiern wollen, dadurch, daß sie ihn ihr abspenstig machen. Hiedurch erst ist ganz bestätigt, daß es den Frauen nur auf die Verkuppelung ankommt; mit verheirateten Männern wird darum so selten der Ehebruch begangen, weil diese der Idee, welche in der Kuppelei liegt, bereits genügen. Die Kuppelei ist die allgemeinste Eigenschaft des menschlichen Weibes: der Wille zur Schwiegermutter – ich meine den Willen, Schwiegermutter zu werden – ist noch viel durchgängiger vorhanden als der Wille zur Mutterschaft, dessen Intensität und Umfang man gewöhnlich über Gebühr hoch veranschlagt.

Man wird den Nachdruck, der hier auf ein Phänomen gelegt wird, das man für ebenso komisch als ekelhaft anzusehen gewohnt ist, vielleicht doch noch nicht ganz verstehen, die Bedeutung, die gerade der Kuppelei zugemessen werde, übertrieben, das Pathos der Argumentation unmotiviert finden. Man vergegenwärtige sich aber, worum es sich handelt. Die Kuppelei ist dasjenige Phänomen, welches das Wesen des Weibes am weitesten aufschließt, und man muß nicht, wie dies immer geschieht, sie nur zur Kenntnis nehmen und gleich zu etwas anderem übergehen, sondern sie zu analysieren und zu ergründen trachten. Gewiß ist es eine den meisten Menschen geläufige Tatsache, daß »jedes Weib gern ein bißchen kuppelt«. Aber daß gerade hierin und nirgendwo anders die Wesenheit des Weibes liegt, darauf kommt es an. Es läßt sich – nach reiflicher Betrachtung der verschiedensten Frauentypen und Berücksichtigung noch weiterer spezieller Einteilungen, außer der hier bereits durchgeführten, bin ich zu diesem Schlusse gekommen – absolut nichts anderes als positive allgemein-weibliche Eigenschaft prädizieren als die Kuppelei, das ist die Tätigkeit im Dienste der Idee des Koitus überhaupt. Jede Begriffsbestimmung der Weiblichkeit, welche deren Wesen bloß im Wunsche, selbst koitiert zu werden, suchte, die im echten Weibe nichts für echt hielte, als das Bedürfnis, vergewaltigt zu werden, wäre zu eng; jede Definition, die da sagen würde, der Inhalt des Weibes sei das Kind oder sei der Mann oder sei beides, bereits zu weit. Das allgemeinste und eigentlichste Wesen der Frau ist mit der Kuppelei, d. h. mit der Mission im Dienste der Idee körperlicher Gemeinschaft vollständig und erschöpfend bezeichnet. Jedes Weib kuppelt; und diese Eigenschaft des Weibes, Gesandte, Mandatarin des Koitusgedankens zu sein, ist auch die einzige, welche in allen Lebensaltern da ist und selbst das Klimakterium überdauert: das alte Weib verkuppelt weiter, nicht mehr sich, sondern die anderen. Wenn man das alte Weib mit Vorliebe als die Kupplerin sich vorgestellt hat, so wurde ein Grund hiefür schon angeführt. Der Beruf der greisen Kupplerin ist nicht etwas, das hinzukommt, sondern eben dies, was jetzt allein heraustritt und übrigbleibt aus den früheren Komplikationen durch das eigene Bedürfnis: das reine Wirken im Dienste der unreinen Idee.

Es sei gestattet, hier kurz zu rekapitulieren, was die Untersuchung nach und nach an positiven Resultaten über die Sexualität des Weibes zutage gefördert hat. Es erwies sich zuerst als ausschließlich, und nicht nur in Pausen, sondern kontinuierlich sexuell interessiert; es war körperlich und psychisch in seinem ganzen Wesen nichts als eben die Sexualität selbst. Es wurde dabei überrascht, daß es sich überall, am ganzen Körper und ohne Unterlaß, von allen Dingen ausnahmslos koitiert fühlt. Und wie der ganze Körper des Weibes eine Dependanz seines Geschlechtsteiles war, so offenbart sich nun die zentrale Stellung der Koitus-Idee, in seinem Denken. Der Koitus ist das einzige, allerwärts und immer, von der Frau ausschließlich positiv Bewertete; die Frau ist die Trägerin des Gemeinschaftsgedankens überhaupt. Die weibliche Höchstwertung des Koitus ist nicht auf ein Individuum, auch nicht auf das wertende Individuum, beschränkt, sie bezieht sich auf Wesen überhaupt, sie ist nicht individuell, sondern interindividuell, über individuell, sie ist sozusagen – man sehe mir die Entweihung des Wortes einstweilen nach – die transzendentale Funktion des Weibes. Denn wenn Weiblichkeit Kuppelei ist, so ist Weiblichkeit universale Sexualität. Der Koitus ist der höchste Wert der Frau, ihn sucht sie immer und überall zu verwirklichen. Ihre eigene Sexualität bildet von diesem unbegrenzten Wollen nur einen begrenzten Teil. –

Der männlichen Höchststellung der Schuldlosigkeit und Reinheit aber, deren Erscheinung jene höhere Virginität wäre, welche der Mann aus erotischem Bedürfnis von der Frau wünscht und fordert, diesem nur männlichen Ideale der Keuschheit ist jenes Streben der Frau nach Realisierung der Gemeinschaft so polar entgegengesetzt, daß es unbedingt als ihre eigentliche Natur sogar durch den dichtesten Weihrauch der erotischen Illusion hindurch vom Mann hätte erkannt werden müssen, hätte nicht noch ein Faktor durch sein Dazwischentreten diese Klärung regelmäßig verhindert. Diesen Umstand, der sich immer wieder einschiebt, um der Einsicht des Mannes in das allgemeine und eigentliche Wesen der Weiblichkeit entgegenzuwirken, dieses komplizierteste Problem des Weibes, seine abgründlich tiefe Verlogenheit, gilt es nun aufzuhellen. So schwierig und so gewagt das Unternehmen ist, es muß schließlich zu jener letzten Wurzel führen, aus der wir sowohl die Kuppelei (im weitesten Sinne, in dem die eigene Geschlechtlichkeit nur ihr hervorstechendster Spezialfall ist) als auch diese Verlogenheit, welche die Begierde nach dem Sexualakt immerfort – vor dem Auge des Weibes selbst! – verhüllt, beide unter dem Lichte eines letzten Prinzips klar werden emporsprießen sehen.

*

Alles nämlich, was vielleicht schon wie ein sicherer Gewinn erschienen ist, findet sich nun nochmals in Frage gestellt. Den Frauen wurde keine Selbstbeobachtung eingeräumt: es gibt aber sicherlich Weiber, die sehr scharf vieles beobachten, was in ihnen vorgeht. Die Wahrheitsliebe wurde ihnen abgesprochen; und doch kennt man Frauen, die es auf das peinlichste vermeiden, eine Unwahrheit zu sagen. Das Schuldbewußtsein sei ihnen fremd, wurde behauptet; obwohl Frauen existieren, die sich selbst wegen geringfügiger Dinge die heftigsten Vorwürfe zu machen pflegen, obwohl man von Büßerinnen und ihren Körper kasteienden Weibern sichere Kunde hat. Das Schamgefühl wurde nur dem Manne belassen: aber muß nicht das Wort von der weiblichen Schamhaftigkeit, von jener Scham, die nach Hamerling sogar nur das Weib kennt, in der Erfahrung irgend eine Grundlage haben, die es ermöglichte, ja begünstigte, daß die Dinge so gedeutet wurden? Und weiter: Religiosität könnte dem Weibe fehlen trotz allen »religieuses«? Strenge Sittenreinheit bei ihm ausgeschlossen sein, aller tugendhaften Frauen ungeachtet, von denen Lied und Geschichte melden? Bloß sexuell sollte das Weib sein, die Sexualität allein bei ihm Anwert finden, wo es doch mannigfach bekannt ist, daß Frauen wegen der geringsten Anspielung auf sexuelle Dinge empört sein können, sich, statt zu kuppeln, oft erbittert und angeekelt wegwenden von jedem Orte der Unzucht, ja nicht selten den Koitus auch für ihre Person verabscheuen, und ihm viel gleichgültiger gegenüberstehen als irgend ein Mann?

Es ist wohl offenkundig, daß es sich in all diesen Antinomien um eine und dieselbe Frage handelt, von deren Beantwortung die letzte und endgültige Entscheidung über das Weib abhängt. Und es ist auch klar, daß, wenn auch nur ein einziges sehr weibliches Wesen innerlich asexuell wäre, oder in einem wahrhaften Verhältnis zur Idee sittlichen Eigenwertes stünde, alles, was hier von den Frauen gesagt wurde, seine Allgemeingültigkeit als psychisches Charakteristikum ihres Geschlechtes sofort unrettbar verlieren müßte, und somit die ganze Position des Buches mit einem Schlage vollkommen hinfällig würde. Jene scheinbar widersprechenden Erscheinungen müssen befriedigend erklärt und es muß von ihnen gezeigt werden, daß, was ihnen wirklich zugrunde liegt und so leicht zu Äquivokationen verführt, derselben weiblichen Natur entspringt, die bisher überall nachgewiesen werden konnte.

Man muß zunächst an die ungeheure Beeinflußbarkeit, besser, nur schlechter zu sprechen, Beeindruckbarkeit der Frauen sich erinnern, um zum Verständnis jener trügerischen Widersprüche zu gelangen. Diese außerordentliche Zugänglichkeit für Fremdes und die leichte Annahme der Ansichten anderer ist in diesem Buche bis jetzt noch nicht genügend gewürdigt worden. Ganz allgemein schmiegt sich W an M vollständig an, wie ein Etui an die Kleinodien in ihm, seine Anschauungen werden die ihren, seine Lieblingsneigungen teilen sich ihr mit wie seine ganz individuellen Antipathien, jedes Wort von ihm ist für sie ein Ereignis, und zwar um so stärker, je mehr er sexuell auf sie wirkt. Diesen Einfluß des Mannes empfindet die Frau nicht als eine Ablenkung von der Linie ihrer eigenen Entwicklung, sie erwehrt sich seiner nicht als einer fremdartigen Störung, sie sucht sich nicht von ihm zu befreien als von einem Eingriff in ihr inneres Leben, sie schämt sich nicht, rezeptiv zu sein: im Gegenteil, sie fühlt sich nur glücklich, wenn sie es sein kann, verlangt vom Manne, daß er sie, auch geistig, zu rezipieren zwinge. Sie schließt sich immer nur gern an, und ihr Warten auf den Mann ist nur das Warten auf den Augenblick, wo sie vollkommen passiv sein könne.

Aber nicht nur vom »richtigen« Manne (wenn schon von ihm am liebsten), auch von Vater und Mutter, Onkel und Tante, Brüdern und Schwestern, nahen Verwandten und fernen Bekannten übernehmen die Frauen, was sie glauben und denken, und sind es froh, wenn in ihnen eine Meinung geschaffen wird. Noch die erwachsenen und verheirateten Frauen, nicht nur die unreifen Kinder, ahmen einander in allem und jedem, als ob das natürlich wäre, nach, von einer geschmackvolleren Toilette oder Frisur, einer aufsehenerregenden Körperhaltung angefangen bis auf die Geschäfte, in denen sie einkaufen, und die Rezepte, nach welchen sie kochen. Auch dieses gegenseitige Kopieren geschieht ohne das Gefühl, sich hiedurch etwas zu vergeben: wie es wohl sein müßte, besäßen sie eine Individualität, die nur rein ihrem eigenen Gesetze zu folgen strebt. So setzt sich der theoretische Bestand des weiblichen Denkens und Handelns der Hauptsache nach aus Überkommenem und wahllos Übernommenem zusammen, das von den Frauen um so eifriger ergriffen und um so dogmatischer festgehalten wird, als ein Weib eine Überzeugung nie selbsttätig aus objektiver Anschauung der Dinge gewinnt, und also auch nie nach geändertem Aspekte frei aufgibt, nie selbst noch über seinen Gedanken steht, vielmehr immer nur will, daß ihm eine Meinung beigebracht werde, die es dann zähe festhalten könne. Darum sind die Frauen am unduldsamsten, wo ein Verstoß gegen sanktionierte Sitten und Gebräuche sich ereignet, mögen diese Institutionen welches Inhaltes immer sein. Einen angesichts der Frauenbewegung besonders ergötzlichen Fall dieser Art will ich nach Herbert Spencer mitteilen. Wie bei vielen Indianerstämmen Nord- und Südamerikas, so gehen auch bei den Dakotas die Männer bloß der Jagd und dem Kriege nach und haben alle niedrigen und mühevollen Beschäftigungen auf ihre Weiber gewälzt. Von der Natürlichkeit und Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens sind die Frauen, statt irgend sich unterdrückt zu fühlen, allmählich so durchdrungen worden, daß ein Dakota-Weib dem anderen keinen größeren Schimpf antun und keine ärgere Kränkung bereiten kann als diese: »Schändliche Frau ... ich habe deinen Mann Holz in seine Wohnung tragen sehen zum Feueranzünden. Wo war seine Frau, daß er genötigt war, sich selbst zum Weibe zu machen?«

Diese außerordentliche Bestimmbarkeit des Weibes durch außer ihm Liegendes ist im Grunde wesensgleich mit seiner Suggestibilität, die weit größer und ausnahmsloser ist als die des Mannes: beides kommt damit überein, daß das Weib im Sexualakt und in seinen Vorstadien nur die passive, nie die aktive Rolle zu spielen wünscht. Das ruhende, träge, große Ei wird vom beweglichen, flinken, kleinen Spermatozoon aufgesucht. Es ist die allgemeine Passivität der weiblichen Natur, welche die Frauen am Ende auch die männlichen Wertungen, zu welchen sie gar kein ursprüngliches Verhältnis haben, akzeptieren und übernehmen läßt. Diese Imprägnierbarkeit durch die männlichen Anschauungen, diese Durchdringung des eigenen Gedankenlebens der Frau mit dem fremden Element, diese verlogene Anerkennung der Sittlichkeit, die man gar nicht Heuchelei nennen kann, weil nichts Antimoralisches durch sie verdeckt werden soll, diese Aufnahme und Anwendung eines an und für sich ihr ganz heteronomen Gebotes wird, soweit die Frau selbst nicht wertet, im allgemeinen leicht und glatt vonstatten gehen und den täuschendsten Schein höherer Sittlichkeit leicht hervorbringen. Komplikationen können sich erst einstellen, wenn es zur Kollision kommt mit der einzigen eingebornen, echten und allgemein-weiblichen Wertung, der Höchstwertung des Koitus.

Die Bejahung der Gemeinschaft als des höchsten Wertes ist bei der Frau eine ganz unbewußte. Denn dieser Bejahung steht nicht wie beim Manne ihre Verneinung als die andere Möglichkeit gegenüber, es fehlt hier die Zweiheit, die zum Bemerken führen könnte. Kein Weib weiß, oder hat je gewußt, oder auch nur wissen können, was es tut, wenn es kuppelt. Weiblichkeit selbst ist ja identisch mit Kuppelei, und ein Weib müßte aus sich heraustreten können, um zu bemerken, zu verstehen, daß es kupple. So bleibt das tiefste Wollen des Weibes, das, was sein Dasein eigentlich bedeutet, von ihm stets unerkannt. Nichts hindert also, daß die männliche negative Wertung der Sexualität die positive weibliche vollständig im Bewußtsein des Weibes überdecke. Die Rezeptivität des Weibes geht so weit, daß es das, was es ist – das einzige, was es wirklich positiv ist! –, daß es selbst dies verleugnen kann.

Aber die Lüge, die es begeht, wenn es sich das männliche gesellschaftliche Urteil über die Sexualität, über Schamlosigkeit, ja über die Lüge selbst, einverleiben läßt und den männlichen Maßstab aller Handlungen zu dem seinigen macht, diese Lüge ist eine solche, die ihm nie bewußt wird, es erhält eine zweite Natur, ohne auch nur zu ahnen, daß es seine echte nicht ist, es nimmt sich ernst, glaubt etwas zu sein und zu glauben, ist überzeugt von der Aufrichtigkeit und Ursprünglichkeit seines moralischen Gebarens und Urteilens: so tief sitzt die Lüge, die organische, ich möchte, wenn es gestattet wäre, am liebsten sagen: die ontologische Verlogenheit des Weibes.

