Edgar Wallace
Der leuchtende Schlüssel
Edgar Wallace

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18

Für Surefoot war es keine Neuigkeit, daß Leo Moran an Börsengeschäften interessiert war. Moran war gerissen. In diesem Ruf stand er sowohl bei der Bank als auch bei seinen Freunden. Soweit Surefoot ihn kannte, war er unberechenbar; er konnte sehr großzügig gegen andere sein, ließ sich jedoch durch seine Schlauheit häufig dazu verleiten, die Grenze des Erlaubten zu überschreiten. Er mochte ein Mörder sein; ein Fälscher war er bestimmt, außerdem ein egoistischer Junggeselle, der kaum ein anderes Steckenpferd als Schießen und das Theater hatte.

Noch bevor Surefoot Smith das Büro des Maklers verließ, hatte er sich ausgerechnet, daß Moran – wenigstens auf dem Papier – ein Millionär geworden war. Über eins wunderte er sich: Moran hatte dauernd Aktien gekauft, und seine Finanzmanöver erstreckten sich über all die Jahre, in denen er Unterschlagungen begangen hatte. Trotzdem hatte er nur eine verhältnismäßig kleine Summe, nur einen geringen Prozentsatz seines Geldes zum Ankauf der Cassari-Aktien benutzt. Er mußte noch in anderen Aktien spekulieren; Smith konnte sich jedoch im Augenblick darüber keine Gewißheit verschaffen.

Der Chefinspektor kehrte in seine Wohnung am Haymarket zurück und war erstaunt, als er Mary Lane, die ihn besuchen wollte, vor dem Hause fand.

»Ich bin auch eben erst gekommen«, erklärte sie: »Ich habe mich zuerst an Ihren Sekretär gewandt, und der sagte mir, daß Sie wahrscheinlich in Ihrer Wohnung seien.«

Er schloß die Tür auf und führte sie in sein unaufgeräumtes Wohnzimmer.

»Haben Sie etwas herausgebracht?« erkundigte er sich.

Sie schüttelte den Kopf und lächelte verlegen.

»Nein, ich habe bis jetzt nur erkannt, wie beschränkt meine Fähigkeiten als Detektiv sind.«

Sie setzte sich auf den Stuhl, den er ihr anbot.

»Also wollen Sie es aufgeben?«

Sie zögerte einen Augenblick.

»Nein.«

Es kostete sie Überwindung, dieses Nein zu sagen, denn am Morgen war sie schon halb entschlossen gewesen, einen Brief an den Chefinspektor zu schreiben und ihm den Schlüssel zurückzuschicken. Aber während des Frühstücks war dann ihr Selbstbewußtsein zurückgekehrt.

»Nun, was kann ich für Sie tun?«

»Wäre es Ihnen möglich, mir eine Liste all der größeren Schecks zu geben, die Mr. Washington Wirth auf das Konto meines Vormunds zog? Ich möchte gern die Daten wissen, an denen sie ausgestellt wurden. Darauf kommt es mir besonders an. Wenn meine Vermutung richtig ist, sind sie alle am Siebzehnten des jeweiligen Monats ausgestellt.«

Surefoot lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sie groß an.

»Das ist mir ein wenig zu wissenschaftlich«, sagte er vorwurfsvoll.

Sie lachte.

»Es klingt geheimnisvoll, aber im Ernst, ich möchte es wissen.«

Er nahm den Hörer vom Telefon und wählte eine Nummer.

»Merkwürdig genug, daß ich nie daran gedacht habe, mir die Ausstellungsdaten der Schecks anzusehen.«

Sie merkte, daß er ein wenig gekränkt war, und amüsierte sich heimlich darüber.

Die Bank meldete sich. Dann dauerte es einige Zeit, bis ihm der Kassierer die nötigen Angaben machte.

Die Schecks waren tatsächlich am 17. Februar, 17. April, 17. Mai und 17. Dezember des vorigen Jahres ausgestellt. Surefoot notierte, legte dann den Hörer wieder auf und reichte ihr den Zettel.

