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Sprüche zur Zeit Ottos IV.

(1208-1215)

Reich

11,30-12,15. Begrüßung des Kaisers (1212)

Herr Kaiser, seid willkommen! Der Königstitel ist von euch genommen, darum leuchtet eure Krone über allen Kronen. Eure Hand ist voll Macht und Reichtum: je nachdem ihr Böses oder Gutes vorhabt, so kann sie sowohl strafen wie lohnen. Außerdem verkünde ich euch: die Fürsten sind euch ergeben; sie haben, wie es sich ziemt, euer Kommen abgewartet. Und gerade der Meißner ist ganz gewiß der Eure – eher würde ein Engel Gott abwendig gemacht.

Hêr keiser, sît ir willekomen.
    der küneges name ist iu benomen:
    des schînet iuwer krône ob allen krônen.
iur hant ist krefte und guotes vol:
    ir wellet übel oder wol,
    sô mac si beidiu rechen unde lônen.
dar zuo sag ich iu mære:
    die fürsten sint iu undertân,
    si habent mit zühten iuwer kunft erbeitet.
    und ie der Mîssenære
    derst iemer iuwer âne wân:
    von gote wurde ein engel ê verleitet.

12,6-17. Göttliche Botschaft (1212)

Herr Kaiser, ich bin ein Bote des Herrn und bringe euch einen Auftrag von Gott. Ihr besitzt die Erde; er besitzt das Himmelreich. Er läßt vor euch (ihr seid ja sein Schirmherr) Klage erheben: in seines Sohnes Lande trotzt euch beiden zur Schmach die Heidenschaft. Ihr werdet ihm sicher mit Freuden zu seinem Recht verhelfen. Sein Sohn heißt Christ, der läßt euch mitteilen, wie er's vergelten wolle; so laßt ihn einen Bund mit euch schließen. Da wo er Schirmherr ist, wird er euch zu eurem Recht verhelfen, selbst wenn ihr gegen den Teufel aus der Hölle Klage erhebt.

Hêr keiser, ich bin frônebote
    und bring iu boteschaft von gote.
    ir habt die erde, er hât daz himelrîche.
er hiez iu klagen (ir sît sîn voget),
    in sînes sunes lande broget
    diu heidenschaft iu beiden lasterlîche.
ir muget im gerne rihten:
    sîn sun der ist geheizen Krist,
    er hiez iu sagen wie erz verschulden welle:
    nû lât in zuo iu pflihten.
    er rihtet iu da er voget ist,
    klagt ir joch über den tievel ûz der helle.

12,18-29. Aufforderung zum Kreuzzug (1212)

Herr Kaiser, wann ihr in Deutschland bei Strafe des Stranges einen dauerhaften Landfrieden herstellt, dann huldigen euch die Völker des Auslandes. Das werdet ihr mühelos erlangen, und dann gebt der ganzen Christenheit den Frieden; das erhöht euch und schmerzt die Heiden sehr. Ihr führt zwei Kaiserkräfte mit euch, den Edelsinn des Adlers, die Stärke des Löwen; die sind auf dem Schilde das Wappen des Herrn, die beiden Kampfgenossen. O wollten sie nur auf die Heiden los! was widerstände dann ihrer Tapferkeit und ihrer Güte?

Hêr keiser, swenne ir Tiuschen fride
    gemachet stæte bî der wide,
    sô bietent iu die fremeden zungen êre.
die sult ir nemen ân arebeit
    und süenent al die kristenheit:
    daz tiuret iuch, und müet die heiden sêre.
ir tragt zwei keisers ellen,
    des aren tugent, des lewen kraft:
    die sint des hêrren zeichen an dem schilte,
    die zwêne hergesellen:
    wan woltens an die heidenschaft!
    waz widerstüende ir manheit und ihr milte?

11,6-17. Päpstlicher Segen und Fluch (1212)

Herr Papst, ich kann leicht in den Himmel kommen, denn ich bin Willens, euch zu gehorchen. Als ihr dem Kaiser Gottes Segen erteiltet, da hörten wir euch der Christenheit befehlen, was wir ihm schuldig wären: daß wir ihn nämlich Herr nennten und vor ihm knieten. Vergeßt auch nicht, daß ihr sagtet: »Jeder, der dich segnet, sei gesegnet; jeder, der dir flucht, sei verflucht mit vollgewichtigem Fluche!« Um Gottes Willen überlegt euch die Sache, wenn anders euch das Ansehen der Kirche irgend am Herzen liegt.

Hêr bâbest, ich mac wol genesen:
    wan ich wil iu gehôrsam wesen.
    wir hôrten iuch der kristenheit gebieten
wes wir dem keiser solten pflegen,
    dô ir im gâbent gotes segen,
    daz wir in hiezen hêrre und vor im knieten.
ouch sult ir niht vergezzen,
    ir sprâchent ›swer dich segene, sî
    gesegent: swer dir fluoche, sî verfluochet
    mit fluoche volmezzen.‹
    durch got bedenkent iuch dâ bî
    ob ir der pfaffen êre iht geruochet.

12,30-13,4. Doppelzüngigkeit (1212)

Gott gibt, wen er will, zum König. Darüber wundere ich mich nicht; wohl aber wundern wir Laien uns über die Vorschriften der Geistlichen. Was sie uns vor Kurzem vorschrieben, das wollen sie uns jetzt widerrufen. Nun mögen sie doch um Gottes und ihres eigenen Ansehens willen so gut sein und uns aufrichtig sagen, mit welcher Weisung wir getäuscht worden sind. Mögen sie die eine davon von Grund auf vollständig auseinandersetzen, die alte oder die neue. Uns kommt es nämlich vor, eine davon sei eine Lüge. Zwei Zungen passen nicht in einen Mund.

Got gît ze künege swen er wil:
    dar umbe wundert mich niht vil:
    uns leien wundert umbe der pfaffen lêre.
si lêrten uns bî kurzen tagen:
    daz wellents uns nû widersagen.
    nû tuonz dur got und dur ir selber êre,
und sagen uns bî ir triuwen,
    an welher rede wir sîn betrogen;
    volrecken uns die einen wol von grunde,
    die alten oder die niuwen.
    uns dunket einez sî gelogen.
    zwô zungen stânt unebne in einem munde.

