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VII. Kapitel. Logik, Ethik und das Ich

Die Kritiker des Ich-Begriffes: Hume, Lichtenberg, Mach. Das Machsche Ich und die Biologie. Individuation und Individualität. Logik und Ethik als Zeugen für die Existenz des Ich. – Erstens die Logik: die Sätze der Identität und des Widerspruches. Die Frage ihres Nutzens und ihrer Bedeutung. Die logischen Axiome als identisch mit der begrifflichen Funktion. Definition des logischen Begriffes als Norm der Essenz. Die logischen Axiome als eben diese Norm der Essenz, welche Existenz einer Funktion ist. Diese Existenz als das absolute Sein oder das Sein des absoluten Ich. Kant und Fichte. Logizität als Norm. Denkfreiheit neben Willensfreiheit. – Zweitens die Ethik. Zurechnung. Das Verhältnis der Ethik zur Logik. Die Verschiedenheit der Subjektsbeweise aus der Logik und der Ethik. Eine Unterlassung Kantens. Ihre sachlichen und ihre persönlichen Gründe. Zur Psychologie der Kantischen Ethik. Kant und Nietzsche.

 

Bekanntlich hat David Hume den Ich-Begriff einer Kritik unterzogen, die in ihm nur ein »Bündel« verschiedener, in fortwährendem Flusse und Bewegung befindlicher »Perzeptionen« zu entdecken vermochte. So sehr auch Hume das Ich hiedurch kompromittiert fand, er trägt seine Anschauung relativ bescheiden vor, und salviert sich dem Wortlaute nach tadellos. Von einigen Metaphysikern nämlich, erklärt er, müsse man absehen, die sich eines anderen Ichs zu erfreuen meinten; er selbst sei ganz gewiß, keines zu haben, und glaube annehmen zu dürfen, daß es auch von den übrigen Menschen (von jenen paar Käuzen natürlich werde er sich wohl hüten, zu reden) gelte, daß sie nichts seien als Bündel. So drückt sich der Weltmann aus. Im nächsten Kapitel wird sich zeigen, wie seine Ironie auf ihn selbst zurückfällt. Daß sie so berühmt wurde, liegt an der allgemeinen Überschätzung Humes, an der Kant die Schuld trägt. Hume war ein ausgezeichneter empirischer Psychologe, aber er ist keineswegs ein Genie zu nennen, wie das meistens geschieht; es gehört zwar nicht eben viel dazu, der größte englische Philosoph zu sein, aber Hume hat auch auf diese Bezeichnung nicht den ersten Anspruch. Und wenn Kant (trotz den »Paralogismen«) den Spinozismus a limine deswegen zurückgewiesen hat, weil nach diesem die Menschen nicht Substanzen, sondern bloße Akzidenzen sind, und ihn mit jener seiner »ungereimten« Grundidee schon für erledigt ansah – so möchte ich wenigstens nicht dafür einstehen, ob er sein Lob des Engländers nicht beträchtlich gedämpft hätte, wäre ihm auch der »Treatise« desselben bekannt gewesen und nicht bloß der spätere »Inquiry«, in welchen, wie man weiß, Hume seine Kritik des Ichs nicht aufgenommen hat.

Lichtenberg, der nach Hume gegen das Ich zu Felde zog, war schon kühner als dieser. Er ist der Philosoph der Unpersönlichkeit und korrigiert nüchtern das sprachliche »Ich denke« durch ein sachliches »es denkt«; so ist ihm das Ich eigentlich eine Erfindung der Grammatiker. Hierin war ihm übrigens Hume doch insofern vorangegangen, als auch er am Schlusse seiner Auseinandersetzungen allen Hader um die Identität der Person für einen bloßen Wortstreit erklärt hatte.

In jüngster Zeit hat E.  Mach das Weltall als eine zusammenhängende Masse aufgefaßt und die Ichs als Punkte, in denen die zusammenhängende Masse stärkere Konsistenz habe. Das einzig Reale seien die Empfindungen, die im einen Individuum untereinander stark, mit jenen eines anderen aber, welches man darum vom ersten unterscheide, schwächer zusammenhingen. Der Inhalt sei die Hauptsache und bleibe stets auch in anderen erhalten bis auf die wertlosen (!) persönlichen Erinnerungen. Das Ich sei keine reale, nur eine praktische Einheit, unrettbar, darum könne man auf individuelle Unsterblichkeit (gerne) verzichten; doch sei es nichts Tadelnswertes, hie und da, besonders zu Zwecken des Darwinschen Kampfes ums Dasein, sich so zu benehmen, als ob man ein Ich besäße.