»Ich dachte es mir«, sagte sie, und ihre Augen glänzten. »Alle Schecks sind am Siebzehnten ausgeschrieben.«

»Glänzend, daß Ihre Vermutung so prompt zutrifft. Vielleicht erklären Sie mir jetzt auch, was das zu bedeuten hat?«

Sie nickte.

»In einer Woche erfahren Sie es, inzwischen stelle ich noch einige Nachforschungen an. Aber über einen andern Punkt möchte ich noch mit Ihnen sprechen.« Ihre Stimme klang erregt. »Ich weiß nicht, ob ich es mir nur einbilde, aber ich habe das Gefühl, daß ich beobachtet werde. Ich bin sicher, daß mir gestern ein Mann gefolgt ist. In der Oxford Street verlor ich ihn aus den Augen, aber als ich in der Regent Street in ein Schaufenster sah, entdeckte ich ihn wieder, einen Mann mit abstoßenden Zügen.«

Der Chefinspektor lächelte.

»Das ist Detektivinspektor Mason. Ich weiß, daß er etwas abstoßend aussieht.«

»Was, ein Detektiv?« fragte sie verblüfft.

Surefoot nickte.

»Selbstverständlich muß ich Sie doch behüten. Sie werden beobachtet, aber nicht weil Sie unter Verdacht, sondern unter dem Schutz Scotland Yards stehen.«

Sie seufzte erleichtert auf.

»Sie wissen nicht, wie mich das beruhigt. Ich bin schon ganz nervös geworden. Beinahe wäre ich gestern schon aus diesem Grund zu Ihnen gekommen.«

*

Dick ärgerte sich über Marys neue Tätigkeit, da er sie selten zu Hause antraf. Er beschwerte sich bei Surefoot darüber und fragte ihn um Rat.

»Das ist doch eine furchtbar gefährliche Geschichte«, beklagte er sich. »Dieser Verbrecher scheut vor nichts zurück. Vielleicht denkt er noch immer, daß sie die Abrechnung in ihrem Besitz hat.«

»Haben Sie denn die junge Dame überhaupt gesehen?«

Surefoot öffnete geschickt eine neue Flasche Bier. Er saß auf der Werkbank in Dicks Arbeitsraum.

»Ja, gesehen habe ich sie schon. Sie wünscht, daß ich ihr Binny leihen soll.«

»Binny leihen? Was heißt denn das?«

»Nun, Binny steht jetzt in meinen Diensten. Sie sagt, sie will Nachforschungen anstellen nach einer früheren Angestellten meines Onkels, die unter einem angenommenen Namen in Newcastle wohnt. Binny soll dorthin reisen und sie ausfindig machen. Ich habe mit ihm darüber gesprochen – er kann sich auf die Frau besinnen. Sie hat ihre Stelle aufgegeben, kurz nachdem er seinen Dienst antrat, und sie war damals schon recht alt. Anscheinend hatte sie einen ungeratenen Sohn. Binny kann sich nicht an ihn erinnern, aber Mary weiß das noch sehr gut. Die alte Frau muß beinahe neunzig Jahre alt sein und lebt im Norden Englands. Mary will nun Binny hinschicken. Er soll feststellen, ob sie sich nicht geirrt hat.«

Smith sah ihn düster an.

»Davon hat sie mir nichts gesagt. Binny ist also jetzt bei Ihnen angestellt? Das Haus haben Sie ja wohl auch geerbt? Was wollen Sie denn damit machen?«

»Ich werde es verkaufen«, entgegnete Dick prompt. »Ich habe bereits ein Angebot.«

In dem Augenblick klopfte es an der Tür. Der Hausmeister kam herein und brachte ein Telegramm für Mr. Allenby.

Dick öffnete es und las verwundert die Nachricht. Ohne ein Wort zu sagen, reichte er das Blatt dann Surefoot. Es war in Sunningdale aufgegeben und lautete:

In Sachen der Ihnen gestohlenen patentierten Luftpistole. Waffe, genau Beschreibung entsprechend, wurde in Toyne Copse auf dem Boden einer Grube unter einem Toten gefunden, in dem man Gerald Dornford aus der Half Moon Street vermutet. Bitte wenden Sie sich sofort an Polizeiwache Sunningdale zwecks Identifizierung Ihres Eigentums.


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