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VI. Kapitel. Gedächtnis, Logik, Ethik

Psychologie und Psychologismus. Würde des Gedächtnisses. Theorien des Gedächtnisses. Übungs- und Assoziationslehren. Verwechslung mit dem Wiedererkennen. Gedächtnis nur dem Menschen eigen. Moralische Bedeutung. Lüge und Zurechnung. Übergang zur Logik. Gedächtnis und Identitätsprinzip. Gedächtnis und Satz vom Grunde. Die Frau alogisch und amoralisch. Intellektuelles und sittliches Gewissen: intelligibles Ich.

 

Die Überschrift, welche ich diesem Kapitel voranstelle, ist sofort und mit Leichtigkeit einem schweren Mißverständnis ausgesetzt. Es könnte nach ihr scheinen, als huldige der Autor der Ansicht, die logischen und ethischen Wertungen seien Objekte ausschließlich der empirischen Psychologie, psychische Phänomene ganz so wie die Empfindung und das Gefühl, Logik und Ethik also spezielle Disziplinen, Unterabteilungen der Psychologie und aus ihr, in ihr zu begründen.

Ich bekenne gleich und vollständig, daß ich diese Anschauung, den »Psychologismus«, für gänzlich falsch und verderblich halte; falsch, weil das Unternehmen nie gelingen kann, wovon wir uns noch überzeugen werden; verderblich, weil es nicht einmal so sehr die hiedurch kaum berührte Logik und Ethik als die Psychologie zugrunde richtet. Der Ausschluß der Logik und Ethik von der Begründung der Psychologie und ihr Verweis in einen Appendix der letzteren ist das Korrelat zu dem Überwuchern der Empfindungslehre, und hat mit dieser zusamt all das auf dem Gewissen, was sich heute als » empirische Psychologie« präsentiert: jenen Haufen toter Gebeine, denen kein Feinsinn und kein Fleiß mehr Leben einhaucht, in denen vor allem die wirkliche Erfahrung nicht wiederzuerkennen ist. Was also die unglücklichen Versuche betrifft, Logik und Ethik auf den Stufenbau einer, gleichgültig mit welchem Mörtel, zusammensetzenden Psychologie, als das zarte, jüngste Kind des Seelenlebens, zu setzen, so trage ich wenigstens kein Bedenken, gegen Brentano und seine Schule ( Stumpf, Meinong, Höfler, Ehrenfels), gegen Th.  Lipps und G.  Heymans, gegen die ebenfalls dahin zu zählenden Meinungen von Mach und Avenarius, hier mich prinzipiell jener anderen Richtung anzuschließen, deren Positionen heute von Windelband, Cohen, Natorp, F. J. Schmidt, besonders aber von Husserl verteidigt werden (der selbst früher Psychologist war, seither aber zu der festesten Überzeugung von der Unhaltbarkeit dieses Standpunktes gelangt ist), jener Richtung, welche gegen die psychologisch-genetische Methode Humes den transzendental-kritischen Gedanken Kantens geltend macht und hochzuhalten weiß.

Da aber die vorliegende Arbeit keine ist, welche mit den allgemeinen, überindividuell gültigen Normen des Handelns und Denkens und den Bedingungen des Erkennens sich beschäftigte, da sie vielmehr, ihrem Ausgangspunkt wie ihrem Ziele nach, eben Unterschiede zwischen Menschen festzustellen trachtet, und nicht für beliebige Wesen (selbst für »die lieben Engelein« im Himmel) gültig zu sein beansprucht, wie die Philosophie Kantens ihren Grundgedanken nach, so durfte und mußte sie bisher psychologisch (nicht psycho logistisch) sein, und wird es weiter bleiben, ohne an den Stellen, wo sich die Notwendigkeit herausstellen sollte, zu verabsäumen, selbst eine formale Betrachtung zu wagen, oder wenigstens darauf hinzuweisen, daß da oder dort das alleinige Recht der logischen, kritischen, transzendentalen Methode zustehe.