Es ist wunderlich, wie ein Forscher, der nicht nur als Historiker seiner Spezialwissenschaft und Kritiker ihrer Begriffe so Ungewöhnliches geleistet hat wie Mach, sondern auch in biologischen Dingen überaus kenntnisreich ist und auf die Lehre von diesen vielfach, direkt und indirekt, anregend gewirkt hat, gar nicht auf die Tatsache Rücksicht nimmt, daß alle organischen Wesen zunächst unteilbar, also doch irgendwie Atome, Monaden sind (vgl. Teil I, Kap. 3, S. 46). Das ist ja doch der erste Unterschied zwischen Belebtem und Unbelebtem, daß jenes immer differenziert ist zu ungleichartigen, aufeinander angewiesenen Teilen, während selbst der geformte Kristall durchaus gleichgeartet ist. Darum sollte man doch, wenigstens als Eventualität, die Möglichkeit in Betracht ziehen, ob nicht allein aus der Individuation, der Tatsache, daß die organischen Wesen im allgemeinen nicht zusammenhängen wie die siamesischen Zwillinge, auch etwas für das Psychische sich ergibt, mehr Psychisches zu erwarten ist als das Machsche Ich, dieser bloße Wartesaal für Empfindungen.

Es ist zu glauben, daß solch ein psychisches Korrelat schon bei den Tieren existiert. Alles, was ein Tier fühlt und empfindet, hat wohl bei jedem Individuum eine verschiedene Note oder Färbung, die nicht nur die seiner Klasse, Gattung und Art, seiner Rasse und Familie eigentümliche ist, sondern in jedem einzelnen Wesen sich von der in jedem anderen unterscheidet. Das Idioplasma ist das physiologische Äquivalent zu dieser Spezifität aller Empfindungen und Gefühle jedes besonderen Tieres, und es sind analoge Gründe wie die Gründe der Idioplasmatheorie (vgl. Teil I, Kap. 2, S. 19, und Teil II, Kap. I, S. 97 f.), welche die Vermutung nahelegen, daß es einen empirischen Charakter auch bei den Tieren gibt. Der Jäger, der mit Hunden, der Züchter, der mit Pferden, der Wärter, der mit Affen zu tun hat, wird die Singularität nicht nur, sondern auch die Konstanz im Verhalten jedes einzelnen Tieres bestätigen. Also jedenfalls ist schon hier ein über das bloße Rendezvous der »Elemente« Hinausgehendes ungemein wahrscheinlich.

Wenn nun auch dieses psychische Korrelat zum Idioplasma existiert, wenn sicherlich selbst die Tiere eine Eigenart haben, so hat diese doch immer noch mit dem intelligiblen Charakter nichts zu tun, den wir bei keinem lebenden Wesen vorauszusetzen einen Grund haben, als beim Menschen. Es verhält sich der intelligible Charakter des Menschen, die Individualität, zum empirischen Charakter, der bloßen Individuation, wie das Gedächtnis zum einfachen unmittelbaren Wiedererkennen. Letzten Endes ist hier Identität: zugrunde liegt eben beiderseits Struktur, Form, Gesetz, Kosmos, der sich gleichbleibt, wenn die Inhalte wechseln. Die Überlegungen aber, auf deren Grundlage beim Menschen die Existenz eines solchen noumenalen, transempirischen Subjektes erschlossen werden darf, müssen nun in Kürze dargelegt werden. Sie ergeben sich aus der Logik und der Ethik.

