Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV. Kapitel. Das Weib und die Menschheit

Die Idee der Menschheit und die Frau als Kupplerin. Der Goethe-Kult. Verweiblichung der Männer. Virginität und Keuschheit. Männlicher Ursprung dieser Ideale. Das Unverständnis der Frau für die Erotik. Ihr Verständnis der Sexualität. Der Koitus und die Liebe. Die Frau als Gegnerin der Emanzipation. Askese unsittlich. Der Geschlechtsverkehr als Mißachtung des Nebenmenschen, Problem des Juden = Problem des Weibes = Problem der Sklaverei. Was sittliches Verhalten gegen die Frau ist. Der Mann als Gegner der Frauenemanzipation. Ethische Postulate. Zwei Möglichkeiten. Die Frauenfrage als die Menschheitsfrage. Untergang des Weibes. – Enthaltsamkeit und Aussterben des Menschengeschlechtes. Furcht vor der Einsamkeit. Die eigentlichen Gründe der Unsittlichkeit des Geschlechtsverkehres. Die irdische Vaterschaft. Forderung der Aufnahme der Frauen unter die Menschheitsidee. Die Mutter und die Erziehung des Menschengeschlechtes. Letzte Fragen.

 

Nun erst ist es möglich, gereinigt und gewaffnet nochmals vor die Frage der Emanzipation des Weibes zu treten. Gereinigt, weil nun nicht mehr die tausend fliegenden Mücken jener Zweideutigkeiten, welche den Gegenstand umspielen, den Blick trüben; gewaffnet, weil im Besitze fester theoretischer Begriffe und sicherer ethischer Anschauungen. Fern ab von dem Tummelplatze der gewöhnlichen Kontroversen und selbst weit über das Problem der ungleichen Begabung hinaus ist die Untersuchung an Punkte gelangt, welche die Rolle des Weibes im Weltganzen und den Sinn seiner Mission für den Menschen ahnen ließen. Darum sollen auch hier Fragen von allzu besonderem Charakter in die Erörterung nicht einbezogen werden; diese ist nicht optimistisch genug, auf die Führung politischer Geschäfte von ihren Resultaten einen Einfluß zu erhoffen. Sie verzichtet auf die Ausarbeitung sozialhygienischer Vorschläge, und behandelt das Problem vom Standpunkte jener Idee der Menschheit, die über der Philosophie von Immanuel Kant schwebt.

Die Gefahr ist groß, welche dieser Idee von der Weiblichkeit droht. Den Frauen ist in hohem Grade die Kunst verliehen, den Schein zu erregen, als wären sie eigentlich asexuell und ihre Sexualität nur eine Konzession an den Mann. Denn fiele dieser Schein weg, wo bliebe dann die Konkurrenz mehrerer, vieler um eine? Sie haben aber, unterstützt von Männern, die es ihnen glaubten, heute dem anderen Geschlechte beinahe dies einzureden vermocht, daß des Mannes wichtigstes, eigentlichstes Bedürfnis die Sexualität sei, daß er erst vom Weibe Befriedigung seiner wahrsten und tiefsten Wünsche erhoffen dürfe, daß Keuschheit für ihn ein Unnatürliches und Unmögliches bilde. Wie oft können junge Männer, die in ernster Arbeit Genugtuung finden, von Frauen, denen sie nicht allzu häßlich vorkommen, und, als Liebhaber oder Schwiegersöhne, nicht allzu wenig zu versprechen scheinen, es vernehmen, daß sie nicht so übermäßig studieren, vielmehr »ihr Leben genießen« sollten. In diesen freundlichen Mahnungen liegt, natürlich gänzlich unbewußt, ein Gefühl des Weibes, seine einzig auf den Begattungsakt gerichtete Sendung zu verfehlen, nichts mehr zu sein, mit seinem ganzen Geschlechte alle Bedeutung zu verlieren, sowie der Mann um andere als um sexuelle Dinge sich zu bekümmern anfängt.

Ob die Frauen hierin je sich ändern werden, ist fraglich. Man darf auch nicht glauben, daß sie je anders gewesen sind. Heute mag das sinnliche Element stärker hervortreten als früher, denn unendlich viel in der »Bewegung« ist nur ein Hinüberwollen von der Mutterschaft zur Prostitution; sie ist als Ganzes mehr Dirnen-Emanzipation als Frauen-Emanzipation, und sicherlich ihren wirklichen Resultaten nach vor allem: ein mutigeres Hervortreten des kokottenhaften Elementes im Weibe. Was neu scheint, das ist das Verhalten der Männer. Mit unter dem Einfluß des Judentums sind sie heute nahe daran, der weiblichen Wertung ihrer selbst sich zu fügen, ja selber sie sich anzueignen. Die männliche Keuschheit wird verlacht, gar nicht mehr verstanden, das Weib vom Manne nicht mehr als Sünde, als Schicksal empfunden, die eigene Begierde weckt im Manne keine Scham mehr.

Man sieht jetzt, woher die Forderung des Sich-Auslebens, der Kaffeehausbegriff des Dionysischen, der Kult Goethes, soweit Goethe Ovid ist, woher diese ganze moderne Koitus-Kultur eigentlich stammt. Denn es ist so weit, daß kaum je einer noch den Mut findet, zur Keuschheit sich zu bekennen, und fast jeder lieber so tut, als wäre er ein Wüstling. Geschlechtliche Ausschweifungen bilden den beliebtesten Gegenstand der Renommage, ja die Sexualität wird so hoch gewertet, daß der Renommist schon Mühe hat, Glauben zu finden; die Keuschheit hingegen steht in so geringem Ansehen, daß gerade der wahrhaft Keusche oft hinter dem Scheine des Roués sich verbirgt. Es ist sicher wahr, daß der Schamhafte auch seiner Scham sich schämt; aber jene andere, heutige Scham ist nicht die Scham der Erotik, sondern die Scham des Weibes, weil es noch keinen Mann gefunden, noch keinen Wert vom anderen Geschlechte empfangen hat. Darum ist einer dem anderen zu zeigen beflissen, mit welcher Treue und pflichtgemäßer Wonne er die sexuellen Funktionen ausübt. So bestimmt heute das Weib, das seiner Natur nach am Manne nur die sexuelle Seite schätzen kann, was männlich ist: aus seinen Händen nehmen die Männer den Maßstab ihrer Männlichkeit entgegen. So ist die Zahl der Beischläfe, das »Verhältnis«, das »Mädel«, in der Tat die Legitimation eines Maskulinums vor dem anderen geworden. Doch nein: denn dann gibt es keine Männer mehr.

