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Der Venturi Hasenkopf

Also, der Wildbretschütz Venturi Hasenkopf war ein hoch aufgeschossener Kerl, dürr wie ein Wahlfahrerstecken, das Gesicht voller Bart, der Schopf versträubt, die Brust rau wie eine Wildsau und gamsbartene Federn im Hut. Die schwarzen Augen funkelten ihm wie einem Raubtier bei Nacht. Das linke Knie hatte er mit Schrotkörnern gespickt. Drum hinkte er. Aber die Jäger holten ihn doch nicht ein, wenn sie durch Stauden und Wald hinter ihm her waren.

Das Schießen, das war dem Venturi seine höchste Lust. Er hätte nicht dürfen seinem Vater sein Bub sein. Sein Vater war der alte Kaitan gewesen, eine ganz kalte, verwogene Haut, Gott hab ihn selig, wenn ihm zu helfen ist! Der Kaitan hätte auf Sonne und Mond schießen können, bis die Blutstropfen daraus gespritzt wären. Im Herbst, wenn die Hirsche brunfteten, ist er vom Böhmerwald bis in die Steiermark hinunter in die Hirschwälder wildern gegangen. Ein prachtvoll sicheres Auge hat er gehabt und ein gespenstisch unfehlbares Gewehr. Ein Schütz ist er gewesen aus altem Schrot und Holz, der den Leuten auf hundert Schritt weit eine Haselnuss aus den Zähnen hat schießen können. Der Förster Moosholzer hat seinerzeit mit ihm zu schaffen gehabt, zwanzig Jahre war er hinter ihm her wie der Hund hinter dem Wild und hat die Fährte des schleichenden Mannes herausgekannt aus allen Spuren der Wildnis. Und einmal sind die zwei aufeinandergestoßen. In den Seehängen ist es gewesen. Der Förster hat ihn hernach in der wilden Einsamkeit eingescharrt, dass er keine Scherereien bei Gericht habe. Niemand hat gewusst, wohin den Kaitan verschollen ist. Aber der Venturi, sein Bub, hat mit seiner Fuchsnase das Grab, aufgespürt, hat es aufgemacht, dem Toten die hirschledernen Hosen ausgezogen und das Zaubergewehr zu sich genommen und schließlich den Alten wieder vergraben. Der Kaitan soll hernach noch manches Jahr dort gegeistert haben, bis ihn der Schinder in einen Sack beschwor und in das entlegene Klammerloch warf.

Das Blut des Vaters wilderte in dem Sohn weiter. Ums Geld ging der Venturi nicht aus. Das Wildbret schlug er um einen Spott los, er hätte es auch hergeschenkt, wenn ihn einer darum angegangen wäre.

Den Forstleuten wich er sonst nicht aus. Zu Neujahr stellte er sich sogar in der Jägerei ein und sagte treuherzig sein Sprüchlein her:

»Ich wünsch dem Herrn Förster einen goldenen Rock,
der ihm steht als wie ein Nagerlstock.
Ich wünsch der Frau Försterin eine goldene Hauben,
die ihr steht wie einer Turteltauben.«

Es war ein anderer Förster in die Seewälder her versetzt worden, Hirnschroth schrieb er sich, Hubert Hirnschroth. Dem Hirnschroth jagte es die Galle in den Magen, dass sich der Wildbretschütz so dreist in sein Haus traute, und er rumpelte den Venturi an: »Wart nur, dir leucht ich bald einmal unter die Nase!

Dem Venturi machte die Drohung nicht heiß und ein Gewissen hatte er wie ein Franziskanerärmel weit. Nur zu Ostern, wenn er im Beichtstuhl das Gewöll seiner Sünden von sich gab, da rumpelte es in seiner Seele, und er schwur sich feierlich, das Wildschützenleben an den Nagel zu hängen. Und wirklich tat er eine Weile gut. Auf einmal aber stand er wieder nachts mitten drin im finstern Wald, mit wildem Atem, das Gewehr angeschlagen, lauernd, und wusste nicht, wie er hergekommen war. Es lässt sich halt niemand aus seiner Grundfeste heben.

Tagsüber schnitt der Venturi Schindeln, oder er schnitzte Holzschuhe, nachts war er auf dem Anstand. Wann er eigentlich schlief, das war unbekannt. Fragte man ihn danach, so sagte er: »Ich schlaf beim Gehen.« Und am Sonntag während der Predigt schlafe er sich einen Vorrat für die ganze Woche. Er hatte eine starke Natur, die war nicht umzubringen. In dem Jahr, wo der große Windbruch war, schlug ihm bei der Kirchweih ein Glasmacher das Krügel derart hart auf den Schädel, dass die Scherben davon klirrten. Den Ventari focht das weiter nicht an. Erst nach ein paar Wochen suchte er denn Bader auf, das Hirn sumse ihm alleweil so wunderlich. Der Bader besah den Schaden und zog ihm hernach ein Trumm Hutkrempe aus der Kopfhaut heraus. Sie war schier eingewachsen gewesen.