In der Logik handelt es sich um die wahre Bedeutung des Prinzips der Identität (und des Widerspruches; die vielen Kontroversen über deren Vorrang vor einander und die richtigste Form ihres Ausdruckes kommen hier wenig in Betracht). Der Satz A = A ist unmittelbar gewiß und evident. Er ist zugleich das Urmaß der Wahrheit für alle anderen Sätze; wenn ihm irgendwo einer widerspräche, so oft in einem speziellen Urteil der Prädikatsbegriff von einem Subjekte etwas aussagte, das dem Begriffe desselben widerspräche, würden wir es für falsch halten; und als Gesetz unseres Richtspruches würde sich uns, wenn wir nachsinnen, zuletzt dieser Satz ergeben. Er ist das Prinzip von wahr und falsch; und wer ihn für eine Tautologie erachtet, die nichts besage und unser Denken nicht fördere, wie dies so oft geschehen ist, von Hegel und später von fast allen Empiristen – es ist dies nicht der einzige Berührungspunkt zwischen den scheinbar so unversöhnlichen Gegensätzen – der hat ganz recht, aber die Natur des Satzes schlecht verstanden. A = A, das Prinzip aller Wahrheit, kann nicht selbst eine spezielle Wahrheit sein. Wer den Satz der Identität oder des Widerspruches inhaltsleer findet, hat es sich selbst zuzuschreiben. Er glaubte in ihnen besondere Gedanken zu finden; was er hoffte, war eine Bereicherung seines Fonds an positiven Kenntnissen. Aber jene Sätze sind nicht selbst Erkenntnisse, besondere Denkakte, sondern das Maß, das an alle Denkakte angelegt wird. Dieses kann nicht selbst ein Denkakt sein, der mit den anderen sich irgend vergleichen ließe. Die Norm des Denkens kann nicht im Denken selbst gelegen sein. Der Satz von der Identität fügt unserem Wissen nichts hinzu, er vermehrt nicht einen Reichtum, den er vielmehr gänzlich erst begründet. Der Satz von der Identität ist entweder nichts, oder er ist alles.

Worauf bezieht sich der Satz der Identität und der Satz des Widerspruches? Man meint gewöhnlich: auf Urteile. Sigwartz. B., der gar den letzteren nur so formuliert: »Die beiden Urteile, A ist B, und A ist nicht B, können nicht zugleich wahr sein«, behauptet, das Urteil: »Ein ungelehrter Mensch ist gelehrt« involviere deshalb einen Widerspruch, »weil das Prädikat gelehrt einem Subjekte zugesprochen wird, von welchem durch das Urteil, das implizite in seiner Bezeichnung mit dem Subjektsworte ›ungelehrter Mensch‹ liegt, behauptet war, es sei nicht gelehrt; es läßt sich also zurückführen auf die zwei Urteile X ist gelehrt und X ist nicht gelehrt« etc. Der Psychologismus dieser Beweisführung springt ins Auge. Sie rekurriert auf ein zeitlich der Bildung des Begriffes von einem ungelehrten Menschen vorhergehendes Urteil. Der obige Satz aber, A ist nicht non-A, beansprucht Gültigkeit, ganz einerlei, ob es überhaupt andere Urteile gibt, gegeben hat oder geben wird. Er bezieht sich auf den Begriff des ungelehrten Menschen. Diesen Begriff sichert er durch Ausschließung aller ihm widersprechenden Merkmale.

Hierin liegt die wahre Funktion der Sätze vom Widerspruch und von der Identität. Sie sind konstitutiv für die Begrifflichkeit.

Freilich geht diese Funktion bloß auf den logischen Begriff, nicht auf das, was man den »psychologischen Begriff« genannt hat. Zwar ist der Begriff psychologisch stets durch eine anschauliche Allgemeinvorstellung vertreten; dieser Vorstellung immaniert jedoch in einer gewissen Weise das Moment der Begrifflichkeit. Die psychologisch den Begriff repräsentierende Allgemeinvorstellung, an der sich das begriffliche Denken beim Menschen vollzieht, ist nicht dasselbe wie der Begriff. Sie kann z. B. reicher sein (im Falle ich ein Triangel denke); oder sie kann auch ärmer sein (im Begriffe des Löwen ist mehr enthalten als in meiner Anschauung desselben, während es beim Dreieck umgekehrt ergeht). Der logische Begriff ist die Richtschnur, welcher die Aufmerksamkeit folgt, wenn sie aus der einen Begriff beim Individuum repräsentierenden Vorstellung nur gewisse Momente, eben die durch den Begriff angezeigten, heraushebt, er ist das Ziel und der Wunsch des psychologischen Begriffes, der Polarstern, zu dem die Aufmerksamkeit emporblickt, wenn sie sein konkretes Surrogat erzeugt: er ist das Gesetz ihrer Wahl.

