Edgar Wallace
Der leuchtende Schlüssel
Edgar Wallace

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26

Dick Allenby und Mary speisten zusammen im Carlton-Hotel und unterhielten sich, aber Mary war zerstreut.

»Du hörst überhaupt nicht zu«, sagte Dick vorwurfsvoll.

Sie schrak zusammen.

»Ach, ich war unaufmerksam«, erwiderte sie betroffen. »Ich glaube, du hast mir einen Heiratsantrag gemacht, und ich bin mit meinen Gedanken immer noch bei der schrecklichen Küche.«

Er lachte.

»Wenn du mir tatsächlich zuhören wolltest, wäre ich sehr glücklich. Warum denkst du eigentlich noch daran? Was quält dich?«

»Es fehlte dort etwas. Und nun erinnere ich mich, daß Mr. Lyne erzählte, er habe die Küche umbauen lassen. Ich besinne mich, daß er Binny lobte und sagte, er habe die Bauhandwerker beaufsichtigt und dadurch viel Geld erspart.« Sie strich mit der Hand über die Stirn. »Es stand doch früher ein großer Küchentisch an der Wand – den habe ich heute nicht mehr gesehen. In der Ecke war auch noch ein Ausguß . . . und es kommt mir alles so klein vor . . .«

Plötzlich hielt sie inne und sah ihn mit großen Augen an.

»Jetzt weiß ich, was es ist. Die Tür zur Speisekammer habe ich nicht mehr gesehen! Ich weiß ganz genau, daß sie in der Ecke war. Was ist nur daraus geworden?«

Er schüttelte den Kopf.

»Dafür habe ich mich wirklich nicht interessiert.«

»Mr. Smith sagte doch, Binny müßte ein Versteck haben! Das ist natürlich die Speisekammer! Sie lag rechter Hand vom Kücheneingang.«

Dick Allenby lachte.

»Rechter Hand vom Eingang ist eine massive Mauer!«

»Aber ich bin sicher, daß sich dahinter ein Raum befindet.«

In diesem Augenblick betrat Surefoot den Speisesaal, sah sie und nickte ihnen zu. Aber offenbar war er nicht ihretwegen gekommen, denn er ging weiter, und sein Blick wanderte suchend über andere Tische. Als er wieder in ihrer Nähe war, winkte Mary ihm, und er kam zögernd zu ihnen.

»Haben Sie nicht den Polizeipräsidenten gesehen? Er hat mich für drei Viertel zwei eingeladen, und jetzt ist es gleich zwei. Übrigens haben wir Binnys angebliche Frau verhaftet, aber es war nichts aus ihr herauszubringen.«

»Ich weiß jetzt aber, wo Binnys Versteck ist!« rief Mary.

Smith war sofort aufs höchste interessiert.

»Glauben Sie, er hält sich in Naylors Crescent verborgen?«

Atemlos erzählte sie ihm, was ihr eingefallen war, und er schlug sich aufs Knie.

»Selbstverständlich haben Sie recht! Dadurch erklärt sich auch die Existenz der Vakuumpumpe. Die ganze Wand ist doch mit weißen Kacheln verkleidet. Da konnte er natürlich keine Klinke anbringen, wenn der Unterschlupf wirklich ein Versteck bleiben sollte. Mit der Vakuumpumpe hat er die Tür geöffnet! Ich habe das Ding in meinem Büro und werde es sofort holen. Auf den Polizeipräsidenten kommt es jetzt nicht an, der kann warten.«

Er verließ den Speisesaal, und eine halbe Stunde später war Hervey Lynes Haus von Detektiven umstellt.

Surefoot ging mit der Pistole in der Hand in die Küche und betrachtete die Wand. Eine Tür war nicht zu entdecken. Er befestigte die Vakuumpumpe an verschiedenen Stellen, und bei dem fünften Versuch wurden seine Anstrengungen belohnt. Er konnte einen Stein herausziehen, der auf Stahlschienen lief, und es zeigte sich eine längliche Öffnung.

Er steckte die Hand hinein, fühlte einen Griff und drückte ihn nieder. Nun ging die Tür auf, und er stand in Binnys geheimem Versteck. Er sah die unordentlich durcheinanderliegenden Kleider auf dem Boden, den Spiegel, das Rasiermesser, das nicht gereinigt worden war, und die kleine Schale mit der gelbbraunen Schminke, mit der Binny sein Gesicht behandelt hatte.

»Wir werden noch viel Aufregung und Ärger haben«, meinte er dann.

Eilig durchsuchte er die Kleider und den ganzen Raum, fand aber nichts, was auf Binnys Pläne schließen ließ.

Eins stand fest: Der Mann war in diesem Versteck gewesen, als sie sich am Morgen in der Küche aufhielten, und hatte alles gehört, was sie dort sprachen. Surefoot Smith machte selbst die Probe darauf, daß man in der kleinen Kammer eine Unterhaltung verstehen konnte, die in der Küche geführt wurde.

Die Schminke in der Schale verriet, daß er sich nach einem gelbbraunen Mann umsehen mußte. Dieser Anhaltspunkt konnte bei den Nachforschungen sehr gute Dienste leisten.

Surefoot entdeckte noch eine Menge Patronen und einen weißen Glacéhandschuh, der beschmutzt war, aber offensichtlich zu dem im Garagenzimmer gefundenen gehörte.

»Man kann nicht wissen, wozu das gut ist«, sagte er und reichte den Handschuh einem Untergebenen. »Geschworene sind manchmal schwer zu überzeugen, und ein kleines Beweisstück wie dieses hat zuweilen die größte Wirkung. Heben Sie ihn auf, damit wir ihn beim Prozeß verwenden können.«

Der Chefinspektor schickte seine Leute die Straße auf und ab. Überall erkundigten sie sich, aber niemand hatte Binny gesehen. Smith eilte zum Carlton-Hotel zurück, wo er Mary Lane mit ihrem Verlobten noch antraf, und berichtete über die Entdeckung, die er gemacht hatte.

»Wenn ich nur schon früher daran gedacht hätte!« sagte Mary bedauernd.

»Dann wäre jetzt wahrscheinlich einer von uns nicht mehr am Leben. Vielleicht hätten wir auch alle drei daran glauben müssen. Dieser Binny hat ein ganzes Waffenlager mit sich herumgeschleppt. Nein, es war so viel besser.«

»Glauben Sie, daß er sich in seinem Versteck aufgehalten hat, als wir uns miteinander unterhielten?«

Smith nickte.

»Darüber besteht wohl kaum ein Zweifel.«

»Dann wird es diesem Erzgauner also aller Wahrscheinlichkeit nach doch noch gelingen, sich in Sicherheit zu bringen?« fragte sie.

Surefoot runzelte die Stirn.

»Es ist möglich, daß er einen Versuch macht, England zu verlassen. Aber die Häfen sind bewacht, und jeder einzelne Passagier wird beobachtet. Er könnte nur entkommen, wenn irgendwo an der Küste ein seetüchtiges Motorboot für ihn bereitläge. Aber ich glaube, daran hat er nicht gedacht.« –

In Scotland Yard hielt man eine eingehende Konferenz ab, und nach allen Teilen des Landes wurden dringende Telegramme ausgesandt, die vor dem bewaffneten Mörder warnten.

Um halb zehn abends sah Surefoot die eingegangenen Berichte durch. Alle Züge waren sorgfältig überwacht und durchsucht worden, aber man hatte nichts von Binny gesehen. Nun, Binny war ein tüchtiger Chauffeur, und er würde London vermutlich nicht im Zug verlassen.


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