11,18-29. Der Zinsgroschen (1212)

Als Gottes Sohn hier auf Erden ging, da versuchten ihn die Juden immerzu; so taten sie es eines Tages mit folgender Frage. Sie fragten, ob sie als Freie dem Kaiser irgendeinen Zins geben müßten. Da zerschlug er ihnen den Hinterhalt und alle ihre Tücke. Er verlangte einen Prägestempel; er sagte: »Wessen Bild ist hier eingegraben?« – »Das des Kaisers«, sagten da die Aufpasser. Da empfahl er den Toren, sie sollten dem Kaiser seine Königsgebühren zukommen lassen, und Gott alles, was Gott gehöre.

Dô gotes sun hien erde gie,
    do versuohten in die juden ie:
    sam tâtens eines tages mit dirre frâge.
si frâgeten obe ir frîez leben
    dem rîche iht zinses solte geben.
    dô brach er in die huote und al ir lâge.
er iesch ein münizîsen,
    er sprach ›wes bilde ist hie ergraben?‹
    ›des keisers‹, sprâchen dô die merkære.
    dô riet er den unwîsen
    daz si den keiser liezen haben
    sîn küneges reht, und got swaz gotes wære.

33,1-10. Simonie (1213)

Ihr Bischöfe und ihr vornehmen Geistlichen, ihr seid irregeleitet. Seht, wie euch der Papst mit Stricken des Teufels fesselt. Wenn ihr uns erklärt, in seiner Hand lägen St. Peters Schlüssel, so erklärt doch auch, warum er dessen Anleitungen aus der Bibel auskratzt. Uns wurde durch die Taufe untersagt, von Gottes Gabe irgend etwas zu kaufen oder zu verkaufen. Jetzt leitet ihn sein Zauberbuch dazu an, das ihm der Schwarze aus der Hölle gegeben hat, und aus euch wählt er seine Sprachrohre. Ihr Kardinäle, ihr schirmt euren Chor mit einem Dach; dagegen steht unser heiliger Altar unter einer bösen Traufe.

Ir bischofe und ir edeln pfaffen sît verleitet.
    seht wie iuch der bâbest mit des tievels stricken seitet.
    saget ir uns daz er sant Pêters slüzzel habe,
    sô saget war umbe er sîne lêre von den buochen schabe.
    daz man gotes gâbe iht koufe oder verkoufe,
    daz wart uns verboten bî der toufe.
    nû lêretz in sîn swarzez buoch, daz ime der hellemôr
    hât gegeben, und liset ûz iu sîniu rôr:
    ir kardenâle, ir decket iuwern kôr:
    unser alter frôn derst under einer übelen troufe.

33,11-20. Der neue Judas (1213)

Wir klagen alle und wissen doch nicht, was uns fehlt: daß uns nämlich der Papst, unser Vater, so ganz in die Irre geführt hat. Nun geht er doch höchst väterlich vor uns her, wir folgen ihm und weichen keinen Schritt aus seiner Spur. Jetzt gib acht, Welt, was mir daran mißfällt. Ist er habsüchtig, so sind sie alle mit ihm habsüchtig; lügt er, so lügen alle mit ihm seine Lügen, und betrügt er, so betreiben sie mit ihm seine Betrügereien. Jetzt gebt acht, wer imstande ist, mir das übel auszulegen: durch solche Taten verrät sich der neue Judas geradeso wie der alte dort.

Wir klagen alle, und wizzen doch niht waz uns wirret,
    daz uns der bâbest unser vater alsus hât verirret.
    nû gât er uns doch harte vaterlîchen vor:
    wir volgen ime und komen niemer fuoz ûz sînem spor.
    nû merke, welt, waz mir dar ane missevalle.
    gîtset er, si gîtsent mit im alle:
    liuget er, si liegent alle mit im sîne lüge:
    und triuget er, si triegent mit im sîne trüge.
    nû merkent wer mir daz verkêren müge:
    sus wirt der junge Jûdas, mit dem alten dort, ze schalle.

33,21-30. Innozenz III. (1213)

Der römische Thron ist erst jetzt richtig besetzt, so wie einst durch jenen Zauberer Gerbert. Der stürzte zwar nur sich selbst ins Verderben; dagegen will dieser sich und die ganze Christenheit ins Verderben stürzen. Laßt alle einstimmig zu Gott Wehe! schreien und ihm zurufen, wie lange er noch schlafen wolle. Sie wirken gegen seine Werke und verfälschen seine Worte. Sein Kämmerer stiehlt ihm seinen Himmelsschatz, sein Friedestifter mordet hier und raubt dort, sein Hirte ist ihm zum Wolf unter seinen Schafen geworden.

Der stuol ze Rôme ist allerêrst berihtet rehte,
    als hie vor bî einem zouberære Gêrbrehte.
    der selbe gap ze valle wan sîn eines leben:
    sô wil sich dirre und al die kristenheit ze valle geben.
    alle zungen suln ze gote schrîen wâfen,
    und rüefen ime, wie lange er welle slâfen.
    si widerwürkent sîniu werc und felschent sîniu wort.
    sîn kamerære stilt im sînen himelhort,
    sîn süener mordet hie und roubet dort,
    sîn hirte ist zeinem wolve im worden under sînen schâfen.

34,4-13. Der welsche Geldschrank (1213)

Ei, wie christlich lacht jetzt der Papst, wenn er seinen Welschen erzählt: »Ich hab's folgendermaßen angestellt!« (Was er da erzählt, daran hätte er nimmermehr auch nur denken dürfen). Er sagt: »Ich habe zwei Alemannen unter eine Krone gebracht, damit sie das Reich verwirren und verwüsten sollen. Währenddessen füllen wir die Truhen. Ich habe sie an meinen Stock getrieben; alles was sie haben, ist mein. Ihr deutsches Silber wandert in meinen welschen Schrank. Ihr Pfaffen, eßt Hühner und trinkt Wein, und laßt die deutschen Laien abmagern und fasten.«

Ahî wie kristenlîche nû der bâbest lachet,
    swenne er sînen Walhen seit ›ich hânz also gemachet‹!
    (daz er dâ seit, des solt er niemer hân gedâht).
    er giht ›ich hân zwên Allamân undr eine krône brâht,
    daz siz rîche sulen stœren unde wasten.
    ie dar under füllen wir die kasten:
    ich hâns an mînen stoc gement, ir guot ist allez mîn:
    ir tiuschez silber vert in mînen welschen schrîn.
    ir pfaffen, ezzent hüenr und trinkent wîn,
    unde lânt die tiutschen leien magern unde vasten.