Wolfram von Eschenbach erzählt von seinem Helden:

»… So keusch und rein
Ruht' er bei seiner Königin,
Daß kein Genügen fänd' darin
So manches Weib beim lieben Mann,
Daß doch so manche in Gedanken
Zur Üppigkeit will überschwanken,
Die sonst sich spröde zeigen kann!
Vor Fremden züchtig sie erscheinen,
Doch ist des Herzens tiefstes Meinen
Das Widerspiel vom äußern Schein

Was das tiefste Meinen des weiblichen Herzens ist, das hat Wolfram klar genug angedeutet. Aber er sagt nicht alles. Nicht nur die Fremden, auch sich selbst belügen die Frauen in diesem Punkte. Man kann aber seine Natur, sei es auch die physische, nicht in dieser Weise, nicht künstlich und von außen unterdrücken ohne Folgen. Die hygienische Züchtigung für die Verleugnung der eigentlichen Natur des Weibes ist die Hysterie.

Von allen Neurosen und Psychosen stellen die hysterischen Erscheinungen dem Psychologen beinahe die reizvollste Aufgabe; eine weit schwierigere und darum verlockendere als eine verhältnismäßig leicht nachzulebende Melancholie, oder eine simple Paranoia.

Zwar haben gegen psychologische Analysen fast alle Psychiater ein nicht zu beseitigendes Mißtrauen; jede Erklärung durch pathologisch veränderte Gewebe oder durch Intoxikationen auf nutritivem Wege ist ihnen a limine glaubhaft, nur dem Psychischen mögen sie keine primäre Wirksamkeit zuerkennen. Da aber nie noch ein Beweis dafür erbracht worden ist, daß dem Psychischen eher als dem Physischen die sekundäre Rolle zufallen müsse – alle Hinweise auf die »Erhaltung der Energie« sind von den berufensten Physikern selbst desavouiert worden –, so kann man billig über dieses Vorurteil hinweggehen. Auf die Bloßlegung des »psychischen Mechanismus« der Hysterie kann unendlich viel, ja – nichts spricht dagegen Und nur dafür, daß niemand noch ein hysterisch verändertes Gewebe gesehen hat. – möglicherweise alles ankommen. Daß höchstwahrscheinlich dieser Weg der richtige ist, darauf weist auch hin, daß die wenigen bisherigen wahren Aufschlüsse über die Hysterie nicht anders gewonnen wurden: ich meine die mit den Namen Pierre Janet und Oskar Vogt und besonders J. Breuer und S. Freud verknüpften Forschungen. Jede weitere Aufklärung über die Hysterie ist in der Richtung zu suchen, welche diese Männer eingeschlagen haben: in der Richtung auf die Rekonstruktion des psychologischen Prozesses, welcher zur Krankheit geführt bat.

Schematisch hat man sich, wie ich glaube, die Entstehung derselben, unter Annahme eines sexuellen »traumatischen« Erlebnisses als des häufigsten (nach Freud alleinigen) Anlasses zur Erkrankung, so vorzustellen: eine Frau, die irgend eine sexuelle Wahrnehmung oder Vorstellung gehabt, sie durch ursprüngliche oder Rückbeziehung auf sich selbst verstanden hat, und nun, vermöge der ihr aufgedrungenen und von ihr gänzlich übernommenen, in sie übergegangenen und ihr waches Bewußtsein allein beherrschenden männlichen Wertung als ganze zurückweist, über sie empört, unglücklich ist – und sie gleichzeitig vermöge ihrer Beschaffenheit als Weib positiv wertet, bejaht, wünscht in ihrem tiefsten Unbewußten; in der dann dieser Konflikt weiter schwärt, gärt und zu Zeiten in einem Anfall aufbraust: eine solche: Frau gewährt das mehr oder minder typisch gewordene Krankheitsbild der Hysterie. So erklärt sich die Empfindung des von der Person, wie sie glaubt, verabscheuten, tatsächlich aber doch von etwas in ihr, von der ursprünglichen Natur, gewollten Sexualaktes als eines » Fremdkörpers im Bewußtsein«. Die kolossale Intensität des durch jeden Versuch zu seiner Unterdrückung nur gesteigerten Wunsches, die um so heftigere, beleidigtere Zurückweisung des Gedankens – dies ist das Wechselspiel, das sich in der Hysterika vollzieht. Denn die chronische Verlogenheit des Weibes wird akut, wenn sie auf den Hauptpunkt sich erstreckt, wenn die Frau sich auch die ethisch-negative Bewertung der Sexualität vom Manne noch hat einverleiben lassen. Und daß die Hysterischen die stärkste Suggestibilität dem Manne gegenüber offenbaren, ist ja bekannt. Hysterie ist die organische Krisis der organischen Verlogenheit des Weibes. Ich leugne nicht, daß es auch, wenngleich relativ nur recht selten, hysterische Männer gibt: denn eine unter den unendlich vielen Möglichkeiten, die psychisch im Manne liegen, ist es, zum Weibe, und damit, gegebenenfalls, auch hysterisch zu werden. Es gibt freilich auch verlogene Männer; aber da verläuft die Krisis anders (wie auch ihre Verlogenheit stets eine andere, nie eine so völlig hoffnungslose ist): sie führt zur, obschon oft nur vorübergehenden, Läuterung.

Diese Einsicht in die organische Verlogenheit des Weibes, in seine Unfähigkeit zur Wahrheit über sich selbst, die allein ermöglicht, daß es in einer Weise denke, die ihm gar nicht entspricht, scheint mir eine im Prinzip befriedigende Auflösung jener Schwierigkeiten, welche die Ätiologie der Hysterie darbietet. Wäre die Tugend des Weibes echt, so könnte es durch sie nicht leiden; es büßt nur die Lüge gegen die eigene, in Wirklichkeit ungeschwächte Konstitution. Im einzelnen bedarf nun noch manches der Erläuterung und der Belege.

Die Hysterie zeigt, daß die Verlogenheit, so tief sie hinabreicht, doch nicht so fest sitzt, um alles zu verdrängen. Das Weib hat ein ganzes System von ihm fremden Vorstellungen und Wertungen durch Erziehung oder Verkehr sich zu eigen gemacht, oder vielmehr: ihnen gehorsam alle Einflußnahme auf sich gestattet; und es bedarf eines ganz gewaltigen Anstoßes, um diesen großen, fest in sie eingewachsenen psychischen Komplex aus dem Sattel zu heben, und so das Weib in jenen Zustand intellektueller Hilflosigkeit, jener »Abulie« zu versetzen, welche für die Hysterie so kennzeichnend ist. Ein außerordentlicher Schreck etwa vermag den künstlichen Bau umzuwerfen und die Frau nun zum Schauplatz des Kampfes einer ihr unbewußten, verdrängten Natur mit einem zwar bewußten, aber ihr unnatürlichen Geiste zu machen. Das Hin- und Hergeworfenwerden zwischen beiden, welches nun anhebt, erklärt die außergewöhnliche psychische Diskontinuität während des hysterischen Leidens, das fortwährende Wechseln verschiedener Stimmungen, von denen keine durch einen, ihnen allen noch übergeordneten Bewußtseinskern ergriffen und festgehalten, beobachtet und beschrieben, erkannt und bekämpft werden kann. Auch, hängt hiemit das überleichte Zusammenschrecken der Hysterischen zusammen. Doch läßt sich vermuten, daß viele Anlässe, auch wenn sie dem geschlechtlichen Gebiete objektiv noch so fernliegen, von ihnen sexuell mögen apperzipiert werden; wer aber vermöchte dann zu sagen, womit das schreckhafte äußere Erlebnis von scheinbar ganz asexueller Natur in ihnen sich wieder verknüpft hat?

Höchst wunderbar ist immer das Zusammensein so vieler Widersprüche in den Hysterischen erschienen. Sie sind einerseits von eminent kritischem Verstande und großer Urteilssicherheit, sträuben sich gegen die Hypnose usw., usw., anderseits durch die geringfügigsten Anlässe am stärksten zu exzitieren, und die tiefsten Grade hypnotischen Schlafes bei ihnen erreichbar. Sie sind, von da gesehen, abnorm keusch, von dort aus betrachtet, enorm sinnlich.

All das ist hienach nicht schwer mehr zu erklären. Die gründliche Rechtschaffenheit, die peinliche Wahrheitsliebe, das strenge Meiden alles Sexuellen, das besonnene Urteil und die Willensstärke – all dies ist nur ein Teil jener Pseudopersönlichkeit, welche die Frau in ihrer Passivität vor sich und aller Welt zu spielen übernommen hat. Alles, was ihrer ursprünglichen Beschaffenheit angehört und in deren Sinn liegt, bildet jene »abgespaltene Person«, jene »unbewußte Psyche«, die gleichzeitig in Obszönitäten sich ergehen kann und der suggestiven Beeinflussung so zugänglich ist. Man hat in den als »duplex« und »multiplex personality«, als »double conscience«, als »Doppel-Ich« benannten Tatsachen eines der stärksten Argumente gegen die Annahme der einen Seele erblicken wollen. In Wirklichkeit sind gerade diese Phänomene der bedeutsamste Fingerzeig dafür, daß und wo man von einer Seele reden darf. Die »Spaltungen der Persönlichkeit« sind eben nur dort möglich, wo von Anfang an keine Persönlichkeit da ist, wie beim Weibe. All jene berühmten Fälle, die Janet in seinem Buche »L'Automatisme psychologique« beschrieben hat, beziehen sich auf Frauen, kein einziger auf einen Mann. Nur die Frau, die, ohne Seele, ohne ein intelligibles Ich, nicht Kraft hat, alles in ihr Enthaltene bewußt zu machen, das Licht der Wahrheit über ihrem Innern zu entzünden, kann durch die völlig passive Durchflößung mit einem fremden Bewußtsein und durch die im Sinne ihrer eigenen Natur gelegenen Regungen so übertölpelt werden, wie es Voraussetzung der von Janet beschriebenen hysterischen Zustände ist, nur bei ihr kann es zu derartig dichten Verkleidungen, zum Auftreten der Hoffnung auf den Koitus als Angst vor dem Akte, zur inneren Maskierung vor sich selbst und Einspinnung des wirklichen Wollens wie in eine undurchdringliche Kokonhülle kommen. Die Hysterie selbst ist der Bankerott des aufgeprägten oberflächlichen Schein-Ich; deshalb macht sie das Weib zeitweilig innerlich beinahe zur »tabula rasa«: indem auch jeder eigene Trieb aus ihr wie hinweggeräumt scheint (»Anorexie«); bis dann jene Versuche der wirklichen Weiblichkeit folgen, gegen ihre verlogene Verleugnung sich nun endlich durchzusetzen. Wenn jener »nervöse Schock«, jenes »psychische Trauma« je wirklich ein asexuelles Schrecknis ist, so bat eben dieses die innere Schwäche und Unhaltbarkeit des angenommenen Ich dargetan, es verscheucht, davongejagt und so die Gelegenheit für den Ausbruch der echten Natur geschaffen.

Das Heraufkommen dieser ist jener »Gegenwille« Freuds, der wie ein fremder empfunden und durch die Zuflucht bei dem alten, nun aber morsch und brüchig gewordenen Schein-Ich abgewehrt wird. Denn der »Gegenwille« wird zurückzudrängen versucht: früher hat jener äußere Zwang, den die Hysterika wie eine Pflicht empfand, die eigene Natur unter die Bewußtseinsschwelle verwiesen, sie verdammt und in Fesseln gelegt; nun sucht das Weib nochmals vor den befreiten, emporwollenden Gewalten in jenes System von Grundsätzen sich zu flüchten und mit seiner Hilfe die ungewohnten Anfechtungen abzuschütteln und niederzuschlagen; aber jenes hat zumindest die Alleinherrschaft nun eingebüßt.

Der »Fremdkörper im Bewußtsein«, das »schlimme Ich« ist in Wirklichkeit ihre eigenste weibliche Natur, während, was sie für ihr wahres Ich hält, gerade die Person ist, die sie durch das Einströmen alles Fremden wurde. Der »Fremdkörper« ist die Sexualität, die sie nicht anerkennt, deren Zugehörigkeit zu sich sie nicht zugibt; die sie aber doch nicht mehr zu bannen vermag wie ehedem, da ihre Triebe vor der einwandernden Sittlichkeit sich geräuschlos und wie für immer zurückzogen. Zwar mögen sich auch jetzt noch die mit äußerster Anspannung unterdrückten Sexualvorstellungen » konvertieren« in alle möglichen Zustände und so jenen proteusartigen Charakter des Leidens hervorbringen, jenes Überspringen von Glied zu Glied, jene alles nachahmende und niemals konstante Gestalt, welche die Definition der Hysterie nach ihrem Symptomenbilde stets so sehr erschwert hat; aber in keiner »Konversion« von allen geht nunmehr der Trieb auf, denn er verlangt nach der Äußerung, in keiner Verwandlung findet er mehr seine Erschöpfung.

Das Unvermögen der Frauen zur Wahrheit – für mich, der ich auf dem Boden des Kantischen Indeterminismus stehe, folgt es aus ihrem Mangel an einem freien Willen zur Wahrheit – bedingt ihre Verlogenheit. Wer mit Frauen Umgang hatte, der weiß, wie oft sie, unter dem momentanen Zwang auf eine Frage zu antworten, ganz beliebig falsche Gründe für das, was sie gesagt oder getan haben, aus dem Stegreif angeben. Nun ist es richtig, daß gerade die Hysterischen peinlichst (aber nie ohne eine gewisse, demonstrative Absichtlichkeit vor Fremden) jeder Unwahrheit aus dem Wege gehen: aber gerade hierin liegt, so paradox es klingt, ihre Verlogenheit. Denn sie wissen nicht, daß ihnen die ganze Wahrheitsforderung von außen gekommen und allmählich eingepflanzt worden ist. Sie haben das Postulat der Sittlichkeit knechtisch akzeptiert und geben darum, dem braven Sklaven gleich, bei jeder Gelegenheit zu erkennen, wie getreu sie es befolgen. Es ist immer auffällig, wenn man über jemand oft hervorheben hört, was für ein ausnehmend anständiger Mensch er sei: er hat dann sicherlich dafür gesorgt, daß man es wisse, und man kann wetten, daß er insgeheim ein Spitzbube ist. Es kann das Vertrauen zu der Echtheit der hysterischen Moralität nicht fördern, wenn die Ärzte (natürlich in gutem Glauben) so oft betonen, wie hoch ihre Patienten in sittlicher Beziehung stünden.

Ich wiederhole: die Hysterischen simulieren nicht bewußt; nur unter dem Einfluß der Suggestion kann ihnen klar werden, daß sie tatsächlich simuliert haben, und nur so sind alle »Geständnisse« der Verstellung zu erklären. Sonst aber glauben sie an ihre eigene Aufrichtigkeit und Moralität: Auch die Beschwerden, von denen sie gepeinigt werden, sind keine eingebildeten; vielmehr liegt darin, daß sie diese wirklich fühlen, und daß die Symptome erst mit der Breuerschen »Katharsis« verschwinden, welche ihnen die wahren Ursachen der Krankheit in der Hypnose sukzessive zum Bewußtsein bringt, der Beweis des Organischen ihrer Verlogenheit.

Auch die Selbstanklagen, welche die Hysterischen so laut zu erheben pflegen, sind nichts als unbewußte Gleisnerei. Ein Schuldgefühl kann nicht echt sein, das sich auf kleinste wie auf größte Dinge gleichmäßig erstreckt; hätten die hysterischen Selbstquäler das Maß der Sittlichkeit in sich und aus sich selbst, so würden sie nicht so wahllos in ihren Selbstanklagen sein und nicht die geringfügigste Unterlassung schon gleich schwer sich anrechnen wie den größten Fehl.

Das entscheidende Zeichen für die unbewußte Verlogenheit ihrer Selbstvorwürfe ist die Art, in der sie anderen zu sagen pflegen, wie schlecht sie seien, was für Sünden sie begangen hätten, und jene fragen, ob sie selbst (die Hysterischen) nicht ganz und gar verworfene Geschöpfe seien. Wessen Gewissensbisse ihn wirklich zu Boden drücken, der kann nicht so reden. Es ist eine Täuschung, der besonders Breuer und Freud zum Opfer gefallen sind, wenn sie gerade die Hysteriker als eminent sittliche Menschen hinstellen. Denn diese haben nur ein ihnen ursprünglich Fremdes, die Moral, vollständiger von außen in sich übergehen lassen als die anderen. Diesem Kodex unterstehen sie nun sklavisch, sie prüfen nichts mehr selbsttätig, wägen im einzelnen nichts mehr ab. Das kann sehr leicht den Eindruck des sittenstrengsten Rigorismus hervorrufen, und ist doch so unsittlich als möglich, denn es ist das Höchste, was an Heteronomie überhaupt geleistet werden kann. Dem sittlichen Ziele einer sozialen Ethik, für welche die Lüge kaum ein Vergehen sein kann, wenn sie der Gesellschaft oder der Entwicklung der Gattung nützt, diesem idealen Menschen einer solchen heteronomen Moral kommen die Hysterischen vielleicht näher als irgend ein anderes Wesen. Das hysterische Frauenzimmer ist die Probiermamsell der Erfolgs- und der Sozialethik: sowohl genetisch, denn die sittlichen Vorschriften sind ihr wirklich von außen gekommen; als auch praktisch, denn sie wird am leichtesten altruistisch zu handeln scheinen: für sie sind die Pflichten gegen andere nicht ein Sonderfall der Pflicht gegen sich selbst.