Gewiß gibt es kein Denken, das nur rein logisch und nicht auch psychologisch vor sich ginge: denn das wäre ja das Wunder. Rein logisch denkt ihrem Begriffe nach die Gottheit, der Mensch muß immer zugleich psychologisch denken, da er nicht nur Vernunft, sondern auch Sinnlichkeit besitzt, und sein Denken wohl auf logische, d. h. zeitlose Ergebnisse abzweckt, aber psychologisch in der Zeit vor sich geht. Die Logizität ist aber der erhabene Maßstab, der an die psychologischen Denkakte des Individuums von ihm selbst wie von anderen angelegt wird. Wenn zwei Menschen über etwas diskutieren, so sprechen sie vom Begriffe, nicht von den bei jedem verschiedenen individuellen Vorstellungen, die ihn hier und dort vertreten: der Begriff ist so ein Wert, an dem die Individualvorstellung gemessen wird. Wie psychologisch die Allgemeinvorstellung entsteht, hat darum mit der Natur des Begriffes gar nichts zu tun, und ist für diese von keinerlei Bedeutung. Den Charakter der Logizität, der dem Begriff seine Würde und seine Strenge verleiht, hat er nicht aus der Erfahrung, welche stets nur schwankende Gestalten zeigt, und höchstens vage Gesamtvorstellungen erzeugen könnte. Absolute Konstanz und absolute Eindeutigkeit, die nicht aus der Erfahrung entstammen können, sind das Wesen der Begrifflichkeit, jener »verborgenen Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten und sie unverdeckt vor Augen legen werden«, wie die »Kritik der reinen Vernunft« sich ausdrückt. Jene absolute Konstanz und Eindeutigkeit bezieht sich nicht auf metaphysische Entitäten: die Dinge sind nicht so weit real, als sie am Begriffe Anteil haben, sondern ihre Qualitäten sind logisch nur so weit ihre Qualitäten, als sie im Inhalte des Begriffes liegen. Der Begriff ist die Norm der Essenz, nicht der Existenz.

Daß ich von einem kreisförmigen Dinge aussagen könne, es sei gekrümmt, hiefür liegt meine logische Berechtigung im Begriffe des Kreises, welcher die Krümmung als Merkmal enthält. Den Begriff aber als die Essenz selbst, als das »Wesen« zu definieren, ist schlecht: »Wesen« ist hier entweder ein psychologisches Abgehobensein oder ein metaphysisches Ding. Und den Begriff mit seiner Definition gleichzusetzen, verbietet die Natur der Definition, die stets nur auf den Inhalt, nicht auf den Umfang des Begriffes sich bezieht, d. h. nur den Wortlaut, nicht den Kompetenzkreis jener Norm angibt, welche das Wesen der Begrifflichkeit ausmacht. Der Begriff als Norm, als Norm der Essenz kann auch nicht selbst Essenz sein; die Norm muß etwas anderes sein, und da sie nicht Essenz ist, so kann sie – ein Drittes gibt es nicht – nur Existenz sein, und zwar nicht eine Existenz, die das Sein von Objekten, sondern eine Existenz, die das Sein einer Funktion enthüllt.

Nun ist aber bei jeder gedanklichen Streitfrage zwischen Menschen, wenn schließlich in letzter Instanz an die Definition appelliert wird, dann eben nichts anderes die Norm der Essenz als die Sätze A = A oder A ≠ non-A. Die Begrifflichkeit, Konstanz wie Eindeutigkeit, wird dem Begriffe durch den Satz A = A und durch nichts anderes. Und zwar verteilen sich die Rollen der logischen Axiome hier derart, daß durch das principium identitatis die dauernde Unverrückbarkeit und Insichgeschlossenheit des Begriffes selbst verbürgt wird, indes das principium contradictionis ihn eindeutig gegen alle anderen möglichen Begriffe abgrenzt. Hiemit ist, zum ersten Male, erwiesen, daß die begriffliche Funktion ausgedrückt werden kann durch die beiden obersten logischen Axiome, und selbst nichts anderes ist als diese. Der Satz A = A (und A ≠ non-A) ermöglicht also erst jedweden Begriff, er ist der Nerv der begrifflichen Natur oder Begrifflichkeit des Begriffes.