Dagegen ist alle Hochschätzung der Virginität ursprünglich vom Manne ausgegangen, und geht, wo es Männer gibt, noch immer von da aus: sie ist die Projektion des dem Manne immanenten Ideals fleckenloser Reinheit auf den Gegenstand seiner Liebe. Man lasse sich nur hierin nicht beirren, weder durch die Angst und den Schrecken vor der Berührung, die sich so gern möglichst bald in Zutraulichkeit transformieren, noch durch die hysterische Unterdrückung der sexuellen Wünsche; nicht durch den äußeren Zwang, dem Anspruch des Mannes auf physische Reinheit zu entsprechen, weil sonst der Käufer sich nicht einstellen würde; aber auch nicht durch jenes Bedürfnis Wert zu empfangen, aus welchem die Frau oft so lange auf jenen Mann wartet, der ihr am meisten Wert schenken kann (was man gemeinhin völlig verkehrt als hohe Selbstschätzung solcher Mädchen interpretiert). Will man wissen, wie die Frauen über die Jungfernschaft denken, so kann dies freilich von vornherein kaum zweifelhaft sein, nach der Erkenntnis, daß das Hauptziel der Frauen die Herbeiführung des Koitus überhaupt ist, als durch welchen sie erst Existenz gewinnen; denn daß die Frau den Koitus will und nichts anderes, auch wenn sie, für ihre Person, noch so uninteressiert an der Wollust scheinen mag, das konnte aus der Allgemeinheit der Kuppelei bewiesen werden.

Man muß, um sich davon neu zu überzeugen, betrachten, mit welchen Augen von der Frau die Jungfernschaft bei den anderen Angehörigen ihres Geschlechtes angesehen wird.

Und da nimmt man wahr: der Zustand der Nicht-Verheirateten wird von den Frauen selbst sehr tief gestellt. Ja es ist eigentlich der weibliche Zustand, den das Weib negativ bewertet. Die Frauen schätzen jede Frau überhaupt erst, wenn sie verheiratet ist; auch wenn sie an einen häßlichen, schwachen, armen, gemeinen, tyrannischen, unansehnlichen Mann »unglücklich« verheiratet ist, sie ist doch immerhin verheiratet, will sagen, hat Wert, hat Existenz empfangen. Und wenn eine auch nur kurze Zeit die Herrlichkeiten eines Maitressenlebens gekostet, ja wenn sie Straßendirne geworden ist, sie steht höher in der weiblichen Schätzung als das alte Fräulein, das einsam in seiner Kammer näht und flickt, ohne je einem Manne, in gesetzlicher oder ungesetzlicher Verbindung, für lange oder für einen rasch vergangenen Taumel, angehört zu haben.

So aber wird auch das ganz junge Mädchen, wenn es durch körperliche Vorzüge sich auszeichnet, vom Weibe nie um seiner Schönheit willen positiv gewertet – der Frau fehlt das Organ des Schön-Findens, weil sie keinen Wert zu projizieren hat –, sondern nur, weil es leichtere Aussicht hat, einen Mann an sich zu fesseln. Je schöner eine Jungfrau ist, eine desto zuverlässigere Promesse ist sie den anderen Frauen, desto wertvoller ist sie dem Weibe als Kupplerin, seiner Bestimmung nach als Hüterin der Gemeinschaft; nur dieser unbewußte Gedanke ist es, der eine Frau an einem schönen Mädchen Freude finden läßt. Wie dies erst dann rein zum Vorschein kommen kann, wenn das wertende weibliche Einzelindividuum bereits selbst Existenz empfangen hat (weil sonst der Neid auf die Konkurrentin, und das Gefühl, die eigenen Chancen im Kampf um den Wert durch sie vermindert zu sehen, jene Regungen überstimmen muß), das wurde bereits besprochen. Zuerst müssen sie wohl sich selbst verkuppeln – kuppeln kommt von copulare, ein Paar fertigbringen –, früher können es die anderen doch kaum verlangen.

Die leider so allgemein gewordene Geringschätzung der »alten Jungfer« ist demnach durchaus vom Weibe ausgegangen. Von einem bejahrten Fräulein wird man Männer oft mit Respekt reden hören; aber jede Frau und jedes Mädchen, gleichgültig ob verheiratet oder nicht, hat für die Betreffende nur die extremste Geringschätzung, mag dies auch in manchen Fällen ihnen selbst gar nicht bewußt werden. Eine verheiratete Dame, die für geistreich und mannigfach talentiert gelten konnte, und ihres Äußeren wegen so viele Bewunderer zählte, daß Neid in diesem Falle ganz außer Frage steht, hörte ich einmal über ihre unschöne und ältliche italienische Lehrerin sich lustig machen, weil diese wiederholt betont habe: Io sono ancora una vergine (sie sei noch eine Jungfrau).

Freilich ist, vorausgesetzt, daß die Äußerung richtig reproduziert war, zuzugeben, daß die Ältere eine Tugend wohl nur aus der Not gemacht hatte, und jedenfalls selbst sehr froh gewesen wäre, ihre Jungfernschaft auf irgend eine Weise los zu werden, ohne dadurch in der Gesellschaft an Ansehen einbüßen zu müssen.

