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Rankel, der Riese

Mitten in der Einsamkeit unter den harten Bäumen wuchs der Rankel Sepp hoch, der stärkste Mann im Böhmerwald. Von Schmalz, saurer Milch und schwarzem Brot wurde sein Leib so riesenhaft und sein Arm so voll übermenschlicher Kraft.

Es taten sich allerlei Gewaltkerle in der Welt hervor: der eine drehte mit den Fingern eiserne Nägel zu Schrauben, der andere trug dem Schmied den Amboss davon, ein dritter hob mit einem Arm ein Ross samt dem gepanzerten Reiter in die Höhe. Ich hätte diese Riesen gern mit dem Rankel Sepp raufen sehen. Teufel noch einmal! Keiner hätte ihm Stich gehalten.

Einmal hat es einer von der Zunft mit ihm versucht. Der Sepp ackert gerade. Da kommt quer übers Feld ein vierschrötiger, einstöckiger Mann daher, stellt sich den Ochsen in den Weg und verzieht den Mund weit hinter gegen die Ohren, als habe er den Hundskrampf. »Geh weg!« meint der Sepp. Der Fremde trutzt: »lch mag nicht.« Fragt der Sepp: »Wer bist du, und was willst du von mir?« Sagt der andere: »Der böhmische Herkules bin ich, und wissen will ich, wer von uns zweien den anderen schmeißt!« Der Rankel Sepp ist nicht neugierig auf Sachen, die er schon zum Voraus weiß; sanftmütig sagt er: »Gib Ruh, Büebel!« Aber der Herkules wird immer kecker, er tanzt vor den Ochsen hin und her und tut seine großmächtigen Sprüche. Bis der Sepp schließlich sagt: »Wenn du es nicht nachgibst, so gehen wir es halt an!« Er legt sein kurzes lodenes Röcklein ab, greift mit den langen Armen nach dem Herkules, packt ihn um die Mitte, lupft ihn und schmeißt ihn aufs Feld hin, dass der Staub auffährt. Hernach ackert er ruhig wieder weiter. Der Herkules aber bleibt eine hübsche Weile auf demselben Fleck liegen; danach klaubt er sich zusammen und hinkt davon. Trotz seiner grausamen Stärke hatte der Rankel Sepp allezeit seine Freude an einem schönen, geruhigen Wesen, und er stiftete gern auf seine Art Frieden unter den Leuten. Gerieten irgendwo zwei aneinander, so ermahnte er sie liebreich, voneinander abzulassen und sich keine krummen Worte zu geben; nutzte die Vermahnung nichts, so packte er die zwei bei den Genicken und stieß ihnen die hitzigen Köpfe so lange zusammen, bis sie um Gottes Willen versprachen, sie wollten sich aussöhnen. Er riss wohl auch, wenn es am Tanzboden blutig drunter und drüber herging, das Knetscheit aus dem Backtrog und schlug damit wie der höllische Urfeind auf die Raufvögel ein oder ging mit dein Backtrog selber los und räumte aus. Er war so viel friedfertig.

Freilich warf er manchmal auch ganz ohne Grund und Ursache, und ohne ein Wörtlein zu reden, einen Gast nach dem andern und zuletzt noch den Wirt aus dem Einkehrhaus hinaus, bis er schließlich allein die Stube behauptete. »Ich bin halt das Alleinsein gewohnt«, entschuldigte er sich nachher.

Schon in seiner Bubenzeit war er mit schrecklichen Kräften bewehrt gewesen. Einmal schaffte ihm der Vater, er solle einspannen und in die Brettmühle fahren. Der Sepp geht in den Stall, erwischt eines von den zwei weißscheckigen, stämmigen Öchslein beim Schwanz und beim Horn und hält es zur Tür hinaus. »Vater, soll ich die zwei einspannen?« Später übernahm er die Ranklau, eine Einöde zwischen den Dörfern Haidl und Innergefild, bewirtschaftete sie treulich, wurde ein guter Hausvater und zügelte eine Schar kerniger Kinder. Er war ein Kerl von altem Schlag, rau wie aus den Felsen geboren, in den Knochen das Mark der alten Bären und so hoch gewachsen, dass man, wenn er hinter den Stauden dahinging, meinte, es reite dort einer auf dem Ross. Dabei war er schüchtern wie alle Einschichtleute; wenn er mit einem Fremden redete, drehte em verlegen den breiten Filzhut in den Händen. Aber wehleidig, wie sich sonst just die starken Männer gebärden, war er nicht: er zog sich sogar einmal selber mit dem Schlüssel einen vielwurzeligen Stockzahn aus dem Kiefer.

Die Landsleute und Nachbarn verstanden es, seine wilde Kraft auszunützen. Hatte man große Bäume zu verladen, so rannte man um den Sepp, er solle helfen. Stieß er irgendwo auf einen umgefallenen Heuwagen, so richtete er ganz allein ihn wieder auf. Oft plagte ihn bei solchen Wohltaten die Spitzbüberei, und er legte ein mächtiges Trumm Stein auf das Heu hinauf, dass hernach drei Männer zu schaffen hatten, den Felsbrocken wieder herunterzubringen. Oder er trachtete beim Heben der Bäume die Hand des Nachbarn zwischen den Stamm und seine Pratze zu kriegen. »Druck nur fest an!« sagte er scheinheilig zu dem Gemarterten, der alle Teufel singen hörte.

