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Schulmeisterhimmel

Ungefähr um die Zeit, da Napoleon durch den russischen Schnee heimwatete, begehrten die Bauern des Dorfes Maria Eichbaum von ihrer Obrigkeit einen Schulmeister, auf dass ihre Kinder nicht aufwuchsen wie die grünen Rüben, sondern schon frühzeitig einen wohlbeflissenen Wandel einchlügen und dabei so viel Weltwitz lernten, um sich in diesem irdischen Leben wacker zu wehren und zu halten. In das kümmerlich besoldete Ämtlein wurde nun vorerst ein sicherer Adam Rosenacker eingesetzt, ein Hafner, der sein Gewerbe ziemlich liederlich betrieben hatte und sich jetzt an den grünen Ast der Schulmeisterei klammerte.

Die Gemeinde war mit Adam Rosenacker zufrieden, denn er erfreute sich einer sehr hohen, durchdringenden Stimme und konnte auch zur Notdurft die Orgel schlagen. Im Sommer hielt er in einer leeren Heuscheuer Schule. Auf einer Leiter stehend, erhoben über das Häuflein der Kinder, brachte er schlecht und recht das herfür, was an dämmerigem Wissen in ihm braute, klopfte die unartigen Buben, hielt ihnen Galgenpredigten, ließ sie in stattlicher Reihe auf der Penne knien oder schlang ihnen, wenn sie es gar zu unbändig trieben, einen Strick um den Leib, hängte sie am Scheuntor auf und ließ sie eine redliche Weile zappeln. Jeden Monat schickte er die Schüler in den Pfarrwald um Ruten. lm Fasching mussten ihm die Buben durch die Beine kriechen, und er gab ihnen dabei mit einer Pritsche einen zarten Klaps auf das Sitzteil und bezog dafür von jedem als Erkenntlichkeit einen Kreuzer. Ansonst mochte er wunderlich genug unterrichtet haben. Zur Kirchweih ging es ihm leidlich gut, da spielte er den steifen Dorftänzern den Nussstaudentanz auf. Zu anderen Zeiten zog er den Schmachtriemen enger.

Nach etlichen Jahren baute man eine aufgelassene Schäferei zur Schule um, rüstete sie mit Bänken, Tafel und Kreide aus und bedeutete dem Adam Rosenacker, er möge nun die Prüfung ablegen, die aus dem Notlehrer einen zünftigen Schulmeister mache. Nach einigem Zögern stellte er sich den strengen Herren in der Stadt. Die setzten ihm mit allerlei verfänglichen Fragen zu, und ihm wurde dabei so schwindlig, als säße er auf einer wirbelnden Töpferscheibe und müsse neu geformt werden. Schließlich gab man ihm ein Thermometer in die Hand und verlangte zu wissen, was das bedeute. Er drehte das gläserne Röhrlein argwöhnisch hin und her, bedachte sich und sagte: »Oben zu! Unten zu! Kicksilber drin! Sakerment, das ist ein Kasus!« Als es sich hernach noch erwies, dass er die lateinischen Buchstaben nicht formieren konnte, wurde er seines Amtes enthoben. Er grämte sich darum nicht zu lange, sondern lebte in Maria-Eichbaum ruhig weiter, band Besen, schnitzte Quirle und Holzschuhe, zog die Orgel auf, besserte die Turmuhr, wenn sie einmal schadhaft wurde oder verkehrt ging, bestattete die Toten und brachte sich und sein Weib mit solch beiläufigen Künsten ehrlich durch.

