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Aufruhr in Unkenbrunn

Es war in dem störrischen Jahr 1848. In der ehrsamen Stadt Unkenbrunn war man keineswegs zufrieden. Zwar wusste niemand warum. Alles war in Fülle vorhanden, was den bescheidenen Bedarf der Bürger deckte. Handel und Wandel gingen den gewöhnlichen Trott. Die Wiesen rings grünten heftig und versprachen maßlos viel Heu. Das Wetter wechselte geziemend zwischen Sonne und Regen, so dass beide, Sonnenschirmflicker und Regenschirmmacher, wohl zufrieden sein konnten. Das Brot hatte sich nicht verteuert, der Bierpreis war nicht gestiegen. Im bürgerlichen Brauhaus sott man ein kräftiges, lauteres und gesundes Tränklein, und jeder konnte Gott danken, dass er ihm einen redlichen Durst und einen wohlfeilen Schoppen dazu gab. Auch lag die Ortschaft so beruhigend abseits, und seit die Welt steht, hatte kein Krieg sich hergefunden. Unter einem friedlichen Mond, umhegt von nicht allzu mühseligen Hügeln und nicht allzu finsteren Wäldern, lag wohlig 'und schläfrig das, Städtlein Unkenbrunn.

Und doch hing etwas Gefährliches im Wind, und die Bürger, ansonst wenig zu Aufruhr und Unbotmäßigkeit geneigt, hielten sich die Zeitung und lasen sie laut in den Gassen vor, und mancher pfiff den Marseiller Marsch, den der Idomeneus Prickelmayer, genannt der politische Schuster, aus der Fremde mit heimgebracht hatte. Und auf einmal brannte es lichterloh auf. Wie schon angedeutet, tranken die Unkenbrunner nur ihr eigenes städtisches Bier, damit es nicht zu Essig verderbe und ihre Einkünfte vermehrt würden. Und darum verboten sie auch jegliches fremde Bier. Und als jetzt ein abtrünniger Wirt, ein berüchtigter Pantscher, ein Fass ausländisches Bier, Delitscher Kuhschwanz geheißen, einführen wollte, wurden die einheimischen Männer aufständig, stürmten und zertrümmerten das Fässlein und ließen es in Bach rinnen. Es war übrigens ein schnödes, elendes Gesöff gewesen.

Dazumal war der Kerzenzieher Jasomirgott Häsinger Bürgermeister der Stadt, zwar gering von Wuchs, doch umso stolzer in der Haltung und von entschiedener Rede. Er führte ein Geschlechterwappen wie nur je einer der ausgestorbenen Raubritter, es hing über seinem Laden und stellte ein artig bittendes Hasenmännlein dar, überschattet von einem drohenden Helm mit einem wilden, verworrenen Straußfedernbusch.

Neben ihm tat sich der politische Schuster hervor. Weil er seinen verbogenen, verwegenen, breitkrempigen Filzhut recht düsterlich in die Stirn drückte, das schwarzrotgoldene Dreifarb in der Krawatte trug, einen finstern Vollbart sich wachsen ließ und auch sonst verwegene und mörderische Gesichter schnitt, hielt man ihn insgeheim für einen ganzen Kerl, einen Umstürzler und Anzetteler, und seine Reden rochen auch danach. »Höll hinein!« fluchte er. »Es muss anders werden in Deutschland! Die Könige und Fürsten tragen die Nasen zu hoch. Das Mittelalter ist aus. Nieder der Metternicherei! Der Kaiser Ferdinand ist schwachsinnig und kann nichts anders als seinen Namen unterschreiben. Und er begehrt, alles soll hübsch beim alten bleiben. Höll hinein, alles muss anders werden!«

Nach einer wüsten Rede des Schusters wurde die steinerne Prangetsäule abgerissen, die seit Menschengedenken nimmer zur Demütigung schändlicher Leute benutzt worden war »Wir brauchen das Schandmal des Mittelalters nimmer«,. hetzte der politische Schuster. Hernach mauerte man die Säule in die Mitte der Brücke ein, die über den blitzblau durch den Ort jagenden Bach führte, und stellte auf den Stein einen hölzernen Nepomuk. Und so steht in Unkenbrunn heute noch der heilige Johannes am Pranger.