Der Titel dieses Kapitels rechtfertigt sich anders. Die langwierige, weil gänzlich neu zu führende Untersuchung des vorigen hat gezeigt, daß das menschliche Gedächtnis zu Dingen in intimer Beziehung steht, mit denen man es einer Verwandtschaft bisher nicht für würdig gehalten zu haben scheint. Zeit, Wert, Genie, Unsterblichkeit – all dies vermochte sie mit dem Gedächtnis in einem merkwürdigen Zusammenhange zu zeigen, dessen Existenz man offenbar noch gar nicht vermutet hat. Dieses fast völlige Fehlen aller Hinweise muß einen tieferen Grund haben. Er liegt, so scheint es, in den Unzulänglichkeiten und Schlampereien, welche die Theorien des Gedächtnisses immer wieder sich haben zuschulden kommen lassen.

Hier lenkt zunächst die schon in der Mitte des XVIII. Jahrhunderts von Charles Bonnet begründete, im letzten Drittel des XIX. Jahrhunderts besonders durch Ewald Hering (und E. Mach) in Schwung gekommene Lehre den Blick auf sich, welche im Gedächtnis des Menschen nichts weiter sieht als die »allgemeine Funktion der organisierten Materie«, auf neue Reize, die vorangegangenen Reizen mehr oder weniger gleichen, anders, leichter und schneller zu reagieren als auf erstmalige Irritation. Diese Theorie glaubt also die menschlichen Gedächtnisphänomene durch die sonstige Erfahrung der Übungsfähigkeit lebender Wesen schon erschöpft, für sie ist das Gedächtnis eine Anpassungserscheinung nach Lamarckschem Muster. Gewiß, es besteht ein Gemeinsames zwischen dem menschlichen Gedächtnis und jenen Tatsachen, z. B. gesteigerter Reflexerregbarkeit bei gehäufter Wiederholung der Erregungen; das identische Element liegt in dem Fortwirken des ersten Eindruckes über den Moment hinaus, und das 12. Kapitel wird auf den tiefsten Grund dieser Verwandtschaft noch einmal zurückkommen. Es ist aber daneben doch ein abgrundtiefer Unterschied zwischen der Stärkung eines Muskels durch Gewöhnung an wiederholte Kontraktion, zwischen der Anpassung des Arsenikessers oder des Morphinisten an immer größere Quantitäten des Giftes hier, und der Erinnerung des Menschen an seine früheren Erlebnisse dort. Auf der einen Seite ist die Spur des Alten nur im Neuen verfolgbar, auf der anderen treten früher erlebte Situationen wieder, ganz als die alten, hervor in das Bewußtsein, so wie sie selbst waren, mit aller Individuation ausgestattet, nicht zu bloßer Nachwirkung auf den neuen Moment durch ein Residuum nutzbar gemacht. Die Identifikation beider Phänomene wäre so ungereimt, daß auf eine weitere Besprechung dieser allgemeinbiologischen Ansicht verzichtet werden kann.

Mit der physiologischen Hypothese hängt die Assoziationslehre als Theorie des Gedächtnisses historisch durch Hartley und sachlich durch den Begriff der Gewöhnung zusammen. Sie leitet alles Gedächtnis aus dem mechanischen Spiel der Vorstellungsverknüpfungen nach ein bis vier Gesetzen ab. Dabei übersieht sie, daß das Gedächtnis (das kontinuierliche des Mannes) im Grunde eine Willenserscheinung ist. Ich kann mich auf etwas besinnen, wenn ich es wirklich will, entgegen beispielsweise meiner Schlafsucht, wenn ich nur wahrhaft entschlossen bin, diese zu unterdrücken. In der Hypnose, durch welche Erinnerung an alles Vergessene erzielt werden kann, tritt der Wille des Fremden an die Stelle des allzu schwachen eigenen und liefert so wieder den Beweis, daß es der Wille ist, welcher die zweckmäßigen Assoziationen aufsucht, daß alle Assoziation durch die tiefere Apperzeption herbeigeführt wird. Hier mußte einem späteren Abschnitt vorgegriffen werden, welcher das Verhältnis zwischen Assoziations- und Apperzeptionspsychologie klarzustellen und die Berechtigung beider abzuwägen suchen wird.