34,14-23. Der Opferstock (1213)

Gesteht, Herr Stock: hat euch der Papst hergesandt, damit ihr ihn reich und uns Deutsche arm macht und ausraubt? Sobald ihm die ganze Fülle zum Lateran kommt, so vollführt er wie früher ein Bubenstück: bis ihn abermals alle Pfarren gefüllt haben, erzählt er uns alsdann, das Reich sei in Verwirrung. Ich glaube, nichts von dem Silber kommt in Gottes Land zu Hilfe; große Schätze teilt die Hand von Pfaffen niemals aus. Herr Stock, ihr seid hergesandt, um Schaden zu stiften und aus deutschen Menschen Närrinnen und Verrückte auszusuchen.

Sagt an, hêr Stoc, hât iuch der bâbest her gesendet,
    daz ir in rîchet und uns Tiutschen ermet unde pfendet?
    swenn im diu volle mâze kumt ze Laterân,
    sô tuot er einen argen list, als er ê hât getân:
    er seit uns danne wie daz rîche stê verwarren,
    unz in erfüllent aber alle pfarren.
    ich wæn des silbers wênic kumet ze helfe in gotes lant:
    grôzen hort zerteilet selten pfaffen hant.
    hêr Stoc, ir sît ûf schaden her gesant,
    daz ir ûz tiutschen liuten suochet tœrinne unde narren.

33,31-34,3. Wort und Werk (1213)

Die Christenheit hat noch nie so ganz aufs Ungewisse dahingelebt. Die da die Pflicht hätten, sie zu unterweisen, deren Sinnen und Trachten ist böse. Wenn ein einfältiger Laie so handelte, wäre es noch zu stark. Sie sündigen ohne Scheu, darum haßt sie auch Gott. Uns weisen sie zum Himmel hin und fahren selber zur Hölle. Sie erklären, jeder, der ihren Worten folgte und nicht ihren Werken, der sei im Jenseits bestimmt gerettet. Die Geistlichen hätten die Pflicht, keuscher zu sein als Laien: in welcher Bibel haben sie das herausgelesen, daß so mancher eifrig darnach trachtet, wo er ein schönes Weib verführe?

Diu kristenheit gelepte nie sô gar nâch wâne.
    die si dâ lêren solten, die sint guoter sinne âne.
    es wær ze vil, und tæt ein tumber leie daz.
    si sündent âne vorhte: dar umb ist in got gehaz.
    si wîsent uns zem himel, und varent si zer helle.
    si sprechent, swer ir Worten volgen welle
    und niht ir werken, der sî âne zwîvel dort genesen.
    die pfaffen solten kiuscher dan die leien wesen:
    an welen buochen hânt si daz erlesen,
    daz sich sô maneger flîzet wâ er ein schœnez wîp vervelle?

34,24-33. Schlimmes Vorbild (1213)

Welches Herz in diesen Zeiten nicht abtrünnig wird, da der Papst selber drüben die Ketzerei steigert, in dem lebt ein Segensgeist und Gottes eigne Liebe. Nun seht ihr, was der Geistlichen Werk und was ihre Lehre ist. Einst war ihre Lehre so rein wie ihre Werke. Jetzt stimmen sie wiederum überein, freilich in anderer Weise: sie, die uns ein Vorbild guter Lehre geben sollten, sehen wir falsch handeln und hören wir falsch reden. Darüber können wir einfältigen Laien allen Mut verlieren: abermals, glaub ich, klagt und weint mein lieber Klausner bitterlich.

Swelch herze sich bî disen zîten niht verkêret,
    sît daz der bâbest selbe dort den ungelouben mêret,
    dâ wont ein sælic geist und gotes minne bî.
    nû seht ir waz der pfaffen werc und waz ir lêre sî.
    ê dô was ir lêre bî den werken reine:
    nû sint si aber anders sô gemeine,
    daz wirs unrehte würken sehen, unrehte hœren sagen,
    die uns guoter lêre bilde solden tragen.
    des mugen wir tumbe leien wol verzagen:
    wæn aber mîn guoter klôsenære klage und sêre weine.

Leben

103,29-104,6. Abwehr

Uns stört eine gewisse Sorte von Leuten: schaffte uns einer die weg, so könnte ein gebildeter Mann sich bei Hofe aufhalten. Die lassen ihn gar nicht zu Wort kommen; ihre Schnauze ist so behende, daß es ihm gar nichts nützte, wäre er auch der größte Künstler. »Ich und noch ein Narr, wir singen ihm so ins Ohr, daß nie ein Mönch im Chor so laut gegröhlt hat.« Wenn ein Künstler singt, dann hat man die Pflicht, das zu verherrlichen; einen unkünstlerischen Menschen sollte man schmähen. Und damit Schluß!

Uns irret einer hande diet:
    der uns die furder tæte,
    so möhte ein wol gezogener man
    ze hove haben die stat.
die lâzent sîn ze spruche niet:
    ir drüzzel derst sô dræte,
    kund er swaz ieman guotes kan,
    daz hulfe niht ein blat.
›ich und ein ander tôre
    wir dœnen in sîn ôre,
    daz nie kein münch ze kôre
    sô sêre mê geschrei.‹
    gefüeges mannes dœnen
    daz sol man wol beschœnen,
    des ungefüegen hœnen.
    hie gêt diu rede enzwei.

18,15-28. An Herzog Ludwig von Bayern

Mir hat der hochgemute Meißner aus Franken ein Lied überbracht, das kommt von Ludwig. So schön zu danken, wie er meiner gedacht hat, ist mir nicht möglich; ich kann mich nur tief verneigen. Könnte ich, was Menschen nur an Vollendetem schaffen können, so widmete ich das dem edlen Mann. Ihm, der mir eine so hohe Ehrung hat zukommen lassen, möge Gott auch seine Ehre mehren. Ihm ströme zu der Strom alles Segens, kein Wild entgehe seinem Schuß; seines Hundes Anschlag, seines Hornes Ton erhalle ihm und erschalle ihm schön, wie es seiner Ehre gebührt.

Mir hât ein liet von Franken
    der stolze Mîssenære brâht:
    daz vert von Ludewîge.
ichn kan ims niht gedanken
    sô wol als er mîn hât gedâht,
    wan daz ich tiefe nîge.
künd ich swaz ieman guotes kan,
    daz teilte ich mit dem werden man.
    der mir sô hôher êren gan,
    got müeze im êre mêren.
    zuo flieze im aller sælden fluz,
    niht wildes mîde sînen schuz,
    sîns hundes louf, sîns hornes duz
    erhelle im und erschelle im wol nâch êren.