Je getreuer die Hysterischen an die Wahrheit sich zu halten glauben, desto tiefer sitzt ihre Verlogenheit. Ihre völlige Unfähigkeit zur eigenen Wahrheit, zur Wahrheit über sich – die Hysterischen denken nie über sich nach und wollen nur, daß der andere über sie nachdenke, sie wollen ihn interessieren –, geht daraus hervor, daß die Hysterischen die besten Medien für alle Hypnose abgeben. Wer aber sich hypnotisieren läßt, der begeht die unsittlichste Handlung, die denkbar ist. Er begibt sich in die vollendetste Sklaverei: er verzichtet auf seinen Willen, auf sein Bewußtsein, über ihn gewinnt der andere Gewalt und erzeugt in ihm das Bewußtsein, das ihm hervorzubringen gutdünkt. So liefert die Hypnose den Beweis, wie alle Möglichkeit der Wahrheit vom Wollen der Wahrheit, d. h. aber vom Wollen seiner selbst, abhängt: wem in der Hypnose etwas aufgetragen wird, der führt es im Wachen aus, und ersinnt, um seine Gründe gefragt, auf der Stelle ein beliebiges Motiv dafür; ja, nicht nur vor anderen, auch vor sich selbst rechtfertigt er mit einer ganz aus der Luft gegriffenen Erklärung, weshalb er nun so handle. Man hat hier sozusagen eine experimentelle Bestätigung der Kantischen Ethik. Wäre der Hypnotisierte bloß ohne Erinnerung, so müßte er darüber erschrecken, daß er nicht wisse, warum er etwas tue. Aber er erfindet sich ohne weiteres ein neues Motiv, das mit dem wahren Grunde, aus dem er die Handlung ausführt, gar nichts zu tun hat. Er hat eben auf sein Wollen verzichtet, und damit keine Fähigkeit zur Wahrheit mehr.

Alle Frauen nun sind zu hypnotisieren und wollen gern hypnotisiert werden; am leichtesten, am stärksten die Hysterischen. Selbst das Gedächtnis für bestimmte Dinge aus ihrem Leben kann man – denn das Ich, der Wille, schafft das Gedächtnis – bei Frauen durch die einfache Suggestion, daß sie von ihnen nichts mehr wüßten, auslöschen, vernichten.

Jenes Breuersche »Abreagieren« der psychischen Konflikte durch den hypnotisierten Kranken liefert den zwingenden Beweis, daß sein Schuldbewußtsein kein ursprüngliches war. Wer sich einmal aufrichtig schuldig gefühlt hat, ist von diesem Gefühle nie so völlig zu befreien, wie es die Hysterischen sind, unter dem bloßen Einfluß des fremden Wortes.

Aber selbst diese Scheinzurechnung, welche die Frauen von hysterischer Konstitution an sich vollziehen, wird hinfällig im Augenblicke, wo die Natur, das sexuelle Begehren, sich durchzusetzen droht gegen die scheinbare Bändigung. Im hysterischen Paroxysmus geht nichts anderes im Weibe vor, als daß es sich, ohne es mehr sich selbst, wie früher, ganz zu glauben, fort und fort versichert: das will ich ja gar nicht, das will man, das will jemand Fremder von mir, aber ich will es nicht. Jede Regung anderer wird nun zu jenem Ansinnen in Beziehung gebracht, das an sie, wie sie glaubt, von außen gestellt wurde, aber in Wahrheit ihrer eigenen Natur entstammt und deren tiefsten Wünschen vollauf entspricht; nur darum sind die Hysterischen im Anfall so leicht durch das Geringste aufzubringen. Es handelt sich da immer um die letzte verlogene Abwehr der in ungeheurer Stärke frei werdenden Konstitution; die » Attitudes passionnelles« der Hysterischen sind nichts als diese demonstrative Abweisung des Sexualaktes, die darum so laut sein muß, weil sie eben doch unecht ist, und so viel lärmender als früher, weil nun die Gefahr größer ist. Aus diesem Grunde sind Frauen aus dem hysterischen Anfall (nach Janet) so besonders leicht in Somnambulismus überzuführen: sie stehen gerade dann bereits unter dem zwingendsten fremden Banne. Daß so oft sexuelle Erlebnisse aus der Zeit vor der Pubertät in der akuten Hysterie die größte Rolle spielen, ist danach leicht zu verstehen. Auf das Kind war der Einfluß der fremden moralischen Anschauungen verhältnismäßig leicht auszuüben, ohne einen erheblichen Widerstand in den noch fast gänzlich schlummernden sexuellen Wünschen überwinden zu müssen. Nun aber greift die bloß zurückgedrängte, nicht überwundene Natur das alte, schon damals von ihr, nur ohne die Kraft, es bis zum wachen Bewußtsein emporzuheben und gegen dieses durchzusetzen, positiv gewertete Erlebnis auf, und stellt es nun erst gänzlich verführerisch dar. Jetzt ist das wahre Bedürfnis nicht mehr so leicht vom wachen Bewußtsein fernzuhalten wie ehedem, und so ergibt sich die Krise. Daß der hysterische Anfall selbst so viele verschiedene Formen zeigen und sich fortwährend in ein neues Symptomenbild transmutieren kann, liegt vielleicht nur daran, daß der Ursprung des Leidens nicht erkannt, daß die Tatsache, ein sexuelles Begehren sei da, vom Individuum nicht zugegeben, nicht als von ihm ausgegangen ins Auge gefaßt, sondern einem zweiten Ich zugerechnet wird.

Dies aber ist auch der Grundfehler aller ärztlichen Beobachter der Hysterie, daß sie sich von den Hysterischen hierin immer ebenso haben belügen lassen, wie diese sich allerdings auch selber aufsitzen Ganz oberflächlich ist die alte Meinung, daß die Hysterika bewußt simuliere und lügnerische Geschichtlein erzähle. Die Verlogenheit des Weibes liegt ganz im Unbewußten; der eigentlichen Lüge, sofern diese einen Gegensatz zur Möglichkeit der Wahrheit bildet, ist das Weib gar nicht fähig (S. 188, 362 und 379).: nicht das abwehrende Ich, sondern das abgewehrte ist die eigene, wahre und ursprüngliche Natur der Hysterischen, so eifrig diese auch sich selbst und anderen vormachen, daß es ein Fremdes sei. Wäre das abwehrende Ich wirklich ihr eigenes, so könnten sie der Regung, als einer ihnen fremden, gegenübertreten, sie bewußt werten und klar entschieden abweisen, sie gedanklich festlegen und wiedererkennen. So aber findet eine Maskierung statt, weil das abwehrende Ich nur geborgt ist, und darum der Mut fehlt, dem eigenen Wunsche ins Auge zu schauen, von dem man eben doch dumpf irgendwie fühlt, daß er der echtgeborne, der allein mächtige ist. Darum kann jenes Begehren auch nicht identisch bleiben, indem es an einem identischen Subjekte fehlt; und da es unterdrückt werden soll, springt es sozusagen über von einem Körperteil auf den anderen. Denn die Lüge ist vielgestaltig, sie nimmt immer neue Formen an. Man wird diesen Erklärungsversuch vielleicht mythologisch finden; aber wenigstens scheint sicher, daß es immer nur ein und dasselbe ist, was jetzt als Kontraktur, dann wieder plötzlich als Hemianästhesie, und nun gar als Lähmung erscheint. Dieses eine ist das, was die Hysterika nicht als zu sich gehörig anerkennen will, und unter dessen Gewalt sie eben damit gerät: denn würde sie es sich zurechnen und es beurteilen, wie sie alle geringfügigsten Dinge sonst sich zugerechnet hat, so würde sie zugleich irgendwie außerhalb und oberhalb ihres Erlebnisses stehen. Gerade das Rasen und Wüten der Hysterikerinnen gegen etwas, das sie als fremdes Wollen empfinden, obwohl es ihr eigenstes ist, zeigt, daß sie tatsächlich ganz so sklavisch unter der Herrschaft der Sexualität stehen wie die nichthysterischen Frauen, genau so von ihrem Schicksal besessen sind und nichts haben, was über demselben steht: kein zeitloses, intelligibles, freies Ich.

Man wird nun mit Recht noch die Frage aufwerfen, warum nicht alle Frauen hysterisch, da doch alle verlogen seien. Es ist dies keine andere Frage als die nach der hysterischen Konstitution. Wenn die hier entwickelte Theorie das Richtige getroffen hat, so muß sie auch hierauf eine Antwort geben können, die mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Die hysterische Frau ist nach ihr diejenige, welche in passiver Gefügigkeit den Komplex der männlichen und gesellschaftlichen Wertungen einfach akzeptiert hat, statt ihrer sinnlichen Natur möglichst freien Lauf lassen zu wollen. Die nicht folgsame Frau wird also das Gegenteil der Hysterika sein. Ich will hiebei nicht lange verweilen, weil es eigentlich in die spezielle weibliche Charakterologie gehört. Das hysterische Weib wird hysterisch als eine Folge seiner Knechtsamkeit, es ist identisch mit dem geistigen Typus der Magd; ihr Gegenteil, die absolut unhysterische Frau (welche, als eine Idee, es in der Erfahrung nicht gibt), wäre die absolute Megäre. Denn auch dies ist ein Einteilungsgrund aller Frauen. Die Magd dient, die Megäre herrscht. Auch unter den Männern finden sich hiezu Analogien: es gibt geborne Diener, es gibt aber auch männliche Megären, z. B. Polizisten. Merkwürdigerweise findet der Polizeimann im allgemeinen auch sein sexuelles Komplement im Dienstmädchen. Zum Dienstmädchen kann und muß man geboren sein, und eignet sich hiezu sehr wohl manche Frau, die reich genug ist, um nie den Stand derselben ergreifen zu müssen. Und Magd und Megäre stehen immer in einem gewissen Ergänzungsverhältnis. Die absolute Megäre wird ihren Mann nie fragen, was sie tun, was sie z. B. kochen soll, die Hysterika ist immer ratlos und verlangt nach der Inspiration von außen; dies sei, als ein banalstes Erkennungszeichen beider, hier angeführt.

Die Folgerung aus der Theorie wird nun von der Erfahrung vollauf bestätigt. Die Xanthippe ist jene Frau, welche in der Tat am wenigsten Ähnlichkeit mit der Hysterika hat. Sie läßt ihre Wut (die wohl auch nur auf mangelhafte sexuelle Befriedigung zurückgeht) an anderen, die hysterische Sklavin an sich selbst aus. Die Megäre »haßt« die anderen, die Magd »haßt« »sich«. Alles, was die Megäre drückt, bekommt der Nebenmensch zu spüren; sie weint ebenso leicht wie die Magd, aber sie weint stets andere an. Die Sklavin schluchzt auch allein, ohne freilich je einsam zu sein – Einsamkeit wäre ja mit Sittlichkeit identisch und Bedingung jeder wahren Zweisamkeit und Mehrsamkeit; die Megäre verträgt das Alleinsein nicht, sie muß ihren Zorn an jemand außer sich auslassen, indes die Hysterische sich selbst verfolgt. Die Megäre lügt offen und frech, aber ohne es zu wissen, weil sie von Natur immer im Rechte zu sein glaubt; so beschimpft sie noch den anderen, der ihr widerspricht. Die Magd hält sich gehorsam an die ihr von Natur ebenso fremde Wahrheitsforderung; die Verlogenheit dieser fügsamen Ergebung kommt in ihrer Hysterie zum Vorschein: dann nämlich, wenn der Konflikt mit ihren eigenen sexuellen Wünschen da ist. Um dieser Rezeption und allgemeinen Empfänglichkeit willen mußte die Hysterie und das hysterische Frauenzimmer so eingehend besprochen werden: dieser Typus, nicht die Megäre, ist es, der mir zuletzt noch hätte entgegengehalten werden können. Die Magd, nicht die Megäre, ist auch jene Frau, von der man, entgegen dem elften Kapitel, glauben könnte, daß sie der Liebe fähig sei. Die Liebe dieser Frau ist aber nur der Vorgang des geistigen Erfülltwerdens von der Männlichkeit eines bestimmten Mannes und darum nur bei der Hysterika möglich; mit eigentlicher Liebe hat sie nichts zu tun, und kann sie nichts zu tun haben. Auch in der Schamhaftigkeit des Weibes ist ein solches Besessensein von einem Manne; erst hiedurch kommt Abschließung gegen alle anderen Männer zustande.

Verlogenheit, organische Verlogenheit, charakterisiert aber beide und somit sämtliche Frauen. Es ist ganz unrichtig, wenn man sagt, daß die Weiber lügen. Das würde voraussetzen, daß sie auch manchesmal die Wahrheit sagen. Als ob Aufrichtigkeit, pro foro interno et externo, nicht gerade die Tugend wäre, deren die Frauen absolut unfähig sind, die ihnen völlig unmöglich ist! Es handelt sich darum, daß man einsehe, wie eine Frau in ihrem ganzen Leben nie wahr ist, selbst, ja gerade dann nicht, wenn sie, wie die Hysterische, sich sklavisch an die für sie hetero nome Wahrheitsforderung hält und so äußerlich doch die Wahrheit sagt.

Ein Weib kann beliebig lachen, weinen, erröten, ja es kann schlecht aussehen auf Verlangen: die Megäre, wann sie, irgend einem Zweck zuliebe, es will; die Magd, wann der äußere Zwang es verlangt, der sie, ohne daß sie es weiß, beherrscht. Zu solcher Verlogenheit fehlen dem Manne offenbar auch die organischen, physiologischen Bedingungen.

Ist so die Wahrheitsliebe dieses Frauentypus nur als die ihm eigentümliche Form der Verlogenheit entlarvt, so ist von den anderen Eigenschaften, die an ihm gerühmt werden, von Anfang an zu erwarten, daß es nicht besser mit ihnen werde bestellt sein. Seine Schamhaftigkeit, seine Selbstbeobachtung, seine Religiosität werden rühmend hervorgehoben. Die weibliche Schamhaftigkeit ist aber nichts anderes als Prüderie, d. h. eine demonstrative Verleugnung und Abwehr der eigenen Unkeuschheit. Wo irgend bei einem Weibe das wahrgenommen wird, was man als Schamhaftigkeit deutet, dort ist auch schon, im genau entsprechenden Maße, Hysterie vorhanden. Die ganz unhysterische, die gänzlich unbeeinflußbare Frau, d. i. die absolute Megäre, wird nicht erröten, auch wenn ihr der Mann etwas noch so Berechtigtes vorwirft; ein Anfang von Hysterie ist da, wenn das Weib unter dem unmittelbaren Eindruck des männlichen Tadels errötet; vollkommen hysterisch aber ist es erst, sobald es auch dann errötet, wenn es allein und wenn kein fremder Mensch anwesend ist: denn dann erst ist es vom anderen, von der männlichen Wertung, vollständig imprägniert.

Frauen, die dem nahekommen, was man sexuelle Anästhesie oder Frigidität genannt hat, sind, wie ich, in Übereinstimmung mit Paul So11iers Befunden, hervorheben kann, stets Hysterikerinnen. Die sexuelle Anästhesie ist eben nur eine von den vielen hysterischen, d. h. unwahren, verlogenen Anästhesien. Es ist ja, besonders durch die Experimente von Oskar Vogt, bekannt, daß solche Anästhesien keinen wirklichen Mangel der Empfindung bedeuten, sondern nur einen Zwang, der gewisse Empfindungen vom Bewußtsein fernhält und ausschließt. Wenn man den anästhetisch gemachten Arm einer Hypnotisierten beliebig oft sticht und dem Medium aufgegeben hat, jene Zahl zu nennen, die ihm gleichzeitig einfalle, so nennt es die Zahl der Stiche, die es in seinem (dem »somnambulen«) Zustande, offenbar nur unter der Kraft eines bestimmten Bannes, nicht perzipieren durfte. So ist auch die sexuelle Frigidität auf ein Kommando entstanden: durch die zwingende Kraft der Imprägnation mit einer asexuellen, aus der Umgebung auf das empfängliche Weib übergegangenen Lebensanschauung; aber wie alle Anästhesie durch ein genügend starkes Kommando auch wieder aufzuheben.