Mit der Assoziationspsychologie, welche das psychische Leben zuerst zerspaltet, und wähnt, im Tanze der einander die Hände reichenden Bruchstücke es dann noch zusammenleimen zu können, hängt wiederum enge jene dritte Konfusion zusammen, die, ungeachtet des von Avenarius und besonders von Höffding ungefähr zur gleichen Zeit mit so viel Recht erhobenen Einspruches, noch immer das Gedächtnis mit dem Wiedererkennen zusammenwirft. Das Wiedererkennen eines Gegenstandes braucht durchaus nicht auf der gesonderten Reproduktion des früheren Eindruckes zu beruhen, wenn auch in einem Teile der Fälle im neuen Eindrucke die Tendenz zu liegen scheint, auf der Stelle den älteren wachzurufen. Aber es gibt daneben ein mindestens ebenso häufig vorkommendes unmittelbares Wiedererkennen, in welchem nicht die neue Empfindung von sich selbst wegführt und wie mit einem Streben verknüpft erscheint, sondern wo das Gesehene, Gehörte etc. nur mit einer spezifischen Färbung (»tinge« würde James sagen) auftritt, mit jenem »Charakter«, den Avenarius »das Notal«, Höffding »die Bekanntheitsqualität« nennt. Wer in die Heimat zurückkehrt, dem scheinen Weg und Steg »bekannt«, auch wenn er nichts mehr zu benennen und sich gar nicht leicht zurechtzufinden weiß, und keines besonderen Tages gerade gedenkt, an dem er hier gegangen; eine Melodie kann mir »bekannt vorkommen«, ohne daß ich weiß, wann und wo ich sie gehört habe. Der »Charakter« (im Avenariusschen Sinne) der Bekanntheit, der Vertrautheit etc. schwebt hier sozusagen über dem Sinneseindruck selbst, die Analyse weiß nichts von Assoziationen, deren »Verschmelzung« mit meiner neuen Empfindung, nach der Behauptung einer anmaßenden Pseudo-Psychologie, jenes unmittelbare Gefühl erst erzeugen soll; und sie vermag diese Fälle sehr gut von jenen anderen zu unterscheiden, wo schon leise und kaum merklich (in Henidenform) das ältere Erlebnis wirklich assoziiert wird.

Auch individualpsychologisch ist diese Distinktion eine Notwendigkeit. Im hochstehenden Menschen ist das Bewußtsein einer nicht interrupten Vergangenheit fortwährend so lebendig, daß er, etwa beim Wiedererblicken eines Bekannten auf der Gasse, sofort die letzte Begegnung als selbständiges Erlebnis reproduziert, während im weniger Begabten das einfache Bekanntheitsgefühl, das ihm ein Wiedererkennen ermöglicht, oft auch dann allein auftritt, wenn er jenes Zusammensein, sogar in seinen Einzelheiten, noch recht gut sich zu vergegenwärtigen vermöchte.

Stellen wir nun noch, zum Abschlusse dessen, die Frage, ob die anderen Organismen außer dem Menschen ebenfalls jene, von allem Ähnlichen wohl zu unterscheidende Fähigkeit besitzen, frühere Augenblicke ihres Lebens wieder in ihrer Gänze aufleben zu lassen, so ist diese Frage mit der größten Wahrscheinlichkeit im verneinenden Sinne zu beantworten. Die Tiere könnten nicht, wie sie es tun, stundenlang regungslos und ruhig auf einem Flecke verharren, wenn sie an ihr vergangenes Leben zurückdächten oder eine Zukunft in Gedanken vorausnähmen. Die Tiere haben Bekanntheitsqualitäten und Erwartungsgefühle (der die Heimkehr des Herrn nach zwanzig Jahren begrüßende Hund; die Schweine vor dem Tore des Metzgers, die zur Belegung geführte rossige Stute), aber sie besitzen keine Erinnerung und keine Hoffnung. Sie vermögen wiederzuerkennen (mit Hilfe des »Notals«), aber sie haben kein Gedächtnis.

Ist so das Gedächtnis als eine besondere, mit niederen Gebieten psychischen Lebens nicht zu verwechselnde Eigenschaft dargetan, scheint es zudem ausschließlicher Besitz des Menschen zu sein, so wird es nicht mehr wundernehmen, daß es mit jenen höheren Dingen, wie dem Wert- und Zeitbegriff, dem keinem Tiere eignenden Unsterblichkeitsbedürfnisse, der nur dem Menschen möglichen Genialität, in einem Zusammenhange steht. Und wenn es einen einheitlichen Begriff vom Menschen gibt, ein tiefstes Wesen der Menschheit, das in allen besonderen Qualitäten des Menschen zum Ausdrucke kommt, so wird man es geradezu erwarten müssen, daß auch die logischen und ethischen Phänomene, die den anderen Lebewesen allem Anscheine nach ebenso abgehen wie das Gedächtnis, mit dem Gedächtnis irgendwo sich berühren werden. Diese Beziehung heißt es nun aufsuchen.

