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Der Glöckelkrieg

Der alte Bürgermeister von Fuxloh hatte das Zeitliche gesegnet. Darum sollte ein neuer ausgelost werden und das geschah nacheinem absonderlichen Brauch.

Weil die Fuxloher seit jeher auf die Ehre gingen, war es einst zu Urähnelzeiten geschehen, dass sich bei der Bürgermeisterwahl ein jeder selbst gewählt hatte. Also waren sie sich nicht einig worden, und deswegen hatte, die Wahl mit einer den üblichen Ortsbrauch weit übersteigenden Rauferei geendet und mit dem Beschluss, fürderhin das Los, entscheiden zu lassen, wer als Bürgermeister den gemeinen Nutzen fördern sollte. Das Schicksalstier war eine Laus. Läuse bringen Glück. Am Tag der Wahl setzte man sie auf den Gemeindetisch, und wem von den Anwärtern sie in den Bart kroch, der wurde Bürgermeister. Drum ließen auch die Fuxloher die Bärte mit denen ihrer Geißböcke um die Wette wachsen und hegten sie wie heilige Wälder. Den birkenen Stangenzaun entlang stiegen zwei Männer ins Dorf hinunter. Der Igelbauer stelzte mit seinen langen Beinen wie ein wandernder Heubaum dahin, so dass sein Nachbar, der Glöckelhilarius, der schier um dritthalb Faust kürzer war, nur laufend und vor Atemnot röchelnd sich ihm zur Seite halten konnte.

Die Bauern des Igelhofes hatten seit urdenklicher Zeit statt des Hutes eine Igelhaube auf dem Kopf. Ein Vorfahrer soll dergestalt sich den Schädel vor der Schlüsselgewalt seiner handfesten Bäuerin geschützt haben, und dieser Vorfall erhärtete hernach zum festen Herkommen und erbte sich von Mann zu Mann die Kette der Bauern herunter und setzte nur dann immer für kurze Zeit aus, wenn daheim im Stall ein Kalb abgestillt werden sollte. Denn da trug das Kälbel den Igelhut, bis die Mutterkuh es vom empfindlichen Euter abwehrte und es entwöhnt war.

Also hatte auch der derzeitige Igelbauer die stachlige Haube auf, und dicker Schweiß kroch ihm heute darunter herfür, nistete sich in den verwilderten Brauen ein und tropfte in den Bart hinab, der über Wange, Kinn und Hals wucherte und die Brust des Mannes deckte wie ein breiter Schild.

»Halt ein, Igel, ich bitte dich!« klagte der Glöckelhilarius. Mit dem großgetupften Schneuztuch wischte der Lange sich die Stirn, kehrte sich uni und deutete mit dem Stecken auf die Höhe zurück. Verschnaufend wandte sich jetzt auch der andere. Wo seine baumelnden blauen Rockschöße ansetzten, glitzerten zwei vergoldete Knöpfe, und ein kurzsichtiger Falter hielt sie für ein Paar gelbe Schmalzblumen und umflatterte sie ohne Rast.

Die Höhe droben hieß »der Buckel«, und darauf lagerten, durch ein geringes Gehölz geschieden, zwei Anwesen, deren eines auf dem First ein behagliches Glockentürmlein führte. »Über hundert Jahre schon halten die zwei da droben gute Freundschaft«, nickte nachdenklich der mit den blauen Schößeln. »Am liebsten von der ganzen Nachbarschaft ist mir halt doch das Geläut«, meinte der Lange. »Am Feierabend, zwischen Finster und Siehstmichnicht, wenn dein Glöckel so fein über den Wald her anhebt, das ist gerad so wie eine Predigt. Gerad zu Herzen geht mir das Glöckel. Aber Kreuzbirnbaum!« unterbrach er seine Rede, »da steh ich angewachsen wie der Heilige auf der Brucken, und derweil wird in Fuxlo drunten ein anderer der Bürgermeister!«

»Es ist keine Not, Igel« sagte der Nachbar. »Sie müssen auf dich warten. Dasmal trägst du im Dorf den größten Bart.« Der Igel griff sich stolz in den Bart. Er war seiner Sache sicher und prahlte: »Heut noch werde ich meiner Alten sagen können: Weib, jetzt schlafst du bei einem Beamten!«