In das neue Schulhaus zog der geprüfte Schulmeister Johann Ohnefalsch Huldner ein. Der führte einen Wagen voll behaglichen Hausrates mit und ein Spinett und eine schöne, stille Frau, für einen Dorflehrer viel zu schön, wie die Stadtherren sagten. Johann Ohnefalsch Huldner war ein betriebsamer Mann, er zeigte den Bauern, wie man edles Obst zügle, und stellte in das Gärtlein vor der Schule Stangen mit farbigen Kugeln, darin sich die ganze Welt rundherum spiegelte. Er blies das Waldhorn, die Posaune und den Serpant, war daheim auf jedem Gerät das mit Saiten bespannt war, und spielte gar kunstvoll die Orgel. Dabei war er ein gelehrter, rechtschaffener Mensch und sehr sparsam, und das äußerte sich bei ihm in mancherlei Art: Wenn ihm beispielsweise beim Abschluss eines Briefes noch ein Tropfen Tinte an der Feder haftete, ließ er diesen nicht nutzlos am Kiel vertrocknen und wischte ihn auch nicht an der dazu verordneten Hasenblume ab, sondern er versah seine Unterschrift so lange mit krausen Schnörkeln, bis das Tröpflein versiegt war. Seinen Namen schrieb er übrigens immer mit fast vollkommener Gleichheit. »Wie gestochen!« nickten die Vorgesetzten befriedigt, und er wurde wegen der überaus reinlichen Führung der Amtsschriften mit einer lobenden Urkunde belohnt und zu erneuter Reinlichkeit angespornt. Auch wusste er tote Raben und Eichhörnchen, wie sie die Kinder ihm brachten, lebenstreu auszustopfen und zu verewigen, und er tat dies mit einer zähen Leidenschaft, als dürfte es nur noch ausgestopfte Wesen auf der Welt geben. Schon in den ersten Jahren seiner Ehe hatte er sich der Herrschaft in der Küche bemächtigt, er besorgte selbstherrlich alle Einkäufe und hüpfte am Jahrmarkt zwischen den Töpfen umher, beklopfte sie, ob sie keinen heimlichen Sprung hätten, und wählte sie aus, indes seine Frau verschüchtert dabei stand und ihm mit großen Augen zusah. Die schöne, stille Frau starb bald. Da wurde er noch wunderlicher. Wie eine Motte huschte der hagere, hastige Mann in seinem grauen Schlafrock durch die Schule. Er gewann ein schrulliges Vergnügen an Jahrzahlen und schrieb solche an all seinen Hausrat, damit vermerkend, wann dieser in seinen Besitz gekommen war, schrieb sie an Truhe, Tisch und Spinett; an die Schneckenhäuser und Falter seiner Sammlungen, ja sogar an die Semmeln, die er einmal auf Reisen in fremden Orten gekauft hatte und als Schaustücke aufbewahrte. Seine Schreibwut tobte sich auch an den Mauern, Zaunsäulen und Scheuern des Dorfes, aus, daran er mit Kreide oder Rotstift in wuchtigen Zügen seinen Namen malte. Er hielt in dieser Gepflogenheit erst inne, als ein Schalk ihm darunter den Namen einer ortsverrufenen Dirne setzte und beide Namen dann mit einer Herzlinie umrahmte. Doch war ihm auch ein Rest von Schlauheit geblieben, womit er der schnöden Welt die Spitze bot. Und so sprengte er, damit sich niemand an seinen Obstbäumen vergreife, das Gerücht aus, er habe in einzelne seiner Äpfel Quecksilber gegossen, weshalb dann die diebischen Buben in der Furcht, dass ihnen das Gedärm im Leib zerrissen würde, sein Gärtlein verschonten.

Zu den Füßen des Meisters Johann Ohnefalsch Huldner saß auch der kleine Michel Rosenacker, der spätgeborene Sohn des einstigen Notlehrers und nunmehrigen Totengräbers. Adam Rosenacker, ein träumerisches Büblein, von Luft und Sonne, grell wie ein. Farbkasten. Seine Kindheit spielte sich in dem gartengleichen Friedhof ab, einem blumigen Ort ohne Schrecken, mit sanft bemoosten Steinen, leuchtenden Schmetterlingen und milden, bangen Bäumen. Selten nur öffnete sich hier eine Grube, oft wurde jahrelang niemand begraben. Ein holder Schmerz, der nicht weh tat, schien aus der Stille der schattigen Kirchhofslinden zu sinken und überall zu schweben. Und der kleine Michel durfte abends das Baldusglöcklein läuten, das immer so verhalten und bedenklich in das Dämmer sang: »Wie bald, wie bald!« Und wenn er dann zwischen den Gräbern heimging, rief ihm wohl manchmal ein trauliches Gspenstlein zu: »Pst, pst!« Oft begleitete er den Vater in die Kirche, und da sah er mit herzlicher Bewunderung, wie dieser den Blasbalg meisterte, die lederne Lunge der Orgel, und dabei aufmerksam in ein Notenblatt guckte und mit Leib und Seele an der Messe mitwirkte, die der Schulmeister Huldner eben spielte.