Es kann zu dem Behufe von der wohlbekannten Tatsache ausgegangen werden, daß Lügner ein schlechtes Gedächtnis haben. Vom »pathologischen Lügner« steht es fest, daß er nahezu überhaupt »kein Gedächtnis hat«. Auf den männlichen Lügner komme ich im folgenden noch einmal zu sprechen; er bildet nicht die Regel unter den Männern. Faßt man hingegen ins Auge, was früher über das Gedächtnis der Frauen gesagt wurde, so wird man es neben die angeführte Erscheinung der mangelnden Erinnerungsgabe verlogener Männer stellen dürfen, wenn so viele Sprichwörter und Erzählungen, wenn Dichtung und Volksmund vor der Lügenhaftigkeit des Weibes warnen. Es ist klar: einem jeden Wesen, dessen Gedächtnis ein so minimales wäre, daß, was es gesagt, getan, erlitten hat, später nur im dürftigsten Grade von Bewußtheit ihm noch gegenwärtig bliebe, einem jeden solchen Wesen muß, wenn ihm die Gabe der Sprache verliehen ist, die Lüge leicht fallen, und dem Impulse zu ihr wird, wenn es auf die Erreichung praktischer Zwecke ankommt, von einem so beschaffenen Individuum, dem nicht der wahre Vorgang mit voller Intensität vorschwebt, schwer widerstanden werden können. Und noch stärker muß sich diese Versuchung geltend machen, wenn das Gedächtnis dieses Wesens nicht von jener kontinuierlichen Art ist, die nur der Mann kennt, sondern wenn das Wesen, wie W, sozusagen nur in Augenblicken, diskret, diskontinuierlich, zusammenhanglos lebt, in den zeitlichen Ereignissen aufgeht, statt über ihnen zu stehen, oder den Zeitablauf wenigstens zum Problem zu erheben; wenn es nicht, wie M, alle seine Erlebnisse auf einen einheitlichen Träger derselben bezieht, sie von diesem auf sich nehmen läßt, wenn ein » Zentrum« der Apperzeption fehlt, dem alle Vergangenheit stets in einheitlicher Weise zugezählt wird, wenn das Wesen sich nicht als eines und selbes in allen seinen Lebenslagen fühlt und weiß. Es kommt zwar wohl auch bei jedem Manne vor, daß er sich einmal »nicht versteht«, ja bei sehr vielen Männern ist es, wenn sie an ihre Vergangenheit zurückdenken, ohne daß dies mit den Phänomenen der psychischen Periodizität in Verbindung gebracht werden dürfte Welche der sich immer verstehende Mensch ebensogut kennt wie der sich nie verstehende., die Regel, daß sie die Substitution ihrer gegenwärtigen Persönlichkeit für den Träger jener älteren Erlebnisse nicht leicht auszuführen vermögen, daß sie nicht begreifen, wie sie dies oder jenes damals denken oder tun konnten; und doch wissen und fühlen sie sehr wohl, daß sie es trotzdem gedacht und getan haben, und zweifeln nicht im mindesten daran. Dieses Gefühl der Identität in allen Lebenslagen fehlt dem echten Weibe völlig, da sein Gedächtnis, selbst wenn es – das kommt in einzelnen Fällen vor – auffallend gut ist, stets alle Kontinuität vermissen läßt. Das Einheitsbewußtsein des Mannes, der sich in seiner Vergangenheit oft nicht versteht, äußert sich in dem Bedürfnisse, sich zu verstehen, und diesem Bedürfnis immaniert die Voraussetzung, daß er stets ein und derselbe trotz seines Sichjetztnichtverstehens gewesen ist; die Frauen verstehen sich, wenn sie an ihr früheres Leben zurückdenken, nie, sie haben aber auch kein Bedürfnis, sich zu verstehen, wie man schon aus dem geringen Interesse entnehmen kann, das sie den Worten des Mannes entgegenbringen, der ihnen etwas über sie selbst sagt. Die Frau interessiert sich nicht für sich – darum gibt es keine weibliche Psychologin und keine Psychologie des Weibes von einem Weibe – und ganz unfaßbar wäre ihr das krampfhafte, echt männliche Bemühen, die eigene Vergangenheit als eine logische Folge von kontinuierlichem, lückenlos kausal geordnetem, nicht sprunghaftem Geschehen zu interpretieren, Anfang, Mitte, Ende des individuellen Lebens zueinander in Beziehung zu setzen.