Wenn ich endlich den Satz selbst, A = A, ausspreche, so ist offenbar der Sinn dieses Satzes nicht, daß ein spezielles A, das ist, ja nicht einmal, daß jedes besondere A wirklicher Erfahrung oder wirklichen Denkens sich selbst gleich sei. Das Urteil der Identität ist unabhängig davon, ob überhaupt ein A existiert, d. h. natürlich wieder keineswegs, daß der Satz nicht von jemand Existierendem müsse gedacht werden; aber er ist unabhängig davon gedacht, ob etwas, ob jemand existiert. Er bedeutet: wenn es ein A gibt (es mag eines geben oder nicht, auch wenn es vielleicht gar keines gibt), so gilt jedenfalls A = A. Hiemit ist nun unwiderruflich eine Position gegeben, ein Sein gesetzt, nämlich das Sein A = A, trotzdem es hypothetisch bleibt, ob A selbst überhaupt ist. Der Satz A = A behauptet also, daß etwas existiert, und diese Existenz ist eben jene gesuchte Norm der Essenz. Aus der Empirie, aus wenigen oder noch so vielen Erlebnissen kann er nicht stammen, wie Mi11 glaubte; denn er ist eben ganz unabhängig von der Erfahrung, er gilt sicher, ob diese ein A ihm zeigen werde oder nicht. Er ist von keinem Menschen noch geleugnet worden und könnte es auch nicht werden, da die Leugnung ihn selbst wieder voraussetzte, wenn sie etwas, ein Bestimmtes leugnen wollte. Da nun der Satz ein Sein behauptet, ohne von der Existenz von Objekten sich abhängig zu machen, oder über solche Existenz etwas auszusagen, so kann er nur ein von allem Sein wirklicher und möglicher Objekte verschiedenes Sein, das ist also das Sein dessen, ausdrücken, was seinem Begriffe nach nie Objekt werden kann Dieser Beweis beruht jedoch, wie zu bemerken ist, auf der Identifikation eines beliebigen logischen A mit dem erkenntnistheoretischen Objekt überhaupt; diese Identifikation läßt sich in ihrer Berechtigung selbst nicht noch dartun. Vom Sein überhaupt, welches aus der Gültigkeit des Identitätsprinzips streng genommen allein gefolgert werden könnte, will ich hier jedoch aus methodischen Gründen absehen. – Übrigens würde, um den Positivismus zu widerlegen (worauf es ankam), bereits dieser Beweis eines Seins jenseits der Erfahrung, unabhängig von aller Erfahrung, hingereicht haben. Daß dieses Sein das Sein des Ich ist, dafür ist keine rein logische, sondern eigentlich nur eine psychologische Begründung aus der Erfahrungstatsache möglich, daß die logische Norm dem Menschen nicht von außen kommt, sondern vom eigenen tiefsten Wesen ihm gegeben wird. Nur darum kann das absolute Sein oder das Sein des Absoluten, wie es im Satze A = A sich manifestiert, mit dem Sein des Ich gleichgesetzt werden: das absolute Ich ist das Absolute.; er wird durch seine Evidenz also die Existenz des Subjektes offenbaren; und zwar liegt dieses im Satz der Identität ausgesprochene Sein nicht im ersten und nicht im zweiten A, sondern im identischen Gleichheitszeichen A ≡ A. Dieser Satz also ist identisch mit dem Satze: ich bin.

Psychologisch läßt sich diese schwierige Deduktion leichter vermitteln, wenn auch nicht ersparen. Es ist klar, daß, um A = A sagen, um die Unveränderlichkeit des Begriffes normierend festsetzen zu können und sie den stets wechselnden Einzeldingen der Erfahrung gegenüber aufrechtzuerhalten, ein Unveränderliches bestehen muß, und dies kann nur das Subjekt sein; wäre ich eingeschaltet in den Kreis der Veränderung, so könnte ich nicht erkennen, daß ein A sich selbst gleichgeblieben ist; würde ich mich fortwährend ändern und nicht ein Identisches bleiben, wäre mein Selbst funktionell an die Veränderung geknüpft, so gäbe es keine Möglichkeit, dieser gegenüberzutreten und sie zu erkennen; es fehlte das absolute geistige Koordinatensystem, in Beziehung auf das allein und einzig ein Identisches bestimmt und als solches festgehalten werden könnte.