106,3-16. An den Markgrafen von Meißen

Ich habe dem Meißner manche Sache besser zustande gebracht, als er es mir jetzt gedenkt. Wozu noch schöne Worte machen? Hätte es bei mir gestanden, ihn zu krönen, die Krone wäre heute sein. Hätte er mir damals besser gelohnt, so erwiese ich ihm abermals einen gewissen Dienst: ich bin auch jetzt noch in der Lage, Schaden abzuwenden. Er ist aber nicht so anständig, mir irgendeine Vergütung anzubieten: – dann lassen wir's eben bleiben. Denn vieles, um das man sich nicht bemüht, geht zugrunde.

Ich hân dem Mîssenære
    gefüeget manec mære
    baz danne er nû gedenke mîn.
waz sol diu rede beschœnet?
    möht ich in hân gekrœnet,
    diu krône wære hiute sîn.
het er mir dô gelônet baz,
    ich dient im aber eteswaz:
    noch kan ich schaden vertrîben.
    er ist ab sô gefüege niht,
    daz er mir biete wandels iht:
    dâ lâzen wirz belîben.
    wan vil verdirbet
    des man niht enwirbet.

105,27-106,2. An denselben

Es wäre die Schuldigkeit des Meißners, mir gefälligst Ersatz zu leisten. Nichts mehr von dem Dienst, den ich ihm erwiesen habe! bloß auf meinen Lobspruch muß ich zu sprechen kommen: ihm noch einmal irgendein Lob zu spenden, davor werde ich mich schön hüten. Lob ich ihn, so lobe er mich; all das andre will ich ihm liebenswürdig erlassen. Sein Lob aber gebührt nun einmal auch mir, oder ich werde das meinige bei Hofe und draußen zurücknehmen, so wahr ich nun lange genug auf seinen Sinn für Anstand gewartet habe.

Der Mîssenære solde
    mir wandeln, ob er wolde.
    mîn dienest lâz ich allez varn:
niewan mîn lop aleine,
    deich in mit lobe iht meine,
    daz kan ich schône wol bewarn.
lob ich in, sô lob er mich:
    des andern alles des wil ich
    in minneclîch erlâzen.
    sîn lop daz muoz ouch mir gezemen,
    ode ich wil mînz her wider nemen
    ze hove und an der strâzen,
    sô ich nû gnuoge
    warte sîner fuoge.

105,13-26. Fürbitte für den Landgrafen von Thüringen

Jetzt möge der erhabene Kaiser um seiner Hoheit willen den Fehltritt des Landgrafen entschuldigen. Denn der hat doch wahrhaftig aus seiner Feindschaft wenigstens kein Hehl gemacht. Die Feiglinge dagegen machten geheime Anschläge, sie gaben ihre Eide auf dieser Seite, sie gaben sie auf der anderen, und stifteten treulose Schandtat an; ihre Lästerungen gingen von Rom aus. Aber ihr Diebstahl konnte nicht verborgen bleiben – da fingen sie an, sich wechselseitig zu bestehlen und alle einander zu verraten. Seht: der Dieb bestahl den Dieb; erst Drohungen machten Diebe wieder freundlich.

Nû sol der keiser hêre
    versprechen dur sîn êre
    des lantgrâven missetât.
wand er was doch zewâre
    sîn vîent offenbâre:
    die zagen truogen stillen rât:
si swuoren hie, si swuoren dort,
    und pruoften ungetriuwen mort:
    von Rôme fuor ir schelden.
    ir dûf enmohte sich niht heln,
    si begonden under zwischen steln
    und alle ein ander melden.
    seht, diep stal diebe,
    drô tet diebe liebe.

35,7-16. Lob des Landgrafen

Ich bin des freigebigen Landgrafen Dienstmann. Es ist nun mal meine Art, daß man mich stets bei den Würdigsten findet. Die andern Fürsten alle sind sehr freigebig, aber darin nicht so beständig; er war es früher und ist es noch. Deshalb versteht er sich besser darauf als sie; er wechselt seinen Sinn nicht. Wer heuer prahlt und ist übers Jahr karg wie früher, dessen Lob grünt und gilbt wie der Klee. Thüringens Blume leuchtet durch den Schnee; Sommer und Winter blüht sein Ruhm wie in der ersten Zeit.

Ich bin des milten lantgrâven ingesinde.
    ez ist mîn site daz man mich iemer bî den tiursten vinde.
    die andern fürsten alle sint vil milte, iedoch
    sô stæteclîchen niht: er was ez ê und ist ez noch.
    dâ von kan er baz dan sie dermite gebâren:
    er enwil dekeiner lûne vâren.
    swer hiure schallet und ist hin ze jâre bœse als ê,
    des lop gruonet unde valwet sô der klê.
    der Dürnge bluome schînet dur den snê:
    sumer und winter blüet sîn lop als in den êrsten jâren.

104,7-22. Gerhard Atze

Mir hat Herr Gerhard Atze in Eisenach ein Roß erschossen. Das klage ich bei dem ein, dessen Dienstmann er ist; der ist Richter für uns beide. Es war gut seine drei Mark wert. Nun hört eine sonderbare Geschichte, womit er mich hinhält, da es ans Zahlen geht. Er erzählt von großem Schmerz: wie mein berühmtes Roß mit dem Gaul blutsverwandt sei, der ihm den Finger abgebissen hat, so daß er verstümmelt ist. Ich schwöre mit beiden Händen: sie haben sich überhaupt nie gesehen! Ist jemand da, der mir den Eid darauf abnimmt?

Mir hât hêr Gêrhart Atze ein pfert
    erschozzen zIsenache.
    daz klage ich dem den er bestât:
    derst unser beider voget.
ez was wol drîer marke wert:
    nû hœrent frömde sache,
    sît daz ez an ein gelten gât,
    wâ mit er mich nû zoget.
er seit von grôzer swære,
    wie mîn pferit mære
    dem rosse sippe wære,
    daz im den vinger abe
    gebizzen hât ze schanden.
    ich swer mit beiden handen,
    daz si sich niht erkanden.
    ist ieman der mir stabe?

82,11-23. Gegen denselben

Reit an den Hof, Dietrich! – »Herr, ich kann nicht.« – Was hindert dich? – »Ich hab kein Pferd, um dahin zu reiten.« – Wenn du willst, leih ich dir eins. – »Herr, dann reite ich noch mal so gut.« – Nun bleib so noch eine Zeit lang stehn, warte. Würdest du lieber eine goldene Katze reiten oder einen sonderbaren Gerhard Atze? – »Bei Gott, und fräße es Heu, es wäre doch ein seltsames Pferd. Er rollt seine Augen wie ein Affe, er sieht aus wie ein Kuckuck. Diesen Atze gebt mir nur her, dann bin ich versorgt.« – Nun geh nur zu Fuß nach Hause, da du nach Atze verlangt hast. (Noch unerklärt!)