Von hier aus aber ist auch die Brücke zur Logik durch einen Grenzübergang zu schlagen möglich. Ein Wesen, das, wie W, das absolute Weib, sich nicht in den aufeinanderfolgenden Zeitpunkten als identisch wüßte, hätte auch keine Evidenz der Identität seines Denkobjektes zu verschiedenen Zeiten; da, wenn beide Teile der Veränderung unterworfen sind, sozusagen das absolute Koordinatensystem fehlt, auf das Veränderung bezogen, mit Hilfe dessen Veränderung einzig bemerkt werden könnte. Ja, ein Wesen, dessen Gedächtnis nicht einmal so weit reichte, um ihm die psychologische Möglichkeit zu gestatten, das Urteil zu fällen, ein Gegenstand oder ein Ding sei trotz des Zeitablaufes mit sich selbst identisch geblieben, um es also z. B. zu befähigen, irgend eine mathematische Größe in einer längeren Rechnung als dieselbe zu verwenden, einzusetzen und festzuhalten; ein solches Wesen würde im extremen Falle auch nicht imstande sein, vermöge seines Gedächtnisses die unendlich klein gesetzte Zeit zu überwinden, welche (psychologisch) jedenfalls erforderlich ist, um von A zu sagen, daß es im nächsten Momente doch noch A sei, um das Urteil der Identität A = A zu fällen, oder den Satz des Widerspruches auszusprechen, der voraussetzt, daß ein A nicht sofort dem Denkenden entschwinde; denn sonst könnte es das A vom non-A, das nicht A ist, und das es wegen der Enge des Bewußtseins nicht gleichzeitig ins Auge zu fassen vermag, nicht wirklich unterscheiden.

Das ist kein bloßer Scherz des Gedankens, kein neckisches Sophisma der Mathematik, keine verblüffende Konklusion aus durchgeschmuggelten Prämissen. Zwar bezieht sich sicherlich – es muß das, um möglichen Einwänden zu begegnen, der folgenden Untersuchung vorweggenommen werden – das Urteil der Identität immer auf Begriffe, nie auf Empfindungen oder Komplexe von solchen, und die Begriffe sind als logische Begriffe zeitlos, sie behalten ihre Konstanz, ob ich sie als psychologisches Subjekt konstant denke oder nicht. Aber der Mensch denkt den Begriff eben nie rein als logischen Begriff, weil er kein rein logisches, sondern auch ein psychologisches, »von den Bedingungen der Sinnlichkeit affiziertes« Wesen ist, er kann an seiner Statt immer nur eine, aus seinen individuellen Erfahrungen durch wechselseitige Auslöschung der Differenzen und Verstärkung des Gleichartigen hervorgewachsene Allgemeinvorstellung (eine »typische«, »konnotative«, »repräsentative« Vorstellung) denken, die aber das abstrakte Moment der Begrifflichkeit erhalten und wunderbarerweise in diesem Sinne verwertet werden kann. Er muß also auch die Möglichkeit haben, die Vorstellung, in welcher er den de facto unanschaulichen Begriff anschaulich denkt, zu bewahren, zu konservieren; diese Möglichkeit hinwiederum wird ihm nur durch das Gedächtnis gewährleistet. Fehlte ihm also das Gedächtnis, so wäre für ihn auch die Möglichkeit dahin, logisch zu denken, jene Möglichkeit, die sich sozusagen immer nur an einem psychologischen Medium inkarniert.

Also ist der Beweis streng geführt, daß mit dem Gedächtnis auch die Fähigkeit erlischt, die logischen Funktionen auszuüben. Die Sätze der Logik werden hiedurch nicht tangiert, nur die Kraft, sie anzuwenden, ist dargetan als an jene Bedingung gebunden. Der Satz A = A nun hat psychologisch stets eine Beziehung zur Zeit, insofern er nur im Gegensatze zur Zeit ausgesprochen werden kann: A.t 1 = A.t 2. Logisch wohnt ihm diese Beziehung freilich nicht inne; wir werden aber noch darüber Aufschluß erhalten, warum er rein logisch als besonderes Urteil keinen speziellen Sinn hat und dieser psychologischen Folie so sehr bedarf. Psychologisch ist demnach das Urteil nur in Relation zur Zeit vollziehbar, als deren eigentliche Negation es sich darstellt.