Die Existenz des Subjektes läßt sich nicht ableiten, hierin behält Kantens Kritik der rationalen Psychologie vollkommen recht. Aber es läßt sich dartun, wo diese Existenz strenge und unzweideutig auch in der Logik zum Ausdruck gelangt; und man braucht nicht das intelligible Sein als bloße logische Denk möglichkeit hinzustellen, die uns allein das moralische Gesetz später völlig zur Gewißheit zu machen geeignet sei, wie Kant dies tat. Fichte hatte recht, als er in der reinen Logik ebenfalls die Existenz des Ich verbürgt fand, soweit das Ich mit dem intelligiblen Sein zusammenfällt.

Das Prinzip aller Wahrheit sind die logischen Axiome, diese statuieren ein Sein, und nach diesem richtet sich, nach ihm strebt das Erkennen. Die Logik ist ein Gesetz, dem gehorcht werden soll, und der Mensch ist erst dann ganz er selbst, wenn er ganz logisch ist; ja er ist nicht, ehe denn er überall und durchaus nur Logik ist. In der Erkenntnis findet er sich selbst.

Aller Irrtum wird als Schuld empfunden. Daraus ergibt sich, daß der Mensch nicht irren mußte. Er so11 die Wahrheit finden; darum kann er sie finden. Aus der Pflicht zur Erkenntnis folgt ihre Möglichkeit, folgt die Freiheit des Denkens und die Siegeshoffnung des Erkennens. In der Normativität der Logik liegt der Beweis, daß das Denken des Menschen frei ist und sein Ziel erreichen kann.

*

Kürzer und anders kann ich mich bezüglich der Ethik fassen, da diese Untersuchung durchaus auf den Boden der Kantischen Moralphilosophie sich stellt und auch die letzten logischen Deduktionen und Postulate, wie man gesehen hat, in einer gewissen Analogie zu jener durchgeführt wurden. Das tiefste, das intelligible Wesen des Menschen ist eben das, was der Kausalität nicht untersteht, und wählt in Freiheit das Gute oder das Böse. Dies wird ganz in der gleichen Weise kundgetan, durch das Schuldbewußtsein, durch die Reue. Niemand hat noch vermocht, diese Tatsachen anders zu erklären; und niemand läßt es sich einreden, daß er diese oder jene Tat hat begehen müssen. Im Sollen liegt auch hier der Zeuge für das Können. Der kausalen Bestimmungsgründe, der niederen Motive, die ihn hinabgezogen haben, kann der Mensch sich vollkommen bewußt sein, und er wird doch, ja gerade dann am gewissesten, die Zurechnung an sein intelligibles Ich als ein freies, das anders hätte handeln können, vollziehen.

Wahrheit, Reinheit, Treue, Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber: das ist die einzig denkbare Ethik. Es gibt nur Pflichten gegen sich, Pflichten des empirischen gegen das intelligible Ich, welche in der Form jener zwei Imperative auftreten, an denen aller Psychologismus immer zuschanden wird: in der Form der logischen und der moralischen Gesetzlichkeit. Die normativen Disziplinen, die psychische Tatsache der inneren Forderung, die viel mehr verlangt, als alle bürgerliche Gesittung je haben will – das ist es, was kein Empirismus je wird ausreichend erklären können. Seinen wahren Gegensatz findet er in einer kritisch-transzendentalen, nicht in einer metaphysisch-transzendenten Methode, da alle Metaphysik nur hypostasierende Psychologie, Transzendentalphilosophie aber Logik der Wertungen ist. Aller Empirismus und Skeptizismus, Positivismus und Relativismus, aller Psychologismus und alle rein immanente Betrachtungsweise fühlen instinktiv sehr wohl, daß aus Ethik und Logik ihnen die Hauptschwierigkeit erwächst. Daher die fortwährend erneuten und immer vergeblichen Versuche einer empirischen und psychologischen Begründung dieser Disziplinen; und fast wird nur noch ein Versuch vermißt, das principium contradictionis experimentell zu prüfen und nachzuweisen.