Denn dies ist das wichtigste: die Frauen verachten und höhnen nicht nur die Jungfernschaft anderer Frauen, sondern sie schätzen auch die eigene Jungfernschaft als Zustand äußerst gering (und nur als eine sehr gesuchte Ware von höchstem Anwert bei den Männern hoch). Darum blicken sie zu jeder Verheirateten wie zu einem höheren Wesen empor. Wie sehr es dem Weibe im tiefsten Grunde speziell auf den Sexualakt ankommt, das kann man gerade an der wahren Verehrung sehen, welche erst ganz vor kurzem verheiratete Frauen bei den jungen Mädchen genießen: ist doch der Sinn ihres Daseins diesen eben enthüllt, sie selbst auf dessen Zenit geführt worden. Dagegen betrachtet jedes junge Mädchen jedes andere als ein unvollkommenes Wesen, das seine Bestimmung ebenso, wie sie selbst, erst noch erreichen will.

Hiemit erachte ich als dargetan, wie vollkommen die aus der Kuppelei gezogene Folgerung, das Virginitäts-Ideal müsse männlichen und könne nicht weiblichen Ursprunges sein, mit der Erfahrung sich deckt. Der Mann verlangt Keuschheit von sich und von anderen, am meisten von dem Wesen, das er liebt; das Weib will unkeusch sein können, und es will Sinnlichkeit auch vom Manne, nicht Tugend. Für »Musterknaben« hat die Frau kein Verständnis. Dagegen ist bekannt, daß sie stets dem in die Arme fliegt, welchem der Ruf des Don Juan meilenweit vorauseilt. Die Frau will den Mann sexuell, weil sie nur durch seine Sexualität Existenz gewinnt. Nicht einmal für die Erotik des Mannes, als ein Distanzphänomen, sondern nur für diejenige Seite an ihm, die unaufhaltsam das Objekt ihres Begehrens ergreift und sich aneignet, haben die Frauen einen Sinn, und es wirken Männer auf sie nicht, bei denen Brutalitäts-Instinkte gar nicht oder wenig entwickelt sind. Selbst die höhere platonische Liebe des Mannes ist ihnen im Grunde nicht willkommen; sie schmeichelt ihnen und sie streichelt sie, aber sie sagt ihnen nichts. Und wenn das Gebet auf den Knien vor ihr zu lange währen wollte, würde Beatrice so ungeduldig wie Messalina.

Im Koitus liegt die tiefste Heruntersetzung, in der Liebe die höchste Erhebung des Weibes. Daß das Weib den Koitus verlangt, und nicht die Liebe, bedeutet, daß es heruntergesetzt und nicht erhöht werden will. Die letzte Gegnerin der Frauen-Emanzipation ist die Frau.

Nicht weil der Koitus lustvoll, nicht weil er das Urbild aller Wonne des niederen Lebens ist, nicht darum ist er unsittlich. Die Askese, welche die Lust für das Unsittliche an sich erklärt, ist selbst unsittlich; denn sie sucht den Maßstab des Unrechtes in einer Begleiterscheinung und äußeren Folge der Handlung, nicht in der Gesinnung: sie ist heteronom. Der Mensch darf die Lust anstreben, er mag sein Leben auf der Erde leichter und froher zu gestalten suchen: nur darf er dem nie ein sittliches Gebot opfern. In der Askese aber will der Mensch die Moralität erpressen durch Selbstzerfleischung, er will sie als Folge eines Grundes, die eigene Sittlichkeit als Resultat und Belohnung dafür, daß er sich so viel versagt hat. Die Askese ist demnach als prinzipieller Standpunkt wie als psychologische Disposition verwerflich; denn sie bindet die Tugend an etwas anderes als dessen Erfolg, macht sie zur Wirkung einer Ursache, und strebt sie nicht an sich, als unmittelbaren Selbstzweck, an. Die Askese ist eine gefährliche Verführerin: ihrer Täuschung fallen so viele so leicht zum Opfer, weil die Lust der häufigste Beweggrund ist, aus welchem der Pfad des Gesetzes verlassen wird, und der Irrtum nahe genug liegt, der auf dem rechten Wege sicherer zu bleiben glaubt, wenn er an ihrer Statt den Schmerz anstrebt. An sich aber ist Lust weder sittlich noch unsittlich. Nur wenn der Trieb zur Lust den Willen zum Wert besiegt, dann ist der Mensch gefallen.

Der Koitus ist darum unmoralisch, weil es keinen Mann gibt, der das Weib in solchem Augenblicke nicht als Mittel zum Zweck gebrauchte, den Wert der Menschheit, in seiner wie in ihrer Person, in diesem Momente nicht der Lust hintansetzte. Im Koitus vergißt der Mann sich selbst ob der Lust, und er vergißt das Weib; dieses hat für ihn keine psychische, sondern nur eine körperliche Existenz mehr. Er will von ihr entweder ein Kind oder die Befriedigung der eigenen Wollust: in beiden Fällen benützt er sie nicht als Zweck an sich selbst, sondern um einer fremden Absicht willen. Nur aus diesem, und aus keinem anderen Grunde ist der Koitus unmoralisch.

Gewiß ist die Frau die Missionärin der Idee des Koitus, und gebraucht sich selbst, wie alles andere in der Welt, immer nur als Mittel zu diesem Zweck; sie will den Mann als Mittel zur Lust oder zum Kinde; sie will selbst vom Manne als Mittel zum Zweck benützt sein, wie eine Sache, wie ein Objekt, wie sein Eigentum behandelt, nach seinem Gutdünken von ihm verändert und geformt werden. Aber nicht nur soll niemand von einem anderen als Mittel zum Zweck sich gebrauchen lassen; man darf auch den Standpunkt des Mannes der Frau gegenüber nicht danach bestimmen wollen, daß diese den Koitus wünscht, und von ihm, wenn sie's auch weder sich noch ihm je ganz gesteht, nie wirklich etwas anderes erfleht. Kundry appelliert freilich an Parsifals Mitleid für ihr Sehnen: aber gerade da offenbart sich die ganze Schwäche der Mitleidsmoral, die zwingen würde, einen jeden Wunsch des Nebenmenschen zu erfüllen, sei er noch so unberechtigt. Die konsequente Sympathiemoral und die konsequente Sozialethik sind beide gleich absurd, denn sie machen das Sollen vom Wollen abhängig (ob vom eigenen oder vom fremden oder vom gesellschaftlichen, bleibt sich gleich), statt das Wollen vom Sollen; sie wählen zum Maßstab der Sittlichkeit konkretes Menschenschicksal, konkretes Menschenglück, konkreten Menschenaugenblick, anstatt der Idee.