Vormals hatte ein bequemer Friede in dem Örtlein gewaltet, und niemand konnte sich erinnern, dass je die Tagwacht in den Gassen habe einschreiten müssen, die Ruhe zu behaupten. Als vorzeiten der Kaiser Franz durch Unkenbrunn reiste, bemerkte er am Tor den Stadtwächter, mit einem ungeheuren Säbel angetan. Der Kaiser fragte: »Braver Mann, ist sein Säbel auch recht scharf?« Worauf der Wächter entgegnete: »O Herr, ich weiß es nicht.« Der Kaiser befahl: »So zieh er ihn heraus!« Der Wächter zog und zog, bis ihm der helle Schweiß aus der Stirn rann, dann ließ er davon ab. »O Herr, es geht nicht!« »Ja, ist denn sein Säbel eingerostet?« wunderte sich Seine Majestät. Darauf seufzte der wackere Mann: »O Herr, ich habe ihn schon so übernommen!« Der gute Kaiser Franz lächelte, und erfreut, dass hier seit hundert Jahren die Obrigkeit nicht das Schwert hatte zu ziehen brauchen gegen den Untertan, schenkte er dem Wächter gnädig sein Bildnis, auf einen silbernen Taler geprägt.

»Diese Zeiten sind um!« schrie jetzt der Schuster Prickelmayer. »Wir brauchen eine Bürgerwehr! Dreimal hoch die löbliche Freiheit!«

Und so gründete man in Unkenbrunn die Nationalgarde. Die Weiber mussten ihre weißen Unterröcke opfern und Hosen daraus schneidern für die wehrhaften Männer. Alles, was einen Vorderlader aufbrachte, ließ sich in die Rotte einreihen. Sie trugen Bärenmützen und schwülstige Federhüte und blutrote Schärpen und ließen sich die Bärte abscheulich verwildern. Mit gerungenen Händen stand der Balbierer vor seinem Gewölb und beweinte den Niedergang seines Gewerbes.

Und wie denn gemeiniglich kleine Männer weit ehrsüchtiger sind als große, so ruhte auch der kurze Bürgermeister Jasomirgott Häsinger nicht, bis er zum Haupt der Nationalgarde gewählt worden war. Zwar war er nie in einen Krieg verwickelt gewesen und kannte darum die soldatischen Befehlswörter nicht, doch diese brachte ihm der alte Turmbläser Tobias bei, ein verabschiedeter Dragoner, der den Napoleon mitgemacht hatte. Und der Abschieder lehrte ihn auch auf einem feisten, geduldigen Bräuhausgaul reiten.

Nach eifrigem kriegerischen Drill sollte Heerschau gehalten werden, das Volk von dem Ernst der Zeit zu überzeugen. Sie suchten sich dazu den schönsten mailichen Sonntag aus.

Mit klingendem Spiel rückte das bewaffnete Bürgertum an, der Hauptmann Häsinger hoch zu Ross voran. Aus allen Gassen liefen die Leute herbei, sich an dem stolzen Schauspiel zu ergötzen und nicht ohne einige Angst vor dem Lärm des Ehrenschusses. Die Bürgermeisterin warf sich in ihrer Neugier so hart an das Fenster des ersten Stockwerks, dass sie mit dem Bett, das dort zum Sonnen auslag, ins Gässlein hinunter fiel.

Am Marktplatz standen sie in Reih und Glied. Zuerst der Bräuer Anton Klampfel mit der Fahne, der größte und stärkste Mann der Stadt; er hatte einen Kropf wie ein Pinzgauer, weil er einmal kaltes Wasser getrunken hatte. Neben ihm düster und abwartend der politische Schuster Idomeneus Prickelmayer. Daneben der bürgerliche Schneidermeister Eufemius Tannböck, er hatte einen krümmen Fuß. Daneben der dicke Rösselwirt, eine Pauke auf zwei Beinen. Dann der dürre Salzverleger Anton Neugröschl. Dann de Krämer Johann Gänselmann, der die Finger immer steif und spitzig von sich hielt, als beobachte er eine Gewürzwaage. Dann der spitzbäuchige Bader Brombeerstäudl. Dann de grobe Schmied Pameißl. Dann der Huterer Lambert Gottselig, heimlich der Stutzfinger gescholten, weil er sich den rechten Zeigefinger abgehackt hatte, dass er nicht zu den Soldaten müsse; jetzt aber tat er sehr blutrünstig, trug das Gewehr links und wollte es auch links abschießen. Und an ihn reihte sich noch mancher, der wert wäre, mit vollem Namen hier verzeichnet zu werden. Und alle standen da wie ein gusseiserner Zaun. Und keiner zuckte mit der Wimper. Und vor ihnen der Hauptmann steil zu Ross, das zum Vorgeschmack der Dinge, die da kommen sollten, eine kräftig Kanonade von sich gab. Doch Herr Häsinger biss die Zähne mannhaft zusammen und schnitt ein ernstes Gesicht, als würde er eben halbiert.