»Du hast leicht hoffen, du mit deinem Eselstrumm Bart«, jammerte der Glöckelmann. »Aber ich – was hab ich den mageren Besen da an meinem Kinn nit gezogen und gezerrt! Die stärksten Hausmittel hab ich gebraucht, dass er mir wachst. Und jetzt steht er da, dürr und elendig wie das Getreid in einem missratenen Jahr!«

»Und du hättest doch das Zeug zu einem rechtschaffenen Gottvaterbart«, spottete der Igel und packte ein Haar, das einsam und langmächtig aus dem kargen, kurzen Geißbärtlein des Glöckelbauern daniederhing. »Nachbar, deine ganze Hoffnung hängt an einem einzigen Haar!«

Die Männer von Fuxloh saßen im Wirtshaus »Zum pfalzenden Hahn«.

Sie saßen um ein gewaltiges Tischrund, darauf sie Kinn und Bart legten, so dass die Platte von einem Haarkranz bunt umbrämt war. Seltsam genug wechselten da nebeneinander ströherne Wische und graue Moosbärte, raureifweiße Waldgeisterhaare, feurige Donnergottzotten und kohlschwarzes Gestrüpp.

Den breitesten Platz aber begehrte der Bart des Igels, daneben das armselige Gewächs des Glöckners, von jedermann verpottet und verachtet, sich hoffnungslos ausnahm.

Der Hahnenwirt verlangte Ruhe. Sorgsam schüttelte er aus einer Schachtel eine feiste Laus und schob sie mitten auf den Tisch auf einen Kreidefleck.

»Eine Laus wie ein Holzschuh!« staunte der Igel.

»Woher hast du das Rössel?« kicherte einer, dem der Bart in Maul, Nase und Ohren hineinwuchs.

»Lass das Gespött bei der wichtigen Verrichtung!« mahnte der Wirt. »Selbe ist eine besondere Laus, sie ist auf dem Kopf des seligen Bürgermeisters gewachsen. Eine Totenlaus.« Alle waren still und andächtig. Die Bärte wuchteten, schier bog sich der Tisch unter ihrer Last. Die Laus verließ ihre weiße Insel und reiste dahin.

»Halt aus! Dreh dich um!« schrie ihr einer nach, dem sie die sechs Fersen zeigte.

»Nur nit beeinflussen!« meldete es sich dem Hitzigen gegenüber.

»Es wäre notwendig, sie ginge auf Stelzen!« wünschte einer, der es eilig hatte.

»Pfauch nit so! Du machst ja dem Viecherl Wind«, murrte ihn ein anderer an, dessen Bart schwarz war, als wäre er über den Winter in der Selchkammer gehangen.

Aber unberührt von dem schielenden Neid, der seinen Weg kreuzte, unbekümmert um gütigen Zuspruch und. Verwünschung rannte das Ungeziefer dem Gebüsch des Igels zu, und je näher ihm der Bringer der bürgermeisterlichen Macht, desto breiter entfaltete ein Grinsen seinen Bart, bis dieser schließlich vor lauter freudigem Lachen zu wackeln anfing. Die Laus war darunter verschwunden.

»So, meine lieben Untergebenen, jetzt ist sie aufgesessen«, stammelte der Igel. Mit Würde, aber auch mit zitternder Vorsicht hob er das Kinn vom Tisch. Ihm glänzte das Gesicht. Alles verhielt den Atem und sah ihn an, den das Glück heimsuchte.

»Du irrst dich, Nachbar, ich hab sie!« fistelte es plötzlich neben ihm.

Mit weit aufgesprungenen Augen schaute der Großbart den Hilarius an, dem sich die Stimme überschlagen hatte. Wahrhaftig krabbelte die Laus auf des Glöckelbauern einzigem langem Haar, das sich hinterlistig unter dem gewältigen Wust des Igels versteckt gehalten und das irrende Tierlein verlockt hatte.

»Der Glöckelmann ist Bürgermeister worden! So ein Rossglück!« Die Bauern brüllten und lachten, dass die Fenster schwitzten.

Der Igel aber saß da, als ob ihm einer den Dreschflegel hätte aufs Hirn sausen lassen.

Der neue Bürgermeister langte sein Tabakglas aus dem Schößel und leerte es auf den Tuch. »Da schnupfet, Fuxloher, das geb ich zum Besten.«

Hernach stellte er die Laus in das Glas ein, tat einen Juchschrei und hüpfte zur Stube hinaus.