Rît ze hove, Dietrich.
    ›hêrre, in mac‹. waz irret dich?
    ›in hân niht rosses daz ich dar gerîte.‹
ich lîh dir einz, und wilt dû daz.
    ›hêrre, gerîte al deste baz.‹
    nû stant alsô noch eine wîle, bîte.
wedr ritest gerner eine guldîn katzen
    ald einen wunderlichen Gêrhart Atzen?
    ›semir got, und æze ez höi, ez wær ein frömdez pfert.
    im gênt diu ougen umbe als einem affen,
    er ist als ein guggaldei geschaffen.
    den selben Atzen gebent mir her: sô bin ich wol gewert.‹
    nû krümbe dîn bein, var selbe hein, sît du Atzen hâst gegert.

31,23-32. An Otto IV.

»Seid willkommen, Hausherr!« den Gruß muß ich unerwidert lassen. »Seid willkommen, Herr Gast!«, darauf muß ich antworten oder mich verneigen. Hausherr und Heim sind zwei ehrenvolle Dinge, Gast und Herberge dagegen solche, deren man sich sehr oft schämen muß. Könnt ichs doch noch erleben, daß auch ich den Gast grüße, so daß er mir als dem Hausherrn Dank sagen muß. »Seid heute Nacht hier, seid morgen dort!« was für ein Gauklerleben ist das! »Ich bin daheim« oder »Ich will heim!« – das stimmt zuversichtlicher. Gast und Schach sind nie willkommen: so befreit mich davon, Gast zu sein, damit euch Gott vom Schach befreie!

›Sît willekomen, hêr wirt‹, dem gruoze muoz ich swîgen:
    ›sît willekomen, hêr gast‹, sô muoz ich sprechen oder nîgen.
    wirt unde heim sint zwêne unschamelîche namen:
    gast unde hereberge muoz man sich vil dicke schamen.
    noch müez ich geleben daz ich den gast ouch grüeze,
    sô daz er mir dem wirte danken müeze.
    ›sît hînaht hie, sît morgen dort‹, waz gougelfuore ist daz!
    ›ich bin heime‹ ode ›ich wil heim‹ daz trœstet baz.
    gast unde schâch kumt selten âne haz:
    nû büezet mir des gastes, daz iu got des schâches büeze.

26,3-12. Gebet

Hochgepriesener Gott, daß ich dir doch niemals ein Loblied singe! Da ich von dir die Gabe sowohl der Dichtung wie des Sanges habe, wie unterstehe ich mich unter deinem Zepter einer solchen Vermessenheit! Ich tue nicht die rechten Werke, ich habe nicht die wahre Liebe, weder zu meinem Nächsten, Herr und Vater, noch zu dir: so gewogen wurde ich keinem von ihnen wie mir. Christ, der du Vater und Sohn bist, dein Geist bringe mein Herz auf den rechten Weg! Wie könnte ich auch den liebgewinnen, der mir Böses zufügt? Mir ist nun einmal immer der lieber, der mir Gutes erweist. Vergib mir meine Sünden auf andere Weise – ich bin entschlossen, dennoch bei diesem Sinn zu bleiben.

Vil wol gelobter got, wie selten ich dich prîse!
    sît ich von dir beide wort hân unde wîse,
    wie getar ich sô gefreveln under dîme rîse?
ichn tuon diu rehten werc, ichn hân die wâren minne
    ze mînem ebenkristen, hêrre vater, noch ze dir:
    sô holt enwart ich ir dekeinem nie sô mir.
    Krist, vater unde sun, dîn geist berihte mîne sinne.
wie solt ich den geminnen der mir übele tuot?
    mir muoz der iemer lieber sîn der mir ist guot.
    vergib mir anders mîne schulde, ich wil noch haben den muot.

26,23-32. Otto IV. und Friedrich II.

Ich besitze von Herrn Otto das feierliche Versprechen, er wolle mich noch reich machen. Wie durfte er dann aber jemals meine Dienste so betrügerisch in Anspruch nehmen? Oder was hat König Friedrich für einen Grund, mich für diese zu belohnen? Ich habe von ihm keinen Deut zu fordern, es sei denn etwa, daß er an dem alten Sprichwort Spaß hat. Ein Vater gab vor Zeiten seinem Sohn folgenden Rat: Sohn, diene der Männer schlechtestem, damit dir der Männer bester lohne. Herr Otto, ich bin der Sohn, ihr seid der schlechteste Mann – denn einen so grundschlechten Herrn hab ich nie bekommen. Herr König, seid ihr der beste, da Gott euch die Mittel zu lohnen gewährt!

Ich hân hêrn Otten triuwe, er welle mich noch rîchen:
    wie nam abe er mîn dienest ie sô trügelîchen?
    ald waz bestêt ze lône des den künic Friderîchen?
mîn vorderunge ist ûf in kleiner danne ein bône;
    ezn sî sô vil, obe er der alten sprüche wære frô.
    ein vater lêrte wîlent sînen sun alsô,
    ›sun, diene manne bœstem, daz dir manne beste lône.‹
hêr Otte, ich binz der sun, ir sît der bœste man,
    wand ich sô rehte bœsen hêrren nie gewan:
    hêr künec, sît irz der beste, sît iu got des lônes gan.

26,33-27,6. Auf dieselben

Ich wollte die Freigebigkeit des Herrn Otto nach seiner Länge messen – da hatte ich mich mit dem Maß einigermaßen vertan: denn wäre er so freigebig wie lang, so hätte er eine Menge Vorzüge besessen. Alsbald maß ich ihn nochmals, und zwar nach seinem (jetzigen) Ansehn: da wurde er viel zu kurz, wie ein verschnittener Stoff, an Freigebigkeit winziger als ein Zwerg; und dabei ist er doch in dem Alter, daß er nicht weiter wächst. Als ich dem König Maß nahm, wie schoß er da empor! Sein junger Leib wurde groß und hoch. Nun seht, wie er noch wachsen wird – jetzt schon ist er jenem gegenüber ein Riese.

Ich wolt hêrn Otten milte nâch der lenge mezzen:
    dô hât ich mich an der mâze ein teil vergezzen:
    wær er sô milt als lanc, er hete tugende vil besezzen.
vil schiere maz ich abe den lîp nâch sîner êre:
    dô wart er vil gar ze kurz als ein verschrôten werc,
    miltes muotes minre vil dan ein getwerc;
    und ist doch von den jâren daz er niht enwahset mêre.
dô ich dem künege brâhte dez mez, wie er ûf schôz!
    sîn junger lîp wart beide michel unde grôz.
    nû seht waz er noch wahse: erst ieze übr in wol risen gnôz.