Die Frage ist: wie soll der Mann das Weib behandeln? Wie es selbst behandelt werden will, oder wie es die sittliche Idee verlangt? Wenn er es zu behandeln hat, wie es behandelt werden will, dann muß er es koitieren, denn es will koitiert werden, schlagen, denn es will geschlagen werden, hypnotisieren, denn es will hypnotisiert werden, ihm durch die Galanterie zeigen, wie gering er seinen Wert an sich veranschlagt; denn es will Komplimente, es will nicht an sich geachtet werden. Will er dagegen dem Weibe so entgegentreten, wie es die sittliche Idee verlangt, so muß er in ihm den Menschen zu sehen und es zu achten suchen. Zwar ist W eine Funktion von M, eine Funktion, die er setzen, die er aufheben kann, und die Frauen wollen nicht mehr sein als eben dies, nichts anderes als nur dies: die Witwen in Indien sollen sich gern und überzeugt verbrennen lassen, ja zu diesem Tode geradezu sich drängen; doch darum bleibt diese Sitte nicht minder die fürchterlichste Barbarei.

Es ist mit der Emanzipation der Frauen wie mit der Emanzipation der Juden und der Neger. Sicherlich liegt dafür, daß diese Völker als Sklaven behandelt und immer niedrig eingeschätzt wurden, an ihrer knechtischen Veranlagung die Hauptschuld; sie haben kein so starkes Bedürfnis nach Freiheit wie die Indogermanen. Und wenn auch heute in Amerika für die Weißen die Notwendigkeit sich ergeben hat, von den Negern sich völlig abzusondern, weil diese von ihrer Freiheit einen schlimmen und nichtswürdigen Gebrauch machen: so war doch im Kriege der Nordstaaten gegen die Föderierten, welcher den Schwarzen die Freiheit gab, das Recht durchaus auf Seiten der ersteren. Trotzdem die Anlage der Menschheit im Juden, noch mehr im Neger, und noch weit mehr im Weibe, mit einer größeren Anzahl amoralischer Triebe belastet ist; ob sie auch hier mit mehr Hindernissen zu kämpfen hat als im arischen Manne, auch ihren letzten Rest, sei er selbst noch so gering, muß der Mensch achten, noch hier die Idee der Menschheit (das heißt nicht: der menschlichen Gesellschaft, sondern das Mensch-Sein, die Seele als Teil einer übersinnlichen Welt) ehren. Auch über den gesunkensten Verbrecher darf niemand sich eine Gewalt anmaßen als das Gesetz; kein Mensch hat das Recht, ihn zu lynchen.

Das Problem des Weibes und das Problem des Juden ist ganz identisch mit dem Problem der Sklaverei, und muß ebenso aufgelöst werden wie dieses. Niemand darf unterdrückt werden, wenn er sich gleich nur in der Unterdrückung wohlfühle. Dem Haustier, das ich benütze, nehme ich keine Freiheit, denn es hatte keine, bevor ich es mir dienstbar machte; aber in der Frau ist noch ein ohnmächtiges Gefühl des Nicht-Anderskönnens, als eine letzte, wenn auch noch so kümmerliche Spur der intelligiblen Freiheit: wohl deshalb, weil es kein absolutes Weib gibt. Die Frauen sind Menschen und müssen als solche behandelt werden, auch wenn sie selbst das nie wollen würden. Frau und Mann haben gleiche Rechte.

Hierin ist übrigens nicht enthalten, daß den Frauen auch gleich die Teilnahme an der politischen Herrschaft eingeräumt werden müsse. Vom Utilitätsstandpunkte ist von dieser Konzession gewiß einstweilen, und vielleicht stets, abzuraten; in Neu-Seeland, wo man das ethische Prinzip so hochhielt, den Frauen das Wahlrecht zu geben, hat man damit die schlimmsten Erfahrungen gesammelt. Wie man Kindern, Schwachsinnigen, Verbrechern mit Recht keinen Einfluß auf die Leitung des Gemeinwesens gestatten würde, selbst wenn diese plötzlich die numerische Parität oder Majorität erlangten, so darf vorderhand die Frau von einer Sache ferngehalten werden, von der so lebhaft zu befürchten steht, daß sie durch den weiblichen Einfluß nur könnte geschädigt werden. Wie die Resultate der Wissenschaft davon unabhängig sind, ob alle Menschen ihnen zustimmen oder nicht, so kann auch Recht und Unrecht der Frau ganz genau ermittelt werden, ohne daß die Frauen selbst mitbeschließen, und sie brauchen nicht zu besorgen, übervorteilt zu werden, wenn bei dieser Feststellung eben Recht- und nicht Machtgesichtspunkte die Entscheidung bestimmen.

Das Recht aber ist nur eines und das gleiche für Mann und Frau. Niemand darf der Frau irgend etwas als »unweiblich« verwehren und verbieten wollen; und ein ganz niederträchtiges Urteil ist es, das einen Mann freispricht, der seine ehebrecherische Frau erschlagen hat, als wäre diese rechtlich seine Sache. Man hat die Frau als Einzelwesen und nach der Idee der Freiheit, nicht als Gattungswesen, nicht nach einem aus der Empirie oder aus den Liebesbedürfnissen des Mannes hergeleiteten Maßstabe zu beurteilen: auch wenn sie selber nie jener Höhe der Beurteilung sich sollte würdig zeigen.