Jetzt kam dem Igel die Besinnung wieder. Mit der Faust schlug er auf den Gemeindetisch. »Das gibt es nit!« sprühte er auf, »das kann es nit geben! Da hätte mein Geißbock auch das Kinn können hinlegen und Bürgermeister werden! Eine ewige Schand ist es für Fuxloh!«

Aber keiner hörte auf ihn. Sie tupften die Finger in den Tabak kund versorgten umständlich und ausgiebig die Nasenlöcher. – Draußen setzte der HiIarius bergan und heimzu. Er rieb sich das Fäustlein, seine Schössel stiebten, und die gelben Knöpfe dran, glitzerten gleich spöttischen Augen.

Da machte sich der Igel auf und polterte in des Haarschneiders Werkstatt hinein. »Gleich hobelst du mir den Bart weg!« knurrte er und ließ sich schwer auf die Bank hin.

»Bring das Blutschaff her!« befahl der Haarschneider seinem Weib und ging verzagt ans Geschäft. Die Schere versagte schier an dem Gestrüpp. Und bei jedem Bartbüschel, das auf die bocksledernen Hosen des Igels fiel, knirschte der: »Ich pfeif drauf!«

Als er wieder aufgestanden war, trampelte er auf den Haaren herum, die auf den Dielen lagen, warf dem Schaber einen Dreizehnkreuzerbatzen hin und trollte sich mit kahlem Maul und zerschnittener Haut ins Einkehrhaus zurück, wo er unter dem Gestichel der andern Bauern soff, bis der Abend einfiel. Dann erst ging er heim.

Ein Irrwisch stand über der Mooswiese, vom Dorfweiher herauf riefen die Frösche eintönig, und der Igel trabte verdrossen queraus über die Hutweiden den Buckelberg hinan. Auf einmal riss es ihn aus dem gleichmäßigen Trott. Wie ein Messer stieß es in sein. Ohr. In schrillem Spott hub des Nachbarl Glöckel an: »Bin – bin Bürgermeister! Bin – bin Bürgermeister!«

Das Geläut sägte ihm durchs Hirn. Ich mag dich nit hören, ich hör dich nit!« keuchte er. Er sprang und stampfte, pfiff und klatschte mit den Händen, um den Hall zu überlärmen, und sang, dass ihm die Drossel am Hals hin und her hüpfte und die Adern schwollen. Das Glöckel aber war stärker immer, spitzer und schärfer gellte es: »Bin – bin Bürgermeister! Der Igel drohte fäustlings hinauf. »Hilarius, ich zünd dich an wenn du nit gleich die Läuterei einstellst!«

Vergebens! »Bin – bin Bürgermeister!« schrillte es.

Sein Blick bettelte um Hilfe. Oben aber wimmelten die Sterne durcheinander wie tausend silberne Läuse.

Die Finger ins Gehör stopfend, trampelte er über das Kleefeld. Daheim taumelte er finsterlings in das zwiespännige Bett, darin die Bäuerin schlief.

»Weißt du schon die Geschichte?« fragte er verzagt. Sie brummte etwas Unverständliches und blinzelte.

»Pfui Teufel«, fuhr sie auf, »hast du den Bart auch noch versoffen?!«

Gedrosselt von einer Wut, die keinen Ausweg wusste, lag er ohne Schlaf die lange Nacht, hörte das Vieh im Stall stampfen und stöhnen und mit den Ketten klirren, hörte den Rumpelgeist am Dach, umgehen und die erwachte Luft um das Haus schleichen.

In aller Frühe rührte die Spottglocke wieder seine Galle auf, und mit gelbem Gesicht stieg er aus dem Bett. Mittags schickte er den Knecht zum Nachbar hinüber, der Hilarius möge die Läuterei einstellen, worauf dieser wiederum ihm die Antwort zukommen ließ, der Igel mit seiner ganzen Freundschaft und Verwandtschaft solle ihm neunhundertneunundneunzigmal kreuzweise mit Verlaub zu melden den Buckel kratzen. Zu Mittag rührte der Igel das Essen nicht an; ihm war, als gehe ihm eine Schneiderschere im Kopf herum. »Wenn ich einmal Schürknecht bin in der Höll, dem Herrn Bürgermeister da drüben heiz ich sakrisch unter, versprach er seinem Gesinde.

Heute rastete am Kleeacker seine Sense oft; oft kraute er sich hinter dem Ohr oder legte den Finger an die Nase. Doch als beim Nachbar das Finsterläuten anhub, da leuchtete plötzlich des Igels Gesicht auf, die Vergeltung war ihm klar, und er begriff, dass man Hundshaare auflegen muss, wenn einen der Hund beißt.

