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Nachwort

Hiermit lege ich die in meiner kleinen Walther-Biographie (Koehler & Amelang, 1943; 2. Aufl. 1944) angekündigte zweisprachige Ausgabe vor, die das dort entworfene Bild des Dichters durch sein eigenes Wort beglaubigen will. Sie enthält sein gesamtes Werk, so wie es die durch Carl von Kraus besorgte letzte (zehnte) Auflage der Lachmannschen Textausgabe (1936) darbietet. Indessen habe ich statt der Lachmannschen Reihenfolge der Gedichte, die den Leser nur verwirren und abschrecken kann, nach Lebensabschnitten und den poetischen Gattungen geordnet, wobei ich für die Lieder und gewisse Sprüche die Reihung nutzen konnte, die Carl von Kraus in seinen »Walther-Untersuchungen« (1935) gegeben hat. Wie manches hier auch zweifelhaft bleiben muß, das Ganze zeigt doch eine Entwicklung, die in sich wahrscheinlich ist und in klarer Wechselwirkung mit dem politischen und geistigen Zeitgeschehen steht. – Um den Künstler und Musiker Walther deutlicher vor Augen zu stellen, habe ich den dreiteiligen Strophenbau – mit seinen beiden Stollen und dem Abgesang – kenntlich gemacht.

Alle bisherigen Übersetzer – die Reihe beginnt mit Hofmannswaldau (1673) und setzt sich über Gleim, Tieck und den hochverdienten Simrock bis in die Gegenwart fort – sind sich einig in dem scheinbar selbstverständlichen Grundsatz, Walther dadurch nahe zu bleiben, daß sie Bau, Worte und Reime seiner Gedichte möglichst beibehalten. In Wahrheit kann man deren Sinn nicht sicherer fälschen oder trüben, als wenn man, sozusagen nur mit neuer Rechtschreibung, »guot« mit »gut« wiedergibt oder »ir sult sprechen« mit »ihr sollt sprechen«: der Bedeutungswandel, den die meisten Wörter in 700 Jahren erfahren haben, und die ebenso großen Veränderungen im Satzbau und Ausdruck, letztlich im ganzen Gefühls- und Geistesleben, lassen eine solche Lösung nur selten zu.

Angemessen erscheint vielmehr eine einfache Prosa-Übersetzung, die keinen andern Ehrgeiz hat, als den Urtext verstehen zu lassen. Die hier vorgelegte ist überall der wissenschaftlichen Arbeit des letzten Jahrhunderts verpflichtet, wie sie in den großen Wörterbüchern und kleinen Beiträgen, besonders in den Kommentaren Pfeiffers und Wilmanns' niedergelegt ist; am meisten den »Walther-Untersuchungen«, die so manches Gedicht oder Wort unserm Verständnis zurückgewonnen haben; und ich freue mich, Herrn Geheimrat von Kraus auch an dieser Stelle dafür danken zu können, daß er mir die Benutzung seiner Übertragungen gestattet (die ganz oder größtenteils übernommenen sind durch * gekennzeichnet) und auch sonst meine Arbeit mit fördernder Teilnahme begleitet hat. – Ich hoffe, in der Wiedergabe dieser Lyrik den oft schmalen Weg zwischen gewissenhafter Deutlichkeit und prosaischer Übergenauigkeit nicht verfehlt zu haben, auch dem Reichtum und der Vieldeutigkeit Waltherschen Ausdrucks einigermaßen nachgekommen zu sein.

Hiermit wird dieser Dichter zum ersten Male auch dem »tumben leien« zugänglich, und das zu einer Zeit, die mehr als je eine sich gedrungen fühlt, auf allen Gebieten frühere Werte in Leben und Tat zu verwandeln. Möge im Bewußtsein der Nation neben die großen bildenden Künstler unsres Mittelalters nun auch der Sänger treten, der Not und Größe unsrer Kaiserzeit in unvergängliches Wort gefaßt hat.


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