Darum ist dieses Buch die höchste Ehre, welche den Frauen je erwiesen worden ist. Auch gegen das Weib ist nur ein sittliches Verhalten dem Manne möglich; nicht die Sexualität, nicht die Liebe – denn beide benützen es als Mittel zu fremden Zwecken: sondern einzig der Versuch, es zu verstehen. Die meisten Menschen geben theoretisch vor, das Weib zu achten, um praktisch die Weiber desto gründlicher zu verachten: hier wurde dieses Verhältnis umgekehrt. Das Weib konnte nicht hochgewertet werden: aber die Weiber sind von aller Achtung nicht von vornherein und ein für alle Male auszuschließen.

Leider haben sehr berühmte und bedeutende Männer in dieser Frage eigentlich recht gemein gedacht. Ich erinnere an Schopenhauers und an Demosthenes' Stellung zur Frauenemanzipation. Und Goethes:

»Immer ist so das Mädchen beschäftigt und reifet im stillen
Häuslicher Tugend entgegen, den klugen Mann zu beglücken.
Wünscht sie dann endlich zu lesen, so wählt sie gewißlich ein Kochbuch.«

steht nicht höher als Molières:

»... Une femme en sait toujours assez,
Quand la capacité de son esprit se hausse
A connaître un pourpoint d'avec un haut-de-chausse.«

Die Abneigung gegen das männliche Weib hat der Mann in sich zu überwinden; denn sie ist nichts als gemeiner Egoismus. Wenn das Weib männlich werden sollte, indem es logisch und ethisch würde, so wird es sich nicht mehr so gut zum passiven Substrate einer Projektion eignen; aber das ist kein genügender Grund, die Frau, wie dies heute geschieht, nur für den Mann und für das Kind erziehen zu lassen, mit einer Norm, die ihr etwas verbietet, weil es männlich sei.

Denn wenn auch für das absolute Weib keine Möglichkeit der Sittlichkeit besteht, mit dem Erschauen dieser Idee des Weibes ist noch nicht gegeben, daß der Mann das empirische Weib dieser vollständig und rettungslos solle verfallen lassen; noch weniger, daß er dazu beitrage, daß es dieser Idee immer gemäßer werde. Im lebenden menschlichen Weibe ist, der Theorie nach, immer noch »ein Keim des Guten«, nach Kantscher Terminologie, als vorhanden anzunehmen; es ist jener Rest eines freien Wesens, der dem Weibe das dumpfe Gefühl seines Schicksals ermöglicht. Vgl. Kapitel 12, S. 368 f. Daß auf diesen Keim ein Mehr könne gepfropft werden, davon darf theoretisch die Unmöglichkeit nie gänzlich behauptet werden, wenn es auch praktisch sicher noch nie gelungen ist, wenn es selbst in aller Zukunft nie gelingen sollte.

Der tiefste Grund und Zweck des Universums ist das Gute; unter der sittlichen Idee steht die ganze Welt; selbst die Tiere werden als Phänomene gewertet, der Elefant sittlich höher geschätzt als die Schlange, wenn auch z. B. die Tötung eines anderen Tieres ihnen nicht als Personen zugerechnet. Dem Weibe aber wird von uns zugerechnet; und hierin liegt die Forderung, daß es anders werde. Und wenn alle Weiblichkeit Unsittlichkeit ist, so muß das Weib aufhören, Weib zu sein, und Mann werden.

Freilich muß gerade hier die Gefahr der äußerlichen Anähnlichung, die das Weib stets am intensivsten in die Weiblichkeit zurückwirft, am vorsichtigsten gemieden werden. Die Aussichten des Unternehmens, die Frauen wahrhaft zu emanzipieren, ihnen die Freiheit zu geben, die nicht Willkür, sondern Wille wäre, sind äußerst gering. Wenn man nach den Tatsachen urteilt, so scheint den Frauen nur zweierlei möglich zu sein: die verlogene Akzeptierung des vom Manne Geschaffenen, indem sie selbst glauben, das zu wollen, was ihrer ganzen, noch ungeschwächten Natur widerspricht, die unbewußt verlogene Entrüstung über die Unsittlichkeit, als ob sie sittlich wären, über die Sinnlichkeit, als ob sie die unsinnliche Liebe wollten; oder das offene Zugeständnis Zum Beispiel der Laura Marholm., der Inhalt des Weibes sei der Mann und das Kind, ohne das geringste Bewußtsein davon, was sie damit zugeben, welche Schamlosigkeit, welche Niederlage in dieser Erklärung liegt. Unbewußte Heuchelei oder zynische Identifikation mit dem Naturtrieb: ein anderes scheint dem Weibe nicht gegeben.

Aber nicht Bejahung und nicht Verleugnung, sondern Verneinung, Überwindung der Weiblichkeit ist das, worauf es ankommt. Würde z. B. eine Frau wirklich die Keuschheit des Mannes wollen, so hätte sie freilich hiemit das Weib überwunden; denn ihr wäre der Koitus nicht mehr höchster Wert und seine Herbeiführung nicht mehr letztes Ziel. Aber dies ist's eben: an die Echtheit solcher Forderungen vermag man nicht zu glauben, wenn sie auch hie und da wirklich erhoben werden. Denn ein Weib, das die Keuschheit des Mannes verlangt, ist, abgesehen von seiner Hysterie, so dumm und so jeder Wahrheit unfähig, daß es nicht einmal mehr dunkel fühlt, daß es sich selbst damit verneint, sich absolut und ohne Rettung wertlos, existenzlos macht. Man weiß hier kaum mehr, wem man den Vorzug geben soll; der grenzenlosen Verlogenheit, welche selbst das ihr fremdeste, das asketische Ideal auf den Schild zu heben fähig ist; oder der ungenierten Bewunderung für den berüchtigten Wüstling und der einfachen Hingabe an denselben.

Da jedoch alles wirkliche Wollen der Frau in beiden Fällen in gleicher Weise darauf gerichtet bleibt, den Mann schuldig werden zu lassen, so liegt hierin das Hauptproblem der Frauenfrage: und insoweit fällt sie zusammen mit der Menschheitsfrage.