Ebenso wie mit der eigenen körperlichen Unempfindlichkeit gegen den Geschlechtsakt verhält es sich mit dem Abscheu gegen Geschlechtlichkeit überhaupt. Ein solcher Abscheu, eine intensive Abneigung gegen alles Sexuelle, wird von manchen Frauen wirklich empfunden, und man könnte glauben, hier liege eine Instanz gegen die Allgemeingültigkeit der Kuppelei und gegen ihre Gleichsetzung mit der Weiblichkeit vor. Frauen, welche es krank machen kann, wenn sie ein Paar im Geschlechtsverkehre überraschen, sind aber stets Hysterikerinnen. So tritt hier vielmehr überzeugend die Richtigkeit der Theorie hervor, welche die Kuppelei als das Wesen der Frau hinstellte und die eigene Sexualität derselben nur als einen besonderen Fall unterordnete: eine Frau kann nicht nur hysterisch werden durch ein sexuelles Attentat, das auf sie ausgeübt wurde, und gegen das sie äußerlich sich wehrte, ohne es innerlich zu verneinen, sondern ebenso durch den Anblick irgend eines koitierenden Paares, indem sie dessen Koitus noch negativ zu werten glaubt, wo schon die eingeborne Bejahung desselben mächtig durchbricht durch alles Angenommene und Künstliche, durch die ganze ihr aufgedrückte und einverleibte Denkweise, in deren Sinn sie sonst empfindet. Denn sie fühlt auch mit jeder sexuellen Vereinigung anderer nur sich selbst koitiert.

Ein Ähnliches gilt von dem bereits kritisierten hysterischen »Schuldbewußtsein«. Die absolute Megäre fühlt sich überhaupt nie schuldig, die leicht hysterische Frau nur in Gegenwart des Mannes, die ganz hysterische vor jenem Mann, der definitiv in sie übergegangen ist. Man komme nicht mit den Kasteiungen der Betschwestern und Büßerinnen, um das Schuldgefühl der Frauen zu beweisen. Gerade die extremen Formen, welche hier die Selbstzüchtigung annimmt, machen sie verdächtig. Die Kasteiung beweist wohl in den meisten Fällen nur, daß ein Mensch nicht über seiner Tat steht, daß er sie nicht schon durch das Schuldbewußtsein auf sich genommen hat; sie scheint viel eher ein Versuch zu sein, die Reue, die man doch nicht ganz innerlich empfindet, von außen sich aufzudrängen und ihr so die Stärke zu geben, die sie an sich nicht hat.

Aber worin dieses hysterische Schuldbewußtsein von der wahrhaft männlichen Art, in sich zu gehen, sich unterscheidet, wie die Selbstvorwürfe der Hysterika entstehen, das ist bedeutungsvoll genug, und macht eine genaue Distinktion erforderlich. Wenn es in einer solchen Frau zur Wahrnehmung gelangt, daß irgendwo von ihr gegen die Sittlichkeit verstoßen wurde, so korrigiert sie sich nach dem Kodex, sucht ihm zu gehorchen und genehm zu werden, indem sie an der Stelle des unsittlichen Wunsches das Gefühl in sich zu erzeugen sucht, welches jener vorschreibt. Sie gerät nicht auf den Gedanken: hier liege ein tiefer, innerlicher, dauernder Hang zum Laster bei ihr vor; sie entsetzt sich nicht darüber, geht nicht in sich, um hierüber sich klar zu werden und mit sich selbst da restlos ins Reine zu kommen; sondern sie schmiegt sich der Sittlichkeit Punkt für Punkt an; es ist keine Umwandlung aus dem Ganzen, aus der Idee, die sich hier vollzieht, sondern eine Verbesserung von Punkt zu Punkt, von Fall zu Fall. In der Frau wird der sittliche Charakter stückweise erzeugt; im Manne geht, wenn er gut ist, die sittliche Handlung aus dem sittlichen Charakter hervor. Hier wird durch ein Gelübde der ganze Mensch umgearbeitet; was nur von innen aus geschehen kann, geschieht, der Übergang zu einer Gesinnung, die allein zu einer Heiligkeit führen kann, die nicht Werkheiligkeit ist. Darum ist die Sittlichkeit der Frau nicht produktiv und beweist eben hiedurch, daß sie Unsittlichkeit ist, denn Ethik allein ist schöpferisch; sie allein ist Schöpfung von Ewigem im Menschen. Darum sind auch die hysterischen Frauen nicht wirklich genial, wenn auch am ehesten sie diesen Schein hervorbringen können (die heilige Therese); Genialität ist eben nur höchste Güte, Sittlichkeit, die alle Grenze noch als Schwäche und Schuld, als Unvollkommenheit und Feigheit empfindet.

Damit hängt auch der vom einen dem anderen immer wieder nachgesprochene Irrtum zusammen, daß die Frauen religiös veranlagt seien. Die weibliche Mystik ist, wo sie über simplen Aberglauben hinausgeht, entweder eine sanft verhüllte Sexualität, wie bei den zahlreichen Spiritistinnen und Theosophinnen – diese Identifikation des Geliebten mit der Gottheit ist von Dichtern mehrfach behandelt worden, besonders von Maupassant, in dessen bestem Romane für die Frau des Bankiers Walter Christus die Züge des » Bel-Ami« annimmt, und nach ihm von Gerhart Hauptmann in » Hanneles Himmelfahrt« –, oder es ist der andere Fall verwirklicht, daß auch die Religiosität vom Manne passiv und unbewußt übernommen und um so krampfhafter festzuhalten gesucht wird, je stärker ihr die eigenen natürlichen Bedürfnisse widersprechen. Bald wird der Geliebte zum Heiland; bald (wie man weiß, bei so vielen Nonnen) der Heiland zum Geliebten. Alle großen Visionärinnen, welche die Geschichte nennt (vgl. Teil I, S. 82), sind hysterisch gewesen; die berühmteste unter ihnen, die heilige Therese, hat man nicht mit Unrecht »die Schutzheilige der Hysterie« genannt. Wäre übrigens die Religiosität der Frauen echt, und käme sie bei ihnen aus einem Inneren, so hätten sie religiös schöpferisch sein können, ja, irgendwie sein müssen: sie sind es aber nie, nicht im mindesten, gewesen. Man wird verstehen, was ich meine, wenn ich den eigentlichen Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Credo so ausspreche: die Religiosität des Mannes ist höchster Glaube an sich selbst, die Religiosität des Weibes höchster Glaube an den anderen.

So bleibt nur noch die Selbstbeobachtung, die bei den Hysterikern oft als außerordentlich entwickelt bezeichnet wird. Daß es aber bloß der Mann ist, der in das Weib so weit eingedrungen ist, daß er selbst in ihr noch beobachtet, wird aus der Art und Weise klar, wie Vogt, in weiterer und exakterer Anwendung eines zuerst von Freud eingeschlagenen Verfahrens, die Selbstbeobachtung in der Hypnose erzwang. Der fremde männliche Wille schafft durch seinen Einfluß in der hypnotisierten Frau einen Selbstbeobachter, vermöge der Erzeugung eines Zustandes »systematisch eingeengten Wachseins«. Aber auch außerhalb der Suggestion, im gesunden Leben der Hysterischen, ist es nur der Mann, mit dem sie imprägniert sind, welcher in ihnen beobachtet. So ist auch alle Menschenkenntnis der Frauen durchaus Imprägnation mit dem richtig beurteilten Manne. Im Paroxysmus schwindet jene künstliche Selbstbeobachtung vor der zum Durchbruch drängenden Natur dahin.

Ganz so verhält es sich auch mit dem Hellsehen hysterischer Medien, das ohne Zweifel vorkommt und mit dem »okkulten« Spiritismus ebensowenig zu tun hat wie die hypnotischen Phänomene. Wie die Patientinnen Vogts unter dem energischen Willen des Suggestors sich selbst vorzüglich zu beobachten vermochten, so wird die Hellseherin unter dem Einflusse der drohenden Stimme eines Mannes, der sie zu allem zu zwingen vermag, auch zu telepathischen Leistungen fähig und liest aus weiter Ferne gehorsam mit verbundenen Augen die Schriftstücke in den Händen fremder Menschen, was ich in München unzweideutig wahrzunehmen selbst Gelegenheit hatte. Denn im Weibe stehen nicht, wie im Manne, dem Willen zum Guten und Wahren sehr starke Leidenschaften unausrottbar entgegen. Der männliche Wille hat über das Weib mehr Gewalt als über den Mann: er kann im Weibe etwas realisieren, dem im eigenen Hause zu viel Dinge sich widersetzen. In ihm wirkt ein Antimoralisches und ein Antilogisches wider die Klärung, er will nie ganz allein die Erkenntnis, sondern immer noch anderes. Über die Frau aber kann der männliche Wille so vollständig alle Gewalt gewinnen, daß er sie sogar hellsichtig macht, und alle Schranken der Sinnlichkeit für sie fortfallen.

Darum ist das Weib eher telepathisch als der Mann, darum kann es eher sündelos scheinen als dieser, darum leistet es als Seherin mehr als er, freilich nur, wenn es Medium, d. h. zum Objekt geworden ist, an welchem der männliche Wille zum Guten, zum Wahren, am leichtesten und vollkommensten sich verwirklicht. Auch die Wala kann wissend werden: aber erst, wenn sie von Wotan bezwungen ist. Sie kommt ihm hierin entgegen; denn ihre einzige Leidenschaft ist es eben, daß sie gezwungen werden will.

Das Thema der Hysterie ist hiemit, soweit es für den Zweck dieser Untersuchung berührt werden mußte, auch erschöpft. Jene Frauen, die als Beweise der weiblichen Sittlichkeit angeführt werden, sind stets Hysterikerinnen, und gerade in der Befolgung der Sittlichkeit, in dem Gebaren nach dem Moralgesetze, als ob dieses Gesetz das Gesetz ihrer Persönlichkeit wäre, und nicht vielmehr, ohne sie zu fragen, von ihnen kurzerhand Besitz ergriffen hätte, liegt die Verlogenheit, die Unsittlichkeit dieser Sittlichkeit. Die hysterische Konstitution ist eine lächerliche Mimikry der männlichen Seele, eine Parodie auf die Willensfreiheit, die das Weib vor sich posiert in dem nämlichen Augenblicke, wo es dem männlichen Einfluß am stärksten unterliegt. Nichtsdestoweniger sind die höchststehenden Frauen eben Hysterikerinnen, wenn auch die Zurückdrängung der triebhaften Sexualität, die sie über die anderen Frauen erhebt, keine solche ist, die aus eigener Kraft und in mutigem Kampfe mit einem zum Stehen gezwungenen Gegner erfolgt wäre. An den hysterischen Frauen aber rächt sich wenigstens die eigene Verlogenheit, und insofern kann man sie als ein, wenn auch noch so verfälschtes, Surrogat jener Tragik gelten lassen, zu der es sonst dem Weibe an jeglicher Fähigkeit gebricht.

Das Weib ist unfrei: es wird schließlich immer bezwungen durch das Bedürfnis, vom Manne, in eigener Person wie in der aller anderen, vergewaltigt zu werden; es steht unter dem Banne des Phallus und verfällt unrettbar seinem Verhängnis, auch wenn es nicht selbst zur völligen Geschlechtsgemeinschaft gelangt. Das höchste, wozu ein Weib es bringen mag, ist ein dumpfes Gefühl dieser Unfreiheit, ein düsteres Ahnen eines Verhängnisses über sich – es kann dies offenbar nur der letzte Schimmer des freien/ intelligiblen Subjektes sein, der kümmerliche Rest von angeborner Männlichkeit, der ihr, durch den Kontrast, eine, wenn auch noch so schwache, Empfindung der Notwendigkeit gestattet: es gibt kein absolutes Weib. Aber ein klares Bewußtsein ihres Schicksales und des Zwanges, unter dem sie steht, ist der Frau unmöglich: nur der Freie erkennt ein Fatum, weil er nicht in die Notwendigkeit einbegriffen ist, sondern, wenigstens mit einem Teile seines Selbst, einem Zuschauer und einem Kämpfer, außerhalb seines Schicksales und über diesem steht. Ein an sich hinreichender Beweis der menschlichen Freiheit liegt nirgend anders als hierin: daß der Mensch einen Begriff der Kausalität zu bilden vermochte. Die Frau hält sich gerade darum meist für ungebunden, weil sie ganz gebunden, und leidet nicht an der Leidenschaft, weil sie selbst nichts ist als Leidenschaft. Nur der Mann konnte von der »dira necessitas« in sich sprechen, nur er die Konzeption einer Moira und einer Nemesis fassen, nur er Parzen und Nornen schaffen: weil er nicht nur empirisches, bedingtes, sondern auch intelligibles, freies Subjekt ist.

Aber, wie schon gesagt: selbst wenn eine Frau je ihre eigene Determiniertheit zu ahnen beginnt, ein klares Bewußtsein derselben, eine Auffassung und ein Verständnis ist dies nicht zu nennen; denn dazu wäre der Wille zu einem Selbst erfordert. Vielmehr bleibt es bei einem schweren dunklen Gefühl, das zu einem verzweifelten Aufbäumen führt, aber nicht zu einem entschlossenen, in sich die Möglichkeit des Sieges bergenden Kampfe. Ihre Sexualität, die sie stets knechten wird, zu überwinden, sind die Frauen unvermögend. Die Hysterie war eine solche ohnmächtige Abwehrbewegung gegen die Geschlechtlichkeit. Wäre der Kampf gegen die eigene Begier redlich und echt, wäre deren Niederlage aufrichtig gewollt, so wäre, sie ihr zu bereiten, dem Weibe auch möglich. Die Hysterie aber ist selbst das, was von den Hysterikerinnen angestrebt wird; sie suchen nicht, wirklich zu genesen. Die Verlogenheit dieser Demonstration gegen die Sklaverei bedingt ihre Hoffnungslosigkeit. Die vornehmsten Exemplare des Geschlechtes mögen fühlen, daß Knechtschaft ihnen nur eben darum ein Muß ist, weil sie sie wünschen – man denke an Hebbels Judith und Wagners Kundry –, aber auch dies gibt ihnen keine Kraft, sich in Wahrheit gegen den Zwang zur Wehr zu setzen: im letzten Augenblicke küssen sie dennoch den Mann, der sie notzüchtigt, und suchen den zu ihrem Herrn zu machen, der sie zu vergewaltigen zögert. Das Weib steht wie unter einem Fluche. Es kann ihn für Augenblicke pressend auf sich lasten fühlen, aber es entrinnt ihm nie, weil ihm die Wucht zu süß dünkt. Sein Schreien und Toben ist im Grunde unecht. Es will seinem Fluche gerade dann am süchtigsten erliegen, wenn es ihn am entsetztesten zu meiden sich gebärdet.

*

Von der langen Reihe jener früheren Aufstellungen, welche den Mangel des Weibes an irgend welchem angebornen, unveräußerlichen Verhältnis zu den Werten behaupteten, ist keine einzige zurückzuziehen oder auch nur einzuschränken gewesen. Selbst durch all das, was den Menschen insgemein weibliche Liebe, weibliche Frömmigkeit, weibliche Scham und weibliche Tugend heißt, sind sie nicht umgestoßen worden; sie haben sich vor dem stärksten Ansturm, vor dem Heere der hysterischen Imitationen aller männlichen Vorzüge, behaupten können. Nicht allein durch die Kraft des, mit dem Weibe selbst der Fernzeugung fähigen männlichen Spermas – auf welches die unglaubliche geistige Veränderung aller Frauen in der Ehe sicherlich zunächst zurückgeht –, sondern auch vom männlichen Bewußtsein, und sogar vom sozialen Geiste wird das Weib, jenes empfängliche Weib, das hier allein in Betracht kommt, von frühester Jugend auf erfüllt, imprägniert und umgebildet. So erklärt es sich, daß alle jene Eigenschaften des männlichen Geschlechtes, die dem weiblichen an sich nicht zukommen, nichtsdestoweniger von diesem in so sklavischer Nachahmung zur Erscheinung gebracht werden können; wonach die vielen Irrtümer über die höhere Sittlichkeit des Weibes leichter begreiflich werden.

Aber noch ist diese erstaunliche Rezeptivität der Frau ein isoliertes Faktum der Erfahrung und von der Darstellung nicht in jenen Zusammenhang mit den übrigen positiven und negativen Eigenschaften des Weibes gebracht, welchen das theoretische Bedürfnis wünschenswert erscheinen läßt. Was hat die Bildsamkeit des Weibes mit seiner Kuppelei, was seine Sexualität mit seiner Verlogenheit zu tun? Warum ist all dies gerade in dieser Vereinigung im Weibe beisammen?

Und noch ist erst zu begründen, woher es komme, daß die Frau alles in sich aufnehmen kann. Wie ist jene Verlogenheit möglich, die das Weib selber wähnen läßt, das zu glauben, was es nur von anderen vernommen, das zu haben, was es nur von ihnen bekommen, das zu sein, was es nur durch sie geworden ist?

