Edgar Wallace
Der leuchtende Schlüssel
Edgar Wallace

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15

Lange Zeit starrte Smith nachdenklich auf den Namen.

»Würden Sie so liebenswürdig sein und mich einmal mit der Bank in Birmingham verbinden?«

Schon kurze Zeit darauf sprach er mit dem Direktor. Dieser bestätigte alles, was Smith schon wußte. Er kannte Mr. Washington Wirth nicht persönlich, obwohl er ihn einmal im Hotel gesehen hatte. Als Mr. Wirth sein Konto eröffnete, war er offenbar leidend und lag zu Bett. Sein Zustand machte es notwendig, daß die Vorhänge im Hotelzimmer vorgezogen sein mußten. Einer der Bankbeamten hatte sich damals seine Unterschrift geben lassen. Sonst wußte man nichts von ihm. Er hatte ein besonderes Abkommen mit der Bank getroffen, daß er Barschecks an drei verschiedenen Filialen einlösen konnte, und zwar in London, Bristol und Sheffield. Stets kündigte er vierundzwanzig Stunden vor Vorzeigung des Schecks der Bank in Birmingham telegrafisch an, daß er Geld abheben werde. Obwohl große Summen auf sein Konto gebucht und wieder ausgezahlt wurden, war der augenblickliche Stand des Kontos doch sehr gering.

Surefoot Smith schickte einen Detektiv mit einer Anzahl von Unterschriften nach Birmingham; der Mann sollte die Originalunterschrift mitbringen, die Wirth bei Eröffnung seines Kontos geleistet hatte.

Wer auch immer der Veranstalter der mitternächtlichen Gesellschaften im Kellner-Hotel gewesen sein mochte, jedenfalls war er es, an den die großen Summen von Lynes Konto ausgezahlt wurden. Und wahrscheinlich war er auch der Mörder.

Surefoot suchte Dick auf und erstattete ihm Bericht.

»Sie sind der nächste Verwandte des Ermordeten, und infolgedessen ist es nur natürlich, daß ich Ihnen das mitteile«, meinte er.

Dick hörte bestürzt, welche Geldsummen fehlten.

»Haben Sie die Möglichkeit bedacht, daß Mr. Wirth mit Hervey Lyne identisch sein könnte?«

»Ja, der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Daß sich der alte Mann immer herumfahren ließ, bedeutet nichts. Das ist einer der ältesten Tricks. Die Schecks wurden zweifellos von ihm persönlich unterzeichnet; ich habe sie selbst gesehen, und den letzten habe ich sogar noch bei mir.«

Er nahm das Formular aus der Tasche. Als er es umdrehte, entdeckte er zu seinem größten Erstaunen auf der Rückseite eine mit Bleistift gekritzelte Bemerkung, die er vorher übersehen hatte. Die Schrift war nur schwach; auch schien ein Versuch gemacht worden zu sein, sie auszuradieren. Mit Hilfe eines Vergrößerungsglases gelang es Surefoot, die Worte zu entziffern.

»Schicken Sie nicht mehr chinesische E . . .« Offenbar war der Bleistift hier auf der Schreibunterlage abgeglitten, ohne daß es Lyne bemerkt hatte.

»Zum Teufel, was hat das zu bedeuten?« fragte Smith nervös. »Zweifellos ist das die Handschrift des alten Lyne. Was wollte er denn mit ›chinesisch‹ sagen? Und wer hat sich die Mühe gemacht, das auszuradieren?«

Er schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Ich hätte den Kassierer fragen sollen, ob der alte Lyne irgendwelche chinesischen Papiere bei der Bank deponiert hatte.«

*

Dick speiste mit Mary Lane zu Mittag und erzählte ihr alles, was ihm der Detektiv mitgeteilt hatte. Er sprach auch von der rätselhaften Bleistiftschrift auf der Rückseite des Schecks. Sie stieß plötzlich einen leisen Ausruf aus und sah ihn erstaunt an.

»Ach!« sagte sie dann.

Dick lächelte.

»Weißt du etwas von chinesischen Papieren?«

»Nein. Aber erzähle mir noch einmal alles recht langsam.«

Dick erfüllte ihren Wunsch. Wenn sie die banktechnischen Ausdrücke nicht verstehen konnte, bat sie ihn um Erklärungen. Als er geendet hatte, seufzte sie und lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Aber ihre Augen glänzten.

»Du siehst entsetzlich geheimnisvoll aus.«

Sie nickte.

»Ja, ich bin es auch.«

»Weißt du am Ende gar, wer den unglücklichen alten Lyne ermordet hat?«

Sie nickte wieder.

»Ja; ich wage es noch nicht, seinen Namen zu nennen, aber ich glaube, daß ich einen Anhaltspunkt habe . . . Ich lebte als kleines Mädchen in Mr. Lynes Haus, und verschiedene Dinge habe ich nicht vergessen.«

»Ich werde Surefoot sagen –«, begann er.

