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Die Männerwallfahrt

Nach altem Herkommen ist es im Dorf Schlindorn nur den verheirateten Männern, erlaubt, am Auffahrtstag des Heilands den Bittgang nach Maria Mondschein zu tun. Die Weiber und das ledige Volk müssen daheim bleiben.

Die Ursache dieser Wallfahrt ist vergessen, doch die Einrichtung hat sich kräftig gehalten, weil sie als eine rechte Insel des Bauernkurzweils auf dem Einerlei des dörflichen Lebens schwimmt. Sie hat sogar. das strenge Verbot überdauert, das gegen sie erlassen worden, in aufklärerischer Zeit, da Kaiser und Kurfürst noch Zöpfe unter den Kronen getragen haben, und als damals die Obrigkeit den Kirchfahrtsweg mit Ketten gesperrt hat, haben sich die Schlindorner Wallfahrer nicht hindern Issen, sie sind andächtig mit Fahne und Lied darunter hinweg geschlüpft.

Hinter, sich den Frühschrei der Hähnen ziehen sie auch heute wohlgemut aus, mit Rosenkränzen gerüstet und vierfach verzipfelten Bündeln, daraus der Kästopf heftig riecht, und wohlweislich auch mit bunten Regendächlein und krummschnäbeligen Stecken versehen. Hinter der letzten Scheuer schließt sich ihnen der Gemeindedepp an, gelockt von dem schallenden Gesang. »Gebt mir Tubak!« stammelt er. »Dann geh ich gern mit in den Krieg.«

Der Dionys Pfanzel trägt das lange Holzkreuz mit dem Herrgott daran. Der Dominik Eibl, mit zwei Kröpfen behaftet, doch ein gewaltiger Mann, schwenkt die Fahne mit dem Bild des heiligen Moriz, eines mit Glöcklein und Schellen beflitterten krauseten Mohren. Weibliche Heilige führen sie heute nicht mit.

Es ist Waldvolk. Schnürend wie Füchse schleichen sie dahin die Füße, etwas einwärts gedreht. Sie wallen vorüber an Weilern, Höfen und Schwaigen und durch enge Eichkitzleinwälder, sie singen doppelt herzhaft, wenn sie durch ein Dorf wandern. Kreuz und Fahne senken sie ehrfürchtig vor den Pestsäulen und Martertäflein, die sich an Weg und Steg erheben. Die Sonne schaut zum Himmel heraus, der Morgen dampft aus den Wiesen, Stieglitzwölklein flattern darüber. Der Schneider Ambrosi Schnaderbeck ist Vorsinger. Mit seinem hohen, zwirnzarten Tremulant singt er gottskläglich wie ein Märzenkater. In rauem Chor wiederholt die Kreuzschar das Gesätz. Der Nußhackel fliegt auf und kreischt in ihren Gesang, Rebhühner prasseln aus dem Klee. Demütige Hügel und hochfahrende Berge geleiten die fromme Mannschaft. Die Sonne steigt, die Blume Gauchheil schlägt das rote Äuglein auf. Der Ambrosi Schnaderbeck ist schon stockheiser und tut bei seinem Vorgesang so grausam, als hasple er sich das eigene Gedärm aus dem Leib. Der Text ist ihm ausgegangen, und er hebt an, aus dem Stegreif zu singen. Auf einen braunen Pilz am Waldrand deutend, röchelt er:

»Was dort für ein schöner Pilzling steht! Den, wenn mein Weib daheimet hätt!«

In gezogenem, ernsthaftem Ton singt die Schar ihm treulich nach.

»Männer!« sagt auf einmal der Dionys Pfanzel. »Ist unser Weg nicht eigentlich ein Bittgang um bessere Weiber?« Und mit der Salbung eines Dorfpfarrers ruft er: »Lasset, uns insgemein beten, unsere unfügsamen, widerspenstigen und hartnäckigen Weiber mögen sich bekehren oder bald eine selige Hinfahrt nehmen, auf dass wir erlöset werden von dem Übel Amen!«

Und der Gabinus Greindl, geheißen der Galoppschuster, weil er es immer so eilig hat, der Greindl, hebt die Litanei an.

»Heiliger Sankt Jakob!« »Ein Ehemann ist kein Hackstock!« murrt die Rotte.

»Heiliger Sankt Balthasar!« – »Wer heirat, ist ein großer Narr!«

»Heiliger Hieronymus!« – »Gott gnad, wer Weibern folget muss!«

»Heiliger Sankt Barthelme!« »Kurze Freud und langes Weh!«

»Heiliger Sankt Wenzeslaus!« »Der Ehestand bringt Not und Graus!«

»Heiliger Sankt Valentin!« – »Wär doch meine Alte hin!«

»Heiliger Sankt Hyazinth!« »Ins Himmelreich nimm sie geschwind!«

»Heiliger Sankt Zyprian!« »Schaff mir eine andre an!«

Also verläuft der Weg in behaglicher Andacht, und es ist davon weiter nichts zu berichten, außer dass es beinahe zu einem Streit gekommen ist, weil der Galoppschuster es hat nicht dulden wollen, dass seine Wallbrüder die Schuhe ausziehen und durch solchen Sparsinn sein ehrbares Gewerbe schädigen.