Bald hernach brachten abends fremde Handwerker aus der Stadt dem Igel ein Geheimnis, mit Stroh säuberlich zugedeckt, und in selber Nacht fing ein wunderliches Sägen und Nageln und Zimmern an.

Als frühtags des Glöckelbauern Läutwerk sich rührte, antwortete ihm ein zweites, um ein Tönlein höher gestimmt, suchte es sich gegen das alte zu behaupten. Verdutzt verstummte die erste Glocke, hielt lauernd den Atem an, um sich gewiss zu werden, ob ihr wirklich jemand ins Hand werk störe.

Es war keine Blendnis: belfernd wie ein gereizter Köter, aufrührerisch, als künde es Brandstiftung, in unregelmäßigem Gebimmel meldete sich das Trutzglöckel und forderte zur Rauferei heraus.

Jetzt durfte auch das erbgesessene Urvätergeläut nicht zurückbleiben, und misstönend lärmte es selbander den Zwist der Nachbarsleute in das erwachende Dorf hinunter.

Der Igel hatte sich den Glockenstrick vom neuen Turm durch Dachboden und Stubendecke bis an das Bett führen lassen, auf dass er das Werk der Rache eigenhändig vollziehen könne. Liegend läutete er und hob die Arme wie ein Mesner. Doch der Nachbar ließ nicht nach.

»Und er muss nachgeben, und wenn ich bis zum Jüngsten Gericht läuten muss!« verschwor sich der Igel, kniete sich auf dem groben Leintuch auf und zerrte unbändig an dem Strang. »Versündig dich nit!« warnte sein Weib. Sie sah ihm gemütlich zu.

»Du könntest mir auch helfen, Luzel, es geht um meine Ehre!«

»Zieh dir deinen Narrenstrick selber!« brummte sie und drehe auf die die andere Seite.

Dampfend vor Schweiß hatte sich der Igel nun völlig erhoben seine dürren Beine stemmten sich gegen den Strohsack und gegen das krachende Bettgestell; mit verquollenen Augen, mit stoßendem Atem werkte er. Doch der Nachbar läutete emsig weiter.

»Kreuzbirnbaum!« stöhnte der Bauer. »Ist der Hilarias bei Kräften! Wie ein eiserner Ritter!«

»Reiß nit so an!« schalt die Bäuerin. »Du reißt ja das Dach herunter.«

»Ich mein – dabei schielte der Igel auf sie hinab – ich mein halt allweil, sein Weib hilft ihm läuten. AIIein kann das keine Menschenseele erzwingen.«

Dastand die Bäuerin, auf und Iöste ihn ab.

Er rief derweil seine Buben, den Knecht und die Dirnen herbei; und weil der Hilarius nicht nachgeben und jeder das letzte Wort führen wollte , wurde den ganzen Tag über geläutet. Des Igels Knecht gab schon den Rat, sie sollten zum Läuten den Göpel samt dem Ochsengespann verwenden.

Die Fuxloher rannten den Buckel herauf. Sie glaubten, die Nachbarn seien verrückt worden, und als sie den Sachverhalt inne hatten, lachten sie den streitenden Leuten gewaltig zu den Fenstern hinein.

Spät abends im Mondschein erst verstummte der Glöckelbauer. Noch ein paarmal schlug es matt bei dem Sieger an; und Bauer und Gesinde legten sich lendenlahm und todmüde schlafen.

Wenn auch späterhin der Streit niemals mehr so bis auf den Grund ausgetragen wurde wie am ersten Tag, so wurde dennoch hie und da hüben und drüben des Gehölzes geglöckelt, als gelte es, den Satan von, den Hängen des Buckels zu vertreiben.

An eitlem Sonntag trafen sich die beiden Widersacher auf einem Holzweg. Sie gingen hochnasig an einander vorbei, und erst, als sie sich sieben Schritte vom Leib waren, kehrten sie sich um und maßen sich mit zwinkenden Augen.

»Grüß dich der Himmel! Die Höll ist dir ja gewiss!« begann mit spöttischem Kratzfuß der Igel.

»In Ewigkeit, Amen«, erwiderte der andere fröhlich und lüpfte den Dreispitz, der er trug, seit er Bürgermeister worden.