Ich habe aber früher das stetige Gedächtnis als die Überwindung der Zeit, und eben damit als die psychologische Bedingung der Zeit auffassung erwiesen. So präsentiert sich denn die Tatsache des kontinuierlichen Gedächtnisses als der psychologische Ausdruck des logischen Satzes der Identität. Hiemit hoffe ich auch, die Kühnheit dieses gänzlich neuartigen Überganges vom Gedächtnis zur Logik gerechtfertigt zu haben. Dem absoluten Weibe, dem jenes fehlt, kann auch dieser Satz nicht Axiom seines Denkens sein. Für das absolute Weib gibt es kein Principium identitatis (und contradictionis und exclusi tertii).

Aber nicht nur diese drei Prinzipien; auch das vierte der logischen Denkgesetze, der Satz vom Grunde, der von jedem Urteil eine Begründung verlangt, die es für alle Denkenden notwendig mache, hängt mit dem Gedächtnis aufs innigste zusammen.

Der Satz vom zureichenden Grunde ist der Nerv, das Prinzip des Syllogismus. Die Prämissen eines Schlusses sind aber psychologisch immer frühere, der Konklusion zeitlich vorhergehende Urteile, die vom Denkenden ebenso festgehalten werden müssen, wie die Begriffe durch die Sätze von der Identität und vom Widerspruch gleichsam geschützt werden. Die Gründe eines Menschen sind immer in seiner Vergangenheit zu suchen. Darum hängt die Kontinuität, welche das Denken des Menschen als Maxime gänzlich beherrscht, mit der Kausalität so enge zusammen. Jedes psychologische Inkrafttreten des Satzes vom Grunde setzt demzufolge kontinuierliches, alle Identitäten wahrendes Gedächtnis voraus. Da W dieses Gedächtnis so wenig als Kontinuität sonst irgend kennt, so gibt es für sie auch kein Principium rationis sufficientis.

Es ist also richtig, daß das Weib keine Logik besitzt.

Georg Simmel hat diese alte Erkenntnis als unhaltbar bezeichnet, weil die Frauen oft mit äußerster, strengster Konsequenz Folgerungen zu ziehen wüßten. Daß die Frau in einem konkreten Falle, wo es ihr zur Erreichung irgend eines Zweckes paßt und dringend notwendig scheint, unerbittlich folgert, ist so wenig ein Beweis dafür, daß sie ein Verhältnis zum Satz vom Grunde hat, wie es ein Beweis für ein Verhältnis zum Satz der Identität ist, daß sie so oft hartnäckig ein und dasselbe behauptet, und immer wieder auf ihr erstes, längst widerlegtes, Wort zurückkommt. Die Frage ist, ob jemand die logischen Axiome als Kriterien der Gültigkeit seines Denkens, als Richter über das, was er sagt, anerkennt oder nicht, ob er sie zur steten Richtschnur und Norm seines Urteils macht. Eine Frau nun sieht nie ein, daß man alles auch begründen müsse; da sie keine Kontinuität hat, empfindet sie auch kein Bedürfnis nach der logischen Stützung alles Gedachten: daher die Leichtgläubigkeit aller Weiber. Also im Einzelfall mögen sie konsequent sein, aber dann ist die Logik nicht Maßstab, sondern Werkzeug, nicht Richter, sondern meistens Henker. Dagegen wird eine Frau durchaus, wenn sie eine Ansicht äußerte, und der Mann so dumm wäre, dies überhaupt ernst zu nehmen und einen Beweis von ihr verlangte, ein solches Ansinnen als unbequem und lästig, als gegen ihre Natur gerichtet empfinden. Der Mann fühlt sich vor sich selbst beschämt, er fühlt sich schuldig, wenn er einen Gedanken, habe er ihn nun geäußert oder nicht, zu begründen unterlassen hat, weil er die Verpflichtung dazu fühlt, die logische Norm einzuhalten, die er ein für allemal über sich gesetzt hat. Die Frau erbittert die Zumutung, ihr Denken von der Logik ausnahmslos abhängig zu machen. Ihr mangelt das intellektuelle Gewissen. Man könnte bei ihr von » logicalinsanity« sprechen.