Friedrich Nietzsche sagt an einer Stelle seiner Schriften: »Sich im Grundproblem ›Mann und Weib‹ zu vergreifen, hier den abgründlichsten Antagonismus und die Notwendigkeit einer ewig-feindseligen Spannung zu leugnen, hier vielleicht von gleichen Rechten, gleicher Erziehung, gleichen Ansprüchen und Verpflichtungen zu träumen: das ist ein typisches Zeichen von Flachköpfigkeit, und ein Denker, der an dieser gefährlichsten Stelle sich flach erwiesen hat – flach im Instinkte! –, darf überhaupt als verdächtig, mehr noch, als verraten, als aufgedeckt gelten: wahrscheinlich wird er für alle Grundfragen des Lebens, auch des zukünftigen Lebens, zu ›kurz‹ sein und in keine Tiefe hinunterkönnen. Ein Mann hingegen, der Tiefe hat, in seinem Geiste wie in seinen Begierden, auch jene Tiefe des Wohlwollens, welche der Strenge und der Härte fähig ist und leicht mit ihnen verwechselt wird, kann über das Weib immer nur orientalisch denken: – er muß das Weib als Besitz, als verschließbares Eigentum, als etwas zur Dienstbarkeit Vorbestimmtes und in ihr sich Vollendendes fassen – er muß sich hier auf die ungeheure Vernunft Asiens, auf Asiens Instinkt-Überlegenheit stellen, wie dies ehemals die Griechen getan haben, diese besten Erben und Schüler Asiens – welche, wie bekannt, von Homer bis zu den Zeiten des Perikles, mit zunehmender Kultur und Umfänglichkeit an Kraft, Schritt für Schritt auch strenger gegen das Weib, kurz orientalischer geworden sind. Wie notwendig, wie logisch, wie selbst menschlich wünschbar dies war: möge man darüber bei sich nachdenken!«

Der Individualist denkt hier durchaus sozialethisch: seine Kasten- und Gruppen-, seine Abschließungstheorie sprengt, wie so oft, die Autonomie seiner Morallehre. Denn er will im Dienste der Gesellschaft, der störungslosen Ruhe der Männer, die Frau unter ein Machtverhältnis stellen, in dem sie allerdings kaum noch den Laut eines Wunsches nach Emanzipation von sich geben, und nicht einmal jene verlogene und unechte Freiheitsforderung mehr erheben wird, welche die heutigen Frauenrechtlerinnen aufgestellt haben: die gar nicht ahnen, wo die Unfreiheit des Weibes eigentlich liegt, und was ihre Gründe sind. Aber nicht, um Nietzsche einer Inkonsequenz zu überführen, habe ich ihn zitiert; sondern um seinen Worten gegenüber zu zeigen, wie das Problem der Menschheit nicht lösbar ist ohne eine Lösung des Problems der Frau. Denn wem die Forderung überflüssig hoch gespannt scheint, daß der Mann die Frau um der Idee, um des Noumenon willen zu achten, und nicht als Mittel zu einem außer ihr gelegenen Zweck zu benützen, daß er ihr darum die gleichen Rechte, ebenso aber die gleichen Pflichten (der sittlichen und geistigen Selbstbildung) zuzuerkennen habe wie sich selbst: der möge bedenken, daß der Mann das ethische Problem für seine Person nicht lösen kann, wenn er in der Frau die Idee der Menschheit immer wieder negiert, indem er sie als Genußmittel benützt. Der Koitus ist in allem Asiatismus die Bezahlung, welche der Mann der Frau für ihre Unterdrückung zu leisten hat. Und so sehr es die Frau charakterisieren mag, daß sie um diesen Preis sicherlich stets auch dem ärgsten Sklavenjoch sich gern fügt, der Mann darf auf den Handel nicht eingehen, weil auch er sittlich dabei zu kurz kommt.

Also selbst technisch ist das Menschheitsproblem nicht lösbar für den Mann a11ein; er muß die Frau mitnehmen, auch wenn er nur sich erlösen wollte, er muß sie zum Verzicht auf ihre unsittliche Absicht auf ihn zu bewegen suchen. Die Frau muß dem Koitus innerlich und wahrhaft, aus freien Stücken entsagen. Das bedeutet nun allerdings: das Weib muß als solches untergehen, und es ist keine Möglichkeit für eine Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden, eh dies nicht geschehen ist. Darum sind Pythagoras, Platon, das Christentum (im Gegensatze zum Judentum), Tertullian, Swift, Wagner, Ibsen für die Befreiung, für Erlösung des Weibes eingetreten, nicht für die Emanzipation des Weibes vom Manne, sondern für die Emanzipation des Weibes vom Weibe. Und in solcher Gemeinschaft den Bannfluch Nietzsches zu tragen ist ein leichtes.

Aus eigener Kraft aber kann das Weib schwer zu solchem Ziele gelangen. Der Funke, der in ihr so schwach ist, müßte am Feuer des Mannes immer wieder sich entzünden können: das Beispiel müßte gegeben werden. Christus hat das Beispiel gegeben; er hat Magda1ena erlöst; er ist zu diesem Teile seiner Vergangenheit zurückgekehrt, und hat auch ihn gesühnt. Wagner, der größte Mensch seit Christus, hat auch dies am innerlichsten verstanden: bevor das Weib nicht aufhört, für den Mann als Weib zu existieren, kann es selbst nicht aufhören, Weib zu sein; Kundry kann nur von Parsifal, vom sündelosen, unbefleckten Manne aus Klingsors Banne wirklich befreit werden. So deckt sich diese psychologische mit der philosophischen Deduktion, wie sie hier mit Wagners »Parsifal«, der tiefsten Dichtung der Weltliteratur, in völliger Übereinstimmung sich weiß. Erst die Sexualität des Mannes gibt dem Weibe Existenz als Weib. Alle Materie hat nur so viel Existenz, als die Schuldsumme im Universum beträgt: auch das Weib wird nur so lange leben, bis der Mann seine Schuld gänzlich getilgt, bis er die eigene Sexualität wirklich überwunden hat.