»Schauft deine Laus noch, Bürgermeister?«

»Hundert Ferkel hat sie geworfen. Wenn du der Bürgermeister wirst, lass ich dir die ganze Zucht ab.«

»Ich hau dir eine aufs Dach, dass es sich dreht!« fuhr der Lange hin.

»Ich wisch dir über dein nacktes Kuhmaul!« schnauzte der Kurze her.

Wie der Stoßgeier die Henne zwickt, packte der Igel mit unschlachtigen Fingrn den andern und riss ihm den blauen Schößel vom Leib. Der Bürgermeister herentgegen fuhr ihm mit den Schultern behend durch die dünnen Beine und brachte ihn zu Fall. Und derweil an der Tanne der Specht den Takt dazu gab, schlugen sie, sich blitz und blau, dass der Staub aus den Röcken rauchte.

Im Dorf war bald danach Kirchweih, und der Igel hatte sich mit seinen Hausleuten bis tief in die Nacht im »pfalzenden Hahn« verhalten. Als des Nachbarn Glöckel ihn vortags weckte, hob er den übernächtigen Kopf und langte nach dem Strick, den üblichen Gegengruß zu bieten.

Doch wie zornig er auch anriss, das sich überstürzende Läuten blieb diesmal aus.

»Hat mich denn der gestrige Rausch törisch gemacht?« murmelte er und lief in den Hof.

O Schreck! Im Türmlein baumelte statt der Glocke eine ströherne Docke wie ein gehenkter Sündermensch.

»Wer hat mir den Turn zum Schandgalgen verdorben?« brüllte er. »Aber freu dich nur nit zu gäh, du drüben hinterm Holz! Das Geläut kommt wieder hinauf, justament, ein ganzes Glockenspiel tu ich hinauf, Himmelkreuzbirnbaum!«

Wie nun auch der Igel in Scheuer, Rumpelkammer und Grasgarten herum trottete, das Glöckel blieb verschwunden.

Er kam zur Stalltür, da hörte er drin den Stier missmutig brummen.

»Halt aus!« schoss es dem Igel durch den Sinn. »Greift da nit der Herrgott, mit dem Zeigefinger drein?«

Er dachte an die verwitterte Martersäule am Waldsteig. Das Bild drin haben Regen und Frost schon arg verwischt, aber der Kirchfahrer sieht darauf noch allweil den scheckigen Stier mit den Vorderfüßen vor der Monstranz knien, die er aus dem Grund gewühlt hat, worin sie von den Räubern vergraben worden war. Das soll sich wirklich zugetragen haben, und noch heutzutag denken die Fuxloher gern an die gute Witterung des Stieres.

Ist aber die Glocke nicht auch ein heiliges Werkzeug? Und ist das Haus, darauf man ihr die Stube baut, nicht eine halbe Kapelle?! Und wenn die Monstranz nur den Leuten glänzt, die im Betstuhl sitzen, so hat das Geläut eine weite Gewalt, es fliegt über das ganze Dorf, über die Berge und die Tannenspitzen.

Und wenn schon die gestohlene Glocke von keinem Bischof getauft worden ist, so hat sie sich es doch in ihrem andächtigen Amt nicht schlechter angelegen sein lassen als die drei Messglocken, die drunten im Pfarrhof hängen.

O Lieber Stier, jetzt werden wir sehen, wie weit es mit deiner Witterung her ist! Jetzt grab das Glöckel au s dem Wald! Zuversichtlich tat der Igel die Stalltür auf. Er prallte zurück. Der Stier stand zerknirscht da und nickte wehmütig mit dem großen Kopf. Das Glöckel war an seinen Schwanz geknüpft. »Hilarius, nur du hast mir das angetan!« kreischte der Igel. Ihm war, die Wut schnitte ihn mitten auseinander. Die Finger gabelte er zu einem bösen Schwur.

Als die Sterne friedlich über den Heustadel herauf wallfahrteten, richtete er sich zum Fortgehen. Die Gier nach Vergeltung ameiselte ihm in Händen und Füßen.

»Wo aus?« forschte sein Weib.

»Halt das Maul!« knurrte er.

Eine Säge unter der Joppe, hopste er in hastigen Sätzen über die naditfeuchte Wiese. Längs des hohen Kornes sich duckend, erreichte er das Gehölz und durchhuschte es behutsam von Stamm zu Stamm, denn das Feld hat Augen und der Wald Ohren.