Um hierauf eine Antwort zu finden, muß nochmals, zum letzten Male, vom geraden Wege abgebogen werden. Man erinnert sich vielleicht noch, wie das tierische Wiedererkennen, das psychische Äquivalent der allgemein-organischen Übungsfähigkeit, vom menschlichen Gedächtnis als ein gänzlich Verschiedenes und doch Ähnliches abgetrennt wurde: indem beide eine gleichsam ewige Nachwirkung des zeitlich begrenzten einmaligen Eindruckes bedeuten, das Gedächtnis aber, zum Unterschiede vom unmittelbaren passiven Wiedererkennen, sein Wesen in der aktiven Reproduktion des Vergangenen findet. S. 178. Später wurde bloße Individuation als die Eigenschaft alles Organischen wohl unterschieden von Individualität, welche nur der Mensch besitzt. S. 192. Und schließlich machte sich die Notwendigkeit einer genauen Distinktion zwischen Geschlechtstrieb und Liebe fühlbar, von denen ebenfalls nur der erste den nichtmenschlichen Lebewesen zugesprochen werden konnte. S. 307 f., 321 f. Dennoch waren beide verwandt, in ihren Gemeinheiten wie in ihren Erhabenheiten (als Bestrebungen zur eigenen Verewigung).

Auch der Wille zum Wert wurde öfter als charakteristisch für den Menschen hingestellt, indes die Tiere nur ein Streben nach Lust kennen und der Wertbegriff ihnen fremd ist. S. 167, 217. Zwischen Lust und Wert besteht eine Analogie, und doch sind beide grundverschieden: die Lust wird begehrt, der Wert soll begehrt werden; beide werden noch immer ganz widerrechtlich verwechselt, und so in Psychologie und Ethik die größte Konfusion dauernd festgehalten. Aber dieses Durcheinanderfließen hat nicht nur zwischen dem Wert- und dem Lustbegriff stattgefunden; es ist den Unterscheidungen zwischen Persönlichkeit und Person, zwischen Wiedererkennen und Gedächtnis, zwischen Geschlechtstrieb und Liebe nicht besser ergangen: alle diese Gegensätze werden fortwährend zusammengeworfen, und was noch bezeichnender ist, fast stets von denselben Menschen, mit denselben theoretischen Anschauungen und wie in einer gewissen Absichtlichkeit, um den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu verwischen.

Auch weitere, bisher kaum berührte Distinktionen werden hier meist vernachlässigt. Tierisch ist die Enge des Bewußtseins, rein menschlich ist die aktive Aufmerksamkeit: beide haben, das sieht jeder klar, ein Gemeinsames, und doch auch ein Verschiedenes. Nicht anders steht es mit der so vielen geläufigen Zusammenwerfung von Trieb und Wille. Der Trieb ist allen Lebewesen gemeinschaftlich, im Menschen kommt noch der Wille hinzu, der frei ist und kein psychologisches Faktum bildet, weil er allem speziellen psychologischen Erleben zugrunde liegt. Daß Trieb und Wille fast immer als identisch betrachtet werden, hieran trägt übrigens nicht bloß der Einfluß Darwins die Schuld; sondern es kommt von ihr fast ebensoviel auf Rechnung des unklaren, einerseits ganz allgemein naturphilosophischen, anderseits eminent ethischen Willensbegriffes von Arthur Schopenhauer.

Ich stelle zusammen:

Auch

tierisch, beziehungsweise organisch überhaupt sind:
Nur

dem Menschen, respektive dem menschlichen Manne eignen:
Individuation
Wiedererkennen
Lust
Geschlechtstrieb
Enge des Bewußtseins
Trieb
Individualität
Gedächtnis
Wert
Liebe
Aufmerksamkeit
Wille

Man sieht, wie sich über jede Eigenschaft alles Lebendigen im Menschen noch eine andere, in gewisser Beziehung verwandte und doch höhere legt. Die uralte tendenziöse Identifikation der beiden Reihen und, auf der anderen Seite, das Bedürfnis, sie immer wieder auseinanderzuhalten, weisen auf ein Gemeinsames hin, das die Glieder jeder Reihe miteinander verbindet und scheidet von allen Gliedern der zweiten. Es nimmt sich zunächst aus, als ob hier im Menschen ein Überbau von höheren Eigenschaften über korrelative niedere Erscheinungen aufgeführt wäre. Man könnte an eine Lehre des indischen Geheimbuddhismus sich erinnert fühlen, an seine Theorie von der » Menschheitswelle«. Es ist nämlich gleichsam, als wäre jeder bloß tierischen Eigenschaft im Menschen eine verwandte und doch einer höheren Sphäre angehörige Qualität superponiert, wie eine Schwingung einer anderen sich addiert: jene niederen Eigenschaften fehlen dem Menschen keineswegs, allein es ist zu ihnen in ihm etwas hinzugekommen. Was ist dieses neu Dazugetretene? Worin unterscheidet es sich vom anderen und worin gleicht es ihm? Denn die Tafel zeigt unverkennbar, daß jedes Glied der linken Reihe mit jedem, auf gleicher Höhe stehenden, Gliede der rechten eine Ähnlichkeit hat, und doch wieder anderseits alle Glieder jeder Reihe eng zueinander gehören. Woher diese merkwürdige Übereinstimmung bei gleichzeitiger ganz abgrundtiefer Verschiedenheit?

Die linksstehenden Dinge sind fundamentale Eigenschaften alles animalischen, respektive pflanzlichen Lebens. Alles solche Leben ist Leben von Individuen, nicht von ungegliederten Massen, es äußert sich als Trieb, um Bedürfnisse zu befriedigen, insonderheit als Sexualtrieb, um sich fortzupflanzen. Individualität, Gedächtnis, Wille, Liebe können somit als Eigenschaften eines zweiten Lebens gelten, das mit dem organischen Leben eine gewisse Verwandtschaft haben und doch von ihm toto coelo verschieden sein wird.

Es ist keine andere als die Idee des ewigen, höheren, neuen Lebens der Religionen und speziell des Christentums, deren tiefe Berechtigung uns hier entgegentritt. Neben dem organischen hat der Mensch noch teil an einem anderen Leben, der ζωὴ αἰώνιος des neuen Bundes. Wie jenes Leben von irdischer Speise sich nährt, so bedarf dieses der geistigen Atzung (Symbol des Abendmahles). Wie jenes eine Geburt und einen Tod, so kennt auch dieses eine Begründung – die sittliche Wiedergeburt des Menschen, die » Regeneration« – und einen Untergang: den endgültigen Verfall in Irrsinn oder Verbrechen. Wie jenes bestimmt wird durch kausale Naturgesetze von außen, so bindet sich dieses durch normierende Imperative von innen. Jenes ist von begrenzter Art zweckmäßig; dieses, in unendlicher, unbegrenzter Herrlichkeit, ist vollkommen. Es ließen sich die Analogien zwischen höherem und niederem Leben noch vermehren. Es war nicht, wie man heute allgemein glaubt, nur ein oberflächlicher Fehlschluß, wenn stets und überall der Atem in eine besondere Beziehung zur Seele des Menschen gesetzt wurde. Wie die Seele des Menschen der Mikrokosmus ist, d. h. im Zusammenhange mit dem All lebt, so ist auch der Atem, viel allgemeiner noch als die Sinnesorgane, Vermittler eines Konnexes zwischen jedem Organismus und dem Weltganzen; und wenn er erlischt, ist das niedere Leben zu Ende. Er ist das Prinzip des irdischen, wie die Seele das des ewigen Lebens.

Die Eigenschaften, welche die linke Reihe aufzählt, sind allem niedrigen Leben gemeinsam; die Merkmale aus der rechten Kolumne sind die korrespondierenden Zeichen des ewigen Lebens, Künder eines höheren Seins, an welchem der Mensch, und nur er allein, noch überdies Anteil hat. Die ewige Verwechslung und die stets erneute Auseinanderhaltung beider Reihen, des höheren und des niederen Lebens, bildet das Hauptthema aller Historie des menschlichen Geistes: dies ist das Motiv der Weltgeschichte.

Man mag in diesem zweiten Leben etwas erblicken, das sich im Menschen zu den, früher vorhandenen, anderen Eigenschaften hinzuentwickelt habe; hier soll über diese Frage nicht entschieden werden. Doch wird wohl eine tiefere Auffassung jenes sinnliche und sinnenfällige, hinfällige Leben nicht als den Erzeuger des höheren, geistigen, ewigen, sondern umgekehrt, im Sinne des vorigen Kapitels, das erstere als eine Projektion des letzteren auf die Sinnlichkeit, als seine Abbildung im Reiche der Notwendigkeit, als sein Heruntersteigen, seine Erniedrigung zu diesem, als seinen Sündenfall ansehen müssen. Denn nur der letzte Abglanz der höheren Idee von einem ewigen Leben ist es, der auf die Fliege fällt, die mich belästigt, und mich hindern kann, sie zu töten. Sollte es hiemit gelungen sein, für den tiefsten Gedanken der Menschheit, den Gedanken, in dem sie ihr eigenes Wesen erst eigentlich erfaßt hat, für den Gedanken der Erbsünde einen präzisen Ausdruck zu finden – indem (nach der Tafel) das, was sich verliert und wegwirft, das eigentliche Sein und Leben doch noch in einer gewissen Weise es selbst bleibt, empirische Realität, organische Vitalität wird –, so erhebt sich nun noch die Frage, warum diese Schuld verübt wird. Und hier steht endlich die Untersuchung vor dem letzten Problem überhaupt, dem einzigen, das es in Wahrheit gibt, dem einen, auf das noch kein Mensch eine Antwort zu geben wagen durfte, demjenigen Problem, das nie ein lebender Mensch lösen kann. Es ist das Rätsel der Welt und des Lebens, der Drang des Raumlosen in den Raum, des Zeitlosen in die Zeit, des Geistigen in den Stoff. Es ist das Verhältnis der Freiheit zur Notwendigkeit, das Verhältnis des Etwas zum Nichts, das Verhältnis Gottes zum Teufel. Der Dualismus in der Welt ist das Unbegreifliche, das Motiv des Sündenfalles, das Ur-Rätsel: der Grund und Sinn und Zweck des Absturzes vom ewigen Leben in ein vergängliches Dasein, des Zeitlosen in die irdische Zeitlichkeit, das nie enden wollende Geraten des gänzlich Schuldfreien in die Schuld. Ich vermag nie einzusehen, warum ich die Erbsünde beging, warum Freies unfrei, daß Reines schmutzig werden, wie Vollkommenes fehlen konnte.

Daß aber weder ich noch irgend ein anderer Mensch dies je einsehen wird, läßt sich beweisen. Ich kann nämlich eine Sünde erst erkennen, wenn ich sie nicht mehr begehe, und begehe sie nicht mehr, im Augenblick, da ich sie erkenne. Darum kann ich das Leben nicht begreifen, so lang ich das Leben begehe, und die Zeit ist das Rätsel, an dem ich so lange scheitere, als ich noch in ihr lebe, als ich sie noch setze. Vgl. Kap. 5, Seite 162 f. Problematisch kann die Zeit werden, wenn man irgendwie außerhalb ihrer steht; klar kann sie erst werden, wenn man gänzlich außer ihr sich befindet. Erst wenn ich sie überwinde, werde ich sie verstehen, erst der Tod kann mich den Sinn des Lebens lehren. Es ist gar kein Augenblick noch gewesen, in dem ich nicht auch nach dem Nichtsein verlangt hätte; wie hätte mir also dieses Verlangen Objekt der Betrachtung, wie Gegenstand der Erkenntnis werden können? Was ich erkannt hätte, außerhalb dessen stünde ich ja schon: meine Sündhaftigkeit kann ich nicht begreifen, weil ich noch immer sündhaft bin. Das ewige und das höhere Leben sind nicht nach, sondern neben einander, und die Präexistenz des Guten ist eine dem Werte nach.

Das absolute Weib jedoch, dem Individualität und Wille mangeln, das keinen Teil hat am Werte und an der Liebe, ist, so können wir jetzt sagen, von jenem höheren, transzendenten, metaphysischen Sein ausgeschlossen. Die intelligible hyperempirische Existenz des Mannes ist erhaben über Stoff, Raum und Zeit; in ihm ist Sterbliches genug, aber auch Unsterbliches. Und er hat die Möglichkeit, zwischen beiden zu wählen: zwischen jenem Leben, das mit dem irdischen Tode vergeht, und jenem, für welches dieser erst eine Herstellung in gänzlicher Reine bedeutet. Nach diesem vollkommen zeitlosen Sein, nach dem absoluten Werte, geht aller tiefste Wille im Manne: er ist eins mit dem Unsterblichkeitsbedürfnis. Und daß die Frau kein Verlangen nach persönlicher Fortdauer hat, wird so endlich ganz klar: in ihr ist nichts von jenem ewigen Leben, das der Mann durchsetzen will und durchsetzen soll gegen sein ärmliches Abbild in der Sinnlichkeit. Irgend eine Beziehung zur Idee des höchsten Wertes, zur Idee des Absoluten, zur Idee jener völligen Freiheit, die er noch nicht besitzt, weil er immer auch determiniert ist, die er aber erlangen kann, weil der Geist Gewalt hat über die Natur: eine solche Beziehung zur Idee überhaupt, oder zur Gottheit, hat jeder Mann: indem zwar durch sein Leben auf Erden eine Trennung und Loslösung vom Absoluten erfolgt ist, aber die Seele sich aus dieser Verunreinigung, als der Erbsünde, wieder hinaussehnt.

Wie die Liebe seiner Eltern keine reine zur Idee war, sondern mehr oder weniger eine sinnliche Verkörperung suchte, so will auch der Sohn, der eben das ist, worauf diese Liebe hinauslief, so lang er lebt, nicht bloß das ewige, sondern auch das zeitliche Leben: wir erschrecken vor dem Gedanken des Todes, wehren uns gegen ihn, klammern uns an das irdische Dasein und beweisen dadurch, daß wir geboren zu werden wünschten, als wir geboren wurden, indem wir noch immer in diese Welt geboren zu werden verlangen. So, glaube ich, kann die Verkettung von Geschlechtstrieb, Geburt und Erbsünde verstanden werden. Die Einzelgestalt, in der sich das niedere Leben behaupten will, nannte ich früher (S. 318 f.) den Abfall von der Idee, die Schuld. Aber nicht die unendliche Individualität, sondern das begrenzte Individuum ist die Sünde. Ein Mensch, der vor dem irdischen Tode gar keine Furcht mehr hätte, würde in eben diesem Augenblicke sterben; denn er hätte nur mehr den reinen Willen zum ewigen Leben, und dieses soll und kann der Mensch selbständig in sich verwirklichen: es schafft sich, wie alles Leben selbst sich schafft.

Weil aber jeder Mann in einem Verhältnis zur Idee des höchsten Wertes steht, ohne dieser Idee ganz teilhaft zu sein, darum gibt es keinen Mann, der glücklich wäre. Glücklich sind nur die Frauen. Kein Mann fühlt sich glücklich, denn ein jeder hat eine Beziehung zur Freiheit, und ist doch auf Erden immer noch irgendwie unfrei. Glücklich kann sich nur ein gänzlich passives Wesen fühlen, wie das echte Weib, oder ein gänzlich aktives, wie die Gottheit. Glück wäre das Gefühl der Vollkommenheit, dieses Gefühl kann ein Mann nie haben; wohl aber gibt es Frauen, die sich vollkommen dünken. Der Mann hat immer Probleme hinter sich und Aufgaben vor sich: alle Probleme wurzeln in der Vergangenheit; das Land der Aufgaben ist die Zukunft. Für das Weib ist denn auch die Zeit gar nicht gerichtet, sie hat ihr keinen Sinn: es gibt keine Frau, die sich die Frage nach dem Zwecke ihres Lebens stellte; doch die Einsinnigkeit der Zeit ist nur der Ausdruck dafür, daß dieses Leben einen Sinn gewinnen soll und kann.

Glück für den Mann: das könnte nur ganze, reine Aktivität sein, völlige Freiheit, nie ein geringer, aber auch nicht der höchste Grad von Unfreiheit: denn seine Schuld häuft sich, je weiter er von der Idee der Freiheit sich entfernt. Das irdische Leben ist ihm ein Leiden und muß es sein, schon weil in der Empfindung der Mensch eben doch passiv ist; weil ein Affiziertwerden stattfindet, weil es Materie und nicht nur Formung der Erfahrung gibt. Es ist kein Mensch, welcher der Wahrnehmung nicht bedürfte, selbst der geniale Mensch wäre nichts ohne sie, auch wenn er, mächtiger und schneller als alle anderen, alsbald mit dem ganzen Gehalte seines Ich sie erfüllt und durchdringt, und nicht einer vollständigen Induktion bedarf, um die Idee eines Dinges zu erkennen. Die Rezeptivität ist durch keinen Fichteschen Gewaltstreich aus der Welt zu schaffen: in der Sinnesempfindung ist der Mensch passiv, und seine Spontaneität, seine Freiheit gelangt erst im Urteil zur Geltung und in jener Form eines universalen Gedächtnisses, das alle Erlebnisse dem Willen des Individuums zu reproduzieren vermag. Annäherungen an die höchste Spontaneität, scheinbar schon Verwirklichungen gänzlicher Freiheit, sind dem Manne die Liebe und das geistige Schaffen. Darum gewähren am ehesten sie ihm eine Ahnung dessen, was das Glück ist, und lassen ihn seine Nähe, auf Augenblicke freilich nur, zitternd über sich verspüren.