»Nein, nein«, erwiderte sie schnell. »Das darfst du nicht tun. Wenn du mich lächerlich machst, werde ich dir das nie verzeihen. Meine Theorie ist vielleicht töricht. Ich muß sie erst beweisen können, bevor ich darüber spreche.«

»Willst du auch unter die Detektive gehen, Liebling?« fragte er scherzend. »Übrigens ist das Testament gefunden worden. Ich bin wirklich Universalerbe. Es ist allerdings mit allen möglichen einschränkenden Bedingungen versehen. Wenn ich zum Beispiel eine Frau heirate, die nicht Engländerin ist oder nicht der englischen Hofkirche angehört, verliere ich einen Teil der Erbschaft; ebenso, wenn ich meinen Wohnsitz außerhalb Englands verlege und wenn ich seinen Hund nicht pflege. Nun ist der Hund allerdings schon seit sechzehn Jahren tot. In gewisser Weise war der Alte aber großzügig, Mary. Er hat dir vierzigtausend Pfund hinterlassen, frei von jeder Erbschaftssteuer.«

»Wirklich?« Sie war fast bestürzt über die Freigebigkeit ihres Vormunds. Und sie freute sich, daß er nicht in einer ärgerlichen Laune seinen Neffen enterbt hatte.

Surefoot erfuhr erst bei seiner Rückkehr ins Büro, daß das Testament gefunden worden war. Er läutete Dick an, gratulierte ihm und hörte zu seiner Enttäuschung, daß dieser die Neuigkeit schon wußte.

»Da Sie ja großes Interesse an dem Fall haben, wäre es gut, wenn Sie sofort zum Scotland Yard kämen. Ich habe den Hauptkassierer von der Bank hier, und er hat etwas zu berichten, das auch Sie angeht.«

Dick kam der Aufforderung sofort nach. Auf Surefoots Schreibtisch lag eine Anzahl beschriebener Blätter.

»Also hierum dreht es sich«, erklärte Smith mit Nachdruck, als er ihm die Papiere zuschob, damit er sie lesen konnte. »Unser Freund hier« – er wies auf den Bankbeamten –, »sagt, daß die Aufstellung, die an Miss Lane gesandt wurde, nicht mit einer Schreibmaschine der Bank geschrieben wurde. Er hat mir das auch bewiesen, indem er mir Schriftproben sämtlicher Schreibmaschinen der Bank vorlegte. Das ist eine brauchbare Feststellung, aber vorläufig bringt sie uns noch nicht weiter. Wenn Moran Gelder beiseite schaffte, hat er sicher alle diesbezügliche Korrespondenz zu Hause erledigt. Die Formulare konnte er sich leicht von der Bank mitnehmen. Konnte sich eigentlich jemand außerhalb der Bank diese Formulare auch besorgen?«

Der Kassierer hielt das für möglich.

Surefoot konnte sich nicht besinnen, eine Schreibmaschine in Morans Wohnung gesehen zu haben. Er begleitete Dick, nachdem der Bankbeamte gegangen war, nach Parkview Terrace und durchsuchte dort alles noch einmal sorgfältig. Sie fanden diesmal eine Reiseschreibmaschine, aber sie war defekt, so daß man sie nicht benutzen konnte. Surefoot dachte an die kleine Wohnung über der Garage in Baynes Mews. Wenn Moran deren Eigentümer war, besaß er sicher auch noch andere Unterkunftsmöglichkeiten und Schlupfwinkel in London. Er konnte ja leicht genug unter anderem Namen Wohnungen mieten. Smith hatte festgestellt, daß die Wohnung in Baynes Mews auf den Namen Whiteley gemietet worden war.

»Haben Sie denn noch Zweifel?« fragte Dick.

»Ja, ich bin noch keineswegs überzeugt. Vielleicht klärt sich manches auf, wenn ich Jerry Dornford finde. Sie besinnen sich doch noch, daß er mit einem Höllenspektakel ziemlich langsam an der Stelle vorbeifuhr, wo der alte Lyne saß?«

»Ja, gewiß – aber . . .«

»Hat er nicht Ihre Luftpistole gestohlen?« Der Chefinspektor ärgerte sich über Dicks Schwerfälligkeit.

»Großer Gott, Sie halten doch nicht Dornford für den Mörder?«

»Warum denn nicht?« entgegnete Smith vorwurfsvoll. »Er schuldete Lyne Geld – Lyne hatte gedroht, ihn gerichtlich verfolgen zu lassen, wenn er nicht am selben Tag noch zahlen würde. Wenn Sie Dornfords Charakter nur einigermaßen kennen, wissen Sie, daß er unter allen Umständen einen finanziellen Skandal vermeiden wollte. Er ist stolz darauf, daß man ihn für wohlhabend hält, obgleich sein Vater Pferdehändler war und seine Mutter – nun, darüber wollen wir nicht reden. Wenn das Gericht ihn für bankrott erklärt, muß er aus allen Klubs austreten, in denen er Mitglied ist. Und ein Mann wie er wird natürlich von sich aus alles daransetzen, das zu verhindern.«

»Wo ist er denn jetzt?«

»Das möchte ich auch gern wissen. Er ist nicht wieder aufgetaucht, seitdem wir ihn in Naylors Crescent im Auto sahen!«


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