Logik und Ethik aber sind im Grunde nur eines und dasselbe – Pflicht gegen sich selbst. Sie feiern ihre Vereinigung im höchsten Werte der Wahrheit, dem dort der Irrtum, hier die Lüge gegenübersteht: die Wahrheit selbst aber ist nur eine. Alle Ethik ist nur nach den Gesetzen der Logik möglich, alle Logik ist zugleich ethisches Gesetz. Nicht nur Tugend, sondern auch Einsicht, nicht nur Heiligkeit, sondern auch Weisheit ist Pflicht und Aufgabe des Menschen: erst beide zusammen begründen Vollkommenheit.

Aber freilich ist aus der Ethik, deren Sätze Heischesätze sind, nicht wie aus der Logik ein strenger logischer Beweis für Existenz schon zu führen. Die Ethik ist nicht im selben Sinne logisches wie die Logik ethisches Gebot. Die Logik rückt dem Ich seine völlige Verwirklichung als absolutes Sein vor Augen; die Ethik hingegen gebietet erst diese Verwirklichung. Die Logik wird von der Ethik aufgenommen und zu ihrem eigentlichen Inhalte, zu ihrer Forderung gemacht.

An jener berühmten Stelle der »Kritik der praktischen Vernunft«, da Kant den Menschen als Glied der intelligiblen Welt einführt (»Pflicht! Du erhabener, großer Name ...«), wird man also mit Recht fragen, woher denn Kant wisse, daß das moralische Gesetz von der Persönlichkeit emaniere? Es könne kein anderer, seiner würdiger, Ursprung gefunden werden, ist das einzige, was Kant hierauf zur Antwort gibt. Er begründet es nicht weiter, daß der kategorische Imperativ das vom Noumenon gegebene Gesetz sei, sie gehören ihm offensichtlich von Anfang an zusammen. Das aber liegt in der Natur der Ethik. Diese fordert, daß das intelligible Ich von allen Schlacken des empirischen frei wirke, und so kann durch die Ethik dasselbe Sein erst in seiner Reinheit gänzlich verwirklicht werden, welches die Logik verheißungsvoll in der Form eines doch irgendwie bereits Gegenwärtigen uns verkündet. 201

Aber was für Kant die Monaden-, die Seelenlehre im Gemüte bedeutete, wie er an ihr als einzigem Gute von je festhielt, und mit seiner Theorie vom »intelligiblen Charakter«, den man so oft als eine neue Entdeckung oder Erfindung, als ein Auskunftsmittel der Kantischen Philosophie mißversteht, nur das an ihr wissenschaftlich Haltbare festlegen wollte: dies ist aus jener Unterlassung deutlich zu entnehmen.

Es gibt Pflicht nur gegen sich selbst; des muß Kant schon in frühester Jugend (vielleicht nachdem er einmal den Impuls zur Lüge verspürt hatte) sicher geworden sein.

Wenn von der Herakles-Sage, von einigen Stellen Nietzsches und eher noch Stirners, aus denen man Kant-Verwandtes herauslesen kann, abgesehen wird, so hat das Prinzip der Kantischen Ethik bloß Ibsen (im »Brand« und »Peer Gynt«) selbständig gefunden. Gelegentlich sind Äußerungen, wie Hebbels Epigramm »Lüge und Wahrheit«:

»Was Du teurer bezahlst, die Lüge oder die Wahrheit?
Jene kostet Dein Ich, diese doch höchstens Dein Glück.«

oder Suleikas weltbekannte Worte aus dem »Westöstlichen Diwan«:

»Volk und Knecht und Überwinder,
Sie gesteh'n zu jeder Zeit:
Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit.