104,23-32. Kloster Tegernsee

Man erzählt mir immer von Tegernsee, wie gastfreundlich das Haus sei – so habe ich mich dahin gewendet, mit einem Umweg von mehr als einer Meile. Ich bin doch ein sonderbarer Mensch, daß ich nicht nach meinem eigenen Urteil gehen kann und mich so sehr auf fremde Leute verlasse. Ich will sie nicht schmähen, aber – Gott sei uns beiden gnädig! Ich bekam dort nur Wasser (Zum Händewaschen vor der Mahlzeit!), und naß wie ich war, mußte ich von dem Tisch des Mönches abziehen.

Man seit mir ie von Tegersê,
    wie wol daz hûs mit êren stê:
    dar kêrte ich mêr dan eine mîle von der strâze.
ich bin ein wunderlîcher man,
    daz ich mich selben niht enkan
    verstân und mich sô vil an frömde liute lâze.
ich schiltes niht, wan got genâde uns beiden.
    ich nam dâ wazzer:
    alsô nazzer
    muost ich von des münches tische scheiden.

28,21-30. Am Hof zu Kärnten

Ein Schuft, wes Standes er auch sei, der vorsätzlich betrügt und seinem Herrn das Lügen beibringt! Der Schlag treffe seine Beine, wenn er sie, um seinen Rat abzugeben, knieend biegt. Ist er aber so vornehm, daß er bei der Beratung sitzt, dann wünsche ich, daß seine falsche Zunge der Schlag treffe. Denn solche Menschen machen uns die ehrlichen Fürsten schamlos. Soll Lügen als besondere Klugheit gelten, dann haben sie eine Klugheit, die unedel ist. Mögen sie ihnen doch raten, ihr lügenhaftes Versprechen in ihrem Hals stecken zu lassen oder, wenn sie einmal etwas versprochen haben, es auch zu halten. Sie sollten schenken, bevor dem Lob auf sie der Verputz abgeschlagen wird.

Ein schalc, in swelhem namen er sî, der dankes triege
    unde sînen hêrren lêre daz er liege!
    erlamen müezen im diu bein, swenn ers zem râte biege!
sî abe er sô hêr daz er zem râte sitze,
    sô wünsche ich daz sîn ungetriuwe zunge müeze erlamen.
    die selben machent uns die biderben âne schamen.
    sol liegen witze sîn, sô pflegent si tugendelôser witze.
wan mugens in râten daz si lâzen in ir kragen
ir valsche gelübde od nâch gelübde niht versagen?
si solten geben ê dem lobe der kalc würd abe geslagen.

32,17-26. An Herzog Bernhard von Kärnten

Ich habe des Kärntners Gaben oft erhalten: will er, weil ich eine einzige nicht bekam, mir derart den Rücken zukehren? Er glaubt vielleicht, ich sei unmutig – ich bins nicht im geringsten. Ihm ist es ergangen, wie es noch gar manchem freigebigen Mann ergeht. War es mir unangenehm, so war es ihm noch unangenehmer. Wenn man mir Kleider, die er mir angewiesen hatte, nicht verabfolgte, so möge er seinen Ärger darüber anderswohin richten. Ich weiß gut, wer bereitwillig zusagt, der gäbe auch mit Freuden, wenn es nur vorhanden wäre. An dieser Verstimmung tragen jedenfalls, weiß Gott, wir beide keine Schuld.

Ich hân des Kerendæres gâbe dicke empfangen:
    wil er dur ein vermissen bieten mir alsô diu wangen?
    er wænet lîhte daz ich zürne: nein ich, niht.
    im ist geschehen daz noch vil manegem milten man geschiht.
    was mir lîhte leide, dô was ime noch leider.
    dô er mir geschaffen hâte kleider,
    daz man mir niht engap, dar umbe zürne er anderswâ.
    ich weiz wol, swer willeclîche sprichet jâ,
    der gæbe ouch gerne, und wære ez danne dâ.
    der zorn ist ân alle schulde weizgot unser beider.

32,27-36. An denselben

Ich weiß nicht, mit wem ich die Hofköter vergleichen soll, außer mit den Mäusen, die sich selbst verraten, wenn sie Schellen tragen. Sagt der Schmeichler sein Ja, ertönt der Klang der Maus, wenn sie aus ihrem Loch kommt, dann rufen wir sicher: Ein Schuft, ein Schuft! Eine Maus! eine Maus! – Edler Kärntner, freigebiger Fürst und Märtyrer der Ehre, ich muß mich dringend bei dir beschweren: ich weiß nicht, wer an deinem Hof mir meinen Spruch entstellt. Wenn ich es nicht um deinetwillen unterlasse und wenn er nicht zu geringen Standes ist, dann versetz ich ihm einen ebenso starken Gegenschlag. Frag, was ich gesungen habe, und erkunde für uns, wer es entstellt.

Ichn weiz wem ich gelîchen muoz die hovebellen,
    wan den miusen, die sich selbe meldent, tragent si schellen.
    des lekers jâ, der miuse klanc, kumet si ûz ir klûs,
    sô schrîen wir vil lîhte ›ein schalc, ein schalc! ein mûs, ein mûs!‹
    edel Kerendære, ich sol dir klagen sêre,
    milter fürste und marterer umb êre,
    ichn weiz wer mir in dînem hove verkêret mînen sanc.
    lâz ichz niht dur dich und ist er niht ze kranc,
    ich swinge im alsô swinden widerswanc.
    frâge waz ich habe gesungen, und ervar uns werz verkêre.

103,13-28. Am Thüringer Hof

Wo irgend in einem grünen Garten Kräuter von edler Art gewachsen sind, da darf ein erfahrener Mann sie nicht ohne Aufsicht lassen. Er muß sie wie ein Kind behüten, mit wachsamen Blicken sie liebevoll pflegen. Das gefällt dem Herzen wohl und stimmt es freudig. Sollte schlechtes Unkraut dazwischen sein, das breche er einzeln heraus (unterläßt er das, so vermehrt es sich mächtig) und gebe acht, ob sich tückisch ein Dornstrauch darüber ausbreite, damit er den von seinen Beeten ablenke; sonst ist seine Mühe ganz vergeblich gewesen.