Der häufigste Fehler, den man an der weiblichen Rede entdecken würde, wollte man sie wirklich auf ihre Logizität prüfen (was jeder Mann gewöhnlich unterläßt und schon damit seine Verachtung der weiblichen Logik kundgibt), wäre die quaternio terminorum, jene Verschiebung, die eben aus der Unfähigkeit des Festhaltens bestimmter Vorstellungen, aus dem Mangel eines Verhältnisses zum Satze der Identität, hervorgeht. Die Frau erkennt nicht von selbst, daß sie an diesen Satz sich halten müsse, er ist ihr nicht oberstes Kriterium ihrer Urteile. Der Mann fühlt sich zur Logik verpflichtet, die Frau nicht; nur darauf aber kommt es an, nur jenes Gefühl der Schuldigkeit kann eine Bürgschaft dafür bieten, daß von einem Menschen immer und ewig logisch zu denken gestrebt werde. Es ist vielleicht der tiefste Gedanke, welchen Descartes je geäußert hat, und wohl darum so wenig verstanden und meist als schreckliche Irrlehre hingestellt: daß aller Irrtum eine Schuld ist.

Aber Quell alles Irrtums ist im Leben auch immer ein Mangel an Gedächtnis. So hängen Logik wie Ethik, die sich eben in der Wahrheitsforderung berühren und im höchsten Werte der Wahrheit zusammentreffen, wieder beide auch mit dem Gedächtnis zusammen. Und es dämmert uns auch bereits die Erkenntnis auf, daß Platon so unrecht nicht hatte, wenn er die Einsicht mit der Erinnerung in Zusammenhang brachte. Das Gedächtnis ist zwar kein logischer und ethischer Akt, aber zumindest ein logisches und ethisches Phänomen. Ein Mensch z. B., der eine wahrhaft tiefe Empfindung gehabt hat, empfindet es als sein Unrecht, wenn er, sei's auch durch äußeren Anlaß genötigt, eine halbe Stunde darauf schon an etwas ganz anderes denkt. Der Mann kommt sich gewissenlos und unmoralisch vor, wenn er bemerkt, daß er an irgend einen Punkt seines Lebens längere Zeit hindurch nicht gedacht hat. Das Gedächtnis ist ferner schon deshalb moralisch, weil es allein die Reue ermöglicht. Alles Vergessen hingegen ist an sich unmoralisch. Darum ist Pietät eben auch sittliche Vorschrift: es ist Pflicht, nichts zu vergessen; und nur insofern hat man der Verstorbenen besonders zu gedenken. Darum auch sucht der Mann, aus logischen und ethischen Motiven in gleichem Maße, in seine Vergangenheit Logik zu bringen, alle Punkte in ihr zur Einheit zu ordnen.

Wie mit einem Schlage ist hier an den tiefen Zusammenhang von Logik und Ethik gerührt, den Sokrates und Plato geahnt haben, Kant und Fichte neu entdecken mußten, auf daß er später wieder vernachlässigt würde und den Lebenden ganz in Verlust geriete.

Ein Wesen, das nicht begreift oder nicht anerkennt, daß A und non-A einander ausschließen, wird durch nichts mehr gehindert, zu lügen; vielmehr, es gibt für ein solches Wesen gar keinen Begriff der Lüge, weil ihr Gegenteil, die Wahrheit, als das Maß, ihm abgeht; ein solches Wesen kann, wenn ihm dennoch Sprache verliehen ist, lügen, ohne es zu wissen, ja ohne die Möglichkeit, zu erkennen, daß es lügt, da es des Kriteriums der Wahrheit entbehrt. »Veritas norma sui et falsi est.« Es gibt nichts Erschütternderes für einen Mann, als wenn er, einem Weibe auf eine Lüge gekommen, sie fragt: »Was lügst du?« und dann gewahren muß, wie sie diese Frage gar nicht versteht und, ohne zu begreifen, ihn angafft, oder lächelnd ihn zu beruhigen sucht – oder gar in Tränen ausbricht.