Als das Loch für die Eisenbahn durchs Gebirg gebohrt wurde, raufte der Veuturi mit einem Italiener, stieß ihm schließlich das Messer hinten in den Schädel hinein, dass es brach und die Spitze drin stecken blieb. Der Doktor brachte sie mit aller seiner Kunst nicht heraus. Da ging der Venturi zum Schmied nach Lohberg, zwängte ihm den Kopf zwischen die Knie, arbeite einen halben Tag daran herum und fetzte zuletzt das Eisen mit der Beißzange heraus. Fix, da pfiff der Venturi: Aber sonst war er gesund.

Der Förster Hirnschroth sengte ihm einmal mit einem Schuss den Bart. Oft streiften ihn die Kugeln der Jäger. Der Venturi legte auf die Wunden frische Kuhfladen, die zogen alles wieder aus. Nur die Halsschüsse heilten langsam und taten höllisch weh.

Aber ihn schreckte nichts. Auch das Geistische nicht, das alleweil zur Nacht in der Wildnis spinnt. Vor der wilden Jagd musste er sich einmal aufs Gesicht werfen. Der Teufel selber pirschte vorbei und klopfte ihm auf das Gesäß. »Hoho!« murmelte der Teufel. »Da hat ein Maulwurf auf geworfen!« Und er ging fürbass. Dieses unflätige Erlebnis gab der Venturi gern zum Besten.

Und so trieb er es, und so lebte er dahin, bis er alt und grau wurde.

Einmal wurde er aber doch aus seiner Verstocktheit aufgestört. In einer Sommernacht schoss er auf die Jäger, und die blieben ihm nichts schuldig und pfefferten zurück. Einer traf ihn. Der Wildschütz schleppte sich bis zum Herrgottsriegel, dort stopfte er Moos in die Wunde, das Blut zu stillen. »Heuer brauch ich keinen Bader, der mir die Ader schlägt«, verspottete er sich selber.

Der Venturi war ein herzhafter Mann, und wenn man ihm das Bett zur Mitternacht auf den Friedhof gestellt hätte, er hätte seelenruhig geschlafen. Aber diesmal zog es ihm die Haare zu Berg, und ihm war, als grinse der Fels als lache ein Baum auf. Und er lehnte an dem Riegel, Räder tanzten ihm vor den Augen, und ein Gespenst gaukelte daher, wie eine fliegende Spinnwbe kam es näher und näher. »Tot oder lebendig, wer bist du?« ächzte der Venturi. »Red! Oder ich schieß!«

Es war der Geist des alten Kaitan, dessen Fleisch erschossen und verwest im Gehäng der Teufelsseewand lag.

Dem Veaturi kam die Scheu alleweil ärger. Er fragte halblaut: »Vater, wie geht es zu drüben?« Aus dem Maul des Gespenstes wehte ein blaues Licht, und es redete langsam und traurig: »Abrechnen tun sie genau. Sie schenken einem nichts.«

Heimgekommen ist damals der Venturi wie vom Satan gehetzt. Eine Woche lang, fieberte und seufzte er: »Lebendig brenn ich in der Höll!« Und die Schrotkörner unter seiner laut meldeten sich und bissen wie die Gewissenswürmer. Als ihn das Fieber wieder ausgelassen hatte, führte ihn sein erster Weg in die Jägerei. »Förster, ich will mich verändern«, sagte er und schaute gar sündlich darein. »Nach Mariazell will ich wallfahrten und büßen!«

Der alte Hirnsdtroth sauste ihn an: »He, ist dir der Hubertushirsch begegnet, du Habergeiß?«

»Förster, um zwei Schwartenbretter bitt ich euch. Ich will mir ein Kreuz daraus zimmern und es tragen auf meiner Bußfahrt.«

Lange und verdächtig schaute der Förster ihm ins Gesicht:

Aber der Venturi hielt den Blick in aller Demut aus. Da schenkte ihn der Hirnschroth die zwei Schwartlinge.

Am Tag Maria-Schnee machte sich der Büßer Venturi auf, das lange Holzkreuz geschultert, und von den Dorfleuten reichlich bedacht mit allerlei Wegzehrung und silbernen Zwanzigern, dass er ihrer gedenke, wenn er vor der hohen Mariazeller Frau knie. Ratlos stand er da wie der Teufel, der sich in den Himmel verirrt hat.

Auf der alten Poststraße geleiteten sie ihn weit in den Wald hinein. Und dort verabschiedete er sich mit einem Gesicht, das aller schnöden Pracht der Welt absagte, und alle weinten über so viel Reue und so viel Buße, die da den harten Weg dahinhinkte. »Meine Stunde ist da!« Das war sein letztes Wort gewesen.