Nun näherte sich der große Augenblick. Der Hauptmann hatte mit scharfer Stimme allerlei Befehle erteilt, und die waren von der Garde aufs strammste befolgt worden. Nun aber riss er, rot wie ein Zinshahn, den Säbel aus der Scheide, funkelte damit und schrie: »Feuer!«

»Krach, krach, krach!« rollte es über Unkenbrunn hin, donnerte es zurück von den alten Häusern. Rauch und Gestank erhob sich.

Den hageren Salzverleger hatte der Rückstoß seines Schusses schmählich auf das Pflaster nieder geworfen, und er lag dort mit der Gebärde eines sterbenden Kriegers.

Der spitzfingerische Krämer gab sehr spät einen einsamen Schuss ab. »Dass man meinen Schuss heraus hört!« entschuldigte er sich nachträglich.

Das Ross des Hauptmanns aber scheute vor dem nie gehörten Lärm, erhob sich plump auf die Hinterbeine und galoppierte dann schwerfällig und unabänderlich in die Pergamentergasse davon und verschwand, allen ersichtlich, zuletzt mit seinem Reiter im Bräuhaustor.

*

Wochenlang rumorte der politische Schuster durch Unkenbrunn und wiegelte das Volk auf. »Mitbürger!« rief eines schönen. Tages. »Der kaiserliche Feldmarschall Windischgrätz, der Fürstenknecht, belagert Prag. Er droht, dass er die Stadt mit Butz und Stingel ausrotten will. Es geht um die Freiheit. Wir müssen mit unserer Hilfe zu den Pragern stoßen. Der Windischgrätz muss die Waffen ablegen! Aber vom Reden allein fällt kein Baum um. Wir müssen aufstehen und dreinschlagen! Wie ein Gewitter müssen wir daherkommen.«

Den Tag, nachdem in Unkenbrunn der Kuhmarkt gehalten worden war, zog die Garde aus. Die Weiber staunten, und die Kinder weinten, und der alte Turmtobias, der den Napoleon mitgemacht hatte, nahm mit zwei Fingern ehrfürchtig die Zipfelmütze ab. Sie schritten mit entschlossenem Kinn und furchtlosen Schnauzbärten dahin, voran der. Hauptmann Häsinger, diesmal zu Fuß. Die Musikanten geleiteten sie bis zum Ägiditor und spielten einen lustigen Trauermarsch. Der Bräuer Anton Klampfel schwenkte übermütig die Fahne.

Draußen auf freier Heide huben sie ein grimmiges Lied an.

»Hei, jetzt marschieren wir in das türkische Land,
hei, Stadt Belgrad ist uns wohlbekannt,
hei, marschieren wir ins weit und breite Feld,
bei Belgrad übers Hochgebirg
zum Spott den stolzen Türken!«

Weiße Wolkenfladen lagen am Himmel, die Vögel sprangen im Baum und gebärdeten sich wunderlich, die Stauden flunkerten samt und sonders im Tau.

Der Einsiedel von Sankt Magdalena sah die Schar daherkommen und nahm sie für fromme Wallfahrer und läutete alsbald sein grelles Glöckel. Es. verdross sie gewaltig, dass man ihre kriegerische Absicht also misskannte, und der Hauptmann ließ sogleich Sturm anschlagen, und der Schneider Eufemius Tannböck trommelte aus Leibeskräften, auf dass der Einsiedel wisse, mit wem er es zu tun habe.

Als sie das Brücklein bei der Moosmühle erreichten, donnerte es zart hinter den Hügeln.

»Hm, hm, ein Gewitter legt sich an«, meinte der Krämer Gänselmann. »Wir hätten den Feldzug verschieben sollen.« Er hatte sich wohlweislich mit einem Regendächlein versehen.

Alle schauten nach ihren Flintenläufen. Sie hatten sie mit Stöpseln aus Rosshaar verstopft, damit es nicht hineinregne, falls die Witterung umschlüge.

»Wenn es in der Früh donnert, treffen denselben Tag noch siebzehn Gewitter ein«, prophezeite der Krämer und meldete sich bei dem Hauptmann, er wolle einmal hinter die Staude treten.