Zuweilen hütete der Michel Rosenacker den Nachbarn das Vieh. Dabei ließ es sich so hübsch träumen und in das Dorf hinab schauen, wo des Schulmeisters Töchterlein im Garten zwischen Rosen und Nelken sich erging wie mitten in einem zweistimmigen Volkslied. Und da ließ es sich mit ausgespreizten Armen so himmlisch lümmeln, einen Blumenstängel zwischen den Lippen, auf der Nasenspitze ein Pfauenauge – ein gezähmtes, wie er sich einbildete –, ein andächtiges Lied im Herzen, schlemmerisch lächelnd und gewissenlos die Zeit vergeudend, die nimmer wiederkehrt. Abends, wenn das Strahlengebälk der sich verschlüpfenden Sonne aus den Bergen hervorbrach, wie der Michel es in den Bildern des Alten Testaments öfters wahrgenommen, wenn der Mond behäbig sein Amt antrat und der vergangenen wilden Sonne Licht sanfter widerspiegelte und die zierlichen Sterne ausschwärmten wie die Immen der lieben Muttergottes, da trieb er das Vieh allgemachsam heim und freute sich des heimlichen Himmels, den er mit sich herumtrug.

Frühmorgens saß er in der rauen Schulbank, vor sich die Fibel aufgeschlagen und darin neben dem Buchstaben i das Bildnis des Igels, der ihm, damals als das wichtigste Wesen im Haushalt der Natur erschien. Und der Schulmeister nahm mit zwei Fingern ehrfürchtig die Zipfelmütze herunter und betete das Vaterunser vor. Hernach sang er mit den Kindern das Einmaleins, deutete auf die ausgestopften Tiere und malte fremdländische, zauberhaft, klingende Wörter wie Xerxes, Xenius, Ysop und Ypsilanti mit lindem Haarstrich und also kräftigem Schattenstrich an die Tafel, dass die Kreide in seiner Hand knirschend zerbröselte. Hernach legte er klug Fragen wie Fallen aus, und gleich weißen und braunen Tauben flogen die Hände der Kinder auf und die Finger flatterten ihnen ungeduldig, und alle wollten antworten. Zuweilen erhob sich das Töchterlein des Schulmeisters und fragte den Vater um etwas gar Wunderliches. »Sag, was tut der Wind, wenn er nicht weht? Und kommt der Igel auch in den Himmel?«

Der Michel Rosenacker verehrte seinen Schulmeister und fürchtete ihn zugleich wie einen Gott, der den Donnerkeil im Rockschößel mit sich trägt, und er klaubte die Federn am Gänserasen zusammen, und brachte sie in Bündlein zu zwölf und zwölf in die Schule, und der Alte schnitt sie zu. Auch sammelte der Michel Maienregen und Holderbeeren, und Herr Johann Ohnefalsch Huldner nahm Essig zu Hilfe und kochte daraus für das ganze Dorf eine lachende blaue Tinte.

Am liebsten sah der Michel seinen Abgott auf dem Orgelstuhl. Die Kirchorgel von Maria-Eichbaum war an einem Seitenaltar angebracht, der ebenso golden aufgeputzt war wie die andern Altäre. Droben an das Altarblatt war die heilige Cäcilie gemalt, sie griff mit schmalen Fingern in die Tasten und öffnete den frommen Mund zum Gesang. Über ihr schwebte ein Band mit der Inschrift: »Lobet den Herrn mit Saiten und Orgelschlag!« An den Säulen des Altars und kauernd auf goldenen Blumengewinden machten sich wohlgenährte Englein mit Singebüchlein, Zupfgeigen, Zithern, Fiedeln und Harfen emsig zu schaffen, einer sogar mit einer Bassgeige. An Stelle des Altartisches war ein Tastenwerk angebracht. Die Stimmzüge steckten in den Säulen. Die plumpen Holzpfeifen und die schlanken Spitzflöten waren hinter dem Altar verborgen, und der Blasbalg befand sich in einem nur von außen mit einer Leiter erreichbaren Anbau. Der Schulmeister orgelte aus altväterischen, rostig schummernden Notenheften und wusste dabei klug und überraschend die Stimmzüge zu wählen und zu wechseln, und der Michel drängte sich hinzu und starrte ihn wie einen allmächtigen Zauberer an, besonders wenn der Meister das Tremolo entfesselte. Ach, das klang so süß, als singe die Schlange im Märchen, und dann rauschte es wiederum wie ein leibhafter Wald voller Drosseln, Hänflingen und Stieglitzen aus dem Werk, und es war, der liebe Gott selber harfe dazwischen, und die Gestirne tanzten dazu.