Jedes Leben sei zu führen,
Wenn man sich nicht selbst vermißt;
Alles könne man verlieren,
Wenn man bleibe, was man ist.«

Sicher ist es wahr, daß die meisten Menschen irgendwie Jehovah brauchen. Die wenigsten – es sind die genialen Menschen – leben gar nicht heteronom. Die anderen rechtfertigen ihr Tun und Lassen, ihr Denken und Sein mindestens in Gedanken auch immer vor jemand anderem, sei es ein persönlicher Judengott, oder ein geliebter, geachteter, gefürchteter Mensch. Nur so handeln sie in formeller äußerer Übereinstimmung mit dem Sittengesetz. 202

Kant war, wie dies aus seiner ganzen, sich selbst gesetzten, bis ins einzelnste unabhängigen Lebensführung hervorleuchtet, so durchdrungen von seiner Überzeugung, daß der Mensch nur sich selbst verantwortlich ist, daß er diesen Punkt seiner Lehre als den selbstverständlichsten, Anfechtungen am wenigsten ausgesetzten, betrachtete. Und doch hat gerade hier das Schweigen Kantens dazu beigetragen, daß seine Ethik, die einzige gerade introspektiv-psychologisch haltbare, die einzige, welche die harte und strenge innere Stimme des Einen nicht durch den Lärm der Vielen undeutlich zu machen sucht, daß diese Ethik tatsächlich so wenig verstanden worden ist.

Auch für Kant hat es, darauf läßt eine Stelle in seiner »Anthropologie« schließen, in seinem irdischen Leben einen Zustand gegeben, welcher der »Begründung eines Charakters« vorherging. Aber der Augenblick, in dem es ihm zu furchtbar strahlender Klarheit gelangte: ich habe nur mir selbst Rechenschaft abzulegen, muß niemand anderem dienen, kann nicht in Arbeit mich vergessen; ich steh' allein, bin frei, bin mein Herr: dieser Moment bezeichnet die Geburt der Kantischen Ethik, des heroischesten Aktes der Weltgeschichte.

»Zwey Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Beides darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt oder im Überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuthen; ich sehe sie vor mir, und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz. Das erste fängt von dem Platze an, den ich in der äußeren Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins unabsehlich Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Das zweite fängt von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, an, und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spürbar ist, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich, nicht wie dort, in bloß zufälliger, sondern allgemeiner und nothwendiger Verknüpfung erkenne. Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines thierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zweite erhebt dagegen meinen Wert, als einer Intelligenz, unendlich, durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweckmäßigen Bestimmung meines Daseins durch dieses Gesetz, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht, abnehmen läßt.«

So verstehen wir jetzt, nach diesem Beschlusse, diese »Kritik der praktischen Vernunft«. Der Mensch ist allein im Weltall, in ewiger, ungeheurer Einsamkeit.

Er hat keinen Zweck außer sich, nichts anderes, wofür er lebt – weit ist er fortgeflogen über Sklave-sein-wollen, Sklave-sein-können, Sklave-sein-müssen: tief unter ihm verschwunden alle menschliche Gesellschaft, versunken die Sozial-Ethik; er ist allein, allein.

Aber er ist nun eben erst einer und alles; und darum hat er auch ein Gesetz in sich, darum ist er selbst alles Gesetz, und keine springende Willkür. Und er verlangt von sich, daß er dieses Gesetz in sich, das Gesetz seines Selbst, befolge, daß er nur Gesetz sei, ohne Rück-Sicht hinter sich, ohne Vor-Sicht vor sich. Das ist das Grauenvoll-Große: es hat weiter keinen Sinn, daß er der Pflicht gehorche. Nichts ist ihm, dem Alleinen, All-Einen übergeordnet. Doch der unerbittlichen, keine Verhandlung mit sich duldenden, das ist kategorischen Forderung in sich muß er nachkommen. Erlösung! ruft er Ruft Schopenhauer, ruft Wagner., Ruhe, nur schon Ruhe vor dem Feind, Frieden, nicht dies endlose Ringen – und erschrickt: selbst im Erlöst-sein-wollen war noch Feigheit, im schmachtenden Schon! noch Desertion, als wäre er zu klein diesem Kampf. Wozu! fragt er, schreit er hinaus ins Weltall – und errötet; denn gerade wollte er wieder das Glück, die Anerkennung des Kampfes, den, der ihn belohne, den anderen. Kantens einsamster Mensch lacht nicht und tanzt nicht, er brüllt nicht und jubelt nicht: er hat es nicht not, Lärm zu machen, weil der Weltraum zu tief schweigt. Nicht die Sinnlosigkeit einer Welt »von ohngefähr« ist ihm Pflicht, sondern seine Pflicht ist ihm der Sinn des Weltalls. Ja sagen zu dieser Einsamkeit, das ist das »Dionysische« Kantens; das erst ist Sittlichkeit.


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