Nur so erledigt sich der ewige Einspruch gegen alle antifeministischen Tendenzen: das Weib sei nun einmal da, so wie es sei, nicht zu ändern, und darum müsse man mit ihm sich abzufinden suchen; der Kampf nütze nichts, weil er nichts beseitigen könne. Es ist aber gezeigt, daß die Frau nicht ist, und in dem Augenblicke stirbt, da der Mann gänzlich nur sein will. Das, wogegen der Kampf geführt wird, ist keine Sache von ewig unveränderlicher Existenz und Essenz: es ist etwas, das aufgehoben werden kann, und aufgehoben werden soll.

Die alte Jungfer ist eben das Weib, dem der Mann, der sie schafft, nicht mehr begegnet; sie geht denn auch zugrunde; und das alte Weib ist um so böser, je mehr alte Jungfer es ist. Begegnen sich der Mann und das von ihm geschaffene Weib im Bösen wieder, so müssen beide sterben; begegnen sie sich im Guten wieder, so geschieht das Wunder.

So nur, nicht anders, ist die Frauenfrage zu lösen, für den, der sie verstanden hat. Man wird die Lösung unmöglich, ihren Geist überspannt, ihren Anspruch übertrieben, ihre Forderung unduldsam finden. Und allerdings: von der Frauenfrage, über welche die Frauen sprechen, ist hier längst die Rede nicht mehr; es handelt sich um jene, von der die Frauen schweigen, ewig schweigen müssen; um die Unfreiheit, die in der Geschlechtlichkeit liegt. Diese Frauenfrage ist so alt wie das Geschlecht, und nicht jünger als die Menschheit. Und die Antwort auf sie: der Mann muß vom Geschlecht sich erlösen, und so, nur so erlöst er die Frau. Allein seine Keuschheit, nicht, wie sie wähnt, seine Unkeuschheit, ist ihre Rettung. Freilich geht sie, als Weib, so unter: aber nur, um aus der Asche neu, verjüngt, als der reine Mensch, sich emporzuheben.

Darum wird die Frauenfrage bestehen, so lang es zwei Geschlechter gibt, und nicht eher verstummen denn die Menschheitsfrage. In diesem Sinne hat Christus, nach dem Zeugnis des Kirchenvaters Klemens, zur Salome gesprochen, ohne die optimistische Beschönigung, die Paulus, die Luther für das Geschlecht späterhin fanden: so lang werde der Tod währen, als die Weiber gebären, und nicht eher die Wahrheit geschaut werden, als bis aus zweien eins, aus Mann und Weib ein drittes Selbes, weder Mann noch Weib, werde geworden sein.

*

Hiemit erst, aus dem höchsten Gesichtspunkte des Frauen- als des Menschheitsproblems, ist die Forderung der Enthaltsamkeit für beide Geschlechter gänzlich begründet. Sie aus den gesundheitsschädlichen Folgen des Verkehres abzuleiten, ist flach, und mag von den Advokaten des Körpers ewig bestritten werden; sie auf die Unsittlichkeit der Lust zu gründen, falsch; denn so wird ein heteronomes Motiv in die Ethik eingeführt. Schon Augustinus aber hat, wenn er die Keuschheit für alle Menschen verlangte, den Einwand vernehmen müssen, daß in solchem Falle die Menschheit von der Erde binnen kurzem verschwunden wäre. In dieser merkwürdigen Befürchtung, welcher der schrecklichste Gedanke der zu sein scheint, daß die Gattung aussterben könne, liegt nicht allein äußerster Unglaube an die individuelle Unsterblichkeit und ein ewiges Leben der sittlichen Individualität, sie ist nicht nur verzweifelt irreligiös: man beweist mit ihr zugleich seinen Kleinmut, seine Unfähigkeit, außer der Herde zu leben. Wer so denkt, kann sich die Erde nicht vorstellen ohne das Gekribbel und Gewimmel der Menschen auf ihr, ihm wird angst und bange nicht so sehr vor dem Tode, als vor der Einsamkeit. Hätte die an sich unsterbliche moralische Persönlichkeit genug Kraft in ihm, so besäße er Mut, dieser Konsequenz ins Auge zu sehen; er würde den leiblichen Tod nicht fürchten, und nicht für den mangelnden Glauben an das ewige Leben das jämmerliche Surrogat in der Gewißheit eines Weiterbestehens der Gattung suchen. Die Verneinung der Sexualität tötet bloß den körperlichen Menschen, und ihn nur, um dem geistigen erst das volle Dasein zu geben.

Darum kann es auch nicht sittliche Pflicht sein, für die Fortdauer der Gattung zu sorgen, wie man das so oft behaupten hört. Es ist diese Ausrede von einer außerordentlich unverfrornen Verlogenheit; diese liegt so offen zutage, daß ich fürchte, mich durch die Frage lächerlich zu machen, ob schon je ein Mensch den Koitus mit dem Gedanken vollzogen hat, er müsse der großen Gefahr vorbeugen, daß die Menschheit zugrunde gehe; oder ob jemals einer an die eigene Berechtigung geglaubt hat, dem Keuschen vorzuwerfen, daß er unmoralisch handle. Alle Fécondité ist nur ekelhaft; und kein Mensch fühlt, wenn er sich aufrichtig befragt, es als seine Pflicht, für die dauernde Existenz der menschlichen Gattung zu sorgen. Was man aber nicht als seine Pflicht fühlt, das ist nicht Pflicht.