Swâ guoter hande wurzen sint
    in einem grüenen garten
    bekliben, die sol ein wîser man
    niht lâzen unbehuot.
er sol si schirmen als ein kint,
    mit ougenweide in zarten.
    dâ lît gelust des herzen an,
    und gît ouch hôhen muot.
sî bœse unkrût dar under,
    daz breche er ûz besunder
    (lât erz, des wehset wunder),
    und merke ob sich ein dorn
    mit kündekeit dar breite,
    daz er den furder leite
    von sîner arebeite:
    sist anders gar verlorn.

80,27-80,34. An den Grafen von Katzenellenbogen I

Ich bin dem Bogner ganz ergeben, auch ohne daß er mir irgend etwas schenkt und zahlt. Denn er ist ein freigebiger Mann, wenn ich auch nichts davon habe. Aber mag auch wieder so ein Polack oder Russe Nutzen von ihm haben, das ist mir alles durchaus recht. Allerdings würde ein wahrer Künstler ihm besser einen Namen machen als tausend Fiedler, wenn er hoffähige Leute besser behandelte.

Ich bin dem Bogenære holt
    gar âne gâbe und âne solt:
    er ist milte, swie klein ichs geniuze.
    sô nieze in aber ein Pôlân aide ein Riuze:
    daz ist allez âne mînen haz.
    in bræhte ein meister baz ze mære
    danne tûsent snarrenzære,
    tæt er den hovewerden baz.

80,35-81,6. An denselben II

Den Diamanten, den edlen Stein, schenkt mir einer der schönsten Ritter; ohne daß ich gebeten hätte, erhielt ich sein Geschenk. Fürwahr, ich lobe die Schönheit nicht nach dem äußern Aussehen: ein freigebiger Mann ist schön und gebildet. Man muß die innere Trefflichkeit nach außen wenden, dann wird man seiner ehrenhaften Gesinnung entsprechend auch draußen gerühmt, – so wie jetzt der von Katzenellenbogen.

Den dîemant den edelen stein
    gap mir der schœnsten ritter ein:
    âne bete wart mir diu gâbe sîne.
    jô lob ich niht die schœne nâch dem schîne:
    milter man ist schœne und wol gezogen.
    man sol die inre tugent ûz kêren:
    sô ist daz ûzer lop nâch êren,
    sam des von Katzenellenbogen.

Gesellschaft

35,27-36. Manneslob

Wenn man Frauen preist, so paßt es gut, daß man sie schön nennt. Für den Mann paßt es schlecht: es ist zu weichlich und oft verletzend. Sagt man von dem, er sei kühn und freigebig, außerdem aber noch von beharrlicher Gesinnung, so ist das ein vollkommenes Lob. Diese beiden Vorzüge unterstützt trefflich ein dritter. Wenn's euch nicht mißfällt, so will ich euch unterweisen, wie wir loben sollen, ohne daß es zur Schande gereicht. Ihr müßt in die Menschen blicken, wollt ihr ein richtiges Urteil gewinnen: niemand darf sich bei seinem Lob nach der äußeren Farbe richten. Gar mancher Schwarze ist innen voller Vorzüge – ach, wie sind die Herzen der Weißen, wenn einer sie umwenden will!

An wîbe lobe stêt wol daz man si heize schœne:
    manne stêt ez übel, ez ist ze weich und ofte hœne.
    küene und milte, und daz er dâ zuo stæte sî,
    so ist er vil gar gelobt: den zwein stêt wol daz dritte bî.
    wilz iu niht versmâhen, sô wil ichz iuch lêren,
    wie wir loben suln und niht unêren.
    ir müezet in die liute sehen, welt ir erkennen wol:
    nieman ûzen nâch der varwe loben sol.
    vil manic môre ist innen tugende vol:
    wê wie der wîzen herze sint, der si wil umbe kêren!

81,7-14. Selbstbeherrschung

Wer erschlägt den Löwen? Wer erschlägt den Riesen? Wer überwindet jenen und diesen? Das tut einer, der sich selbst bezwingt und alle seine Glieder in Obhut nimmt, aus der Wildnis in den Hafen dauernder Sittsamkeit. Erborgte Sittsamkeit und ein Schamgefühl, das man bloß vor Fremden zeigt, können zwar eine Zeit lang leuchten; aber der Glanz flackert rasch auf und nimmt dann wieder ab.

Wer sleht den lewen? wer sleht den risen?
    wer überwindet jenen unt disen?
    daz tuot einer der sich selber twinget
    und alliu sîniu lit in huote bringet
    ûz der wilde in stæter zühte habe.
    geligeniu zuht und schame vor gesten
    mugen wol eine wîle erglesten:
    der schîn nimt drâte ûf unt abe.

81,15-22.* Feilheit

Sich zu billig hinzugeben mindert das Ansehen. Ihr edlen Männer, ihr keuschen Frauen, laßt euch nicht durch geringen Lohn erkaufen. Es schlägt euch bestimmt sehr übel aus, wollt ihr euch ohne Entgelt bereit finden lassen. Wer sich aber gar für Undank hingibt, der mindert sein Ansehen sehr: dadurch wird eure Ehre gering, und dazu zielt sie doch nur auf eine trügerische Hoffnung.

Wolveile unwirdet manegen lîp.
    ir werden man, ir reiniu wîp,
    niht ensît durch kranke miete veile.
    ez muoz sêre stên an iuwerm heile,
    welt ir iuch vergeben vinden lân.
    zundanke veile unwirdet sêre:
    dâ bî sô swachet iuwer êre,
    und ziuhet doch ûf smæhen wân.

81,23-30. Reichtum und Armut

Wenn jemand zu reich wird, ohne höheren Sinn zu besitzen, und sich dann wegen seines Reichtums in die Brust werfen will, dann wird er zu übermütig. Sowohl zu großer Reichtum wie zu große Armut vernichten bei manchen Menschen die rechte Gesinnung. Wo übergroßer Reichtum edle Sitte verschlingt und übergroße Armut den Verstand benimmt, da scheint mir keines von beiden Wert zu haben.

(Echtheit zweifelhaft.)

Swelch man wirt âne muot ze rich,
    wil er ze sêre striuzen sich
    ûf sîne rîchheit, sô wirt er ze hêre.
    ze rîch und zarm diu leschent beide sêre
    an sumelîchen liuten rehten muot.
    swâ übric rîchheit zühte slucket
    und übric armuot sinne zucket,
    dâ dunket mich enwederz guot.

81,31-82,2. Wahre Liebe I

Die Liebe ist weder Mann noch Weib, sie hat weder Seele noch Leib, sie gleicht keiner Gestalt. Ihr Name ist zwar bekannt, ihr Wesen aber ist unbekannt; und doch weiß ohne sie niemand Gottes Gnade zu erlangen ... Nie ist sie in ein falsches Herz gekommen.