Die Luft war schwül, als wehe sie aus dem Bauch eines Backofens. Die Männer marschierten und häftelten sich die Röcke auf. Der Bader Brombeerstäudl legte sich sein blaues Schnupftuch auf den Nacken, dass er nicht den Sonnenbiss kriege. Und dem Eufemius Tannböck roch ein altgelegener Geißkäse aus dem Ranzen.

Der Krämer Gänselmann kam ihnen nimmer nach.

Kaum waren sie eine hübsche deutsche Meile unterwegs, vertrat ihnen ein frecher Bettelmann die Straße und hielt ihnen die schmutzige Pudelhaube hin. Jeder warf einen Groschen darein, denn sie fürchteten, er könne nach Unkenbrunn laufen und die männerlose Stadt brandschatzen oder anzünden, oder hatte er sonst was im Sinn. – Wer kann es wissen? '

Der Landstreicher deutete auf die Fahne. »Was für einen Fetzen tragt ihr da?«

Den Hauptmann, der die Ehre seines Feldzeichens beleidigt sah, juckte es, dem Verunglimpfer eine geschmalzene Faunze herunter zu hauen, aber er hielt mannhaft an sich, denn ein so gefinkelter, abgeriebener Gaudieb, ein solch heimlicher Meuchelbrenner konnte allerlei Schaden stiften, und man konnte nicht genug vorsichtig sein in dieser arglistigen Zeit. Hernach gerieten sie an einen verrufenen, für die Reisenden sehr gefährlichen Wald mit tannenbestrüppten Felsen.

Der Hutmacher Lambert Gottselig sah misstrauisch darein wie eine Feldkatze. Wie oft sind schon wackere Soldaten aus dem Hinterhalt erschossen worden! »Jetzt fehlt nur noch, dass einer Geistesgeschichten erzählt«, raunte er. Und er stocherte mit dem Spieß, den er sich vors Gewehr geschraubt hatte, ängstlich ins Gebüsch.

»Wenn aber jetzt wirklich der Feind andringt?« fragt nach einer Weile.

»Dann heißt es zielen, schießen, darauf los gehen!« rief der Schuster und setzte den Hut recht waghalsig schief.

»Je nun«, lenkte der Hauptmann ein, »nur nicht gar zu gäh! Denn wenn die Kugel einmal aus dem Loch heraus ist, macht der Teufel damit, was er will.«

Da schwiegen alle beklommen.

Ein Bursch kam ihnen nachgerannt, winkte von Weitem und schrie. Ein Ochs sei daheim ins Bräuhaus eingedrungen, habe die kupferne Pfanne, die wegen des Ausmarsches unbewacht geblieben, bis aufs letzte Neiglein ausgesoffen und sei nachher, des kräftigen Trunkes ungewohnt, wie unsinnig durch die Stadt getaumelt und schließlich im Pfarrgarten in den Brunnen gefallen.

»Wem gehört das Öchslein?« fragte ahnungsvoll der Salzverleger Neugröschl.

»Das Eure ist es, Herr Verleger, das Euere!«

»Eine Leiter her! Der Ochs muss heraussteigen!« rief der Salzverleger und rannte gen Unkenbrunn.

Darauf lehnte der Bräuer die Fahne an einen Kriechenbaum und jagte hinter ihm her. Der Vogel Spötterlein setzte sich flink auf den Fahnenknopf und pfiff.

»Da bleiben! Halt!« donnerte der Hauptmann den Flüchtigen nach. Sie schienen nicht zu hören.

Der politische Schuster nahm trotzig die Fahne in seine Obhut. Und um den Seinen ein Herz zu machen, erzählte er ihnen den Witz, der auf seinem Pfeifenkopf zu lesen stand. Doch wie böses Beispiel immer verderblich weiterfrisst, so hatte auch die Flucht der zwei Treulosen eine üble Wirkung. Der Schmied Pameißl tat seine birkenrindene Tabaksdose auf, er schnupfte behutsam und sagte: »Ich glaube, jetzt bin ich weit genug marschiert.« Er klappte die Dose zu, wandte sich um und ging zurück gen Unkenbrunn. »Was?« zeterte der Hauptmann. »Du handelst meinem Befehl zuwider? Soll ich dich vor das Standgericht bringen und über die Klinge springen lassen? Auf, Kameraden, ergreift ihn!«

Aber die Unkenbrunner ließen untätig die Arme hängen, und der Auskneifer erwiderte mit einer unflätigen Wendung und zog unerschütterlich seines Weges.

»Grüß mir den schönen, grünen Böhmerwald!« rief ihm der Schneider Tannböck weinerlich nach.