Die ganze Woche redete m n im Dorf von nichts anderem als vom Venturi. Sie sahen ihn auf der heißen, staubigen Straße das Kreuz schleppen, die Achseln wundgerieben, und das Blut tröpfelte von den Fersen. Wenn der Nebel feucht und qualmig durchs Tal rann, schauten sie den Büßer verirrt in der wilden Fremde, müd und zerschlagen auf einer Felsenzacke droben sitzen, davon er nimmer herunter konnte. Und über die Donau musste er ja auch, und die war abscheulich tief, und wer weiß, ob die Brücke gut imstand ist, darüber er wallfahrtet, und ob nicht gerade ein morsches Brett unter ihm bricht und er gottskläglich ertrinken muss im Wasser? Und am Samstag ging ein schweres Gewitter nieder, die Blitze flogen im Zickzack, der Teufel schoss Purzelbäume im Gewölk, da schlugen sie im Dorf die Wetterbüchlein auf, drin die Bitten gegen Donnerstrahl und Schauer gedruckt standen, und beteten inbrünstig, dass den bußfertigen Ventari nicht der Donner treffe:

Weiß der Fuchs, auch dem Förster Hirnschroth war in diesen Tagen ganz zweierlei ums Herz. Verdrossen schlich er umher, ihn freute nicht Pfeife noch Hund noch Weib. Der Wald schien ihm leer und ausgestorben.

Wie eine Woche um war, hielt er es bei sich selber nimmer aus. Er spannte das Ross ein, setzte den grünen Hut auf und fuhr, von einem unheimlichen Zwang getrieben, kerzengerade in die Welt hinein.

Nach einer guten Stunde kam er in das Dorf Holzschlag. Und wie er so arglos dahin fuhr, hörte er es vom Wirtshaus her lustig singen und schreien, und die Kegel flogen auf einer Scheibstatt. Auf einmal horchte er mit den Stockzähnen, und wie er den Wagen vor der Kegelbahn anhielt, sah er dort den Venturi hemdärmelig und, mit einem Juchschrei die Kugel schleudern. Das Schwartlingkreuz aber lehnte gottverlassen an der Kegelbahn.

Der Förster sprang vom Wagen, den Venturi schnob er an: »O du elender Duckmäuser! Das also, ist deine Bußfahrt gewesen? Der Venturi schaute darein wie ein eingekreister Hirsch. »Ich bin noch nicht weit kommen«, stammelte er. Er hatte sich übermäßig mit Bier beladen.

»Du hast übel bestanden!« schrie der Hirnschroth.

Hernach lud er ihn samt dem Schwartlingkreuz hinter sich auf den Wagen und fuhrwerkte ihn heim. Bei jeder Martersäule, bei jeder Kapelle aber hielt er das Ross an und ließ den Venturi aussteigen niederknien und abbitten. Und zuweilen gewann wieder der Rausch die Oberhand, und der alte Wildbretschütz grölte:

»Am Jüngsten Tag da putzt ein jeder
wohl sein Gewissen, sein Gewehr,
hernach marschieren alle Jäger
aufs Gamsgebirg zum Luzifer.«

Daheim rissen sie die Augen auf wie die zwei miteinander daher kutschiert kamen, und der Venturi hatte im Dorf wenig gute Stunden mehr, als es ruchbar geworden war, wie weit seine Bußfahrt gegangen. Und im ganzen Wald erzählten sich die Leute die seltsame Geschichte von dem Förster, der Heimweh nach seinem Wilddieb gehabt hatte.

Der Venturi aber bekam es mit seinem Gemüt zu tun, er schlich ganz absinnig herum, sperrte eines Tages seine Hütte zu, tat einen Schuss ins Himmelblaue und reiste mit der Eisenbahn nach Wien, er mußte irgendwo hin, wo es keinen Wald gab, das spürte er. Und weil sein unruhiges Blut ihn in der Nacht nimmer schlafen ließ, so besorgte er sich einen Nachtwächterposten. Soweit war er jetzt zufrieden. Nur kein Gewehr durfte er sehen. Denn da wurde er hochrot und fieberig, und die Zehen fingen ihm im Schuh zu gehen an. Nach Jahr und Tag kam er wieder ins Dorf zurück, suchte seine verlassene Hütte auf und legte sich hin, um zu sterben. Es war ein linder Abend. Das Versehglöckel läutete fern wie die Schelle einer waldvergessenen Geiß, und der Herr Pfarrer suchte den Venturi heim und setzte sich zu dem Kranken ans Bett. Zunächst striegelte er ihm gebührlich das Gewissen, und hernach redete er ihm freundlich zu: »Heraus jetzt mit deiner Litanei! Sonst kämmt der Teufel mit der Spicknadel!« Der Venturi sah darein wie der schmerzhafte Freitag, klopften an seine Brust und beichtete Das Fenster war offen, der nahe Wals sauste, im Mondschein davor lag die Wiese, und der Jägerstern stieg. Mitten in seiner gottergebenen Beichte aber stockte der Venturi, er reckte sich jäh auf, die Augen gleißten ihm: draußen, auf dem grünen Rasen graste ein zierliches Waldbretlein.

Und der Venturi tappte blitzschnell unters Bett, riss einen Stutzen hervor, stutzte hastig den Lauf auf die Schulter des Pfarrers, zielte kurz und krachte los.

Der Bock tat einen steilen Sprung und brach zusammen. Zeternd fuhr der Pfarrer auf.

»Ins Blatt getroffen!« lachte der Venturi. Hernach legte er sich aufs Bett zurück, streckte sich und war hin.


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