Im Gegenteil: es ist unmoralisch, ein menschliches Wesen zur Wirkung einer Ursache zu machen, es als Bedingtes hervorzubringen, wie das mit der Elternschaft gegeben ist; und der Mensch ist im tiefsten Grunde nur deshalb unfrei und determiniert neben seiner Freiheit und Spontaneität, weil er auf diese unsittliche Weise entstanden ist. Daß die Menschheit ewig bestehe, das ist gar kein Interesse der Vernunft; wer die Menschheit verewigen will, der will ein Problem und eine Schuld verewigen, das einzige Problem, die einzige Schuld, die es gibt. Das Ziel ist ja gerade die Gottheit, und Aufhören der Menschheit in der Gottheit; das Ziel ist die reine Scheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Etwas und Nichts. Die moralische Weihe also, die man dem Koitus (der ihrer freilich dringend bedarf) bisweilen zu geben versucht hat, indem man einen idealen Koitus fingierte, bei dem nur die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes in Betracht gezogen werde – diese liebevolle Verbrämung erweist sich nicht als ein genügender Schutz: denn das angeblich ihn verstattende und heiligende Motiv ist nicht nur kein Gebot und nirgends im Menschen als ein Imperativ zu finden, sondern vielmehr selbst ein sittlich verwerflicher Beweggrund; weil man einen Menschen nicht um seine Einwilligung fragt, dessen Vater oder Mutter man wird. Für den anderen Koitus aber, bei dem die Möglichkeit einer Fortpflanzung künstlich verhindert wird, kommt selbst jene, auf so schwachen Füßen stehende Rechtfertigung in Wegfall.

Also widerspricht der Koitus in jedem Falle der Idee der Menschheit; nicht weil Askese Pflicht ist, sondern vor allem, weil das Weib in ihm Objekt, Sache werden will, und der Mann ihm hier wirklich den Gefallen tut, es nur als Ding, nicht als lebenden Menschen, mit inneren, psychischen Vorgängen anzusehen. Darum verachtet auch der Mann das Weib augenblicklich, sobald er es besessen hat, und das Weib fühlt, daß es nun verachtet wird, auch wenn es vor zwei Minuten sich noch vergöttert wußte.

Respektieren kann der Mensch im Menschen nur die Idee, die Idee der Menschheit; in der Verachtung des Weibes (und seiner selbst), die sich nach dem Koitus einstellt, liegt der sicherste Anzeiger, daß gegen die Idee hier gefehlt wurde. Und wer nicht verstehen kann, was mit dieser Kantischen Idee der Menschheit gemeint ist, der mag es sich wenigstens zum Bewußtsein bringen, daß es seine Schwestern, seine Mutter, seine weiblichen Verwandten sind, um die es sich handelt: um unser selbst willen sollte das Weib als Mensch behandelt, geachtet werden, und nicht erniedrigt, wie es durch alle Sexualität geschieht.

Zu ehren aber könnte der Mann das Weib erst dann mit Recht beginnen, wenn es selbst aufhörte, Objekt und Materie für den Mann sein zu wollen; wenn ihm wirklich an einer Emanzipation läge, die mehr wäre als eine Emanzipation der Dirne. Noch ist nie offen gesagt worden, wo die Hörigkeit der Frau einzig zu suchen ist: in der souveränen, angebeteten Gewalt, die der Phallus des Mannes über sie besitzt. Darum haben die Frauen-Emanzipation aufrichtig stets nur Männer gewollt, nicht sehr sexuelle, nicht sehr liebesbedürftige, nicht sehr tiefblickende, aber edle und für das Recht begeisterte Männer, darüber kann kein Zweifel sein. Ich will die erotischen Motive des Mannes nicht beschönigen, und seine Antipathie gegen das »emanzipierte Weib« nicht geringer darstellen, als sie ist: es ist leichter, sich hinanziehen zu lassen, wie Goethe, als einsam zu steigen und immerfort zu steigen, wie Kant. Aber vieles, was dem Mann als Feindschaft gegen die Emanzipation ausgelegt wird, ist in Wahrheit nur Mißtrauen und Zweifel an ihrer Möglichkeit. Der Mann will das Weib nicht als Sklavin, er sucht oft genug zunächst eine Gefährtin, die ihn verstehe.

Nicht die Erziehung, die das Weib heute empfängt, ist die angemessene Vorbereitung, um der Frau den Entschluß nahezulegen und zu erleichtern, jene ihre wahre Unfreiheit zu besiegen. Alles letzte Mittel mütterlicher Pädagogik ist es, der Tochter, die zu diesem oder jenem sich nicht bequemt, als Strafe anzudrohen, sie werde keinen Mann bekommen. Die Erziehung, welche den Frauen zuteil wird, ist auf nichts angelegt als auf ihre Verkuppelung, in deren glücklichem Gelingen sie ihre Krönung findet. Am Manne ist durch solche Einflüsse wenig zu ändern; aber das Weib wird durch sie in seiner Weiblichkeit, in seiner Unselbständigkeit und Unfreiheit, noch bestärkt.

Die Erziehung des Weibes muß dem Weibe, die Erziehung der ganzen Menschheit der Mutter entzogen werden.

Dies wäre die erste Voraussetzung, die erfüllt sein müßte, um die Frau in den Dienst der Menschheitsidee zu stellen, der niemand, so wie sie, seit Anbeginn entgegengewirkt hat.

*

Eine Frau, die wirklich entsagt hätte, die in sich selbst die Ruhe suchen würde, eine solche Frau wäre kein Weib mehr. Sie hätte aufgehört, Weib zu sein, sie hätte zur äußeren endlich die innere Taufe empfangen.

Kann das werden?

Es gibt kein absolutes Weib, und doch ist uns die Bejahung dieser Frage wie eine Bejahung des Wunders.

Glücklicher wird das Weib nicht werden durch solche Emanzipation: die Seligkeit kann sie ihm nicht versprechen, und zu Gott ist der Weg noch lang. Kein Wesen zwischen Freiheit und Unfreiheit kennt das Glück. Wird aber das Weib sich entschließen können, die Sklaverei aufzugeben, um unglücklich zu werden?

Nicht die Frau heilig zu machen, nicht darum kann es so bald sich handeln. Nur darum: kann das Weib zum Probleme seines Daseins, zum Begriffe der Schuld, redlich gelangen? Wird es die Freiheit wenigstens wollen? Allein auf die Durchsetzung des Ideals, auf das Erblicken des Leitsternes kommt es an. Bloß darauf: kann im Weibe der kategorische Imperativ lebendig werden? Wird sich das Weib unter die sittliche Idee, unter die Idee der Menschheit, stellen?

Denn einzig das wäre Frauen-Emanzipation.


 << zurück weiter >>