Schauer streiften ihm über das Genick im dicken Tannenholz. Fuchtelte nicht dort ein Lichtlein? Es war doch nicht ganz geheuer. Kreuzbirnbaum! Am besten wäre es schier gewesen, schnurstracks heimzurennen und die Stubentür hinter sich zuzunageln.

Aber jetzt umkehren? Ohne Vergeltung? Nein das durfte er nicht, und wenn ihm auch tausend Gänsehäute übers den Buckel jagten!

Zur Vorsorge zog er den Aderlassschnapper aus dem Sack. Vor dem schlafenden Gehöft des Glöckelbauern funkelten die Glaskugeln im Garten wie Irraugen, und in der Stube drin schnarrte die Senkeluhr die Stunde ab. Sonst geisterte die Stille. Plötzlich sträubte ein siedender Schreck des Igels Schopf, und lebendig rührte ihm etwas die Hand an.

Es war jedoch kein gespenstisches Unwesen, das ihn erschreckt hatte, sondern der Waldel, des Nachbarn Hund, der mit schlagendem Schwanz, mit toller Drehung und entzücktem Geknurr den lange vermissten Freund des Herrn willkommen hieß. Der Vierbeinige beschnäufelte den Zweibeinigen, schweifelte, bäumte sich auf, jagte wie närrisch in den Wald hinein und wieder zurück, um sich die Freude des Wiedersehens von der Seele zu rennen.

»Um Gottes willens Waldel, verrat mich nit!« beschwor der Bauer zischend den Hund, und der schien ihn zu verstehen, denn er beruhigte sich und sah mit den guten Augen treuherzig den Mann an; nur der Schwanz pendelte unaufhörlich Das Vertrauen in dem gescheiten Blick des Waldel ärgerte und rührte den Bauern. »Von Rechts wegen solltest du mich in den Hintern beißen!« wisperte er.

Die Feuerleiter lehnte am Dach. Nach wenigen Sprossen schon hielt der Igel ängstlich inne. »Wenn der Hilarius mich spürt, schießt er mich wie einen Künigelhasen«, dachte er. Er tappte sich höher. Wieder rastete er, und sein Herz klopfte. »Wenn er es aber gar nit gewesen ist, der mir Turm und Glöckel geschändet hat?! Wenn es die Dorfbuben getan haben, die gestern um meinen Hof herumgeschnüffelt haben? Die Lümmel, die elendigen!«

Schließlich hockte er am Dach neben dem Rauchfang. Daraus stieg der kräftige Geruch des geräucherten Specks, der schläferte aber den Zorn des Igels nicht ein. Er lugte hinunter. Also, da wird der Luzifer einmal den Hilarius heraus gabeln!

Der Luzifer! Kreuzbirnbaum! Wenn der Teufel die Leiter vom Dach wegziehen tät!

Doch unten rührte sich nichts. Nur der Hund stand voll Neugier und schaute herauf.

Wider ein klein wenig sicherer rutschte der Bauer über den First zum Glockenstuhl hin. Der Mond zeichnete ein grelles, hässliches Loch in die verschwiegene Nacht und starrte wie ein streng aufgerissenes Auge.

»Vermaledeite Laterne, bläst dich denn keiner aus?« drohte der Igel gegen den Himmel, und die Angst beutelte ihn, so dass er sich an dem Türmlein festhalten musste. Doch ermannte er sich und setzte die Säge an.

Herr Bürgermeister, jetzt heißt es Aug um Aug, Bart um Bart, wie schon die Erzväter gesagt haben. Wenn du morgen läutest, kugelt dir Turm und Glöckel übers Dach.«

Die Säge zitterte dem Igel in der Hand, der Hund drunten irrte ihn.

»Wie es herauflost, das gute Vieh! Es traut mir gar nix Schlechtes zu. Schlechtes?! Was?! Als ob ich eine Schlechtigkeit verrichten wollt! Eine Wohltat ist es, wenn ich den Turm da absä! Das Geläut frisst mir das Leben ab.«

Im Gehäus, das von vier schmalen Pfosten getragen wurde, hing sie stumm und finster, die unbarmherzige Feindin, deren Lärm ihm die jähe Hitze in den Kopf trieb und ihm dreimal am Tage die Welt vergällte.