(Wie das folgende zweifelhaft.)

Diu minne ist weder man noch wîp,
    si hât noch sêle noch den lîp,
    sie gelîchet sich dekeinem bilde.
    ir nam ist kunt, si selbe ist aber wilde,
    und enkan doch nieman âne sie
    der gotes hulden niht gewinnen
     ...
    si kam in valschez herze nie.

82,3-10.* Wahre Liebe II

In unserm kurzen irdischen Leben wird unter dem Zeichen der Liebe viel Falschgeld geprägt: wenn aber einer ihr wahres Abbild erkännte, dem bürge ich mit meiner eigenen Wahrhaftigkeit dafür, daß, sofern er in ihrem Geleite reisen wollte, die Unziemlichkeit ihn nicht dem ewigen Tode überlieferte. Die Liebe ist ja im Himmel so passend, daß ich sie bitte, mich dahin schützend zu geleiten.

Ez ist in unsern kurzen tagen
    nâch minne valsches vil geslagen:
    swer aber ir insigel rehte erkande,
    dem setze ich mîne wârheit des ze pfande,
    wolt er ir geleite volgen mite,
    daz in unfuoge niht erslüege.
    minn ist ze himel sô gefüege,
    daz ich si dar geleites bite.

79,17-80,2. Freundschaft I

Ein Mann mit vornehmer Verwandtschaft, aber ohne Freunde – da ist nicht viel zu danken. Mehr Nutzen bringen Freunde ohne Blutsverwandte. Gesetzt, einer sei aus königlichem Geschlecht; was nutzt das, wenn er keinen Freund hat? Verwandtschaft gibt ein Ansehen, das einem ohne eigenes Zutun zufällt; Freunde dagegen muß man sich durch eifriges Bemühen erwerben. Ein Verwandter ist recht nützlich, ein Freund aber weit mehr.

Man hôhgemâc, an friunden kranc,
    daz ist ein swacher habedanc:
    baz gehilfet friuntschaft âne sippe.
    lâ einen sîn geborn von küneges rippe:
    er enhabe friunt, waz hilfet daz?
    mâgschaft ist ein selbwahsen êre:
    sô muoz man friunde verdienen sêre.
    mâc hilfet wol, friunt verre baz.

79,25-32. Freundschaft II

Wenn jemand einem andern seine Freundschaft schenkt und dazu noch so edelgesinnt ist, daß er sie ihm unerschütterlich erhält, einen solchen Freund wird man mit Freuden gut behandeln. Ich habe manchmal einen Freund erlebt, dessen Beständigkeit glich so sehr einer Kugel, daß ich ihn entgleiten lassen mußte, so gern ich ihn mir auch erhalten hätte.

Swer sich ze friunde gewinnen lât
    und ouch dâ bî die tugende hât
    daz er sich âne wanken lât behalten,
    des friundes mac man gerne schône walten.
    ich hân eteswenne friunt erkorn
    sô sinewel an sîner stæte,
    swie gerne ich in behalten hæte,
    daz ich in muoste hân verlorn.

79,33-80,2.* Freundschaft III

Wer mir wie Eis entschlüpft und mich wie einen Ball aufhebt (und fallen läßt), wenn ich dem unter den Händen entgleite, dann darf das niemand mir als Unbeständigkeit anrechnen, da ich dem treuen Freund gegenüber durchaus aus einem Schrot und Korn und gequadert bin. Wessen Sinn aber mir gegenüber so bunt schillert, bald so, bald so, dem entgleite ich.

Swer mir ist slipfic als ein îs
    und mich ûf hebt in balles wîs,
    sinewell ich dem in sînen handen,
    daz sol zunstæte nieman an mir anden,
    sît ich dem getriuwen friunde bin
    einlœtic unde wol gevieret.
    swes muot mir ist sô vêch gezieret,
    nû sus nû sô, dem walge ich hin.

80,3-10.* Maß und Unmaß I

Eine Sechs wollte zur Sieben werden, in hoffärtiger Verblendung über das natürliche Maß hinausstrebend. Aber wer die Bahn des Maßhaltens verläßt, dem fällt leicht ein enger Pfad zum Los. Hoffärtige Sechs, nun steh zur Drei geworden da! Früher war dir außer der Sechs auch noch ein Feld freigelassen: jetzt mußt du dich in die Fläche der Drei einzwängen.

Sich wolte ein ses gesibent hân
    ûf einen hôhvertigen wân:
    sus strebte ez sêre nâch der übermâze.
    swer der mâze brechen wil ir strâze,
    dem gevellet lîhte ein enger pfat.
    hôhvertic ses, nû stant gedrîet!
    dir was zem sese ein velt gefrîet:
    nû smiuc dich an der drîen stat.

80,19-26. Maß und Unmaß II

Unmaß, eigne dir nur gleich beide Paare an: männische Weiber und weibische Männer, pfäffische Ritter und verritterte Pfaffen – mit denen magst du tun, wozu du Lust hast. Gern schenke ich sie dir ganz und gar, und greisenhafte Jünglinge zum Eigentum; gern bezeichne ich dir auch jugendliche Greise, damit sie dir helfen verkehrt leben.

Unmâze, nim dich beidiu an,
    manlîchiu wîp, wîplîche man,
    pfâflîche ritter, ritterlîche pfaffen:
    mit den solt dû dînen willen schaffen:
    ich wil dir si gar ze stiure geben,
    und alte junghêrren für eigen:
    ich wil dir junge althêrren zeigen,
    daz si dir twerhes helfen leben.

80,11-18. Kunst des Schenkens

Ein Edelmann, der keinem etwas abschlagen kann, der ist in der Fähigkeit zu schenken ganz eingeschränkt; denn er hat nur die Wahl, immer arm zu sein oder ein Betrüger. Zehn Nein sind besser als eine Lüge: drum soll er weniger versprechen und sich dafür lieber freundlicher benehmen. Hat er die Absicht, für seinen Ruf so zu sorgen, wie es sich gebührt, so mag er doch alles abschlagen, was er selber nicht hat oder sich aushilfsweise verschaffen kann.

Swelch hêrre nieman niht versaget,
    der ist an gebender kunst verschraget:
    der muoz iemer nôtic sîn ald triegen.
    zehen versagen sint bezzer danne ein liegen:
    geheize minner unde grüeze baz.
    well er ze rehte umb êre sorgen,
    swes er niht müge ûz geborgen
    noch selbe enhabe, versage doch daz.


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