Doch sah der Michel den geliebten Meister auch in höllischem Grimm entbrennen. Da waren einmal zu Ostern die Musikanten, als sie eben das Credo des Hochamtes vollstreckten, aus dem Geleise geraten, und bald ging alles dermaßen drunter und drüber, dass sie schimpflich abbrechen mussten. In seinem gerechten Zorn sprang Herr Johann Ohnefalsch Huldner mit beiden Füßen in die große Trommel und trat die zwei Kalbshäute durch. Als hernach die Musikanten hin und her rieten, was die Ursache gewesen, dass sie umgeworfen hatten, kam der Bälgetreter Adam Rosenacker daher, ein Notenblatt in der Hand, und sagte zerknirscht: »Ich allein bin schuld. Ich habe mich versehen und statt des Credos das Gloria getreten.«

Das Töchterlein des Schulmeisters führte einmal den Michel in die gute Stube zum Spinett. Dem Michel zitterten die Finger, aber er wagte es und rührte leise eine Taste an. Sie zirpte. Da flüsterte er verdutzt und entzückt zugleich: »Ich kann es schon.«

Der Bischof reiste über Land. In Maria-Eichbaum hatten sie keine Böller, darum musste der Adam Rosenacker, als der bischöfliche Wagen von den Glocken gemeldet wurde, im Steinbruch eifrig sprengen, um den gebührlichen Freudenknall zu erzeugen. Und auf dem grünen Willkommenpförtlein stand zu lesen:

»Wegen deiner
springen die Steiner!«

Das Töchterlein des Schulmeisters knickste und sagte einen schönen Ehrenreim auf, und der Bischof lächelte und tätschelte ihr die Wangen. Sie war schneeweiß und rosenrot im Gesicht und hieß Ylarda. Ihr Vater hatte sie aus lauter Freude an der Gelehrsamkeit so taufen lassen.

Als der Bischof durch die Kirchtür schritt, brach eine Intrade mit Trompeten und Paukenwirbel los, und eine Donnerwettermesse hub an, dass die Scheiben klirrten und die Heiligen an den Altären wankten, und zwischendurch orgelte der Schulmeister allerlei Gewaltiges aus dem Stegreif, und jäh, schlug er um und spielte so selig leise wie Lindenbaumgeflüster, und der kleine Michel schloss die Augen und glaubte, er sei im Himmel und reite mit den Engeln auf silbernen Bischofstecken um die Wette.

Hernach bedachte Seine bischöflichen Gnaden den Schulmeister wegen seiner Orgelkunst mit vielen freundlichen Worten und zog ihn zu den festlichen Mahl im Pfarrhof zu. Dort trank der Orgler in seinem Glück ein Gläslein des kühlen Weines zu viel, und er lag am andern Morgen noch im Bett und schlief, als der Geistliche schon an der Schwelle der Sakristei wartete, die Messe anzuheben. Man schickte eilends ins Schulhaus, aber der Schulmeister kam immer noch nicht. In seinem versteckten Gehäus trat der Adam Rosenacker schon aus Leibesmacht die Bälge, dass sie ächzten und fauchten. Da stellte sich plötzlich der kleine Michel auf die tiefste Fußtaste der Orgel und ließ die Basspfeife brummen und sumsen, und der Pfarrer konnte die heilige Handlung anheben, und nach einer kurzen Weile rannte der Schulmeister daher, die Schößel wie eine Fahne waagrecht im Wind und löste den kleinen Fuß ab.

Dem Bischof gefiel der schnelle Einfall des Buben, er strich ihm über den braunen Schopf und sagte, er müsse ein Schulmeister werden und nichts anderes. Und Herr Johann Ohnefalsch Huldner nahm sich seiner an, er schenkte ihm eine vergilbte Geigenfibel und lehrte ihn daraus spielen. Die Finger Michels rochen fortan sehr angenehm nach Geigenpech und liefen geschmeidig den Geigenhals auf und nieder.