Das getreue Häuflein aber trabte weiter über Steg und Stein, vorüber an einem scheintoten Häslein; vorüber an Korn und Wiesen, daraus die Feldhühner aufschwirrten. Es war Hochmittag, da ritt ein Postreiter daher auf hinkendem Gaul.

»Hallo, wie steht es mit der Revolution?« ging ihn der Schuster an.

»Der Windischgrätz schießt gerade Prag zusammen«, antwortete der Reiter. »Wüeh, Brauner!«

»Der sprengt lauter Lügen aus!« rief der Hauptmann. »Aber wir lassen uns nicht irren. Wir wollen tapfer im Feuer stehen und aushalten, und wenn auch ein ganzer Leiterwagen voller Teufel daherfährt!« So rief er, und ihm grauste selber vor seinen Worten.

Seine Mannschaft hatte keinen kleinen Schrecken bekommen. »Und jetzt befehle ich«, setzte der Hauptmann fort, »dass keiner von euch mehr hinter das Gebüsch treten darf. Ich kann es nicht zugeben, dass wir uns noch weiter vermindern.«

Ein Rabe schrie wie ein heiserer Leichenbitter. Eine feiste Hummel schnurrte vorüber. »Schier wie eine Kanonenkugel«, sagte einer. Da duckten sie alle hurtig, der politische Schuster nicht ausgenommen.

»Vorwärts!« befahl der Hauptmann.

»Nur nicht allzu behänd!« maulte der Bader. »Der Tod läuft uns nicht davon.«

»Erwischen darf uns der Kaiser nicht«, uhute der Huterer: »Ein Galgen ist gleich aufgerichtet.«

»Daheim ist daheim«, seufzte der Schneider.

Jetzt wird es langsam brenzlich«, sagte der Rösselwirt erbittert. »Sogar die Notdurft wird einem verboten! Eine saubere Freiheit!«

Nach einer Weile solch aufrührerischen und wankelmütigen Gemurmels trat der Rösselwirt vor, von den andern zum Anwalt ausersehen, und redete, ob es nicht ein ungebührlicher und verwerflicher Freiheitsgeist sei, der da eingerissen, und der sie alle samt ihrem Vaterland Unkenbrunn ins Unglück stürzen könne. »Und wer soll denn daheim das Bier schenken?« fragte er. »Und wer Brot und Semmeln backen? Und wer das Fleisch hacken und den Rauchfang kehren? Und wer, he, soll unsern verlassenen Weibern beistehen? Und werden uns die Weiber nicht leichtlebig verwirtschaften, was wir blutig erworben haben? Ein Weib trägt in der Schürze zehnmal mehr hinten hinaus, als der Mann mit einem Wagen vorn durchs Tor hereinschafft. Darum, Hauptmann, ich melde gehorsamst: wir gehen heim!«. Damit machten die Meuterer kehrteuch und zogen sich in guter Ordnung nach Unkenbrunn zurück.

»lhr Leimsieder! Ihr schäbigen Fretter! lhr Storrschädel!« lästerte der Schuster hinter ihnen her. »Geht zum Geier!« Er und sein Hauptmann aber marschierten unentwegt weiter gegen Prag und ermahnten einander beweglich, unter allen Umständen auszuharren.

So gelangten sie zu einem Fleck, wo sich die Straße teilte, und dort gab eine schiefe, schwarzgelb getigerte Wegsäule Auskunft. Der kurzsichtige Hauptmann kletterte hinauf, sie zu lesen, der weitsichtige Schuster trat zu selbem Zweck tief in eine Wiese zurück. Der eine las: »Nach Prachatitz!« Der andere: »Nach Netolitz!«

Dann standen die zwei Aufrührer einander auf der fremden Straße gegenüber. Sie merkten, dass sie schon unheimlich weit ins Böhmische vorgedrungen waren.

»Wir zwei allein können den Feind nicht zu Schanden treiben«, meinte der Kerzenzieher Häsinger traurig. Der Hase saß ihm im Herzen.

Der ruhmredige Schuster schwieg und sah darein wie eine leidende Seele.

Aber noch einmal bäumte sich sein Rebellenherz auf. Er riss den Rosshaarpfropf aus der Flinte, zielte in die Richtung gegen Prag und gab Feuer.

Ein sommerwelkes Blättlein fiel von einer Linde.

Hernach trotteten die zwei mit gesenkter Fahne wie nach einem mühseligen Feldzug wieder heim nach Unkenbrunn.


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