Der Frau hingegen, die nie tief unglücklich sein kann, ist darum Glück eigentlich ein leeres Wort: auch der Begriff des Glückes ist vom Manne, vom unglücklichen Manne geschaffen worden, obwohl er in ihm nie eine adäquate Realisation findet. Die Frauen scheuen sich nie, ihr Unglück anderen zu zeigen: weil es eben kein echtes Unglück ist, weil hinter ihm keine Schuld steht, am wenigsten die Schuld des Erdenlebens als der Erbsünde.

Der letzte, der absolute Beweis der völligen Nichtigkeit des weiblichen Lebens, seines völligen Mangels an höherem Sein, wird uns aus der Art, wie Frauen den Selbstmord vollziehen. Ihr Selbstmord erfolgt nämlich wohl immer mit dem Gedanken an die anderen Menschen, was diese sich denken, wie diese sie bedauern, wie sie sich grämen oder – sich ärgern werden. Das ist nicht so zu verstehen, als ob die Frau nicht von ihrem, nach ihrer Ansicht stets unverdienten Unglück fest durchdrungen wäre im Augenblicke, da sie sich tötet: im Gegenteil, vor dem Selbstmord bemitleidet sie sich am allerheftigsten, nach jenem Schema des Mitleidens mit sich selbst, das nur ein Mitweinen mit den anderen über das Objekt des Mitgefühls der anderen, ein völliges Aufhören Subjekt zu sein, ist. Wie könnte auch eine Frau ihr Unglück als zu sich gehörig ansehen, da sie doch unfähig ist, ein Schicksal zu haben? Das Fürchterliche und für die Leerheit und Nullität der Frauen Entscheidende ist vielmehr dies, daß sie nicht einmal vor dem Tode zum Probleme des Lebens, ihres Lebens gelangen: weil in ihnen nicht ein höheres Leben der Persönlichkeit realisiert werden wollte.

Die Frage also, welche im Eingang dieses zweiten Teiles als sein Hauptproblem formuliert wurde, die Frage nach der Bedeutung des Mann-Seins und Weib-Seins, kann jetzt beantwortet werden. Die Frauen haben keine Existenz und keine Essenz, sie sind nicht, sie sind nichts . Man ist Mann oder man ist Weib, je nachdem ob man wer ist oder nicht .

Das Weib hat keinen Teil an der ontologischen Realität; darum hat es kein Verhältnis zum Ding an sich, das für jede tiefere Auffassung identisch ist mit dem Absoluten, der Idee oder Gott. Der Mann, in seiner Aktualität, dem Genie, glaubt an das Ding an sich: ihm ist es entweder das Absolute als sein höchster Begriff von wesenhaftem Werte: dann ist er Philosoph. Oder es ist das wundergleiche Märchenland seiner Träume, das Reich der absoluten Schönheit: dann ist er Künstler. Beides aber bedeutet dasselbe.

Das Weib hat kein Verhältnis zur Idee, es bejaht sie weder, noch verneint es sie: es ist weder moralisch noch antimoralisch, es hat, mathematisch gesprochen, kein Vorzeichen, es ist richtungslos, weder gut noch böse, weder Engel noch Teufel, nicht einmal egoistisch (darum konnte es für altruistisch gehalten werden), es ist amoralisch, wie es alogisch ist. Alles Sein aber ist moralisches und logisches Sein. Die Frau also ist nicht.

Das Weib ist verlogen. Das Tier hat zwar ebensowenig metaphysische Realität wie die echte Frau: aber es spricht nicht, und folglich lügt es nicht. Um die Wahrheit reden zu können, muß man etwas sein; denn die Wahrheit geht auf ein Sein, und zum Sein kann nur der ein Verhältnis haben, der selbst etwas ist. Der Mann will die ganze Wahrheit, das heißt, er will durchaus nur sein. Auch der Erkenntnistrieb ist zuletzt identisch mit dem Unsterblichkeitsbedürfnis. Wer dagegen über einen Tatbestand etwas aussagt, ohne wirklich mutig ein Sein behaupten zu wollen; wem die äußere Urteilsform gegeben ist ohne die innere; wer, wie die Frau, nicht wahrhaft ist: der muß notwendig immer lügen. Darum lügt die Frau stets, auch wenn sie objektiv die Wahrheit spricht.

Das Weib kuppelt. Die Lebenseinheiten des niederen Lebens sind Individuen, Organismen; die Lebenseinheiten des höheren Lebens sind Individualitäten, Seelen, Monaden, »Meta-Organismen«, wie ein nicht wegzuwerfender Terminus bei Hellenbach lautet. Jede Monade aber unterscheidet sich von jeder anderen, und ist von ihr so getrennt, wie zwei Dinge nur sein können. Die Monaden haben keine Fenster; statt dessen haben sie die ganze Welt in sich. Der Mann als die Monade, als potentielle oder aktuelle, das ist geniale, Individualität, will auch überall sonst Unterschied und Trennung, Individuation, Auseinandertreten: der naive Monismus ist ausschließlich weiblich. Jede Monade bildet für sich eine abgeschlossene Einheit, ein Ganzes; aber auch das fremde Ich ist ihr eine solche vollendete Totalität, in die sie nicht übergreift. Der Mann hat Grenzen, und bejaht, will Grenzen; die Frau, die keine Einsamkeit kennt, ist auch nicht imstande, die Einsamkeit des Nebenmenschen als solche zu bemerken und aufzufassen, zu achten oder zu ehren, und sie unangetastet anzuerkennen: für sie gibt es, weil keine Einsamkeit, auch keine Mehrsamkeit, sondern nur ein ungeschiedenes Verschmolzensein. Weil in der Frau kein Ich ist, darum ist für sie auch kein Du, darum gehören, nach ihrer Auffassung, Ich und Du zusammen als Paar, als ununterschiedenes Eines: darum kann die Frau zusammenbringen, darum kann sie kuppeln. Die Tendenz ihrer Liebe ist die Tendenz ihres Mitleidens: die Gemeinschaft, die Verschmolzenheit. Alle Individualität ist der Gemeinschaft feind: wo sie in höchster Sichtbarkeit wirkt, wie im genialen Menschen, zeigt sich dies gerade dem Geschlechtlichen gegenüber. Nur hieraus erklärt es sich, daß sicherlich alle bedeutenden Menschen, die, welche es verhüllt aussprechen können wie die Künstler, und die, welche so unendlich viel verschweigen müssen wie die Philosophen – weshalb man sie dann für trocken und leidenschaftslos hält –, daß also alle genialen Menschen ohne Ausnahme, soweit sie eine entwickelte Sexualität besitzen, an den stärksten geschlechtlichen Perversionen leiden (entweder am » Sadismus«, oder, wie zweifelsohne die größeren, am » Masochismus«). Das allen jenen Neigungen Gemeinsame ist ein instinktives Ausweichen vor der völligen körperlichen Gemeinschaft, ein Vorbeiwollen am Koitus. Denn einen wahrhaft bedeutenden Menschen, der im Koitus mehr sähe als einen tierischen, schweinischen, ekelhaften Akt, oder gar in ihm das tiefste, heiligste Mysterium vergötterte, wird es, kann es niemals geben.

Für die Frau gibt es nirgends Grenzen ihres Ich, die durchbrochen werden könnten, und die sie zu hüten hätte. Hierauf beruht zunächst der Hauptunterschied zwischen männlicher und weiblicher Freundschaft. Alle männliche Freundschaft ist ein Versuch zusammenzugehen unter dem Zeichen einer und derselben Idee, welcher die Freunde, jeder für sich, gesondert und doch vereint, nachstreben; die weibliche »Freundschaft« ist ein Zusammen stecken, und zwar, was besonders hervorzuheben ist, unter dem Gedanken der Kuppelei. Denn auf dieser beruht die einzig mögliche Art eines intimeren und nicht hinterhaltigen Verkehres zwischen Frauen: soweit diese überhaupt nicht bloß des Klatsches oder materieller Interessen halber gerade weibliche Gesellschaft aufsuchen. Die männliche Freundschaft scheut das Niederreißen von Mauern zwischen den Freunden. Freundinnen verlangen Intimitäten auf Grund ihrer Freundschaft. Wenn nämlich von zwei Mädchen oder Frauen die eine für sehr viel schöner gilt als die andere, dann findet die häßliche eine gewisse sexuelle Befriedigung in der Bewunderung, welche der Schöneren gezollt wird. Bedingung jeder Freundschaft zwischen Frauen ist also zu oberst, daß ein Rivalisieren zwischen ihnen ausgeschlossen sei: es gibt keine Frau, die sich nicht körperlich mit jeder anderen Frau sofort vergliche, welche sie kennenlernt. Lediglich in jenen Fällen großer Ungleichheit und aussichtsloser Konkurrenz kann die Häßliche für die Schönere schwärmen, weil diese für sie, ohne daß es beiden im geringsten bewußt würde, das nächste Mittel ist, selbst sexuell befriedigt zu werden: es ist nicht anders, sie fühlt sich gleichsam in jener koitiert. In solchen Fällen kommt die hübschere der weniger ansehnlichen oder weniger beachteten zweiten mit einem aus Mitleid und Verachtung gemischten Gefühl entgegen, welches, nebst dem Interesse an einer Folie für die eigenen Vorzüge, allein die längere Aufrechthaltung derartiger Beziehungen auch von ihrer Seite begünstigt. Das völlig unpersönliche Leben der Frauen, wie auch der überindividuelle Sinn ihrer Sexualität, die Kuppelei als der Grundzug ihres Wesens, leuchtet hieraus deutlich hervor. Sie verkuppeln sich wie die anderen, sich in den anderen. Das Mindeste, was auch das häßlichste Weib verlangt, und woran es schon ein gewisses Genügen findet, ist, daß überhaupt irgend eine ihres Geschlechtes bewundert, begehrt werde.

Mit diesem völlig verschmolzenen Leben des Weibes hängt es zusammen, daß die Frauen nie wirklich Eifersucht fühlen. So gemein Eifersucht und Rachedurst sind, es steckt in beiden ein Großes, dessen die Frauen, wie aller Größe, im Guten oder im Bösen, unfähig sind. In der Eifersucht liegt ein verzweifelter Anspruch auf ein vorgebliches Recht, und der Rechtsbegriff ist den Frauen transzendent. Aber der hauptsächlichste Grund, daß die Frau auf einen einzelnen Mann nie ganz eifersüchtig sein kann, ist ein anderer. Wenn der Mann, auch einer, in den sie rasend verliebt wäre, im Zimmer neben dem ihren eine andere Frau umarmte und besäße, so würde sie der Gedanke hieran sexuell selbst so erregen, daß für die Eifersucht kein Platz bliebe. Dem Manne würde eine solche Szene, wenn er um sie wüßte, höchst widerlich und abstoßend sein, und ihm den Aufenthalt in der Nähe verekeln; das Weib bejaht innerlich beinahe fieberhaft den ganzen Hergang; oder es wird hysterisch, wenn es sich nicht eingestehen will, daß es zu tiefst auch diese Vereinigung nur gewünscht hat.

Ferner gewinnt über den Mann der Gedanke an den fremden Koitus nie völlig Gewalt, er steht außer und über einem solchen Erlebnis, das für ihn eigentlich gar keines ist; die Frau aber verfolgt den Prozeß kaum selbst tätig, sie ist in fieberhafter Erregung und wie festgebannt durch den Gedanken, was hart neben ihr sich vollzieht. Und hier liegt auch der Unterschied zwischen der Kuppelei des Weibes und der Kuppelei des Verbrechers. Denn freilich kuppelt auch der Verbrecher; aber für ihn ist die Kuppelei nur ein Spezialfall. Denn er begünstigt das Verbrechen und die Sinnlichkeit, wo immer es geschehe: er freut sich über jeden Mord, über allen Tod und alles Unglück, jeden Brand und jede Zerstörung und jegliches Zugrundegehen: denn er sucht überall die Rechtfertigung seiner eigenen Abkehr zum Nicht-Sein, zum niederen Leben.

Oft mag auch das Interesse des Mannes an seinem Mitmenschen, der ihm ein Rätsel ist, bis auf dessen sexuelles Leben sich erstrecken; aber jene Neugier, welche den Nebenmenschen gewissermaßen zur Sexualität zwingt, ist nur den Weibern eigentümlich, von ihnen jedoch ganz allgemein betätigt, in gleicher Weise Frauen wie Männern gegenüber. Eine Frau interessieren an jedem Menschen zunächst und vor allem seine Liebschaften, und er ist ihr intellektuell nur so lange dunkel und reizvoll, als sie über diesen Punkt nicht im klaren ist.

Aus alledem geht nochmals klar hervor, daß Weiblichkeit und Kuppelei identisch sind: eine rein immanente Betrachtung des Gegenstandes würde denn auch mit dieser Feststellung ihr Ende erreicht haben müssen. Meine Absicht ging aber weiter; und ich glaube nun bereits angedeutet zu haben, wie das Weib als Position, als Kupplerin, zusammenhängt mit dem Weibe als Negation, das eines höheren Lebens als Monade gänzlich entbehrt. Das Weib verwirklicht eine einzige Idee, die ihm selbst eben darum nie zum Bewußtsein kommen kann, jene Idee, welche der Idee der Seele am äußersten entgegengesetzt ist. Ob sie nun als Mutter nach dem Ehebett verlangt oder als Dirne das Bacchanal bevorzugt, ob sie zu zweien Familie begründen will oder nach den Massenverschlingungen des Venusberges hinstrebt, sie handelt stets nach der Idee der Gemeinschaft, jener Idee, welche die Grenzen der Individuen, durch Vermischung, am weitesten aufhebt.

So ermöglicht hier eines das andere: Emissärin des Koitus kann nur ein Wesen ohne Individualität, ohne Grenzen sein. Nicht ohne Grund ist in der Beweisführung so weit ausgeholt worden, wie es sicherlich noch nie in einer Behandlung dieses Gegenstandes, noch auch sonst je einer charakterologischen Arbeit geschehen ist. Das Thema ist darum so ergiebig, weil hier der Zusammenhang alles höheren Lebens auf der einen und alles niederen Lebens auf der anderen Seite sich offenbaren muß. Jede Psychologie und jede Philosophie findet hier einen Prüfstein, vorzüglicher als die meisten anderen, auf daß sie an ihm sich erprobe. Nur darum bleibt das Problem Mann-Weib in aller Charakterologie das interessanteste Kapitel, nur darum habe ich es zum Objekte einer so umfassenden, weit ausgreifenden Untersuchung gewählt.

Man wird an dem Punkte, zu welchem die Darlegung nun gelangt ist, sicherlich offen fragen, was man bisher vielleicht nur als Bedenken bei sich erwogen hat: ob denn dieser Anschauung nach die Frauen überhaupt noch Menschen seien? Ob sie nach der Theorie des Verfassers nicht eigentlich unter die Tiere oder die Pflanzen gerechnet werden müßten? Denn sie entbehrten, nach seiner Auffassung, einer höheren als der sinnlichen Existenz nicht minder denn jene, sie hätten so wenig teil am ewigen Leben wie die übrigen Organismen, denen persönliche Fortdauer kein Bedürfnis und keine Möglichkeit ist. Eine metaphysische Realität sei beiden gleich wenig beschieden, sie seien alle nicht, das Weib nicht, noch auch das Tier, noch die Pflanze – alle nur Erscheinung, nirgends etwas vom Ding an sich. Der Mensch ist, nach der Ansicht, die sein Wesen am tiefsten erfaßt hat, ein Spiegel des Universums, er ist der Mikrokosmus; die Frau aber ist absolut ungenial, sie lebt nicht im tiefen Zusammenhange mit dem All.

In Ibsens »Klein Eyolf« spricht das Weib an einer schönen Stelle zum Manne:

Rita: Wir sind doch schließlich nur Menschen.

Allmers: Auch mit Himmel und Meer sind wir ein wenig verwandt, Rita.

Rita: Du vielleicht. Ich nicht.