Nun war er oft mit Ylarda beisammen, und sie fragte ihn, der etwas älter und um vieles gescheiter war als sie, fortwährend um die Angelegenheiten der Welt aus. »Michel, wo sind die Bienen im Winter?« – »Sie ziehen in wärmere Länder, Ylarda.« »Aber können sie denn mit ihren schwachen Flügeln so weit reisen?« »Eine jede Schwalbe nimmt eine Biene mit sich auf die Reise«, beschwichtigte er sie.

Der Schulmeister lieh ihm allerlei Bücher, und er las eifrig in den von Pfeifentobak durchräucherten, stockfleckigen Blättern und begann Noten zu schreiben und den Notenstrichen lustige Schwänzlein anzuhängen, und als seine Beine länger wurden, lernte er das Orgelschlagen und trat die halben Nächte im Traum das Bettbrett und meinte, er habe die Fußhebel unter sich.

Die Bücher berichtigten viele seiner märchenhaften Meinungen. So hatte er sich früher den Kaukasus als ein glasiges Gebirge mit lauter turmhohen Bergkristallen vorgestellt. Aus den Büchern erfuhr er, dass es anders war, und bald war er in den Ländereien der Türken und zopfigen Chinesen besser daheim als in den Tälern und auf den Hutweiden von Maria-Eichbaum.

Auch das Scbulmeisterskind wuchs heran und wurde schlank und noch schöner, als ihre Mutter gewesen war. Der Alte wollte sie für einige Zeit nach Wien schicken, damit sie ein durchaus städtisches Benehmen gewinne, doch schob er das immer wieder hinaus, da er fürchtete, sie könne einem Mädchenverkäufer in den Weg laufen, und der könne sie in die Türkei verhandeln, und dort sah er Ylarda schon von einem eifersüchtigen Sultan in einen Sack gestoßen und ertränkt. »Du gehst einmal im Bosporus zu Grunde«, warnte er sie oft. Die Jahre verrannen gemächlich, und eines Tages ließ sich der Michel vom an den Schuhen blecherne Käpplein aufsetzen, nahm den knotigen Stecken, wanderte in die Stadt und bestand dort in allen Ehren die Prüfung, die seinem Vater missglückt war.

Der alte Adam Rosenacker wurde noch im selben Jahr durch den zeitlichen Tod von dieser Welt abgefordert. Auch die Mutter war nimmer da, und so bezog der Michel das Stüblein mit den rotgebrannten Blumentöpfen und den Pelargonien im Fenster und der Aussicht in den Garten der Abgeschiedenen. Er durfte in dem Heimatdorf verbleiben, denn er wurde dem Altschulmeister Huldner zum Gehilfen bestellt. Es geschah dies in dem Jahr 1840.

Michel Rosenacker unterwies sein Völklein auf gar kurzweilige Art. Er setzte den Kindern, die seinen Mahnungen und Lehren ein verstocktes Gemüt entgegenstellten, bunte papierene Nasen auf, die er zu Hause gedreht und mit Liebe genäht hatte, und es war eine fröhliche und nicht schändende Strafe, wenn er sie darin aufrief: »Sag mir, du Gelbnas, wie viel ist sechsmal sechs? Zeig' mir, du Grünnas, wo die schwarzen Mohrenleute hausen.« Sein Tintenfläschlein hielt er mit einer Rosenknospe verstopft, und die Kinder der Nachbardörfer wollten alle zu ihm in die Schule gehen, denn es hieß, er lehre ein lustigeres und leichteres Einmaleins. Wenn der Michel an Feiertagen seiner heiteren Amtsbürde ledig war, lief er den Berghang hinauf, schmiegte sich ins Gras und fühlte, wie sich die Erdkugel mit ihm drehte. Er fühlte es an dem zarten Gewölk über sich; und plötzlich saß er droben auf einem der flaumigen Wölklein, fuhr über das Land dahin und hörte, wenn ihn gerade ein günstiger Windstoß traf, die Engel über sich Zither spielen. Dann bog er die Wolke vorsichtig wieder zur Erde hinab und glitt sänftlich daran hinunter mitten in eine Wiese voller Kuckucksblumen, erwachte und seufzte: »Wollte es Gott nur verhängen, dass die Ylarda mein wird!«