»Es ist nicht alweil Vollmond im Kalender«, stichelte jetzt der Igel. »Heute ist es aus mit dir, Glöckel! Oder hast du mir vielleicht gar noch was zu vertrauen? Ein Wort lass ich dich schon noch reden, möchte noch einmal bitterlich gern deine Stimme hören!« Und er klopfte mit dem Schnapper an das Erz. Doch wundersam! Nicht schriller Spott antwortete, sondern ein feiner, leiser Klang, der schöne alte Zeiten zurück beschwor und trauliche Erinnerungen belebte.

Ist dieses Glödel es nicht gewesen, das ihm früher den Dorfabend mit ruhiger Feier erfüllt und dessen Klang den Frieden getragen über Wald und Dämmer? Was hatte es ihm doch alles zu erzählen gewusst voreinst, da er als Bub abends vor des Vaters Einödhof gesessen und in die Stern geträumt? Und wie lustig hatte es, gekichert damals, als der Bursch, drin im Gehölz sein Dirnlein zum ersten Mal ans Herz genommen! Dann später, wenn er, selbst nun Bauer, schwer und müd abends die arme Scholle der Bergäcker verließ, da labte das Glöckel ihn wie ein Trunk aus einem Waldbrunnen und sang ihm die Bauernsorgen von der Stirn.

Dem Reiter am Dach wurden die Augen unsicher. Wild über sich selber packte er die Säge.

Unten aber wartete unbeweglich der Hund. Das Tier stand wie ein Gewissen.

»Schau mir nit zu, Waldel!« schmeichelte der Igel hinunter. Du darfst keine Zeugenschaft abgeben gegen mich!«

Aber das Felsvertrauen unten rührte sich nicht. Die treuen Augen funkelten im Mond herzlich warm herauf.

Da ächzte der Bauer auf und verbarg das Gesicht. »Waldel, Waldel, du sollst dich in mir nit irren!«

Noch einmal summte das Glöckel und redete von jahrhundertealter Bauernfreundschaft, von Hilfe, die sich härte Hände gebracht, wenn das Feuer aus dem Scheuerdach gefahren oder die Saat von Schlossen zerschlagen gelegen und Dürre, oder Regen die Ernte zerstört. Noch einmal redete es von wortarmer, guter Nachbartreue.

Der Igel kletterte herunter.

Der Bürgermeister unten taumelte aus Traum und Bett, griff noch mit geschlossenen Augen nach der rostigen Kugelbüchse und sprang ans Fenster.

»Jesus Maria Morgenstern! Wer haut mir denn da die Scheiben zusammen?«

»lch bin es, Nachbar, ich bin es!«

Der Hilarius rieb sich die Augen. »Du?! Ja, was begehrst denn du in der geschlagenen Nacht? Hast du was Schlechtes vor?« Der Igel stand im helllichten Mondschein vor dem Fenster, der Hund schmeichelte an ihm hinauf. »Hilarius! Nachbar! Bürgermeister! Sei wieder gut!«

»Träumt dir was oder träumt mir was? Meinst du es aufrichtig?« fragte misstrauisch der in der Stube.

»Ich lüg nit!« schluchzte es aus dem andern. »Der Waldel da ist der Zeuge.«

Verwundert wackelte der Glöckelbauer mit dem Kopf, aber er spürte, dass es in seinem Widersacher sich groß gewandelt haben musste. »Röhr nit so, sonst muss ich mittun!« sagte er, »Was ist denn nachher geschehen? Was kommst du so spät in der Nacht daher? Und was willst du mit der Säge?«

»Frag nit, Nachbar, frag nit! Schier hätt mich der gute Geist verlassen, zum Glück hab ich mich vor deinem Hund geschämt.«

»Igel, mich dünkt, dir fehlt es im Hirn«, meinte der Hilarius, tat aber trotzdem das Schubfenster auf und reckte die bettwarme Hand hinaus, und der andere schüttelte sie, als wollte er sie samt dem Arm aus dem Leib reißen.

Dann sprang der Igel wie ein übermütiger Rehbock spießgerade dem Gehölz zu, und ein Juchschrei störte die Nacht auf. Der Glöckelbauer hingegen kroch wiederum ins Bett und sann lange in den hellen Mond. »Ich will hoffen, dass der Igel nit in den Narrenturm kommt«, beruhigte er schließlich sein Gewissen. »Vielleicht hat, ihn nur der Mondschein rauschig gemacht.«

Damit schlief er ein.

Die alte Senkeluhr schnarrte gemütlich, und die Sommernacht legte die wuchtige Bauernnase, die aus dem Schatten tauchte, mit ihrem kostbaren Silber aus.

 


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