Ganz bündig liegt hierin die Einsicht des (unverständlicherweise so oft als Frauenverherrlicher mißverstandenen) Dichters, daß die Frau zur Idee der Unendlichkeit, zur Gottheit, kein Verhältnis hat: weil ihr die Seele fehlt. Zum Brahman dringt man, nach den Indern, nur durch das Âtman vor. Das Weib ist nicht Mikrokosmus, es ist nicht nach dem Ebenbilde der Gottheit entstanden. Ist es also noch Mensch? Oder ist es Tier? Oder Pflanze?

Den Anatomen müssen diese Fragen wohl recht lächerlich bedünken, und er wird einen Standort von vornherein für verfehlt halten, auf dessen Boden solche Problemstellungen erwachsen können. Ihm ist das Weib homo sapiens und von allen übrigen Spezies wohl unterschieden, dem menschlichen Manne nicht anders zugeordnet als das Weibchen in jeder Art und Gattung sonst seinem Männchen. Und der Philosoph darf gewiß nicht sagen: Was gehen mich die Anatomen an! Mag er auch von dieser Seite noch so wenig Verständnis erhoffen für das, was ihn bewegt: er spricht hier über anthropologische Dinge und, wenn er die Wahrheit findet, darf auch die morphologische Tatsache um ihr Recht nicht verkürzt worden sein.

In der Tat! Zwar stehen die Frauen sicherlich in ihrem Unbewußten der Natur näher als der Mann. Die Blumen sind ihre Schwestern, und daß sie von den Tieren minder weit entfernt sind als der Mann, dafür zeugt, daß sie zur Sodomie sicherlich mehr Neigung haben als er (Pasiphae- und Leda-Mythus. Auch das Verhältnis zum Schoßhündchen ist wahrscheinlich ein noch weit sinnlicheres, als man gewöhnlich es sich ausmalt). Man darf dies nicht verwechseln mit der Fähigkeit, die ganze Natur zu umfassen, wie sie der Mann hat, weil er nicht nur Natur ist. Die Frauen stehen in der Natur als ein Teil derselben, und in kausaler Wechselbeziehung zu allen anderen Teilen: von Mond und Meer, von Wetter und Gewitter, von Elektrizität und Magnetismus sind sie in einem viel weiteren Ausmaß abhängig als der Mann. Aber die Frauen sind Menschen. Selbst W, die wir ohne jede Spur des intelligiblen Ich denken, ist doch immerhin das Komplement zu M. Und sicherlich ist die Tatsache der besonderen sexuellen und erotischen Ergänzung des menschlichen Mannes durch das menschliche Weib, wenn auch nicht jene sittliche Erscheinung, von welcher die Fürsprecher der Ehe schwatzen, so doch von ungeheurer Bedeutung für das Problem der Frau. Die Tiere sind ferner bloß Individuen, die Frauen Personen (wenn auch nicht Persönlichkeiten). Die äußere Urteilsform, wenn auch nicht die innere, die Sprache, obgleich nicht die Rede, ein gewisses Gedächtnis, obschon keine kontinuierliche Einheit des Selbstbewußtseins, ist ihnen verliehen. Für alles im Manne besitzen sie eigentümliche Surrogate, die noch fortwährend jene Verwechslungen begünstigen, denen die Schätzer der Weiblichkeit so gern unterliegen. Es entsteht dadurch eine gewisse Amphisexualität der Begriffe, indem von diesen viele (Eitelkeit, Scham, Liebe, Phantasie, Furcht, Sensibilität usw.) eine männliche und eine weibliche Bedeutung haben.

Es ist keine andere Frage als die nach dem letzten Wesen des Geschlechtsgegensatzes, die hiemit neu aufgeworfen erscheint. Die Rolle, welche das männliche und das weibliche Prinzip im Tier- und im Pflanzenreiche spielen, bleibt hier außer Betracht; es handelt sich einzig um den Menschen. Daß solche Prinzipien der Männlichkeit und Weiblichkeit nicht als metaphysische Ideen, sondern als theoretische Begriffe angenommen werden müssen, darauf lief die ganze Untersuchung gleich zu Anfang hinaus. Welche gewaltigen Unterschiede zwischen Mann und Weib, weit über die bloße physiologisch-sexuelle Differenz hinaus, ohne Frage zumindest beim Menschen bestehen, das hat der ganze weitere Verlauf der Betrachtung gezeigt. Jene Anschauung also, welche in der Tatsache des Dualismus der Geschlechter nichts weiter erblickt als eine Vorrichtung zur Distribution verschiedener Funktionen auf verschiedene Wesen im Sinne einer Teilung der physiologischen Arbeit – eine Auffassung, die, wie ich glaube, dem Zoologen Milne-Edwards ihre besondere Verbreitung zu danken hat –, erscheint hienach völlig unannehmbar; über ihre ans Lächerliche streifende Oberflächlichkeit und intellektuelle Genügsamkeit ist weiter kein Wort zu verlieren. Zwar ist der Darwinismus der Popularisierung dieser Ansicht besonders günstig gewesen, und man hat sogar ziemlich allgemein an ein Hervorgehen der geschlechtlich differenzierten Organismen aus einem früheren Stadium sexueller Ungeschiedenheit gedacht: durch einen Sieg der einer solchen Funktionsentlastung teilhaft gewordenen Wesen über die primitiveren, überbürdeten, ungeschlechtlichen oder doppelgeschlechtlichen Arten. Daß aber eine solche »Entstehung des Geschlechtes« infolge der »Vorzüge der Arbeitsteilung«, der »Erleichterung im Kampfe ums Dasein« eine ganz unvollziehbare Vorstellung ist, hat, lange vor den modernen Totenkäfern Darwins, Gustav Theodor Fechner in einer unwiderleglichen Argumentation dargetan.

Isoliert ist der Sinn von Mann und Weib nicht zu erforschen; sie können in ihrer Bedeutung nur aneinander erkannt und gegeneinander bestimmt werden. In ihrem Verhältnis zueinander muß der Schlüssel für das Wesen beider zu finden sein. Bei dem Versuche, die Natur der Erotik zu ergründen, ist bereits kurz auf ihn angespielt worden. Es ist das Verhältnis von Mann und Weib kein anderes als das von Subjekt und Objekt. Das Weib sucht seine Vollendung als Objekt. Es ist die Sache des Mannes, oder die Sache des Kindes, und will, trotz aller Bemäntelung, nicht anders genommen werden denn wie eine Sache. Niemand mißversteht so sehr, was eine Frau wirklich will, als wer sich für das interessiert, was in ihr vorgeht, und für ihre Gefühle und Hoffnungen, für ihre Erlebnisse und innere Eigenart eine Teilnahme in sich aufkommen läßt. Die Frau will nicht als Subjekt behandelt werden, sie will stets und in alle Wege – das ist eben ihr Frau-Sein – lediglich passiv bleiben, einen Willen auf sich gerichtet fühlen, sie will nicht gescheut noch geschont, sie will nicht geachtet sein. Ihr Bedürfnis ist vielmehr, nur als Körper begehrt und nur als fremdes Eigentum besessen zu werden. Wie die bloße Empfindung erst Realität gewinnt, indem sie begrifflich, d. h. Gegenstand wird, so gelangt das Weib zu seinem Dasein und zu einem Gefühle desselben erst, indem es vom Manne oder vom Kinde, als dem Subjekte, zu dessen Objekt erhoben wird, und so eine Existenz geschenkt erhält.

Was erkenntnistheoretisch der Gegensatz des Subjekts zum Objekt, das sagt ontologisch die Gegenüberstellung von Form und Materie. Sie ist nur die Übersetzung jener Unterscheidung aus dem Transzendentalen ins Transzendente, aus dem Erfahrungskritischen ins Metaphysische. Die Materie, das absolut Unindividualisierte, das, was jede Form annehmen kann, selbst aber keine bestimmten und dauernden Eigenschaften hat, ist das, was so wenig Essenz besitzt, wie der bloßen Empfindung, der Materie der Erfahrung, an sich schon Existenz zukommt. Während also der Gegensatz von Subjekt und Objekt ein solcher der Existenz ist ( indem die Empfindung erst als ein dem Subjekte gegenübergestellter Gegenstand Realität gewinnt), bedeutet der Gegensatz von Form und Materie einen Unterschied der Essenz ( die Materie ist ohne Formung absolut qualitätenlos). Darum konnte Platon die Stofflichkeit, die bildsame Masse, das an sich formlose ἄπειρον, den knetbaren Teig des ἐϰμαγεῖον, das, worein die Form eingeht, ihren Ort, ihre χώρα, das ἐν ᾦ, jenes ewig Zweite, Andere, das ϑάτερον, auch als das Nichtseiende, als das μὴ ὄν bezeichnen. Der zieht den tiefsten Denker auf das Niveau der vordersten Oberflächlichkeit, der ihn, wie dies häufig geschieht, meinen läßt, sein Nichtseiendes sei der Raum. Gewiß wird kein bedeutender Philosoph dem Raum eine metaphysische Existenz zuschreiben, aber ebensowenig kann er ihn für das Nichtseiende an sich halten. Es charakterisiert gerade den ahnungslosen, frechen Schwätzer, daß der leere Raum für ihn »Luft«, »Nichts« ist; erst dem vertieften Nachdenken gewinnt er an Realität, und wird ihm Problem. Das Nichtseiende Platons ist gerade das, was dem Phi1ister als das denkbar Realste, als die Summation der Existenzwerte erscheint, es ist nichts anderes als die Materie.

Ist es also eine zu klaffende Diskontinuität, wenn ich im Anschluß an P1ato, der selbst sein jede Form Annehmendes vergleichsweise als die Mutter und Amme alles Werdens bezeichnet, auf den Spuren des Aristoteles, dessen Naturphilosophie im Zeugungsakte dem weiblichen Prinzip die stoffliche, dem männlichen die formende Rolle zuerteilt hat – ist es Willkür, wenn ich, in Übereinstimmung mit dieser Anschauung und Erweiterung derselben, die Bedeutung des Weibes für den Menschen nun überhaupt in der Vertretung der Materie erblicke? Der Mann, als Mikrokosmus, ist beides, zusammengesetzt aus höherem und niederem Leben, aus metaphysisch Existentem und Wesenlosem, aus Form und Materie: das Weib ist nichts, es ist nur Materie.

Erst diese Erkenntnis bildet den Schlußstein des Gebäudes, von ihr aus wird alles deutlich, was noch unklar war, und rundet sich zum geschlossenen Zusammenhange. Das geschlechtliche Streben des Weibes geht nach Berührung, es ist nur Kontrektations- und nicht Detumeszenstrieb. Vgl. S. 104. Dem entspricht, daß sein feinster und zugleich der einzige, bei ihm weiter als beim Manne entwickelte Sinn das Tastgefühl ist. Vgl. S. 122. Auge und Ohr führen beide ins Unbegrenzte und lassen eine Unendlichkeit ahnen; der Tastsinn erfordert engste körperliche Nähe zur eigenen Betätigung; man vermengt sich mit dem, was man angreift: er ist der eminent schmutzige Sinn, und wie geschaffen für ein auf körperliche Gemeinschaft angelegtes Wesen. Was durch ihn vermittelt wird, ist die Widerstandsempfindung, die Wahrnehmung des Palpablen; und eben von der Materie läßt sich, wie Kant gezeigt hat, nichts anderes aussagen, als daß sie eine derartige Raumerfüllung ist, die allem, was in sie einzudringen strebt, einen gewissen Widerstand entgegensetzt. Die Erfahrung des »Hindernisses« hat, wie den psychologischen (nicht den erkenntnistheoretischen) Dingbegriff, so auch den übergroßen Realitätscharakter geschaffen, welchen die Data des Tastsinnes für die meisten Menschen immer besitzen, als die solideren, »primären« Qualitäten der Erfahrungswelt. Aber nichts anderes als der ihm stets anhaftende letzte Rest von Weiblichkeit ist es, der bewirkt, daß für den Mann die Materie den Charakter der eigentlichen Realität gefühlsmäßig nie vollständig verliert. Gäbe es einen absoluten Mann, so wäre ihm die Materie auch psychologisch (nicht nur logisch) kein irgendwie Seiendes mehr.

Der Mann ist Form, das Weib Materie. Ist das richtig, so muß es auch in dem Verhältnis ihrer psychischen Einzelerlebnisse zueinander einen Ausdruck finden. Die längst festgestellte Gliederung der Inhalte des männlichen Seelenlebens gegenüber dem unartikulierten und chaotischen Vorstellen des Weibes verkündet nichts anderes als diesen nämlichen Gegensatz von Form und Materie. Die Materie will geformt werden: darum verlangt das Weib vom Manne die Klärung seiner verworrenen Gedanken, die Deutung der Heniden. Vgl. S. 122, 123

Die Frauen sind die Materie, die jede Form annimmt. Jene Untersuchungen, welche für die Mädchen eine bessere Erinnerung speziell an den Lehrstoff ergeben haben als für die Knaben, können nur so erklärt werden: aus der Inanität und Nullität der Frauen, die mit allem Beliebigen imprägniert werden können, indes der Mann nur behält, was ihn wirklich interessiert, und alles übrige vergißt (vgl. Teil II, S. 142, 162 f.). Aber vor allem geht das, was die Schmiegsamkeit des Weibes genannt wurde, seine außerordentliche Beeinflußbarkeit durch das fremde Urteil, seine Suggestibilität, seine völlige Umschaffung durch den Mann auf dieses Bloß-Materie-Sein, diesen Mangel jeder ursprünglichen Form zurück. Das Weib ist nichts, und darum, nur darum kann es alles werden; während der Mann stets nur werden kann, was er ist. Aus einer Frau kann man machen, was man will; dem Manne höchstens zu dem verhelfen, was er will. Darum hat, in der wahren Bedeutung des Wortes, eigentlich nur Frauen, nicht Männer, zu erziehen einen Sinn. Am Manne wird durch alle Erziehung nie irgend ein Wesentliches geändert; im Weibe kann sogar seine eigenste Natur, die Hochwertung der Sexualität, durch äußeren Einfluß völlig zurückgedrängt werden. Das Weib mag alles scheinen und alles verleugnen, aber es ist nie irgend etwas in Wahrheit. Die Frauen haben nicht diese oder jene Eigenschaft, sondern ihre Eigenheit beruht darauf, daß sie gar keine Eigenschaften haben; das ist die ganze Kompliziertheit und das ganze Rätsel des Weibes, darin besteht seine Überlegenheit und Unfaßbarkeit für den Mann, der stets auch hier nach dem festen Kerne sucht.

Man wird freilich, selbst wenn man mit den bisherigen Ableitungen sollte einverstanden sein, ihnen zum Vorwurf machen, daß sie keine Auskunft darüber gäben, was denn der Mann eigentlich sei. Läßt sich von ihm, wie vom Weibe, Kuppelei und Wesenlosigkeit, irgend etwas als allgemeine Eigenschaft prädizieren? Gibt es überhaupt einen Begriff des Mannes, wie es einen Begriff des Weibes gibt, und läßt sich anderen um ein Unendliches verschieden, und darum keine subsumierbar unter einen umfassenderen Begriff, der mehreren Monaden Gemeinsames enthielte. Der Mann ist der Mikrokosmos, in ihm sind alle Möglichkeiten überhaupt enthalten. Man hüte sich, dies zu verwechseln mit der universellen Suszeptibilität der Frau, die alles wird, ohne irgend etwas dieser Begriff ähnlich definieren?

Hierauf ist zu antworten, daß die Männlichkeit eben in der Tatsache der Individualität, der wesenhaften Monade liegt und sich mit ihr deckt. Jede Monade aber ist von jeder zu sein, indes der Mann alles ist und davon mehr oder weniger, je nach seiner Begabung, auch wird. Der Mann hat auch das Weib, er hat auch Materie in sich, und kann diesen Teil seines Wesens sich entwickeln lassen, d. h. verkommen und entarten; oder er kann ihn erkennen und bekämpfen – darum kann er, und nur er, über die Frau zur Wahrheit gelangen (Teil II, S. 101-103). Das Weib aber hat keine Möglichkeit einer Entwicklung, außer durch den Mann.