Einmal nahm er sich sogar das Herz, zog sich den aus Vaters besten Zeiten ererbten, papageigrünen Frack an und begab sich zu dem Altschulmeister hinüber. Ylarda war allein daheim. Sie saß an dem runden Tisch, und darauf lag, weiß wie ein Schneefleck, eine Decke mit langen Fransen. Der Michel setzte sich ihr etwas zaghaft gegenüber und zupfte an den Fransen. Zur offenen Tür schlug der Geruch angenehmer Blumen herein. Er hätte ihr gern verraten, dass er sie heiraten wolle, und die Liebe guckte ihm links und rechts von der Nase aus dem Leib. Doch wagte er vor Scham ihr nicht ins Gesicht zu sehen. Es war ganz still in der Stube. Da klopfte es verstohlen imGebälk. Der Totenschmied!« flüsterten Ylarda ängstlich. Der Michel lächelte: »Das ist nur der Käfer Trotzkopf, und er lockt im Holz sein Weiblein.« Sie atmete hoch und meinte dann fast ehrfürchtig: »Nein, was ihr Schulmeister nicht alles wisset!« Der liebe Michel war aber bei weitem nicht so herzhaft wie der Käfer in der Wand, er räusperte sich nur ein paarmal, und dann verabschiedete er sich. Sie weinte und stieg in den Keller hinunter, dass sie niemand weinen sehe. Der Tisch blieb allein in der Stube zurück, und hüben und drüben war in die Fransen der Decke je ein Zöpflein geflochten.

In der nächsten Woche verreiste Ylarda nach Wien. Wegen ihrer mangelhaften Schrift schicke er sie hin, sagte der Alte, und in der Fremde lerne man williger als daheim.

Während sie in der Ferne weilte, saß der Michel an Tagen, wo es die Witterung zuließ, auf dem Dach seines Hauses, von wo er bis zu dem verschwimmendem Ende der Welt ausschauen konnte, und spielte die Geige. Er strich sie so wunderbar, dass die Bauernmädchen raunten, er habe es von der wilden Jagd gelernt, die mit der süßesten Musik Nächtens über die Tannen fahre. Mitunter fiel ihm ein blaues Gedicht ein, und das schrieb er schnell mit einem großen Bleistift, wie ihn sonst die Zimmerleute handhaben, auf eine Dachschindel.

Oft reiste er der Liebsten mit dem Finger auf der Landkarte nach, den veilchenblauen Fluss niederwärts bis zu dem Ringlein, das die Stadt bedeutete, drin sie jetzt atmete und lachte und seiner wohl vergaß. Er sah sie in dem Schifflein dahinfahren, und dort, wo rechts und links der Leopoldberg und der Bisamberg an die Donau herandrängen, spannte sich von Höhe zu Höhe ein ungeheures Willkommentor über den Strom, aus Fichtenreis geflochten und rot und weiß geziert mit papierenen Rosen. Und dann fiel sein Blick auf die türkische Halbinsel und den Bosporus und verdüsterte sich. Der Winter brach an. Da schlichtete der Michel in seinem Ofen ein sauber erklügeltes Gebäude von Spänen an, baute einen Turm aus harzigen Scheitern darüber und steckte das alles in Brand. Hui, wie das Flämmlein anpackte, tastete, kletterte, jäh aufgriff und prasselte und knallte, schier als käme ein Bischof ins Dorf! Und eine Sehnsucht war in dem Michel, dass es ihm hätte das Herz sprengen können. Er sah das trauliche Bild des aufgehenden Mondes, das er schon so viele tausend Male genossen hatte, und sah die stacheligen Sternlein und den verschneiten Friedhof draußen und die Eiszapfen hangen an den schmiedeeisernen Kreuzen. Er hielt die Fersen gegen das Feuerlein und entwarf den Rohriss zu den luftigsten Luftschlössern, die er im Traum erst vollkommen ausbauen wollte, und dann löschte er die Lampe, zog die Decke über die Ohren, und sogleich flog sein Herz waghalsig dahin durch die Höhen der Nacht weit über Waldungen und Flüsse, bis er von seiner eigenen Kühnheit erschrocken aus dem Schlaf fuhr und sich gewiss wurde, dass der Leib daheim im warmen Bett liege. Und sein Herz begann: »Ylarda! Ylarda!«

Einmal abends wagte er sich einen beschneiten Hügel hinauf, dort stand er einsam und fühlte auf einmal die Unendlichkeit um sich und schauderte davor zurück wie vor einer aufgetanen Grube. Schnell flüchtete er sich in die engen Mauern seines Stübleins, damit seine Seele nicht zerfließe in das All. Und er pries die freundliche Kraft der Schwere, die den Menschen an die warme Erde bannt und verhindert, dass er dem eisigen Abgrund des Raumes anheimfalle.