Das Ländlein schwillt endlich, zu einem sanften Bühel an, und, darauf schimmert in einem Geviert grüner Linden und von der Welt abgesondert das Kirchlein. Die Schlindorner wischen sich den Staub aus dem Haar und ziehen mit wehender Fahne ein. Mit Wachslichtern umwandeln sie den Altar, darauf die überselige Jungfrau in einen schlanken, eirunden Schein gestellt ist, die Füße auf dem Sichelmond. Hernach lesen sie die Mirakeltafeln, davon die Mauern überladen sind, und betrachten die hölzernen Fürbitter: die Magdalena, die sich unterm Kreuz die Schürze nassweint; die Heilige, in deren Körblein das Brot zu Rosen wird; die Röstung des heiligen Laurenzius und den Sebastian, der wie ein Igel allzu üppig mit vergoldeten Stacheln gespickt ist.

Der Pfarrer schreitet in einem Mantel, darein alle hübschen Bauernblumen gestickt sind; geweihter Rauch blaut, und die Orgel begleitet sanft die Messe. Die Schlindorner recken in den Bänken die Beine, und lassen das Schnupfglas umgehen. Die Sonne durchglüht die Heiligen in den Fenstern und dämmert farbig gedämpft in die Kirche herunter. Und wie die Orgel gar so einschläfernd süß murmelt und die Perlen des Rosenkranzes so gleichmäßig. durch die Finger gleiten, fällt dem Dionys Pfanzel der Kopf vornüber. Und auch die andern legen in angenehmer Müdheit die Stirnen auf das Geländer der Bänke und schnarchen wie Sägemühlen. Kerzenwachs tropft ihnen auf die narbigen Fäuste, doch sie spüren es nicht. Wie der Pfanzel wieder erwacht, schaut er verdutzt darein wie Sankt Jonas, da ihn der Walfisch ausgespien. Die Messe ist längst aus, und eine zweite Kreuzschar hat die Kirche gefüllt, die Männer ans Schnellzipf. Sie grinsen spöttisch zu den Schläfern herüber. Da weckt der Pfanzel mit starkem Geräusper seine Landsleute. Sie fahren auf, gewahren die Schnellzipfer und trotten dann düster aus dem Gotteshaus. Beim Kirchwirt lassen sie sich ein Fass Bier auszäpfeln. Der Dionys Pfanzel stürzt einige Achtel Kornschnaps hinunter, gedenkt der grinsenden Schnellzipfer und knüpft einen echt bayerischen Kernspruch daran.

Schweigsam trotten sie heimwärts. Sie alle wissen, es steht ihnen heute noch etwas bevor. Im Vorjahr am selben Tag haben, sie mit den Schnellzipfern derart arg gerauft, dass man in den Dörfern rings die Feuerglocken geläutet hat. Heute muss der alte Streit wieder aufgegriffen werden.

Auf der Brücke, wo sich die Wege nach Schlindorn und nach Schnellzipf scheiden, halten sie an und stehen regungslos, als hätten sie dem heiligen Nepomuk ein Gelübde getan. Schon dringt der Gesang der Schnellzipfer näher, rauflustig und herausfordernd singen sie: »Hochgelobt und benedeit, die Schlindorner sind dumme Leut!«

Und schon dringen sie aus dem Wald und finden die Brücke gesperrt. Krafthuberisch tritt der Leoprecht Schneppel vor, ein Riese, wie ein Tannenbaum aus dem Gestrüpp hebt er sich aus seiner Schar. Er schwingt die Schnellzipfer Fahne. »Weg von der Brucken!« sagt er.

»Wann wir wollen!« trotzt der Pfanzel und holt mit dem Kreuz aus.

Da stichelt der Schneppel: »Hab gemeint, ihr Schlindorner hättet mehr Anstand.«

Diese Rede treibt die Schlindorner in die Hitze. Denn es geht von ihnen das Gerücht, sie hätten einmal der Welt beweisen wollen, dass sie sich ebenso gut auf Anstand verstünden wie irgendein anderer, und darum seien sie, zur Kirchweih ins Nachbardorf geladen, drei Tage dort bei gedecktem Tisch gesessen und hätten keinen Bissen angerührt, und man habe sie schließlich heimschicken müssen, sonst wären sie verhungert. Der Schnaderbeck gibt es dem Spötter zurück. »Und ihr zu Schnellzipf, werdet ihr am Kirchtag wieder eine Zipfelmütze kochen?«

Der Riese Schneppel lacht auf den hageren Schneider herunter. »Du verschmachteter Kerl, seit wann gehen denn bei euch die Zaunstecken wallfahren?«

Der Galoppschuster drängt sich geschäftig vor: »Schnellzipfer, so viel Diebe sind bei euch, dass ihr in der Nacht eure Häuser nicht dürft heraußen lassen; ihr stellt sie in die Stube. Pfanzel, gib acht auf den Herrgott, dass sie ihn uns nicht vom Kreuz herunter stehlen!«

»So weit sind wir alleweil noch nicht, dass wir die, Bettelleut braten müssen!« reizt der Schneppel.