Das Ländlein, das den Rankel Sepp trug, war arg bucklig. Einmal fuhr er mit einem mit Kies für die Glashütte Vogelsang schwer beladenen Wagen eine jähe Straße hinunter. Der Wagen rollte immer schneller und bedenklicher, und der Jäger von Goldbrunn, der dem Sepp begegnete, schrie ihm zu, er solle doch die Schleife eindrehen und den Radschuh anlegen, sonst sei das ganze Fuhrwerk hin. Der Sepp aber schrie ärgerlich zurück, er habe sein Lebtag solch unnützes Zeug nicht gebraucht, und er tappte mit der breiten Pranke nach dem Hinterrad und hielt es so hart, dass die Rösser gewaltig sich in die Stränge legen mussten, den Wagen ins Tal hinunterzuziehen.

Ein anderes Mal führte er Holz und kam dabei zu einer angefaulten Brücke. Und weil er merkte, sie ertrüge die Last nimmer und müsse darunter einbrechen, so kroch er unter die Brücke, spie in die Hände, stemmte sich in die Knie und lehnte den ungeheuren Rücken an das morsche Gebälk. »Wüoh, meine Katzen!« schrie er dann den Rössern zu, und sie zogen an. Die Balken hätten gern nachgegeben, aber der Brückenpfeiler aus Fleisch und Bein hielt stand, und so kam das Fuhrwerk ohne Schaden über den Bach. Die Brücke stürzte bald danach unter den Tritten einer Kuh ein.

In der böhmisdten Stadt Pisek warf der Sepp sich einem wütenden Stier entgegen, der in den Gassen die Leute niedertrampelte. Er zwang dem Vieh den Kopf zur Erde und drehte ihm dabei in seinem Eifer ein Horn aus. »Gelumpet!« sagte er verächtlich und warf das Horn weg.

Der Rankel Sepp ist schon längst dahin. Doch kennt heute noch jedes Kind im Reichensteiner Land seinen Namen. Mir gebricht es an Zeit, noch mehr von seinem Ungestüm zu erzählen. Aber sein Meisterstück will ich doch noch anführen, auf dass es nicht in Vergessenheit gerate.

In einer Herbstnacht des Jahres 1870 brach der große Sturm aus, der die hundertjährigen Wälder über den Haufen stieß und im Böhmerwald eine unbeschreibliche und unvergessliche Verwüstung hinterließ.

Der Rankel Sepp war in selber Nacht mit seinen Leuten daheim. »Heut blüht dem Teufel sein Weizen«, sagte er. Der Sturm war hirnwütig geworden, er nahm die Zäune mit sich und legte die Scheuer um. Das dünne Glöcklein am Dachturm läutete von selber, und winselte wie ein ausgestoßener Hund. Das Vieh im Stall wurde vor Angst aufrührerisch, die Gäule schauderten, die. Rinder brüllten. Draußen in der Nacht rollte es dumpf, krachte es hell. Der Sturm drehte die Tannen, dass ihnen die Stämme zersprangen. Der Sepp lauschte auf. »Das Dach will sich heben!« sagte er. Und er jagte hinauf auf den Boden, verangelte sich mit dem Fuß in der Stiege und griff mit den Armen ins Gesparr. Drunten in der Stube steckt sein Weib ein geweihtes Licht auf den Kerzenstock, kniet mit den Kindern davor und ruft: »Gott, hilf der Welt!«

Der Sepp hält mit steinernen Armen das zuckende Dach. Zuweilen rührt sich dieses heftiger und wiegt sich und zieht den Mann in die Höhe, reckt und dehnt ihn, als wolle es ihm den Leib mitten auseinanderreißen. Die Knie krachen ihm. Er lässt nicht nach.

Draußen scheint ein geschwellter Fluss über das Haus dahin zu brausen. Der Sturm reißt die uralten Bäume vom Gebirg. In der schreienden, ächzenden Nacht splittern die Wälder hin. Hirsche werden erschlagen, Menschen verweht, die Türme fallen von den Kirchen. Ein Getöse ist, als stürzten die Berge ein, als gehe die Welt unter. Oder schüttelt der Herrgott wieder einmal ein ganzes Heer von Teufeln aus dem Himmel?

Zwei Stunden lang hält der Rankel Sepp sein Dach. Es dauert ihm lange. »So schmeckt die Ewigkeit«, denkt er; Dann lässt das Unwetter nach, und die Gefahr ist vorbei. Der Schweiß rinnt von dem Riesen, kein trockener Faden ist an ihm. Er schnauft auf wie ein Ross, das auf einen sehr steilen Berg hinaufgekommen ist. Hernach taumelt er die Stiege hinunter.


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