*

Wieder stieg der Frühling; die haselnussgoldenen Hänge hernieder, die Gewänder der jungen, lenzerwachten Bäume erglänzten, Blumen öffneten sich, Bienen ernteten. Und das Schindeldach war schon über und über mit Liedern beschrieben.

Der Kuckuck, der klingende Waldgast, schrie gar bebend, und ein anderer Vogel, wohl eine Nachtigall, es mochte aber auch ein Blaukröpflein oder ein Hanefferl sein, schwatzte fremdartig, als singe er lauter gelehrte griechische Wörter. Der Altschulmeister schmauchte seine Pfeife und horchte zu, Nach längrem Erwägen entschied er: »Du, Kuckuck, schlägst besser als die Nachtigall. Du bleibst zünftig im Takt, zweitens ist deine Melodei besser zu fassen, und drittens erlustigt sie und macht das Blut nicht schwermütig. Du anderer Vogel stümperst mir zu verworren.«

In der Stube des Jungschulmeisters lachte heute jeglicher Hausrat und spiegelte die Freude des Frühjahrs. Selbst der Stiefelknecht, der sein getretenes, zwiespältiges Dasein im Winkel fristete, selbst ihn verklärte der Hauch der Feier. Sonntag war es, die Sonne hatte wieder einmal ihren Namenstag. Der Michel ließ die Harfenuhr klimpern und trat vor die Tür. Winzige Wölklein und Blau und Sonnenschein und anderes schönes Himmelsgerümpel war da zu schauen. Der Kuckuck rief immer ferner und wehmütiger. Eine sanft verschwebende Stimmung umfing den jungen Schulmeister. Auf einmal schlug es brausend in die Windstille seines Herzens: drüben am Fenster schaute das allerwonnesamste Gesicht der geliebten Ylarda.

*

»Ja, ja, das liebe Alter kommt!« sagte Herr Johann Ohnefalsch Huldner, er saß im Ohrenstuhl und schob die Brille zurück, und sie hing nun von den Wülsten der gerunzelten Stirn gehalten und funkelte wie ein zweites Augenpaar. Nicht ohne einige Verwunderung hörte er, was sein Gehilfe ihm da an merkwürdigem Zeug offenbarte, doch erhob er sich und begab sich sogleich zu seinem Freund, dem Pfarrherrn. Der nickte mit dem raureifweißen Haupt und sagte, nachdem der obgenannte Michel Rosenacker sich verpflichtet habe, mit der Tochter seines Vorgängers einen ehrsamen Haushalt zu beginnen, stünde nichts im Weg, denselben für die Schulmeisterei in Maria-Eichbaum der höheren Behörde vorzuschlagen und zu empfehlen.

Es war ein stiller, reiner Spätnachmittag, an jedem Rauchfang des grillendurchzirpten Dorfes hing ein blaues, sanftes Räuchlein. Die Sonne stand noch hoch, und der Mond stieg voll und blank aus einem Waldversteck.

»Ei, ei, Frau Sonne!« »O, o, Herr Mond!« »Goldene!« schmeichelte er. »Silberner!« lächelte sie.

An dem runden Tisch saßen Ylarda und Michel Rosenacker einander gegenüber. Zu dem einen Fenster glühte die untersinkende Sonne herein, zum andern der weiße Mond. Die Messingringe an den Kasten blitzten.

Da war ihm, er flöge, der glücklichste aller Schulmeister, steilrecht in den Goldhimmel des Abends auf, und aus dem anglühenden Gewölk heraus dringe das leise Brausen einer Orgel, die ein guter Geist erklingen ließ. Und Welt und Jenseits, Geliebte und Schicksal und Gott flossen ihm auf einmal in einem bescheidenen, rührenden Lied zusammen. Freut euch des Lebens!


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