Das trifft bitter. Denn in Schlindorn soll ein Fechtbruder in einem Backofen umgekommen sein, als er schwer von Schnaps im Winter drin hat übernachten wollen. Drum führen die Schlindorner auch den Spitznamen »die Bettelmannbrater«.

»Ihr Schafzipfel!« schreit der Pfanzel entrüstet, er schüttelt das hölzerne Kreuz und spürzelt vor den Schnellzipfern aus. »Ihr Kniebohrer, ihr notigen!«

Und der Dominik Eibl bäumt sich wie ein krippenbeißerisches Ross. »Schneppel!« droht er. »Du mit deinem einstöckigen Schädel! Ich zerrupf dich wie Laub in der Staude!«

Der Schnellzipfer Fähnrich sieht ihn seelenruhig an. Er gebraucht jetzt Redensarten, wie man sie sonst nur noch auf den Mirakeltafeln findet. »Eibl, hast du doch zur Muttergottes gebetet, dass sie dich deines schändlichen Kropfes entledigt?«

»Ich hau dir eins auf die Schnalle!« zischt der Eibl.

»Bleck nur deine Zähn und leck deine Lefzen!« lacht der Schneppel. »Uns schreckst du nicht!«

Jetzt fliegen urgröbliche Wörter hinüber und zurück, bissige Wahrheiten werden laut und Schmähungen, die hier anzuführen kein Grund vorliegt. Immer lauter und verworrener wird das Geschrei, bis eine schrille Stimme aus der Rotte der Schnellzipfer aufsteigt und allen andern Lärm überwältigt und zum Horchen zwingt.

»Ihr Schlindorner!« schreit es. »Geht nur heim zu euern Weibern! Niederbrustet, hohlwanget und hochzahnet ist eine wie die andere, und das sind noch lang nicht alle ihre Tadel. Die schiechen Gespenster! Nicht einmal um ein altes Kuhfenster tät ich sie eintauschen!«

Hui, das schürt die Schlindorner auf! »Die Ehre unserer Weiber lassen wir nicht schänden!« schreit der Galoppschuster und, gibt dem Veit Meininger, der zufällig vor ihm steh eilends eine feiste Maulschelle, und der zahlt sie ihm hurtig wieder heim.

Der Dominik Eibl aber wirft seine Kröpfe zurück, einen rechts, den andern links, packt mit den klobigen Pratzen den Bruckbauer und hebt ihn aus. Aber listig bohrt ihm de Schnellzipfer Metzger den Schirm von hinten in den Speck. »Ihr zaunfalschen Leut!« jammert der Eibl.« »Ihr tätet uns am liebsten notschlachten und aushacken!«

Der Kampf kommt in Gang. Krächzend fallen die zwei Scharen über einander her, die Regendächer und die knotiges Stecken sausen nieder, der Windmeisinger packt den Arnhofer, der Zeilmayer den Goldkofer, der Hueber den Grueber, der Greindl den Zeindl. Der Leoprecht Schneppel hat die Fahne weggeschmissen, er hält den Schnaderbeck am Bocksbart und lüpft ihn, er rennt den Galoppschuster über den Haufen, fährt mitten in den Wirbel und keult darein mit seinen schweren Fausten.

»Ohne Beleidigung Gottes!« brüllt jetzt der Dionys Pfanzel. Das Kreuz samt dem Herrgott schwingt er wie einen Dreschflegel und haut, wie von Hirnwut besessen, blind um sich. Staub nebelt auf, die Brücke biegt sich. Dem Kuckuck im Wald bleibt vor Schreck der halbe Schrei im stecken. Der Dorfdepp hockt abseits auf einer Wurzel und schaut mit offenem Maul zu und lallt: »Der Krieg! Der Krieg!«

Die Schlindorner ziehen ab, zerschlagen, zerbeult, blutrünstig, Ihr Mohrenfähnlein ist zerfetzt. Die Schnellzipfer haben auch ihr Teil davongetragen und hüten sich, den Feind zu verfolgen. Alle sind für diesmal befriedigt.

Der Dionys Pfanzel dreht sich noch einmal nach den Schnellzipfern um und rüttelt das zersplitterte Kreuz. »Freut euch nur auf den künftigen Bittgang!« schreit er. Da nehmen wir den gusseisernen Herrgott mit!«


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