Denn mit dem Gedächtnis allein ist die Sache nicht erledigt. Es ist auch unter den Männern die Lüge genug verbreitet. Und es kann gelogen werden trotz der Erinnerung an den tatsächlichen Sachverhalt, an dessen Stelle zu irgend welchem Zwecke ein anderer gesetzt wird. Ja, nur von einem solchen Menschen, der, trotz seinem besseren Wissen und Bewußtsein, den Tatbestand fälscht, kann eigentlich mit Recht gesagt werden, daß er lüge. Und es muß ein Verhältnis zur Idee der Wahrheit als des höchsten Wertes der Logik wie der Ethik da sein, damit von einer Unterdrückung dieses Wertes zugunsten fremder Motive die Rede sein könne. Wo dieses fehlt, kann man nicht von Irrtum und Lüge, sondern höchstens von Verirrtheit und Verlogenheit sprechen; nicht von antimoralischem, sondern nur von amoralischem Sein. Das Weib also ist amoralisch.

Jenes absolute Unverständnis für den Wert der Wahrheit an sich muß demnach tiefer liegen. Aus dem kontinuierlichen Gedächtnis ist, da der Mann ebenfalls, ja eigentlich nur er lügt, die Wahrheits forderung, das Wahrheits bedürfnis, das eigentliche ethisch-logische Grundphänomen, nicht abzuleiten, sondern es steht damit nur in engem Zusammenhange.

Das, was einem Menschen, einem Manne ein aufrichtiges Verhältnis zur Idee der Wahrheit ermöglicht, und was ihn deshalb einzig an der Lüge zu hindern imstande ist, das kann nur etwas von aller Zeit Unabhängiges, durchaus Unveränderliches sein, welches die alte Tat im neuen Augenblick ganz ebenso als wirklich setzt wie im früheren, weil es es selbst geblieben ist, an der Tatsache, daß es die Handlung so vollzogen hat, nichts ändern läßt und nicht rütteln will; es kann nur dasselbe sein, auf das alle diskreten Erlebnisse bezogen werden, und das so ein kontinuierliches Dasein erst schafft: es ist eben dasselbe, das zum Gefühl der Verantwortlichkeit für die eigenen Taten drängt und den Menschen alle Handlungen, die jüngsten wie die ältesten, verantworten zu können trachten läßt, das zum Phänomen der Reue, zum Schuldbewußtsein führt, das heißt zur Zurechnung vergangener Dinge an ein ewig Selbes und darum auch Gegenwärtiges, zu einer Zurechnung, die in viel größerer Feinheit und Weite geschieht, als durch das öffentliche Urteil und die Normen der Gesellschaft je erreicht werden könnte, einer Zurechnung, die von allem Sozialen gänzlich unabhängig das Individuum an sich selbst vollzieht; weshalb alle Moralpsychologie, welche die Moral auf das soziale Zusammenleben der Menschen begründen und ihren Ursprung auf dieses zurückführen will, in Grund und Boden falsch und verlogen ist. Die Gesellschaft kennt den Begriff des Verbrechens, aber nicht den der Sünde, sie zwingt zur Strafe, ohne Reue erreichen zu wollen; die Lüge wird vom Strafgesetz nur in ihrer, öffentlichen Schaden zufügenden, feierlichen Form des Meineides geahndet, und der Irrtum ist noch nie unter die Vergehungen gegen das geschriebene Gesetz gestellt worden. Die Sozialethik, die da fürchtet, der Nebenmensch komme bei jedem ethischen Individualismus zu kurz, und darum von Pflichten des Individuums gegen die Gesellschaft und gegen die 1500 Millionen lebender Menschen faselt, erweitert also nicht, wie sie glaubt, das Gebiet der Moral, sondern beschränkt es in unzulässiger und verwerflicher Weise.

Was ist nun jenes über Zeit und Veränderung Erhabene, jenes »Zentrum der Apperzeption«?

»Es kann nichts Mindereres sein, als was den Menschen über sich selbst (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die ganze Sinnenwelt ... unter sich hat. Es ist nichts anderes als die Persönlichkeit

Auf ein von allem empirischen Bewußtsein verschiedenes » intelligibles« Ich hat das erhabenste Buch der Welt, die »Kritik der praktischen Vernunft«, der diese Worte entnommen sind, die Moral als auf ihren Gesetzgeber zurückgeführt.

Hiemit steht die Untersuchung beim Problem des Subjektes, und dieses bildet ihren nächsten Gegenstand.


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