Ganz deutlich wird die Bedeutung von Mann und Weib immer erst in der Betrachtung dieser ihrer gegenseitigen sexuellen und erotischen Relationen. Das tiefste Begehren der Frau ist, vom Manne geformt und dadurch erst geschaffen zu werden. Die Frau wünscht, daß der Mann ihr Meinungen beibringe, ganz andere, als sie bisher hatte, sie will durch ihn umgestoßen sehen, was sie bisher für richtig hielt (Gegenteil der Pietät, S. 155 f.), sie will als Ganzes widerlegt sein, und erst neu gebildet werden durch ihn. Der Wille des Mannes schafft erst die Frau, er gebietet über sie, und verändert sie von Grund auf (Hypnose). Hier ist auch endlich Klärung über das Verhältnis des Psychischen zum Physischen bei Mann und Weib zu finden. Für den Mann wurde früher die Wechselwirkung, und zwar nur im Sinne einer einseitigen Schöpfung des Leibes durch die transzendente Psyche, als die Projektion derselben auf die Erscheinungswelt, für das Weib hingegen der Parallelismus eines bloß Empirisch-Psychischen und Empirisch-Physischen angenommen. Jetzt ist klar, daß auch beim Weibe eine Wechselwirkung Geltung hat. Aber während beim Manne, nach Schopenhauers wahrster Lehre, daß der Mensch sein eigenes Werk sei, der eigene Wille sich den Körper schafft und umschafft, wird das Weib durch den fremden Willen körperlich beeinflußt und umgebildet (Suggestion, Versehen). Der Mann formt also nicht nur sich, sondern auch, ja leichter noch, das Weib. Jene Mythen der Genesis und anderer Kosmogonien, welche das Weib vom Manne geschaffen sein lassen, haben eine tiefere Wahrheit verkündet als die biologischen Deszendenzlehren, die an ein Hervorgehen des Männlichen aus dem Weiblichen glauben.

Auch jene im 9. Kapitel (S. 271 f.) offen gelassene Frage, wie das Weib, ohne selbst Seele und Willen zu besitzen, doch in der Lage sein könne, herauszufinden, in welchem Maße der Mann mit ihnen ausgestattet ist, auch diese schwierigste Frage mag jetzt zu beantworten versucht werden. Man muß sich nur darüber klar geworden sein, daß, was die Frau bemerkt, und wofür sie ein Organ hat, nicht die besondere Natur eines Mannes ist, sondern nur die allgemeine Tatsache und etwa noch der Grad seiner Männlichkeit. Es ist ganz falsch, Heuchelei, oder aus der späteren Imprägnation mit dem männlichen Wesen zu Unrecht erschlossen, daß die Frau ein ursprüngliches Verständnis für die Individualität des Mannes habe. Vgl. hiezu auch S. 238. Der Verliebte, der durch das unbewußte Simulieren eines tieferen Begreifens von seiten des Weibes so leicht zu foppen ist, mag an ein Verständnis seiner selbst durch ein Mädchen glauben; wer weniger genügsam ist, wird es sich nicht verhehlen können, daß die Frauen nur für das Daß, nicht für das Was der Seele, nur für die formale allgemeine Tatsache, nicht für die Besonderheit der Persönlichkeit einen Sinn besitzen. Denn um spezielle Form perzipieren und apperzipieren zu können, müßte die Materie an sich nicht formlos sein; das Verhältnis der Frau zum Mann ist aber kein anderes als das der Materie zur Form, und ihr Verständnis für ihn nichts als Bereitwilligkeit, möglichst kräftig geformt zu werden, der Instinkt des Existenzlosen für Existenz. Also dieses »Verständnis« ist kein theoretisches, es ist kein Anteilnehmen, sondern ein Anteilhabenwollen; es ist zudringlich und egoistisch. Die Frau hat kein Verhältnis zum Manne und keinen Sinn für den Mann, sondern nur einen für Männlichkeit; und wenn sie für sexuell anspruchsvoller gehalten werden darf als er, so ist diese Anspruchsfülle nichts anderes als das intensive Begehren nach ausgiebigster und stärkster Formung: es ist das Warten auf das größtmögliche Quantum von Existenz.

Und nichts anderes ist schließlich auch die Kuppelei. Die Sexualität der Frauen ist über individuell, weil sie nicht abgegrenzte, geformte, individualisierte Wesenheiten im höheren Sinne darstellen. Der höchste Augenblick im Leben des Weibes, der, in dem sein Ur sein, die Urlust sich offenbart, ist jener Moment, wo der männliche Same in es fließt. Da umarmt es den Mann stürmisch und preßt ihn an sich: es ist die höchste Lust der Passivität, stärker noch als das Glücksgefühl der Hypnotisierten, die Materie, welche eben geformt wird und die Form nicht loslassen, sie ewig an sich binden will. Darum auch ist die Frau dem Manne so überaus dankbar für den Koitus, sei dieses Dankesgefühl auch bloß auf den Moment eingeschränkt, wie bei der gedächtnislosen Straßendirne, oder von einer längeren Nachwirkung wie bei weiter differenzierten Frauen. Dieses unendliche Trachten der Armut, dem Reichtum sich zu gesellen, das gänzlich formlose und darum überindividuelle Streben des Ungegliederten, die Form zur Berührung mit sich zu bringen, sie dauernd festzuhalten und so Existenz zu gewinnen, liegt der Kuppelei im Tiefsten zugrunde. Daß das Weib nicht Monade ist und keine Grenzen hat, dadurch ist Kuppelei nur ermöglicht; zur Wirklichkeit wird sie, weil es die Idee des Nichts der Materie repräsentiert, die unaufhörlich und in jeder Weise die Form zur Vermengung mit sich zu verführen trachtet Kuppelei ist das ewige Drängen des Nichts zu Etwas.

So hat sich allmählich die Dualität von Mann und Weib zum Dualismus überhaupt entwickelt, zum Dualismus des höheren und des niederen Lebens, des Subjekts und Objekts, der Form und der Materie, des Etwas und des Nichts. Alles metaphysische, alles transzendentale Sein ist logisches und moralisches Sein: das Weib ist alogisch und amoralisch. Es enthält aber auch keine Abkehr vom Logischen und Moralischen, es ist nicht antilogisch, es ist nicht antimoralisch. Es ist nicht das Nicht, sondern das Nichts, es ist weder Ja, noch ist es Nein. Der Mann birgt in sich die Möglichkeit zum absoluten Etwas und zum absoluten Nichts, und darum hat all sein Handeln eine Richtung nach dem einen oder dem anderen: das Weib sündigt nicht, denn es ist selbst die Sünde, als Möglichkeit im Manne.

Der reine Mann ist das Ebenbild Gottes, des absoluten Etwas, das Weib, auch das Weib im Manne, ist das Symbol des Nichts: das ist die Bedeutung des Weibes im Universum, und so ergänzen und bedingen sich Mann und Weib. Als des Mannes Gegensatz hat das Weib einen Sinn und eine Funktion im Weltganzen; und wie der menschliche Mann über das tierische Männchen, so reicht das menschliche Weib über das Weibchen der Zoologie hinaus. Man vergleiche den Schluß des 10. Kapitels. Kein begrenztes Sein, kein begrenztes Nichtsein (wie im Tierreich) liegen im Menschen im Kampfe: was hier sich gegenübersteht, ist unbegrenztes Sein und unbegrenztes Nichtsein. Darum machen erst Mann und Weib zusammen den Menschen aus.

Der Sinn des Weibes ist es also, Nicht-Sinn zu sein. Es repräsentiert das Nichts, den Gegenpol der Gottheit, die andere Möglichkeit im Menschen. Darum gilt mit Recht nichts für gleich verächtlich, als der Weib gewordene Mann, und wird ein solcher Mann geringer geachtet als selbst der stumpfsinnigste und roheste Verbrecher. Und so erklärt sich auch jene tiefste Furcht im Manne: die Furcht vor dem Weibe, das ist die Furcht vor der Sinnlosigkeit: das ist die Furcht vor dem lockenden Abgrund des Nichts.

Das alte Weib offenbart erst ganz und gar, was das Weib in Wirklichkeit ist. Die Schönheit der Frau wird, auch rein erfahrungsgemäß, nur geschaffen durch die Liebe des Mannes: die Frau wird schöner, wenn ein Mann sie liebt, weil sie passiv dem Willen entspricht, der in seiner Liebe liegt; so mystisch dies klinge, es ist nur eine alltägliche Beobachtung. Das alte Weib zeigt, wie das Weib nie schön war: wäre das Weib, so wäre die Hexe nicht. Aber das Weib ist nichts, ein hohles Gefäß, eine Zeitlang überschminkt und übertüncht.

Alle Qualitäten der Frau hängen an ihrem Nicht-Sein, an ihrer Wesenlosigkeit: weil sie kein wahres, unwandelbares, sondern nur ein irdisches Leben hat, darum begünstigt sie als Kupplerin die Zeugung in diesem, darum ist sie durch den Mann, der sinnlich auf sie wirkt, vom Grund auf umzuschaffen und empfänglich überhaupt. So vereinigen sich die drei fundamentalen Eigenschaften des Weibes, welche dieses Kapitel aufgedeckt hat, und schließen sich zusammen in seinem Nicht-Sein.

Aus diesem Begriff des Nicht-Seins ergeben sich Veränderlichkeit und Verlogenheit, als die zwei negativen Bestimmungen, durch unmittelbare Deduktion. Bloß Kuppelei, als die einzige Position im Weibe, folgt aus ihm nicht gleich rasch durch einfache Analyse.

Und das ist wohl begreiflich. Denn das Dasein des Weibes ist selbst identisch mit der Kuppelei, mit Bejahung aller Sexualität überhaupt. Kuppelei ist nichts anderes als universale Sexualität; daß das Weib ist, heißt nichts anderes, als daß in der Welt ein radikaler Hang zu allgemeiner Sexualität besteht. Die Kuppelei noch weiter kausal zurückführen, bedeutet so viel als das Dasein des Weibes erklären.

Wenn hiezu von der Tafel des zwiefachen Lebens (S. 372) ausgegangen wird, so ist die Richtung vom höchsten Leben weg zum irdischen hin, das Ergreifen des Nicht-Seienden statt des Seienden, der Wille zum Nichts, das Nicht, das An-Sich-Böse. Antimoralisch ist die Bejahung des Nichts: das Bedürfnis, Form in Formloses, in Materie zu verwandeln, das Bedürfnis zu zerstören.

Das Nicht aber ist dem Nichts verwandt. Und darum besteht ein so tiefer Zusammenhang zwischen allem Verbrecherischen und allem Weiblichen. Das Antimoralische berührt sich eben mit dem Amoralischen, von dem es in dieser Untersuchung zuerst ausdrücklich getrennt wurde, im gemeinsamen Begriffe des Unmoralischen, und die gewöhnliche unterschiedslose Verwechslung beider erfährt nun dennoch eine gewisse Rechtfertigung. Denn das Nichts ist allein eben – nichts, es ist nicht, es hat weder Existenz noch Essenz. Es ist stets nur das Mittel des Nicht, das, was durch das Nein dem Etwas gegenübergestellt wird. Erst indem der Mann seine eigene Sexualität bejaht, indem er das Absolute verneint, sich vom ewigen Leben ab-, dem niederen zukehrt, erhält das Weib Existenz. Nur indem das Etwas zum Nichts kommt, kann das Nichts zum Etwas kommen.

Der bejahte Phallus ist das Antimoralische. Darum wird er als das Häßlichste empfunden; darum wurde er stets in einer Beziehung zum Satan gedacht: den Mittelpunkt der Danteschen Hölle (das Zentrum des Erdinneren) bildet der Geschlechtsteil Lucifers.

So erklärt sich denn die absolute Gewalt der männlichen Geschlechtlichkeit über das Weib. Vgl. Kapitel 11, Schluß. So auch, warum höher stehende Frauen bisexuell sein, d. h. nicht ausschließlich unter dem Regiment des Phallus stehen müssen (Teil I, S. 78-79). Doch scheint in der lesbischen Liebe Hysterie eine beträchtliche Rolle zu spielen. Nur indem der Mann sexuell wird, erhält das Weib Existenz und Bedeutung: sein Dasein ist an den Phallus geknüpft, und darum dieser sein höchster Herr und unumschränkter Gebieter/. Der Geschlecht gewordene Mann ist das Fatum des Weibes; der Don Juan der einzige Mensch, vor dem es bis zum Grunde erzittert.

Der Fluch, den wir auf dem Weibe lastend ahnten, ist der böse Wille des Mannes: das Nichts ist nur ein Werkzeug in der Hand des Nicht. Die Kirchenväter drückten dasselbe pathetischer aus, als sie das Weib das Instrument des Teufels nannten. Denn an sich ist die Materie nichts, erst die Form muß ihr Existenz geben wollen. Der Sündenfall der Form ist eben jene Verunreinigung, die sie auf sich lädt, indem es sie treibt, an der Materie sich zu betätigen. Als der Mann sexuell ward, da schuf er das Weib.

Daß das Weib da ist, heißt also nichts anderes, als daß vom Manne die Geschlechtlichkeit bejaht wurde. Das Weib ist nur das Resultat dieser Bejahung, es ist die Sexualität selber (S. 110).

Das Weib ist in seiner Existenz abhängig vom Manne: indem der Mann zum Manne, als Gegenteil des Weibes, indem er geschlechtlich wird, setzt er das Weib und ruft es ins Dasein. Deshalb muß dem Weibe alles daran gelegen sein, den Mann sexuell zu erhalten: denn es hat so viel Existenz als der Mann Geschlechtlichkeit. Deshalb muß der Mann, so will sie es, ganz zum Phallus werden, deshalb kuppelt die Frau. Sie ist unfähig, ein Wesen anders denn als Mittel zum Zweck, zu diesem Zweck des Koitus zu gebrauchen: denn mit ihr ist selbst kein anderer Zweck verfolgt, als der, den Mann schuldig werden zu lassen. Und sie wäre tot in dem Augenblick, da der Mann seine Sexualität überwunden hätte.

Der Mann hat das Weib geschaffen und schafft es immer neu, so lange er noch sexuell ist. Wie er der Frau das Bewußtsein gab (Teil II, Kapitel 3, Ende), so gibt er ihr das Sein. Indem er auf den Koitus nicht verzichtet, ruft er das Weib hervor. Das Weib ist die Schuld des Mannes.

Diese Schuld gutzumachen, dazu soll ihm die Liebe dienen. Hiedurch hellt sich auf, was der Schluß des vorigen Kapitels nur wie einen dunklen Mythos einführte. Hiedurch wird klar, was damals noch verborgen lag: daß das Weib nicht ist vor dem Sündenfall des Mannes und ohne diesen; daß er ihm nicht einen Reichtum raubt, der vor ihm wäre dagewesen; daß er vielmehr von Anfang die Frau als Armut setzt. Was der Mann durch die Schöpfung des Weibes, das ist durch die Bejahung des Koitus, verbrochen hat und noch fortwährend verbricht, das bittet er dem Weibe ab als Erotiker/. Denn von wannen sonst käme die nie und nimmer sich genug tuende Generosität aller Liebe? Woher, daß die Liebe gerade dem Weibe, und nicht einem anderen Wesen, Seele zu schenken beflissen ist? Woher, daß das Kind noch nicht lieben kann, sondern Liebe immer erst zugleich mit der Sexualität, in der Epoche der Mannbarkeit, auftritt, mit der abermaligen Setzung des Weibes, mit der Erneuerung der Schuld? Durchaus ist das Weib nur der Gegenstand, den sich der Trieb des Mannes erzeugt hat als das eigene Ziel, als das halluzinierte Bild, das sein Wahn zu ergreifen sich ewig müht, es ist die Objektivation der männlichen Sexualität, die verkörperte Geschlechtlichkeit, seine Fleisch gewordene Schuld. Ein jeder Mann schafft, indem er sich inkarniert, für sich auch ein Weib, denn ein jeder ist auch sexuell. Das Weib selbst aber ist nicht durch eigene, sondern durch fremde Schuld; und alles, was dem Weibe vorgeworfen werden kann, ist Schuld des Mannes. Die Liebe soll die Schuld überdecken/, statt sie zu über winden; sie erhebt das Weib, statt es auf zuheben. Das Etwas schließt das Nichts in seine Arme, und glaubt so die Welt von der Negation zu befreien, und alle Widersprüche zu versöhnen: da doch das Nichts nur verschwinden könnte, wenn das Etwas sich ihm fernhielte. Wie der Haß des Mannes gegen das Weib nur noch nicht sehend gewordener Haß ist gegen die eigene Sexualität, so ist die Liebe des Mannes sein kühnster, äußerster Versuch, das Weib als Weib sich zu retten, statt es als solches von innen zu verneinen. Nur daher stammt ihr Schuldbewußtsein: durch sie soll Schuld selbst weggeräumt, statt gesühnt werden.

Denn das Weib ist nur die Schuld und nur durch die Schuld des Mannes; und wenn Weiblichkeit Kuppelei bedeutet, so nur, weil alle Schuld von selbst sich zu vermehren trachtet. Was die Frau, ohne je anders zu können, durch ihr bloßes Dasein, durch ihr ganzes Wesen, ewig unbewußt auswirkt, das ist nur ein Hang im Manne, sein zweiter, unausrottbarer, sein niederer Hang: sie ist, gleich der Walküre, eines fremden Willens »blind wählende Kür«. Die Materie scheint ein nicht minder unergründliches Rätsel als die Form, das Weib gleich unendlich wie der Mann, das Nichts so ewig wie das Sein; aber diese Ewigkeit ist nur die Ewigkeit der Schuld.


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